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<TITLE>Rosa Luxemburg - Die Krise der Sozialdemokratie - VIII</TITLE>
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<!--Hier war ein unzureichend terminierter Kommentar -->
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<H2>Rosa Luxemburg - Die Krise der Sozialdemokratie</H2>
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<H1><!-- #BeginEditable "%DCberschrift" -->VIII.<BR>
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Kampf gegen den Imperialismus<!-- #EndEditable --></H1>
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<P>Trotz Militärdiktatur und Pressezensur, trotz Versagens der Sozialdemokratie,
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trotz brudermörderischen Kriegs steigt aus dem »Burgfrieden« mit Elementargewalt der Klassenkampf und aus den Blutdämpfen der Schlachtfelder
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die internationale Solidarität der Arbeiter empor. Nicht in den schwächlichen
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Versuchen, die alte Internationale künstlich zu galvanisieren, nicht
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in den Gelöbnissen, die bald hier, bald dort erneuert werden, nach
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dem Kriege sofort wieder zusammenzustehen. Nein, jetzt im Kriege, aus dem
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Kriege ersteht mit ganz neuer Macht und Wucht die Tatsache, daß die
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Proletarier aller Länder ein und dieselben Interessen haben. Der Weltkrieg
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widerlegt selbst die von ihm geschaffene Täuschung.</P>
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<P>Sieg oder Niederlage? So heißt die Losung des herrschenden Militarismus
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in jedem der kriegführenden Länder, und so haben sie, wie ein
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Echo, die sozialdemokratischen Führer übernommen. Um Sieg oder
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Niederlage auf dem Schlachtfelde soll es sich jetzt nur noch auch für
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die Proletarier Deutschlands wie Frankreichs, Englands wie Rußlands
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handeln, genau so wie für die herrschenden Klassen dieser Länder.
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Sobald die Kanonen donnern, soll jedes Proletariat am Siege des eigenen,
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also an der Niederlage der anderen Länder interessiert sein. Sehen
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wir zu, was ein Sieg dem Proletariat einbringen kann.
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<P>Nach der von den Führern der Sozialdemokratie kritiklos übernommenen
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offiziellen Version bedeutet der Sieg für Deutschland die Aussicht
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auf ungehinderten schrankenlosen wirtschaftlichen Aufschwung, die Niederlage
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aber einen wirtschaftlichen Ruin. Diese Auffassung stützt sich ungefähr
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auf das Schema des Krieges von 1870. Aber die kapitalistische Blüte,
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die in Deutschland dem Kriege von 1870 folgte, war nicht Folge des Krieges,
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sondern der politischen Einigung, wenn auch nur in der verkrüppelten
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Gestalt des von Bismarck geschaffenen Deutschen Reiches. Der wirtschaftliche
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Aufschwung ergab sich hier aus der Einigung trotz des Krieges und der mannigfachen
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reaktionären Hemmnisse in seinem Gefolge. Was der siegreiche Krieg
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dazu aus eigenem tat, war die Befestigung der Militärmonarchie in
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Deutschland und des preußischen Junkerregiments, während die
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Niederlage Frankreich zur Liquidierung des Kaiserreichs und zur Republik
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verholfen hat. Heute liegen aber die Dinge noch ganz anders in allen beteiligten
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Staaten. Heute funktioniert der Krieg nicht als eine dynamische Methode,
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dem aufkommenden jungen Kapitalismus zu den unentbehrlichsten politischen
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Voraussetzungen seiner »nationalen« Entfaltung zu verhelfen.
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Diesen Charakter trägt der Krieg höchstens, und auch nur als
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isoliertes Fragment betrachtet, in Serbien. Auf seinen objektiven historischen
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Sinn reduziert, ist der heutige Weltkrieg als Ganzes ein Konkurrenzkampf
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des bereits zur vollen Blüte entfalteten Kapitalismus um die Weltherrschaft,
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um die Ausbeutung der letzten Reste der nichtkapitalistischen Weltzonen.
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Daraus ergibt sich ein gänzlich veränderter Charakter des Krieges
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selbst und seiner Wirkungen. Der hohe Grad der weltwirtschaftlichen Entwicklung
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der kapitalistischen Produktion äußert sich hier sowohl in der
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außerordentlich hohen Technik, das heißt Vernichtungskraft
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der Kriegsmittel, wie in ihrer annähernd ganz gleichen Höhe bei
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allen kriegführenden Ländern. Die internationale Organisation
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der Mordwerkindustrien spiegelt sich jetzt in dem militärischen Gleichgewicht,
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das sich mitten durch partielle Entscheidungen und Schwankungen der Waagschalen
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immer wieder herstellt und eine allgemeine Entscheidung immer wieder hinausschiebt.
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Die Unentschiedenheit der militärischen Kriegsergebnisse führt
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ihrerseits dazu, daß immer neue Reserven sowohl an Bevölkerungsmassen
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der Kriegführenden wie an bisher neutralen Ländern ins Feuer
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geschickt werden. An imperialistischen Gelüsten und Gegensätzen
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findet der Krieg überall aufgehäuftes Material, schafft selbst
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neues herbei und breitet sich so wie ein Steppenbrand aus. Je gewaltigere
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Massen aber und je mehr Länder auf allen Seiten in den Weltkrieg gezerrt
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werden, um so mehr wird seine Dauer hinausgezogen. All das zusammen ergibt
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als die Wirkung des Krieges noch vor jeder militärischen Entscheidung
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über Sieg oder Niederlage ein in den früheren Kriegen der Neuzeit
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unbekanntes Phänomen: den wirtschaftlichen Ruin aller beteiligten
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und in immer höherem Maße auch der formell unbeteiligten Länder.
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Jeder weitere Monat der Dauer des Krieges befestigt und steigert dieses
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Ergebnis und nimmt so vorweg die erwarteten Früchte des militärischen
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Erfolges auf ein Jahrzehnt hinaus. An diesem Ergebnis kann weder Sieg noch
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Niederlage in letzter Rechnung etwas ändern, es macht umgekehrt die
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rein militärische Entscheidung überhaupt zweifelhaft und führt
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mit immer größerer Wahrscheinlichkeit zur schließlichen
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Beendigung des Krieges durch äußerste allseitige Erschöpfung.
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Unter diesen Umständen würde aber auch ein siegreiches Deutschland
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­ selbst wenn es seinen imperialistischen Kriegshetzern gelingen sollte,
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den Massenmord bis zur völligen Niederschlagung aller Gegner zu führen,
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und wenn diese kühnen Träume je in Erfüllung gehen sollten
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­ nur einen Pyrrhussieg davontragen. Seine Trophäen wären:
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einige auf den Bettelstab gebrachte entvölkerte Annexionsgebiete und
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ein grinsender Ruin unter eigenem Dache, der sich sofort zeigen wird, wenn
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die gemalte Kulisse der Finanzwirtschaft mit Kriegsanleihen und die Potemkinschen
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Dörfer des durch Kriegslieferungen in Betrieb gehaltenen »unerschütterlichen Volkswohlstandes« auf die Seite geschoben werden. Daß auch der
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siegreichste Staat heute an keine Kriegsentschädigung denken kann,
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die im entferntesten die durch diesen Krieg geschlagenen Wunden zu heilen
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imstande wäre, ist für den oberflächlichsten Beobachter
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klar. Einen Ersatz dafür und eine Ergänzung des »Sieges« würde der vielleicht noch etwas größere ökonomische
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Ruin der besiegten Gegenseite: Frankreichs und Englands bieten, das heißt
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derjenigen Länder, mit denen Deutschland durch wirtschaftliche Beziehungen
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am engsten verknüpft, von deren Wohlstand sein eigenes Wiederaufblühen
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am meisten abhängig ist. Das ist der Rahmen, in dem es sich für
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das deutsche Volk nach dem Kriege ­ wohlgemerkt nach einem »siegreichen« Kriege ­, darum handeln würde, die auf Vorschuß von der
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patriotischen Volksvertretung »bewilligten« Kriegskosten nachträglich
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in Wirklichkeit zu decken, das heißt eine unermeßliche Last
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von Steuern zusammen mit der erstarkten militärischen Reaktion als
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die einzige bleibende, greifbare Frucht des »Sieges« auf seine
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Schultern zu nehmen.</P>
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<P>Sucht man sich nun die schlimmsten Ergebnisse einer Niederlage vorzustellen,
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so sind sie ­ ausgenommen die imperialistischen Annexionen -, Zug um
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Zug demselben Bilde ähnlich, das sich als unabweisbare Konsequenz
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aus dem Sieg ergab: die Wirkungen der Kriegführung selbst sind
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heute so tiefgreifender und weittragender Natur, daß an ihnen der
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militärische Ausgang nur wenig zu ändern imstande ist.</P>
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<P>Doch nehmen wir für einen Augenblick an, der siegreiche Staat verstände
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dennoch, den größeren Ruin von sich ab- und dem besiegten Gegner
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aufzuwälzen, dessen wirtschaftliche Entwicklung durch allerlei Hemmnisse
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einzuschnüren. Kann die deutsche Arbeiterklasse in ihrem gewerkschaftlichen
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Kampf nach dem Kriege erfolgreich vorwärts kommen, wenn die gewerkschaftliche
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Aktion der französischen, englischen, belgischen, italienischen Arbeiter
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durch wirtschaftlichen Rückgang unterbunden wird? Bis 1870 schritt
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noch die Arbeiterbewegung in jedem Lande für sich, ja, in einzelnen
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Städten fielen ihre Entscheidungen. Es war Paris, auf dessen Pflaster
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die Schlachten des Proletariats geschlagen und entschieden wurden. Die
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heutige Arbeiterbewegung, ihr mühsamer wirtschaftlicher Tageskampf,
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ihre Massenorganisation sind auf Zusammenwirkung aller Länder der
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kapitalistischen Produktion basiert. Gilt der Satz, daß nur auf dem
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Boden eines gesunden, kräftig pulsierenden wirtschaftlichen Lebens
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die Sache der Arbeiter gedeihen kann, dann gilt er nicht bloß für
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Deutschland, sondern auch für Frankreich, England, Belgien, Rußland,
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Italien. Und stagniert die Arbeiterbewegung in allen kapitalistischen Staaten
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Europas, bestehen dort niedrige Löhne, schwache Gewerkschaften, geringe
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Widerstandskraft der Ausgebeuteten, dann kann die Gewerkschaftsbewegung
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unmöglich in Deutschland blühen. Von diesem Standpunkte aus ist
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es für die Lage des Proletariats in seinem wirtschaftlichen Kampfe
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in letzter Rechnung genau derselbe Verlust, wenn der deutsche Kapitalismus
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auf Kosten des französischen oder der englische auf Kosten des deutschen
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gekräftigt wird.</P>
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<P>Wenden wir uns aber an die politischen Ergebnisse des Krieges. Hier
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dürfte die Unterscheidung leichter sein als auf dem ökonomischen
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Gebiete. Seit jeher wandten sich die Sympathien und die Parteinahme der
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Sozialisten derjenigen kriegführenden Seite zu, die den historischen
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Fortschritt gegen die Reaktion verfocht. Welche Seite vertritt in dem heutigen
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Weltkriege den Fortschritt und welche die Reaktion? Es ist klar, daß
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diese Frage nicht nach den äußerlichen Merkmalen der kriegführenden
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Staaten, wie »Demokratie« oder »Absolutismus« beurteilt
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werden kann, sondern lediglich nach den objektiven Tendenzen der von jeder
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Seite vertretenen weltpolitischen Stellung. Ehe wir beurteilen können,
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was ein deutscher Sieg dem deutschen Proletariat eintragen kann, müssen
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wir ins Auge fassen, wie er auf die Gesamtgestaltung der politischen Verhältnisse
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Europas einwirken würde. Der entschiedene Sieg Deutschlands würde
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als nächstes Ergebnis die Annexion Belgiens sowie möglicherweise
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noch einiger Landstriche im Osten und Westen und eines Teils der französischen
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Kolonien herbeiführen, zugleich die Erhaltung der habsburgischen Monarchie
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und ihre Bereicherung um neue Gebiete, endlich die Erhaltung einer fiktiven »Integrität« der Türkei unter deutschem Protektorat,
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d. h. gleichzeitige Verwandlung Kleinasiens und Mesopotamiens in dieser oder
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jener Form faktisch in deutsche Provinzen. Im weiteren Ergebnis
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würde daraus die tatsächliche militärische und ökonomische
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Hegemonie Deutschlands in Europa erfolgen. Alle diese Resultate eines durchgreifenden
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militärischen Sieges Deutschlands sind nicht etwa deshalb zu gewärtigen,
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weil sie den Wünschen imperialistischer Schreier im heutigen Kriege
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entsprechen, sondern weil sie sich als ganz unvermeidliche Konsequenzen
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aus der einmal eingenommenen weltpolitischen Position Deutschlands ergeben,
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aus den Gegensätzen zu England, Frankreich und Rußland, in die
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sich Deutschland hineingerannt und die sich im Laufe des Krieges selbst
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über ihre anfänglichen Dimensionen ungeheuer hinausgewachsen
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haben. Es genügt jedoch, sich diese Resultate zu vergegenwärtigen,
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um einzusehen, daß sie unter keinen Umständen ein irgendwie
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haltbares weltpolitisches Gleichgewicht ergeben würden. Wie sehr auch
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der Krieg für alle Beteiligten und vielleicht noch mehr für die
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Besiegten einen Ruin bedeuten mag, die Vorbereitungen zu einem neuen Weltkriege
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unter Englands Führung würden am anderen Tage nach dem Friedensschluß
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beginnen, um das Joch des preußisch-deutschen Militarismus, das auf
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Europa und Vorderasien lasten würde, abzuschütteln. Ein Sieg
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Deutschlands wäre somit nur ein Vorspiel zum alsbaldigen zweiten Weltkrieg
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und dadurch nur ein Signal zu neuen fieberhaften militärischen Rüstungen
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sowie zur Entfesselung der schwärzesten Reaktion in allen Ländern,
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aber in erster Linie in Deutschland selbst. Auf der anderen Seite führt
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der Sieg Englands und Frankreichs für Deutschland höchstwahrscheinlich
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zum Verlust wenigstens eines Teiles der Kolonien sowie der Reichslande
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und ganz sicher zum Bankrott der weltpolitischen Stellung des deutschen
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Imperialismus. Das bedeutet aber: die Zerstückelung Österreich-Ungarns
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und die gänzliche Liquidierung der Türkei. So erzreaktionäre
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Gebilde nun beide Staaten sind und so sehr ihr Zerfall an sich den Anforderungen
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der fortschrittlichen Entwicklung entspricht, in dem heutigen konkreten
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weltpolitischen Milieu könnte der Zerfall der habsburgischen Monarchie
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wie der Türkei auf nichts anderes hinauslaufen als auf die Verschacherung
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ihrer Länder und Völker an Rußland, England, Frankreich
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und Italien. An diese grandiose Weltumteilung und Machtverschiebung am
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Balkan und am Mittelmeer würde sich aber eine weitere in Asien: die
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Liquidierung Persiens und eine neue Zerstückelung Chinas unaufhaltsam
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anschließen. Damit rückt der englisch-russische sowie der englisch-japanische
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Gegensatz in den Vordergrund der Weltpolitik, was vielleicht schon im unmittelbaren
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Anschluß an die Liquidierung des heutigen Weltkrieges einen neuen
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Weltkrieg etwa um Konstantinopel nach sich ziehen, ihn jedenfalls zur unausweichlichen
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weiteren Perspektive machen würde. Auch von dieser Seite führt
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der Sieg also dazu, neue fieberhafte Rüstungen in allen Staaten ­
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das besiegte Deutschland selbstverständlich mit an der Spitze -, und
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damit eine Ära der ungeteilten Herrschaft des Militarismus und der
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Reaktion in ganz Europa vorzubereiten, mit einem neuen Weltkrieg als Endziel.</P>
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<P>So ist die proletarische Politik, wenn sie vom Standpunkte des Fortschritts
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und der Demokratie für die eine oder die andere Seite im heutigen
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Kriege Partei ergreifen sollte, die Weltpolitik und ihre weiteren Perspektiven
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im ganzen genommen, zwischen der Szylla und der Charybdis eingeschlossen,
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und die Frage: Sieg oder Niederlage kommt unter diesen Umständen für
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die europäische Arbeiterklasse in politischer genau wie in ökonomischer
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Beziehung auf die hoffnungslose Wahl zwischen zwei Trachten Prügel
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hinaus. Es ist deshalb nichts als ein verhängnisvoller Wahn, wenn
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die französischen Sozialisten vermeinen, durch militärische Niederwerfung
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Deutschlands dem Militarismus oder gar dem Imperialismus aufs Haupt zu
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schlagen und der friedlichen Demokratie die Bahn in der Welt zu brechen.
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Der Imperialismus und in seinem Dienste der Militarismus kommen vielmehr
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bei jedem Siege und bei jeder Niederlage in diesem Kriege vollauf auf ihre
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Rechnung, ausgenommen den einzigen Fall: wenn das internationale Proletariat
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durch seine revolutionäre Intervention einen dicken Strich durch jene
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Rechnung macht.</P>
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<P>Die wichtigste Lehre für die Politik des Proletariats aus dem heutigen
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Kriege ist deshalb die unerschütterliche Tatsache, daß es sich
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weder in Deutschland noch in Frankreich, weder in England noch in Rußland
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zum kritiklosen Echo der Losung: <B>Sieg oder Niederlage</B> machen darf,
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einer Losung, die einzig vom Standpunkte des Imperialismus realen Gehalt
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hat und für jeden Großstaat mit der Frage: Erwerb oder Verlust
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der weltpolitischen Machtstellung, der Annexionen, Kolonien und der militärischen
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Vorherrschaft identisch ist. Für das europäische Proletariat
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im ganzen sind heute von seinem Klassenstandpunkt Sieg und Niederlage jedes
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der kriegführenden Lager gleich verhängnisvoll. Es ist eben der
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<B>Krieg</B> als solcher und bei jedem militärischen Ausgang, der
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die denkbar größte Niederlage für das europäische
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Proletariat bedeutet, es ist die Niederkämpfung des Krieges und die
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schleunigste Erzwingung des Friedens durch die internationale Kampfaktion
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des Proletariats, die den einzigen Sieg für die proletarische Sache
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bringen kann. Und dieser Sieg allein kann zugleich die wirkliche Rettung
|
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Belgiens wie der Demokratie in Europa bewirken. </P>
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<P>In dem heutigen Kriege kann das klassenbewußte Proletariat mit
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keinem militärischen Lager seine Sache identifizieren. Folgt etwa
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daraus, daß die proletarische Politik heute das Festhalten am status
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quo erfordert, daß wir kein anderes Aktionsprogramm haben als den
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Wunsch: alles soll beim alten bleiben, wie es vor dem Kriege war? Aber
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der bestehende Zustand ist nie unser Ideal, er ist nie der Ausdruck der
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Selbstbestimmung der Völker gewesen Noch mehr: der frühere Zustand
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läßt sich gar nicht mehr retten, er existiert nicht mehr, selbst
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wenn die bisherigen Staatsgrenzen bestehen blieben. Der Krieg hat schon
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vor der formalen Liquidation seiner Ergebnisse eine gewaltige Verschiebung
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der Machtverhältnisse, der gegenseitigen Kräfteeinschätzung,
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|
der Bündnisse und der Gegensätze gebracht, er hat die Beziehungen
|
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|
der Staaten zueinander und der Klassen innerhalb
|
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|
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|
der Gesellschaft einer so scharfen Revision unterzogen, soviel alte Illusionen
|
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|
und Potenzen vernichtet, soviel neuen Drang und neue Aufgaben geschaffen,
|
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|
daß die Rückkehr zum alten Europa, wie es vor dem 4. August 1914
|
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|
war, ganz so ausgeschlossen ist wie die Rückkehr zu vorrevolutionären
|
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|
Verhältnissen auch nach einer niedergeschlagenen Revolution. Die Politik
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|
des Proletariats kennt auch nie ein »Zurück«, sie kann nur
|
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|
vorwärts streben, sie muß immer über das Bestehende und das
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|
Neugeschaffene hinausgehen. In diesem Sinne allein vermag sie beiden Lagern des
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|||
|
imperialistischen Weltkrieges ihre eigene Politik entgegenzustellen.</P>
|
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|
<P>Aber diese Politik kann nicht darin bestehen, daß die sozialdemokratischen
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|
Parteien jede für sich oder gemeinsam auf internationalen Konferenzen
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|
um die Wette Projekte machen und Rezepte für die bürgerliche
|
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|
Diplomatie ausklügeln, wie diese den Frieden schließen soll,
|
|||
|
um die weitere friedliche und demokratische Entwicklung zu ermöglichen.
|
|||
|
Alle Forderungen, die etwa auf die völlige oder stückweise »Abrüstung«,
|
|||
|
auf die Abschaffung der Geheimdiplomatie, auf Zerschlagung aller Großstaaten
|
|||
|
in nationale Kleinstaaten und dergleichen mehr hinauslaufen, sind samt
|
|||
|
und sonders völlig utopisch, solange die kapitalistische Klassenherrschaft
|
|||
|
das Heft in den Händen behält. Diese kann zumal unter dem jetzigen
|
|||
|
imperialistischen Kurs so wenig auf den heutigen Militarismus, auf die
|
|||
|
Geheimdiplomatie, auf den zentralistischen gemischtnationalen Großstaat
|
|||
|
verzichten, daß die betreffenden Postulate eigentlich mit mehr Konsequenz
|
|||
|
allesamt auf die glatte »Forderung« hinauslaufen: Abschaffung
|
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|
des kapitalistischen Klassenstaates. Nicht mit utopischen Ratschlägen
|
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|
und Projekten, wie der Imperialismus im Rahmen des bürgerlichen Staates
|
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|
durch partielle Reformen zu mildern, zu zähmen, zu dämpfen wäre,
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|
kann die proletarische Politik sich wieder den ihr gebührenden Platz
|
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|
erobern. Das eigentliche Problem, das der Weltkrieg vor die sozialistischen
|
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|
Parteien gestellt hat und von dessen Lösung die weiteren Schicksale
|
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|
der Arbeiterbewegung abhängen, das ist <B>die Aktionsfähigkeit
|
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|
der proletarischen Massen im Kampfe gegen den Imperialismus</B>. Nicht
|
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|
an Postulaten, Programmen, Losungen fehlt es dem internationalen Proletariat,
|
|||
|
sondern an Taten, an wirksamem Widerstand, an der Fähigkeit, den Imperialismus
|
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|
im entscheidenden Moment gerade im Kriege anzugreifen und die alte Losung »Krieg dem Kriege« in die Praxis umzusetzen. Hier ist der Rhodus,
|
|||
|
wo es zu springen gilt, hier der Knotenpunkt der proletarischen Politik
|
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|
und ihrer ferneren Zukunft.</P>
|
|||
|
<P>Der Imperialismus mit all seiner brutalen Gewaltpolitik und Kette unaufhörlicher
|
|||
|
sozialer Katastrophen, die er provoziert, ist freilich für die herrschenden
|
|||
|
Klassen der heutigen kapitalistischen Welt eine historische Notwendigkeit.
|
|||
|
Nichts wäre verhängnisvoller, als wenn sich das Proletariat selbst
|
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|
aus dem jetzigen Weltkriege die geringste Illusion und Hoffnung auf die
|
|||
|
Möglichkeit einer idyllischen und friedlichen Weiterentwicklung des
|
|||
|
Kapitalismus retten würde. Aber der Schluß, der aus der geschichtlichen
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Notwendigkeit des Imperialismus für die proletarische Politik folgt,
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ist nicht, daß sie vor dem Imperialismus kapitulieren muß,
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um sich fortab in seinem Schatten vom Gnadenknochen seiner Siege zu nähren.</P>
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<P>Die geschichtliche Dialektik bewegt sich eben in Widersprüchen
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und setzt auf jede Notwendigkeit auch ihr Gegenteil in die Welt. Die bürgerliche
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Klassenherrschaft ist zweifellos eine historische Notwendigkeit, aber auch
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der Aufruhr der Arbeiterklasse gegen sie; das Kapital ist eine historische
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Notwendigkeit, aber auch sein Totengräber, der sozialistische Proletarier;
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die Weltherrschaft des Imperialismus ist eine historische Notwendigkeit,
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aber auch ihr Sturz durch die proletarische Internationale. Auf Schritt
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und Tritt gibt es zwei historische Notwendigkeiten, die zueinander in Widerstreit
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geraten, und die unsrige, die Notwendigkeit des Sozialismus, hat einen
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längeren Atem. Unsere Notwendigkeit tritt in ihr volles Recht mit
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dem Moment, wo jene andere, die bürgerliche Klassenherrschaft, aufhört,
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Trägerin des geschichtlichen Fortschritts zu sein, wo sie zum Hemmschuh,
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zur Gefahr für die weitere Entwicklung der Gesellschaft wird. Dies
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hat für die kapitalistische Gesellschaftsordnung gerade der heutige
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Weltkrieg enthüllt. </P>
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<P>Der imperialistische Expansionsdrang des Kapitalismus als der Ausdruck
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seiner höchsten Reife, seines letzten Lebensabschnitts, hat zur ökonomischen
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Tendenz, die gesamte Welt in eine kapitalistisch produzierende zu verwandeln,
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alle veralteten, vorkapitalistischen Produktions- und Gesellschaftsformen
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wegzufegen, alle Reichtümer der Erde und alle Produktionsmittel zum
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Kapital, die arbeitenden Volksmassen aller Zonen zu Lohnsklaven zu machen.
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In Afrika und Asien, vom nördlichsten Gestade bis zur Südspitze
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Amerikas und in der Südsee werden die Überreste alter urkommunistischer
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Verbände, feudaler Herrschaftsverhältnisse, patriarchalischer
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Bauernwirtschaften, uralter Handwerksproduktionen vom Kapital vernichtet,
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zerstampft, ganze Völker aus gerottet, uralte Kulturen dem Erdboden
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gleichgemacht, um an ihre Stelle die Profitmacherei in modernster Form
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zu setzen. Dieser brutale Siegeszug des Kapitals in der Welt, gebahnt und
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begleitet durch alle Mittel der Gewalt, des Raubes und der Infamie hatte
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eine Lichtseite: er schuf die Vorbedingungen zu seinem eigenen endgültigen
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Untergang, er stellte die kapitalistische Weltherrschaft her, auf die allein
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die sozialistische Weltrevolution folgen kann. Dies war die einzige kulturelle
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und fortschrittliche Seite seiner sogenannten großen Kulturwerke
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in den primitiven Ländern. Für bürgerlich-liberale Ökonomen
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und Politiker sind Eisenbahnen, schwedische Zündhölzer, Straßenkanalisation
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und Kaufhäuser »Fortschritt« und »Kultur«. An
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sich sind jene Werke, auf die primitiven Zustände gepfropft, weder
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Kultur noch Fortschritt, denn sie werden mit einem jähen wirtschaftlichen
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und kulturellen Ruin der Völker erkauft, die den ganzen Jammer und
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alle Schrecken zweier Zeitalter: der traditionellen naturalwirtschaftlichen
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Herrschaftsverhältnisse und der modernsten raffiniertesten kapitalistischen
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Ausbeutung, auf einmal
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auszukosten haben. Nur als materielle Vorbedingungen
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für die Aufhebung der Kapitalherrschaft, für die Abschaffung
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der Klassengesellschaft überhaupt trugen die Werke des kapitalistischen
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Siegeszuges in der Welt den Stempel des Fortschritts im weiteren geschichtlichen
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Sinne. In diesem Sinne arbeitete der Imperialismus in letzter Linie für
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uns.</P>
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<P>Der heutige Weltkrieg ist eine Wende in seiner Laufbahn. Zum ersten
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Male sind jetzt die reißenden Bestien, die vom kapitalistischen Europa
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auf alle anderen Weltteile losgelassen waren, mit einem Satz mitten in
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Europa eingebrochen. Ein Schrei des Entsetzens ging durch die Welt, als
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Belgien, das kostbare kleine Juwel der europäischen Kultur, als die
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ehrwürdigsten Kulturdenkmäler in Nordfrankreich unter dem Anprall
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einer blinden Vernichtungskraft klirrend in Scherben fielen. Die »Kulturwelt«,
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welche gelassen zugesehen hatte, als derselbe Imperialismus Zehntausende
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Hereros dem grausigsten Untergang weihte und die Kalahariwüste
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mit dem Wahnsinnsschrei Verdurstender, mit dem Röcheln Sterbender
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füllte, als in Putumayo binnen zehn Jahren vierzigtausend Menschen
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von einer Bande europäischer Industrieritter zu Tode gemartert, der
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Rest eines Volkes zu Krüppeln geschlagen wurde, als in China eine
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uralte Kultur unter Brand und Mord von der europäischen Soldateska
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allen Greueln der Vernichtung und der Anarchie preisgegeben ward, als Persien
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ohnmächtig in der immer enger zugezogenen Schlinge der fremden Gewaltherrschaft
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erstickte, als in Tripolis die Araber mit Feuer und Schwert unter das Joch
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des Kapitals gebeugt, ihre Kultur, ihre Wohnstätten dem Erdboden gleichgemacht
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wurden - diese »Kulturwelt« ist erst heute gewahr geworden, daß
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der Biß der imperialistischen Bestien todbringend, daß ihr
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Odem Ruchlosigkeit ist. Sie hat es erst bemerkt, als die Bestien ihre reißenden
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Pranken in den eigenen Mutterschoß, in die bürgerliche Kultur
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Europas krallten. Und auch diese Erkenntnis ringt sich in der verzerrten
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Form der bürgerlichen Heuchelei durch, worin jedes Volk die Infamie
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nur in der nationalen Uniform des anderen erkennt. »Die deutschen
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Barbaren!« - wie wenn nicht jedes Volk, das zum organisierten Mord
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auszieht, sich in demselben Augenblick in eine Horde Barbaren verwandelte. »Die Kosaken-Greuel!« ­ wie wenn nicht der Krieg an sich
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der Greuel aller Greuel, wie wenn die Anpreisung der Menschenschlächterei
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als Heldentum in einem sozialistischen Jugendblatt nicht geistiges Kosakentum
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in Reinkultur wäre!</P>
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<P>Aber das heutige Wüten der imperialistischen Bestialität in
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den Fluren Europas hat noch eine Wirkung, für welche die »Kulturwelt« kein entsetztes Auge, kein schmerzzuckendes Herz hat: das ist <B>der Massenuntergang
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des europäischen Proletariats</B>. Nie hat ein Krieg in diesem Maße
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ganze Volksschichten ausgerottet, nie hat er seit einem Jahrhundert derart
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sämtliche große und alte Kulturländer Europas ergriffen.
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Millionen Menschenleben werden in den Vogesen, in den Ardennen, in Belgien,
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in Polen, in den Karpathen, an der Save vernichtet, Millionen werden zu
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Krüppeln geschlagen. Aber unter diesen Millionen
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sind neun Zehntel das arbeitende Volk aus Stadt und Land. Es ist unsere Kraft,
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unsere Hoffnung, die dort reihenweise wie das Gras unter der Sichel tagtäglich
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dahingemäht wird. Es sind die besten, intelligentesten, geschultesten
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Kräfte des internationalen Sozialismus, die Träger der heiligsten
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Traditionen und des kühnsten Heldentums der modernen Arbeiterbewegung, die
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Vordertruppen des gesamten Weltproletariats: die Arbeiter Englands, Frankreichs,
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Belgiens, Deutschlands, Rußlands, die jetzt zuhauf niedergeknebelt,
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niedergemetzelt werden. Diese Arbeiter der führenden kapitalistischen
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Länder Europas sind es ja gerade, die die geschichtliche Mission haben, die
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sozialistische Umwälzung durchzuführen. Nur aus Europa, nur aus den ältesten
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kapitalistischen Ländern kann, wenn die Stunde reif ist, das Signal
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zur menschenbefreienden sozialen Revolution ausgehen. Nur die englischen,
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französischen, belgischen, deutschen, russischen, italienischen Arbeiter
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gemeinsam können die Armee der Ausgebeuteten und Geknechteten der
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fünf Weltteile voranführen. Nur sie können, wenn die Zeit
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kommt, für die jahrhundertealten Verbrechen des Kapitalismus an allen
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primitiven Völkern, für sein Vernichtungswerk auf dem Erdenrund
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Rechenschaft fordern und Vergeltung üben. Aber zum Vordringen und
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zum Siege des Sozialismus gehört ein starkes, aktionsfähiges,
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geschultes Proletariat, gehören Massen, deren Macht sowohl in ihrer
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geistigen Kultur wie in ihrer Zahl liegt. Und diese Massen werden gerade
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durch den Weltkrieg dezimiert. Die Blüte des Mannesalters und der
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Jugendkraft Hunderttausender, deren sozialistische Schulung in England
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und Frankreich, in Belgien, Deutschland und Rußland das Produkt jahrzehntelanger
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Aufklärungs- und Agitationsarbeit war, andere Hunderttausende, die
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morgen für den Sozialismus gewonnen werden konnten, fallen und vermodern
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elend auf den Schlachtfeldern. Die Frucht jahrzehntelanger Opfer und Mühen
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von Generationen wird in wenigen Wochen vernichtet, die Kerntruppen des
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internationalen Proletariats werden an der Lebenswurzel ergriffen.</P>
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<P>Der Aderlaß der Junischlächterei hatte die französische
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Arbeiterbewegung für anderthalb Jahrzehnte lahmgelegt. Der Aderlaß
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der Kommunemetzelei hat sie nochmals um mehr als ein Jahrzehnt zurückgeworfen.
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Was jetzt vorgeht, ist eine nie dagewesene Massenabschlachtung, die immer
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mehr die erwachsene Arbeiterbevölkerung aller führenden Kulturländer
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auf Frauen, Greise und Krüppel reduziert, ein Aderlaß, an dem
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die europäische Arbeiterbewegung zu verbluten droht. Noch ein solcher
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Weltkrieg, und die Aussichten des Sozialismus sind unter den von der imperialistischen
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Barbarei aufgetürmten Trümmern begraben. Das ist noch mehr als
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die ruchlose Zerstörung Löwens und der Reimser Kathedrale. Das
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ist ein Attentat nicht auf die bürgerliche Kultur der Vergangenheit,
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sondern auf die sozialistische Kultur der Zukunft, ein tödlicher Streich
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gegen diejenige Kraft, die die Zukunft der Menschheit in ihrem Schoß
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trägt und die allein die kostbaren Schätze der Vergangenheit
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in eine bessere Gesellschaft hinüberretten kann. Hier enthüllt
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der Kapitalismus seinen Totenschädel, hier verrät er, daß sein historisches Daseinsrecht verwirkt, seine weitere Herrschaft
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mit dem Fortschritt der Menschheit nicht mehr vereinbar ist.</P>
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<P>Hier erweist sich aber auch der heutige Weltkrieg nicht bloß als
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ein grandioser Mord, sondern auch als Selbstmord der europäischen
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Arbeiterklasse. Es sind ja die Soldaten des Sozialismus, die Proletarier
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Englands, Frankreichs, Deutschlands, Rußlands, Belgiens selbst, die
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einander auf Geheiß des Kapitals seit Monaten abschlachten, einander
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das kalte Mordeisen ins Herz stoßen, einander mit tödlichen
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Armen umklammernd, zusammen ins Grab hinabtaumeln.</P>
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<P>»Deutschland, Deutschland über alles! Es lebe die Demokratie!
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Es lebe der Zar und das Slawentum! Zehntausende Zeltbahnen, garantiert
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vorschriftsmäßig! Hunderttausend Kilo Speck, Kaffee-Ersatz,
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sofort lieferbar!«... Die Dividenden steigen, und die Proletarier
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fallen. Und mit jedem sinkt ein Kämpfer der Zukunft, ein Soldat der
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Revolution, ein Retter der Menschheit vom Joch des Kapitalismus ins Grab.</P>
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<P>Der Wahnwitz wird erst aufhören und der blutige Spuk der Hölle
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wird verschwinden, wenn die Arbeiter in Deutschland und Frankreich, in
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England und Rußland endlich aus ihrem Rausch erwachen, einander brüderlich
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die Hand reichen und den bestialischen Chorus der imperialistischen Kriegshetzer
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wie den heiseren Schrei der kapitalistischen Hyänen durch den alten
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mächtigen Schlachtruf der Arbeit überdonnern: Proletarier aller
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Länder, vereinigt euch!</P>
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<HR size="1" align="left" width="200">
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<P><SMALL>Quelle: »die nicht mehr existierende Website "Unser Kampf" auf fr<66>her "http://felix2.2y.net/deutsch/index.html"«<BR>
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Pfad: »../lu/«<BR>
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Verknüpfte Dateien: »<A href="http://www.mlwerke.de/css/format.css">../css/format.css</A>«</SMALL>
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<TD align="center" width="19%" height=20 valign=middle><A href="../index.shtml.html"><SMALL>MLWerke</SMALL></A></TD>
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<TD align="center" width="19%" height=20 valign=middle><!-- #BeginEditable "Link%201b" --><A href="luf_7.htm"><SMALL>Teil 7</SMALL></A><!-- #EndEditable --></TD>
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<TD align="center" width="19%" height=20 valign=middle><A href="luf.htm"><SMALL>Inhalt</SMALL></A></TD>
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<TD align="center" width="19%" height=20 valign=middle><A href="default.htm"><SMALL>Rosa Luxemburg</SMALL></A></TD>
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