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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<title>"Neue Rheinische Zeitung" - Verhaftungen</title>
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<p align="center"><a href="me05_165.htm"><font size="2">Verhaftungen</font></a> <font size=
"2">|</font> <a href="../me_nrz48.htm"><font size="2">Inhalt</font></a> <font size="2">|</font>
<a href="me05_169.htm"><font size="2">Vereinbarungsdebatten</font></a></p>
<small>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 166-168<br>
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1971</small> <br>
<br>
<h1>Verhaftungen</font></p>
<p><font size="2">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 35 vom 5. Juli 1848]</font></p>
<p><b><a name="S166">&lt;166&gt;</a></b> **<i>K&ouml;ln,</i> 4. Juli. Wir haben unsern Lesern
gestern versprochen, auf die Verhaftung der Herren Dr. <i>Gottschalk</i> und <i>Anneke</i>
zur&uuml;ckzukommen. Bisher sind uns nur &uuml;ber Annekes Verhaftung n&auml;here Details
zugegangen.</p>
<p>Morgens zwischen sechs und sieben Uhr betraten sechs bis sieben Gendarmen Annekes Wohnung,
mi&szlig;handelten sofort auf der Hausflur das Dienstm&auml;dchen und schlichen leise die
Treppe hinauf. Drei blieben im Vorzimmer stehen, vier drangen ins Schlafzimmer, wo Anneke und
seine hochschwangre Frau schliefen. Von diesen vier S&auml;ulen der Gerechtigkeit wankte die
eine mehr oder minder, so guter Stunde schon angef&uuml;llt mit dem "Geist", dem Wasser des
wahren Lebens, dem gebrannten Wasser.</p>
<p>Anneke frug, was man wolle? - Er solle mitgehen! lautete die lakonische Antwort. Anneke bat,
wenigstens seine kranke Frau zu schonen und ins Vorzimmer zu gehen. Die Herren von der heiligen
Hermandad erkl&auml;ren, das Schlafzimmer nicht verlassen zu wollen, treiben Anneke an, sich
rasch anzukleiden, und erlauben ihm nicht einmal, mit seiner Frau zu sprechen. Dies Antreiben
geht im Vorzimmer zu T&auml;tlichkeiten &uuml;ber, wobei einer der Gendarmen die Glast&uuml;re
in Scherben st&ouml;&szlig;t. Anneke wurde die Treppe <i>hinuntergesto&szlig;en</i>. Vier
Gendarmen f&uuml;hren ihn ab ins neue Arresthaus, drei bleiben bei Frau Anneke, um sie bis zur
Ankunft des Staatsprokurators zu bewachen.</p>
<p>Nach gesetzlicher Vorschrift mu&szlig; bei der Verhaftung wenigstens ein <i>Beamter der
gerichtlichen Polizei</i> - Polizeikommiss&auml;r u.dgl. - zugegen sein. Wozu solche
F&ouml;rmlichkeiten, seitdem das Volk zur Vertretung seiner Rechte zwei Versammlungen besitzt,
eine zu Berlin und eine zu Frankfurt?</p>
<p>Nach einer halben Stunde kamen Herr Staatsprokurator <i>Hecker</i> und Instruktionsrichter
<i>Geiger</i>, um die Haussuchung zu halten.</p>
<p><b><a name="S167">&lt;167&gt;</a></b> Frau Anneke beschwert sich, da&szlig; der
Staatsprokurator die Verhaftung den brutalen, durch die Gegenwart keiner Magistratsperson
gez&uuml;gelten Gendarmen &uuml;berlassen. Herr Hecker erkl&auml;rt, er habe <i>keinen Befehl
zu Brutalit&auml;ten</i> gegeben. Als ob der Herr Hecker Brutalit&auml;ten befehlen
k&ouml;nne?</p>
<p>Frau <i>Anneke</i>: Man habe, wie es scheine, die Gendarmen <i>allein</i> vorausgeschickt,
um ihre Brutalit&auml;t nicht verantworten zu m&uuml;ssen. Die Verhaftung habe &uuml;berdem
nicht in der gesetzlichen Form stattgefunden, da kein Gendarm einen Verhaftsbefehl vorgezeigt,
sondern blo&szlig; einer einen Wisch aus der Tasche gezogen, den Anneke nicht lesen durfte.</p>
<p>Herr <i>Hecker</i>: "Die Gendarmen seien zu der Verhaftung <i>richterlich kommandiert</i>
worden." Und das Kommando der Richter, steht es nicht unter dem Kommando des Gesetzes?
Staatsprokurator und Instruktionsrichter konfiszierten eine Masse Papiere, Flugschriften,
worunter die ganze Mappe der Frau Anneke usw. Herr Instruktionsrichter Geiger ist,
beil&auml;ufig gesagt, zum <i>Polizeidirektor</i> designiert.</p>
<p>Abends wurde Anneke eine halbe Stunde lang verh&ouml;rt. Der Grund seiner Verhaftung sei
eine aufr&uuml;hrerische Rede, die er in der letzten Volksversammlung auf dem G&uuml;rzenich
gehalten. Art. 102 des Code p&eacute;nal spricht von &ouml;ffentlichen Reden, die
<i>unmittelbar</i> auffordern zu Komplotten gegen den Kaiser und seine Familie oder die dahin
zielen, die Ruhe des Staats durch B&uuml;rgerkrieg, durch gesetzwidrigen Gebrauch der
bewaffneten Macht, durch &ouml;ffentliche Verheerung und Pl&uuml;nderung zu st&ouml;ren. Der
Code kennt nicht das preu&szlig;ische "Erregen von Mi&szlig;vergn&uuml;gen". In Ermangelung des
preu&szlig;ischen Landrechts wird man einstweilen den Art. 102 &uuml;berall anwenden, wo seine
Anwendung zu den juristischen Unm&ouml;glichkeiten geh&ouml;rt..</p>
<p>Bei der Verhaftung selbst war eine gro&szlig;e Milit&auml;rmacht entwickelt - seit vier Uhr
Konsignation der Truppen in den Kasernen. B&auml;cker und Handwerker wurden in sie hinein, aber
nicht wieder herausgelassen. Die Husaren r&uuml;ckten gegen sechs Uhr von Deutz nach K&ouml;ln
und durchritten die ganze Stadt. Das neue Arresthaus war mit 300 Mann besetzt. F&uuml;r den
heutigen Tag sind vier neue Verhaftungen, von Jansen, Kalker, Esser und einem Vierten
angek&uuml;ndet. Der Maueranschlag Jansens, worin er die <i>Arbeiter zur Ruhe</i> ermahnt,
wurde, wie uns <i>Augenzeugen</i> versichern, gestern abend von der Polizei <i>abgerissen</i>.
Geschah das im Interesse der Ordnung? Oder suchte man einen Anla&szlig;, um l&auml;ngst gehegte
Pl&auml;ne in der guten Stadt K&ouml;ln zur Ausf&uuml;hrung zu bringen?</p>
<p>Herr Oberprokurator Zweiffel soll schon fr&uuml;her beim Oberlandsgericht in Arnsberg
angefragt haben, ob er den Anneke wegen seiner fr&uuml;heren Verurteilung verhaften und nach
J&uuml;lich transportieren solle. Die k&ouml;nigliche <a name="S168"><b>&lt;168&gt;</b></a>
Amnestie scheint dieser wohlmeinenden Absicht im Wege gestanden zu haben. Die Sache ging ans
Ministerium.</p>
<p>Herr Oberprokurator Zweiffel soll au&szlig;erdem erkl&auml;rt haben, da&szlig; er binnen 8
Tagen mit dem 19. M&auml;rz, mit den Klubs und der Pre&szlig;freiheit und andern Ausartungen
des b&ouml;sen Jahres 1848 zu K&ouml;ln am Rhein ein Ende machen werde. Herr Zweiffel
geh&ouml;rt nicht zu den Skeptikern.</p>
<p>Verbindet Herr Zweiffel etwa die exekutive Gewalt mit der legislativen? Sollen die Lorbeeren
des Oberprokurators die Bl&ouml;&szlig;en des Volksrepr&auml;sentanten bedecken? Noch einmal
werden wir unsre vielgeliebten stenographischen Berichte durchmustern und dem Publikum ein
treues Bild entwerfen von der Wirksamkeit des Volksrepr&auml;sentanten und Oberprokurators
Zweiffel.</p>
<p>Das also sind die Taten des <i>Ministeriums der Tat</i>, des Ministeriums des linken
Zentrums, des Ministeriums des &Uuml;bergangs zu einem altadeligen, altb&uuml;rokratischen,
altpreu&szlig;ischen Ministerium. Sobald Herr Hansemann seinen transitorischen Beruf
erf&uuml;llt hat, wird man ihn entlassen.</p>
<p>Die Linke zu Berlin aber mu&szlig; einsehn, da&szlig; die alte Macht kleine parlamentarische
Siege und gro&szlig;e Konstitutionsentw&uuml;rfe ihr getrost &uuml;berlassen kann, wenn sie nur
unterdessen sich aller wirklich entscheidenden Positionen bem&auml;chtigt. Getrost kann sie die
Revolution des 19. M&auml;rz in der Kammer anerkennen, wenn dieselbe nur au&szlig;erhalb der
Kammer entwaffnet wird.</p>
<p>Die Linke k&ouml;nnte an einem sch&ouml;nen Morgen finden, da&szlig; ihr parlamentarischer
Sieg und ihre wirkliche Niederlage zusammenfallen. <i>Die deutsche Entwicklung bedarf
vielleicht solcher Kontraste</i>.</p>
<p>Das Ministerium der Tat erkennt die Revolution im Prinzip an, um in der Praxis die
Kontrerevolution zu vollziehen.</p>
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