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<title>Karl Marx - Die Klassenkaempfe in Frankreich 1848 bis 1850 - III</title>
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<body bgcolor="#FFFFFC">
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<p align="center"><a href="me07_035.htm"><font size="2">II - Der 13. Juni 1849</font></a> |
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<a href="me07_009.htm"><font size="2">Inhalt und Einleitung</font></a> | <a href=
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"me07_095.htm"><font size="2">IV - Die Abschaffung des allgemeinen Stimmrechts
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1850</font></a></p>
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<p><small>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 7, "Die
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Klassenkämpfe in Frankreich 1848-1850", S. 64-94<br>
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Dietz Verlag, Berlin/DDR 1960</small></p>
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<p align="center"><font size="5">III<br>
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Folgen des 13. Juni 1849<br></font> <i>Vom 13. Juni 1849 bis 10. März 1850</i></p>
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<p><b><a name="S64"><64></a></b> Am 20. Dezember hatte der Januskopf der
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<i>konstitutionellen Republik</i> nur noch <i>ein</i> Gesicht gezeigt, das exekutive Gesicht mit
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den verschwimmend flachen Zügen L. Bonapartes, am 28. Mai 1849 zeigte er sein zweites
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Gesicht, das <i>legislative</i>, übersäet von den Narben, welche die Orgien der
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Restauration und der Julimonarchie zurückgelassen hatten. Mit der legislativen
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Nationalversammlung war die Erscheinung der <i>konstitutionellen Republik</i> vollendet, d.h. der
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republikanischen Staatsform, worin die Herrschaft der Bourgeoisklasse konstituiert ist, also die
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gemeinschaftliche Herrschaft der beiden großen royalistischen Fraktionen, welche die
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französische Bourgeoisie bilden, der koalisierten Legitimisten und Orleanisten, der
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<i>Partei der Ordnung</i>. Während so die französische Republik der Koalition der
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royalistischen Parteien als Eigentum anheimfiel, unternahm gleichzeitig die europäische
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Koalition der kontrerevolutionären Mächte einen allgemeinen Kreuzzug gegen die letzten
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Zufluchtsstätten der Märzrevolutionen. Rußland fiel in Ungarn ein, Preußen
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marschierte gegen die Reichsverfassungsarmee und Oudinot bombardierte Rom. Die europäische
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Krise ging offenbar einem entscheidenden Wendepunkt zu, die Augen von ganz Europa richteten sich
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auf Paris und die Augen von ganz Paris auf die <i>legislative Versammlung</i>.</p>
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<p>Am 11. Juni bestieg Ledru-Rollin ihre Tribüne. Er hielt keine Rede, er formulierte ein
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Requisitorium gegen die Minister, nackt, prunklos, tatsächlich, konzentriert, gewaltsam.</p>
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<p>Der Angriff auf Rom ist ein Angriff auf die Konstitution, der Angriff auf die römische
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Republik ein Angriff auf die französische Republik. Artikel V der Konstitution lautet: "Die
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französische Republik verwendet ihre Streitkräfte niemals gegen die Freiheit
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irgendeines Volkes" - und der Präsident verwendet die französische Armee gegen die
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römische Freiheit. Artikel 54 der Konstitution verbietet der exekutiven Gewalt irgendeinen
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Krieg zu erklären, ohne die Zustimmung der Nationalversammlung. Der Beschluß der
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Konsti- <a name="S65"><b><65></b></a> tuante vom 8. Mai befiehlt den Ministern
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ausdrücklich, die römische Expedition schleunigst ihrer ursprünglichen Bestimmung
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anzupassen, er untersagt ihnen also ebenso ausdrücklich den Krieg gegen Rom - und Oudinot
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bombardiert Rom. So rief Ledru-Rollin die Konstitution selbst als Belastungszeugen gegen
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Bonaparte und seine Minister auf. Der royalistischen Majorität der Nationalversammlung
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schleuderte er, der Tribun der Konstitution, die drohende Erklärung zu: "Die Republikaner
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werden der Konstitution Achtung zu verschaffen wissen, durch alle Mittel, sei es selbst durch die
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Gewalt der Waffen!" <i>"Durch die Gewalt der Waffen!"</i> wiederholte das hundertfache Echo der
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Montagne. Die Majorität antwortete mit einem furchtbaren Tumult, der Präsident der
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Nationalversammlung rief Ledru-Rollin zur Ordnung, Ledru-Rollin wiederholte die herausfordernde
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Erklärung und legte schließlich den Antrag auf Versetzung Bonapartes und seiner
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Minister in Anklagezustand auf den Präsidententisch nieder. Die Nationalversammlung
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beschloß mit 361 gegen 203 Stimmen über das Bombardement Roms zur einfachen
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Tagesordnung überzugehen.</p>
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<p>Glaubte Ledru-Rollin die Nationalversammlung durch die Konstitution, den Präsidenten
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durch die Nationalversammlung schlagen zu können?</p>
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<p>Die Konstitution untersagte allerdings jeden Angriff auf die Freiheit fremder Völker,
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aber was die französische Armee zu Rom angriff, das war nach dem Ministerium nicht die
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"Freiheit", sondern der "Despotismus der Anarchie". Hatte die Montagne, allen Erfahrungen in der
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konstituierenden Versammlung zum Trotz, noch immer nicht begriffen, daß die Auslegung der
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Konstitution nicht denen angehöre, die sie gemacht, sondern nur noch denen, die sie
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akzeptiert hatten? Daß ihr Wortlaut in ihrem lebensfähigen Sinne gedeutet werden
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müsse und daß der Bourgeoissinn ihr einzig lebensfähiger Sinn sei? Daß
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Bonaparte und die royalistische Majorität der Nationalversammlung die authentischen
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Dolmetscher der Konstitution waren, wie der Pfaffe der authentische Dolmetscher der Bibel und der
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Richter der authentische Dolmetscher des Gesetzes ist? Sollte die eben frisch aus dem
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Schoße der allgemeinen Wahlen hervorgegangene Nationalversammlung sich durch die
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testamentarische Verfügung der toten Konstituante gebunden fühlen, deren lebendigen
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Willen ein Odilon Barrot gebrochen hatte? Indem sich Ledru-Rollin auf den Beschluß der
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Konstituante vom 8. Mai berief, hatte er vergessen, daß dieselbe Konstituante am 11. Mai
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seinen ersten Antrag auf Versetzung Bonapartes und der Minister in Anklagezustand verworfen,
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daß sie den Präsidenten und die Minister freigesprochen, daß sie so den Angriff
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auf Rom als "konstitutionell" sanktioniert hatte, daß er nur Appell einlegte gegen ein
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schon gefälltes Urteil, daß er endlich von der republikanischen Konstituante an die
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<a name="S66"><b><66></b></a> royalistische Legislative appellierte? Die Konstitution
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selbst ruft die Insurrektion zur Hülfe, indem sie in einem besonderen Artikel jeden
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Bürger zu ihrem Schutze aufruft. Ledru-Rollin stützte sich auf diesen Artikel. Aber
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sind nicht gleichzeitig die öffentlichen Gewalten zum Schutze der Konstitution organisiert,
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und die Verletzung der Konstitution, beginnt sie nicht erst von dem Augenblicke, wo die eine der
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öffentlichen konstitutionellen Gewalten gegen die andere rebelliert? Und der Präsident
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der Republik, die Minister der Republik, die Nationalversammlung der Republik befanden sich im
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harmonischsten Verständnis.</p>
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<p>Was die Montagne am 11. Juni versuchte, war <i>"eine Insurrektion innerhalb der Grenzen der
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reinen Vernunft"</i>, d.h. eine rein <i>parlamentarische Insurrektion</i>. Die Majorität der
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Versammlung sollte, durch die Aussicht auf bewaffnete Erhebung der Volksmassen
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eingeschüchtert, in Bonaparte und den Ministern ihre eigene Macht und die Bedeutung ihrer
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eigenen Wahl brechen. Hatte die Konstituante nicht ähnlich versucht, die Wahl Bonapartes zu
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kassieren, als sie so hartnäckig auf der Entlassung des Ministeriums Barrot-Falloux
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bestand?</p>
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<p>Weder fehlte es aus der Zeit des Konvents an Vorbildern für parlamentarische
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Insurrektionen, welche das Verhältnis der Majorität und Minorität plötzlich
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von Grund aus umgewälzt hatten - und sollte der jungen Montagne nicht gelingen, was der
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alten gelungen war? -, noch schienen die augenblicklichen Verhältnisse einem solchen
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Unternehmen ungünstig. Die Volksaufregung hatte zu Paris einen bedenklichen Höhepunkt
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erreicht, die Armee schien ihren Wahlabstimmungen nach der Regierung nicht geneigt, die
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legislative Majorität selbst war noch zu jung, um sich konsolidiert zu haben, und zudem
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bestand sie aus alten Herren. Wenn der Montagne eine parlamentarische Insurrektion gelang, fiel
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ihr das Staatsruder unmittelbar zu. Die demokratische Kleinbürgerschaft ihrerseits
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wünschte, wie immer, nichts sehnlicher, als den Kampf über ihren Häuptern in den
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Wolken zwischen den abgeschiedenen Geistern des Parlaments ausgefochten zu sehen. Endlich
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erreichten beide, die demokratische Kleinbürgerschaft und ihre Vertreter, die Montagne,
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durch eine parlamentarische Insurrektion ihren großen Zweck, die Macht der Bourgeoisie zu
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brechen, ohne das Proletariat zu entfesseln oder anders als in der Perspektive erscheinen zu
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lassen; das Proletariat wäre benutzt worden, ohne gefährlich zu werden.</p>
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<p>Nach dem Votum der Nationalversammlung vom 11. Juni fand eine Zusammenkunft statt zwischen
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einigen Gliedern der Montagne und Delegierten der geheimen Arbeitergesellschaften. Letztere
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drangen darauf, noch an demselben Abend loszuschlagen. Die Montagne wies diesen Plan entschieden
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zurück. Sie wollte um keinen Preis die Leitung aus der Hand geben; ihre Bun- <a name=
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"S67"><b><67></b></a> desgenossen waren ihr ebenso verdächtig als ihre Gegner, und mit
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Recht. Die Erinnerung an den Juni 1848 durchwogte lebendiger als je die Reihen des Pariser
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Proletariats. Gleichwohl war es an die Allianz mit der Montagne gekettet. Sie vertrat den
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größten Teil der Departements, sie übertrieb ihren Einfluß in der Armee,
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sie verfügte über den demokratischen Teil der Nationalgarde, sie hatte die moralische
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Macht der Boutique hinter sich. Wider ihren Willen in diesem Augenblick die Insurrektion
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beginnen, das hieß für das Proletariat - überdem dezimiert durch die Cholera, in
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bedeutender Masse aus Paris durch die Arbeitslosigkeit verjagt - die Junitage von 1848 nutzlos
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wiederholen, ohne die Situation, welche zu dem verzweifelten Kampfe gedrängt hatte. Die
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proletarischen Delegierten taten das einzig Rationelle. Sie verpflichteten die Montagne, sich zu
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<i>kompromittieren</i>, d.h. aus den Grenzen des parlamentarischen Kampfes herauszutreten
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für den Fall, daß ihr Anklageakt verworfen würde. Während des ganzen 13.
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Juni behauptete das Proletariat dieselbe skeptisch beobachtende Stellung und wartete ein
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ernstlich engagiertes, unwiderrufliches Handgemenge zwischen der demokratischen Nationalgarde und
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der Armee ab, um sich dann in den Kampf, und die Revolution über das ihr gesteckte
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kleinbürgerliche Ziel hinaus zu stürzen. Für den Fall des Sieges war die
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proletarische Kommune schon gebildet, die neben die offizielle Regierung treten sollte. Die
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Pariser Arbeiter hatten gelernt in der blutigen Schule des Juni 1848.</p>
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<p>Am 12. Juni stellte der Minister Lacrosse selbst in der legislativen Versammlung den Antrag,
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sofort zur Diskussion des Anklageaktes überzugehen. Die Regierung hatte während der
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Nacht alle Vorkehrungen zur Verteidigung und zum Angriffe getroffen; die Majorität der
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Nationalversammlung war entschlossen, die rebellische Minorität auf die Straße
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hinauszutreiben, die Minorität selbst konnte nicht mehr zurücktreten, die Würfel
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waren gefallen, 377 Stimmen gegen 8 verwarfen den Anklageakt, der Berg, der sich der Abstimmung
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enthalten hatte, stürzte grollend in die Propagandahallen der "friedfertigen Demokratie", in
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die Zeitungsbüros der "Démocratie pacifique".</p>
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<p>Die Entfernung aus dem Parlamentsgebäude brach seine Kraft, wie die Entfernung von der
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Erde die Kraft des Antäus brach, ihres Riesensohnes. Simsons in den Räumen der
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gesetzgebenden Versammlung, waren sie nur noch Philister in den Räumen der "friedfertigen
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Demokratie". Eine lange, geräuschvolle, haltlose Debatte entspann sich. Die Montagne war
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entschlossen, der Konstitution Achtung zu erzwingen mit allen Mitteln, <i>"nur nicht durch die
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Gewalt der Waffen"</i>. In diesem Entschluß wurde sie unterstützt durch ein Manifest
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und durch eine Deputation der "Verfassungsfreunde". "Freunde der Verfassung", so nannten sich die
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Trümmer der Koterie des "National", <a name="S68"><b><68></b></a> der
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bourgeoisrepublikanischen Partei. Während von ihren übriggebliebenen parlamentarischen
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Repräsentanten sechs <i>gegen</i>, die anderen insgesamt <i>für</i> die Verwerfung des
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Anklageakts gestimmt hatten, während <i>Cavaignac</i> der Partei der Ordnung seinen
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Säbel zur Verfügung stellte, ergriff der größere außerparlamentarische
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Teil der Koterie gierig den Anlaß, aus seiner politischen Pariastellung herauszutreten und
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sich in die Reihen der demokratischen Partei zu drängen. Erschienen sie nicht als die
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natürlichen Schildhalter dieser Partei, die sich unter ihren Schild versteckte, unter ihr
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<i>Prinzip</i>, unter die <i>Konstitution</i>?</p>
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<p>Bis Tagesanbruch kreißte der "Berg". Er gebar <i>"eine Proklamation an das Volk"</i>,
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die am Morgen des 13. Juni in zwei sozialistischen Journalen eine mehr oder minder
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verschämte Stelle einnahm. Sie erklärte den Präsidenten, die Minister, die
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Majorität der gesetzgebenden Versammlung <i>"außerhalb der Konstitution"</i> (hors la
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constitution) und rief die Nationalgarde, die Armee und schließlich auch das Volk auf,
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"sich zu erheben". <i>"Es lebe die Konstitution!"</i> war die Parole, die sie austeilte, Parole,
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die nichts anderes hieß, als <i>"Nieder mit der Revolution!"</i></p>
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<p>Der konstitutionellen Proklamation des Berges entsprach am 13. Juni eine sogenannte
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<i>friedliche Demonstration</i> der Kleinbürger, d.h. eine Straßenprozession vom
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Château d'Eau durch die Boulevards, 30.000 Mann, meist Nationalgarden, unbewaffnet,
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untermischt mit Mitgliedern der geheimen Arbeitersektionen, sich hinwälzend unter dem Rufe:
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<i>"Es lebe die Konstitution!"</i>, mechanisch, eiskalt, mit bösem Gewissen
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ausgestoßen von den Mitgliedern des Zuges selbst, vom Echo des Volkes, das auf den
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Trottoirs wogte, ironisch zurückgeworfen, statt donnerartig aufzuschwellen. Es fehlte dem
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vielstimmigen Gesang die Bruststimme. Und als der Zug vor dem Sitzungsgebäude der
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"Verfassungsfreunde" vorbeischwankte und auf dem Giebel des Hauses ein gedungener
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Verfassungsherold erschien, der mit seinem Claqueurhut gewaltig die Lüfte durchsägte
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und aus einer ungeheuren Lunge das Stichwort <i>"Es lebe die Konstitution"</i> hageldick auf die
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Köpfe der Wallfahrer niederplumpen ließ, schienen sie selbst einen Augenblick von der
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Komik der Situation überwältigt. Es ist bekannt, wie der Zug, angekommen an der
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Mündung der rue de la Paix, in den Boulevards von den Dragonern und Jägern Changarniers
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durchaus unparlamentarisch empfangen, in einem Nu nach allen Seiten hin auseinanderstob und den
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spärlichen Ruf "zu den Waffen" nur noch hinter sich warf, damit der parlamentarische
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Waffenruf vom 11. Juni sich erfülle.</p>
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<p>Die Mehrzahl der in der rue du Hasard versammelten Montagne verlief sich, als diese gewaltsame
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Zersprengung der friedlichen Prozession, als dumpfe Gerüchte vom Morde unbewaffneter
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Bürger auf den Boulevards, als der wach- <a name="S69"><b><69></b></a> sende
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Straßentumult das Herannahen einer Emeute zu verkünden schienen. <i>Ledru-Rollin</i>,
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an der Spitze einer kleinen Schar von Deputierten, rettete die Ehre des Berges. Unter dem Schutze
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der Pariser Artillerie, die sich im Palais National versammelt hatte, begaben sie sich nach dem
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Conservatoire des arts et métiers <Kunst- und Gewerbemuseum>, wo die 5. und 6.
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Legion der Nationalgarde eintreffen sollte. Aber die Montagnards harrten vergeblich auf die 5.
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und 6. Legion; diese vorsichtigen Nationalgarden ließen ihre Repräsentanten im Stich,
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die Pariser Artillerie selbst verhinderte das Volk, Barrikaden aufzuwerfen, ein chaotisches
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Durcheinander machte jeden Beschluß unmöglich, die Linientruppen rückten an mit
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gefälltem Bajonett, ein Teil der Repräsentanten wurde gefangengenommen, ein anderer
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entkam. So endete der 13. Juni.</p>
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<p>Wenn der 23. Juni 1848 die Insurrektion des revolutionären Proletariats, war der 13. Juni
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1849 die Insurrektion der demokratischen Kleinbürger, jede dieser beiden Insurrektionen der
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<i>klassisch-reine</i> Ausdruck der Klasse, von der sie getragen wurde.</p>
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<p>Nur zu Lyon kam es zu einem hartnäckigen, blutigen Konflikt. Hier, wo sich die
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industrielle Bourgeoisie und das industrielle Proletariat unvermittelt gegenüberstehen, wo
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die Arbeiterbewegung nicht wie in Paris von der allgemeinen Bewegung eingefaßt und bestimmt
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ist, verlor der 13. Juni im Rückschlage den ursprünglichen Charakter. Wo er sonst in
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die Provinzen einschlug, zündete er nicht - ein <i>kalter Blitz</i>.</p>
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<p>Der 13. Juni schließt die erste <i>Lebensperiode der konstitutionellen Republik</i>, die
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am 28. Mai 1849 mit dem Zusammentritt der legislativen Versammlung ihre normale Existenz gewonnen
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hatte. Die ganze Dauer dieses Prologs ist erfüllt von dem geräuschvollen Kampfe
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zwischen der Partei der Ordnung und der Montagne, zwischen der Bourgeoisie und dem
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Kleinbürgertum, das sich vergebens gegen die Festsetzung der Bourgeoisrepublik sträubt,
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für welche es selbst in der provisorischen Regierung, in der Exekutivkommission
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ununterbrochen konspiriert, für welche es während der Junitage sich fanatisch gegen das
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Proletariat geschlagen hatte. Der 13. Juni bricht seinen Widerstand und macht die <i>legislative
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Diktatur</i> der vereinigten Royalisten zu einem fait accompli <zu einer vollendeten
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Tatsache>. Von diesem Augenblick an ist die Nationalversammlung nur noch ein
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<i>Wohlfahrtsausschuß der Partei der Ordnung</i>.</p>
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<p>Paris hatte den Präsidenten, die Minister und die Majorität der Nationalversammlung
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in <i>"Anklagezustand"</i> versetzt, sie versetzten Paris in <i>"Belagerungszustand"</i>. Der
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Berg hatte die Majorität der legislativen Versammlung <i>"außerhalb der
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Konstitution"</i> erklärt, wegen Verletzung der Konstitution über- <a name=
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"S70"><b><70></b></a> antwortete die Majorität den Berg der haute-cour <dem
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Hochgericht> und proskribierte alles, was noch Lebenskraft in ihm besaß. Bis auf einen
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kopf- und herzlosen Rumpf wurde er dezimiert. Die Minorität war bis zum Versuche einer
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<i>parlamentarischen Insurrektion</i> gegangen, die Majorität erhob ihren
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|
<i>parlamentarischen Despotismus</i> zum Gesetz. Sie dekretierte eine neue
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<i>Geschäftsordnung</i>, welche die Freiheit der Tribüne vernichtet und den
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Präsidenten der Nationalversammlung befugt, wegen Verletzung der Ordnung die
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|
Repräsentanten mit Zensur, mit Geldstrafen, mit Entziehung der Indemnitätsgelder, mit
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zeitweiliger Expulsion, mit dem Karzer zu bestrafen. Über den Rumpf des Berges hing sie
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statt des Schwertes die Rute. Der Rest der Bergdeputierten hätte seiner Ehre geschuldet, in
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|
Masse auszutreten. Durch einen solchen Akt wurde die Auflösung der Partei der Ordnung
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beschleunigt. Sie mußte in ihre ursprünglichen Bestandteile zerfallen von dem
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|
Augenblick, wo auch nicht mehr der Schein eines Gegensatzes sie zusammenhielt.</p>
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<p>Gleichzeitig mit ihrer <i>parlamentarischen</i>, wurden die demokratischen Kleinbürger
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ihrer <i>bewaffneten</i> Macht beraubt durch Auflösung der Pariser Artillerie wie der 8., 9.
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|
und 12. Legion der Nationalgarde. Die Legion der hohen Finanz dagegen, welche am 13. Juni die
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||
|
Druckereien von Boulé und Roux überfallen, die Pressen zertrümmert, die
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|
Büros der republikanischen Journale verwüstet, Redakteure, Setzer, Drucker,
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Expedienten, Laufburschen willkürlich verhaftet hatte, erhielt von der Tribüne der
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||
|
Nationalversammlung herab ermunternden Zuspruch. Auf der ganzen Oberfläche von Frankreich
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|
wiederholte sich die Auflösung der des Republikanismus verdächtigen Nationalgarden.</p>
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<p>Neues <i>Preßgesetz</i>, neues <i>Assoziationsgesetz</i>, neues
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|
<i>Belagerungszustandsgesetz</i>, die Gefängnisse von Paris überfüllt, die
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||
|
politischen Flüchtlinge verjagt, alle Journale, die über die Grenzen des "National"
|
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|
hinausgehen, suspendiert, Lyon und die fünf umliegenden Departements den brutalen Schikanen
|
||
|
des Militärdespotismus preisgegeben, die Parketts allgegenwärtig, das so oft gereinigte
|
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|
Heer der Beamten noch einmal gereinigt - es waren dies die unvermeidlichen, die stets
|
||
|
wiederkehrenden <i>Gemeinplätze</i> der siegreichen Reaktion, nach den Massacres und den
|
||
|
Deportationen des Juni nur noch erwähnenswert, weil sie diesmal nicht nur gegen Paris,
|
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|
sondern auch gegen die Departements, nicht nur gegen das Proletariat, sondern vor allem gegen die
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|
Mittelklassen gerichtet waren.</p>
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|
<p>Die Repressionsgesetze, wodurch die Verhängung des Belagerungszustandes dem Gutachten der
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Regierung anheimgestellt, die Presse noch fester <a name="S71"><b><71></b></a> geknebelt
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und das Assoziationsrecht vernichtet wurde, absorbierten die ganze legislative Tätigkeit der
|
||
|
Nationalversammlung während der Monate Juni, Juli und August.</p>
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|
<p>Indes wird diese Epoche charakterisiert nicht durch die <i>tatsächliche</i>, sondern
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||
|
durch die <i>prinzipielle</i> Ausbeutung des Sieges, nicht durch die Beschlüsse der
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|
Nationalversammlung, sondern durch die Motivierung dieser Beschlüsse, nicht durch die Sache,
|
||
|
sondern durch die Phrase, nicht durch die Phrase, sondern durch den Akzent und die Geste, welche
|
||
|
die Phrase beleben. Das rücksichtslos unverschämte Aussprechen der <i>royalistischen
|
||
|
Gesinnung</i>, der verächtlich vornehme Insult gegen die Republik, das kokettierend frivole
|
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|
Ausplaudern der Restaurationszwecke, mit einem Wort, die renommistische Verletzung des
|
||
|
<i>republikanischen Anstandes</i> geben dieser Periode eigentümlichen Ton und Färbung.
|
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Es lebe die Konstitution! war der Schlachtruf der <i>Besiegten</i> des 13. Juni. Die
|
||
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<i>Sieger</i> waren also entbunden von der Heuchelei der konstitutionellen, d.h. der
|
||
|
republikanischen Sprache. Die Kontrerevolution unterwarf Ungarn, Italien, Deutschland, und sie
|
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glaubten die Restauration schon vor den Toren von Frankreich. Es entspann sich eine wahre
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Konkurrenz unter den Reigenführern der Ordnungsfraktionen, ihren Royalismus durch den
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"Moniteur" zu dokumentieren und ihre etwaigen unter der Monarchie begangenen liberalen
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Sünden zu beichten, zu bereuen, vor Gott und vor den Menschen abzubitten. Kein Tag verging,
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ohne daß die Februarrevolution auf der Tribüne der Nationalversammlung für ein
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öffentliches Unglück erklärt wurde, ohne daß ein beliebiger legitimistischer
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Provinzialkrautjunker feierlich konstatierte, die Republik niemals anerkannt zu haben, ohne
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daß einer der feigen Ausreißer und Verräter der Julimonarchie die
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nachträglichen Heldentaten erzählte, an deren Vollbringung ihn nur die Philanthropie
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Louis-Philippes oder andere Mißverständnisse verhindert hatten. Was an den
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Februartagen zu bewundern, es war nicht die Großmut des siegreichen Volkes, sondern die
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Selbstaufopferung und Mäßigung der Royalisten, welche ihm erlaubt hatten zu siegen.
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Ein Volksrepräsentant schlug vor, einen Teil der für die Februarverwundeten bestimmten
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Unterstützungsgelder den <i>Munizipalgarden</i> zuzuwenden, die sich allein an jenen Tagen
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um das Vaterland verdient gemacht. Ein anderer wollte dem Herzog von Orléans eine
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Reiterstatue auf dem Karussellplatz dekretiert wissen. Thiers nannte die Konstitution ein
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schmutziges Stück Papier. Der Reihe nach erschienen auf der Tribüne Orleanisten, um
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ihre Konspiration gegen das legitime Königtum zu bereuen, Legitimisten, die sich vorwarfen,
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durch Auflehnen gegen das illegitime Königtum den Sturz des Königtums überhaupt
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beschleunigt, Thiers, der bereute, gegen Molé, Molé, der bereute gegen Guizot,
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Barrot, der bereute, gegen alle drei intrigiert <a name="S72"><b><72></b></a> zu haben. Der
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Ruf: "Es lebe die sozial-demokratische Republik!" wurde für unkonstitutionell erklärt;
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der Ruf: "Es lebe die Republik!" als sozial-demokratisch verfolgt. An dem Jahrestage der Schlacht
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von Waterloo erklärte ein Repräsentant: "Ich fürchte weniger die Invasion der
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Preußen als den Eintritt der revolutionären Flüchtlinge in Frankreich." Den
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Klagen über den Terrorismus, der in Lyon und in den benachbarten Departements organisiert
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sei, antwortete Baraguey-d'Hilliers: "Ich ziehe den blassen Schrecken dem roten Schrecken vor."
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(J'aime mieux la terreur blanche que la terreur rouge). Und die Versammlung klatschte jedesmal
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frenetischen Beifall, sooft ein Epigramm gegen die Republik, gegen die Revolution, gegen die
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Konstitution, für das Königtum, für die Heilige Allianz von den Lippen ihrer
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Redner fiel. Jede Verletzung der kleinsten republikanischen Formalitäten, z.B. der Anrede
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der Repräsentanten mit "Citoyens" enthusiasmierte die Ritter von der Ordnung.</p>
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<p>Die Pariser Nachwahlen vom 8. Juli, vorgenommen unter dem Einfluß des
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Belagerungszustandes und der Enthaltung eines großen Teiles des Proletariats von der
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Stimmurne, die Einnahme Roms durch die französische Armee, der Einzug der roten Eminenzen
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und in ihrem Gefolge die Inquisition und der Mönchsterrorismus in Rom fügten neue Siege
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dem Siege vom Juni hinzu und steigerten den Rausch der Ordnungspartei.</p>
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<p>Endlich Mitte August, halb in der Absicht, den eben versammelten Departementsräten
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beizuwohnen, halb ermüdet von der vielmonatlichen Tendenzorgie, dekretierten die Royalisten
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eine zweimonatliche Vertagung der Nationalversammlung. Eine Kommission von 25
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Repräsentanten, die Creme der Legitimisten und Orleanisten, einen Molé, Changarnier
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ließen sie mit durchsichtiger Ironie als Stellvertreter der Nationalversammlung und als
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<i>Wächter der Republik</i> zurück. Die Ironie war tiefer als sie ahnten. Sie, von der
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Geschichte verurteilt, das Königtum, das sie liebten, stürzen zu helfen, waren von ihr
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bestimmt, die Republik, die sie haßten, zu konservieren.</p>
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<p>Mit der <i>Vertagung</i> der legislativen Versammlung <i>schließt die zweite
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Lebensperiode der konstitutionellen Republik</i>, ihre <i>royalistische Flegelperiode</i>.</p>
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<p>Der Belagerungszustand von Paris war wieder aufgehoben, die Aktion der Presse hatte wieder
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begonnen. Während der Suspension der sozialdemokratischen Blätter, während der
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Periode der Repressivgesetzgebung und der royalistischen Poltereien <i>republikanisierte</i> sich
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der "Siècle", der alte literarische Repräsentant der <i>monarchisch-konstitutionellen
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Kleinbürger</i>, <i>demokratisierte</i> sich die "Presse", der alte literarische Ausdruck
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der <i>bürgerlichen Reformers</i>, sozialisierte sich der "National", das alte klassische
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Organ der <i>republikanischen Bourgeois</i>.</p>
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<p><b><a name="S73"><73></a></b> Die <i>geheimen Gesellschaften</i> wuchsen an Ausdehnung
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und Intensität in dem Maße, als die <i>öffentlichen Klubs</i> unmöglich
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wurden. Die industriellen <i>Arbeiterassoziationen</i>, als reine Handelskompanien geduldet,
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ökonomisch nichtig, wurden politisch ebenso viele Bindemittel des Proletariats. Der 13. Juni
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hatte den verschiedenen halbrevolutionären Parteien die offiziellen Köpfe abgeschlagen,
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die übrigbleibenden Massen gewannen ihren eigenen Kopf. Die Ordnungsritter hatten mit den
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geweissagten Schrecken der roten Republik eingeschüchtert, die gemeinen Exzesse, die
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hyperboreischen Greuel der siegreichen Kontrerevolution in Ungarn, in Baden, in Rom wuschen die
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<i>"rote Republik"</i> weiß. Und die malkontenten Zwischenklassen der französischen
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Gesellschaft begannen die Verheißungen der roten Republik mit ihren problematischen
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Schrecken, den Schrecken der roten Monarchie mit ihrer tatsächlichen Hoffnungslosigkeit
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vorzuziehen. Kein Sozialist machte in Frankreich mehr revolutionäre Propaganda als
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<i>Haynau</i>. A chaque capacité selon ses œuvres. <Jedem nach seinen
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Taten.></p>
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<p>Unterdessen beutete Louis Bonaparte die Ferien der Nationalversammlung aus, um prinzliche
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Reisen in den Provinzen zu machen, die heißblütigsten Legitimisten pilgrimten nach Ems
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zu dem Enkel des heiligen Ludwig, und die Masse der ordnungsfreundlichen Volksrepräsentanten
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intrigierte in den Departementsräten, die eben zusammengekommen waren. Es galt, sie
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aussprechen zu machen, was die Majorität der Nationalversammlung noch nicht auszusprechen
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wagte, den <i>Dringlichkeitsantrag auf unmittelbare Revision der Verfassung</i>. Der Konstitution
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gemäß konnte die Verfassung erst 1852 revidiert werden durch eine eigens zu diesem
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Behufe zusammengerufene Nationalversammlung. Wenn aber die Mehrzahl der Departementsräte in
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diesem Sinne sich aussprach, mußte die Nationalversammlung nicht der Stimme Frankreichs die
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Jungfräulichkeit der Konstitution opfern? Die Nationalversammlung hegte dieselben Hoffnungen
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von diesen Provinzialversammlungen, welche die Nonnen in Voltaires "Henriade" von den Panduren
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hegten. Aber die Potiphars der Nationalversammlung hatten es, einige Ausnahmen abgerechnet, mit
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ebenso vielen Josephs der Provinzen zu tun. Die ungeheure Mehrzahl wollte die zudringliche
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Insinuation nicht verstehen. Die Revision der Verfassung wurde vereitelt durch die Werkzeuge
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selbst, wodurch sie ins Leben gerufen werden sollte, durch die Abstimmungen der
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Departementsräte. Die Stimme Frankreichs, und zwar des bürgerlichen Frankreichs, hatte
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gesprochen und hatte gegen die Revision gesprochen.</p>
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<p>Anfang Oktober trat die legislative Nationalversammlung wieder zusammen - tantum mutatus ab
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illo <wie anders seit damals>. Ihre Physiognomie war durchaus verändert. <a name=
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"S74"><b><74></b></a> Die unerwartete Verwerfung der Revision von seiten der
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Departementsräte hatte sie in die Grenzen der Konstitution zurück und auf die Grenzen
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ihrer Lebensdauer hingewiesen. Die Orleanisten waren mißtrauisch geworden durch die
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Wallfahrten der Legitimisten nach Ems, die Legitimisten hatten Verdacht geschöpft aus den
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Verhandlungen der Orleanisten mit London, die Journale beider Fraktionen hatten das Feuer
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geschürt und die wechselseitigen Ansprüche ihrer Prätendenten abgewogen.
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Orleanisten und Legitimisten vereint grollten über die Umtriebe der Bonapartisten, die in
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den prinzlichen Reisen hervortraten, in den mehr oder minder durchsichtigen
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Emanzipationsversuchen des Präsidenten, in der anspruchsvollen Sprache der bonapartistischen
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Zeitungen; Louis Bonaparte grollte über eine Nationalversammlung, die nur die
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legitimistisch-orleanistische Konspiration gerecht erfand, über ein Ministerium, das ihn
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beständig an diese Nationalversammlung verriet. Das Ministerium endlich war in sich selbst
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gespalten über die römische Politik und über die von dem Minister <i>Passy</i>
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vorgeschlagene, von den Konservativen als sozialistisch verschriene <i>Einkommensteuer</i>.</p>
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<p>Eine der ersten Vorlagen des Ministeriums Barrot an die wiederversammelte Legislative war eine
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Kreditforderung von 300.000 frs. zur Zahlung des Witwengehaltes der <i>Herzogin von
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Orléans</i>. Die Nationalversammlung bewilligte es und fügte dem Schuldregister der
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französischen Nation eine Summe von 7 Millionen frs. hinzu. Während so Louis-Philippe
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mit Erfolg die Rolle des "pauvre honteux", des verschämten Bettlers fortspielte, wagte das
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Ministerium weder die Gehaltszulage für Bonaparte zu beantragen, noch schien die Versammlung
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geneigt, sie zu geben. Und Louis Bonaparte schwankte wie von jeher im Dilemma: <i>Aut Caesar aut
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Clichy!</i> <<i>Entweder Cäsar oder Clichy!</i> (<i>Clichy -</i> Pariser Gefängnis
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für bankrotte, zahlungsunfähige Schuldner)></p>
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<p>Die zweite Kreditforderung des Ministers von 9 Millionen frs. für <i>die Kosten der
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römischen Expedition</i> vermehrte die Spannung zwischen Bonaparte einerseits und den
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Ministern und der Nationalversammlung andererseits. Louis Bonaparte hatte einen Brief an seinen
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Ordonnanzoffizier Edgar Ney in den "Moniteur" eingerückt, worin er die päpstliche
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Regierung an konstitutionelle Garantien band. Der Papst seinerseits hatte eine Ansprache
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erlassen: "motu proprio", worin er jede Beschränkung der restaurierten Herrschaft
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zurückwies. Der Brief Bonapartes lüftete mit absichtlicher Indiskretion den Vorhang
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seines Kabinetts, um sich selbst als wohlwollendes, aber im eigenen Hause verkanntes und
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gefesseltes Genie den Blicken der Galerie auszusetzen. Er kokettierte nicht das erstemal mit den
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|
"verstohlenen Flügel- <a name="S75"><b><75></b></a> schlägen einer freien Seele".
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<i>Thiers</i>, der Berichterstatter der Kommission, ignorierte vollständig Bonapartes
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Flügelschlag und begnügte sich, die päpstliche Allokution französisch zu
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verdolmetschen. Nicht das Ministerium, sondern <i>Victor Hugo</i> suchte den Präsidenten zu
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|
retten durch eine Tagesordnung, worin die Nationalversammlung ihre Zustimmung zu dem Briefe
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Napoleons aussprechen sollte. <i>Allons donc! Allons donc!</i> <<i>Ach gehn Sie! Ach gehn
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Sie!</i>> Unter dieser unehrerbietig leichtfertigen Interjektion begrub die Majorität den
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Antrag Hugos. Die Politik des Präsidenten? Der Brief des Präsidenten? Der
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Präsident selbst? <i>Allons donc! Allons donc!</i> Wer Teufel nimmt denn Monsieur Bonaparte
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au serieux <ernst> ? Glauben Sie, Monsieur Victor Hugo, daß wir Ihnen glauben,
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daß Sie an den Präsidenten glauben? <i>Allons donc! Allons donc!</i></p>
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<p>Endlich wurde der Bruch zwischen Bonaparte und der Nationalversammlung beschleunigt durch die
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Diskussion über die <i>Rückberufung der Orléans und Bourbons</i>. In Ermangelung
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des Ministeriums hatte der Vetter des Präsidenten, der Sohn des Exkönigs von Westfalen,
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diesen Antrag gestellt, der nichts anderes bezweckte, als die legitimistischen und
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orleanistischen Prätendenten auf gleiche Stufe oder vielmehr <i>unter</i> den
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bonapartistischen Prätendenten herabzudrücken, der wenigstens faktisch auf dem Gipfel
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des Staates stand.</p>
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<p>Napoleon Bonaparte war unehrerbietig genug, die <i>Zurückberufung der verjagten
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Königsfamilien</i> und die <i>Amnestie der Juniinsurgenten</i> zu Gliedern eines und
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desselben Antrages zu machen. Die Indignation der Majorität nötigte ihn sofort, diese
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frevelhafte Verkettung des Heiligen und des Verruchten, der Königsracen und der
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proletarischen Brut, der Fixsterne der Gesellschaft und ihrer Sumpflichter abzubitten und jedem
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der beiden Anträge den ihm gebührenden Rang anzuweisen. Energisch stieß sie die
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Zuruckrufung der königlichen Familie zurück, und <i>Berryer,</i> der Demosthenes der
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|
Legitimisten, ließ keinen Zweifel über den Sinn dieses Votums. Die bürgerliche
|
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|
Degradation der Prätendenten, das ist es, was man bezweckt! Man will sie des Heiligenscheins
|
||
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berauben, der letzten Majestät, die ihnen geblieben ist, der <i>Majestät des Exils</i>!
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||
|
Was, rief Berryer aus, würde man von dem unter den Prätendenten denken, der, seinen
|
||
|
erlauchten Ursprung vergessend, hierher käme, um als einfacher Privatmann zu leben!
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|
Deutlicher konnte dem Louis Bonaparte nicht gesagt werden, daß er durch seine Gegenwart
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nicht gewonnen hatte, daß, wenn die koalisierten Royalisten ihn hier in Frankreich als
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<i>neutralen Mann</i> auf dem Präsidentenstuhl brauchten, die ernsthaften
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Kronprätendenten durch die Nebel des Exils den profanen Blicken entrückt bleiben
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|
mußten.</p>
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<p>Am 1. November antwortete Louis Bonaparte der legislativen Versamm- <a name=
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"S76"><b><76></b></a> lung durch eine Botschaft, welche in ziemlich barschen Worten die
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|
Entlassung des Ministeriums Barrot und die Bildung eines neuen Ministeriums anzeigte. Das
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Ministerium Barrot-Falloux war das Ministerium der royalistischen Koalition, das Ministerium
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d'Hautpoul war das Ministerium Bonapartes, das Organ des Präsidenten gegenüber der
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legislativen Versammlung, das <i>Ministerium der Kommis</i>.</p>
|
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<p>Bonaparte war nicht mehr der bloß <i>neutrale Mann</i> des 10. Dezembers 1848. Der
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Besitz der exekutiven Gewalt hatte eine Anzahl von Interessen um ihn gruppiert, der Kampf mit der
|
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|
Anarchie zwang die Partei der Ordnung selbst, seinen Einfluß zu vermehren, und wenn er
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<i>nicht mehr</i> populär war, war sie <i>unpopulär</i>. Die Orleanisten und
|
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Legitimisten, konnte er nicht hoffen, durch ihre Rivalität wie durch die Notwendigkeit
|
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irgendeiner monarchischen Restauration sie zur Anerkennung des <i>neutralen Prätendenten</i>
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|
zu zwingen?</p>
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<p>Vom 1. November 1849 datiert die dritte Lebensperiode der konstitutionellen Republik, Periode,
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die mit dem 10. März 1850 schließt. Nicht nur beginnt das regelmäßige Spiel
|
||
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der konstitutionellen Institutionen, das Guizot so sehr bewundert, der Krakeel zwischen der
|
||
|
exekutiven und gesetzgebenden Gewalt. Den Restaurationsgelüsten der vereinigten Orleanisten
|
||
|
und Legitimisten gegenüber vertritt Bonaparte den Titel seiner tatsächlichen Macht, die
|
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Republik; den Restaurationsgelüsten Bonapartes gegenüber vertritt die Partei der
|
||
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Ordnung den Titel ihrer gemeinsamen Herrschaft, die Republik; den Orleanisten gegenüber
|
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vertreten die Legitimisten, den Legitimisten gegenüber vertreten die Orleanisten den Status
|
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quo, die Republik. Alle diese Fraktionen der Ordnungspartei, deren jede ihren eigenen König
|
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und ihre eigene Restauration in petto hat, machen wechselseitig den Usurpations- und
|
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Erhebungsgelüsten ihrer Rivalen gegenüber die gemeinsame Herrschaft der Bourgeoisie,
|
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die Form geltend, worin die besonderen Ansprüche neutralisiert und vorbehalten bleiben -
|
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<i>die Republik</i>.</p>
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<p>Wie Kant die Republik als einzig rationelle Staatsform zu einem Postulat der praktischen
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Vernunft macht, deren Verwirklichung nie erreicht wird, deren Erreichung aber stets als Ziel
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angestrebt und in der Gesinnung festgehalten werden muß, so diese Royalisten <i>das
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Königtum</i>.</p>
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<p>So wurde de konstitutionelle Republik, als hohle ideologische Formel aus den Händen der
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Bourgeoisrepublikaner hervorgegangen, in den Händen der koalisierten Royalisten zur
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inhaltsvollen lebendigen Form. Und Thiers sprach wahrer, als er ahnte, wenn er sagte: "Wir, die
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Royalisten, sind die wahren Stützen der konstitutionellen Republik."</p>
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<p>Der Sturz des Ministeriums der Koalition, das Erscheinen des Ministeriums der Kommis hat eine
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zweite Bedeutung. Sein Finanzminister hieß <a name="S77"><b><77></b></a>
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<i>Fould</i>. Fould Finanzminister, das ist die offizielle Preisgebung des französischen
|
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Nationalreichtums an die Börse, die Verwaltung des Staatsvermögens durch die Börse
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und im Interesse der Börse. Mit der Ernennung Foulds zeigte die Finanzaristokratie ihre
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|
Restauration im "Moniteur" an. Diese Restauration ergänzte notwendig die übrigen
|
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|
Restaurationen, die ebenso viele Ringe an der Kette der konstitutionellen Republik bilden.</p>
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<p>Louis-Philippe hatte nie gewagt, einen wirklichen loup-cervier (Börsenwolf) zum
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Finanzminister zu machen. Wie sein Königtum der ideale Name für die Herrschaft der
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hohen Bourgeoisie war, mußten in seinen Ministerien die privilegierten Interessen
|
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ideologisch-uninteressierte Namen tragen. Die Bourgeoisrepublik trieb überall in den
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Vordergrund, was die verschiedenen Monarchien, die legitimistische wie die orleanistische, im
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Hintergrund versteckt hielten. Sie verirdischte, was jene verhimmelt hatten. An die Stelle der
|
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Heiligennamen setzte sie die bürgerlichen Eigennamen der herrschenden Klasseninteressen.</p>
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<p>Unsere ganze Darstellung hat gezeigt, wie die Republik vom ersten Tage ihres Bestehens an die
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Finanzaristokratie nicht stürzte, sondern befestigte. Aber die Konzessionen, die man ihr
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machte, waren ein Schicksal, dem man sich unterwarf, ohne es herbeiführen zu wollen. Mit
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|
Fould fiel die Regierungsinitiative an die Finanzaristokratie zurück.</p>
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<p>Man wird fragen, wie die koalisierte Bourgeoisie die Herrschaft der Finanz ertragen und dulden
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konnte, die unter Louis-Philippe auf der Ausschließung oder Unterordnung der übrigen
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Bourgeoisfraktionen beruhte?</p>
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<p>Die Antwort ist einfach.</p>
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<p>Zunächst bildet die Finanzaristokratie selbst einen maßgebend gewichtigen Teil der
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royalistischen Koalition, deren gemeinsame Regierungsgewalt Republik heißt. Sind nicht die
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Wortführer und Kapazitäten der Orleanisten die alten Verbündeten und Mitschuldigen
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der Finanzaristokratie? Ist sie selbst nickt die goldene Phalanx des Orleanismus? Was die
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Legitimisten betrifft, schon unter Louis-Philippe hatten sie sich praktisch an allen Orgien der
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Börsen-, Minen- und Eisenbahnspekulationen beteiligt. Überhaupt ist die Verbindung des
|
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|
großen Grundeigentums mit der hohen Finanz ein <i>normales Faktum</i>. Beweis:
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<i>England</i>, Beweis: selbst <i>Österreich</i>.</p>
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<p>In einem Lande wie Frankreich, wo die Größe der nationalen Produktion in
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unverhältnismäßig untergeordnetem Maße zur Größe der
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Nationalschuld steht, wo die Staatsrente den bedeutendsten Gegenstand der Spekulation und die
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Börse den Hauptmarkt für die Anlegung des Kapitals bildet, das sich auf eine
|
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|
unproduktive Weise verwerten will, in einem solchen Land muß eine zahllose Masse von Leuten
|
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|
aus allen bürgerlichen oder halbbürgerlichen Klas- <a name="S78"><b><78></b></a>
|
||
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sen an der Staatsschuld, am Börsenspiel, an der Finanz beteiligt sein. Alle diese
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subalternen Beteiligten, finden sie nicht ihre natürlichen Stützen und Befehlshaber in
|
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der Fraktion, die dieses Interesse in den kolossalsten Umrissen, die es im großen und
|
||
|
ganzen vertritt?</p>
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<p>Das Heimfallen des Staatsvermögens an die hohe Finanz, wodurch ist es bedingt? Durch die
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beständig anwachsende Verschuldung des Staates. Und die Verschuldung des Staates? Durch das
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beständige Übergewicht seiner Ausgaben über seine Einnahmen, ein
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Mißverhältnis, welches zugleich die Ursache und die Wirkung des Systems der
|
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Staatsanleihen ist.</p>
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<p>Um dieser Verschuldung zu entgehen, muß der Staat entweder seine Ausgaben
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einschränken, d.h. den Regierungsorganismus vereinfachen, verkürzen, möglichst
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|
wenig regieren, möglichst wenig Personal beschäftigen, möglichst wenig in
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Beziehung zur bürgerlichen Gesellschaft treten. Dieser Weg war unmöglich für die
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Partei der Ordnung, deren Repressionsmittel, deren offizielle Einmischung von Staats wegen, deren
|
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allseitige Gegenwart durch Staatsorgane in demselben Maße zunehmen mußten, als ihre
|
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Herrschaft und die Lebensbedingungen ihrer Klasse vielseitiger bedroht wurden. Man kann die
|
||
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Gendarmerie nicht in demselben Maße vermindern, als die Angriffe auf Personen und Eigentum
|
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sich vermehren.</p>
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<p>Oder der Staat muß die Schulden zu umgehen suchen und ein augenblickliches, aber
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vorübergehendes Gleichgewicht in dem Budget hervorbringen dadurch, daß er
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<i>außerordentliche Steuern</i> auf die Schultern der reichsten Klassen wälzt. Um den
|
||
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Nationalreichtum der Börsenexploitation zu entziehen, sollte die Partei der Ordnung ihren
|
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eigenen Reichtum auf dem Altare des Vaterlandes opfern? Pas si bête! <So dumm ist sie
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nicht!></p>
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<p>Also ohne gänzliche Umwälzung des französischen Staats keine Umwälzung des
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||
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französischen Staatshaushaltes. Mit diesem Staatshaushalt notwendig die Staatsverschuldung,
|
||
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und mit der Staatsverschuldung notwendig die Herrschaft des Staatsschuldenhandels, der
|
||
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Staatsgläubiger, der Bankiers, der Geldhändler, der Börsenwölfe. Nur eine
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||
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Fraktion der Ordnungspartei war direkt am Sturze der Finanzaristokratie beteiligt, die
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<i>Fabrikanten</i>. Wir sprechen nicht von den mittleren, von den kleineren Industriellen, wir
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sprechen von den Regenten des Fabrikinteresses, die unter Louis-Philippe die breite Basis der
|
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dynastischen Opposition gebildet hatten. Ihr Interesse ist unzweifelhaft Verminderung der
|
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Produktionskosten, also Verminderung der Steuern, die in die Produktion, also Verminderung der
|
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Staatsschulden, deren Zinsen in die Steuern eingehen, also Sturz der Finanzaristokratie.</p>
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<p><b><a name="S79"><79></a></b> In England - und die größten französischen
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Fabrikanten sind Kleinbürger gegen ihre englischen Rivalen - finden wir wirklich die
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Fabrikanten, einen Cobden, einen Bright, an der Spitze des Kreuzzuges gegen die Bank und die
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Börsenaristokratie. Warum nicht in Frankreich? In England herrscht die Industrie, in
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Frankreich die Agrikultur vor. In England bedarf die Industrie des free trade
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<Freihandels>, in Frankreich des Schutzzolls, des nationalen Monopols neben den anderen
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Monopolen. Die französische Industrie beherrscht nicht die französische Produktion, die
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französischen Industriellen beherrschen daher nicht die französische Bourgeoisie. Um
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ihr Interesse gegen die übrigen Fraktionen der Bourgeoisie durchzusetzen, können sie
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nicht wie die Engländer an die Spitze der Bewegung treten und gleichzeitig ihr
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Klasseninteresse auf die Spitze treiben; sie müssen in das Gefolge der Revolution treten und
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Interessen dienen, die den Gesamtinteressen ihrer Klasse entgegenstehen. Im Februar hatten sie
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ihre Stellung verkannt, der Februar witzigte sie. Und wer ist direkter bedroht von den Arbeitern
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als der Arbeitgeber, der industrielle Kapitalist? Der Fabrikant wurde daher notwendig in
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Frankreich zum fanatischsten Gliede der Ordnungspartei. Die Schmälerung seines
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<i>Profits</i> durch die Finanz, <i>was ist sie gegen die Aufhebung des Profits durch das
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Proletariat</i>?</p>
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<p>In Frankreich tut der Kleinbürger, was normalerweise der industrielle Bourgeois tun
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müßte; der Arbeiter tut, was normalerweise die Aufgabe des Kleinbürgers
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wäre, und die Aufgabe des Arbeiters, wer löst sie? Niemand. Sie wird nicht in
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Frankreich gelöst, sie wird in Frankreich proklamiert. Sie wird nirgendwo gelöst
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innerhalb der nationalen Wände, der Klassenkrieg innerhalb der französischen
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Gesellschaft schlägt um in einen Weltkrieg, worin sich die Nationen gegenübertreten.
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Die Lösung, sie beginnt erst in dem Augenblick, wo durch den Weltkrieg das Proletariat an
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die Spitze des Volks getrieben wird, das den Weltmarkt beherrscht, an die Spitze Englands. Die
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Revolution, die hier nicht ihr Ende, sondern ihren organisatorischen Anfang findet, ist keine
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kurzatmige Revolution. Das jetzige Geschlecht gleicht den Juden, die Moses durch die Wüste
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führt. Es hat nicht nur eine neue Welt zu erobern, es muß untergehen, um den Menschen
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Platz zu machen, die einer neuen Welt gewachsen sind.</p>
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<p>Kommen wir auf Fould zurück.</p>
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<p>Am 14. November 1849 bestieg Fould die Tribüne der Nationalversammlung und setzte sein
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Finanzsystem auseinander: Apologie des alten Steuersystems! Beibehaltung der Weinsteuer!
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Zurückziehen der Einkommensteuer Passys!</p>
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<p><b><a name="S80"></a><a name="S81"><80></a></b> Auch Passy war kein Revolutionär,
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er war ein alter Minister Louis-Philippes. Er gehörte zu den Puritanern von der Force
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Dufaures und zu den intimsten Vertrauten Testes, des Sündenbocks der Julimonarchie <a name=
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"Z1"></a><a href="me07_064.htm#M1">(1)</a>. Auch Passy hatte das alte Steuersystem gelobt, die Beibehaltung
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der Weinsteuer empfohlen, aber er hatte gleichzeitig den Schleier vom Staatsdefizit weggerissen.
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Er hatte die Notwendigkeit einer neuen Steuer, der Einkommensteuer erklärt, wolle man nicht
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den Staatsbankerott. Fould, der Ledru-Rollin den Staatsbankerott empfahl, empfahl der Legislative
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das Staatsdefizit. Er versprach Ersparungen, deren Geheimnis sich später dahin
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enthüllte, daß sich z.B. die Ausgaben um 60 Millionen verminderten und die schwebende
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Schuld sich um 200 Millionen vermehrte - Taschenspielerkünste in der Gruppierung der Zahlen,
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in der Aufstellung der Rechnungsablage, die alle schließlich auf neue Anleihen
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hinausliefen.</p>
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<p>Unter Fould trat die Finanzaristokratie, neben den übrigen eifersüchtigen
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Bourgeoisfraktionen, natürlich nicht so schamlos korrupt auf wie unter Louis-Philippe. Aber
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einmal war das System dasselbe, stete Vermehrung der Schulden, Verkleidung des Defizits. Und mit
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der Zeit trat die alte Börsenschwindelei unverhüllter hervor. Beweis: das Gesetz
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über die Eisenbahn von Avignon, die mysteriösen Schwankungen der Staatspapiere, einen
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Augenblick das Tagesgespräch von ganz Paris, endlich die mißglückten
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Spekulationen Foulds und Bonapartes auf die Wahlen vom 10. März.</p>
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<p>Mit der offiziellen Restauration der Finanzaristokratie mußte das französische Volk
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bald wieder vor einem 24. Februar ankommen.</p>
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<p>Die Konstituante, in einem Anfall von Misanthropie gegen ihre Erbin, hatte die Weinsteuer
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abgeschafft für das Jahr des Herrn 1850. Mit der Abschaffung alter Steuern konnten neue
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Schulden nicht bezahlt werden. <i>Creton</i>, ein Kretin der Ordnungspartei, hatte die
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Beibehaltung der Weinsteuer schon vor Vertagung der legislativen Versammlung beantragt. Fould
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nahm diesen Antrag auf, im Namen des bonapartistischen Ministeriums, und am 20. Dezember 1849, am
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Jahrestage der Proklamation Bonapartes zum Präsidenten, dekretierte die Nationalversammlung
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die <i>Restauration der Weinsteuer</i>.</p>
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<p>Der Vorredner dieser Restauration war kein Finanzier, es war der Jesuiten- <b><81></b>
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chef <i>Montalembert</i>. Seine Deduktion war schlagend einfach: Die Steuer, das ist die
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Mutterbrust, woran sich die Regierung stillt. Die Regierung, das sind die Werkzeuge der
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Repression, das sind die Organe der Autorität, das ist die Armee, das ist die Polizei, das
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sind die Beamten, die Richter, die Minister, das sind die <i>Priester</i>. Der Angriff auf die
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Steuer, das ist der Angriff der Anarchisten auf die Schildwachen der Ordnung, die die materielle
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und geistige Produktion der bürgerlichen Gesellschaft vor den Eingriffen der proletarischen
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Vandalen beschützen. Die Steuer, das ist der fünfte Gott, neben dem Eigentum, der
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Familie, der Ordnung und der Religion. Und die Weinsteuer ist unstreitig eine Steuer, und zudem
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keine gewöhnliche, sondern eine altherkömmliche, eine monarchisch gesinnte, eine
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respektable Steuer. Vive I'impôt des boissons! Three cheers and one cheer more! <Es lebe
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die Getränkesteuer! Dreimal Hoch und noch einmal Hoch!></p>
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<p>Der französische Bauer, wenn er sich den Teufel an die Wand malt, malt ihn unter der
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Gestalt des Steuerexekutors. Von dem Augenblick an, wo Montalembert die Steuer zum Gott erhob,
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wurde der Bauer gottlos, Atheist, und warf sich dem Teufel in die Arme, dem <i>Sozialismus</i>.
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Die Religion der Ordnung hatte ihn verscherzt, die Jesuiten hatten ihn verscherzt, Bonaparte
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hatte ihn verscherzt. Der 20. Dezember 1849 hatte den 20. Dezember 1848 unwiderruflich
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kompromittiert. Der "Neffe seines Onkels" war nicht der erste seiner Familie, den die Weinsteuer
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schlug, diese Steuer, die nach dem Ausdruck Montalemberts das Revolutionsunwetter wittert. Der
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wirkliche, der große Napoleon erklärte auf St. Helena, daß die
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Wiedereinführung der Weinsteuer mehr zu seinem Sturze beigetragen als alles andere, indem
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sie ihm die Bauern Südfrankreichs entfremdet habe. Schon unter Louis XIV. die Favoritin des
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Volkshasses (siehe die Schriften von Boisguillebert und Vauban), von der ersten Revolution
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abgeschafft, hatte Napoleon sie 1808 unter modifizierter Form wieder eingeführt. Als die
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Restauration in Frankreich einzog, trabten vor ihr her nicht allein die Kosaken, sondern auch die
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Verheißungen von der Abschaffung der Weinsteuer. Die gentilhommene <Der Adel>
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brauchte natürlich der gent taillable à merci et misericorde <dem auf Gnade und
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Ungnade steuerpflichtigen Volk> nicht Wort zu halten. 1830 versprach die Abschaffung der
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Weinsteuer. Es war nicht seine Art, zu tun, was es sagte, und zu sagen, was es tat. 1848
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versprach die Abschaffung der Weinsteuer, wie es alles versprach. Die Konstituante endlich, die
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nichts versprach, machte, wie erwähnt, eine testamentarische Verfügung, wonach die
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Weinsteuer am 1. Januar 1850 verschwinden sollte. Und gerade 10 Tage vor dem 1. Januar 1850
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führte die Legislative sie wieder ein, so daß das französische Volk ihr <a name=
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"S82"><b><82></b></a> beständig nachjagte, und wenn es sie zur Türe
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hinausgeworfen hatte, sie durch das Fenster wieder hereinkommen sah.</p>
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<p>Der populäre Haß gegen die Weinsteuer erklärt sich daraus, daß sie alle
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Gehässigkeiten des französischen Steuersystems in sich vereinigt. Die Weise ihrer
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Erhebung ist gehässig, die Weise ihrer Verteilung ist aristokratisch, denn die
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Steuerprozente sind dieselben für die gewöhnlichsten, wie für die kostbarsten
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Weine. Sie nimmt also in geometrischem Verhältnis zu, wie das Vermögen der Konsumenten
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abnimmt, eine umgekehrte Progressivsteuer. Sie provoziert daher direkt die Vergiftung der
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arbeitenden Klassen als Prämie auf verfälschte und nachgemachte Weine. Sie vermindert
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die Konsumtion, indem sie an den Toren aller Städte über 4.000 Einwohner Oktrois
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errichtet und jede Stadt in ein fremdes Land mit Schutzzöllen gegen den französischen
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Wein verwandelt. Die großen Weinhändler, noch mehr aber die kleinen, die marchands de
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vins, die Weinschenken, deren Erwerb von dem Konsum des Weins unmittelbar abhängt, sind
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ebenso viele erklärte Gegner der Weinsteuer. Und endlich, indem sie den Konsum vermindert,
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schneidet die Weinsteuer der Produktion den Absatzmarkt ab. Während sie die städtischen
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Arbeiter unfähig macht, den Wein zu bezahlen, macht sie die Weinbauern unfähig, ihn zu
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verkaufen. Und Frankreich zählt eine weinbauende Bevölkerung von ungefähr 12
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Millionen. Man begreift daher den Haß des Volks im allgemeinen, man begreift namentlich den
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Fanatismus der Bauern gegen die Weinsteuer. Und zudem sahen sie in ihrer Restauration kein
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vereinzeltes, mehr oder minder zufälliges Ereignis. Die Bauern haben eine eigene Art
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historischer Überlieferung, die vom Vater auf den Sohn vererbt, und in dieser historischen
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Schule munkelte es, daß jede Regierung, solange sie die Bauern betrügen will, die
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Abschaffung der Weinsteuer verspricht, und sobald sie die Bauern betrogen hat, die Weinsteuer
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beibehält oder wieder einführt. An der Weinsteuer erprobt der Bauer das Bukett der
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Regierung, ihre Tendenz. Die Restauration der Weinsteuer am 20. Dezember hieß: <i>Louis
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Bonaparte ist wie die anderen</i>; aber er war nicht wie die anderen, er war eine
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<i>Bauernerfindung</i>, und in den Millionen Unterschriften zählenden Petitionen gegen die
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Weinsteuer nahmen sie die Stimmen zurück, die sie ein Jahr vorher dem "Neffen seines Onkels"
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gegeben hatten.</p>
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<p>Die Landbevölkerung, über zwei Dritteile der französischen
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Gesamtbevölkerung, besteht größtenteils aus sogenannten freien
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<i>Grundeigentümern</i>. Die erste Generation, durch die Revolution von 1789 unentgeltlich
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von den Feudallasten befreit, hatte keinen Preis für die Erde gezahlt. Aber die folgenden
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Generationen zahlten unter der Gestalt des <i>Bodenpreises</i>, was ihre halbleibeigenen
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Vorfahren unter der Form der Rente, der Zehnten, der Fron- <a name="S83"><b><83></b></a>
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dienste usw. gezahlt hatten. Je mehr einerseits die Bevölkerung wuchs, je mehr andererseits
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die Teilung der Erde stieg - um so teurer wurde der Preis der Parzelle, denn mit ihrer Kleinheit
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nahm der Umfang der Nachfrage für sie zu. In dem Verhältnis aber, worin der Preis
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stieg, den der Bauer für die Parzelle zahlte, sei es, daß er sie direkt kaufte oder
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daß er sie von seinen Miterben sich als Kapital anrechnen ließ, in demselben
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Verhältnisse stieg notwendig die <i>Verschuldung des Bauern</i>, d.h. die <i>Hypothek</i>.
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Der auf dem Grund und Boden haftende Schuldtitel heißt nämlich <i>Hypotheke</i>,
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Pfandzettel auf den Grund und Boden. Wie auf dem mittelaltrigen Grundstücke die
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<i>Privilegien</i>, akkumulieren sich auf der modernen Parzelle <i>die Hypotheken</i>. -
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Andererseits: In dem Regime der Parzellierung ist die Erde für ihren Eigentümer ein
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reines <i>Produktionsinstrument</i>. In demselben Maße nun, worin der Grund und Böden
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geteilt wird, nimmt seine Fruchtbarkeit ab. Die Anwendung der Maschinerie auf Grund und Boden,
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die Teilung der Arbeit, die großen Veredlungsmittel der Erde, wie Anlegung von Abzugs- und
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Bewässerungskanälen u.dgl., werden mehr und mehr unmöglich, während die
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<i>falschen Kosten</i> der Bebauung in demselben Verhältnisse wachsen wie die Teilung des
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Produktionsinstrumentes selbst. Alles dies, abgesehen davon, ob der Besitzer der Parzelle Kapital
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besitzt oder nicht. Aber je mehr die Teilung steigt, um so mehr bildet das Grundstück mit
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dem allerjämmerlichsten Inventarium das ganze Kapital des Parzellenbauers, um so mehr
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fällt die Kapitalanlage auf Grund und Boden weg, um so mehr fehlen dem Kotsassen Erde, Geld
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und Bildung, um die Fortschritte der Agronomie anzuwenden, um so mehr macht die Bodenbebauung
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Rückschritte. Endlich vermindert sich <i>der Reinertrag</i> in demselben Verhältnis,
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als der <i>Bruttokonsum</i> wächst, als die ganze Familie des Bauern durch ihren Besitz von
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anderen Beschäftigungen zurückgehalten wird und doch nicht befähigt ist, von ihm
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zu leben.</p>
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<p>In demselben Maße also, worin die Bevölkerung und mit ihr die Teilung des Grund und
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Bodens zunimmt, in demselben Maße <i>verteuert sich das Produktionsinstrument</i>, die
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Erde, und nimmt <i>ihre Fruchtbarkeit</i> ab, in demselben Maße <i>verfällt der
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Ackerbau und verschuldet sich der Bauer</i>. Und was Wirkung war, wird seinerseits zur Ursache.
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Jede Generation läßt die andere verschuldeter zurück, jede neue Generation
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beginnt unter ungünstigeren und erschwerenderen Bedingungen, die Hypothezierung erzeugt die
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Hypothezierung, und wenn es dem Bauer unmöglich wird, in seiner Parzelle ein Unterpfand
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für <i>neue Schulden</i> zu bieten, d.h. sie mit neuen Hypotheken zu belasten, verfällt
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er direkt dem <i>Wucher</i>, um so enormer werden die <i>Wucherzinsen</i>.</p>
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<p>So kam es, daß der französische Bauer unter der Form von <i>Zinsen</i> für die
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auf der Erde haftenden <i>Hypotheken</i>, unter der Form von Zinsen für <i>nicht ver</i>-
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<a name="S84"><b><84></b></a> <i>hypothezierte Vorschüsse des Wuchers</i>, nicht nur
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eine Grundrente, nicht nur den industriellen Profit, mit einem Wort, nicht nur den <i>ganzen
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Reingewinn</i> an den Kapitalisten abtritt, sondern selbst <i>einen Teil des Arbeitslohnes</i>,
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daß er also auf die Stufe des <i>irischen Pächters</i> herabsank - und alles unter dem
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Vorwande, <i>Privateigentümer</i> zu sein.</p>
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<p>Dieser Prozeß wurde in Frankreich beschleunigt durch die stets wachsende
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<i>Steuerlast</i> und durch die <i>Gerichtskosten,</i> teils direkt hervorgerufen durch die
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Formalitäten selbst, womit die französische Gesetzgebung das Grundeigentum umgibt,
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teils durch die unzähligen Konflikte der überall sich begrenzenden und durchkreuzenden
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Parzellen, teils durch die Prozeßwut der Bauern, deren Eigentumsgenuß sich auf die
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fanatische Geltendmachung des vorgestellten Eigentums, des <i>Eigentumsrechts</i>
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beschränkt.</p>
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<p>Nach einer statistischen Aufstellung von 1840 betrug das Bruttoprodukt des französischen
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Grund und Bodens 5.237.178.000 frs. Es gehn hiervon ab 3.552.000.000 frs. für Kosten der
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Bearbeitung, eingeschlossen den Konsum der arbeitenden Menschen. Bleibt ein Nettoprodukt von
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1.685.178.000 frs., wovon 550 Millionen für Hypothekenzinsen, 100 Millionen für
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Justizbeamte, 350 Millionen für Steuern und 107 Millionen für Einschreibungsgeld,
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Stempelgeld, Hypothezierungsgebühren usw. abzuziehen. Bleibt der dritte Teil des
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Nettoprodukts, 538 Millionen, auf den Kopf der Bevölkerung verteilt, noch nicht 25 frs.
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Nettoprodukt. In dieser Rechnung findet natürlich weder der außerhypothekarische
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Wucher sich aufgeführt, noch die Kosten für Advokaten usw.</p>
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<p>Man begreift die Lage der französischen Bauern, als die Republik ihren alten Lasten noch
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neue hinzugefügt hatte. Man sieht, daß ihre Exploitation von der Exploitation des
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industriellen Proletariats sich nur durch die <i>Form</i> unterscheidet. Der Exploiteur ist
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derselbe: <i>das Kapital</i>. Die einzelnen Kapitalisten exploitieren die einzelnen Bauern durch
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die <i>Hypotheke</i> und den <i>Wucher</i>, die Kapitalistenklasse exploitiert die Bauernklasse
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durch die <i>Staatssteuer</i>. Der Eigentumstitel der Bauern ist der Talisman, womit das Kapital
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ihn bisher bannte, der Vorwand, unter dem es ihn gegen das industrielle Proletariat auf hetzte.
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Nur der Fall des Kapitals kann den Bauern steigen machen, nur eine antikapitalistische, eine
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proletarische Regierung kann sein ökonomisches Elend, seine gesellschaftliche Degradation
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brechen. Die <i>konstitutionelle Republik</i>, das ist die Diktatur seiner vereinigten
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Exploiteurs; <i>die sozial-demokratische</i>, <i>die rote</i> Republik, das ist die Diktatur
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||
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seiner Verbündeten. Und die Waage steigt oder fällt je nach den Stimmen, welche der
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Bauer in die Wahlurne wirft. Er selbst hat über sein Schicksal zu entscheiden. - So sprachen
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die Sozialisten in Pamphlets, in Almanachs, in Kalendern, in Flugschriften aller <a name=
|
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"S85"><b><85></b></a> Art. Verständlicher wurde ihm diese Sprache durch die
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|
Gegenschriften der Partei der Ordnung, die sich ihrerseits an ihn wandte und durch die grobe
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Übertreibung, durch die brutale Auffassung und Darstellung der Absichten und Ideen der
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Sozialisten den wahren Bauernton traf und seine Lüsternheit nach der verbotenen Frucht
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überreizte. Am verständlichsten aber sprachen die Erfahrungen selbst, welche die
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Bauernklasse von dem Gebrauch des Stimmrechts gemacht hatte, und die in revolutionärer Hast
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Schlag auf Schlag ihn überstürzenden Enttäuschungen. <i>Die Revolutionen sind die
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Lokomotiven der Geschichte.</i></p>
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<p>Die allmähliche Umwälzung der Bauern trat in verschiedenen Symptomen hervor. Sie
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zeigte sich schon in den Wahlen zur legislativen Versammlung, sie zeigte sich in dem
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Belagerungszustand der fünf Lyon begrenzenden Departements, sie zeigte sich einige Monate
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nach dem 13. Juni in der Wahl eines Montagnards an der Stelle des ehemaligen Präsidenten der
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Chambre introuvable <a name="Z2"></a><a href="me07_064.htm#M2">(2)</a> durch das Departement der Gironde, sie
|
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zeigte sich am 20. Dezember 1849 in der Wahl eines Roten an der Stelle eines verstorbenen
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legitimistischen Deputierten im Departement <i>du Gard</i>, diesem gelobten Lande der
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Legitimisten, der Szene der furchtbarsten Schandtaten gegen die Republikaner 1794 und 1795, dem
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Zentralsitz der terreur blanche <des weißen Terrors> von 1815, wo Liberale und
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Protestanten öffentlich gemordet wurden. Diese Revolutionierung der stationärsten
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Klasse tritt am augenscheinlichsten hervor nach der Wiedereinführung der Weinsteuer. Die
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Regierungsmaßregeln und Gesetze während des Januars und Februars 1850 sind fast
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ausschließlich gegen die <i>Departemente</i> und die <i>Bauern</i> gerichtet. Schlagendster
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|
Beweis ihres Fortschrittes.</p>
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<p><i>Zirkular Hautpouls</i>, wodurch der Gendarm zum Inquisitoren des Präfekten, des
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Unterpräfekten und vor allem des Maire ernannt, wodurch die Spionage bis in die
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Schlupfwinkel der entlegensten Dorfgemeinde organisiert wurde; <i>Gesetz gegen die
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Schulmeister</i>, wodurch sie, die Kapazitäten, die Wortführer, die Erzieher und die
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Dolmetscher der Bauernklasse, der Willkür der Präfekten unterworfen, sie, die
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Proletarier der Gelehrtenklasse, gleich gehetztem Wild aus einer Gemeinde in die andere gejagt
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wurden; <i>Gesetzesvorschlag gegen die Maires</i>, wodurch das Damoklesschwert der Absetzung
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über ihre Häupter verhängt und sie, die Präsidenten der Bauerngemeinden,
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|
jeden Augenblick dem Präsidenten der Republik und der Ordnungspartei gegen- <a name=
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"S86"><b><86></b></a> übergestellt wurden; <i>Ordonnanz</i>, welche die 17
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Militärdivisionen Frankreichs in vier Paschaliks verwandelte und die Kaserne und das Biwak
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den Franzosen als Nationalsalon oktroyierte; <i>Unterrichtsgesetz</i>, wodurch die Ordnungspartei
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die Bewußtlosigkeit und die gewaltsame Verdummung Frankreichs als ihre Lebensbedingung
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unter dem Regime des allgemeinen Wahlrechts proklamierte - was waren alle diese Gesetze und
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Maßregeln? Verzweifelte Versuche, die Departemente und die Bauern der Departemente der
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Partei der Ordnung wieder zu erobern.</p>
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<p>Als <i>Repression</i> betrachtet, jämmerliche Mittel, die ihrem eigenen Zweck den Hals
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umdrehten. Die großen Maßregeln, wie die Beibehaltung der Weinsteuer, der
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45-Centimes-Steuer, die höhnische Verwerfung der Bauernpetitionen um Rückzahlung der
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|
Milliarde usw., alle diese gesetzgeberischen Donnerschläge trafen die Bauernklasse nur
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einmal, im großen, vom Zentralsitz aus; die angeführten Gesetze und Maßregeln
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machten den Angriff und den Widerstand <i>allgemein</i>, zum Tagesgespräch jeder Hütte,
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sie inokulierten die Revolution jedem Dorf, sie <i>lokalisierten und verbauerten die
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Revolution</i>.</p>
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<p>Andererseits, beweisen nicht diese Vorschläge Bonapartes, ihre Annahme von der
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Nationalversammlung, die Einigkeit der beiden Gewalten der konstitutionellen Republik, soweit es
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sich um Repression der Anarchie handelt, d.h. aller Klassen, die sich gegen die Bourgeoisdiktatur
|
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auflehnen? Hatte <i>Soulouque</i> nicht gleich nach seiner barschen Botschaft die Legislative
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seines Dévouements für die Ordnung versichert durch die unmittelbar nachfolgende
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Botschaft <i>Carliers</i>, dieser schmutzig-gemeinen Karikatur Fouchés, wie Louis
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Bonaparte selbst die plattgedrückte Karikatur Napoleons war?</p>
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<p>Das <i>Unterrichtsgesetz</i> zeigt uns die Allianz der jungen Katholiken und der alten
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Voltairianer. Die Herrschaft der vereinigten Bourgeois, konnte sie etwas anderes sein als der
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koalisierte Despotismus der jesuitenfreundlichen Restauration und der freigeistigtuenden
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Julimonarchie? Die Waffen, welche die eine Bourgeoisfraktion gegen die andere unter das Volk
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verteilt hatte in ihrem wechselseitigen Ringen um die Oberherrschaft, mußten sie dem Volke
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nicht wieder entrissen werden, seitdem es ihrer vereinigten Diktatur gegenüberstand? Nichts
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hat den Pariser Boutiquier mehr empört als diese kokette Etalage des <i>Jesuitismus</i>,
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selbst nicht die Verwerfung der concordats à l'amiable.</p>
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<p>Unterdessen gingen die Kollisionen fort zwischen den verschiedenen Fraktionen der
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Ordnungspartei wie zwischen der Nationalversammlung und Bonaparte. Wenig gefiel der
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Nationalversammlung, daß Bonaparte gleich nach seinem coup d'état, nach seiner
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Beschaffung eines eigenen bonapartistischen Ministeriums die neu zu Präfekten ernannten
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Invaliden der Monarchie vor <a name="S87"><b><87></b></a> sich beschied und ihre
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konstitutionswidrige Agitation für seine Wiederwählung als Präsident zur Bedingung
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ihres Amtes machte, daß Carlier seine Inauguration feierte mit der Aufhebung eines
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legitimistischen Klubs, daß Bonaparte ein eigenes Journal "Le Napoleon" stiftete, das die
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geheimen Gelüste des Präsidenten dem Publikum verriet, während seine Minister auf
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der Bühne der Legislativen sie verleugnen mußten; wenig gefiel ihr die trotzige
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Beibehaltung des Ministeriums, ungeachtet ihrer verschiedenen Mißtrauensvota, wenig der
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Versuch, die Gunst der Unteroffiziere durch eine tägliche Zulage von vier Sous und die Gunst
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des Proletariats durch ein Plagiat aus den "Mystères" Eugène Sues zu gewinnen,
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durch eine Ehrenleihbank, wenig endlich die Unverschämtheit, womit man die Deportation der
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übrigbleibenden Juniinsurgenten nach Algier durch die Minister beantragen ließ, um der
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Legislativen die Unpopularität en gros aufzuwälzen, während der Präsident
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sich selbst die Popularität en detail vorbehielt durch einzelne Begnadigungsakte.
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<i>Thiers</i> ließ drohende Worte fallen von "coups d'état" und "coups de
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tête" <"Staatsstreichen" und "unüberlegten Streichen">, und die Legislative
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rächte sich an Bonaparte, indem sie jeden Gesetzesvorschlag, den er für sich selbst
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stellte, verwarf, jeden, den er im gemeinsamen Interesse vorschlug,
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geräuschvoll-mißtrauisch untersuchte, ob er durch die Vermehrung der Exekutivgewalt
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nicht der persönlichen Gewalt Bonapartes zu profitieren strebe. In einem Worte, sie
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<i>rächte sich durch die Konspiration der Verachtung</i>.</p>
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<p>Die Legitimistenpartei ihrerseits sah mit Verdruß die befähigteren Orleanisten sich
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fast aller Posten wieder bemächtigen und die <i>Zentralisation</i> wachsen, während sie
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ihr Heil prinzipiell in der <i>Dezentralisation</i> suchte. Und wirklich. Die Kontrerevolution
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<i>zentralisierte gewaltsam</i>, d.h., sie bereitete den Mechanismus der Revolution vor. Sie
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<i>zentralisierte</i> sogar durch den Zwangskurs der Banknoten das Gold und Silber Frankreichs in
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der Pariser Bank und schuf so den <i>fertigen Kriegsschatz</i> der Revolution.</p>
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<p>Die Orleanisten endlich sahen mit Verdruß das auftauchende Prinzip der Legitimität
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ihrem Bastardprinzip entgegengehalten und sich selbst jeden Augenblick zurückgesetzt und
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malträtiert als bürgerliche Mesalliance von dem adeligen Gatten.</p>
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<p>Nach und nach sahen wir Bauern, Kleinbürger, die Mittelstände überhaupt, neben
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das Proletariat treten, gegen die offizielle Republik in offenen Gegensatz getrieben, als Gegner
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von ihr behandelt. <i>Auflehnung gegen die Bourgeoisdiktatur, Bedürfnis einer
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Veränderung der Gesellschaft, Festhaltung der demokratisch- republikanischen Institutionen
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als ihrer Bewegungsorgane, Grup-</i> <a name="S88"><b><88></b></a> <i>pierung um das
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Proletariat als die entscheidende revolutionäre Macht -</i> das sind die gemeinschaftlichen
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Charakterzüge der <i>sogenannten Partei der Sozialdemokratie, der Partei der roten
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Republik</i>. Diese <i>Partei der Anarchie</i>, wie ihre Gegner sie taufen, ist nicht minder eine
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Koalition verschiedener Interessen als <i>die Partei der Ordnung</i>. Von der kleinsten Reform
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der alten gesellschaftlichen Unordnung bis zur Umwälzung der alten gesellschaftlichen
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Ordnung, von dem bürgerlichen Liberalismus bis zum revolutionären Terrorismus, so weit
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liegen die Extreme auseinander, welche den Ausgangspunkt und den Endpunkt der Partei der
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"Anarchie" bilden.</p>
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<p>Abschaffung der Schutzzölle - Sozialismus! denn sie greift das Monopol der
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<i>industriellen</i> Fraktion der Ordnungspartei an. Regelung des Staatshaushaltes - Sozialismus!
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denn sie greift das Monopol der <i>finanziellen</i> Fraktion der Ordnungspartei an. Freie
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Einlassung von fremdem Fleisch und Getreide - Sozialismus! denn sie greift das Monopol der
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dritten Fraktion der Ordnungspartei an, des <i>großen Grundeigentums</i>. Die Forderungen
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der Freetrader-Partei, d.h. der fortgeschrittensten englischen Bourgeoispartei, sie erscheinen in
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Frankreich als ebenso viele sozialistische Forderungen. Voltairianismus - Sozialismus! denn er
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greift eine vierte Fraktion der Ordnungspartei an, die <i>katholische</i>. Preßfreiheit,
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Assoziationsrecht, allgemeiner Volksunterricht - Sozialismus, Sozialismus! Sie greifen das
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Gesamtmonopol der Ordnungspartei an.</p>
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<p>So rasch hatte der Gang der Revolution die Zustände gereift, daß die Reformfreunde
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aller Schattierungen, daß die bescheidensten Ansprüche der Mittelklassen gezwungen
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waren, sich um die Fahne der äußersten Umsturzpartei zu gruppieren, um die <i>rote
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Fahne</i>.</p>
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<p>So mannigfaltig indes der <i>Sozialismus</i> der verschiedenen großen Glieder der Partei
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der Anarchie war, je nach den ökonomischen Bedingungen und den daraus hervorfließenden
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revolutionären Gesamtbedürfnissen ihrer Klasse oder Klassenfraktion, in <i>einem</i>
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Punkte kommt er überein: sich als <i>Mittel der Emanzipation des Proletariats</i> und die
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Emanzipation desselben als seinen <i>Zweck</i> zu verkünden. Absichtliche Täuschung der
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einen, Selbsttäuschung der anderen, die die nach ihren Bedürfnissen umgewandelte Welt
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als die beste Welt für alle ausgeben, als die Verwirklichung aller revolutionären
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Ansprüche und die Aufhebung aller revolutionären Kollisionen.</p>
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<p>Unter den ziemlich gleichlautenden <i>allgemeinen</i> sozialistischen Phrasen der <i>"Partei
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der Anarchie"</i> verbirgt sich <i>der Sozialismus des "National"</i>, <i>der "Presse" und des
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"Siècle"</i>, der mehr oder minder konsequent die Herrschaft der Finanzaristokratie
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stürzen und Industrie und Verkehr von ihren bisherigen Fesseln befreien will. Es ist dies
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der Sozialismus der Industrie, des Handels und der <a name="S89"><b><89></b></a>
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Agrikultur, deren Regenten in der Partei der Ordnung diese Interessen verleugnen, soweit sie
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nicht mehr mit ihren Privatmonopolen zusammenfallen. Von diesem <i>bürgerlichen
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Sozialismus</i>, der natürlich, wie jede der Abarten des Sozialismus, einen Teil der
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Arbeiter und Kleinbürger ralliiert, scheidet sich der eigentliche, der
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<i>kleinbürgerliche Sozialismus</i>, der Sozialismus par excellence <schlechthin>. Das
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Kapital hetzt diese Klasse hauptsächlich als <i>Gläubiger</i>, sie verlangt
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<i>Kreditinstitute</i>; es ekrasiert sie durch die <i>Konkurrenz</i>, sie verlangt
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<i>Assoziationen</i> vom Staate unterstützt; es überwältigt sie durch die
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<i>Konzentration</i>, sie verlangt <i>Progressivsteuern</i>, Erbschaftsbeschränkungen,
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Übernahme der großen Arbeiten durch den Staat und andere Maßregeln, die das
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<i>Wachstum des Kapitals gewaltsam aufhalten</i>. Da sie die friedliche Durchführung ihres
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Sozialismus träumt - abgerechnet etwa eine kurztägige zweite Februarrevolution -,
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erscheint ihr natürlich der kommende geschichtliche Prozeß als die <i>Anwendung von
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Systemen</i>, welche die Denker der Gesellschaft, sei es in Kompanie, sei es als einzelne
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Erfinder, aussinnen oder ausgesonnen haben. So werden sie die Eklektiker oder Adepten der
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vorhandenen sozialistischen <i>Systeme</i>, des <i>doktrinären Sozialismus</i>, der nur so
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lange der theoretische Ausdruck des Proletariats war, als es noch nicht zur freien
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geschichtlichen Selbstbewegung sich fortentwickelt hatte.</p>
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<p>Während so die <i>Utopie</i>, der <i>doktrinäre Sozialismus</i>, der die
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Gesamtbewegung einem ihrer Momente unterordnet, der an die Stelle der gemeinschaftlichen,
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gesellschaftlichen Produktion die Hirntätigkeit des einzelnen Pedanten setzt und vor allem
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den revolutionären Kampf der Klassen mit seinen Notwendigkeiten durch kleine
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Kunststücke oder große Sentimentalitäten wegphantasiert, während dieser
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doktrinäre Sozialismus, der im Grunde nur die jetzige Gesellschaft idealisiert, ein
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schattenloses Bild von ihr aufnimmt und sein Ideal gegen ihre Wirklichkeit durchsetzen will,
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während dieser Sozialismus von dem Proletariat an das Kleinbürgertum abgetreten wird,
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während der Kampf der verschiedenen Sozialistenchefs unter sich selbst jedes der sogenannten
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Systeme als anspruchsvolle Festhaltung des einen der Durchgangspunkte der sozialen Umwälzung
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gegen den anderen herausstellt - gruppiert sich das <i>Proletariat</i> immer mehr um den
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<i>revolutionären Sozialismus</i>, um den <i>Kommunismus</i>, für den die Bourgeoisie
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selbst den Namen <i>Blanqui</i> erfunden hat. Dieser Sozialismus ist die
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<i>Permanenzerklärung der Revolution</i>, die <i>Klassendiktatur</i> des Proletariats als
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notwendiger Durchgangspunkt zur <i>Abschaffung der Klassenunterschiede überhaupt</i>, zur
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Abschaffung sämtlicher Produktionsverhältnisse, worauf sie beruhen, zur Abschaffung
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sämtlicher gesell- <a name="S90"><b><90></b></a> schaftlichen Beziehungen, die diesen
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Produktionsverhältnissen entsprechen, zur Umwälzung sämtlicher Ideen, die aus
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diesen gesellschaftlichen Beziehungen hervorgehen.</p>
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<p>Der Raum dieser Darstellung erlaubt nicht, diesen Gegenstand weiter auszuführen.</p>
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<p>Wir haben gesehen: wie in der Partei der <i>Ordnung</i> die <i>Finanzaristokratie</i>
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notwendig an die Spitze trat, so in der Partei der <i>"Anarchie"</i> das <i>Proletariat</i>.
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Während die verschiedenen zu einer revolutionären Ligue verbundenen Klassen sich um das
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Proletariat gruppierten, während die Departemente immer unsicherer wurden und die
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legislative Versammlung selbst immer mürrischer gegen die Prätensionen des
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französischen Soulouque, nahten die lange aufgeschobenen und hingehaltenen Ersatzwahlen
|
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für die proskribierten Montagnards des 13. Juni heran.</p>
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|
<p>Die Regierung, verachtet von ihren Feinden, mißhandelt und täglich gedemütigt
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von ihren angeblichen Freunden, sah nur <i>ein</i> Mittel, aus der widerlichen und unhaltbaren
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Situation herauszutreten - die <i>Emeute</i>. Eine Emeute zu Paris hätte erlaubt, den
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Belagerungszustand über Paris und die Departemente zu verhängen und so die Wahlen zu
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kommandieren. Andererseits waren die Freunde der Ordnung, einer Regierung gegenüber, die den
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Sieg über die Anarchie erfochten, zu Konzessionen gezwungen, wollten sie nicht selbst als
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Anarchisten erscheinen.</p>
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<p>Die Regierung begab sich ans Werk. Anfang Februar 1850 Provokationen des Volks durch
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Niedermetzeln der Freiheitsbäume. Vergeblich. Wenn die Freiheitsbäume ihren Platz
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verloren, verlor sie selbst den Kopf und trat erschrocken vor ihrer eigenen Provokation
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zurück. Die Nationalversammlung aber nahm diesen ungeschickten Emanzipationsversuch
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Bonapartes mit eiskaltem Mißtrauen auf. Nicht erfolgreicher die Entfernung der
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Immortellenkränze von der Julisäule. Sie gab einem Teil der Armee zu
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revolutionären Demonstrationen Anlaß und der Nationalversammlung zu einem mehr oder
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minder versteckten Mißtrauensvotum gegen das Ministerium. Vergebens die Drohung der
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Regierungspresse mit Abschaffung des allgemeinen Wahlrechts, mit der Invasion der Kosaken.
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Vergebens die direkte Aufforderung d'Hautpouls, mitten in der Legislative an die Linke, sich auf
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die Straße zu begeben, und seine Erklärung, die Regierung sei bereit, sie zu
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empfangen. Hautpoul empfing nichts als einen Ordnungsruf des Präsidenten, und die
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Ordnungspartei ließ mit stiller Schadenfreude einen Deputierten der Linken die
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usurpatorischen Gelüste Bonapartes persiflieren. Vergebens endlich die Prophezeiung einer
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|
Revolution für den 24. Februar. Die Regierung machte, daß der 24. Februar vom Volk
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ignoriert wurde.</p>
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<p><b><a name="S91"><91></a></b> Das Proletariat ließ sich zu keiner <i>Emeute</i>
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provozieren. weil es im Begriff war, eine <i>Revolution</i> zu machen.</p>
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<p>Ungehindert durch die Provokationen der Regierung, die nur die allgemeine Gereiztheit gegen
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den bestehenden Zustand erhöhten, stellte das Wahlkomitee, ganz unter dem Einflusse der
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Arbeiter, drei Kandidaten für Paris auf: <i>de Flotte, Vidal</i> und <i>Carnot</i>. <i>De
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Flotte</i> war ein Junideportierter, amnestiert durch einen der Popularitätseinfälle
|
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Bonapartes, er war ein Freund Blanquis und hatte sich an dem Attentat vom 15. Mai beteiligt.
|
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<i>Vidal</i>, als kommunistischer Schriftsteller bekannt durch sein Buch "Über die
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Verteilung des Reichtums", ehemaliger Sekretär Louis Blancs in der Kommission des
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Luxembourg; <i>Carnot</i>, Sohn des Konventsmannes, der den Sieg organisiert hatte, das wenigst
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kompromittierte Glied der Nationalpartei, Unterrichtsminister in der provisorischen Regierung und
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Exekutivkommission, durch seine demokratische Gesetzvorlage über den Volksunterricht ein
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lebendiger Protest gegen das Unterrichtsgesetz der Jesuiten. Diese drei Kandidaten
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repräsentierten die drei verbündeten Klassen: an der Spitze der Juniinsurgent, der
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Vertreter des revolutionären Proletariats, neben ihm der doktrinäre Sozialist, der
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Vertreter der sozialistischen Kleinbürgerschaft, der dritte endlich Vertreter der
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republikanischen Bourgeoispartei, deren demokratische Formeln der Ordnungspartei gegenüber
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einen sozialistischen Sinn gewonnen und ihren eigenen Sinn längst verloren hatten. Es war
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dies eine <i>allgemeine Koalition gegen die Bourgeoisie und die Regierung</i>, <i>wie im
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Februar</i>. Aber diesmal war das <i>Proletariat der Kopf der revolutionären Ligue</i>.</p>
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<p>Allen Anstrengungen zum Trotz siegten die sozialistischen Kandidaten. Die Armee selbst stimmte
|
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für den Juniinsurgenten gegen ihren eigenen Kriegsminister La Hitte. Die Ordnungspartei war
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wie vom Donner gerührt. Die Departementswahlen trösteten sie nicht, sie ergaben eine
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Majorität von Montagnards.</p>
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<p><i>Die Wahl vom 10. März 1850! Es war die Zurücknahme des Juni 1848:</i> Die
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Massacreurs und Deporteurs der Juniinsurgenten kehrten in die Nationalversammlung zurück,
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aber gebeugt, im Gefolge der Deportierten, und ihre Prinzipien auf den Lippen. <i>Es war die
|
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Zurücknahme des 13. Juni 1849:</i> Die von der Nationalversammlung proskribierte Montagne
|
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kehrte in die Nationalversammlung zurück, aber als vorgeschobene Trompeter der Revolution,
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|
nicht mehr als ihre Kommandeure. <i>Es war die Zurücknahme des 10. Dezember:</i> Napoleon
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||
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war durchgefallen mit seinem Minister La Hitte. Die parlamentarische Geschichte Frankreichs kennt
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||
|
nur ein Analogon: das Durchfallen d'Haussez', Ministers Karls X., 1830. Die Wahl vom 10.
|
||
|
März 1850 war endlich die Kassation der Wahl vom 13. Mai, welche der Partei der Ordnung die
|
||
|
Majorität <a name="S92"><b><92></b></a> gegeben hatte. Die Wahl vom 10. März
|
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protestierte gegen die Majorität vom 13. Mai. Der 10. März war eine Revolution. Hinter
|
||
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den Wahlzetteln liegen die Pflastersteine.</p>
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|
<p>"Das Votum des 10. März ist der Krieg", rief Ségur d'Aguesseau aus, eines der
|
||
|
fortgeschrittensten Glieder der Ordnungspartei.</p>
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<p>Mit dem 10. März 1850 tritt die konstitutionelle Republik in eine neue Phase, <i>in die
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|
Phase ihrer Auflösung</i>. Die verschiedenen Fraktionen der Majorität sind wieder unter
|
||
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sich und mit Bonaparte vereinigt, sie sind wieder die Retter der Ordnung, er wieder ihr
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<i>neutraler Mann</i>. Wenn sie sich erinnern, Royalisten zu sein, so geschieht es nur noch aus
|
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Verzweiflung an der Möglichkeit der Bourgeoisrepublik, wenn er sich erinnert,
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Prätendent zu sein, so geschieht es nur noch, weil er verzweifelt, Präsident zu
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|
bleiben.</p>
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<p>Die Wahl <i>de Flottes</i>, des Juniinsurgenten, beantwortet Bonaparte aufs Kommando der
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Ordnungspartei durch die Ernennung <i>Baroches</i> zum Minister des Innern, Baroches, des
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||
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Anklägers von Blanqui und Barbés, von Ledru-Rollin und Guinard. Die Wahl
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<i>Carnots</i> beantwortet die Legislative durch die Annahme des Unterrichtsgesetzes, die Wahl
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<i>VidaIs</i> durch die Unterdrückung der sozialistischen Presse. Durch den
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Trompetenstoß ihrer Presse sucht die Partei der Ordnung ihre eigene Furcht wegzuschmettern.
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"Das Schwert ist heilig", ruft eines ihrer Organe; "die Verteidiger der Ordnung müssen die
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||
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Offensive gegen die rote Partei ergreifen", ein anderes; "zwischen dem Sozialismus und der
|
||
|
Sozietät existiert ein Duell auf den Tod, ein rastlos unbarmherziger Krieg; in diesem Duell
|
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der Verzweiflung muß der eine oder der andere untergehen; wenn die Gesellschaft den
|
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Sozialismus nicht vernichtet, vernichtet der Sozialismus die Gesellschaft", kräht ein
|
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|
dritter Ordnungshahn. Werft die Barrikaden der Ordnung, die Barrikaden der Religion, die
|
||
|
Barrikaden der Familie auf! Es muß geendet werden mit den 127.000 Wählern von Paris!
|
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|
Bartholomäusnacht der Sozialisten! Und die Partei der Ordnung glaubt einen Augenblick an
|
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|
ihre eigene Siegesgewißheit.</p>
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|
<p>Am fanatischsten ergehen sich ihre Organe gegen die <i>"Boutiquiers von Paris"</i>. Der
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|
Juniinsurgent von Paris als Repräsentant erwählt von den Boutiquiers von Paris! das
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||
|
heißt, ein zweiter Juni 1848 ist unmöglich, das heißt, ein zweiter 13. Juni 1849
|
||
|
ist unmöglich, das heißt, der moralische Einfluß des Kapitals ist gebrochen,
|
||
|
d.h., die Bourgeoisversammlung vertritt nur noch die Bourgeoisie, d.h., das große Eigentum
|
||
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ist verloren, weil sein Lehensträger, das kleine, im Lager der Eigentumslosen seine Rettung
|
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|
sucht.</p>
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|
<p>Die Partei der Ordnung kehrt natürlich zu ihrem unvermeidlichen <i>Gemeinplatze</i>
|
||
|
zurück. <i>"Mehr Repression!"</i> ruft sie, " <i>Verzehnfachte Repression!"</i>, aber ihre
|
||
|
Repressionskraft hat sich um das Zehnfache vermindert, während <a name=
|
||
|
"S93"><b><93></b></a> der Widerstand sich verhundertfacht hat. Das Hauptwerkzeug der
|
||
|
Repression selbst, die Armee, muß sie nicht reprimiert werden? Und die Partei der Ordnung
|
||
|
spricht ihr letztes Wort: "Der eiserne Ring einer erstickenden Legalität muß gebrochen
|
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|
werden. Die <i>konstitutionelle Republik</i> ist <i>unmöglich</i>. Wir müssen mit
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||
|
unseren wahren Waffen kämpfen, wir haben seit Februar 1848 die Revolution mit <i>ihren</i>
|
||
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Waffen und auf <i>ihrem</i> Terrain bekämpft, wir haben <i>ihre</i> Institutionen
|
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|
akzeptiert, die Konstitution ist eine Festung, die nur die Belagernden beschützt, nicht die
|
||
|
Belagerten! Indem wir uns im Bauche des trojanischen Pferdes in das heilige Ilion
|
||
|
einschmuggelten, haben wir ungleich unseren Vorfahren, den <i>Grecs</i> <a name="Z3"></a><a href=
|
||
|
"me07_064.htm#M3">(3)</a>, nicht die feindliche Stadt erobert, sondern uns selbst zu Gefangenen gemacht."</p>
|
||
|
|
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|
<p>Die Grundlage der Konstitution ist aber das <i>allgemeine Wahlrecht</i>. <i>Die Vernichtung
|
||
|
des allgemeinen Wahlrechts</i>, es ist das letzte Wort der Partei der Ordnung, der
|
||
|
Bourgeoisdiktatur.</p>
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||
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|
<p>Das allgemeine Wahlrecht gab ihnen recht am 4. Mai 1848, am 20. Dezember 1848, am 13. Mai
|
||
|
1849, am 8. Juli 1849. Das allgemeine Wahlrecht hat sich selbst unrecht gegeben am 10. März
|
||
|
1850. Die Bourgeoisherrschaft als Ausfluß und Resultat des allgemeinen Stimmrechts, als
|
||
|
ausgesprochener Akt des souveränen Volkswillens, das ist der Sinn der Bourgeoiskonstitution.
|
||
|
Aber von dem Augenblick an, wo der Inhalt dieses Stimmrechts, dieses souveränen Willens
|
||
|
nicht mehr die Bourgeoisherrschaft ist, hat die Konstitution noch einen Sinn? Ist es nicht die
|
||
|
Pflicht der Bourgeoisie, das Stimmrecht so zu regeln, daß es das Vernünftige will,
|
||
|
ihre Herrschaft? Das allgemeine Wahlrecht, indem es die vorhandene Staatsmacht beständig
|
||
|
wieder aufhebt und von neuem aus sich erschafft, hebt es nicht alle Stabilität auf, stellt
|
||
|
es nicht jeden Augenblick alle bestehenden Gewalten in Frage, vernichtet es nicht die
|
||
|
Autorität, droht es nicht die Anarchie selbst zur Autorität zu erheben? Nach dem 10.
|
||
|
März 1850, wer sollte noch zweifeln?</p>
|
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||
|
<p>Die Bourgeoisie, indem sie das allgemeine Wahlrecht, mit dem sie sich bisher drapiert hatte,
|
||
|
aus dem sie ihre Allmacht saugte, verwirft, gesteht unverhohlen: <i>"Unsere Diktatur hat bisher
|
||
|
bestanden durch den Volkswillen, sie muß jetzt befestigt werden wider den Volkswillen."</i>
|
||
|
Und konsequenterweise sucht sie ihre Stützen nicht mehr in <i>Frankreich</i>, sondern
|
||
|
außerhalb, in der Fremde, in der <i>Invasion</i>.</p>
|
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|
<p>Mit der Invasion ruft sie, ein zweites Koblenz, das seinen Sitz in Frankreich selbst
|
||
|
aufgeschlagen hat, alle nationalen Leidenschaften gegen sich <a name="S94"><b><94></b></a>
|
||
|
wach. Mit dem Angriff auf das allgemeine Stimmrecht gibt sie der neuen Revolution einen
|
||
|
<i>allgemeinen Vorwand</i>, und die Revolution bedarf eines solchen Vorwandes. Jeder
|
||
|
<i>besondere</i> Vorwand würde die Fraktionen der revolutionären Ligue trennen und ihre
|
||
|
Unterschiede hervortreten lassen. Der <i>allgemeine</i> Vorwand, er betäubt die
|
||
|
halbrevolutionären Klassen, er erlaubt ihnen, sich selbst zu täuschen über den
|
||
|
<i>bestimmten Charakter</i> der kommenden Revolution, über die Konsequenzen ihrer eigenen
|
||
|
Tat. Jede Revolution bedarf einer Bankettfrage. Das allgemeine Stimmrecht, es ist die
|
||
|
Bankettfrage der neuen Revolution.</p>
|
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|
<p>Die koalisierten Bourgeoisfraktionen aber sind schon verurteilt, indem sie von der einzig
|
||
|
möglichen Form ihrer <i>vereinten</i> Macht, von der gewaltigsten und vollständigsten
|
||
|
Form ihrer <i>Klassenherrschaft</i>, der <i>konstitutionellen Republik</i>
|
||
|
zurückflüchten zu der untergeordneten, unvollständigen, schwächeren Form der
|
||
|
<i>Monarchie</i>. Sie gleichen jenem Greise, der, um seine Jugendkraft wiederzugewinnen, seinen
|
||
|
Kinderstaat hervorholte und seinen welken Gliedern anzuquälen suchte. Ihre Republik hatte
|
||
|
nur <i>ein</i> Verdienst, das <i>Treibhaus der Revolution zu sein</i>.</p>
|
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|
<p>Der 10. März 1850 trägt die Inschrift:</p>
|
||
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<p><i>Après moi le déluge, nach mir die Sündflut!</i></p>
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<p>[Anmerkung von Engels zur Ausgabe von 1895.]</p>
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<p><a name="M1">(1)</a> Am 8. Juli 1847 begann vor der Pairskammer in Paris der Prozeß
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gegen Parmentier und General Cubières wegen Beamtenbestechung behufs Erlangung einer
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Salzwerkskonzession, und gegen den damaligen Minister der öffentlichen Arbeiten, Teste,
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wegen Annahme solcher Bestechungsgelder. Letzterer machte während des Prozesses einen
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Selbstmordversuch. Alle wurden zu schweren Geldstrafen verurteilt, Teste außerdem noch zu
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drei Jahren Gefängnis. <a href="me07_064.htm#Z1"><=</a></p>
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<p><a name="M2">(2)</a> So heißt in der Geschichte die unmittelbar nach dem zweiten Sturz
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Napoleons 1815 gewählte, fanatisch ultaroyalistische und reaktionäre Deputiertenkammer.
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<a href="me07_064.htm#Z2"><=</a></p>
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<p><a name="M3">(3)</a> <i>Grecs -</i> Wortspiel: Griechen, aber auch: Falschspieler von
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Profession. <a href="me07_064.htm#Z3"><=</a></p>
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