305 lines
20 KiB
HTML
305 lines
20 KiB
HTML
|
<!DOCTYPE HTML PUBLIC "-//W3C//DTD HTML 3.2//EN">
|
||
|
|
||
|
<html>
|
||
|
<head>
|
||
|
<meta name="generator" content="HTML Tidy for Windows (vers 1st August 2002), see www.w3.org">
|
||
|
<meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=ISO-8859-1">
|
||
|
|
||
|
<title>"Neue Rheinische Zeitung" - Die Krisis und die Kontrerevolution</title>
|
||
|
<link rel=stylesheet type="text/css" href="http://www.mlwerke.de/css/artikel.css">
|
||
|
</head>
|
||
|
|
||
|
<body>
|
||
|
<p align="center"><a href="me05_393.htm"><font size="2">Der dänisch-preußische
|
||
|
Waffenstillstand</font></a> <font size="2">|</font> <a href="../me_nrz48.htm"><font size=
|
||
|
"2">Inhalt</font></a> <font size="2">|</font> <a href="me05_405.htm"><font size="2">Die
|
||
|
Freiheit er Beratungen in Berlin</font></a></p>
|
||
|
<small>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 398-404<br>
|
||
|
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1959</small><br>
|
||
|
<br>
|
||
|
|
||
|
|
||
|
<h1>Die Krisis und die Kontrerevolution</font></p>
|
||
|
|
||
|
<p><font size="2">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 100 vom 12. September 1848]</font></p>
|
||
|
|
||
|
<p><b><a name="S398"><398></a></b> **<i>Köln</i>, 11. September. Man lese unsere
|
||
|
nachfolgenden Berliner Korrespondenzen und sage, ob wir die Entwickelung der Ministerkrisis
|
||
|
nicht ganz richtig vorhergesagt haben. Die alten Minister treten zurück; der Plan des
|
||
|
Ministeriums, sich durch Auflösung der Vereinbarungsversammlung, durch Martialgesetze und
|
||
|
Kanonen zu halten, scheint den Beifall der Kamarilla nicht gefunden zu haben. Die
|
||
|
uckermärkische Junkerschaft brennt vor Begierde nach einem Konflikt mit dem Volk, nach
|
||
|
einer Wiederholung der Pariser Juniszenen in den Straßen von Berlin; aber sie wird sich
|
||
|
nie für das Ministerium Hansemann, sie wird sich für das <b>Ministerium des Prinzen
|
||
|
von Preußen schlagen</b>. <i>Radowitz, Vincke</i> und ähnliche zuverlässige
|
||
|
Leute, die der Berliner Versammlung fremd stehen, die ihr gegenüber ungebunden sind,
|
||
|
werden berufen; die Creme der preußischen und westfälischen Ritterschaft, zum Schein
|
||
|
assoziiert mit einigen bürgerlichen Biedermännern der äußersten Rechten,
|
||
|
mit einem Beckerathe und Konsorten, denen man die prosaischen kaufmännischen
|
||
|
Geschäfte des Staats überträgt - das ist das Ministerium des Prinzen von
|
||
|
Preußen, womit man uns zu beglücken gedenkt. Inzwischen sprengt man Hunderte von
|
||
|
Gerüchten aus, läßt vielleicht Waldeck oder Rodbertus rufen, führt die
|
||
|
öffentliche Meinung irre, macht inzwischen seine militärischen Vorbereitungen und
|
||
|
tritt offen heraus, wenn es Zeit ist.</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Wir gehen einem entscheidenden Kampf entgegen. Die gleichzeitigen Krisen in Frankfurt und
|
||
|
Berlin, die letzten Beschlüsse der beiden Versammlungen zwingen die Kontrerevolution, ihre
|
||
|
letzte Schlacht zu schlagen. Wagt man es in Berlin, das konstitutionelle Prinzip der Herrschaft
|
||
|
der Majorität mit Füßen zu treten, stellt man den 219 Stimmen der
|
||
|
Majorität die doppelte Anzahl Kanonen gegenüber, wagt man es, der Majorität
|
||
|
nicht nur in Berlin, sondern auch in Frankfurt durch ein Ministerium hohnzusprechen, das <a
|
||
|
name="S399"><b><399></b></a> gegenüber den beiden Versammlungen unmöglich ist -
|
||
|
<b>provoziert man so den Bürgerkrieg zwischen Preußen und Deutschland, so wissen die
|
||
|
Demokraten, was sie zu tun haben</b>.</p>
|
||
|
|
||
|
<p><font size="2">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 101 vom 13. September 1848]</font></p>
|
||
|
|
||
|
<p>**<i>Köln</i>, 12. September. Während das neue Reichsministerium, wie wir es
|
||
|
gestern mitteilten, auch von andern Seiten her bestätigt wird, und wir vielleicht schon
|
||
|
heute mittag die Nachricht von seiner definitiven Konstituierung bekommen, dauert in Berlin die
|
||
|
Ministerkrise fort. Die Krisis ist nur auf zwei Wegen lösbar:</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Entweder ein Ministerium Waldeck, Anerkennung der Autorität der deutschen
|
||
|
Nationalversammlung, Anerkennung der Volkssouveränetät;</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Oder ein Ministerium Radowitz-Vincke, Auflösung der Berliner Versammlung, Vernichtung
|
||
|
der revolutionären Eroberungen, Scheinkonstitutionalismus oder gar - der Vereinigte
|
||
|
Landtag.</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Verhehlen wir es uns nicht: Der Konflikt, der in Berlin ausgebrochen ist, ist ein Konflikt
|
||
|
nicht zwischen den Vereinbarern und den Ministern, es ist ein Konflikt zwischen der
|
||
|
Versammlung, die zum erstenmal sich als <i>konstituierende</i> hinstellt, und der
|
||
|
<i>Krone</i>.</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Es dreht sich alles darum, ob man den Mut hat, die Versammlung aufzulösen oder
|
||
|
nicht.</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Aber hat die Krone das Recht, die Versammlung aufzulösen?</p>
|
||
|
|
||
|
<p>In konstitutionellen Staaten hat die Krone allerdings das Recht, die auf Grundlage der
|
||
|
Verfassung berufenen gesetzgebenden Kammern im Fall einer Kollision aufzulösen und durch
|
||
|
neue Wahlen ans Volk zu appellieren.</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Ist die Berliner Versammlung eine konstitutionelle, gesetzgebende Kammer?</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Nein. Sie ist berufen zur "Vereinbarung der preußischen Staatsverfassung mit der
|
||
|
Krone", auf Grund nicht einer Verfassung, sondern einer <i>Revolution</i>. Sie hatte ihr Mandat
|
||
|
keineswegs von der Krone oder ihren verantwortlichen Ministern, sondern nur von ihren
|
||
|
Wählern und von sich selbst zu empfangen. Die Versammlung war souverän als der
|
||
|
legitime Ausdruck der Revolution, und das Mandat, das Herr Camphausen ihr im Wahlgesetz vom 8.
|
||
|
April mit dem Vereinigten Landtag zusammen ausgefertigt hatte, war nichts als ein <i>frommer
|
||
|
Wunsch</i>, über den die Versammlung zu entscheiden hatte.</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Die Versammlung ist anfangs auf die Vereinbarungstheorie mehr oder weniger eingegangen. Sie
|
||
|
hat gesehen, wie sie dabei von Ministern und Kamarilla geprellt worden ist. Sie hat endlich
|
||
|
einen Akt der Souveränetät <a name="S400"><b><400></b></a> vollzogen, sie hat
|
||
|
sich einen Moment als konstituierende, nicht mehr als vereinbarende Versammlung
|
||
|
hingestellt.</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Sie hatte als für <i>Preußen</i> souveräne Versammlung vollkommen das Recht
|
||
|
dazu.</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Eine souveräne Versammlung ist aber von niemanden auflösbar, den Befehlen
|
||
|
niemandes unterworfen.</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Aber selbst als bloß vereinbarende Versammlung, selbst nach Herrn Camphausens eigener
|
||
|
Theorie, steht sie <i>gleichberechtigt</i> neben der Krone da. Beide Teile <i>kontrahieren</i>
|
||
|
einen Staatsvertrag, beide Teile haben gleichen Anteil an der Souveränetät, das ist
|
||
|
die Theorie vom 8. April, die Theorie Camphausen-Hansemann, also die von der Krone selbst
|
||
|
anerkannte <i>offizielle</i> Theorie.</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Ist die Versammlung der Krone <i>gleichberechtigt</i>, <i>so hat die Krone kein Recht</i>,
|
||
|
<i>die Versammlung aufzulösen</i>.</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Sonst hätte die Versammlung konsequent ebenfalls das <i>Recht</i>, <i>den König
|
||
|
abzusetzen</i>.</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Die Auflösung der Versammlung wäre also ein <i>Staatsstreich</i>. Und wie man auf
|
||
|
Staatsstreiche antwortet, hat der 29. Juli 1830 und der 24. Februar 1848 gezeigt.</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Man wird sagen, die Krone könne ja an dieselben Wähler wieder appellieren. Aber
|
||
|
wer weiß nicht, daß <i>heute</i> die Wähler eine ganz andere Versammlung
|
||
|
wählen würden, eine Versammlung, die mit der Krone weit weniger Federlesens machen
|
||
|
würde?</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Man weiß es: Nach der Auflösung dieser Versammlung ist nur der Appell an <i>ganz
|
||
|
andere Wähler</i> als die vom 8. April möglich, sind keine andere Wahlen mehr
|
||
|
möglich, als die unter der Säbeltyrannei vorgenommen werden.</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Machen wir uns also keine Illusionen:</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Siegt die Versammlung, setzt sie das Ministerium der Linken durch, so ist die Macht der
|
||
|
Krone neben der Versammlung gebrochen, so ist der König nur noch der bezahlte Diener des
|
||
|
Volks, so stehen wir wieder am Morgen des 19. März - falls das Ministerium Waldeck uns
|
||
|
nicht verrät, wie so manches vor ihm.</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Siegt die Krone, setzt sie das Ministerium des Prinzen von Preußen durch, so wird die
|
||
|
Versammlung aufgelöst, das Assoziationsrecht unterdrückt, die Presse geknebelt, ein
|
||
|
Wahlgesetz mit Zensus dekretiert, vielleicht sogar, wie gesagt, der Vereinigte Landtag nochmals
|
||
|
heraufbeschworen - alles unter dem Schutze der Militärdiktatur, der Kanonen und der
|
||
|
Bajonette.</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Wer von beiden Teilen siegt, das wird von der Haltung des Volks, namentlich von der Haltung
|
||
|
der demokratischen Partei abhängen. Die Demokraten mögen wählen.</p>
|
||
|
|
||
|
<p><b><a name="S401"><401></a></b> Wir stehen am 25. Juli. Wird man es wagen, die
|
||
|
Ordonnazen zu erlassen, die in Potsdam geschmiedet werden? Wird man das Volk provozieren, den
|
||
|
Sprung vom 26. Juli bis zum 24. Februar in <i>einem</i> Tage zu machen?</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Am guten Willen fehlt's sicher nicht, aber der Mut, der Mut!</p>
|
||
|
|
||
|
<p><font size="2">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 102 vom 14. September 1848]</font></p>
|
||
|
|
||
|
<p>**<i>Köln</i>, 13. September. Die Krisis in Berlin ist um einen Schritt weiter
|
||
|
gerückt: <i>Der Konflikt mit der Krone</i>, der gestern nur noch als unvermeidlich
|
||
|
bezeichnet werden konnte, <i>ist wirklich eingetreten</i>.</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Unsere Leser finden weiter unten die Antwort des Königs auf das Entlassungsgesuch der
|
||
|
Minister. Durch diesen Brief tritt die Krone selbst in den Vordergrund, ergreift Partei
|
||
|
für die Minister, stellt sich der Versammlung gegenüber.</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Sie geht noch weiter: Sie bildet ein Ministerium außer der Versammlung, sie beruft
|
||
|
<i>Beckerath</i>, der in Frankfurt auf der äußersten Rechten sitzt und von dem die
|
||
|
ganze Welt im voraus weiß, daß er in Berlin nie auf eine Majorität wird
|
||
|
rechnen können.</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Das Schreiben des Königs ist kontrasigniert von Herrn <i>Auerswald</i>. Herr Auerswald
|
||
|
möge es verantworten, daß er die Krone auf diese Weise vorschiebt, um seinen
|
||
|
schimpflichen Rückzug zu decken, daß er in einem und demselben Atemzuge der Kammer
|
||
|
gegenüber sich hinter das konstitutionelle Prinzip zu verkriechen sucht und das
|
||
|
konstitutionelle Prinzip mit Füßen tritt, indem er <i>die Krone kompromittiert und
|
||
|
auf die Republik provoziert</i>!</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Das konstitutionelle Prinzip! schreien die Minister. Das konstitutionelle Prinzip! schreit
|
||
|
die Rechte. Das konstitutionelle Prinzip! ächzt das hohle Echo der "Kölnischen
|
||
|
Zeitung".</p>
|
||
|
|
||
|
<p>"Das konstitutionelle Prinzip!" Sind denn diese Herren wirklich so töricht zu glauben,
|
||
|
man könne das deutsche Volk aus den Stürmen des Jahres 1848, aus dem täglich
|
||
|
drohender hereinbrechenden Einsturz aller historisch überlieferten Institutionen
|
||
|
hinausführen mit der wurmstichigen Montesquieu-Delolmeschen Teilung der Gewalten, mit
|
||
|
abgetragenen Phrasen und längst durchschauten Fiktionen!</p>
|
||
|
|
||
|
<p>"Das konstitutionelle Prinzip!" Aber gerade die Herren, die das konstitutionelle Prinzip um
|
||
|
jeden Preis retten wollen, müssen doch zuerst einsehen, daß es sich in einem
|
||
|
provisorischen Zustande nur durch Energie retten läßt!</p>
|
||
|
|
||
|
<p>"Das konstitutionelle Prinzip!" Aber hat das Votum der Berliner Versammlung, haben die
|
||
|
Kollisionen zwischen Potsdam und Frankfurt, haben die Unruhen, die Reaktionsversuche, die
|
||
|
Provokationen der Soldateska nicht <a name="S402"><b><402></b></a> längst gezeigt,
|
||
|
daß wir trotz aller Phrasen noch immer auf <i>revolutionärem Boden stehen</i>,
|
||
|
daß die Fiktion, als stünden wir schon auf dem Boden der <i>konstituierten</i>, der
|
||
|
fertigen konstitutionellen Monarchie, zu weiter nichts führt als zu Kollisionen, die schon
|
||
|
jetzt das "konstitutionelle Prinzip" an den Rand des Abgrunds geführt haben?</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Jeder provisorische Staatszustand nach einer Revolution erfordert eine Diktatur, und zwar
|
||
|
eine energische Diktatur. Wir haben es Camphausen von Anfang an vorgeworfen, daß er nicht
|
||
|
diktatorisch auftrat, daß er die Überbleibsel der alten Institutionen nicht sogleich
|
||
|
zerschlug und entfernte. Während also Herr Camphausen sich in konstitutionellen
|
||
|
Träumereien wiegte, verstärkte die geschlagene Partei die Positionen in der
|
||
|
Bürokratie und in der Armee, ja, wagte hier und da selbst den offenen Kampf. Die
|
||
|
Versammlung wurde einberufen, um die Verfassung zu vereinbaren. Sie trat gleichberechtigt neben
|
||
|
die Krone hin. Zwei gleichberechtigte Mächte in einem Provisorium! Gerade die Teilung der
|
||
|
Gewalten, mit der Herr Camphausen "die Freiheit zu retten" suchte, gerade diese Teilung der
|
||
|
Gewalten mußte in einem Provisorium zu Kollisionen führen. Hinter der Krone
|
||
|
versteckte sich die kontrerevolutionäre Kamarilla des Adels, des Militärs, der
|
||
|
Bürokratie. Hinter der Majorität der Versammlung stand die Bourgeoisie. Das
|
||
|
Ministerium suchte zu vermitteln. Zu schwach, die Interessen der Bourgeoisie und der Bauern
|
||
|
entschieden zu vertreten und die Macht des Adels, der Bürokratie und der Armeeführer
|
||
|
mit einem Schlage zu stürzen, zu ungeschickt, um nicht die Bourgeoisie in seinen
|
||
|
Finanzmaßregeln überall zu verletzen, kam es zu nichts, als sich bei allen Parteien
|
||
|
unmöglich zu machen und die Kollision herbeizuführen, die es gerade vermeiden
|
||
|
wollte.</p>
|
||
|
|
||
|
<p>In jedem nichtkonstituierten Zustande ist nicht dies oder jenes Prinzip maßgebend,
|
||
|
sondern allein das salut public, das öffentliche Wohl. Das Ministerium konnte die
|
||
|
Kollision der Versammlung mit der Krone nur dadurch vermeiden, daß es allein das Prinzip
|
||
|
des öffentlichen Wohles anerkannte, sogar auf die Gefahr hin, <i>selbst</i> mit der Krone
|
||
|
in Kollision zu kommen. Aber es hat es vorgezogen, sich in Potsdam "möglich" zu halten. Es
|
||
|
hat gegen die Demokratie nie gezaudert, Maßregeln des öffentlichen Wohls (mesures de
|
||
|
salut public), diktatorische Maßregeln anzuwenden. Oder was anders war die Anwendung
|
||
|
der alten Gesetze auf politische Verbrechen, selbst als Herr Märker schon anerkannt hatte,
|
||
|
daß diese Landrechtsparagraphen abgeschaft werden müßten? Was anders waren die
|
||
|
massenhaften Verhaftungen in allen Teilen des Königreichs?</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Aber gegen die Kontrerevolution hat sich das Ministerium wohl gehütet, aus Gründen
|
||
|
des öffentlichen Wohls einzuschreiten!</p>
|
||
|
|
||
|
<p><b><a name="S403"><403></a></b> Und gerade aus dieser Lauheit des Ministeriums
|
||
|
gegenüber der täglich drohender werdenden Kontrerevolution entstand die Notwendigkeit
|
||
|
für die Versammlung, <i>selbst</i> Maßregeln des öffentlichen Wohls zu
|
||
|
<i>diktieren</i>. War die durch die Minister repräsentierte Krone zu schwach, so
|
||
|
mußte die Versammlung selbst einschreiten. Sie hat dies getan in dem Beschluß vom
|
||
|
9. August. Sie tat es noch auf eine sehr gelinde Weise, sie gab den Ministern nur eine Warnung.
|
||
|
Die Minister kehrten sich nicht daran.</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Aber wie hätten sie auch darauf eingehen können! Der Beschluß vom 9. August
|
||
|
tritt das konstitutionelle Prinzip mit Füßen, er ist ein Übergriff der
|
||
|
gesetzgebenden Gewalt gegen die vollziehende, er zerstört die Teilung und gegenseitige
|
||
|
Kontrolle der Gewalten, die im Interesse der Freiheit so nötig ist, er macht die
|
||
|
Vereinbarungsversammlung zum <i>Nationalkonvent</i>!</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Und nun ein Pelotonfeuer von Drohungen, ein donnernder Appell an die Furcht der
|
||
|
Kleinbürger, eine weite Perspektive auf Schreckensregierung mit Guillotine,
|
||
|
Progressivsteuer, Konfiskation und roter Fahne.</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Die Berliner Versammlung - ein Konvent! Welche Ironie!</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Aber die Herren haben nicht ganz unrecht. Fährt die Regierung fort wie bisher, so haben
|
||
|
wir in nicht gar langer Zeit einen Konvent - nicht bloß für Preußen, sondern
|
||
|
für ganz Deutschland -, einen Konvent, dem es obliegen wird, den Bürgerkrieg unserer
|
||
|
zwanzig Vendéen und den unvermeidlichen russischen Krieg mit allen Mitteln zu
|
||
|
unterdrücken. Jetzt freilich sind wir erst an der Parodie der Konstituante!</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Wie aber haben die Herren Minister, die an das konstitutionelle Prinzip appellieren, dies
|
||
|
Prinzip aufrechterhalten?</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Am 9. August lassen sie die Versammlung ruhig auseinandergehen im guten Glauben, daß
|
||
|
die Minister den Beschluß ausführen werden. Sie denken nicht daran, der Versammlung
|
||
|
ihre Weigerung anzukündigen, und noch weniger, ihr Amt niederzulegen.</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Sie besinnen sich einen ganzen Monat und zeigen endlich, als mehrere Interpellationen
|
||
|
drohen, der Versammlung kurzweg an: Es verstehe sich von selbst, daß sie den
|
||
|
Beschluß nicht ausführen würden.</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Als darauf die Versammlung den Ministern die Weisung erteilt, den Beschluß dennoch
|
||
|
auszuführen, verschanzen sie sich hinter die Krone, rufen einen Bruch zwischen der Krone
|
||
|
und der Versammlung hervor und provozieren dadurch auf die Republik.</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Und diese Herren sprechen noch vom konstitutionellen Prinzip!</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Resumieren wir:</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Die unvermeidliche Kollision zwischen zwei gleichberechtigten Mächten in einem
|
||
|
Provisorium ist eingetreten. Das Ministerium wußte die Regierung <a name=
|
||
|
"S404"><b><404></b></a> nicht energisch genug zu führen, es unterließ, die
|
||
|
notwendigen Maßregeln des öffentlichen Wohls zu treffen. Die Versammlung tat nur
|
||
|
ihre Schuldigkeit, als sie das Ministerium aufforderte, seine Pflicht zu tun. Das Ministerium
|
||
|
gibt dies für eine Verletzung der Krone aus und kompromittiert die Krone noch im Moment
|
||
|
seines Abtretens. Krone und Versammlung stehen einander gegenüber. Die "Vereinbarung" hat
|
||
|
zur Trennung, zum Konflikt geführt. Vielleicht werden die Waffen entscheiden.</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Der am meisten Mut und Konsequenz hat, wird siegen.</p>
|
||
|
|
||
|
<p><font size="2">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 104 vom 16. September 1848]</font></p>
|
||
|
|
||
|
<p>**<i>Köln</i>, 15. September. Die Ministerkrisis ist abermals in ein neues Stadium
|
||
|
getreten; nicht durch die Ankunft und die vergeblichen Bemühungen des unmöglichen
|
||
|
Herrn Beckerath, sondern durch die <i>Militärrevolte in Potsdam und Nauen</i>. Der
|
||
|
Konflikt zwischen Demokratie und Aristokratie ist im <i>Schoß der Garde selbst</i>
|
||
|
ausgebrochen: Die Soldaten sehen in dem Beschluß der Versammlung vom 7. ihre Befreiung
|
||
|
von der Tyrannei der Offiziere, sie erlassen Dankadressen an die Versammlung, sie bringen ihr
|
||
|
ein Lebehoch.</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Damit ist der Kontrerevolution das Schwert aus den Händen gewunden. Jetzt wird man es
|
||
|
nicht wagen, die Versammlung aufzulösen, und wenn man dazu nicht schreitet, so bleibt
|
||
|
nichts anders übrig als nachzugeben, den Beschluß der Versammlung auszuführen
|
||
|
und ein Ministerium Waldeck zu berufen.</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Die Potsdamer Soldatenrevolte erspart uns wahrscheinlich eine Revolution.</p>
|
||
|
|
||
|
<p><font size="2">Geschrieben von Karl Marx.</font></p>
|
||
|
</body>
|
||
|
</html>
|
||
|
|