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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<HEAD>
<TITLE>John Reed: 10 Tage die die Welt ersch&uuml;tterten</TITLE>
</HEAD>
<BODY bgcolor="#FFFFFF">
<H2>
EINF&Uuml;HRENDE BEMERKUNGEN UND ERKL&Auml;RUNGEN
</H2>
<P>
Dem Durchschnittsleser wird es schwerfallen, sich durch die Vielfalt der
russischen Organisationen - politische Gruppen, Komitees, Zentralkomitees,
Sowjets, Dumas und Verb&auml;nde durchzufinden. Deshalb m&ouml;chte ich hier
einige kurze Definitionen und Erkl&auml;rungen dazu geben.
<P>
<H4>
<I>Politische Parteien</I>
</H4>
<P>
<I></I>Bei den Wahlen zur Konstituierenden Versammlung gab es in Petrograd
siebzehn Listen und in einigen Provinzst&auml;dten bis zu vierzig; die folgende
&Uuml;bersicht &uuml;ber die Ziele und die Zusammensetzung einiger politischer
Parteien und Gruppen beschr&auml;nkt sich jedoch auf die in diesem Buch
erw&auml;hnten. Ich kann hier &uuml;ber ihr Programm und den allgemeinen
Charakter ihrer Anh&auml;nger nur das Wesentlichste sagen...
<P>
<P>
<I>1. Monarchisten </I>verschiedener Schattierungen, <I>Oktobristen </I>usw.
Diese ehemals so m&auml;chtigen Gruppen bestanden als legale Parteien nicht
mehr; sie arbeiteten entweder illegal, oder ihre Mitglieder schlossen sich
den Kadetten an, die dem politischen Programm der Monarchisten immer n&auml;her
kamen. Ihre in diesem Buch genannten Vertreter sind Rodsjanko und
Schulgin.<I></I>
<P>
<I>2. Kadetten. </I>Diese Bezeichnung leitet sich von den Anfangsbuchstaben
des Namens &AElig;Konstitutionelle Demokraten" ab. Ihr offizieller Name lautet
&AElig;Partei der Volksfreiheit".Unter dem Zaren eine Partei der Liberalen
aus den Reihen der besitzenden Klassen, traten die Kadetten damals als die
gro&szlig;e Partei der <I>politischen </I>Reformen auf und entsprachen damit
mehr oder weniger der Fortschrittspartei in Amerika. Als im M&auml;rz 1917
die Revolution ausbrach, bildeten die Kadetten die erste Provisorische Regierung.
Das Kabinett der Kadetten wurde im April gest&uuml;rzt, weil es sich f&uuml;r
die imperialistischen Ziele der Alliierten aussprach, einschlie&szlig;lich
der imperialistischen Ziele der Zarenregierung. Je mehr die Revolution einen
<I>sozialen</I> und <I>&ouml;konomischen</I> Charakter annahm, desto
konservativer wurden die Kadetten. Ihre Vertreter in diesem Buch sind Miljukow,
Winawer, Schazki.<I></I>
<UL>
<P>
<I>2a. Bund von M&auml;nnern der &Ouml;ffentlichkeit. </I>Nachdem die Kadetten
durch ihre Verbindung zur Konterrevolution Kornilows jede Popularit&auml;t
verloren hatten, wurde in Moskau der &AElig;Bund von M&auml;nnern der
&Ouml;ffentlichkeit gebildet. Delegierte dieser Gruppe erhielten Ministerposten
im letzten Kabinett Kerenskis. Die Gruppe gab sich als &uuml;berparteilich
aus, aber ihre intellektuellen F&uuml;hrer waren M&auml;nner wie Rodsjanko
und Schulgin. Dieser Gruppe geh&ouml;rten die &AElig;modernen" Bankiers,
Kaufleute und Fabrikanten an, die klug genug waren, um einzusehen, da&szlig;
man die Sowjets mit ihren eigenen Waffen bek&auml;mpfen mu&szlig;te - mit
der wirtschaftlichen Organisation. Typisch f&uuml;r diese Gruppe sind Lianosow
und Konowalow.
</UL>
<P>
<I>3. Volkssozialisten oder Trudowiki </I> (Gruppe der Arbeit).
Zahlenm&auml;&szlig;ig eine kleine Partei. Zu ihren Mitgliedern geh&ouml;rten
gem&auml;&szlig;igte Intellektuelle, die F&uuml;hrer der Genossenschaften
und konservativen Bauern. Obwohl sie vorgaben, Sozialisten zu sein,
unterst&uuml;tzten die Volkssozialisten in Wirklichkeit die Interessen des
Kleinb&uuml;rgertums - der Beamten, Gewerbetreibenden usw. Sie &uuml;bernahmen
als direktes Erbe die kompromi&szlig;lerischen Traditionen der &AElig;Gruppe
der Arbeit" in der zaristischen Duma, der vor allem Bauernvertreter
angeh&ouml;rt hatten. Kerenski war der F&uuml;hrer der Trudowiki in der
zaristischen Duma, als die M&auml;rzrevolution 1917 ausbrach. Die
Volkssozialisten sind eine Nationalistische Partei. Ihre Vertreter in diesem
Buch sind Pschechonow und Tschaikowski.
<P>
<I>4. Sozialdemokratische Arbeiterpartei Ru&szlig;lands.</I> Urspr&uuml;nglich
eine marxistische Partei. Auf ihrem Parteitag von 1903 spaltete sie sich
&uuml;ber Fragen der Taktik in zwei Gruppen - die Mehrheit (Bolschinstwo)
und die Minderheit (Menschinstwo). Daraus ergaben sich die Bezeichnungen
&AElig;Bolschewiki" und &AElig;Menschewiki" - &AElig;Angeh&ouml;rige der
Mehrheit" und &AElig;Angeh&ouml;rige der Minderheit". Diese beiden Fl&uuml;gel
entwickelten sich zu voneinander unabh&auml;ngigen Parteien, die sich aber
beide &AElig;Sozialdemokratische Arbeiterpartei Ru&szlig;lands" nannten und
beide f&uuml;r sich in Anspruch nahmen, marxistisch zu sein. Seit der Revolution
waren die Bolschewiki zahlenm&auml;&szlig;ig in der Minderheit und wurden
erst im September 1917 wieder die Mehrheit.
<P>
<I>a) Menschewiki.</I> Dieser Partei geh&ouml;ren Sozialisten aller
Schattierungen an, die der Meinung sind, die Gesellschaft m&uuml;sse durch
eine nat&uuml;rliche Evolution zum Sozialismus gelangen und die Arbeiterklasse
m&uuml;sse zun&auml;chst die politische Macht erobern. Auch sie ist eine
nationalistische Partei. Von jeher war sie die Partei der sozialistischen
Intellektuellen, die sich, unter dem Bildungsmonopol der besitzenden Klassen
erzogen, diesem Einflu&szlig; nicht entziehen konnten und sich letzten Endes
auf ihre Seite stellten. Zu ihren Vertretern in diesem Buch geh&ouml;ren
Dan, Liber, Zereteli.
<P>
<I>b) Menschewiki - Internationalisten.</I> Der radikale Fl&uuml;gel der
Menschewiki, Internationalisten und Gegner jeder Koalition mit den besitzenden
Klassen. Trotzdem waren sie nicht bereit, sich v&ouml;llig von den konservativen
Menschewiki zu l&ouml;sen. Sie sind Gegner der von den Bolschewiki vertretenen
Diktatur des Proletariats. Trotzki war lange Mitglied dieser Gruppe. Zu ihren
F&uuml;hrern geh&ouml;ren Martow und Martynow.<I></I>
<P>
<I>c) Bolschewiki.</I> Heute nennen sie sich &AElig;Kommunistische Partei",
um ihre v&ouml;llige Losl&ouml;sung von der Tradition des
&AElig;gem&auml;&szlig;igten" oder &AElig;parlamentarischen" Sozialismus
zu dokumentieren, der bei den Menschewiki und den sogenannten
Mehrheitssozialisten aller L&auml;nder vorherrscht. Die Bolschewiki forderten
den sofortigen proletarischen Aufstand, die Machtergreifung, um durch die
gewaltsame &Uuml;bernahme der Industrie, des Bodens, der Natursch&auml;tze
und Finanzinstitutionen die Herbeif&uuml;hrung des Sozialismus zu beschleunigen.
Diese Partei vertritt in der Hauptsache den Willen der Industriearbeiter,
aber auch gro&szlig;er Teile der armen Bauern. Der Name &AElig;Bolschewiki"
darf keinesfalls mit &AElig;Maximalisten" &uuml;bersetzt werden. Die Maximalisten
sin eine besondere Gruppe (Siehe Absatz 5b).Zu den F&uuml;hrern der Bolschewiki
geh&ouml;ren Lenin, Trotzki, Lunatscharski.<I></I>
<P>
<I>d) Vereinigte Sozialdemokraten - Internationalisten,</I> auch als Gruppe
&AElig;Nowaja Shisn" (Neues Leben) nach ihrer sehr einflu&szlig;reichen Zeitung
bekannt. Eine kleine Gruppe von Intellektuellen. Au&szlig;er den
pers&ouml;nlichen Anh&auml;ngern Gorkis, des F&uuml;hrers dieser Gruppe,
geh&ouml;ren ihr kaum Arbeiter an. Die Gruppe vertritt fast das gleiche Programm
wie die Menschewiki - Internationalisten, unterscheidet sich aber von ihnen
dadurch, da&szlig; sie sich weder den Bolschewiki noch den Menschewiki
anschlossen.<I></I>
<P>
<I>e) Jedinstwo. </I>Eine sehr kleine, im Verschwinden begriffene Gruppe,
der fast nur die pers&ouml;nlichen Anh&auml;nger Plechanows angeh&ouml;ren
Plechanow war einer der Pioniere der russischen sozialdemokratischen Bewegung
in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts und ihr gr&ouml;&szlig;ter
Theoretiker. Als alter Mann nahm Plechanow eine extrem patriotische Haltung
ein und war sogar den Menschewiki zu konservativ. Nach dem bolschewistischen
Aufstand l&ouml;ste sich die Gruppe Jedinstwo auf.<I></I>
<P>
<I>6. Sozialrevolution&auml;re Partei.</I> Ihren Anfangsbuchstaben nach nannte
man sie &AElig;SR". Urspr&uuml;nglich war sie die revolution&auml;re Partei
der Bauern, die Partei der &AElig;Kampforganisationen" - der Terroristen.
Nach der M&auml;rzrevolution str&ouml;mten ihr viele Mitglieder zu, die niemals
Sozialisten waren. Nunmehr traten sie daf&uuml;r ein, da&szlig; lediglich
das Privateigentum an Grund und Boden abgeschafft werden solle. Die
Eigent&uuml;mer sollten irgendwie entsch&auml;digt werden. Schlie&szlig;lich
zwang die immer revolution&auml;rer werdende Stimmung unter den Bauern die
Sozialrevolution&auml;re, ihre &AElig;Entsch&auml;digungsklausel" fallenzulassen.
Daraufhin verliessen im Herbst 1917 die j&uuml;ngeren und st&uuml;rmischeren
Intellektuellen die Partei und schlossen sich zur &AElig;linken
sozialrevolution&auml;ren Partei" zusammen. Die alte Partei, die sp&auml;ter
von den radikalen Gruppen immer die &AElig;rechte sozialrevolution&auml;re
Partei" genannt wurde, verfolgte die gleiche Politik wie die Menschewiki
und arbeitete mit ihnen zusammen. Schlie&szlig;lich wurden die rechten
Sozialrevolution&auml;re zu Vertretern der wohlhabenden Bauern, der
Intellektuellen und der politisch ungeschulten Bev&ouml;lkerung entlegener
l&auml;ndlicher Gebiete. Es gab unter ihnen jedoch eine gr&ouml;&szlig;ere
Vielfalt politischer und &ouml;konomische Schattierungen als unter den
Menschewiki. Zu ihren in diesem Buch erw&auml;hnten F&uuml;hrern z&auml;hlten:
Awxentjew, Goz, Kerenski, Tschernow, &AElig;Babuschka" Breschowskaja.
<P>
<I>g) Linke Sozialrevolution&auml;re.</I> Obwohl sie theoretisch dem
bolschewistischen Programm der Diktatur des Proletariats zustimmten,
z&ouml;gerten sie anfangs, sich der r&uuml;cksichtslosen Taktik der Bolschewiki
anzuschlie&szlig;en. Die linken Sozialrevolution&auml;re blieben jedoch in
der Sowjetregierung und &uuml;bernahmen Posten im Kabinett, insbesondere
das Volkskomissariat f&uuml;r Landwirtschaft. Sie verlie&szlig;en die Regierung
mehrere Male, kehrten aber immer wieder zur&uuml;ck. Die Bauern, die in immer
gr&ouml;&szlig;erer Zahl die rechten Sozialrevolution&auml;re verlie&szlig;en,
schlossen sich den linken Sozialrevolution&auml;ren an, die somit zur
gro&szlig;en Bauernpartei wurden. Sie unterst&uuml;tzten die Sowjetregierung
und traten f&uuml;r die entsch&auml;digungslose Enteignung des
Gro&szlig;grundbesitzes und seine &Uuml;bergabe an die Bauern ein. Zu ihren
F&uuml;hrern geh&ouml;ren Spiridonowa, Karelin, Kamkow, Kalagajew.
<P>
<I>h) Maximalisten . </I>Eine Splittergruppe der Sozialrevolution&auml;ren
Partei in der Revolution von 1905. Damals f&uuml;hrten sie eine machtvolle
Bauernbewegung, die f&uuml;r die sofortige Durchf&uuml;hrung eines
sozialistischen Maximalprogramms eintrat. Jetzt eine unbedeutende Gruppe
b&auml;uerlicher Anarchisten.<I></I>
<P>
<I></I>
<H4>
<I>Parlamentarische Gepflogenheiten</I>
</H4>
<P>
<P>
Die Verfahrensregeln bei russischen Versammlungen und Kongressen sind den
kontinentalen Gepflogenheiten &auml;hnlicher als den unseren. Die erste Handlung
ist im allgemeinen die Wahl eines Pr&auml;sidiums. Das Pr&auml;sidium ist
ein Komitee, das den Vorsitz &uuml;ber die Versammlung innehat. Ihm geh&ouml;ren
Vertreter der an der Versammlung teilnehmenden Gruppen und politischen Parteien
im Verh&auml;ltnis zu ihrer Mitgliederzahl an. Das Pr&auml;sidium stellt
die Gesch&auml;ftsordnung auf, und jedes seiner Mitglieder kann vom Vorsitzenden
aufgefordert werden, zeitweise die Versammlung zu leiten. Jede Frage wird
erst allgemein aufgeworfen und dann diskutiert. Zum Abschlu&szlig; der Debatte
bringen die verschiedenen Parteien Resolutionen ein, &uuml;ber die einzeln
abgestimmt wird. Es kann geschehen, und geschieht auch meistens, da&szlig;
die Gesch&auml;ftsordnung schon in der ersten halben Stunde &uuml;ber den
Haufen geworfen wird. Unter Berufung auf besondere &AElig;Dringlichkeit",
die von der Versammlung fast immer anerkannt wird, kann jeder aufstehen und
sich zu jedem beliebigen Thema &auml;u&szlig;ern. Die Versammlung wird von
den Massen der Teilnehmer beherrscht. Dem Versammlungsleiter bleibt weiter
nichts zu tun, als mit einer Glocke Ordnung zu schaffen und die Redner anzusagen.
Die Hauptarbeit der Tagungen wird in den Fraktionssitzungen der verschiedenen
Gruppen und Parteien geleistet, die fast immer geschlossen abstimmen und
von Fraktionsf&uuml;hrern vertreten werden. Das f&uuml;hrt jedoch dazu, da&szlig;
bei jeder neuen wichtigen Frage, bei jeder Abstimmung, die Tagung unterbrochen
werden mu&szlig;, damit sich die verschiedenen Gruppen und Parteien zu einer
Fraktionsbesprechung zusammenfinden k&ouml;nnen. Die Versammlungsteilnehmer
sind sehr laut, bekunden den Rednern ihren Beifall oder ihr Mi&szlig;fallen
und machen jede vom Pr&auml;sidium festgelegte Ordnung zunichte. Zu den
&uuml;blichen Zurufen geh&ouml;ren &AElig;Prossim!" (Bitte!
Weitermachen!),"Prawilno!" &AElig;Eto werno!" (Sehr richtig! Sehr wahr!),
&AElig;Dowolno!" (Genug!), &AElig;Doloi!" (Abtreten!) , &AElig;Posor!" (Schande!)
und &AElig;Ticho!" (Ruhe!).
<P>
<H4>
<I>Massenorganisationen</I>
</H4>
<P>
<I></I>
<P>
<I>1. Sowjets. </I>Das Wort Sowjet bedeutet &AElig;Rat". Unter dem Zaren
wurde der Reichsrat &AElig;Gossudarstwenny Sowjet" genannt. Seit der Revolution
versteht man aber unter Sowjet immer mehr ein von den Mitgliedern der
wirtschaftlichen Organisationen der Werkt&auml;tigen gew&auml;hltes Parlament
den Sowjet der Arbeiter-, Soldaten- und Bauerndeputierten. Ich habe also
nur diese spezifischen Organisationen mit dem Wort Sowjet bezeichnet und
an allen anderen Stellen das Wort mit &AElig;Rat" &uuml;bersetzt. Neben den
&ouml;rtlichen Sowjets, die in jeder Stadt und jedem Dorf Ru&szlig;lands
gew&auml;hlt werden - in den Gro&szlig;st&auml;dten au&szlig;erdem Sowjets
der Stadtbezirke (Rayons) - , gibt es auch Bezirks- und Gouvernementssowjets
(oblastnyje oder gubernskije) und das Zentralexekutivkomitee der Gesamtrussischen
Sowjets in der Hauptstadt, nach den Anfangsbuchstaben ZEK genannt (siehe
auch weiter unten &AElig;Zentralkomitees").Fast &uuml;berall vereinten sich
nach der M&auml;rzrevolution die Sowjets der Arbeiterdeputierten und die
der Soldatendeputierten. In besonderen Fragen, die sich auf ihre spezifischen
Interessen bezogen, traten die Sektionen der Arbeiter und Soldaten auch weiterhin
gesondert zusammen. Die Sowjets der Bauerndeputierten schlossen sich den
anderen erst nach der Machtergreifung durch die Bolschewiki an. Auch sie
waren wie die Arbeiter und Soldaten organisiert, mit einem Gesamtrussischen
Exekutivkomitee der Bauernsowjets in der Hauptstadt.
<P>
<I>2. Gewerkschaften. </I>Obwohl meist in Form von Industriegewerkschaften
organisiert, nannten sich die russischen Gewerkschaften noch immer
Fachverb&auml;nde. Zur Zeit der bolschewistischen Revolution hatten sie vier
Millionen Mitglieder. Auch die Gewerkschaften waren in einem gesamtrussischen
Verband zusammengeschlossen, einer Art Russischer Arbeiterf&ouml;deration,
mit einem Zentralexekutivkomitee in der Hauptstadt.<I></I>
<P>
<I>3. Fabrikkomitees. </I>Diese waren spontan entstandene Organisationen,
von den Arbeitern in den Fabriken gebildet, um die Kontrolle &uuml;ber die
Industrie auszu&uuml;ben. Sie nutzten das administrative Chaos, das die
Revolution mit sich gebracht hatte, um sich eine feste Position zu schaffen.
Ihre Funktion bestand darin, durch revolution&auml;re Aktionen die Fabriken
in die eigenen H&auml;nde zu nehmen und zu leiten. Die Fabrikkomitees hatten
auch ihre gesamtrussische Organisation mit einem Zentralkomitee in Petrograd,
das mit den Gewerkschaften zusammenarbeitete.<I></I>
<P>
<I>4. Dumas. </I>Das Wort Duma bedeutet mehr oder weniger &AElig;beratende
K&ouml;rperschaft". Die alte zaristische Duma, die in etwas demokratisierter
Form noch sechs Monate nach der Revolution bestand, starb im September 1917
eines nat&uuml;rlichen Todes. Die Stadtduma, die in diesem Buch eine Rolle
spielt, war der reorganisierte Stadtrat, h&auml;ufig auch &AElig;st&auml;dtische
Selbstverwaltung" genannt. Sie wurde in direkter und geheimer Wahl gew&auml;hlt,
und wenn sie w&auml;hrend der bolschewistischen Revolution die
Unterst&uuml;tzung der Massen verlor, dann liegt das haupts&auml;chlich daran,
da&szlig; mit der aufsteigenden Macht der Organisationen, die sich auf
<I>&ouml;konomische</I> Gruppen st&uuml;tzten, alle rein <I>politischen</I>
Vertretungen an Einflu&szlig; verloren.<I></I>
<P>
<I>5. Semstwos. </I>Dieser Name l&auml;&szlig;t sich mehr oder weniger mit
&AElig;Landr&auml;te" &uuml;bersetzen. Unter dem Zaren waren die Semstwos
halb politische, halb soziale K&ouml;rperschaften, mit verschwindend kleinen
administrativen Funktionen. Sie wurden zum gr&ouml;&szlig;ten Teil von
intellektuellen Liberalen aus der Grundbesitzerklasse beherrscht. Ihre wichtigste
Funktion war die Schaffung von Schulen und sozialen Einrichtungen f&uuml;r
Bauern. W&auml;hrend des Krieges nahmen die Semstwos allm&auml;hlich die
gesamte Versorgung der Armee mit Lebensmitteln und Kleidung sowie die K&auml;ufe
aus dem Ausland in die Hand. Sie leisteten unter den Soldaten eine Arbeit,
die mehr oder weniger der T&auml;tigkeit des Christlichen Vereins junger
M&auml;nner an der Front entspricht. Nach der M&auml;rzrevolution wurden
die Semstwos demokratisiert, weil man beabsichtigte, ihnen die &ouml;rtlichen
Regierungsorgane in den l&auml;ndlichen Gebieten zu &uuml;bertragen. Sie
konnten aber ebensowenig wie die Stadtdumas gegen die Sowjets
aufkommen.<I></I>
<P>
<I>6. Genossenschaften. </I>Darunter sind die Konsumgenossenschaften der
Arbeiter und Bauern zu verstehen, die vor der Revolution in Ru&szlig;land
mehrere Millionen Mitglieder hatten. Von Liberalen und
&AElig;gem&auml;&szlig;igten" Sozialisten gegr&uuml;ndet, wurden die
Genossenschaften nicht von den revolution&auml;ren sozialistischen Gruppen
unterst&uuml;tzt, da sie eine Ersatzl&ouml;sung gegen &uuml;ber der
v&ouml;lligen &Uuml;bernahme und der Verteilung in die H&auml;nde der
Werkt&auml;tigen darstellten. Nach der M&auml;rzrevolution
vergr&ouml;&szlig;erten sich die Genossenschaften rasch. Sie wurden von den
Volkssozialisten, Menschewiki und Sozialrevolution&auml;ren beherrscht und
spielten bis zur bolschewistischen Revolution die Rolle einer konservativen
politischen Kraft. Trotzdem darf man nicht &uuml;bersehen, da&szlig; die
Genossenschaften Ru&szlig;land mit Lebensmitteln versorgten, als der alte
Handels- und Verkehrsapparat zusammengebrochen war.<I></I>
<P>
<I>7. Armeekomitees. </I>Die Armeekomitees wurden von den Soldaten an der
Front gebildet, um den reaktion&auml;ren Einflu&szlig; der Offiziere des
alten Regimes zu bek&auml;mpfen. Jede Kompanie, jedes Regiment, Jede Brigade
und Division, jedes Korps hatte ein eigenes Komitee. Als Dachorganisation
wurde ein Armeekomitee gew&auml;hlt. Das Zentrale Armeekomitee arbeitete
mit dem Generalstab zusammen. Der durch die Revolution verursachte administrative
Zusammenbruch in der Armee lud fast die gesamte Arbeit der Quartiermeister
und in einigen F&auml;llen sogar den Befehl der Truppen auf die Schultern
des Armeekomitees.<I></I>
<P>
<I>8. Flottenkomitees. </I>Die entsprechende Organisation in der
Flotte.<I></I>
<P>
<I></I>
<P>
<H4>
<I>Zentralkomitees</I>
</H4>
<P>
Im Fr&uuml;hjahr und Sommer 1917 wurden in Petrograd gesamtrussische Kongresse
der verschiedenartigsten Organisationen abgehalten. Es gab Nationalkongresse
der Arbeiter-, der Soldaten- und der Bauernsowjets, der Gewerkschaften, der
Fabrikkomitees, der Armee- und Flottenkomitees - au&szlig;erdem Kongresse
jedes Zweiges innerhalb der Armee und Flotte, Kongresse der Genossenschaften,
der Nationalit&auml;ten usw. Jeder dieser Kongresse w&auml;hlte ein
Zentralkomitee oder ein Zentralexekutivkomitee, um die besonderen Interessen
seiner Organisationen am Sitz der Regierung zu wahren. Als dann die Provisorische
Regierung von Tag zu Tag schw&auml;cher wurde, mu&szlig;ten die Zentralkomitees
eine immer gr&ouml;&szlig;ere administrative Macht in ihre eigenen H&auml;nde
nehmen.
<P>
Die wichtigsten in diesem Buch erw&auml;hnten Zentralkomitees sind:
<P>
Der <I>Verband der Verb&auml;nde</I>. W&auml;hrend der Revolution von 1905
bildeten Professor Miljukow und andere Liberale Verb&auml;nde freiberuflicher
Intellektueller - &Auml;rzte, Juristen usw. Diese vereinigten sich zu einer
zentralen Organisation, dem Verband der Verb&auml;nde. 1905 k&auml;mpfte
der Verband der Verb&auml;nde auf der Seite der revolution&auml;ren Demokratie;
1917 dagegen wandte er sich gegen den bolschewistischen Aufstand und stellte
sich an die Spitze der Regierungsangestellten, die gegen die Autorit&auml;t
der Sowjets streikten.
<P>
<I>Zentralexekutivkomitee.</I> Gesamtrussisches Zentralexekutivkomitee der
Sowjets der Arbeiter- und Soldatendeputierten.
<P>
<I>Zentroflot. </I>&AElig;Zentralflotte" - das zentrale Flottenkomitee.
<P>
<I>Wikshel. </I>Gesamtrussisches Exekutivkomitee des Eisenbahnerverbandes.
Genannt nach seinen Anfangsbuchstaben.
<P>
<H4>
<I>Andere Organisationen</I>
</H4>
<P>
<I></I>
<P>
<I>Rote Garden. </I>Die bewaffneten Fabrikarbeiter Ru&szlig;lands. Die Roten
Garden entstanden zum erstenmal in der Revolution von 1905 und erschienen
erneut in den M&auml;rztagen 1917 auf dem Schauplatz, als eine Kraft gebraucht
wurde, um Ruhe und Ordnung in den St&auml;dten zu wahren. Sie waren bewaffnet,
und jeder Versuch der Provisorischen Regierung , sie zu entwaffnen, blieb
mehr oder weniger erfolglos. In jeder gro&szlig;en Krise der Revolution
erschienen die Roten Garden auf der Stra&szlig;e, ungeschult und undiszipliniert,
aber von revolution&auml;rem Elan erf&uuml;llt.
<P>
<I>Wei&szlig;e Garden. </I>Freiwillige aus den Kreisen der Bourgeoisie, die
in den letzten Etappen der Revolution in Erscheinung traten, um das
Privateigentum, das die Bolschewiki abschaffen wollten, zu verteidigen. Sehr
viele von ihnen waren Studenten.
<P>
<I>Jekinzy. </I>Die sogenannte Wilde Division in der Armee Sie bestand aus
Angeh&ouml;rigen mohammedanischer St&auml;mme aus Mittelasien, die Kornilow
pers&ouml;nlich zugetan waren. Sie waren wegen ihres blinden Gehorsams und
ihrer grausamen Kriegsf&uuml;hrung bekannt.
<P>
<I>&AElig;Todesbataillone"</I> oder<I> &AElig;Sto&szlig;bataillone"</I>.
Im allgemeinen ist das Frauenbataillon in der Welt als Todesbataillon bekannt,
aber es gab auch M&auml;nnerbataillone dieser Art. Sie wurden im Sommer1917
von Kerenski gebildet, um durch Beispiele von Heldentum die Disziplin und
Kampfkraft in der Armee zu erh&ouml;hen. Die Todesbataillone wurden zumeist
aus fanatisch patriotischen jungen Menschen gebildet. Zum gr&ouml;&szlig;ten
Teil waren es S&ouml;hne aus den besitzenden Klassen.
<P>
<I>Offiziersverband. </I>Eine Organisation der reaktion&auml;ren Offiziere
in der Armee, dazu bestimmt, die wachsende Macht der Armeekomitees politisch
zu bek&auml;mpfen.
<P>
<I>Ritter des heiligen Georg. </I>Das Georgskreuz wurde f&uuml;r hervorragende
Verdienste in der Schlacht verliehen. Die Tr&auml;ger dieses Ordens waren
automatisch Georgsritter. Diese Organisation spielte haupts&auml;chlich als
Vork&auml;mpfer milit&auml;rischer Ideale eine Rolle.
<P>
<I>Bauernverband. </I>1905 war der Bauernverband eine revolution&auml;re
Bauernorganisation.. 1917 war er jedoch zum politischen Interessenvertreter
der wohlhabenden Bauern geworden und bek&auml;mpfte die wachsende Macht und
die revolution&auml;ren Ziele der Sowjets der Bauerndeputierten.
<P>
<H4>
<I>Zeitrechnung und Schreibweise</I>
</H4>
<P>
<I></I>Ich habe in diesem Buch &uuml;berall unseren Kalender benutzt und
nicht den russischen, der dreizehn Tage zur&uuml;ckliegt. In der Schreibweise
der russischen W&ouml;rter und Namen habe ich nicht versucht, mich an
wissenschaftliche Transkriptionsregeln zu halten, sondern habe eine Schreibweise
gew&auml;hlt, die dem englischen Leser die Aussprache am leichtesten klarmachen
kann.
<P>
<H4>
<I>Quellen</I>
</H4>
<P>
<I></I>Das Material in diesem Buch stammt zu einem gro&szlig;en Teil aus
meinen eigenen Notizen. Dar&uuml;ber hinaus habe ich mich aber auch auf ein
wahllos zusammengetragenes Archiv mehrerer Hundert russischer Zeitungen
gest&uuml;tzt, die &uuml;ber fast jeden Tag der geschilderten Zeitspanne
Meldungen enthalten. Au&szlig;erdem benutzte ich eine Sammlung der englischen
Zeitung &AElig;Russian Daily News" und der beiden franz&ouml;sischen Zeitungen
&AElig;Journal de Russie" und &AElig;Entente". Viel wertvoller als diese
Zeitungen ist allerdings das &AElig;Bulletin de la Presse", t&auml;glich
vom franz&ouml;sischen Informationsb&uuml;ro in Petrograd herausgegeben,
das &uuml;ber alle wichtigen Ereignisse, Reden und Kommentare der russischen
Presse berichtet. Von diesem Bulletin habe ich eine nahezu vollst&auml;ndige
Sammlung vom Fr&uuml;hjahr 1917 bis Ende Januar 1918.Daneben habe ich fast
jede Proklamation, jedes Dekret und jede Ank&uuml;ndigung , die von Mitte
September 1917 bis Januar1918 in den Stra&szlig;en Petrograds angeschlagen
wurden, gesammelt; ebenso die offiziellen Ver&ouml;ffentlichungen aller Dekrete
und Befehle der Regierung sowie die offizielle Ver&ouml;ffentlichung der
Geheimabkommen und anderer Dokumente, die im Au&szlig;enministerium gefunden
wurden, als es die Bolschewiki &uuml;bernahmen.
</BODY></HTML>