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<!DOCTYPE HTML PUBLIC "-//W3C//DTD HTML 3.2//EN">
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<meta name="generator" content="HTML Tidy for Windows (vers 25 March 2009), see www.w3.org">
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<title>Friedrich Engels - Die deutsche Reichsverfassungskampagne - II</title>
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<body bgcolor="#FFFFFC">
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<p align="center"><a href="me07_115.htm"><font size="2">I - Rheinpreußen</font></a> |
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<a href="me07_109.htm"><font size="2">Inhalt</font></a> | <a href="me07_146.htm"><font size=
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"2">III - Die Pfalz</font></a></p>
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<p><small>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 7, "Die deutsche
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Reichsverfassungskampagne", S. 133-145<br>
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Dietz Verlag, Berlin/DDR 1960</small></p>
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<p align="center"><font size="5">II</font></p>
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<p align="center"><font size="5">Karlsruhe</font></p>
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<p><b><a name="S133"><133></a></b> Der Aufstand in Baden kam unter den günstigsten
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Umständen zustande, in denen eine Insurrektion sich nur befinden kann. Das ganze Volk war
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einig in dem Haß gegen eine wortbrüchige, achselträgerische und in ihren
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politischen Verfolgungen grausame Regierung. Die reaktionären Klassen, Adel, Bürokratie
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und große Bourgeoisie, waren wenig zahlreich. Eine große Bourgeoisie besteht
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überhaupt in Baden nur embryonisch. Mit Ausnahme dieser wenigen Adeligen, Beamten und
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Bourgeois, mit Ausnahme der Karlsruher und Baden-Badener vom Hof und von reichen Fremden lebenden
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Krämer, mit Ausnahme einiger Heidelberger Professoren und eines halben Dutzend
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Bauerndörfer um Karlsruhe war das ganze Land ungeteilt für die Bewegung. Die Armee, die
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in andern Aufständen erst besiegt werden mußte, die Armee, von ihren adligen
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Offizieren mehr als irgendwo anders schikaniert, seit einem Jahre von der demokratischen Partei
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bearbeitet, seit kurzem durch Einführung einer Art allgemeiner Wehrpflicht noch mehr mit
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rebellischen Elementen versetzt, die Armee stellte sich hier an die Spitze der Bewegung und trieb
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sie sogar weiter, als die bürgerlichen Leiter der Offenburger Versammlung wollten. Die Armee
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gerade war es, die in Rastatt und Karlsruhe die "Bewegung" in eine Insurrektion verwandelte.</p>
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<p>Die insurrektionelle Regierung fand also bei ihrem Amtsantritt eine fertige Armee, reichlich
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versehene Arsenal, eine vollständig organisierte Staatsmaschine, einen gefüllten
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Staatsschatz und eine so gut wie einstimmige Bevölkerung vor. Sie fand ferner auf dem linken
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Rheinufer, in der Pfalz, eine bereits fertige Insurrektion vor, die ihr die linke Flanke deckte;
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in Rheinpreußen eine Insurrektion, die zwar stark bedroht, aber noch nicht besiegt war; in
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Württemberg, in Franken, in beiden Hessen und Nassau eine allgemeine Aufregung, selbst unter
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der Armee, die nur eines Funkens bedurfte, um den badischen Aufstand in ganz Süd- und
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Mitteldeutschland zu wiederholen und wenigstens 50.000 bis 60.000 Mann regulärer Truppen der
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Empörung zu Gebot zu stellen.</p>
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<p><b><a name="S134"><134></a></b> Was unter diesen Umständen zu tun war, ist so
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einfach und handgreiflich, daß jetzt nach der Unterdrückung des Aufstandes jedermann
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es weiß, jedermann es gleich von Anfang gesagt haben will. Es handelte sich darum, sofort
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und ohne einen Augenblick zu zaudern, den Aufstand weiterzutragen nach Hessen, Darmstadt,
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Frankfurt, Nassau und Württemberg. Es handelte sich darum, sofort von den disponiblen
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regulären Truppen 8.000 bis 10.000 Mann zusammenzuraffen - mit der Eisenbahn konnte das in
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zwei Tagen geschehen - und sie nach Frankfurt zu werfen - "zum Schutz der Nationalversammlung".
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Die erschrockene hessische Regierung war durch die Schlag auf Schlag einander folgenden
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Fortschritte des Aufstandes wie festgebannt; ihre Truppen waren notorisch günstig gestimmt
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für die Badenser; sie, sowenig wie der Frankfurter Senat, konnten den mindesten Widerstand
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leisten. Die in Frankfurt stationierten kurhessischen, württembergischen und
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Darmstädter Truppen waren für die Bewegung; die dortigen Preußen - meist
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Rheinländer - schwankten; die Österreicher waren wenig zahlreich. Die Ankunft der
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Badenser, man mochte nun versuchen, sie zu verhindern oder nicht, mußte die Insurrektion
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bis ins Herz beider Hessen und Nassaus tragen, den Rückzug der Preußen und
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Östreicher nach Mainz erzwingen und die zitternde deutsche sogenannte Nationalversammlung
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unter den terrorisierenden Einfluß einer insurgierten Bevölkerung und einer
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insurgierten Armee stellen. Brach dann der Aufstand an der Mosel, in der Eifel, in
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Württemberg und Franken nicht sofort los, so waren Mittel genug vorhanden, ihn auch in diese
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Provinzen zu tragen.</p>
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<p>Man mußte ferner die Macht der Insurrektion zentralisieren, ihr die nötigen
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Geldmittel zur Verfügung stellen und durch sofortige Abschaffung aller Feudallasten die
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große ackerbautreibende Mehrzahl der Bevölkerung bei der Insurrektion interessieren.
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Herstellung einer gemeinsamen Zentralmacht für Krieg und Finanzen mit der Vollmacht,
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Papiergeld <a name="Z1"></a><a href="me07_133.htm#M1">(1)</a> auszugeben, zunächst für Baden und
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die Pfalz, Aufhebung aller Feudallasten in Baden und jedem von der Insurrektionsarmee besetzten
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Bezirk hätten vorderhand hingereicht, um dem Aufstand einen ganz anders energischen
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Charakter zu geben.</p>
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<p>Alles das mußte jedoch im ersten Augenblick geschehen, um mit der Schnelligkeit
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durchgeführt zu werden, die allein den Erfolg sichern konnte. Acht Tage nach Einsetzung des
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Landesausschusses war es schon zu spät. Die rheinische Insurrektion war unterdrückt,
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Württemberg und Hessen rührten sich nicht, die anfangs günstig gestimmten
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Truppenteile wurden unsicher, <a name="S135"><b><135></b></a> sie folgten schließlich
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wieder ganz ihren reaktionären Offizieren. Der Aufstand hatte seinen allgemeindeutschen
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Charakter verloren, er war ein rein badischer oder badisch-pfälzischer Lokalaufstand
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geworden.</p>
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<p>Wie ich nach Beendigung des Kampfes erfahren, hatte der ehemalige badische Unterleutnant F.
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Sigel, der während des Aufstandes als "Oberst" und später als "Obergeneral" sich einen
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mehr oder weniger zweideutigen Zwerglorbeer errang, gleich im Anfang dem Landesausschuß
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einen Plan vorgelegt, nach dem man die Offensive ergreifen sollte. Dieser Plan hat das Verdienst,
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den richtigen Gedanken zu enthalten, daß unter allen Umständen angegriffen werden
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müsse; im übrigen ist er der abenteuerlichste, der nur vorgeschlagen werden konnte.
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Sigel wollte mit einem badischen Korps zuerst nach Hohenzollern rücken und die
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Hohenzollersche Republik proklamieren, sodann Stuttgart nehmen und von da, nach Insurgierung
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Württembergs, auf Nürnberg marschieren und im Herzen des ebenfalls insurgierten
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Frankens ein großes Lager aufschlagen. Man sieht, daß dieser Plan die moralische
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Wichtigkeit Frankfurts, dessen Besitz der Insurrektion erst einen allgemeindeutschen Charakter
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gab, und die strategische Wichtigkeit der Mainlinie gänzlich unberücksichtigt
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ließ. Man sieht, daß er ganz andre Streitkräfte voraussetzte, als wirklich
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disponibel waren, und daß er sich schließlich, nach einem vollständig
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Don-Quijoteschen oder Schillschen Streifzug, ins Blaue verlief, um dem Aufstand die
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stärkste, die unter allen süddeutschen Armeen einzig entschieden feindliche Armee, die
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<i>bayrische</i>, sofort auf die Fersen zu hetzen, noch ehe er sich durch den Übertritt der
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hessischen und nassauischen Truppen verstärken konnte.</p>
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<p>Die neue Regierung ließ sich auf gar keine Offensive ein, unter dem Vorwand, die
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Soldaten seien fast sämtlich auseinander- und nach Hause gegangen. Abgesehen davon,
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daß dies nur bei einzelnen wenigen Truppenteilen, namentlich beim Leibregiment, der Fall
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war, so waren selbst diese auseinandergegangenen Soldaten binnen drei Tagen fast alle wieder bei
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ihren Fahnen.</p>
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<p>Die Regierung hatte übrigens ganz andere Gründe, sich gegen jede Offensive zu
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sträuben.</p>
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<p>An der Spitze der ganzen badischen Reichsverfassungsagitation stand Herr <i>Brentano</i>, ein
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Advokat, der mit dem immer etwas mesquinen Ehrgeiz eines deutschen Kleinstaatenvolksmannes und
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mit der anscheinenden Gesinnungstüchtigkeit, die in Süddeutschland überhaupt die
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erste Bedingung aller Popularität ist, eine gewisse diplomatische Schlauheit verband, die
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hinreichte, seine ganze Umgebung, mit Ausnahme vielleicht eines einzigen, vollständig zu
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beherrschen. Herr Brentano - es ist jetzt trivial geworden, aber <a name=
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"S136"><b><136></b></a> es ist richtig -, Herr Brentano und seine Partei, die stärkste
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im Lande, verlangte auf der Offenburger Versammlung weiter nichts als Veränderungen der
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großherzoglichen Politik, die nur mit einem <i>Ministerium Brentano</i> möglich waren.
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Die Antwort des Großherzogs, die allgemeine Agitation, riefen die Rastatter
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Militärrevolte hervor - gegen den Willen und die Absichten Brentanos. In dem Augenblick, als
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Herr Brentano an die Spitze des Landesausschusses gesetzt wurde, war er schon überholt von
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der Bewegung, mußte er sie schon zu hemmen suchen. Da kam der Krawall in Karlsruhe hinzu;
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der Großherzog floh, und derselbe Umstand, der Herrn Brentano an die Spitze der Verwaltung
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rief, der ihm sozusagen diktatorische Gewalt gab, vereitelte alle seine Pläne, brachte ihn
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dahin, diese Gewalt gegen dieselbe Bewegung zu verwenden, die ihm die Gewalt verschafft hatte.
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Während das Volk über die Entfernung des Großherzogs jubelte, saßen Herr
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Brentano und sein getreuer Landesausschuß wie auf Kohlen.</p>
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<p>Dieser Landesausschuß, fast ausschließlich aus badischen Biedermännern mit
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der tüchtigsten Gesinnung und mit den unklarsten Köpfen bestehend, aus "reinen
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Republikanern", die vor der Proklamierung der Republik zitterten und vor der geringsten
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energischen Maßregel sich bekreuzten - dieser echte Spießbürgerausschuß
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war natürlich ganz von Brentano abhängig. Die Rolle, die in Elberfeld der Advokat
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Höchster übernommen hatte, diese Rolle übernahm hier auf einem etwas
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größeren Terrain der Advokat Brentano. Von den drei <In der "Revue": beiden>
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fremdartigen Elementen, die aus dem Gefängnis in den Landesausschuß kamen, Blind,
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Fickler und Struve, wurde Blind so sehr von Brentanoschen Intrigen umsponnen, daß ihm, der
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ganz allein stand, nichts übrigblieb, als in der Eigenschaft eines Vertreters von Baden ins
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Exil nach Paris zu wandern; Fickler mußte eine gefährliche Mission nach Stuttgart
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übernehmen; Struve erschien Herrn Brentano so wenig gefährlich, daß er ihn ruhig
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im Landesausschuß duldete, ihn überwachte und ihn unpopulär zu machen suchte, was
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ihm auch vollständig gelang. Man weiß, wie Struve mit mehren andern einen "Klub des
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entschiedenen (oder vielmehr besonnenen) Fortschritts" stiftete, der nach einer verfehlten
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Demonstration aufgelöst wurde. Wenige Tage nachher war Struve in der Pfalz, mehr oder
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weniger "Flüchtling", und versuchte dort abermals seinen "Deutschen Zuschauer"
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herauszugeben. Die Probenummer war kaum erschienen, als die Preußen einrückten.</p>
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<p>Der Landesausschuß, von vornherein ein reines Werkzeug Brentanos, erwählte ein
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Exekutivkomitee, an dessen Spitze abermals Brentano stand. Dieses <a name=
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"S137"><b><137></b></a> Exekutivkomitee ersetzte sehr bald den Landesausschuß fast
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ganz, ließ sich höchstens von ihm die Kredite und die getroffenen Maßregeln
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bestätigen und entfernte die mehr oder weniger unzuverlässigen Mitglieder des
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größeren Ausschusses durch allerlei untergeordnete Missionen in die Kreise oder zur
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Armee. Endlich beseitigte es den Landesausschuß vollständig durch die ganz unter
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Brentanos Einfluß gewählte "Konstituante" und verwandelte sich in eine "provisorische
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Regierung", deren Haupt natürlich abermals Herr Brentano war. Er war es, der die Minister
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ernannte. Und welche Minister - Florian Mördes und Mayerhofer!</p>
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<p>Herr Brentano war der vollkommenste Repräsentant des badischen Kleinbürgertums. Er
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unterschied sich von der Masse der Kleinbürger und ihren sonstigen Repräsentanten nur
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dadurch, daß er zu einsichtig war, um alle ihre Illusionen zu teilen. Herr Brentano hat die
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badische Insurrektion vom ersten Augenblick an verraten, und gerade deswegen, <i>weil</i> er die
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Lage der Dinge vom ersten Augenblick an richtiger erkannte als irgendeine andere offizielle
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Person in Baden, weil er die einzigen Maßregeln ergriff, die der Kleinbürgerschaft die
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Herrschaft bewahren, aber ebendeshalb auch die ganze Insurrektion zugrunde richten mußten.
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Dies ist das Geheimnis der damaligen grenzenlosen Popularität Brentanos und zugleich das
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Geheimnis der Beschimpfungen, die seit Juli von seinen ehemaligen Verehrern auf ihn gehäuft
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werden. Die badischen Kleinbürger waren der Masse nach ebensogut Verräter wie Brentano;
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sie waren zu gleicher Zeit düpiert, was er nicht war. Sie verrieten aus Feigheit, sie
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ließen sich düpieren aus Dummheit.</p>
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<p>In Baden, wie überhaupt in Süddeutschland, gibt es fast gar keine große
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Bourgeoisie. Die Industrie und der Handel des Landes sind unbedeutend. Es gibt daher auch nur ein
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sehr wenig zahlreiches, sehr zersplittertes, wenig entwickeltes Proletariat. Die Masse der
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Bevölkerung teilt sich in Bauern (die Mehrzahl), Kleinbürger und Handwerksgesellen. Die
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letzteren, die städtischen Arbeiter, in kleinen Städten zerstreut, ohne irgendein
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größeres Zentrum, in dem sich eine selbständige Arbeiterpartei ausbilden
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könnte, stehen oder standen wenigstens bisher unter dem vorwiegenden gesellschaftlichen und
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politischen Einfluß der Kleinbürger. Die Bauern, noch mehr über die
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Oberfläche des Landes zerstreut, ohne Bildungsmittel, haben mit den Kleinbürgern
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ohnehin teils zusammenfallende, teils sozusagen parallellaufende Interessen und standen daher
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ebenfalls unter ihrer politischen Vormundschaft. Die Kleinbürger, vertreten durch Advokaten,
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Ärzte, Schulmeister, einzelne Kaufleute und Buchhändler, beherrschten also teils
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direkt, teils durch ihre Vertreter die ganze politische Bewegung in Baden seit dem März
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1848.</p>
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<p>Dieser Abwesenheit des Gegensatzes von Bourgeoisie und Proletariat und <a name=
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"S138"><b><138></b></a> dem daraus hervorgehenden politischen Übergewicht der
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Kleinbürgerschaft ist es zuzuschreiben, daß eine sozialistische Agitation in Baden
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eigentlich nie existiert hat. Die sozialistischen Elemente, die von außen hineinkamen, sei
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es durch Arbeiter, die in entwickelteren Ländern gewesen waren, sei es durch den
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Einfluß der französischen oder deutschen sozialistischen und kommunistischen
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Literatur, konnten sich nie Bahn brechen. Das rote Band und die rote Fahne bedeuteten in Baden
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nichts andres als die bürgerliche Republik, wenn es hoch kam, mit etwas Terrorismus
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versetzt, und die von Herrn Struve entdeckten "sechs Geißeln der Menschheit", so
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bürgerlich unschuldig sie sind, waren das Äußerste, das bei der Masse noch
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Anklang finden konnte. Das höchste Ideal des badischen Kleinbürgers und Bauern blieb
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immer die kleine bürgerlich-bäuerliche Republik, wie sie in der Schweiz seit 1830
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besteht. Ein kleines Tätigkeitsfeld für kleine, bescheidene Leute, der Staat eine etwas
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vergrößerte Gemeinde, ein "Kanton"; eine kleine, stabile, auf Handarbeit
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gestützte Industrie, die einen ebenso stabilen und schläfrigen Gesellschaftszustand
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bedingt; wenig Reichtum, wenig Armut, lauter Mittelstand und Mittelmäßigkeit; kein
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Fürst, keine Zivilliste, keine stehende Armee, fast keine Steuern; keine aktive Beteiligung
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an der Geschichte, keine auswärtige Politik, lauter inländischer kleiner Lokalklatsch
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und kleine Zänkereien en famille <unter sich>; keine große Industrie, keine
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Eisenbahnen, kein Welthandel, keine sozialen Kollisionen zwischen Millionären und
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Proletariern, sondern ein stilles, gemütliches Leben in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit,
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in der kleinen, geschichtslosen Bescheidenheit zufriedener Seelen - das ist das sanfte Arkadien,
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das im größten Teile der Schweiz existiert und für dessen Einführung der
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badische Kleinbürger und Bauer seit Jahren geschwärmt hat. Und erweitert sich in
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Momenten kühnerer Begeisterung der Gedanke des badischen und, sagen wir es, des
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süddeutschen Kleinbürgers überhaupt zu der Vorstellung von ganz Deutschland, so
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schwebt ihm das Ideal von Deutschlands Zukunft vor in der Gestalt einer vergrößerten
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Schweiz, in der Gestalt der Föderativrepublik. So hat auch Herr Struve in einer
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Broschüre Deutschland bereits in 24 Kantone mit ebensoviel Landammännern und
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großen und kleinen Räten eingeteilt und sogar die Landkarte mit der fertigen
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Einteilung der Broschüre beigeheftet. Könnte Deutschland sich jemals in ein solches
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Arkadien verwandeln, so wäre es damit auf einer Stufe der Erniedrigung angekommen, von der
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es bisher selbst in seinen schmachvollsten Zeiten keine Ahnung hatte.</p>
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<p>Die süddeutschen Kleinbürger hatten inzwischen schon mehr als einmal die Erfahrung
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gemacht, daß eine Revolution, und trüge sie auch ihre eigene <a name=
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"S139"><b><139></b></a> bürgerlich-republikanische Fahne, ihr geliebtes stilles
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Arkadien sehr leicht im Strudel weit kolossalerer Konflikte, wirklicher Klassenkämpfe, mit
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wegschwemmen könnte. Daher die Furcht der Kleinbürger nicht nur vor jeder
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revolutionären Erschütterung, sondern auch vor ihrem eignen Ideal der föderierten
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Tabak- und Bierrepublik. Daher ihre Begeisterung für die Reichsverfassung, die wenigstens
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ihre nächsten Interessen befriedigte und ihnen Hoffnung gab, bei dem bloß suspensiven
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Veto des Kaisers die Republik zu gelegener Zeit auf gesetzlichem Wege einzuführen. Daher
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ihre Überraschung, als das badische Militär ihnen ungefragt eine fertige Insurrektion
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auf dem Präsentierteller überreichte, daher ihre Furcht, die Insurrektion über die
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Grenzen des zukünftigen Kantons Baden hinaus zu verbreiten. Die Feuersbrunst hätte ja
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auch einmal Gegenden ergreifen können, in denen es große Bourgeois und massenhaftes
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Proletariat gab, Gegenden, in denen sie dem Proletariat die Gewalt in die Hand legte, und dann -
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|
wehe dem Eigentum!</p>
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<p>Was tat unter diesen Umständen Herr Brentano?</p>
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<p>Was die Kleinbürgerschaft in Rheinpreußen mit Bewußtsein getan hatte, tat er
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in Baden für die Kleinbürgerschaft: Er verriet die Insurrektion, aber er rettete die
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Kleinbürgerschaft.</p>
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<p>Keineswegs durch seine letzten Handlungen, durch seine Flucht nach der Niederlage an der Murg,
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wie der endlich enttäuschte badische Kleinbürger sich einbildete, sondern vom ersten
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Augenblick an verriet Brentano die Insurrektion. Gerade die Maßregeln, denen die badischen
|
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Spießbürger und mit ihnen ein Teil der Bauern und selbst die Handwerker am meisten
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|
zujubelten, gerade diese Maßregeln verrieten die Bewegung an Preußen. Gerade dadurch,
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|
daß Brentano verriet, wurde er so populär, kettete er den fanatischen Enthusiasmus des
|
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|
Spießbürgers an seine Fersen. Der kleine Bürger übersah den Verrat an der
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||
|
Bewegung über der raschen Herstellung der Ordnung und Sicherheit, über der
|
||
|
augenblicklichen Hemmung der Bewegung selbst; und als es zu spät war, als er, in der
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||
|
Bewegung kompromittiert, die Bewegung und sich mit ihr verloren sah, schrie er über Verrat,
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||
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fiel er mit der ganzen Entrüstung des geprellten Biedermannes über seinen treuesten
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||
|
Diener her.</p>
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|
<p>Herr Brentano freilich ist auch geprellt worden. Er hoffte als großer Mann der
|
||
|
"gemäßigten" Partei, d.h. eben der Kleinbürgerschaft, aus der Bewegung
|
||
|
hervorzugehn, und er hat bei Nacht und Nebel schmählich ausreißen müssen vor
|
||
|
seiner eignen Partei, vor seinen besten Freunden, denen plötzlich ein erschreckendes Licht
|
||
|
aufging. Er hoffte sich sogar die Möglichkeit eines großherzoglichen Ministerpostens
|
||
|
offenhalten zu können und hat zum Dank für seine Klugheit die Fußtritte aller
|
||
|
Parteien, die Unmöglichkeit, jemals auch nur noch irgendeine Rolle spielen zu können.
|
||
|
Aber freilich, man <a name="S140"><b><140></b></a> kann gescheuter sein als sämtliche
|
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|
Kleinbürger irgendeines deutschen Raubstaats und darum doch seine schönsten Hoffnungen
|
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|
geknickt, seine edelsten Absichten mit Kot beworfen sehn!</p>
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<p>Von dem ersten Tage seiner Regierung an tat Herr Brentano alles, um die Bewegung in das
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|
spießbürgerliche Bett einzudämmen, das sie zu überschreiten kaum versucht
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hatte. Unter dem Schutz der Karlsruher, dem Großherzog ergebenen Bürgerwehr, derselben
|
||
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Bürgerwehr, die sich den Tag zuvor noch gegen die Bewegung geschlagen hatte, zog er ins
|
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|
Ständehaus ein, um von hier aus die Bewegung zu zügeln. Die Rückberufung der
|
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|
desertierten Soldaten geschah mit möglichster Schläfrigkeit; die Reorganisierung der
|
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Bataillone wurde nicht rascher betrieben. Dagegen bewaffnete man sofort die Mannheimer
|
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entwaffneten Spießbürger, von denen jeder wußte, daß sie sich nicht
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schlagen würden, und die nach dem Waghäuseler Gefecht sich sogar dem Verrat Mannheims
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durch ein Dragonerregiment zum großen Teil angeschlossen haben. Von einem Marsche nach
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Frankfurt oder Stuttgart, von einer Verbreitung der Insurrektion nach Nassau oder Hessen war gar
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nicht die Rede. Wurde ein Vorschlag der Art gemacht, so war er auch sogleich beseitigt, wie der
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Sigelsche. Von der Emittierung von Papiergeld zu sprechen, hätte für ein
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Staatsverbrechen, für kommunistisch gegolten. Die Pfalz schickte Gesandte über
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Gesandte: Sie sei waffenlos, sie habe keine Gewehre, von Artillerie gar nicht zu sprechen, keine
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Munition, sie bedürfe alles dessen, was zur Durchführung einer Insurrektion und
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namentlich zur Einnahme der Festungen Landau und Germersheim nötig sei; aber von Herrn
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Brentano war nichts zu erhalten. Sie trug auf sofortige Einsetzung eines gemeinsamen
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Militärkommandos, ja auf Vereinigung beider Länder unter einer einzigen gemeinsamen
|
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Regierung an. Alles wurde verschleppt und verzögert. Ein kleiner Geldzuschuß ist,
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glaube ich, das einzige, was die Pfalz bekommen konnte; später, als es zu spät war,
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kamen acht Geschütze mit etwas Munition, ohne Bedienung und Bespannung, und endlich auf
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Mieroslawskis direkten Befehl ein badisches Bataillon und zwei Mörser, von denen, wenn ich
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mich recht erinnere, einer einen Schuß getan hat.</p>
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<p>Mit dieser Verschleppung und Beseitigung der notwendigsten Maßregeln, die die
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Insurrektion hätten weitertragen können, war die ganze Bewegung schon verraten. Nach
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innen wurde mit derselben Nonchalance verfahren. Von Aufhebung der Feudallasten war keine Rede;
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Herr Brentano wußte sehr gut, daß in den Bauern mehr revolutionäre Elemente
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steckten, namentlich im Oberland, als ihm lieb war, und daß er sie daher eher
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zurückhalten als noch tiefer in die Bewegung schleudern müsse. Die neuen Beamten waren
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meist Kreaturen Brentanos oder total unfähig; die alten Beamten, mit Ausnahme <a name=
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"S141"><b><141></b></a> derer, die zu direkt bei der Reaktion der letzten zwölf Monate
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kompromittiert und daher von selbst desertiert waren, behielten sämtlich ihre Stellen, zum
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großen Entzücken aller ruhigen Bürger. Sogar Herr Struve fand noch in den letzten
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Tagen des Mai an der "Revolution" zu loben, daß alles so hübsch ruhig abgegangen sei
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und fast alle Beamten in ihren Stellen hätten bleiben können. - Im übrigen wirkten
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Herr Brentano und seine Agenten dahin, daß alles, wo möglich, ins alte Geleis
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zurückkehre, daß möglichst wenig Unruhe und Aufregung herrsche und das
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revolutionäre Exterieur des Landes baldigst verschwinde.</p>
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<p>In der Militärorganisation herrschte derselbe Schlendrian. Man tat nicht mehr, als was
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man unmöglich unterlassen konnte. Die Truppen wurden ohne Führer, ohne
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Beschäftigung, ohne Ordnung gelassen; der unfähige "Kriegsminister" Eichfeld und sein
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Nachfolger, der Verräter Mayerhofer, wußten sie nicht einmal erträglich zu
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dislozieren. Die Truppenkonvois kreuzten sich auf der Eisenbahn, ohne Zweck, ohne Resultat. Die
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Bataillone wurden heute hierhin geführt, morgen wieder zurück, kein Mensch konnte
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absehen, weshalb. In den Garnisonen zogen sie von einem Wirtshaus ins andere, weil sie nichts
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anderes zu tun hatten. Es schien, als sollten sie absichtlich demoralisiert werden, als wolle die
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Regierung ihnen den letzten Rest von Disziplin geradezu austreiben. Die Organisation des ersten
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Aufgebots der sogenannten Volkswehr, d.h. aller waffenfähigen Mannschaft bis zu 30 Jahren,
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wurde dem bekannten Joh. Ph. Becker, einem naturalisierten Schweizer und Offizier der
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eidgenössischen Armee, übertragen. Inwieweit Becker von Brentano in der Ausführung
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seiner Mission gehemmt wurde, weiß ich nicht. Ich weiß aber, daß Brentano nach
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dem Rückzuge der Pfälzer Armee auf badisches Gebiet, als die gebieterischen Forderungen
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der schlechtbekleideten und schlechtbewaffneten Pfälzer sich nicht mehr zurückweisen
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ließen - daß Brentano damals mit folgenden Worten seine Hände in Unschuld wusch:
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"Meinetwegen gebt ihnen, was ihr wollt; aber wenn der Großherzog wiederkommt, so soll er
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wenigstens wissen, wer ihm seine Vorräte so verschleudert hat!" Wenn also die badische
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Volkswehr teils schlecht, teils gar nicht organisiert war, so ist nicht zu zweifeln, daß
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die Hauptschuld auch hier auf Brentano und auf den schlechten Willen oder die Ungeschicklichkeit
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seiner Kommissäre in den einzelnen Kreisen fällt.</p>
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<p>Als Marx und ich nach der Unterdrückung der "Neuen Rheinischen Zeitung" zuerst auf
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badisches Gebiet kamen - es mochte der 20. oder 21. Mai sein, also mehr als acht Tage nach der
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Flucht des Großherzogs -, waren wir erstaunt über die enorme Sorglosigkeit, mit der
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die Grenze bewacht oder vielmehr nicht bewacht wurde. Von Frankfurt bis Heppenheim die ganze
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Eisen- <a name="S142"><b><142></b></a> bahn mit württembergischen und hessischen
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Reichstruppen besetzt; Frankfurt und Darmstadt selbst voll von Militär; alle Bahnhöfe,
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alle Ortschaften von starken Detachements okkupiert; regelmäßige Vorposten
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vorgeschoben bis an die Grenze. Von der Grenze bis Weinheim dagegen auch nicht ein Mann zu sehen;
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in Weinheim ebenso. Die einzigste Vorsichtsmaßregel war die Demolierung einer kurzen
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Strecke der Eisenbahn zwischen Heppenheim und Weinheim. Erst während unsrer Anwesenheit traf
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ein schwaches Detachement des Leibregiments, höchstens 25 Mann, in Weinheim ein. Von
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Weinheim bis Mannheim herrschte wieder der tiefste Friede; höchstens hier und da ein
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einzelner, überlustiger Volkswehrmann, der eher versprengt oder desertiert als im Dienst
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befindlich schien. Von Grenzkontrolle war natürlich erst recht keine Rede. Man ging hinein
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oder heraus, wie man wollte.</p>
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<p>In Mannheim sah es allerdings schon etwas kriegerischer aus. Haufen von Soldaten standen auf
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der Straße oder saßen in den Wirtshäusern. Die Volkswehr und Bürgerwehr
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exerzierte im Park, meist freilich noch sehr unbeholfen und mit schlechten Instruktoren. Auf dem
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Rathaus saßen eine Menge Komitees, alte und neue Offiziere, Uniformen und Blusen. Das Volk
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mischte sich unter die Soldaten und Freischärler, es wurde viel gezecht, viel gelacht, viel
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karessiert. Aber man sah gleich, daß der erste Aufschwung schon vorüber, daß
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viele unangenehm enttäuscht waren. Die Soldaten waren malkontent; wir haben die Insurrektion
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gemacht, sagten sie, und jetzt, wo die Bürgerlichen an die Reihe kommen und die Leitung
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übernehmen sollen, jetzt lassen sie alles ins Stocken geraten und verderben! Die Soldaten
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waren mit ihren neuen Offizieren auch nicht recht zufrieden; die neuen Offiziere waren gespannt
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mit den früheren großherzoglichen, deren damals noch viele da waren, obwohl
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täglich einige desertierten; die alten Offiziere fanden sich wider Willen in eine fatale
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Stellung versetzt, aus der sie nicht wußten, wie sie herauskommen sollten. Über den
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Mangel an energischer und fähiger Leitung endlich wurde überall geklagt.</p>
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<p>Auf der andern Rheinseite, in Ludwigshafen, trat uns die Bewegung in einer viel heiteren
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Gestalt entgegen. Während in Mannheim noch eine Masse junger Leute, die offenbar zum ersten
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Aufgebot gehörten, ruhig ihren Geschäften nachgingen, als ob gar nichts geschehen sei,
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war hier alles bewaffnet. Es war freilich nicht überall so in der Pfalz, wie sich
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später zeigte. Die größte Einstimmigkeit herrschte in Ludwigshafen zwischen
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Freischärlern und Militär. In den Wirtshäusern, die natürlich auch hier
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überfüllt waren, ertönten die Marseillaise und andre derartige Lieder. Man klagte
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nicht, man murrte nicht, man lachte, man war mit Leib und Seele bei der Bewegung und machte sich
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damals, besonders beim Füsilier und Freischärler, noch sehr <a name=
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"S143"><b><143></b></a> verzeihliche und unschuldige Illusionen über seine eigne
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Unüberwindlichkeit.</p>
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<p>In Karlsruhe nahm die Sache schon größere Feierlichkeit an. Im Pariser Hof war
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Table d'hôte <gemeinschaftliche Gasthaustafel> um ein Uhr angesagt. Aber es wurde
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nicht angefangen, bis "die Herren vom Landesausschuß" gekommen waren. Dergleichen kleine
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Aufmerksamkeiten gaben der Bewegung schon einen wohltuenden bürokratischen Anstrich.</p>
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<p>Wir sprachen gegen verschiedene Herren vom Landesausschuß die oben entwickelte Ansicht
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aus, daß gleich im Anfang nach Frankfurt hätte marschiert und dadurch die Insurrektion
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weiter ausgedehnt werden müssen, daß es jetzt höchstwahrscheinlich schon zu
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spät und daß ohne entscheidende Schläge in Ungarn oder ohne eine neue Revolution
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in Paris die ganze Bewegung schon jetzt rettungslos verloren sei. Man kann sich die
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Entrüstung nicht denken, die bei solchen ketzerischen Behauptungen unter diesen Bürgern
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vom Landesausschuß losbrach. Blind und Goegg allein waren auf unsrer Seite. Jetzt, nachdem
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die Ereignisse uns recht gegeben, haben dieselben Herren natürlich von jeher auf die
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Offensive gedrungen.</p>
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<p>In Karlsruhe traf man damals schon die ersten Anfänge jener großartigen
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Stellenjägerei, die sich unter dem ebenso großartigen Titel einer "Konzentrierung
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aller demokratischen Kräfte Deutschlands" als Vaterlandsrettung brüstete. Wer nur
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jemals in irgendeinem Klub mehr oder minder konfus deklamiert, im entferntesten demokratischen
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Winkelblättchen einmal zum Haß gegen Tyrannen aufgefordert hatte, eilte nach Karlsruhe
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oder Kaiserslautern, um dort sogleich ein großer Mann zu werden. Daß die Leistungen
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den hier konzentrierten Kräften vollständig entsprachen, braucht wohl nicht erst
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ausdrücklich versichert zu werden. - So befand sich hier in Karlsruhe ein bekannter,
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angeblich philosophischer Atta Troll, Exabgeordneter zur Frankfurter Versammlung und Exredakteur
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eines von Manteuffel trotz der Anerbietungen unsers Atta Troll unterdrückten, angeblich
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demokratischen Blättchens. Atta Troll angelte mit großer Emsigkeit nach dem
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Pöstchen des badischen Gesandten in Paris, zu dem er sich besonders berufen hielt, weil er
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seinerzeit zwei Jahre in Paris gewesen war und dort kein Französisch gelernt hatte. Er war
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auch wirklich so glücklich, Herrn Brentano das Kreditiv abzulocken, und packte eben seine
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Koffer, als Brentano ihn plötzlich rufen ließ und ihm das Beglaubigungsschreiben
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wieder aus der Tasche nahm. Es versteht sich, daß Atta Troll jetzt, Herrn Brentano zum
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Trotz, erst recht nach Paris reiste. - Ein anderer gesinnungstüchtiger Bürger, der
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schon seit <a name="S144"><b><144></b></a> einigen Jahren Deutschland mit Revolutionierung
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und Republikanisierung gedroht hatte, Herr Heinzen, befand sich ebenfalls in Karlsruhe. Dieser
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Biedermann hatte bekanntlich vor der Februarrevolution überall und immer zum "Dreinschlagen"
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aufgerufen, hatte es aber nach dieser Revolution für geratener gehalten, den verschiedenen
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deutschen Insurrektionen von den neutralen Hochgebirgen der Schweiz aus zuzusehen. Jetzt endlich
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schien ihm die Lust zu kommen, auch einmal auf die "Dränger" dreinzuschlagen. Nach seinem
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früheren Ausspruche: "Kossuth ist ein großer Mann, aber Kossuth hat das
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<i>Knallsilber</i> vergessen", war zu erwarten, daß er <i>sofort</i> die kolossalsten,
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bisher ungeahnten Zerstörungskräfte gegen die Preußen organisieren werde.
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Keineswegs. Da höherstrebende Pläne nicht anwendbar schienen, begnügte sich unser
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Tyrannenhasser, wie es heißt, mit der Bildung eines republikanischen Elitekorps, schrieb
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inzwischen Artikel zugunsten Brentanos in die "Karlsruher Zeitung" und besuchte den Klub des
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entschiedenen Fortschritts. Der Klub wurde aufgelöst, die republikanische Elite kam nicht,
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und Herr Heinzen merkte endlich, daß selbst er die Brentanosche Politik nicht länger
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verteidigen könne. Verkannt, verbraucht, verdrießlich ging er zunächst ins
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badische Oberland und von da in die Schweiz, ohne einen einzigen Dränger erschlagen zu
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haben. Er rächt sich jetzt an ihnen, indem er sie von London aus in effigie <im
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Geiste> millionenweise guillotiniert.</p>
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<p>Wir verließen Karlsruhe am nächsten Morgen, um die Pfalz zu besuchen. Von dem
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weitern Verlauf der badischen Insurrektion brauche ich in bezug auf die Leitung der allgemeinen
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Politik und der Zivilverwaltung nur noch wenig zu sagen. Als Brentano sich stark genug
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fühlte, vernichtete er die zahme Opposition, die ihm der Klub des entschiedenen Fortschritts
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machte, mit einem Schlage. Die "konstituierende Versammlung", unter dem Einfluß der
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immensen Popularität Brentanos und der alles regierenden Kleinbürgerschaft
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gewählt, gab ihr Ja und Amen zu allen seinen Schritten. Die "provisorische Regierung mit
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diktatorischer Gewalt" (eine Diktatur unter einem angeblichen Konvent!) war ganz unter seiner
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Leitung. So regierte er fort, hemmte die revolutionäre und militärische Entwicklung der
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Insurrektion, ließ die laufenden Geschäfte tant bien que mal <recht und
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schlecht> besorgen und bewachte eifersüchtig die Vorräte und das Privateigentum des
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Großherzogs, den er fortwährend als seinen legitimen Souverän von Gottes Gnaden
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behandelte. In der "Karlsruher Zeitung" erklärte er, der Großherzog könne jeden
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Augenblick zurückkommen, und wirklich blieb das Schloß während der ganzen Zeit
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verschlossen, als sei sein Bewohner bloß verreist. Die Pfälzer Abgesandten hielt
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<a name="S145"><b><145></b></a> er mit unbestimmten Antworten von einem Tage zum andern
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hin; das Höchste, was zu erreichen war, war das gemeinsame Militärkommando unter
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Mieroslawski und - ein Vertrag wegen Aufhebung des Mannheim-Ludwigshafener Brückenzolls, der
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Herrn Brentano indes nicht verhinderte, diesen Zoll auf der Mannheimer Seite forterheben zu
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lassen.</p>
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<p>Als endlich Mieroslawski nach dem Gefechte bei Waghäusel und Ubstadt die Trümmer
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seiner Armee durch das Gebirg bis hinter die Murg zurückziehen mußte, als Karlsruhe
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mit einer Masse Vorräten aufgegeben werden mußte, als die Niederlage an der Murg das
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Schicksal der Bewegung entschied, da verschwanden die Illusionen der badischen Bürger,
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Bauern und Soldaten, da erhob sich ein allgemeiner Ruf, Brentano habe verraten. Mit einem Schlage
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war das ganze, durch die Feigheit der Kleinbürger, durch die Unselbständigkeit der
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Bauern, durch den Mangel an Konzentrierung der Arbeiter aufrechtehaltene Gebäude der
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Popularität Brentanos vernichtet. Brentano floh bei Nacht und Nebel nach der Schweiz,
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verfolgt von dem Vorwurfe des Volksverrats, mit dem ihn seine eigene "Konstituante" brandmarkte,
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und verbarg sich in Feuerthalen im Kanton Zürich.</p>
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<p>Man könnte sich dabei beruhigen, daß Herr Brentano durch den gänzlichen Ruin
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seiner politischen Stellung, durch die allgemeine Verachtung aller Parteien für seinen
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Verrat genug gezüchtigt ist. An dem Untergang der badischen Bewegung liegt nicht viel. Der
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13. Juni in Paris und die Weigerung Görgeys, auf Wien zu marschieren, vernichteten alle
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Chancen, die Baden und die Pfalz noch hatten, selbst wenn es gelungen wäre, die Bewegung
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nach Hessen, Württemberg und Franken zu verpflanzen. Man wäre ehrenvoller gefallen,
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aber gefallen wäre man. Was aber die revolutionäre Partei Herrn Brentano nie vergessen
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wird, was sie den feigen badischen Kleinbürgern, die ihn aufrechterhielten, nie vergessen
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wird, das ist, daß sie direkt schuld sind an dem Tode der in Karlsruhe, in Freiburg und in
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Rastatt Erschossenen und der zahllosen und namenlosen Opfer, die die Preußen vermittelst
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des Typhus in den Rastatter Kasematten im stillen hingerichtet haben.</p>
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<p>Im zweiten Hefte dieser "Revue" werde ich die Zustände in der Pfalz und zum
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Beschluß die badisch-pfälzische Kampagne schildern.</p>
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<hr>
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<p>Fußnoten</p>
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<p><a name="M1">(1)</a> Die badischen Kammern hatten früher schon eine Emission von zwei
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Millionen Papiergeld genehmigt, von denen noch kein Kreuzer ausgegeben war. <a href=
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"me07_133.htm#Z1"><=</a></p>
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</body>
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</html>
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