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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<TITLE>Rosa Luxemburg - Die Krise der Sozialdemokratie - V</TITLE>
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<TD ALIGN="center" width="19%" height=20 valign=middle><!-- #BeginEditable "Link%201a" --><A HREF="luf_4.htm"><SMALL>Teil 4</SMALL></A><!-- #EndEditable --></TD>
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<TD ALIGN="center" width="19%" height=20 valign=middle><!-- #BeginEditable "Link%202a" --><A HREF="luf_6.htm"><SMALL>Teil 6</SMALL></A><!-- #EndEditable --></TD>
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<TD ALIGN="center" width="19%" height=20 valign=middle><A HREF="default.htm"><SMALL>Rosa Luxemburg</SMALL></A></TD>
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<H2>Rosa Luxemburg - Die Krise der Sozialdemokratie</H2>
<H1><!-- #BeginEditable "%DCberschrift" -->V.<BR>
Aber der Zarismus!<!-- #EndEditable --></H1>
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<P>Aber der Zarismus! Dieser war es zweifellos, der f&uuml;r die Haltung
der Partei, namentlich im ersten Augenblick des Krieges, den Ausschlag
gegeben hat. Die sozialdemokratische Fraktion hatte in ihrer Erkl&auml;rung
die Parole gegeben: Gegen den Zarismus! Die sozialdemokratische Presse
hat daraus alsbald den Kampf um &raquo;die Kultur&laquo; f&uuml;r ganz Europa
gemacht. </P>
<P>Die <B>&raquo;Frankfurter Volksstimme&laquo; </B>schrieb schon am 31.
Juli:</P>
<P><SMALL>&raquo;Die deutsche Sozialdemokratie hat seit langem das
Zarentum bezichtigt als den blutigen Hort der europ&auml;ischen Reaktion,
seit der Zeit, da <B>Marx</B> und <B>Engels</B> mit gesch&auml;rften Blicken
jede Bewegung dieses barbarischen Regiments verfolgten, bis heute, wo es
die Gef&auml;ngnisse mit politischen Verbrechern f&uuml;llt und doch vor
jeder Arbeiterbewegung zittert. <B>Nun k&auml;me die Gelegenheit, unter
den deutschen Kriegsfahnen</B> mit dieser f&uuml;rchterlichen Gesellschaft
abzurechnen.&laquo;</SMALL></P>
<P>Die <B>&raquo;Pf&auml;lzische Post&laquo; </B>in Ludwigshafen am gleichen
Tage:</P>
<P><SMALL>&raquo;Das ist ein Grundsatz, den unser unverge&szlig;licher
August Bebel pr&auml;gte. Es gilt hier den Kampf der Kultur gegen die Unkultur,
da stellt auch das Proletariat seinen Mann.&laquo; </SMALL></P>
<P>Die <B>&raquo;M&uuml;nchener Post&laquo; </B>am 1. August:</P>
<P><SMALL>&raquo;In der Pflicht der Landesverteidigung gegen das
Blutzarentum lassen wir uns nicht zu B&uuml;rgern zweiter Klasse machen.&laquo;</SMALL></P>
<P>Das Hallesche <B>&raquo;Volksblatt&laquo; </B>am 5. August:</P>
<P><SMALL>&raquo;Wenn es richtig ist, da&szlig; wir von Ru&szlig;land
angegriffen wurden &shy; und alle Meldungen haben das bisher so zu erkennen
gegeben &shy;, so ist es <B>selbstverst&auml;ndlich, da&szlig; die Sozialdemokratie
alle Mittel f&uuml;r die Verteidigung bewilligt</B>. Der Zarismus mu&szlig;
mit aller Kraft aus dem Lande geworfen werden.&laquo; </SMALL></P>
<P>Und am 18. August:</P>
<P><SMALL>&raquo;Nun aber die eisernen W&uuml;rfel ins Rollen gekommen
sind, nun ist es nicht nur die Pflicht der Vaterlandsverteidigung, der
nationalen Selbsterhaltung, die uns, wie allen anderen Deutschen, die Waffe
in die Hand dr&uuml;ckt, sondern auch das Bewu&szlig;tsein, da&szlig; wir
mit dem Feind, gegen den wir im Osten k&auml;mpfen, zugleich den Feind
allen Fortschritts und aller Kultur bek&auml;mpfen... <B>Die Niederlage
Ru&szlig;lands ist zugleich der Sieg der Freiheit in Europa.&laquo;</B></SMALL></P>
<P>Der Braunschweiger <B>&raquo;Volksfreund&laquo; </B>vom 5. August schrieb:</P>
<P><SMALL>&raquo;Der unwiderstehliche Druck der milit&auml;rischen
Gewalt zieht alle mit sich fort. Aber die klassenbewu&szlig;ten Arbeiter
folgen nicht nur &auml;u&szlig;erer Gewalt, sie gehorchen ihrer eigenen
&Uuml;berzeugung, wenn sie den Boden, auf dem Sie stehen, vor dem Einbruch
des Ostens verteidigen.&laquo; </SMALL></P>
<P>Die Essener <B>&raquo;Arbeiterzeitung&laquo; </B>rief schon am 3. August:
<P><SMALL>&raquo;Wenn jetzt dieses Land durch Ru&szlig;lands Entschlie&szlig;ungen
bedroht wird, dann werden die Sozialdemokraten angesichts der Tatsache,
da&szlig; der Kampf dem russischen Blutzarismus, dem millionenfachen Verbrecher
an Freiheit und Kultur, gilt, an Pflichterf&uuml;llung und Opferwilligkeit
sich von keinem im Lande &uuml;bertreffen lassen... Nieder mit dem Zarismus!
Nieder mit dem Hort der Barbarei! Das wird dann Parole sein.&laquo; </SMALL></P>
<P>Ebenso die Bielefelder <B>&raquo;Volkswacht&laquo; </B>am 4. August: </P>
<P><SMALL>&raquo;Die Losung ist &uuml;berall die gleiche: <B>Gegen
russische Despotie und Hinterh&auml;ltigkeit!</B>&laquo;... </SMALL></P>
<P>Das <B>Elberfelder</B> Parteiblatt am 5. August: </P>
<P><SMALL>&raquo;Das ganze westliche Europa hat das Lebensinteresse,
den scheu&szlig;lichen, mordb&uuml;bischen Zarismus auszurotten. Dies Menschheitsinteresse
wird aber erdr&uuml;ckt von der Gier der kapitalistischen Klassen Englands
und Frankreichs, die Profitm&ouml;glichkeiten aufzuhalten, die bisher deutsches
Kapital aus&uuml;bte.&laquo; </SMALL></P>
<P>Die <B>&raquo;Rheinische Zeitung&laquo; </B>in K&ouml;ln: </P>
<P><SMALL>&raquo;Tut eure Pflicht, ihr Freunde, gleichviel, wohin
euch das Schicksal stellt! <B>Ihr k&auml;mpft f&uuml;r die Kultur Europas</B>,
f&uuml;r die Freiheit eures Vaterlandes und euer eigenes Wohlergehen.&laquo;
</SMALL></P>
<P>Die <B>&raquo;Schleswig-Holsteinische Volkszeitung&laquo; </B>vom 7. August
schrieb: </P>
<P><SMALL>&raquo;Selbstverst&auml;ndlich leben wir in der Zeit des
Kapitalismus, und ganz sicher werden wir auch nach dem gro&szlig;en Kriege
Klassenk&auml;mpfe haben. Aber diese Klassenk&auml;mpfe werden sich abspielen
in einem freieren Staate, als wir ihn heute kennen, diese Klassenk&auml;mpfe
werden sich weit mehr auf &ouml;konomische Gebiete beschr&auml;nken und
die Behandlung der Sozialdemokraten als Ausgesto&szlig;ene, als B&uuml;rger
zweiter Klasse, als politisch Rechtlose wird in Zukunft unm&ouml;glich
sein, wenn das russische Zarentum verschwunden ist.&laquo; </SMALL></P>
<P>Am 11. August rief das Hamburger <B>&raquo;Echo&laquo;:</B> </P>
<P><SMALL>&raquo;Denn nicht nur haben wir den Verteidigungskrieg
zu f&uuml;hren gegen England und Frankreich, wir haben vor allem den Krieg
zu f&uuml;hren <B>gegen den Zarismus, und den f&uuml;hren wir mit aller
Begeisterung. Denn es ist ein Krieg f&uuml;r die Kultur</B>.&laquo;</SMALL></P>
<P>Und das <B>L&uuml;becker</B> Parteiorgan erkl&auml;rte noch am 4. September:
<P><SMALL>&raquo;Wenn die Freiheit Europas gerettet wird, so hat
Europa das, nachdem der Krieg einmal entfesselt ist, <B>der Kraft der deutschen
Waffen zu danken. Es ist der Todfeind aller Demokratie und aller Freiheit,
gegen den unser Hauptkampf sich richtet</B>.&laquo;</SMALL></P>
<P>So hallte es aus der deutschen Parteipresse in vielstimmigem Chor.</P>
<P>Die deutsche Regierung ging im Anfangsstadium des Krieges auf die angebotene
Hilfe ein: sie steckte sich mit l&auml;ssiger Hand den Lorbeer des Befreiers
der europ&auml;ischen Kultur an den Helm. Ja, sie bequemte sich, wenn auch
mit sichtlichem Unbehagen und ziemlich plumper Grazie, zur Rolle des &raquo;Befreiers
der Nationen&laquo;. Die Generalkommandos &raquo;fun die beide grau&szlig;e
Armees&laquo; haben sogar &shy; &raquo;Not kennt kein Gebot&laquo; - zu mauscheln
gelernt und krauten in Russisch-Polen die &raquo;Schnorrer und Verschw&ouml;rer&laquo; hinter die Ohrlocken. Den Polen wurde gleichfalls ein Wechsel auf das Himmelreich
ausgestellt, f&uuml;r den Preis nat&uuml;rlich, da&szlig; sie gegen ihre
zarische Regierung denselben &raquo;Hochverrat&laquo; in Massen begehen,
f&uuml;r dessen angeblichen Versuch der Duala Manga Bell in Kamerun unter
dem Kriegsl&auml;rm sang- und klanglos und ohne l&auml;stige Gerichtsprozedur
geh&auml;ngt wurde. Und all diese B&auml;renspr&uuml;nge des deutschen
Imperialismus in N&ouml;ten machte die sozialdemokratische Parteipresse
mit. W&auml;hrend die Reichstagsfraktion mit diskretem Schweigen die Leiche
des Duala-H&auml;uptlings zudeckte, erf&uuml;llte die sozialdemokratische
Presse die Luft mit jubelndem Lerchengesang &uuml;ber die Freiheit, die
von &raquo;deutschen Gewehrkolben&laquo; den armen Opfern des Zarismus gebracht
werde.
<P>Das theoretische Organ der Partei, <B>&raquo;Die Neue Zeit&laquo;</B>,
schrieb in der Nummer vom 28. August:</P>
<P><SMALL>&raquo;Die Grenzbev&ouml;lkerung in V&auml;terchens Reich
<B>hat mit jubelndem Zuruf die deutschen Vortruppen begr&uuml;&szlig;t</B>
- denn was in diesen Strichen an Polen und Juden sitzt, hat den Begriff
Vaterland immer nur in Gestalt von Korruption und Knute zu schmecken bekommen.
Arme Teufel und wirklich vaterlandslose Gesellen, h&auml;tten diese geschundenen
Untertanen des blutigen Nikolaus, selbst wenn sie die Lust dazu aufbr&auml;chten,
nichts zu verteidigen als ihre Ketten, und <B>darum leben und weben sie
jetzt in dem einen Sehnen und Hoffen, da&szlig; deutsche Gewehrkolben,
von deutschen F&auml;usten geschwungen, das ganze zarische System ehestens
zerschmettern m&ouml;chten</B>... Ein zielklarer politischer Wille lebt
auch, w&auml;hrend sich die Donner des Weltkrieges &uuml;ber ihren H&auml;uptern
entladen, in der deutschen Arbeiterklasse: sich der Bundesgenossen der
&ouml;stlichen Barbarei im Westen zu erwehren, um zu einem ehrenvollen
Frieden mit ihnen zu gelangen, und an die Vernichtung des Zarismus den
letzten Hauch von Ro&szlig; und Mann zu setzen.&laquo;</SMALL></P>
<P>Nachdem die sozialdemokratische Fraktion dem Kriege den Charakter einer
Verteidigung der deutschen Nation und Kultur angedichtet hatte, dichtete
ihm die sozialdemokratische Presse gar den Charakter des Befreiers fremder
Nationen an. Hindenburg wurde zum Vollstrecker des Testaments von Marx
und Engels.</P>
<P>Das Ged&auml;chtnis hat unserer Partei in diesem Kriege entschieden
einen fatalen Streich gespielt: w&auml;hrend sie alle ihre Grunds&auml;tze,
Gel&ouml;bnisse und Beschl&uuml;sse der internationalen Kongresse just
in dem Moment v&ouml;llig verga&szlig;, wo es sie anzuwenden galt, hat
sie sich zu ihrem Pech an ein &raquo;Verm&auml;chtnis&laquo; von Marx erinnert
und es gerade in dem Moment aus dem Staub der Zeiten hervorgeholt, wo es
nur dazu dienen konnte, den preu&szlig;ischen Militarismus damit zu schm&uuml;cken, an dessen Bek&auml;mpfung Marx &raquo;den letzten Hauch von Mann und Ro&szlig;&laquo; hergeben wollte. Es waren die gefrorenen Trompetent&ouml;ne der &raquo;<B>Neuen
Rheinischen Zeitung&laquo;,</B> der deutschen M&auml;rzrevolution gegen
das leibeigene Ru&szlig;land Nikolaus I., die der deutschen Sozialdemokratie
pl&ouml;tzlich im Jahre des Heils 1914 ans Ohr drangen und ihr den &raquo;deutschen
Gewehrkolben&laquo; &shy; Arm in Arm mit dem preu&szlig;ischen Junkertum
&shy; gegen das Ru&szlig;land der gro&szlig;en Revolution in die Hand dr&uuml;ckten.
<P>Aber hier gerade gilt es, die &raquo;Revision&laquo; anzusetzen und die
Schlagworte aus der M&auml;rzrevolution an der Hand der geschichtlichen
Erfahrung von bald 70 Jahren nachzupr&uuml;fen.</P>
<P>1848 war der russische Zarismus in der Tat der &raquo;Hort der europ&auml;ischen
Reaktion&laquo;. Ein bodenst&auml;ndiges Produkt der russischen sozialen
Verh&auml;ltnisse, in deren mittelalterlicher, naturalwirtschaftlicher
Basis er tief wurzelte, war der Absolutismus der Schutz und zugleich der
&uuml;berm&auml;chtige Lenker der durch die b&uuml;rgerliche Revolution
ersch&uuml;tterten und namentlich in Deutschland durch die Kleinstaaterei
geschw&auml;chten monarchischen Reaktion. Noch 1851 konnte Nikolaus I.
durch den preu&szlig;ischen Gesandten von Rochow in Berlin zu verstehen
geben, da&szlig; er &raquo;es allerdings gerne gesehen haben w&uuml;rde,
wenn im November 1848 beim Einr&uuml;cken des Generals von Wrangel in Berlin
die Revolution in der Wurzel unterdr&uuml;ckt worden w&auml;re&laquo;, und
da&szlig; es &raquo;noch andere Momente gegeben habe, wo man keine schlechte
Konstitution h&auml;tte zu geben brauchen&laquo;. Oder ein anderes Mal in
einer Ermahnung an Manteuffel: da&szlig; er &raquo;mit Zuversicht darauf
rechne, da&szlig; das k&ouml;nigliche Ministerium unter Hochdero F&uuml;hrung
den Kammern gegen&uuml;ber mit aller Entschlossenheit die Rechte der Krone
verteidigen und die konservativen Grunds&auml;tze zur Geltung bringen lassen
werde&laquo;. Derselbe Nikolaus konnte auch noch einem preu&szlig;ischen
Ministerpr&auml;sidenten den Alexander-Newski-Orden verleihen in Anerkennung
seiner &raquo;best&auml;ndigen Anstrengungen... zur Befestigung der gesetzlichen
Ordnung in Preu&szlig;en&laquo;.</P>
<P>Schon der Krimkrieg hat darin eine gro&szlig;e Verschiebung gebracht. Er
f&uuml;hrte den milit&auml;rischen und damit auch den politischen Bankrott des
alten Systems herbei. Der russische Absolutismus sah sich gen&ouml;tigt, den
Weg der Reformen zu beschreiten, sich zu modernisieren, den b&uuml;rgerlichen
Verh&auml;ltnissen anzupassen, und damit hatte er den kleinen Finger dem Teufel
gereicht, der ihn jetzt schon fest am Arme h&auml;lt und schlie&szlig;lich ganz
holen wird. Die Ergebnisse des Krimkrieges waren zugleich eine lehrreiche Probe
auf das Dogma von der Befreiung, die man einem geknechteten Volke mit &raquo;Gewehrkolben&laquo; bringen k&ouml;nne. Der milit&auml;rische Bankrott bei
Sedan bescherte Frankreich die Republik. Aber diese Republik war nicht ein
Geschenk der Bismarckschen Soldateska: Preu&szlig;en hatte damals wie heute
anderen V&ouml;lkern nichts zu schenken als das eigene Junkerregiment. Die
Republik war in Frankreich die innerlich gereifte Frucht sozialer K&auml;mpfe seit 1789 und der drei Revolutionen. Der Krach bei Sebastopol
wirkte wie bei Jena: beim Fehlen einer revolution&auml;ren Bewegung im
Innern des Landes f&uuml;hrte er nur zur &auml;u&szlig;eren Renovierung
und zur Neubefestigung des alten Regimes.
<P>Aber die Reformen der sechziger Jahre in Ru&szlig;land, die der b&uuml;rgerlich-kapitalistischen
Entwicklung die Bahn brachen, waren auch nur mit Geldmitteln einer b&uuml;rgerlich-kapitalistischen
Wirtschaft zu bewerkstelligen. Und diese Mittel wurden geliefert vom westeurop&auml;ischen
Kapital &shy; aus Deutschland und Frankreich. Seitdem kn&uuml;pfte sich
das neue Verh&auml;ltnis, das bis auf den heutigen Tag dauert: der russische
Absolutismus wird von der westeurop&auml;ischen Bourgeoisie ausgehalten.
Nicht mehr der &raquo;russische Rubel&laquo; rollt in den diplomatischen
Kammern und, wie der Prinz Wilhelm von Preu&szlig;en noch 1854 bitter klagte, &raquo;bis in die Vorkammern des K&ouml;nigs&laquo;, sondern umgekehrt rollt
deutsches und franz&ouml;sisches Gold nach Petersburg, um dort das Zarenregiment
zu speisen, das ohne diese belebenden S&auml;fte l&auml;ngst seine Mission
ausgespielt haben w&uuml;rde. Seitdem ist der Zarismus nicht mehr blo&szlig;
ein Produkt der russischen Verh&auml;ltnisse: seine zweite Wurzel sind
die kapitalistischen Verh&auml;ltnisse Westeuropas. Ja, das Verh&auml;ltnis
verschiebt sich seitdem mit jedem Jahrzehnt mehr. In demselben Ma&szlig;e
wie mit der Entwicklung des russischen Kapitalismus die innere bodenst&auml;ndige
Wurzel der Alleinherrschaft in Ru&szlig;land selbst zernagt wird, erstarkt
die andere, westeurop&auml;ische, immer mehr. Zur finanziellen Unterst&uuml;tzung
kam in steigendem Ma&szlig;e, durch den Wetteifer Frankreichs mit Deutschland
seit dem Kriege 1870 die politische hinzu. Je mehr aus dem Scho&szlig;e
des russischen Volkes selbst revolution&auml;re Kr&auml;fte gegen den Absolutismus
emporsteigen, um so mehr prallen sie auf Widerst&auml;nde aus Westeuropa,
das dem bedrohten Zarismus moralische und politische R&uuml;ckenst&auml;rkung
gew&auml;hrt. Als zu Beginn der achtziger Jahre die terroristische Bewegung
des &auml;lteren russischen Sozialismus das zaristische Regiment f&uuml;r
einen Moment schwer ersch&uuml;ttert, seine Autorit&auml;t nach innen und
nach au&szlig;en vernichtet hatte, gerade dann schlo&szlig; Bismarck mit
Ru&szlig;land seinen R&uuml;ckversicherungsvertrag ab und schaffte ihm
R&uuml;ckendeckung in der internationalen Politik. Je mehr Ru&szlig;land
andererseits von der deutschen Politik umworben wurde, um so unbegrenzter
wurde ihm nat&uuml;rlich der S&auml;ckel der franz&ouml;sischen Bourgeoisie
ge&ouml;ffnet. Aus beiden Hilfsquellen sch&ouml;pfend, fristete der Absolutismus
sein Dasein im Kampfe gegen die nunmehr steigende Flut der revolution&auml;ren
Bewegung im Innern.</P>
<P>Die kapitalistische Entwicklung, die der Zarismus mit eigenen H&auml;nden
hegte und pflegte, trug nun endlich die Frucht: seit den neunziger Jahren
beginnt die revolution&auml;re Massenbewegung des russischen Proletariats.
Unter dem Zarismus geraten die Fundamente im eigenen Lande ins Schwanken
und Beben. Der einstige &raquo;Hort der europ&auml;ischen Reaktion&laquo; sieht sich bald gezwungen, selbst &raquo;eine schlechte Konstitution&laquo; zu geben, und mu&szlig; vor der steigenden Flut im eigenen Heim nunmehr selbst einen rettenden &raquo;Hort&laquo; suchen. Und er findet ihn - in Deutschland. Das Deutschland B&uuml;lows tr&auml;gt die Schuld der Dankbarkeit ab, die das Preu&szlig;en Wrangels und Manteuffels eingegangen war. Das
Verh&auml;ltnis erf&auml;hrt eine direkte Umkehrung: russische Hilfeleistungen
gegen die deutsche Revolution werden ersetzt durch deutsche Hilfeleistungen
gegen die russische Revolution. Spitzeleien, Ausweisungen, Auslieferungen
&shy; eine regelrechte &raquo;Demagogenhetze&laquo; aus den seligen Zeiten
der Heiligen Allianz wird in Deutschland gegen die russischen Freiheitsk&auml;mpfer
entfesselt, die sie bis an die Schwelle der russischen Revolution verfolgt.
Die Hetze findet im Jahre 1904 im <B>K&ouml;nigsberger Proze&szlig;</B>
nicht blo&szlig; ihre Kr&ouml;nung: sie beleuchtet hier wie mit Blitzlicht
die ganze geschichtliche Strecke der Entwicklung seit 1848, die v&ouml;llige
Umst&uuml;lpung des Verh&auml;ltnisses zwischen dem russischen Absolutismus
und der europ&auml;ischen Reaktion. Tua res agitur! [um deine Sache geht
es] ruft ein preu&szlig;ischer Justizminister den herrschenden Klassen
Deutschlands zu, auf die wankenden Fundamente des zarischen Regimes in
Ru&szlig;land mit dem Finger weisend. &raquo;<B>Die Einrichtung einer demokratischen
Republik in Ru&szlig;land m&uuml;&szlig;te auf Deutschland in empfindlichster
Weise einwirken&laquo; </B>&shy; erkl&auml;rt in K&ouml;nigsberg der Erste
Staatsanwalt Schulze. &shy; &raquo;<B>Brennt
meines Nachbars Haus, so ist auch das meinige gef&auml;hrdet.&laquo;</B>
Und sein Gehilfe Caspar unterstreicht: &raquo;Es ist nat&uuml;rlich von
erheblichem Einflu&szlig; auf Deutschlands &ouml;ffentliche Interessen,
ob das Bollwerk des Absolutismus bestehen bleibt oder nicht. <B>Unzweifelhaft
k&ouml;nnen die Flammen einer revolution&auml;ren Bewegung leicht nach
Deutschland hin&uuml;berschlagen</B>...&laquo; Hier war es endlich mit H&auml;nden
zu greifen, wie der Maulwurf der geschichtlichen Entwicklung die Dinge
unterw&uuml;hlt, auf den Kopf gestellt, die alte Phrase vom &raquo;Hort
der europ&auml;ischen Reaktion&laquo; begraben hatte. Die europ&auml;ische
Reaktion, die preu&szlig;isch-junkerliche in erster Linie, ist es, die
jetzt der Hort des russischen Absolutismus ist. An ihr h&auml;lt er sich
noch aufrecht, in ihr kann er t&ouml;dlich getroffen werden. Die Schicksale
der russischen Revolution sollten das best&auml;tigen.
<P>Die Revolution wurde niedergeschlagen. Aber gerade die Ursachen ihres
vorl&auml;ufigen Scheiterns sind, wenn man in sie etwas tiefer hineinblickt,
lehrreich f&uuml;r die Stellung der deutschen Sozialdemokratie im heutigen
Kriege. Zwei Ursachen k&ouml;nnen uns die Niederlage der russischen Erhebung
im Jahre 1905/1906 trotz ihres beispiellosen Aufwands an revolution&auml;rer
Kraft, Zielklarheit und Z&auml;higkeit erkl&auml;ren. Die eine liegt im
inneren Charakter der Revolution selbst: in ihrem enormen geschichtlichen
Programm, in der Masse von &ouml;konomischen und politischen Problemen,
die sie wie vor einem Jahrhundert die gro&szlig;e franz&ouml;sische Revolution
aufgerollt hat und von denen einige, wie die Agrarfrage, &uuml;berhaupt
im Rahmen der heutigen Gesellschaftsordnung nicht zu l&ouml;sen sind; in
der Schwierigkeit, eine moderne Staatsform f&uuml;r die Klassenherrschaft
der Bourgeoisie gegen den konterrevolution&auml;ren Widerstand der gesamten
Bourgeoisie des Reiches zu schaffen.</P>
<P>Von hier aus gesehen, scheiterte die
russische Revolution, weil sie eben eine proletarische Revolution mit b&uuml;rgerlichen
Aufgaben, oder wenn man will, eine b&uuml;rgerliche Revolution mit proletarisch-sozialistischen
Kampfmitteln, ein Zusammensto&szlig; zweier Zeitalter unter Blitz und Donner
war, eine Frucht sowohl der versp&auml;teten Entwicklung der Klassenverh&auml;ltnisse
in Ru&szlig;land wie deren &Uuml;berreife in Westeuropa. Von hier aus gesehen,
ist auch ihre Niederlage im Jahre 1906 nicht ihr Bankrott, sondern blo&szlig;
ein nat&uuml;rlicher Abschlu&szlig; des ersten Kapitels, dem weitere mit
der Notwendigkeit eines Naturgesetzes folgen m&uuml;ssen. Die zweite Ursache
war wieder &auml;u&szlig;erer Natur: sie lag in Westeuropa. Die europ&auml;ische
Reaktion eilte wieder ihrem bedr&auml;ngten Sch&uuml;tzling zu Hilfe. Noch
nicht mit Pulver und Blei, obwohl &raquo;deutsche Gewehrkolben&laquo; bereits
1905 in &raquo;deutschen F&auml;usten&laquo; nur auf einen Wink aus Petersburg
warteten, um nach dem benachbarten Polen einzuschreiten. Aber mit Hilfsmitteln,
die ebenso wirksam waren: mit finanziellen Subsidien und mit politischen
Allianzen griff man dem Zarismus unter die Arme. F&uuml;r franz&ouml;sisches
Geld schaffte er sich die Kart&auml;tschen an, mit denen er die russischen
Revolution&auml;re niederschlug, und aus Deutschland bezog er die moralische
und politische St&auml;rkung, um aus der Tiefe der Schmach heraufzuklettern,
in die ihn die japanischen Torpedos und die russischen Proletarierf&auml;uste
hinabgesto&szlig;en hatten. 1910 in Potsdam empfing das offizielle Deutschland
den russischen Zarismus mit offenen Armen. Der Empfang des Blutbesudelten
vor den Toren der deutschen Reichshauptstadt war nicht blo&szlig; der Segen
Deutschlands &uuml;ber die Erw&uuml;rgung Persiens, sondern vor allem &uuml;ber
die Henkerarbeit der russischen Konterrevolution, war das offizielle Bankett
der deutschen und europ&auml;ischen &raquo;Kultur&laquo; auf dem vermeintlichen
Grabe der russischen Revolution. Und merkw&uuml;rdig! Damals, als sie diesem
herausfordernden Leichenschmaus auf den Hekatomben der russischen Revolution
in ihrem eigenen Heim beiwohnte, schwieg die deutsche Sozialdemokratie
vollst&auml;ndig und hatte das &raquo;Verm&auml;chtnis unserer Altmeister&laquo; aus dem Jahre 1848 total vergessen. W&auml;hrend zu Beginn des Krieges,
seit es die Polizei erlaubt, das kleinste Parteiblatt sich in blutigen
Ausdr&uuml;cken gegen den Henker der russischen Freiheit berauschte, hat
1910, als der Henker in Potsdam gefeiert wurde, kein Ton, keine Protestaktion,
kein Artikel die Solidarit&auml;t mit der russischen Freiheit bekundet,
gegen die Unterst&uuml;tzung der russischen Konterrevolution ein Veto eingelegt.
Und doch hat gerade die Triumphreise des Zaren 1910 in Europa besser als
alles andere enth&uuml;llt, da&szlig; die niedergeschlagenen russischen
Proletarier nicht blo&szlig; Opfer der heimatlichen Reaktion, sondern auch
der westeurop&auml;ischen sind, da&szlig; sie sich heute genau wie 1848
nicht blo&szlig; gegen die Reaktion im eigenen Lande, sondern auch gegen
ihren &raquo;Hort&laquo; im Auslande die Sch&auml;del blutig rennen.
<P>Doch der lebendige Born der revolution&auml;ren Energie im russischen
Proletariat ist so unersch&ouml;pflich wie der Kelch seiner Leiden unter
dem doppelten Knutenregiment des Zarismus und des Kapitals. Nach einer
Periode des unmenschlichen Kreuzzugs der Konterrevolution begann die revolution&auml;re
G&auml;rung von neuem. Seit 1911, seit der Lena-Metzelei raffte sich die
Arbeitermasse wieder zum Kampfe auf, die Flut begann zu steigen und zu
sch&auml;umen. Die &ouml;konomischen Streiks umfa&szlig;ten in Ru&szlig;land
nach den offiziellen Berichten 1910 46.623 Arbeiter und 256.385 Tage, 1911
96.730 Arbeiter und 768.556 Tage, in den ersten 5 Monaten 1912 98.771 Arbeiter
und 1.214.881 Tage. Die politischen Massenstreiks, Protestaktionen, Demonstrationen
umfa&szlig;ten 1912 1.005.000 Arbeiter, 1913 1.272.000. Im Jahre 1914 stieg
die Flut mit dumpfem Murmeln immer drohender und h&ouml;her. Am 22. Januar,
zur Feier des Revolutionsbeginns, gab es einen Demonstrationsmassenstreik
von 200.000 Arbeitern. Im Juni schlug, ganz wie vor dem Ausbruch der Revolution
von 1905, die gro&szlig;e Stichflamme im Kaukasus, in Baku, in die H&ouml;he.
40.000 Arbeiter standen hier im Massenstreik. Die Flamme sprang sofort
nach Petersburg &uuml;ber: am 17. Juli streikten hier 80.000, am 20. Juli
200.000 Arbeiter, am 23. Juli begann der Generalstreik sich auf das ganze
russische Reich auszubreiten, Barrikaden wurden bereits errichtet, die
Revolution war auf dem Marsche... Noch einige Monate, und sie zog sicher
mit wehenden Fahnen ein. Noch einige Jahre, und sie konnte vielleicht den
Zarismus so lahmlegen, da&szlig; er zu dem f&uuml;r 1916 geplanten imperialistischen
Tanz aller Staaten nicht mehr h&auml;tte dienen k&ouml;nnen. Vielleicht
w&auml;re dadurch die ganze weltpolitische Konstellation ge&auml;ndert,
dem Imperialismus ein Strich durch die Rechnung gemacht.
<P>Aber die deutsche Reaktion machte umgekehrt wieder einen Strich durch
die revolution&auml;ren Rechnungen der russischen Bewegung. Von Wien und
Berlin wurde der Krieg entfesselt, und er begrub die russische Revolution
unter den Tr&uuml;mmern - vielleicht wieder f&uuml;r Jahre. &raquo;Die deutschen
Gewehrkolben&laquo; zerschmetterten nicht den Zarismus, sondern seinen Widersacher.
Sie halfen dem Zarismus zu dem popul&auml;rsten Krieg, den Ru&szlig;land
seit einem Jahrhundert hatte. Alles wirkte diesmal f&uuml;r den moralischen
Nimbus der russischen Regierung: die f&uuml;r jedermann au&szlig;erhalb
Deutschlands sichtbare Provokation des Krieges durch Wien und Berlin, der &raquo;Burgfrieden&laquo; in Deutschland und das durch ihn entfesselte Delirium
des Nationalismus, das Schicksal Belgiens, die Notwendigkeit, der franz&ouml;sischen
Republik beizuspringen &shy; nie hatte der Absolutismus eine so unerh&ouml;rt
g&uuml;nstige Stellung in einem europ&auml;ischen Kriege. Die hoffnungsvoll
aufflatternde Fahne der Revolution ging im wilden Strudel des Krieges unter
&shy; aber sie sank mit Ehren, und sie wird wieder aus dem w&uuml;sten
Gemetzel aufflattern &shy; trotz der &raquo;deutschen Gewehrkolben&laquo;,
trotz Sieg und trotz Niederlage des Zarismus auf den Schlachtfeldern.</P>
<P>Auch die nationalen Aufst&auml;nde in Ru&szlig;land versagten. Die &raquo;Nationen&laquo; haben sich offenbar durch die Befreiermission der Hindenburgschen Kohorten
weniger k&ouml;dern lassen, als die deutsche Sozialdemokratie. Die Juden,
ein praktisches Volk wie sie sind, mochten sich das einfache Rechenexempel
an den Fingern abz&auml;hlen, da&szlig; die &raquo;deutschen F&auml;uste&laquo;,
die es nicht einmal fertiggebracht haben, ihre eigene preu&szlig;ische
Reaktion, zum Beispiel das Dreiklassenwahlrecht,
zu &raquo;zerschmettern&laquo;, wohl wenig tauglich sind, den russischen
Absolutismus zu zerschmettern. Die Polen, der dreifachen H&ouml;lle des
Krieges preisgegeben, konnten zwar ihren &raquo;Befreiern&laquo; aus Wreschen,
wo polnischen Kindern das deutsche Vaterunser mit blutigen Striemen auf
den K&ouml;rper eingebl&auml;ut wurde, und aus den preu&szlig;ischen Ansiedlungskommissionen
auf die verhei&szlig;ende Heilbotschaft nicht laut antworten; sie d&uuml;rften
aber im stillen den deutschen Kernspruch G&ouml;tz von Berlichingens in
ein noch kernigeres Polnisch &uuml;bersetzt haben. Alle: Polen, Juden wie
Russen, haben wohl gar bald die einfache Wahrnehmung gemacht, da&szlig; &raquo;deutsche Gewehrkolben&laquo;, mit denen man ihnen die Sch&auml;del
zerschmettert, ihnen nicht die Freiheit, sondern den Tod bringen.
<P>Die Befreiungslegende der deutschen Sozialdemokratie mit dem Verm&auml;chtnis
von Marx in diesem Kriege ist aber mehr als ein &uuml;bler Spa&szlig;:
sie ist eine Frivolit&auml;t. F&uuml;r Marx war die russische Revolution
eine Weltwende. Alle seine politischen und geschichtlichen Perspektiven
waren an den Vorbehalt gekn&uuml;pft: &raquo;sofern nicht inzwischen in
Ru&szlig;land die Revolution ausbricht&laquo;. Marx glaubte an die russische
Revolution und erwartete sie, selbst als er noch das leibeigene Ru&szlig;land
vor den Augen hatte. Die Revolution war inzwischen gekommen. Sie hatte
nicht auf den ersten Schlag gesiegt, aber sie ist nicht mehr zu bannen,
sie steht auf der Tagesordnung, sie richtete sich gerade wieder auf. Und
da r&uuml;cken pl&ouml;tzlich deutsche Sozialdemokraten mit &raquo;deutschen
Gewehrkolben&laquo; an und erkl&auml;ren die russische Revolution f&uuml;r
null und nichtig, sie streichen sie aus der Geschichte. Sie haben pl&ouml;tzlich
die Register von 1848 hervorgezogen: Es lebe der Krieg gegen Ru&szlig;land!
Aber im Jahre 1848 war in Deutschland Revolution, in Ru&szlig;land starre,
hoffnungslose Reaktion. Im Jahre 1914 hingegen hatte Ru&szlig;land die
Revolution im Leibe, in Deutschland aber herrschte das preu&szlig;ische
Junkertum. Nicht von deutschen Barrikaden, wie Marx 1848 voraussetzte,
sondern direkt aus dem Pandurenkeller, wo sie ein kleiner Leutnant eingesperrt
hielt, r&uuml;ckten die deutschen &raquo;Befreier Europas&laquo; zu ihrer
Kulturmission gegen Ru&szlig;land aus! Sie r&uuml;ckten aus &shy; br&uuml;derlich
umarmt, ein einig Volk, mit dem preu&szlig;ischen Junkertum, das der st&auml;rkste
Hort des russischen Zarismus ist; mit den Ministern und Staatsanw&auml;lten
von K&ouml;nigsberg &raquo;burgfriedlich&laquo; umarmt - r&uuml;ckten sie
gegen den Zarismus aus und schmetterten die &raquo;Gewehrkolben&laquo; -
den russischen Proletariern auf den Sch&auml;del!...</P>
<P>Eine blutigere historische Posse, eine brutalere Verh&ouml;hnung der
russischen Revolution und des Verm&auml;chtnisses von Marx l&auml;&szlig;t
sich kaum denken. Sie bildet die dunkelste Episode in dem politischen Verhalten
der Sozialdemokratie w&auml;hrend des Krieges.</P>
<P>Eine Episode sollte n&auml;mlich die Befreiung der europ&auml;ischen
Kultur doch nur werden. Die unbequeme Maske wurde von dem deutschen Imperialismus gar bald gel&uuml;ftet, die Front wendete sich offen gegen Frankreich und
namentlich gegen England. Ein Teil der Parteipresse machte auch diese Wendung
hurtig mit. Sie begann statt des Blutzaren das perfide Albion und seinen
Kr&auml;mergeist der allgemeinen Verachtung preiszugeben und die Kultur
Europas statt von dem russischen Absolutismus von der englischen Seeherrschaft
zu befreien. Die heillos verworrene Situation, in die sich die Partei begeben
hat, konnte sich indes nicht greller &auml;u&szlig;ern, als in den krampfhaften
Versuchen des besseren Teils der Parteipresse, der, erschreckt durch die
reaktion&auml;re Front, sich partout bem&uuml;hte, den Krieg auf das urspr&uuml;ngliche
Ziel zur&uuml;ckzudr&auml;ngen, ihn auf das &raquo;Verm&auml;chtnis unserer
Meister&laquo; festzunageln - das hei&szlig;t auf einen Mythus, den sie
selbst, die Sozialdemokratie, geschaffen hatte. &raquo;Mit schwerem Herzen
habe ich meine Armee gegen einen Nachbar mobilisieren m&uuml;ssen, mit
dem sie auf so vielen Schlachtfeldern gemeinsam gefochten hat. Mit aufrichtigem
Leid sah ich eine von Deutschland treu bewahrte Freundschaft zerbrechen.&laquo;
Das war schlicht, offen und ehrlich. Die sozialdemokratische Fraktion und
die Presse hatte dies in einen Artikel der <B>&raquo;Neuen Rheinischen Zeitung&laquo; </B>umstilisiert. Als nun die Rhetorik der ersten Kriegswochen durch den prosaischen
Lapidarstil des Imperialismus weggescheucht wurde, l&ouml;ste sich die
einzige schwache Erkl&auml;rung f&uuml;r die Haltung der deutschen Sozialdemokratie
in Dunst auf.</P>
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