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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<title>"Neue Rheinische Zeitung" - Lebens- und Sterbensfragen</title>
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<p align="center"><a href="me05_025.htm"><font size="2">Camphausens Erkl&auml;rung in der
Sitzung vom 30. Mai</font></a> <font size="2">|</font> <a href="../me_nrz48.htm"><font size=
"2">Inhalt</font></a> <font size="2">|</font> <a href="me05_032.htm"><font size="2">Das
Ministerium Camphausen</font></a></p>
<small>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 29-31<br>
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1971</small> <br>
<br>
<h1>Lebens- und Sterbensfragen</font></p>
<p><font size="2">[Neue Rheinische Zeitung" Nr. 4 vom 4. Juni 1848]</font></p>
<p><b><a name="S29">&lt;29&gt;</a></b> **<i>K&ouml;ln</i>, 3. Juni. Die Zeiten &auml;ndern
sich, wir &auml;ndern uns mit ihnen. Das ist ein Spr&uuml;chlein, davon unsre Herren Minister
<i>Camphausen</i> und <i>Hansemann</i> auch zu erz&auml;hlen wissen. Damals, als sie noch als
bescheidene Abgeordnete auf den Schulb&auml;nken eines Landtags sa&szlig;en, was mu&szlig;ten
sie sich da von Regierungskommiss&auml;ren und Marsch&auml;llen gefallen lassen! Wie wurden sie
auf Sekunda, auf dem rheinischen Provinziallandtage kurzgehalten von Sr. Durchlaucht dem
Ordinarius Solms-Lich! Und selbst als sie nach Prima, in den Vereinigten Landtag versetzt
wurden, waren ihnen zwar einige Exerzitien in der Eloquenz gestattet, aber wie f&uuml;hrte ihr
Schulmeister, Herr Adolf v. Rochow, noch immer den ihm Allerh&ouml;chst &uuml;berreichten
Stock! Wie dem&uuml;tig mu&szlig;ten sie die Impertinenzen eines Bodelschwingh hinnehmen, wie
and&auml;chtig das stotternde Deutsch eines Boyen bewundern, welch ein beschr&auml;nkter
Untertanenverstand war ihnen zur Pflicht gemacht gegen&uuml;ber der groben Unwissenheit eines
Duesberg!</p>
<p>Jetzt ist das anders geworden. Der 18. M&auml;rz machte der ganzen politischen
Schulmeisterei ein Ende, und die Landtagssch&uuml;ler erkl&auml;rten sich reif. Herr Camphausen
und Herr Hansemann wurden Minister und f&uuml;hlten entz&uuml;ckt ihre ganze Gr&ouml;&szlig;e
als "notwendige M&auml;nner".</p>
<p>Wie "notwendig" sie zu sein glauben, wie &uuml;berm&uuml;tig sie durch ihre Befreiung aus
der Schule geworden sind, hat jeder f&uuml;hlen m&uuml;ssen, der mit ihnen in Ber&uuml;hrung
kam.</p>
<p>Sie fingen sofort damit an, die alte Schulstube, den Vereinigten Landtag, provisorisch
wieder einzurichten. Hier sollte der gro&szlig;e Akt des &Uuml;bergangs aus dem
b&uuml;rokratischen Gymnasium in die konstitutionelle Universit&auml;t, die feierliche
Ausstellung des Abiturientenzeugnisses f&uuml;r das preu&szlig;ische Volk in aller
vorgeschriebenen Form abgemacht werden.</p>
<p><b><a name="S30">&lt;30&gt;</a></b> Das Volk erkl&auml;rte in zahlreichen Denkschriften und
Petitionen, es wolle vom Vereinigten Landtage nichts wissen.</p>
<p>Herr Camphausen erwiderte (siehe z.B. die Sitzung der Konstituante vom 30. Mai), die
Berufung des Landtags sei eine <i>Lebensfrage</i> f&uuml;r das Ministerium, und da war freilich
alles aus.</p>
<p>Der Landtag kam zusammen, eine an der Welt, an Gott, an sich selbst verzweifelnde,
niedergeschlagene, zerknirschte Versammlung. Ihm war bedeutet worden, er solle blo&szlig; das
neue Wahlgesetz akzeptieren, aber Herr Camphausen verlangt von ihm nicht nur ein papiernes
Gesetz und indirekte Wahlen, sondern f&uuml;nfundzwanzig klingende Millionen. Die Kurien
geraten in Verwirrung, werden irre an ihrer Kompetenz, stammeln unzusammenh&auml;ngende
Einw&auml;nde; aber da hilft nichts, es ist im Rate des Herrn Camphausen beschlossen, und wenn
die Gelder nicht bewilligt werden, wenn "das Vertrauensvotum" verweigert wird, so geht Herr
Camphausen nach K&ouml;ln und &uuml;berl&auml;&szlig;t die preu&szlig;ische Monarchie ihrem
Schicksale. Den Herrn vom Landtage tritt bei dem Gedanken der kalte Schwei&szlig; vor die
Stirne, aller Widerstand wird aufgegeben, und das Vertrauensvotum wird mit
s&uuml;&szlig;s&auml;uerlichem L&auml;cheln votiert. Man sieht es diesen f&uuml;nfundzwanzig im
Luftreich des Traums Kurs habenden Millionen an, wo und wie sie votiert worden sind.</p>
<p>Die indirekten Wahlen werden proklamiert. Ein Sturm von Adressen, Petitionen, Deputationen
erhebt sich dagegen. Die Herren Minister antworten: Das Ministerium steht und f&auml;llt mit
den indirekten Wahlen. Damit ist wieder alles still, und beide Teile k&ouml;nnen sich schlafen
legen.</p>
<p>Die Vereinbarungsversammlung kommt zusammen. Herr Camphausen hat sich vorgenommen, sich eine
Antwortadresse auf seine Thronrede machen zu lassen. Der Deputierte Duncker mu&szlig; den
Vorschlag machen. Die Diskussion entspinnt sich. Es wird ziemlich lebhaft gegen die Adresse
gesprochen. Herr Hansemann langweilt sich &uuml;ber das ewige konfuse Hin- und Herreden der
unbeholfenen Versammlung, das seinem parlamentarischen Takt unertr&auml;glich wird, und
erkl&auml;rt kurzweg: Man k&ouml;nne sich das alles sparen; entweder mache man eine Adresse und
dann sei alles gut, oder man mache keine und dann trete das Ministerium ab. Die Diskussion
dauert dennoch fort, und Herr Camphausen tritt endlich selbst auf die Trib&uuml;ne, um zu
best&auml;tigen, da&szlig; die Adre&szlig;frage eine Lebensfrage f&uuml;r das Ministerium sei.
Endlich, da dies noch nicht hilft, tritt Herr Auerswald ebenfalls auf und beteuert zum
drittenmal, da&szlig; das Ministerium mit der Adresse stehe und falle. Jetzt <a name=
"S31"><b>&lt;31&gt;</b></a> war die Versammlung hinl&auml;nglich &uuml;berzeugt und stimmte
nat&uuml;rlich f&uuml;r die Adresse.</p>
<p>So sind unsre "verantwortlichen" Minister in zwei Monaten schon zu jener Erfahrung und
Sicherheit in der Leitung einer Versammlung gekommen, welche der Herr Duch&acirc;tel, der doch
gewi&szlig; nicht zu verachten war, sich erst nach mehreren Jahren intimen Verkehrs mit der
vorletzten franz&ouml;sischen Deputiertenkammer erwarb. Auch Herr Duch&acirc;tel pflegte in der
letzten Zeit, wenn die Linke ihn durch ihre breiten Tiraden langweilte, zu erkl&auml;ren: Die
Kammer ist frei, sie kann f&uuml;r oder gegen stimmen; stimmt sie aber gegen, so treten wir ab
- und die zaghafte Majorit&auml;t, f&uuml;r die Herr Duch&acirc;tel der "notwendigste" Mann von
der Welt war, scharte sich wie eine Hammelherde beim Gewitter um ihren bedrohten Anf&uuml;hrer.
Herr Duch&acirc;tel war ein leichtsinniger Franzose und trieb das Spiel so lange, bis es seinen
Landsleuten zu arg wurde. Herr Camphausen ist ein gesinnungst&uuml;chtiger und ruhiger
Deutscher und wird wissen, wie weit er gehen kann.</p>
<p>Freilich, wenn man seiner Leute so sicher ist wie Herr Camphausen seiner "Vereinbarer", so
spart man auf diese Weise Zeit und Gr&uuml;nde. Man schneidet der Opposition das Wort so
ziemlich rund ab, wenn man jeden Punkt zu einer Kabinettsfrage macht. Deshalb pa&szlig;t diese
Methode auch am meisten f&uuml;r entschiedene M&auml;nner, die ein f&uuml;r allemal wissen, was
sie wollen, und denen alles weitere nutzlose Geschw&auml;tz unertr&auml;glich wird - f&uuml;r
M&auml;nner wie Duch&acirc;tel und Hansemann. F&uuml;r M&auml;nner der Diskussion aber, die es
lieben, "in einer gro&szlig;en Debatte ihre Ansichten auszusprechen und auszutauschen, sowohl
&uuml;ber die Vergangenheit und &uuml;ber die Gegenwart als auch &uuml;ber die Zukunft"
(Camphausen, Sitzung vom 31. Mai), f&uuml;r M&auml;nner, welche auf dem Boden des Prinzips
stehen und die Tagesereignisse mit dem Scharfblick des Philosophen durchschauen, f&uuml;r
h&ouml;here Geister wie Guizot und Camphausen kann dies irdische Mittelchen, wie unser
Konseilpr&auml;sident in seiner Praxis finden wird, gar nicht passen. Er &uuml;berlasse es
seinem Duch&acirc;tel Hansemann und halte sich in der h&ouml;hern Sph&auml;re, in der wir ihn
so gerne beobachten.</p>
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