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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<TITLE>Rosa Luxemburg - Einf&uuml;hrung in die National&ouml;konomie - III. 3</TITLE>
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<!--Hier war ein unzureichend terminierter Kommentar -->
<P ALIGN="CENTER"><A HREF="lu05_613.htm"><FONT SIZE=2>III. 2</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="lu05_en.htm"><FONT SIZE=2>Inhalt</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="lu05_643.htm"><FONT SIZE=2>III. 4 </FONT></A></P>
<FONT SIZE=2><P>Rosa Luxemburg - Gesammelte Werke. Herausgegeben vom Institut f&uuml;r Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Band 5. Berlin/DDR. 1975. "Einf&uuml;hrung in die National&ouml;konomie", S. 628-642.</P>
<P>1. Korrektur<BR>
Erstellt am 06.01.1999.</FONT> </P>
<FONT SIZE=4><P ALIGN="CENTER">III. 3</P>
</FONT><B><P><A NAME="S628">|628|</A></B> Um den Wert des Grosseschen Schemas zu pr&uuml;fen, wenden wir uns zun&auml;chst direkt an die Tatsachen. Pr&uuml;fen wir - wenn auch mit fl&uuml;chtigem Blick - die Wirtschaftsweise der tiefststehenden V&ouml;lker. Welche sind das?</P>
<P>Grosse nennt sie die "niederen J&auml;ger" und sagt von ihnen: "Die niederen J&auml;gerv&ouml;lker bilden heute nur einen geringen Bruchteil der Menschheit. Durch ihre unvollkommene und unergiebige Produktionsform zu numerischer Schw&auml;che und kultureller Armut verdammt, sind sie &uuml;berall vor den gr&ouml;&szlig;eren und st&auml;rkeren V&ouml;lkern zur&uuml;ckgewichen, so da&szlig; sie jetzt nur noch in unzug&auml;nglichen Urw&auml;ldern und unwirtlichen W&uuml;sten ihr Dasein fristen. Ein gro&szlig;er Teil dieser k&uuml;mmerlichen St&auml;mme geh&ouml;rt zwerghaften Rassen an. Es sind eben die Schw&auml;chsten, welche im Kampfe um das Dasein von den St&auml;rkeren in die kulturfeindlichsten Gegenden gedr&auml;ngt und damit zugleich zum kulturellen Stillstande verurteilt wurden. Immerhin aber findet man auch heute noch in allen Erdteilen, mit Ausnahme von Europa, Vertreter der &auml;ltesten Wirtschaftsform. Afrika birgt eine Menge von klein gewachsenen J&auml;gerv&ouml;lkern; leider aber sind wir bisher nur &uuml;ber ein einziges derselben, die <I>Buschm&auml;nner </I>der Kalaharisteppe (in Deutsch-S&uuml;dwestafrika - <I>R. L.</I>), einigerma&szlig;en unterrichtet; das Leben der &uuml;brigen Pygm&auml;enst&auml;mme versteckt sich noch in dem Dunkel der <A NAME="S629"><B>|629|</A></B> zentralen Urw&auml;lder. Wenden wir uns von Afrika nach Osten, so treffen wir zun&auml;chst im Innern von Ceylon (an der S&uuml;dspitze der ostindischen Halbinsel - <I>R. L.</I>) das zwerghafte J&auml;gervolk der <I>Wedda</I>, weiter auf der Andamanen-Gruppe die <I>Mincopie</I>, im Innern Sumatras die <I>Kubu </I>und in den Bergwildnissen der Philippinen die <I>Aeta</I>, drei St&auml;mme, die wiederum zu den kleinen Rassen geh&ouml;ren. Der australische Kontinent war vor der europ&auml;ischen Besiedelung in seiner ganzen Weite von niederen J&auml;gerst&auml;mmen bev&ouml;lkert; und wenn die Eingeborenen in der letzten H&auml;lfte des Jahrhunderts durch die Kolonisten aus dem gr&ouml;&szlig;ten Teile der K&uuml;stengebiete vertrieben sind, so halten sie sich doch noch in den W&uuml;sten des Innern. In Amerika endlich kann man, vom tiefsten S&uuml;den bis in den h&ouml;chsten Norden verstreut, eine ganze Reihe von kultur&auml;rmsten Gruppen verfolgen. In den regen- und sturmgepeitschten Berg&ouml;den um Kap Horn (S&uuml;dspitze S&uuml;damerikas - <I>R. L.</I>) hausen die <I>Feuerl&auml;nder</I>, welche mehr als ein Beobachter f&uuml;r die elendesten und rohesten aller Menschen erkl&auml;rt hat. Durch die W&auml;lder Brasiliens streifen au&szlig;er den &uuml;belberufenen <I>Botokuden </I>wohl noch manche J&auml;gerhorden, von denen uns dank den Forschungen von der Steinens wenigstens die <I>Bororo </I>n&auml;her bekannt geworden sind. Zentralkalifornien (an der Westk&uuml;ste Nordamerikas - <I>R. L.</I>) birgt verschiedene St&auml;mme, die nur wenig &uuml;ber den armseligsten Australiern stehen."<A NAME="ZN1"><A HREF="lu05_628.htm#N1">(1)</A></A> Ohne Grosse weiter folgen zu k&ouml;nnen, der seltsamerweise auch die <I>Eskimo </I>zu den niedersten V&ouml;lkern rechnet, wollen wir jetzt bei einigen der oben aufgez&auml;hlten St&auml;mme nach Spuren eines gesellschaftlich planm&auml;&szlig;igen Organisation der Arbeit Umschau halten.</P>
<P>Wenden wir uns zun&auml;chst an die <I>australischen </I>Menschenfresser, die sich nach mehreren Gelehrten auf dem tiefsten Stand der Kultur befinden, den das Menschengeschlecht auf Erden aufzuweisen hat. Bei den Australnegern finden wir vor allem die bereits erw&auml;hnte primitive Arbeitsteilung zwischen M&auml;nnern und Frauen: Diese besorgen haupts&auml;chlich die pflanzliche Nahrung sowie Holz und Wasser, die M&auml;nner liegen der Jagd ob und besorgen fleischliche Nahrung.</P>
<P>Ferner finden wir hier ein Bild der gesellschaftlichen Arbeit, das den direkten Gegensatz zur "individuellen Nahrungssuche" darstellt und uns zugleich einen Beleg daf&uuml;r gibt, wie in primitivsten Gesellschaften f&uuml;r den n&ouml;tigen Flei&szlig; aller erforderlichen Arbeitskr&auml;fte gesorgt wird, zum Beispiel: "Im Stamme <I>Chepara </I>wird von allen M&auml;nnern, falls sie nicht krank sind, erwartet, da&szlig; sie f&uuml;r Nahrung sorgen. Ist ein Mann faul und bleibt <A NAME="S630"><B>|630|</A></B> im Lager, so wird er von den anderen verh&ouml;hnt und beschimpft. M&auml;nner, Weiber und Kinder verlassen das Lager am fr&uuml;hen Morgen, um Nahrung zu suchen. Nachdem sie gen&uuml;gend gejagt haben, tragen M&auml;nner und Weiber ihre Beute zur n&auml;chsten Wassergrube, wo Feuer gemacht und das Wild gebraten wird. M&auml;nner, Weiber und Kinder essen alle freundschaftlich zusammen, nachdem die Alten die Nahrung unter alle gleich verteilt haben. Nach dem Mahl tragen die Weiber die Reste ins Lager, und die M&auml;nner jagen unterwegs."<A NAME="ZN2"><A HREF="lu05_628.htm#N2">(2)</A></A></P>
<P>Nun aber N&auml;heres &uuml;ber den Plan der Produktion bei den Australnegern. Dieser ist n&auml;mlich au&szlig;erordentlich kompliziert und bis ins einzelne ausgearbeitet. Jeder australische Stamm zerf&auml;llt in eine Anzahl Gruppen, von denen jede nach einem Tier oder einer Pflanze benannt ist, die sie verehrt, und ein abgegrenztes St&uuml;ck Gebiet innerhalb des Stammesgebiets besitzt. Ein gewisses Gebiet geh&ouml;rt also zum Beispiel den K&auml;nguruh-M&auml;nnern, ein anderes den Emu-M&auml;nnern (Emu ist ein gro&szlig;er Vogel, &auml;hnlich dem Strau&szlig;), ein drittes den Schlangen-M&auml;nnern (die Australneger verspeisen auch Schlangen) usw. Diese "Totems" sind nach der Erkl&auml;rung der neuesten wissenschaftlichen Forschungen, wie wir bereits fr&uuml;her in einem anderen Zusammenhang erw&auml;hnt haben, fast lauter Tiere und Pflanzen, die den Australnegern zur Nahrung dienen. Jede solche Gruppe hat ihren H&auml;uptling, der die Jagd anf&uuml;hrt und leitet. Der Tier- oder Pflanzenname und der entsprechende Kult sind nun keine leere Form: Jede einzelne Gruppe der Australneger ist tats&auml;chlich verpflichtet, die tierische oder pflanzliche Kost ihres Namens zu besorgen, f&uuml;r Bestand und Nachwuchs dieser Nahrungsquelle Sorge zu tragen. Und zwar tut dies jede Gruppe nicht f&uuml;r sich, sondern vor allem f&uuml;r die <I>anderen </I>Gruppen des Stammes. So zum Beispiel sind die K&auml;nguruh-M&auml;nner verpflichtet, K&auml;nguruhfleisch f&uuml;r die &uuml;brigen Stammesgenossen zu besorgen, die Schlangen-M&auml;nner, Schlangen zu beschaffen, die Raupen-M&auml;nner, eine gewisse Raupe, die als Delikatesse gilt, zu sichern usw. Bezeichnenderweise ist all dies mit strengen religi&ouml;sen Gebr&auml;uchen und gro&szlig;en Zeremonien verbunden. So ist zum Beispiel fast allgemeine Regel, da&szlig; die Leute jeder Gruppe ihr eigenes Totemtier oder ihre eigene -pflanze nicht oder nur sehr m&auml;&szlig;ig essen d&uuml;rfen, hingegen m&uuml;ssen sie sie f&uuml;r andere beschaffen. Ein Mann der Schlangengruppe mu&szlig; sich zum Beispiel, wenn er eine Schlange erjagt - au&szlig;er in gro&szlig;em Hunger -, von ihrem Genu&szlig; enthalten, sie hingegen ins Lager f&uuml;r die andern bringen. Ebenso wird ein Emu-Mann das Fleisch <A NAME="S631"><B>|631|</A></B> des Emu nur &auml;u&szlig;erst m&auml;&szlig;ig, die Eier und das Fett des Vogels aber, das als Heilmittel gebraucht wird, gar nicht f&uuml;r sich nehmen, sondern den Stammesgenossen abliefern. Andererseits d&uuml;rfen die anderen Gruppen das Tier oder die Pflanze nicht ohne Erlaubnis der entsprechenden Totemm&auml;nner jagen oder sammeln und in Nahrung nehmen. Allj&auml;hrlich wird von jeder Gruppe eine feierliche Zeremonie abgehalten, die den Zweck hat, den Nachwuchs des Totemtieres oder der -pflanze (durch Ges&auml;nge, Blasen und verschiedene Kultzeremonien) zu sichern, worauf erst den anderen Gruppen gestattet ist, davon zu essen. Den Zeitpunkt, wann die Zeremonien stattzufinden haben, bestimmt f&uuml;r jede Gruppe ihr H&auml;uptling, der auch die Zeremonie leitet. Und dieser Zeitpunkt ist direkt mit den Produktionsbedingungen verkn&uuml;pft. In Zentralaustralien gibt es eine lange trockene Jahreszeit, unter der Tier und Pflanze stark leiden, und eine kurze Regenzeit, der eine Zunahme des tierischen Lebens und ein &uuml;ppiger Pflanzenwuchs folgen. Die meisten Zeremonien der Totemgruppen werden nun beim Herannahen der guten Jahreszeit abgehalten. Noch Ratzel betrachtete es als ein "komisches Mi&szlig;verst&auml;ndnis", wenn gesagt wurde, die Australier benennen sich nach ihren wichtigsten Nahrungsmitteln.<A NAME="ZN3"><A HREF="lu05_628.htm#N3">(3)</A></A> In dem oben kurz angedeuteten System der Totemgruppen mu&szlig; aber jedermann schon auf den ersten Blick eine ausgebildete Organisation der gesellschaftlichen Produktion erkennen. Die einzelnen Totemgruppen sind offenbar nichts anderes als Glieder eines ausgedehnten Systems der Arbeitsteilung. Alle Gruppen zusammen bilden ein geordnetes, planm&auml;&szlig;iges Ganzes, und auch jede Gruppe f&uuml;r sic
<P>"Ein Mann t&ouml;tet ein K&auml;nguruh in einer gewissen Entfernung vom Lager. Zwei andere M&auml;nner sind in seiner Begleitung, doch kommen sie nicht mehr dazu, ihm bei der T&ouml;tung des Tieres beizustehen. Die Entfernung vom Lager ist betr&auml;chtlich, weshalb das K&auml;nguruh gebraten wird, bevor es heimgetragen wird. Des erste Mann z&uuml;ndet ein Feuer an, und die beiden andern zerschneiden das Wild, die drei braten die Eingeweide und essen sie. Die Verteilung geschieht folgenderma&szlig;en: Die M&auml;nner Nr. 2 und 3 erhalten einen Schenkel und den Schweif und einen Schenkel mit einem Teil der H&uuml;fte, weil sie zugegen waren und bei der Zerteilung mithalfen. Der Mann Nr. 1 beh&auml;lt das &uuml;brige und tr&auml;gt es ins Lager. Den Kopf und R&uuml;cken tr&auml;gt sein Weib zu ihren Eltern, das &uuml;brige kommt zu <A NAME="S633"><B>|633|</A></B> seinen Eltern. Wenn er kein Fleisch hat, beh&auml;lt er ein wenig f&uuml;r sich, doch hat er zum Beispiel ein Opossum, so gibt er alles weg. Hat seine Mutter Fische gefangen, so mag sie ihm etwas davon geben, oder die Schwiegereltern <I>geben ihm etwas von ihrem Teil</I>; auch geben sie ihm in solchem Falle etwas am n&auml;chsten Morgen. <I>Die Kinder sind in allen F&auml;llen durch die Gro&szlig;eltern wohlversorgt.</I>"<A NAME="ZN4"><A HREF="lu05_628.htm#N4">(4)</A></A> In einem Stamme gelten folgende Regeln: Von einem K&auml;nguruh zum Beispiel erh&auml;lt der Erleger ein Lendenst&uuml;ck, der Vater das R&uuml;ckenst&uuml;ck, die Rippen, Schultern und den Kopf; die Mutter den rechten Schenkel, der j&uuml;ngere Bruder das linke Vorderbein, die &auml;ltere Schwester ein St&uuml;ck entlang des R&uuml;ckens, die j&uuml;ngere das rechte Vorderbein. Der Vater gibt den Schwanz und ein St&uuml;ck des R&uuml;ckens weiter an seine Eltern, die Mutter gibt ein Teil des Schenkels und das Schienbein an ihre Eltern weiter. Von einem B&auml;ren beh&auml;lt der J&auml;ger selbst die linken Rippen, der Vater erh&auml;lt den rechten Hinterfu&szlig;, die Mutter den linken, der &auml;ltere Bruder den rechten Vorderfu&szlig;, der j&uuml;ngere den linken. Die &auml;ltere Schwester bekommt das R&uuml;ckenst&uuml;ck, die j&uuml;ngere die Leber. Das rechte Rippenst&uuml;ck geh&ouml;rt dem Vatersbruder, ein Seitenst&uuml;ck dem m&uuml;tterlichen Onkel, und der Kopf kommt ins Lager der jungen M&auml;nner.</P>
<P>In einem anderen Stamme hingegen wird die gewonnene Nahrung immer unter alle Anwesenden gleich verteilt. Wird zum Beispiel ein Wallaby (kleinere K&auml;nguruhart) erlegt und sind zum Beispiel zehn oder zw&ouml;lf dabei, so erh&auml;lt jeder einen Teil des Tieres. Keiner von ihnen ber&uuml;hrt das Tier oder ein St&uuml;ck desselben, bevor ihm sein Teil vom Erleger gegeben wurde. Ist der, welcher das Tier erlegt hat, zuf&auml;llig abwesend, w&auml;hrend es gebraten wurde, so r&uuml;hrt es keiner an, bevor er zur&uuml;ckkommt und es verteilt. Die Weiber erhalten gleiche Teile wie die M&auml;nner, und die Kinder werden von beiden Eltern sorgf&auml;ltig bedacht.<A NAME="ZN5"><A HREF="lu05_628.htm#N5">(5)</A></A></P>
<P>Auch diese verschiedenen Verteilungsarten, die in jedem Stamme anders sind, verraten darin ihren uraltert&uuml;mlichen Charakter, da&szlig; sie in rituellen Formen auftreten und in Spr&uuml;che gefa&szlig;t sind.<A NAME="ZN6"><A HREF="lu05_628.htm#N6">(6)</A></A> Es kommt darin zum Ausdruck die vielleicht jahrtausendealte Tradition, die jeder Generation als etwas &Uuml;berliefertes, als unverbr&uuml;chliche Regel gilt und streng eingehalten wird. Dieses System zeigt aber zweierlei in deutlichster Weise. Es zeigt vor allem, da&szlig; bei den Australnegern, dieser vielleicht zur&uuml;ckgebliebensten Menschenart, nicht blo&szlig; die Produktion, sondern auch die <A NAME="S634"><B>|634|</A></B> Konsumtion als gemeinsame, gesellschaftliche Sache planm&auml;&szlig;ig organisiert ist, und zweitens, da&szlig; dieser Plan deutlich die Versorgung und Sicherung aller Mitglieder der Gesellschaft im Auge hat, und zwar entsprechend sowohl den Nahrungsbed&uuml;rfnissen wie den Leistungskr&auml;ften: Unter allen Umst&auml;nden. und vor allem ist f&uuml;r die alten Leute gesorgt, und diese wiederum, so wie die M&uuml;tter, sorgen ihrerseits f&uuml;r die kleinen Kinder. So ist das ganze wirtschaftliche Leben der Australier - die Produktion, die Arbeitsteilung, die Verteilung der Nahrungsmittel - in strengster Weise planm&auml;&szlig;ig organisiert, seit den Urzeiten in feste Regeln gebracht.</P>
<P>Von Australien wenden wir uns nach Nordamerika. Hier bieten im Westen die sp&auml;rlichen Reste der Indianer, die auf der Insel Tiburon im Golf von Kalifornien und auf einem schmalen Streifen des benachbarten Festlandes wohnen, ein besonderes Interesse dank ihrer g&auml;nzlichen Abgeschlossenheit und Feindseligkeit Fremden gegen&uuml;ber, wodurch sie sich ihre uralten Sitten in gro&szlig;er Reinheit bewahrt haben. Im Jahre 1895 wurde von Gelehrten der Vereinigten Staaten eine Expedition zur Erforschung dieses Stammes unternommen, und die Resultate derselben sind uns von dem Amerikaner MacGee geschildert. Danach zerf&auml;llt der Stamm der Seri-Indianer - denn so hei&szlig;t dieses nunmehr sehr sp&auml;rliche V&ouml;lklein - in vier Gruppen, von denen jede nach einem Tier benannt ist. Die beiden wichtigsten sind die Pelikangruppe und die Schildkr&ouml;tengruppe. Die Gebr&auml;uche, Sitten und Regeln dieser Gruppen in bezug auf ihre Totemtiere sind streng geheimgehalten und waren fast nicht zu ermitteln. Wenn wir aber zugleich erfahren, da&szlig; die Nahrung dieser Indianer haupts&auml;chlich aus Pelikanfleisch, Schildkr&ouml;ten, Fischen und anderen Seetieren besteht, und wenn wir uns an das vorhin geschilderte System der Totemgruppen bei den Australnegern erinnern, so d&uuml;rfen wir wohl mit einiger Sicherheit annehmen, da&szlig; auch bei den indianischen Nachbarn Kaliforniens der geheimnisvolle Kult der Totemtiere und die Einteilung des Stamms in entsprechende Gruppen nichts anderes als &Uuml;berbleibsel eines uralten, streng organisierten Produktionssystems mit Arbeitsteilung darstellt, das in religi&ouml;sen Symbolen verkn&ouml;cherte. Darin best&auml;rkt uns zum Beispiel der Umstand, da&szlig; der oberste Schutzgeist der Seri-Indianer der Pelikan ist; dieser Vogel ist es aber zugleich, der gerade die Grundlage des wirtschaftlichen Daseins des genannten Stammes bildet. Pelikanfleisch ist Hauptnahrung, Pelikanh&auml;ute dienen als Kleidung, als Bettung, als Schild, als wichtigster Tauschartikel gegen&uuml;ber Fremden. Die wichtigste Arbeitsform der Seri, die Jagd, ist nun bis auf den heutigen Tag streng geregelt. So ist zum Beispiel die Pelikanjagd eine wohlorganisierte gemeinsame Unter- <A NAME="S635"><B>|635|</A></B> nehmung "zum mindesten halbzeremoniellen Charakters". Pelikanjagden d&uuml;rfen nur in bestimmten Zeiten stattfinden, und zwar so, da&szlig; w&auml;hrend der Brutzeit die V&ouml;gel geschont werden, damit ihr Nachwuchs gesichert wird. "Der Schl&auml;chterei (das massenhafte Erschlagen der schwerf&auml;lligen Tiere bietet keine Schwierigkeiten - <I>R. L.</I>) folgt ein gro&szlig;es Fressen, bei welchem die halbverhungerten Familien die weicheren Teile im Dunkeln verschlingen und l&auml;rmend zechen, bis sie der Schlaf &uuml;berkommt. Am n&auml;chsten Tage suchen die Weiber die Leichname aus, deren Gefieder am wenigsten verletzt ist, und ziehen die B&auml;lge sorgf&auml;ltig ab."<A NAME="ZF3"><A HREF="lu05_628.htm#F3">[3]</A></A> Das Fest dauert mehrere Tage, und verschiedene Zeremonien sind damit verbunden. Jenes "gro&szlig;e Fressen" also, jenes "Verschlingen im Dunkeln" und dazu mit L&auml;rm, das Professor B&uuml;cher sicher als ein Zeichen rein tierischen Gebarens festnageln w&uuml;rde, ist in Wirklichkeit - gerade der zeremonielle Charakter b&uuml;rgt uns daf&uuml;r gen&uuml;gend - sehr wohl organisiert. Mit der Planm&auml;&szlig;igkeit der Jagd ist n&auml;mlich strenge Regelung der Verteilung und der Konsumtion verbunden. Das gemeinsame Essen und Trinken geht in bestimmter Reihenfolge vor sich: Zuerst kommt der H&auml;uptling (zugleich Leiter der Jagd), dann die &uuml;brigen Krieger in einer durch das Alter bestimmten Reihe, dann kommt die &auml;lteste Frau und nach ihr ihre T&ouml;chter nach dem Alter an die Reihe, endlich die Kinder in der Reihenfolge des Alters, wobei die M&auml;dchen, namentlich wenn sie sich der Mannbarkeit n&auml;hern, durch die Nachsicht der Weiber gewisse Vorteile genie&szlig;en. "Jedes Mitglied der Familie oder des Clans kann auf die notwendige Nahrung und Bekleidung A
<P>Aus <I>S&uuml;damerika </I>besitzen wir das Zeugnis Professor von der Steinens &uuml;ber den wilden Indianerstamm der Bororo in Brasilien. Auch hier herrscht vor allem die typische Arbeitsteilung: Die Frauen beschaffen pflanzliche Nahrung, suchen Wurzeln mit einem spitzen Stock, klettern mit <A NAME="S636"><B>|636|</A></B> gro&szlig;er Gewandtheit auf die Palmen, sammeln N&uuml;sse, schneiden in der Krone den Palmkohl, suchen Fr&uuml;chte und dergleichen. Die Frauen bereiten auch die pflanzliche Nahrung, und sie verfertigen auch die T&ouml;pfe. Wenn die Frauen heimkommen, geben sie den M&auml;nnern Fr&uuml;chte etc. und erhalten, was &uuml;brigbleibt von dem Fleisch. Die Verteilung und die Konsumtion sind streng geregelt.</P>
<P>"Verhinderte die Etikette die Bororo keineswegs ...", sagt von der Steinen, "gemeinsam zu speisen, so hatten sie daf&uuml;r andere seltsame Gebr&auml;uche, die deutlich zeigen, da&szlig; auf knappe Jagdbeute angewiesene St&auml;mme sich auf die eine oder andere Weise nach Mitteln umschauen m&uuml;ssen, Zank und Streit bei der Verteilung vorzubauen. Da bestand zun&auml;chst eine h&ouml;chst auff&auml;llige Regel: <I>Niemand briet das Wild, das er selbst geschossen hatte, sondern gab es einem anderen zum Braten! </I>Gleich weise Vorsicht wird f&uuml;r kostbare Felle und Z&auml;hne ge&uuml;bt. Nach Erlegung eines Jaguars wird ein gro&szlig;es Fest gefeiert; das Fleisch wird gegessen. Das Fell und die Z&auml;hne <I>erh&auml;lt aber nicht der J&auml;ger</I>, sondern ... der n&auml;chste Verwandte des Indianers oder der Indianerin, die zuletzt verstorben ist. Der J&auml;ger wird <I>geehrt</I>, er bekommt von jedermann Ararasfedern (vornehmster Schmuck der Bororo - <I>R. L.</I>) zum Geschenk und den mit Oass&uacute;-B&auml;ndern geschm&uuml;ckten Bogen. Die wichtigste Ma&szlig;regel jedoch, die vor Unfrieden sch&uuml;tzt, ist mit dem Amt des <I>Medizinmannes </I>verkn&uuml;pft"<A NAME="ZF4"><A HREF="lu05_628.htm#F4">[4]</A></A> oder, wie die Europ&auml;er in solchen F&auml;llen zu sagen pflegen, des Zauberers oder Priesters. Dieser mu&szlig; beim Erlegen jedes Tieres zugegen sein, vor allem aber jedes erlegte Tier und auch die pflanzliche Kost erst durch bestimmte Zeremonien zum Verteilen und Gebrauch freigeben. Die Jagd findet auf Ansagen und unter Leitung des H&auml;uptlings statt. Die jungen und unverheirateten M&auml;nner wohnen gemeinsam im "M&auml;nnerhause", wo sie gemeinsam arbeiten, Waffen, Werkzeug und Schmuck verfertigen, spinnen, Ringk&auml;mpfe auff&uuml;hren und auch gemeinsam, in strenger Zucht und Ordnung, essen, wie wir bereits fr&uuml;her erw&auml;hnt haben. "Ein gro&szlig;er Verlust", sagt von der Steinen, "betrifft die Familie, aus der ein Mitglied <I>stirbt</I>. Denn alles, was der Tote in Gebrauch hatte, wird verbrannt, in den Flu&szlig; geworfen oder in den Knochenkorb gepackt, damit er keinesfalls veranla&szlig;t sei, zur&uuml;ckzukehren. Die H&uuml;tte ist dann vollst&auml;ndig ausger&auml;umt. Allein die Hinterbliebenen werden neu beschenkt, man macht Bogen und Pfeile f&uuml;r sie, und so will es auch die Sitte, da&szlig;, wenn ein Jaguar get&ouml;tet wird, das Fell 'an den Bruder der <I>zuletzt gestorbenen Frau </I>oder an den Oheim des <A NAME="S637"><B>|637|</A></B> <I>zuletzt gestorbenen Mannes</I>' gegeben wird."<A NAME="ZN8"><A HREF="lu05_628.htm#N8">(8)</A></A> So herrscht auch bei der Produktion wie bei der Verteilung ein ganz bestimmter Plan und gesellschaftliche Organisation.</P>
<P>Wenn wir das amerikanische Festland bis zur tiefsten S&uuml;dspitze durchwandern, so finden wir hier eines der tiefststehenden Naturv&ouml;lker, die <I>Feuerl&auml;nder</I>, jene Bewohner der an der Spitze von S&uuml;damerika gelegenen unwirtlichen Inselgruppe, &uuml;ber die uns die ersten Nachrichten im 17. Jahrhundert &uuml;berbracht worden sind. Im Jahre 1698 ist auf die Anregung franz&ouml;sischer Seer&auml;uber, die in der S&uuml;dsee lange Jahre ihr Handwerk getrieben hatten, von der franz&ouml;sischen Regierung eine Expedition nach der S&uuml;dsee ausgeschickt worden. Von einem der Ingenieure, die daran teilgenommen haben, ist uns ein Tagebuch hinterlassen worden, das folgende knappe Nachrichten &uuml;ber die Feuerl&auml;nder enth&auml;lt:</P>
<P>"Jede Familie, das hei&szlig;t Vater, Mutter und Kinder, die noch nicht verheiratet sind, hat ihre Piroge (ein Kahn aus Baumrinde), worin sie alles f&uuml;hren, was sie ben&ouml;tigen. Dort, wo sie die Nacht ereilt, da legen sie sich schlafen. Gibt es keine fertige H&uuml;tte, so errichten sie eine ... In der Mitte machen sie ein kleines Feuer an, um das sie in einem Durcheinander auf Gr&auml;sern liegen. Wenn sie Hunger versp&uuml;ren, braten sie sich Muscheln, die der &Auml;lteste unter ihnen in gleichen Teilen verteilt. Die Hauptbesch&auml;ftigung der M&auml;nner und ihre Pflicht besteht in der Errichtung der H&uuml;tte, der Jagd und dem Fischfang; den Weibern liegt die Sorge f&uuml;r die K&auml;hne ob und die Beschaffung der Muscheln ... Sie machen Jagd auf den Walfisch in folgender Weise: Sie gehen zu f&uuml;nf oder sechs K&auml;hnen zusammen in See, und wenn sie einen gefunden haben, verfolgen sie ihn, harpunieren ihn mit gro&szlig;en Pfeilen, deren Spitzen aus Knochen oder Stein sehr geschickt geschnitten sind ... Wenn sie ein Tier oder einen Vogel erlegt oder Fische und Muscheln, die ihre gew&ouml;hnliche Nahrung bilden, gefangen haben, verteilen sie sie unter allen Familien, indem sie dies vor uns voraus haben, da&szlig; sie fast ihre s&auml;mtlichen Lebensmittel insgemein besitzen."<A NAME="ZN9"><A HREF="lu05_628.htm#N9">(9)</A></A></P>
<P>Von Amerika wenden wir uns nach Asien. Hier berichtet uns &uuml;ber die Zwergst&auml;mme der <I>Mincopie auf </I>der Inselgruppe der Andamanen (im Golf von Bengalen) der englische Forscher E. H. Man, der elf Jahre unter <A NAME="S638"><B>|638|</A></B> ihnen verbracht hat und zu einer genaueren Kenntnis von ihnen gelangt ist als irgendein anderer Europ&auml;er, folgendes:</P>
<P>Die Mincopie zerfallen in neun St&auml;mme, jeder Stamm in eine gr&ouml;&szlig;ere Anzahl kleiner Gruppen zu 30-50, manchmal aber auch 300 Personen. Jede solche Gruppe hat ihren Vorsteher, auch der ganze Stamm hat einen H&auml;uptling, der &uuml;ber denjenigen der einzelnen Gemeinschaften steht. Doch seine Autorit&auml;t ist sehr beschr&auml;nkt; sie besteht haupts&auml;chlich in der Veranstaltung von Versammlungen s&auml;mtlicher Gemeinschaften, welche zu seinem Stamme geh&ouml;ren. Er ist der Anf&uuml;hrer bei der Jagd, beim Fischfang und auf den Wanderungen, er schlichtet auch die Zwistigkeiten. Innerhalb jeder Gemeinschaft besteht gemeinsame Arbeit, und zwar mit Arbeitsteilung unter M&auml;nnern und Frauen. Den M&auml;nnern liegen die Jagd, der Fischfang, die Beschaffung von Honig, Herstellung der K&auml;hne, der Bogen, Pfeile und anderer Ger&auml;tschaften ob, die Weiber schaffen Holz und Wasser herbei sowie pflanzliche Nahrung, stellen Schmucksachen her, kochen. Es ist die Pflicht all jener M&auml;nner und Weiber, die zu Hause bleiben, Kinder, Kranke und Greise zu pflegen und das Feuer in den verschiedenen H&uuml;tten zu unterhalten; jedermann, der arbeitsf&auml;hig ist, ist verpflichtet, f&uuml;r sich und die Gemeinschaft zu arbeiten, auch ist es &uuml;blich, daf&uuml;r zu sorgen, da&szlig; st&auml;ndig ein Nahrungsvorrat da ist, um etwa einkehrende Fremde damit zu bewirten. Die kleinen Kinder, die Schwachen und die Greise sind spezielle Gegenst&auml;nde allgemeiner F&uuml;rsorge, und es ergeht ihnen in bezug auf die Befriedigung ihrer t&auml;glichen Bed&uuml;rfnisse noch besser als den &uuml;brigen Mitgliedern der Gesellschaft.</P>
<P>&Uuml;ber die Nahrungsaufnahme bestehen bestimmte Regeln. Ein verheirateter Mann darf nur mit anderen Ehem&auml;nnern oder Junggesellen zusammen essen, jedoch niemals mit anderen Frauen als mit denen seines eigenen Haushalts, es sei denn, da&szlig; er bereits vorgeschrittenen Alters ist. Die unverheirateten Leute haben ihre Mahlzeiten gesondert - J&uuml;nglinge f&uuml;r sich, M&auml;dchen f&uuml;r sich - einzunehmen.</P>
<P>Die Zubereitung der Speisen ist gew&ouml;hnlich Pflicht der Weiber, die sie w&auml;hrend der Abwesenheit der M&auml;nner zu besorgen pflegen. Sind sie jedoch durch die Herbeischaffung von Holz und Wasser au&szlig;ergew&ouml;hnlich in Anspruch genommen, wie an Festtagen oder nach einer besonders ausgiebigen Jagd, so besorgt das Kochen einer der M&auml;nner, der, wenn das Mahl zur H&auml;lfte fertig ist, dasselbe unter die Anwesenden verteilt und ihnen die weitere Zubereitung, die an ihren eigenen Feuerpl&auml;tzen zu geschehen hat, &uuml;berl&auml;&szlig;t. Ist der H&auml;uptling zugegen, so erh&auml;lt er den ersten, und zwar den L&ouml;wenanteil, dann kommen die M&auml;nner und nachher die <A NAME="S639"><B>|639|</A></B> Weiber und die Kinder an die Reihe; was &uuml;brigbleibt, geh&ouml;rt dem Verteiler.</P>
<P>Bei der Verfertigung ihrer Waffen, Ger&auml;te und anderer Artikel legen die Mincopie gew&ouml;hnlich eine bemerkenswerte Ausdauer und einen gro&szlig;en Flei&szlig; an den Tag, indem sie sich stundenlang damit besch&auml;ftigen k&ouml;nnen, ein St&uuml;ck Eisen mit einem Steinhammer m&uuml;hsam zu bearbeiten, um eine Speer- oder Pfeilspitze daraus zu formen, oder indem sie damit besch&auml;ftigt sind, die Form eines Bogens zu verbessern usw. Sie obliegen diesen Arbeiten selbst dann, wenn keine unmittelbare oder voraussichtliche Notwendigkeit vorhanden ist, die sie zu solcher Anstrengung antriebe. Selbstsucht kann man ihnen nicht nachsagen - hei&szlig;t es von ihnen -, denn sie verschenken (nat&uuml;rlich nur ein europ&auml;isch-mi&szlig;verst&auml;ndlicher Ausdruck f&uuml;r "verteilen") h&auml;ufig das Beste dessen, was sie besitzen, und behalten f&uuml;r ihren eigenen Gebrauch keineswegs Gegenst&auml;nde von besserer Arbeit, noch weniger machen sie bessere f&uuml;r sich selbst.<A NAME="ZN10"><A HREF="lu05_628.htm#N10">(10)</A></A></P>
<P>Die Reihe der obigen Beispiele wollen wir noch mit einer Stichprobe aus dem Leben der Wilden in Afrika abschlie&szlig;en. Hier bieten die kleinen <I>Buschm&auml;nner </I>der Kalahariw&uuml;ste gew&ouml;hnlich das Beispiel der gr&ouml;&szlig;ten Zur&uuml;ckgebliebenheit und des gr&ouml;&szlig;ten Tiefstands der menschlichen Kultur. &Uuml;ber die Buschm&auml;nner berichten uns &uuml;bereinstimmend deutsche, englische und franz&ouml;sische Forscher, da&szlig; sie in Gruppen (Horden) leben, die [ein] gemeinsames wirtschaftliches Leben f&uuml;hren. In ihren kleinen Banden herrscht vollkommene Gleichheit auch in bezug auf Lebensmittel, Waffen etc. Die Nahrungsmittel, die sie auf ihren Wanderungen finden, werden in S&auml;cke gesammelt, die im Lager entleert werden. "Da kommt nun", erz&auml;hlt der Deutsche Passarge, "die Ernte des Tages zum Vorschein: Wurzeln, Knollen, Fr&uuml;chte, Raupen, Nashornv&ouml;gel, Ochsenfr&ouml;sche, Schildkr&ouml;ten, Heuschrecken, selbst Schlangen und Leguane."<A NAME="ZF5"><A HREF="lu05_628.htm#F5">[5]</A></A> Die Beute wird dann unter alle verteilt. "Das systematische Einsammeln von Vegetabilien, wie zum Beispiel Fr&uuml;chten, Wurzeln, Knollen u.a., sowie von kleineren Tieren ist Sache der Frauen. Sie haben die Horde mit solchen Vorr&auml;ten zu versorgen, die Kinder helfen dabei. Auch der Mann bringt wohl manches mit, was er zuf&auml;llig antrifft, allein das Sammeln ist bei ihm ganz Nebensache. Die Aufgabe des Mannes ist vor allem die Jagd."<A NAME="ZF6"><A HREF="lu05_628.htm#F6">[6]</A></A> Die Jagdbeute wird von der Horde gemeinsam verzehrt. Auch wandernden Buschm&auml;nnern aus be- <A NAME="S640"><B>|640|</A></B> freundeten Horden wird am gemeinsamen Feuer Platz und Nahrung einger&auml;umt. Passarge, als guter Europ&auml;er mit der geistigen Brille der b&uuml;rgerlichen Gesellschaft, erblickt sogar in der "&uuml;bertriebenen Tugend", womit die Buschm&auml;nner alles bis auf den letzten Rest mit anderen teilen, eine Ursache ihrer Kulturunf&auml;higkeit!<A NAME="ZN11"><A HREF="lu05_628.htm#N11">(11)</A></A></P>
<P>So zeigt es sich, da&szlig; uns die primitivsten V&ouml;lker, und zwar gerade solche, die von der Se&szlig;haftigkeit und dem Ackerbau weit entfernt sind, die gewisserma&szlig;en an dem Anfangspunkt der Kette der wirtschaftlichen Entwicklung stehen, soweit sie uns aus unmittelbarer Beobachtung bekannt ist, ein ganz anderes Bild der Verh&auml;ltnisse bieten, als es im Schema des Herrn Grosse der Fall ist. Nicht "Zerstreuung" und "Sonderwirtschaft", sondern streng geregelte wirtschaftliche Gemeinschaften mit typischen Z&uuml;gen der kommunistischen Organisation erblicken wir allenthalben. Dies bezieht sich auf die "niederen J&auml;ger". &Uuml;ber die "h&ouml;heren J&auml;ger" gen&uuml;gt das Bild der Sippenwirtschaft bei den Irokesen, wie es von Morgan eingehend geschildert worden ist. Aber auch die Viehz&uuml;chter liefern ein gen&uuml;gendes Material, um die k&uuml;hnen Behauptungen Grosses L&uuml;gen zu strafen.<A NAME="ZF7"><A HREF="lu05_628.htm#F7">[7]</A></A></P>
<P>Die ackerbauende Markgenossenschaft ist also nicht die einzige, sondern blo&szlig; die h&ouml;chstentwickelte, nicht die erste, sondern die letzte urkommunistische Organisation, die wir in der Wirtschaftsgeschichte antreffen. Sie ist selbst nicht ein Produkt des Ackerbaues, sondern der unerme&szlig;lich langen vorhergegangenen Traditionen des Kommunismus, der, im Scho&szlig;e der Gentilorganisation geboren, schlie&szlig;lich auf den Ackerbau angewendet, in ihm gerade eine H&ouml;he erreiche hat, die seinen eigenen Untergang gezeitigt hat. Die Tatsachen best&auml;tigen also das Grossesche Schema durchaus nicht. Fragen wir nun nach einer Erkl&auml;rung f&uuml;r das merkw&uuml;rdige Ph&auml;nomen dieses Kommunismus, der mitten in der Wirtschaftsgeschichte auftaucht, um alsbald wieder unterzutauchen, so dient uns Herr Grosse mit einer seiner geistvollen "materialistischen" Erkl&auml;rungen: "Wir haben in der Tat gesehen, da&szlig; die Sippe unter den niederen Ackerbauern vor allem deshalb soviel mehr Halt und Macht gewonnen hat als unter den V&ouml;lkern anderer Kulturformen, weil sie hier zun&auml;chst als eine Wohnungs-, Besitz- und Wirtschaftsgemeinschaft auftritt. Da&szlig; sie sich hier aber zu einer solchen ausgebildet hat, erkl&auml;rt sich wiederum aus dem Wesen der niederen Ackerwirtschaft, welche die Menschen vereint, w&auml;hrend die Jagd und die <A NAME="S641"><B>|641|</A></B> Viehzucht die Menschen zerstreuen." (S. 158.)<A NAME="ZF8"><A HREF="lu05_628.htm#F8">[8]</A></A> Also die r&auml;umliche "Vereinigung" oder "Zerstreuung" der Menschen bei der Arbeit entscheidet dar&uuml;ber, ob Kommunismus oder Privateigentum vorherrschen. Schade, da&szlig; Herr Grosse vergessen hat, uns dar&uuml;ber aufzukl&auml;ren, warum W&auml;lder und Wiesen, in denen man sich am leichtesten "zerstreut", gerade am l&auml;ngsten - stellenweise bis auf den heutigen Tag - Gemeineigentum geblieben, w&auml;hrend die &Auml;cker, wo man sich "vereinigt", am fr&uuml;hesten in Privatbesitz &uuml;bergegangen sind. Und ferner, warum die Produktionsform, die am meisten in der ganzen Wirtschaftsgeschichte die Menschen "vereinigt", die moderne Gro&szlig;industrie, durchaus nicht ein Gemeineigentum, sondern die krasseste Form des Privateigentums, das kapitalistische Eigentum hervorgebracht hat.</P>
<P>Man sieht, der Grossesche "Materialismus" ist wieder einmal ein Beweis, da&szlig; es nicht gen&uuml;gt, von "Produktion" und ihrer Bedeutung f&uuml;r das gesamte Leben der Gesellschaft zu reden, um materialistisch die Geschichte aufzufassen, da&szlig; namentlich getrennt von seiner anderen Seite, von dem revolution&auml;ren Entwicklungsgedanken, der historische Materialismus zu einer rohen und plumpen h&ouml;lzernen Kr&uuml;cke wird, statt da&szlig; er, wie bei Marx, ein genialer Fl&uuml;gelschlag des forschenden Geistes</P>
<P>Vor allem zeigt sich aber, da&szlig; Herr Grosse, der von Produktion und ihren Farmen so viel redet, sich &uuml;ber die grundlegendsten Begriffe der Produktionsverh&auml;ltnisse nicht klar ist. Wir haben schon gesehen, da&szlig; er zun&auml;chst unter Produktionsformen solche rein &auml;u&szlig;erlichen Kategorien versteht wie Jagd, Viehzucht oder Ackerbau. Um nun innerhalb jeder dieser "Produktionsformen" die Frage nach der Eigentumsform zu entscheiden - das hei&szlig;t die Frage, ob Gemeineigentum, Familienbesitz oder Privatbesitz besteht und wem das Eigentum geh&ouml;rt -, unterscheidet er solche Kategorien wie "Grundbesitz" einerseits und "fahrende Habe" andererseits. Findet er, da&szlig; sie verschiedenen Eigent&uuml;mern geh&ouml;ren, so fragt er sich, welche "bedeutender" ist: die "fahrende Habe" oder die unbewegliche Habe, der Grundbesitz. Je nachdem, was Herrn Grosse "bedeutender" scheint, nimmt er als ausschlaggebend f&uuml;r die Eigentumsform der Gesellschaft. So entscheidet er zum Beispiel, da&szlig; bei h&ouml;heren J&auml;gern "die bewegliche Habe bereits eine solche Bedeutung gewonnen hat", da&szlig; sie wichtiger sei als der Grundbesitz, und da die bewegliche Habe, so auch die Nahrungsmittel, Privateigentum sei, so erkennt Grosse hier, trotz aus- <A NAME="S642"><B>|642|</A></B> gesprochenem Gemeineigentum an Grund und Boden, keine kommunistische Wirtschaft an.</P>
<P>Nun haben solche Unterscheidungen nach rein &auml;u&szlig;erlichem Merkmal - wie bewegliche Habe und unbewegliche Habe - f&uuml;r die Produktion nicht den geringsten Sinn und stehen ungef&auml;hr auf derselben H&ouml;he wie die anderen Grosseschen Unterscheidungen der Familienformen nach M&auml;nnerherrschaft und Frauenherrschaft oder der Produktionsformen nach zerstreuenden und vereinigenden Wirkungen. Die "bewegliche Habe" kann zum Beispiel bestehen aus Nahrungsmitteln oder aus Rohstoffen, aus Schmucksachen und Kultgegenst&auml;nden oder aus Werkzeugen. Sie kann f&uuml;r den eigenen Gebrauch der Gesellschaft oder zum Austausch verfertigt werden. Je nachdem wird sie f&uuml;r die Produktionsverh&auml;ltnisse von sehr verschiedener Bedeutung sein. Im allgemeinen urteilt Grosse &uuml;ber die Produktions- und Eigentumsverh&auml;ltnisse der V&ouml;lker - und hierin ist er ein typischer Vertreter der heutigen b&uuml;rgerlichen Wissenschaft - nach den Nahrungsmitteln und sonstigen Konsumgegenst&auml;nden im weitesten Sinne. Findet er, da&szlig; die Konsumgegenst&auml;nde von einzelnen in Besitz genommen und verbraucht werden, so ist f&uuml;r ihn die Herrschaft des "Individualeigentums" bei dem gegebenen Volke erwiesen. Dies ist der typische Weg, auf dem heutzutage der Urkommunismus "wissenschaftlich" widerlegt wird.<A NAME="ZN12"><A HREF="lu05_628.htm#N12">(12)</A></A> Nach diesem tiefsinnigen Standpunkt erscheint eine Bettlergemeinschaft, wie man sie im Orient vielfach antrifft, welche die milden Gaben zusammenwirft und gemeinsam verzehrt, oder eine Diebesbande, die solidarisch das Gestohlene genie&szlig;t, als "kommunistische Wirtschaftsgenossenschaft" in Reinkultur. Hingegen kann eine Markgenossenschaft, die den Grund und Boden gemeinsam besitzt und gemeinsam bearbeitet, aber die Fr&uuml;chte familienweise verzehrt - jede Familie von ihrem Ackerst&uuml;ck -, eine "Wirtschaftsgemeinschaft nur in sehr bedingtem Sinne" genannt werden. Kurz, das Entscheidende f&uuml;r den Charakter der Produktion ist nach dieser Auffassung das Eigentumsrecht an den Konsummitteln und nicht an den Produktionsmitteln, das hei&szlig;t die Bedingungen der Verteilung und nicht der Produktion. Hier sind wir an einen Kardinalpunkt der national&ouml;konomischen Auffassung gelangt, der f&uuml;r das Verst&auml;ndnis der ganzen Wirtschaftsgeschichte von grundlegender Bedeutung ist. Indem wir Herrn Grosse nunmehr seinen Schicksalen &uuml;berlassen, wenden wir unsere Aufmerksamkeit dieser Frage im allgemeinen zu.</P>
<P><HR></P>
<P>Fu&szlig;noten von Rosa Luxemburg</P>
<P><A NAME="N1">(1)</A> Ernst Grosse: Die Formen der Familie und die Formen der Wirthschaft [Freiburg i.B. u. Leipzig. <A HREF="lu05_628.htm#ZN1">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="N2">(2)</A> Howitt, zit. nach: [Felix] Soml&oacute;[: Der G&uuml;terverkehr in der Urgesellschaft, Br&uuml;ssel, Leipzig, Paris 1909], S. 44/45. <A HREF="lu05_628.htm#ZN2">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="N3">(3)</A> Friedrich Ratzel: V&ouml;lkerkunde, 2. Bd., Leipzig 1886, S. 64. <A HREF="lu05_628.htm#ZN3">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="N4">(4)</A> Howitt, zit. nach: [Felix] Soml&oacute;[: Der G&uuml;terverkehr in der Urgesellschaft, Br&uuml;ssel, Leipzig, Paris 1909], S. 42. <A HREF="lu05_628.htm#ZN4">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="N5">(5)</A> Siehe Howitt, zit. nach: [Felix] Soml&oacute;[: Der G&uuml;terverkehr in der Urgesellschaft, Br&uuml;ssel, Leipzig, Paris 1909], S. 43. <A HREF="lu05_628.htm#ZN5">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="N6">(6)</A> Siehe [Friedrich] Ratzel: [V&ouml;lkerkunde, 1. Bd., Leipzig u. Wien] 1894, S. 333. <A HREF="lu05_628.htm#ZN6">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="N7">(7)</A> MacGee, zit. nach: [Felix] Soml&oacute;[: Der G&uuml;terverkehr in der Urgesellschaft, Br&uuml;ssel, Leipzig, Paris 1909], S. 128. <A HREF="lu05_628.htm#ZN7">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="N8">(8)</A> Karl von der Steinen: Unter den Naturv&ouml;lkern Zentral-Brasiliens. [Reiseschilderung und Ergebnisse der Zweiten Schingu-Expedltion 1887-1888, Berlin 1894, S. 502.] <A HREF="lu05_628.htm#ZN8">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="N9">(9)</A> Bericht von der 8. Sitzung des Internationalen Kongresses der Amerikanisten in Paris 1890, erstattet von M. G. Marcel, Paris 1892, S. 491. [G. Marcel: Les Fu&eacute;giens &agrave; la fin de XVII<FONT SIZE="-1"><SUP>e</FONT></SUP> siecle. D'apr&egrave;s des documents fran&ccedil;ais in&eacute;dits. Congres international des Americanists. Compte-rendu de la 8<FONT SIZE="-1"><SUP>me</FONT></SUP> session, tenue &agrave; Paris en 1890, Paris 1892, S. 491.] <A HREF="lu05_628.htm#ZN9">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="N10">(10)</A> Man, zit. nach: [Felix] Soml&oacute;[: Der G&uuml;terverkehr in der Urgesellschaft, Br&uuml;ssel, Leipzig, Paris 1909], S. 96-99. <A HREF="lu05_628.htm#ZN10">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="N11">(11)</A> Siehe [Felix] Soml&oacute;[: Der G&uuml;terverkehr in der Urgesellschaft, Br&uuml;ssel, Leipzig, Paris 1909], S. 116. <A HREF="lu05_628.htm#ZN11">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="N12">(12)</A> Siehe [Felix] Soml&oacute;[: Der G&uuml;terverkehr in der Urgesellschaft, Br&uuml;ssel, Leipzig, Paris 1909, S. 155-177]. <A HREF="lu05_628.htm#ZN12">&lt;=</A></P>
<P><HR></P>
<P>Redaktionelle Anmerkungen</P>
<P><A NAME="F1">[1]</A> In der Quelle: machten. <A HREF="lu05_628.htm#ZF1">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F2">[2]</A> Zit. nach: [Felix] Soml&oacute;[: Der G&uuml;terverkehr in der Urgesellschaft, Br&uuml;ssel, Leipzig, Paris 1909], S. 61/62. <A HREF="lu05_628.htm#ZF2">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F3">[3]</A> Zit. nach: [Felix] Soml&oacute;[: Der G&uuml;terverkehr in der Urgesellschaft, Br&uuml;ssel, Leipzig, Paris 1909], S. 124/125. <A HREF="lu05_628.htm#ZF3">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F4">[4]</A> Karl von der Steinen: Unter den Naturv&ouml;lkern Zentral-Brasiliens. Reiseschilderung und Ergebnisse der Zweiten Schingu-Expedltion 1887-1888, Berlin 1894, S. 491. <A HREF="lu05_628.htm#ZF4">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F5">[5]</A> Siegfried Passarge: Die Buschm&auml;nner der Kalahari, Berlin 1907, S. 54. <A HREF="lu05_628.htm#ZF5">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F6">[6]</A> Siegfried Passarge: Die Buschm&auml;nner der Kalahari, Berlin 1907, S. 57/58. <A HREF="lu05_628.htm#ZF6">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F7">[7]</A> Randnotiz R. L.: Peruaner - aber das sind freilich keine Nomaden. Araber, Kabylen - Kirgisen, Jakuten. - Kaufman. Aus Laveleye Beispiele! <A HREF="lu05_628.htm#ZF7">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F8">[8]</A> Ernst Grosse: Die Formen der Familie und die Formen der Wirthschaft, Freiburg i.B. u. Leipzig 1896, S. 158. <A HREF="lu05_628.htm#ZF8">&lt;=</A></P>
</BODY>
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