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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<TITLE>August Bebel - Die Frau und der Sozialismus - 26. Kapitel</TITLE>
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<P ALIGN="CENTER"><A HREF="beaa_488.htm"><FONT SIZE=2>25. Kapitel</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="beaa_000.htm"><FONT SIZE=2>Inhalt</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="beaa_503.htm"><FONT SIZE=2>27. Kapitel</FONT></A></P>
<FONT SIZE=2><P>August Bebel - "Die Frau und der Sozialismus" - 62. Auflage, Berlin/DDR, 1973, S. 499-502.</P>
<P>1. Korrektur.<BR>
Erstellt am 31.1.1999.</P>
</FONT><I><P ALIGN="CENTER">Sechsundzwanzigstes Kapitel <BR>
</I><FONT SIZE=4>Kunst und Literatur in der sozialistischen Gesellschaft</P>
</FONT><B><P><A NAME="S499">|499|</A></B> Sobald die neue Gesellschaft ihren Nachwuchs bis zum M&uuml;ndigkeitsalter erzogen hat, bleibt jedem einzelnen seine weitere Ausbildung selbst &uuml;berlassen. Jeder treibt und &uuml;bt, wozu Neigung und Anlagen ihn dr&auml;ngen. Diese ergreifen einen Zweig der immer gl&auml;nzender sich ausgestaltenden Naturwissenschaften: Anthropologie, Zoologie, Botanik, Mineralogie, Geologie, Physik, Chemie, pr&auml;historische Wissenschaft usw. usw., jene die Geschichtswissenschaft, die Sprachforschung, das Kunststudium usw. Diese werden aus Passion Musiker, jene Maler, Bildhauer, Schauspieler. Es wird k&uuml;nftig weder z&uuml;nftige K&uuml;nstler noch z&uuml;nftige Gelehrte und z&uuml;nftige Handwerker geben. Tausende gl&auml;nzender Talente, die bisher unterdr&uuml;ckt wurden, werden zur Entfaltung kommen und sich in ihrem Wissen und K&ouml;nnen zeigen, wo die Gelegenheit sich bietet. Es gibt keine Musiker, Schauspieler, K&uuml;nstler, Gelehrte von Profession mehr, aber um so mehr aus <I>Begeisterung und durch Talent und Genie</I>. Und was diese leisten, d&uuml;rfte die gegenw&auml;rtigen Leistungen auf diesen Gebieten ebenso &uuml;bertreffen, wie die industriellen, technischen und agrikolen Leistungen der k&uuml;nftigen Gesellschaft die der heutigen &uuml;bertreffen werden. Es wird eine &Auml;ra f&uuml;r K&uuml;nste und Wissenschaften entstehen, wie sie die Welt nie gesehen hat, und dementsprechend werden die Sch&ouml;pfungen sein, die sie erzeugt. </P>
<P>Welche Neugeburt die Kunst erfahren wird, wenn einmal menschenw&uuml;rdige Zust&auml;nde existieren, ahnte kein Geringerer als der verstorbene <I>Richard Wagner</I>, der sich schon 1850 in seiner Schrift "Kunst und Revolution" dar&uuml;ber aussprach. Diese Schrift ist besonders merkw&uuml;rdig, weil sie unmittelbar nach einer eben erst niedergeschlagenen Revolution, an der sich <I>Wagner </I>beteiligt hatte, erschien. Wagner sagt voraus, was die Zukunft bringen wird; er wendet sich in ihr direkt an die Arbeiterklasse, die den K&uuml;nstlern helfen m&uuml;sse, die wahre Kunst zu begr&uuml;nden. Unter anderem sagt er: "Ist unseren <I>zuk&uuml;nftigen freien Menschen </I>der Gewinn des Lebensunterhaltes <I>nicht mehr der Zweck des Lebens</I>, sondern ist durch einen t&auml;tig gewordenen neuen <A NAME="S500"><B>|500|</A></B> Glauben, oder <I>besser Wissen</I>, der Gewinn des Lebensunterhaltes <I>gegen eine ihm entsprechende nat&uuml;rliche T&auml;tigkeit uns au&szlig;er allen Zweifel gesetzt</I>, kurz, ist die Industrie nicht mehr unsere Herrin, sondern unsere Dienerin, <I>so werden wir den Zweck des Lebens in die Freude am Leben setzen und zu dem wirklichen Genu&szlig; dieser Freude unsere Kinder durch Erziehung f&auml;hig und t&uuml;chtig zu machen streben. Die Erziehung, von der &Uuml;bung der Kraft, von der Pflege der k&ouml;rperlichen Sch&ouml;nheit ausgehend, wird schon aus ungest&ouml;rter Liebe zum Kinde und aus Freude am Gedeihen seiner Sch&ouml;nheit eine rein k&uuml;nstlerische werden, und jeder Mensch wird in irgendeinem Bezug in Wahrheit K&uuml;nstler sein. Die Verschiedenheit der nat&uuml;rlichen Neigungen wird die mannigfachsten Richtungen zu einem ungeahnten Reichtum ausbilden!</I>" Das ist durchaus sozialistisch gedacht und deckt sich vollkommen mit unseren Ausf&uuml;hrungen. </P>
<P>In der Zukunft wird das gesellschaftliche Leben immer mehr ein &ouml;ffentliches werden. Wohin es dr&auml;ngt, sehen wir am deutlichsten an der g&auml;nzlich ver&auml;nderten Stellung der Frau gegen fr&uuml;here Zeiten. Das h&auml;usliche Leben wird sich auf das Notwendige beschr&auml;nken, dagegen wird dem Geselligkeitsbed&uuml;rfnis das weiteste Feld er&ouml;ffnet werden. Gro&szlig;e Versammlungslokalit&auml;ten f&uuml;r Vortr&auml;ge und Disputationen und zur Besprechung aller gesellschaftlichen Angelegenheiten, &uuml;ber die k&uuml;nftig die Gesamtheit souver&auml;n entscheidet, Speise-, Spiel- und Leses&auml;le, Bibliotheken, Konzert- und Theaterlokale, Museen, Spiel- und Turnpl&auml;tze, Parks und Promenaden, &ouml;ffentliche B&auml;der, Bildungs- und Erziehungsanstalten aller Art, Laboratorien usw., alles aufs bestm&ouml;gliche ausgestattet, werden Kunst und Wissenschaft und jeder Art Unterhaltung die reichlichste Gelegenheit bieten, das H&ouml;chste zu leisten. Ebenso werden die Anstalten zur Pflege Kranker, Siecher, Altersschwacher den h&ouml;chsten Anforderungen entsprechen. </P>
<P>Wie klein wird dagegen einst unser so viel ger&uuml;hmtes Zeitalter erscheinen. Dieses Schweifwedeln um Gunst und Sonnenschein von oben, diese kriechende, h&uuml;ndische Gesinnung, dieser gegenseitige eifers&uuml;chtige Kampf mit den geh&auml;ssigsten, niedrigsten Mitteln um den bevorzugten Platz; dabei Unterdr&uuml;ckung der wahren &Uuml;berzeugung, Verschleierung guter Eigenschaften, die mi&szlig;fallen k&ouml;nnten, Kastrierung des Charakters, Erheuchelung von Gesinnungen und Gef&uuml;hlen - diese Eigenschaften, die man kurz mit <I>Feigheit und Charakterlosigkeit bezeichnen kann</I>, treten t&auml;glich widerlicher hervor. Was den Men- <A NAME="S501"><B>|501|</A></B> schen erhebt und adelt, Selbstgef&uuml;hl, Unabh&auml;ngigkeit und Unbestechlichkeit der Gesinnung und eigene &Uuml;berzeugung, freies Herausgehen aus sich selbst, wird unter den heutigen Verh&auml;ltnissen meist zu Fehlern und Gebrechen. Oft ruinieren diese Eigenschaften ihren Tr&auml;ger, kann er sie nicht unterdr&uuml;cken. Viele f&uuml;hlen ihre Erniedrigung nicht einmal, weil sie daran gew&ouml;hnt sind. Der Hund findet es selbstverst&auml;ndlich, da&szlig; er einen Herrn hat, der bei schlechter Laune ihm die Peitsche zu kosten gibt. </P>
<P>Mit den erw&auml;hnten Ver&auml;nderungen im sozialen Leben wird auch die gesamte literarische Produktion eine gr&uuml;ndliche Ver&auml;nderung erfahren. Die theologische Literatur, die in den j&auml;hrlichen Verzeichnissen der literarischen Erscheinungen der Gegenwart die gr&ouml;&szlig;te Nummernzahl aufweist, scheidet mit der juristischen aus. F&uuml;r die eine besteht kein Interesse, f&uuml;r die andere keine Notwendigkeit mehr; die Erzeugnisse, die sich auf den Tageskampf &uuml;ber staatliche Institutionen beziehen, ebenfalls, weil die betreffenden Institutionen aufh&ouml;rten zu sein. Die bez&uuml;glichen Studien werden kulturgeschichtliche werden. Die Menge seichter literarischer Produkte, als Zeichen verdorbenen Geschmacks, oft nur erm&ouml;glicht durch Opfer, welche die Eitelkeit des Autors bringt, f&auml;llt weg. Man kann sogar vom Standpunkt unserer heutigen Verh&auml;ltnisse ohne &Uuml;bertreibung sagen, da&szlig; vier F&uuml;nftel aller literarischen Erzeugnisse vom Markte verschwinden d&uuml;rften,<I> ohne da&szlig; ein einziges Kulturinteresse darunter litte</I>. So gro&szlig; ist die Masse oberfl&auml;chlicher oder sch&auml;dlicher Produkte und offenbaren Schundes auf dem Gebiet literarischer Produktion. Die Belletristik und das Zeitungswesen werden in dem gleichen Ma&szlig;e getroffen. Etwas Geistloseres und Oberfl&auml;chlicheres als der gr&ouml;&szlig;te Teil unserer Zeitungsliteratur existiert nicht. Sollte nach dem Inhalt unserer Zeitungen der Stand unserer Kulturerrungenschaften und unserer wissenschaftlichen Gesichtspunkte gemessen werden, er k&auml;me tief zu stehen. Die T&auml;tigkeit von Personen und der Zustand der Dinge wird von einem Standpunkte aus beurteilt, der vergangenen Jahrhunderten entspricht und durch unsere Wissenschaft l&auml;ngst als unhaltbar nachgewiesen ist. Ein erheblicher Teil unserer Journalisten sind Leute, die, wie einst Bismarck nicht unrichtig sagte, "ihren Beruf verfehlten", deren Bildungsstandpunkt und deren Lohnanspr&uuml;che aber dem Bourgeoisinteresse f&uuml;r das Gesch&auml;ft entsprechen. Daneben haben diese Zeitungen wie die Mehrzahl der belletristischen Bl&auml;tter die Aufgabe, in ihrem Annoncen- <A NAME="S502"><B>|502|</A></B> teil die schmutzigste Reklame zu beg&uuml;nstigen; ihr B&ouml;rsenteil entspricht dem gleichen Interesse auf einem anderen Gebiet. Das materielle Interesse der Unternehmer bestimmt den Inhalt. Die belletristische Literatur ist,<I> durchschnittlich</I> genommen, nicht viel besser als die Zeitungsliteratur: Hier wird namentlich das geschlechtliche Gebiet in seinen Ausw&uuml;chsen kultiviert, bald wird dem seichtesten Aufkl&auml;richt, bald den abgeschmacktesten Vorurteilen und dem Aberglauben gehuldigt. Der Zweck ist, die b&uuml;rgerliche Welt, ungeachtet aller M&auml;ngel, die man im kleinen zugibt, als die beste der Welten erscheinen zu lassen. </P>
<P>Auf diesem weiten und wichtigen Gebiet wird die Gesellschaft der Zukunft sehr gr&uuml;ndlich aufr&auml;umen m&uuml;ssen. Die Wissenschaft, die Wahrheit, die Sch&ouml;nheit, der Meinungskampf um das Beste werden es allein beherrschen. Jedem, der T&uuml;chtiges leistet, wird die Gelegenheit geboten, sich zu beteiligen. Er h&auml;ngt nicht mehr von der Gunst des Buchh&auml;ndlers, dem Geldinteresse, dem Vorurteil ab, sondern von der Beurteilung unparteiischer Sachverst&auml;ndiger, die er selbst mitbestimmt und gegen deren ihm nicht zusagende Entscheidung er jederzeit an die Gesamtheit appellieren kann, was heute ihm weder bei einer Zeitungsredaktion noch bei einem Buchh&auml;ndler, der nur seine Privatinteressen zu Rate zieht, m&ouml;glich ist. Die naive Anschauung, als werde in einem sozialistischen Gemeinwesen der Meinungskampf unterdr&uuml;ckt, k&ouml;nnen nur die verfechten, welche die b&uuml;rgerliche Welt als die vollkommenste Gesellschaft ansehen und aus Feindschaft den Sozialismus zu verleumden und zu verkleinern suchen. Eine auf vollkommener, demokratischer Gleichheit beruhende Gesellschaft kennt und duldet keine Unterdr&uuml;ckung.<I> Nur die vollste Meinungsfreiheit erm&ouml;glicht den ununterbrochenen Fortschritt, der das Lebensprinzip der Gesellschaft</I> ist. Auch ist es eine grobe T&auml;uschung, die b&uuml;rgerliche Gesellschaft als Verfechterin wirklicher Meinungsfreiheit darzustellen. Parteien, die die Klasseninteressen der Herrschenden vertreten, werden nur das in der Presse ver&ouml;ffentlichen, was diesem Klasseninteresse nicht schadet, und wehe dem, der dagegen l&ouml;ckt. Sein sozialer Ruin ist besiegelt, wie jeder wei&szlig;, der die Verh&auml;ltnisse kennt. Und wie Buchh&auml;ndler mit ihnen nicht konvenierenden literarischen Arbeiten umspringen, davon wissen die Schriftsteller ein Liedlein zu singen. Endlich zeigt auch unsere Pre&szlig;- und Strafgesetzgebung, welcher Geist die regierenden und leitenden Klassen beherrscht. Wirkliche Meinungsfreiheit erscheint ihnen als das gef&auml;hrlichste aller &Uuml;bel. </P></BODY>
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