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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<title>"Neue Rheinische Zeitung" - Gerichtliche Untersuchung gegen die "Neue Rheinische
Zeitung"</title>
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<p align="center"><a href="me05_169.htm"></a><a href="me05_169.htm"><font size=
"2">Vereinbarungsdebatten</font></a> <font size="2">|</font> <a href="../me_nrz48.htm"><font
size="2">Inhalt</font></a> <font size="2">|</font> <a href="me05_178.htm"><font size=
"2">Berliner Vereinbarungsdebatten</font></a></p>
<small>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 175-177<br>
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1971</small> <br>
<br>
<h1>Gerichtliche Untersuchung gegen die "Neue Rheinische Zeitung"</font></p>
<p><font size="2">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 37 vom 7. Juli 1848]</font></p>
<p><b><a name="S175">&lt;175&gt;</a></b> *<i>K&ouml;ln</i>, 6. Juli. Wir erhalten soeben
folgende Entgegnung auf den in der gestrigen "[Neuen] Rheinischen Zeitung" abgedruckten
Artikel, de dato "K&ouml;ln, 4. Juli", betreffend die Verhaftung der Herren Dr. Gottschalk und
Anneke &lt;Siehe <a href="me05_166.htm">"Verhaftungen"</a>&gt;.</p>
<p><font size="2">"Ich erkl&auml;re es f&uuml;r eine Unwahrheit, da&szlig; ich auf die
Beschwerde der Frau Anneke &uuml;ber die ohne Gegenwart einer Magistratsperson vorgenommene
Verhaftung ihres Mannes erwidert habe:</font></p>
<p>ich habe <i>keinen Befehl zu Brutalit&auml;ten</i> gegeben.</p>
<p>Ich habe vielmehr nur ge&auml;u&szlig;ert, da&szlig; ich es bedauern m&uuml;sse, wenn sich
die Gendarmen ungeb&uuml;hrlich benommen haben sollten.</p>
<p>ich erkl&auml;re es ferner f&uuml;r eine Unwahrheit, da&szlig; ich mich des Ausdrucks
bedient habe:</p>
<p>die Gendarmen seien zu der Verhaftung <i>richterlich kommandiert</i> worden,</p>
<p>und habe nur bemerkt, da&szlig; die Verhaftung kraft eines Vorf&uuml;hrungsbefehls des Herrn
Instruktionsrichters vollzogen worden sei.</p>
<p>Vorf&uuml;hrungsbefehle werden nach dem Gesetz durch Gerichtsvollzieher oder Agenten der
bewaffneten Macht vollstreckt. Die Anwesenheit eines Beamten der gerichtlichen Polizei ist
nirgend vorgeschrieben.</p>
<p>Die in dem Artikel enthaltenen Verleumdungen resp. Beleidigungen gegen den Herrn
Oberprokurator Zweiffel und die Gendarmen, welche die Verhaftung vollzogen haben, werden in der
gerichtlichen Untersuchung, die deshalb eingeleitet werden wird, ihre W&uuml;rdigung
finden.</p>
<p>K&ouml;ln, den 5. Juli 1848</p>
<p align="right">Der Staatsprokurator:<br>
<i>Hecker</i>"</p>
<p><b><a name="S176">&lt;176&gt;</a></b> Unsere werten Leser ersehn aus dem Vorstehenden,
da&szlig; die "Neue Rhein[ische] Z[ei]t[un]g" einen neuen, vielversprechenden Mitarbeiter
gewonnen hat - das <i>Parquet</i>.</p>
<p>Wir haben geirrt in <i>einem</i> juristischen Punkt. Bei der Verhaftung bedarf es keines
<i>"Beamten der gerichtlichen Polizei"</i>, sondern nur eines <i>Agenten der &ouml;ffentlichen
Gewalt</i>. Mit welch sorglichen Garantien der Code die pers&ouml;nliche Sicherheit umgibt!</p>
<p>Es bleibt &uuml;brigens nach wie vor ungesetzlich, da&szlig; die Herrn Gendarmen ihren
Verhaftungsbefehl nicht vorgezeigt haben. Es bleibt ungesetzlich, da&szlig; sie, wie uns
nachtr&auml;glich versichert wird, schon <i>vor</i> dem Erscheinen des Herrn Hecker und seines
Herrn Begleiters <i>Briefschaften durchmustert</i> haben. Vor allem aber bleiben die
<i>Brutalit&auml;ten</i> ungesetzlich, die Herr Hecker <i>bedauert</i> hat. Wir sind erstaunt,
eine gerichtliche Untersuchung nicht gegen die Herrn Gendarmen, sondern gegen die Zeitung
verh&auml;ngt zu sehn, welche die Ungeb&uuml;hr der Herrn Gendarmen denunziert.</p>
<p>Die <i>Beleidigung</i> k&ouml;nnte sich nur auf den einen der Herrn Gendarmen beziehn, von
dem versichert wurde, er habe zu guter Stunde <i>"gewankt"</i> aus mehr oder minder
spirituellen oder spirituosen Gr&uuml;nden. Ergibt aber die Untersuchung, wie wir keinen
Augenblick zweifeln, die Richtigkeit des Tatbestandes - der von den Herren Agenten der
&ouml;ffentlichen Gewalt ver&uuml;bten Brutalit&auml;ten -, so glauben wir nur den einzig
<i>"mildernden Umstand"</i> mit der ganzen Unparteilichkeit, welche der Presse geziemt, im
eigensten Interesse der von uns beschuldigten Herren sorglichst hervorgehoben zu haben, und die
menschenfreundliche Angabe des einzig mildernden Umstandes verwandelt das Parquet in eine
"Beleidigung"!</p>
<p>Und nun die Beleidigung, resp. Verleumdung des Herrn Oberprokurator <i>Zweiffel</i>!</p>
<p>Wir haben einfach berichtet und, wie wir selbst im Bericht andeuteten, <i>Ger&uuml;chte</i>
berichtet, Ger&uuml;chte, die uns aus guter Quelle zukamen. Die Presse, sie hat aber nicht nur
das Recht, sie hat die Pflicht, die Herren Volksrepr&auml;sentanten aufs genaueste zu
&uuml;berwachen. Wir haben zugleich angedeutet, da&szlig; die bisherige parlamentarische
Wirksamkeit des Herrn Zweiffel jene ihm zugeschriebenen volksfeindlichen &Auml;u&szlig;erungen
nicht unwahrscheinlich macht - und will man der Presse das Recht abschneiden, die
parlamentarische Wirksamkeit eines Volksrepr&auml;sentanten zu <i>beurteilen</i>? Wozu dann die
Presse?</p>
<p>Oder hat die Presse nicht das Recht, in dem Volksrepr&auml;sentanten <i>Zweiffel</i> zuviel
von dem Oberprokurator und in dem Oberprokurator zuviel von dem Volksrepr&auml;sentanten zu
finden? Wozu dann in Belgien, in Frankreich usw. die Debatten &uuml;ber die
Inkompatibilit&auml;ten?</p>
<p><b><a name="S177">&lt;177&gt;</a></b> Was den <i>konstitutionellen Usus</i> betrifft, so
lese man nach, wie der "Constitutionnel", der "Si&eacute;cle", die "Presse" unter
Louis-Philippe die parlamentarische Wirksamkeit der Herren <i>H&eacute;bert, Plougoulm</i> usw.
beurteilten, zur Zeit, wo diese Herren die obersten Chefs des Parquets und zugleich Deputierte
waren. Man lese die belgischen Bl&auml;tter nach, und zwar die engkonstitutionellen, den
"Observateur", die "Politique", die "Emancipation", wie sie die parlamentarische Wirksamkeit
des Herrn <i>Bavay</i> noch vor kaum einem Jahre beurteilten, als Herr Bavay in einer Person
den Deputierten und den Generalprokurator vereinigte.</p>
<p>Und was unter dem Ministerium Guizot, unter dem Ministerium Rogier stets erlaubt war, sollte
nicht erlaubt sein in der <i>Monarchie auf breitester demokratischer Grundlage</i>? Ein Recht,
was kein Ministerium der franz&ouml;sischen Restauration bestritt, wird zum Unrecht unter dem
<i>Ministerium der Tat</i>, das die <i>Revolution im Prinzip</i> anerkennt?</p>
<p>&Uuml;brigens hat sich das Publikum durch unsere Extrabeilage von heute morgen
&uuml;berzeugt, wie richtig wir den Gang der Ereignisse beurteilt. <i>Rodbertus</i> ist aus dem
Ministerium aus- und <i>Ladenberg</i> ist in das Ministerium eingetreten. Das Ministerium des
linken Zentrums hat sich nach einigen Tagen in ein entschieden
<i>altpreu&szlig;isch-reaktion&auml;res Ministerium verwandelt</i>. <i>Die Rechte</i> hat einen
<i>Staatsstreich</i> gewagt, die <i>Linke</i> hat sich <i>drohend</i> zur&uuml;chgezogen.</p>
<p>Und es w&auml;re nicht mit H&auml;nden zu greifen, da&szlig; die j&uuml;ngsten Taten zu
K&ouml;ln in dem gro&szlig;en Feldzugsplan des <i>Ministeriums der Tat</i> verzeichnet
standen?</p>
<p>Soeben wird uns berichtet, da&szlig; der "Neuen Rheinischen Zeitung" der Zugang ins
Arresthaus versperrt ist. Berechtigt die Gef&auml;ngnisordnung zu diesem Verbot? Oder sind
politisch Angeschuldigte zur Strafe verurteilt, ausschlie&szlig;lich die <i>"K&ouml;lnische
Zeitung"</i> zu lesen?</p>
<p><font size="2">Geschrieben von Karl Marx.</font></p>
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