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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<TITLE>August Bebel - Die Frau und der Sozialismus - 24. Kapitel</TITLE>
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<P ALIGN="CENTER"><A HREF="beaa_481.htm"><FONT SIZE=2>23. Kapitel</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="beaa_000.htm"><FONT SIZE=2>Inhalt</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="beaa_488.htm"><FONT SIZE=2>25. Kapitel</FONT></A></P>
<FONT SIZE=2><P>August Bebel - "Die Frau und der Sozialismus" - 62. Auflage, Berlin/DDR, 1973, S. 485-487.</P>
<P>1. Korrektur.<BR>
Erstellt am 31.1.1999.</P>
</FONT><I><P ALIGN="CENTER">Vierundzwanzigstes Kapitel <BR>
</I><FONT SIZE=4>Die Zukunft der Religion</P>
</FONT><B><P><A NAME="S485">|485|</A></B> Und wie mit dem Staate, so geht<68>s mit der Religion. Diese wird nicht "abgeschafft", man wird "Gott nicht absetzen", nicht "den Leuten die Religion aus dem Herzen rei&szlig;en", und wie sonst die albernen Reden lauten, womit man atheistisch gesinnte Sozialdemokraten anklagt. Solche Verkehrtheiten &uuml;berl&auml;&szlig;t die Sozialdemokratie den b&uuml;rgerlichen Ideologen, die in der franz&ouml;sischen Revolution solche Mittel versuchten und nat&uuml;rlich elend Schiffbruch litten. Ohne gewaltsamen Angriff und ohne Unterdr&uuml;ckung der Meinungen, welcher Art immer sie sind, werden die religi&ouml;sen Organisationen und mit ihnen die Kirchen allm&auml;hlich verschwinden. </P>
<P>Die Religion ist die transzendente Widerspiegelung des jeweiligen Gesellschaftszustandes. In dem Ma&szlig;e, wie die menschliche Entwicklung fortschreitet, die Gesellschaft sich transformiert, transformiert sich die Religion, sie ist, wie Marx sagt, das Streben nach illusorischem Gl&uuml;ck des Volkes, das einem Zustand der Gesellschaft entspringt, <I>welcher der Illusion bedarf</I> <A NAME="ZF1"><A HREF="beaa_485.htm#F1">(1)</A></A>, aber verschwindet, sobald die Erkenntnis des wirklichen Gl&uuml;ckes und die M&ouml;glichkeit seiner Verwirklichung die Massen durchdringt. Die herrschenden Klassen streben in ihrem eigenen Interesse, diese Erkenntnis zu verhindern, und so suchen sie die Religion als Mittel f&uuml;r ihre Herrschaft zu konservieren, was am deutlichsten in dem bekannten Satze sich ausdr&uuml;ckt: "Dem Volke mu&szlig; die Religion erhalten werden." Dieses Gesch&auml;ft wird in einer auf Klassenherrschaft beruhenden Gesellschaft eine wichtige amtliche Funktion. Es bildet sich eine Kaste, welche diese Funktion &uuml;bernimmt und ihren ganzen Scharfsinn darauf richtet, das Geb&auml;ude zu erhalten und zu erweitern, weil damit ihre eigene Macht und ihr Ansehen w&auml;chst. </P>
<P>Anfangs Fetischismus auf unterster Kulturstufe, in primitiven gesellschaftlichen Verh&auml;ltnissen, wird die Religion Polytheismus bei <A NAME="S486"><B>|486|</A></B> h&ouml;herer Entwicklung, Monotheismus bei noch vorgeschrittenerer Kultur. Es sind nicht die G&ouml;tter, welche die Menschen erschaffen, es sind die Menschen, die sich die G&ouml;tter, Gott machen. "Sich selbst (dem Menschen) zum Bilde, zum Ebenbilde schuf er ihn" (den Gott), nicht umgekehrt. Bereits hat sich auch der Monotheismus in einen alles umfassenden, alles durchdringenden Pantheismus aufgel&ouml;st und verfl&uuml;chtigt sich immer mehr. Die Naturwissenschaft machte die Lehre von der Sch&ouml;pfung der Erde in sechs Tagen zur Mythe; die Astronomie, die Mathematik und Physik machen den Himmel zu einem Luftgebilde, die Sterne am Himmelszelt, auf denen die Engel thronen, zu Fixsternen und Planeten, deren Natur jedes Engelleben ausschlie&szlig;t. </P>
<P>Die herrschende Klasse, die sich in ihrer Existenz bedroht sieht, klammert sich an die Religion als die St&uuml;tze aller Autorit&auml;t, wie das jede herrschende Klasse bisher so gehalten hat.<A NAME="ZF2"><A HREF="beaa_485.htm#F2">(2)</A></A> Die Bourgeoisie glaubt selbst nichts, sie hat durch ihre ganze Entwicklung, durch die aus ihrem Scho&szlig;e hervorgegangene moderne Wissenschaft den Glauben an die Religion und. alle Autorit&auml;t zerst&ouml;rt. Ihr Glaube ist nur Scheinglaube, und die Kirche nimmt die Hilfe der falschen Freundin an, weil sie selbst der Hilfe bedarf. "Die Religion ist f&uuml;r das Volk n&ouml;tig." </P>
<P>F&uuml;r die neue Gesellschaft existieren keine R&uuml;cksichten. Der unausgesetzte menschliche Fortschritt und die unverf&auml;lschte Wissenschaft sind ihr Panier. Hat jemand noch religi&ouml;se Bed&uuml;rfnisse, so mag er sie mit seinesgleichen befriedigen. Die Gesellschaft k&uuml;mmert sich nicht darum. Auch der Priester mu&szlig; arbeiten, um zu leben, und da er <A NAME="S487"><B>|487|</A></B> dabei lernt, so kommt auch f&uuml;r ihn die Zeit, wo er einsieht, da&szlig; das<I> H&ouml;chste</I> ist:<I> ein Mensch zu sein</I>. </P>
<P>Sittlichkeit und Moral bestehen auch ohne die Religion; das Gegenteil k&ouml;nnen nur Einf&auml;ltige oder Heuchler behaupten wollen. Sittlichkeit und Moral sind der Ausdruck f&uuml;r Begriffe, welche die Beziehungen der Menschen zueinander und ihre Handlungen regeln, die Religion umfa&szlig;t die Beziehungen der Menschen zu &uuml;bersinnlichen Wesen. Aber wie die Religion, so entspringen auch die Begriffe &uuml;ber die Moral dem jeweiligen Sozialzustand der Menschen.<A NAME="ZF3"><A HREF="beaa_485.htm#F3">(3)</A></A> Der Kannibale betrachtet Menschenfresserei als sehr moralisch; als moralisch sahen Griechen und R&ouml;mer die Sklaverei an, der Feudalherr des Mittelalters die Leibeigenschaft und H&ouml;rigkeit; hochmoralisch erscheint dem modernen Kapitalisten das Lohnarbeitsverh&auml;ltnis, die Ausbeutung der Frauen und die Demoralisation der Kinder durch gewerbliche Arbeit.<A NAME="ZF4"><A HREF="beaa_485.htm#F4">(4)</A></A> Vier Gesellschaftsstufen und vier Moralbegriffe, aber in keiner herrscht der h&ouml;chste Moralbegriff. Der h&ouml;chste moralische Zustand ist derjenige, in dem die Menschen sich als<I> Freie</I> und<I> Gleiche</I> gegen&uuml;berstehen, in dem der Grundsatz: "Was du nicht willst, das man dir tu, das f&uuml;g' auch keinem andern zu", alle menschlichen Beziehungen beherrscht. Im Mittelalter galt der Stammbaum des Menschen, in der Gegenwart entscheidet sein Besitz, in der Zukunft gilt der Mensch als Mensch. Und die Zukunft geh&ouml;rt dem Sozialismus.</P>
<P><HR></P>
<P>Fu&szlig;noten von August Bebel</P>
<P><A NAME="F1">(1)</A> Karl Marx, Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Deutsch-Franz&ouml;sische Jahrb&uuml;cher, 1. und 2. Lieferung. Paris 1844. <A HREF="beaa_485.htm#ZF1">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F2">(2)</A> Wie schon die Alten hier&uuml;ber dachten, zeigt folgende &Auml;u&szlig;erung des Aristoteles: "Der Tyrann (der Name f&uuml;r Alleinherrscher im alten Griechenland) mu&szlig; sich<I> den Schein</I> geben, als n&auml;hme er es mit der Religion ungemein ernst. Denn von solchen besorgen die Untertanen weniger eine ungesetzliche Behandlung, wenn sie den Wandel des Herrschers f&uuml;r gottesf&uuml;rchtig und fromm zu erkennen glauben, und andererseits unternehmen sie nicht leicht etwas gegen ihn, da er ja die G&ouml;tter zum Beistand habe." Aristoteles, Politik. </P>
<P>"Der F&uuml;rst mu&szlig; die guten menschlichen Eigenschaften haben oder noch besser <I>zu haben scheinen; er mu&szlig; besonders ganz Fr&ouml;mmigkeit, ganz Religion scheinen</I>. Wenn auch einige ihn durchschauen, so schweigen sie doch still; denn die Staatsmajest&auml;t sch&uuml;tzt den F&uuml;rsten, der dann verm&ouml;ge dieses Schutzes,<I> wenn es sein Vorteil erheischt</I>, die gegenteiligen Seiten herauskehren kann. Das Gros der Untertanen wird ihn, weil er bei vielen Gelegenheiten,<I> da es ihm nichts</I> ver<I>schlug</I>, Gottesfurcht zeigte, immer f&uuml;r einen ehrenwerten Mann halten, auch da, wo er gegen Treu und Glauben und gegen die Religion handelte.<I> Im &uuml;brigen soll der F&uuml;rst Kultus und Kirchentum ganz besonders pflegen.</I>" Machiavelli in seiner ber&uuml;hmten Schrift: Der F&uuml;rst, 18. Kapitel. <A HREF="beaa_485.htm#ZF2">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F3">(3)</A> Siehe K. Kautsky, Ethik und materialistische Geschichtsauffassung. Stuttgart 1905, Verlag J. H. W. Dietz Nachf. <A HREF="beaa_485.htm#ZF3">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F4">(4)</A> Ist der Bourgeois um Gr&uuml;nde in Verlegenheit, um Ungeh&ouml;riges zu rechtfertigen, so ist tausend gegen eins zu wetten, er beruft sich auf die "Sittlichkeit". Im Fr&uuml;hjahr 1894 erkl&auml;rte sogar in einer evangelischen Synodalversammlung ein "liberaler" Rat des Berliner Kammergerichts es f&uuml;r "sittlich", da&szlig; nur der ein Wahlrecht zum Kirchenverband habe, der Steuern bezahle.(!) <A HREF="beaa_485.htm#ZF4">&lt;=</A></P></BODY>
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