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<title>"Neue Rheinische Zeitung" - Details ueber den 23. Juni</title>
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<p align="center"><a href="me05_111.htm"><font size="2">[Nachrichten aus Paris]</font></a>
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<font size="2">|</font> <a href="../me_nrz48.htm"><font size="2">Inhalt</font></a> <font size=
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"2">|</font> <a href="me05_116.htm"><font size="2">Nachrichten aus Paris</font></a></p>
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<small>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 112-115<br>
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Dietz Verlag, Berlin/DDR 1971</small> <br>
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<h1>Details über den 23. Juni</font></p>
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<p><font size="2">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 26 vom 26. Juni 1848, Extrabeilage]</font></p>
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<p><b><a name="S112"><112></a></b> * Der Aufstand ist ein reiner Arbeiteraufstand. Der
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Groll der Arbeiter ist losgebrochen gegen die Regierung und die Versammlung, die ihre
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Hoffnungen enttäuscht, die täglich neue Maßregeln im Interesse der Bourgeoisie
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gegen die Arbeiter ergriffen, die die Arbeiterkommission im Luxembourg aufgelöst, die
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Nationalateliers eingeschränkt, das Gesetz gegen die Zusammenscharungen erlassen haben.
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Der entschieden proletarische Charakter der Insurrektion geht aus allen Einzelnheiten
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hervor.</p>
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<p>Die Boulevards, die große Pulsader des Pariser Lebens, waren der Schauplatz der ersten
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Zusammenscharungen. Von der Porte St. Denis bis herab zu der alten Templestraße war alles
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gedrängt voll. Arbeiter aus den Nationalwerkstätten erklärten, sie würden
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nicht nach der Sologne zu den dortigen Nationalateliers gehen; andre erzählten, sie seien
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gestern dorthin abgereist, hätten aber schon an der Barriere Fontainebleau vergeblich auf
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die Marschzettel und den Befehl zur Abreise gewartet, die ihnen den Abend vorher zugesagt
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gewesen seien.</p>
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<p>Gegen zehn Uhr rief man nach Barrikaden. Der östliche und südöstliche Teil
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von Paris, vom Quartier und Faubourg Poissonnière an, wurden rasch, aber wie es scheint
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noch ziemlich regellos und zusammenhanglos verbarrikadiert. Die Straßen St. Denis, St.
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Martin, Rambuteau, Faubourg Poissonnière und auf dem linken Seineufer die Zugänge
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der Faubourgs St. Jacques und St. Marceau - die Straßen St. Jacques, La Harpe, La
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Huchette und die anstoßenden Brücken wurden mehr oder weniger stark verschanzt. Auf
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den Barrikaden wurden Fahnen aufgepflanzt mit der Inschrift: "Brot oder Tod!" oder: "<i>Arbeit
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oder Tod</i>!"</p>
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<p>Der Aufstand stützte sich somit entschieden auf den östlichen, vorwiegend von
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Arbeitern bewohnten Teil der Stadt; zuerst auf die Faubourgs Saint Jacques, <a name=
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"S113"><b><113></b></a> Saint Marceau, Saint Antoine, du Temple, Saint Martin und Saint
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Denis, auf die "aimables faubourgs", dann auf die dazwischenliegenden Stadtteile (Quartiers
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Saint Antoine, du Marais, Saint Martin und Saint Denis).</p>
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<p>Auf die Barrikaden folgten Angriffe. Der Wachtposten des Boulevard Bonne Nouvelle, der fast
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bei jeder Revolution zuerst gestürmt wird, war von Mobilgarde besetzt. Er wurde vom Volk
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entwaffnet.</p>
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<p>Aber bald darauf rückte die Bourgeoisgarde der westlichen Stadtteile zum Entsatz heran.
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Sie besetzte den Posten wieder. Ein zweiter Trupp besetzte das hohe Trottoir vor dem
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Théatre du Gymnase, das eine große Strecke der Boulevards beherrscht. Das Volk
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versuchte die vorgerückten Posten zu entwaffnen; doch wurde einstweilen noch von keiner
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Seite Gebrauch von den Waffen gemacht.</p>
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<p>Endlich kam der Befehl, die Barrikade quer über den Boulevard an der Porte Saint Denis
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zu nehmen. Die Nationalgarde rückte vor, den Polizeikommissär an der Spitze; man
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unterhandelte; einige Schüsse fielen, von welcher Seite, ist nicht klar, und das Feuer
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wurde rasch allgemein.</p>
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<p>Sofort gab auch der Posten Bonne Nouvelle Feuer; ein Bataillon der zweiten Legion, das den
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Boulevard Poissonnière besetzt hielt, rückte ebenfalls mit geladenen Gewehren vor.
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Das Volk war von allen Seiten umringt. Von ihren vorteilhaften und teilweise sicheren
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Stellungen aus eröffnete die Nationalgarde ein heftiges Kreuzfeuer auf die Arbeiter. Diese
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verteidigten sich eine halbe Stunde lang; endlich wurde der Boulevard Bonne Nouvelle und die
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Barrikaden bis zur Porte Saint Martin genommen. Hier hatte die Nationalgarde ebenfalls gegen
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elf Uhr von der Seite des Temple her die Barrikaden genommen und die Zugänge des
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Boulevards besetzt.</p>
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<p>Die Helden, die diese Barrikaden stürmten, waren die Bourgeois des zweiten
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Arrondissements, das sich vom Palais Ex-Royal bis über das ganze Faubourg Montmartre
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erstreckt. Hier wohnen die reichen Boutiquiers <Krämer> der Straße Vivienne,
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Richelieu und des Boulevards des Italiens, die großen Bankiers der Straßen Laffitte
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und Bergèe und die lebenslustigen Rentiers der Chaussée d'Antin. Hier wohnen
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Rothschild und Fould, Rougemont de Lowemberg und Ganneron. Hier liegt mit einem Wort die
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Börse, Tortoni und was daran hängt und baumelt.</p>
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<p>Diese Helden, zuerst und zumeist von der roten Republik bedroht, waren auch zuerst auf dem
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Platze. Es ist bezeichnend, daß die erste Barrikade des 23. Juni von den Besiegten des
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24. Februar genommen wurde. Dreitausend Mann stark rückten sie vor, vier Kompanien nahmen
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im Sturmschritt einen um- <a name="S114"><b><114></b></a> gestürzten Omnibus. Die
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Insurgenten scheinen sich indes an der Porte Sait Denis wieder festgesetzt zu haben, denn gegen
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Mittag mußte General Lamoricière mit starken Detachements Mobilgarde, Linie,
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Kavallerie und zwei Kanonen anrücken, um zusammen mit der zweiten Legion (der
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Nationalgarde des 2. Arrondissements) eine starke Barrikade zu nehmen. Ein Peloton Mobilgarde
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wurde von den Insurgenten zum Rückzuge gezwungen.</p>
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<p>Der Kampf auf dem Boulevard Saint Denis war das Signal zum Engagement in allen
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östlichen Bezirken von Paris. Er war blutig. Über 30 Insurgenten wurden getötet
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oder verwundet. Die wütenden Arbeiter schwuren, in der nächsten Nacht von allen
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Seiten loszubrechen und auf Tod und Leben die "Munizipalgarde der Republik" zu
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bekämpfen.</p>
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<p>Um elf Uhr schlug man sich ebenfalls in der Straße Planche-Mibray (Fortsetzung der
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Straße Saint Martin nach der Seine zu), ein Mann wurde getötet.</p>
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<p>In der Gegend der Hallen, Straße Rambuteau etc. kam es ebenfalls zu blutigen
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Kollisionen. Vier bis fünf Tote blieben auf dem Platz.</p>
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<p>Um ein Uhr fand in der Rue du Paradis-Poissonnière ein Gefecht statt; die
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Nationalgarde feuerte; das Resultat ist unbekannt. Im Faubourg Poissonnière wurden nach
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blutigem Zusammenstoß zwei Unteroffiziere der Nationalgarde entwaffnet.</p>
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<p>Die Straße Saint Denis wurde durch Kavalleriechargen gereinigt.</p>
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<p>Im Faubourg Saint Jacques schlug man sich nachmittags mit großer Heftigkeit. In den
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Straßen Saint Jacques und La Harpe, auf dem Platz Maubert wurde mit wechselndem Erfolge
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auf Barrikaden Sturm gelaufen und <i>stark mit Kartätschen geschossen</i>. Auch im
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Faubourg Montmartre schossen die Truppen mit Kanonen.</p>
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<p>Die Insurgenten wurden im ganzen zurückgedrängt. Das Stadthaus blieb frei; um drei
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Uhr war der Aufstand auf die Faubourgs und den Marais beschränkt.</p>
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<p>Übrigens sah man <i>wenig nicht uniformierte</i> Nationalgardisten (d.h. Arbeiter, die
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kein Geld zur Anschaffung der Uniform haben) unter den Waffen. Dagegen waren Leute darunter,
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die <i>Luxuswaffen</i>, Jagdflinten etc. trugen. Auch reitende Nationalgardisten (von jeher die
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jungen Leute der reichsten Familien) waren zu Fuß in die Reihen der Infanterie getreten.
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Auf dem Boulevard Poissonnière ließen sich Nationalgardisten vom Volk ruhig
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entwaffnen und nahmen dann Reißaus.</p>
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<p>Um fünf Uhr dauerte der Kampf noch fort, als ein Platzregen ihn auf einmal
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suspendierte.</p>
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<p>An einzelnen Stellen schlug man sich jedoch bis spät abends. Um neun <a name=
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"S115"><b><115></b></a> Uhr fielen noch Flintenschüsse im Faubourg St. Antoine, dem
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Zentrum der Arbeiterbevölkerung.</p>
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<p>Bis jetzt war der Kampf noch nicht mit der ganzen Heftigkeit einer entscheidenden Revolution
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geführt worden. Die Nationalgarde, mit Ausnahme der zweiten Legion, scheint meist
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gezaudert zu haben, die Barrikaden anzugreifen. Die Arbeiter, wütend wie sie waren,
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blieben, wie sich versteht, auf die Verteidigung ihrer Barrikaden beschränkt.</p>
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<p>So trennte man sich des Abends, nachdem beide Parteien sich auf den nächsten Morgen
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Rendezvous gegeben hatten. Der erste Tag des Kampfes gab der Regierung keine Vorteile; die
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zurückgedrängten Insurgenten konnten während der Nacht, wie sie es auch wirklich
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taten, die verlornen Posten wieder besetzen. Dagegen hatte die Regierung zwei wichtige
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Tatsachen gegen sich: Sie hatte mit Kartätschen geschossen, und sie hatte die Emeute nicht
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am ersten Tage besiegt. Mit den Kartätschen aber und mit einer Nacht, nicht des Sieges,
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sondern des bloßen Waffenstillstandes, <i>hört die Emeute auf und fängt die
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Revolution an</i>.</p>
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<p><font size="2">Geschrieben von Friedrich Engels.</font></p>
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