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<TITLE>John Reed: 10 Tage die die Welt erschütterten</TITLE>
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<BODY bgcolor="#FFFFFF">
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V. IM STURMSCHRITT VORAN
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Donnerstag, 8. November. Der hereinbrechende Tag fand die Stadt in wildester
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Aufregung und Verwirrung, die ganze Nation gepeitscht von dem sich zu immer
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wilderen stößen erhebenden Sturm. Äußerlich war alles
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ruhig. Hunderttausende waren zeitig zu Bett gegangen, stande früh auf
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und gingen ihrer Arbeit nach. In Petrograd fuhren die Straßenbahnen,
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die Warenhäuser und Restaurants waren geöffnet, die Theater in
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vollem Betrieb. Sogar eine Gemäldeausstellung war angezeigt. Der Alltag
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- langweilig selbst in Kriegszeiten - ging seinen gewohnte Trott. Nichts
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ist erstaunlicher als die Lebenskraft des sozialen Organismus - wie er beharrt,
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sich nährend, sich kleidend, sich amüsierend, dem allerschrecklichsten
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Elend zum Trotz...
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Die Luft schwirrte von Gerüchten über Kerenski, der, wie es hieß,
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die Front aufgewiegelt habe und eine große Armee gegen die Hauptstadt
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führe. Æ Wolja Naroda" veröffentlichte einen von ihm in Pskow
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erlassenen Befehl:
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ÆDie Unordnung, verursacht durch den wahnsinnigen Versuch der Bolschewiki,
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treibt das Land dem Abgrund entgegen. Das erheischt die Anstrengung unseres
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ganzen Willens, unseres ganzen Mutes und die Hingabe jedes einzelnen von
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uns, damit wir die schreckliche Prüfung überstehen, die das Vaterland
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durchmacht...... Bis zur Bekanntgabe der Zusammensetzung der neuen Regierung
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- wenn eine solche gebildet sein wird - hat jeder auf seinem Poste zu bleiben
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und seine Pflicht dem blutenden Rußland gegenüber zu erfüllen.
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Niemand darf vergessen, daß der geringste Konflikt mit den bestehenden
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Armeeorganisationen nicht wiedergutzumachendes Unglück über das
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Land bringen kann, indem die Front dem Feinde geöffnet wird. Darum ist
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vor allem und unter jeder Bedingung dafür Sorge zu tragen, daß
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die Moral der Truppen erhalten bleibt durch Aufrechterhaltung völliger
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Ordnung und Bewahrung der Armee vor neuen zusammenstößen sowie
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durch Aufrechterhaltung des absoluten Vertrauens zwischen Offizieren und
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Untergebenen. Ich befehle allen Chefs und Kommissaren, um der Sicherheit
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des Landes willen auf ihren posten zu bleiben, so wie ich selbst den Posten
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des Obersten Befehlshabers behalten werde, bis die Provisorische Regierung
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der Republik ihren Willen zum Ausdruck gebracht hat." All dem zu begegnen,
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das nachfolgende Plakat an allen Mauern:
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ÆV o m G e s a m t r u s s i s c h e n S o w j e t k o n g r e ß
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.
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Die Exminister Konowalow, Kischkin, Tereschtschenko, Maljantowitsch Nikitin
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und andere befinden sich in der Gewalt des Revolutionären
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Militärkomitees. Kerenski ist geflohen. Alle Armeeorganisationen haben
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Anweisungen, die notwendigen Maßnahmen für die sofortige Verhaftung
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Kerenskis und seine Überführung nach Petrograd zu treffen. Jede
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Kerenski erwiesene Unterstützung wird als schweres Staatsverbrechen
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bestraft werden."
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Aller Hindernisse ledig, war das Revolutionäre Militärkomitee jetzt
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fieberhaft tätig, zahllose Befehle, aufrufe und Gesetze ins Land zu
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schleudern. Ein Befehl ordnete die Überführung Kornilows nach Petrograd
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an. Die von der Provisorischen Regierung eingekerkerten Bodenkomitees wurden
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für frei erklärt, die Todesstrafe in der Armee wurde abgeschafft.
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Die Beamten wurden aufgefordert, auf ihren Posten zu bleiben, und schwere
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Strafen waren ihnen angedroht für den fall, daß sie sich dessen
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weigerten. Plünderung, Unruhen und Spekulation waren bei Todesstrafe
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verboten. In die verschiedenen Ministerien wurden provisorische Kommissare
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entsandt: Auswärtiges: Urizki und Trotzki, Inneres und Justiz: Rykow,
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Arbeit: Schljapnikow, Finanzen: Menshinski, Öffentliche Wohlfahrt: Frau
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Kollontai, Handel und Verkehr: Rjasanow, Flotte: der Matrose Korbir, Post
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und Telegraf: Spiro, Theater: Murawjow, Staatsdruckerei: Derbyschew, für
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die Stadt Petrograd: Leutnant Nesterow, für die Nordfront: Posern. Die
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Armee wurde aufgefordert, Revolutionäre Militärkomitees einzusetzen;
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die Eisenbahnarbeiter, die Ordnung aufrechtzuerhalten und vor allem den
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Lebensmitteltransport in die Städte und an die Front nicht zu hindern.
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Dafür waren ihnen besondere Vertreter im Verkehrsministerium zugesagt.
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In einer Proklamation an die Kosaken hieß es:
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ÆB r ü d e r K o s a k e n ! Man will euch gegen Petrograd
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führen. Man will euch in einen Kampf mit den revolutionären Arbeitern
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und Soldaten der Hauptstadt zwingen. Ihr dürft unseren gemeinsamen Feinden,
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den Großgrundbesitzern und Kapitalisten, kein Wort glauben. Auf unserem
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Kongreß sind alle organisierten Arbeiter, Soldaten und die bewußten
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Bauern Rußlands vertreten. Der Kongreß ist bereit, auch die
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werktätigen Kosaken in seiner Mitte willkommen zu heißen. Die
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Generale der Schwarzhundertschaften, die Lakaien der Großgrundbesitzer
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und Nikolaus´ des Grausamen, sind unsere Feinde. Sie sagen euch, daß
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die Sowjets das Land der Kosaken konfiszieren wollen. Das ist eine Lüge.
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Die Revolution will nur das Land der kosakischen Großgrundbesitzer
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konfiszieren, um es dem Volke zu geben. Organisiert Sowjets der
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Kosakendeputierten! Schließt euch den Sowjets der Arbeiter- und
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Soldatendeputierten an! Zeigt den Schwarzhundertleuten, daß ihr keine
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Verräter am Volke seid und daß ihr nicht gewillt seid, die Verachtung
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des gesamten revolutionäre Rußlands auf euch zu laden!... Brüder
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Kosaken, weigert euch, die Befehle der Feinde des Volkes auszuführen.
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Sendet eure Delegierten nach Petrograd, damit sie die Dinge mit uns besprechen...
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Die Kosaken der Petrograder Garnison haben, zu ihrer Ehre sei es gesagt,
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die Hoffnungen der Volksfeinde nicht gerechtfertigt....
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Brüder Kosaken! Der Gesamtrussische Sowjetkongreß streckt euch
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seine brüderliche Hand entgegen. Es lebe der Bruderbund der Kosaken
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mit den Soldaten, Arbeitern und Bauern des ganzen Rußlands!"
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Demgegenüber, welche Fülle angeschlagener Proklamationen,
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herumflatternder Handzettel, geifernder, schimpfender, dem Ganzen ein böses
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Ende verheißender Zeitungen! Die Schlacht der Druckerpresse tobte
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jetzt - alle anderen Waffen waren in den Händen der Sowjets. An der
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Spitze der Aufruf des Komitees zur Rettung des Vaterlandes und der Revolution.
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ÆA n d i e B ü r g e r d e r R u s s i s c h e n R e p u b l i
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k !
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Entgegen dem Willen der revolutionären Massen haben die Bolschewiki
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Petrograds am 7. November einen teil der Provisorischen Regierung verhaftet,
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den rat der russischen Republik auseinandergejagt und eine ungesetzliche
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Macht proklamiert. Diese gegen die Regierung des revolutionären
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Rußlands im Moment der größten äußeren Gefahr
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begangene Vergewaltigung ist ein unbeschreibliches Verbrechen gegen das
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Vaterland. Der Aufstand der Bolschewiki versetzt der Sache der nationalen
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Verteidigung einen tödlichen Schlag und verzögert unübersehbar
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den so sehnlichst herbeigewünschten Augenblick des Friedensschlusses.
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Der Bürgerkrieg, von den Bolschewiki begonnen, bedroht das Land mit
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den Schrecken der Anarchie und Konterrevolution. Er macht die Konstituierende
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Versammlung unmöglich, deren Aufgabe es sein sollte, die republikanische
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Ordnung zu bestätigen und dem Volke auf ewige Zeiten sein Recht auf
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das Land zu sichern. Das Komitee zur Rettung des Vaterlandes und der Revolution,
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in der Nacht des 7. November gegründet, übernimmt die Initiative
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zur Bildung einer neuen Provisorischen Regierung, die, sich auf die Demokratie
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stützend, das Land zur Konstituierenden Versammlung hinführen und
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es vor der Anarchie und der Konterrevolution retten wird. Das Komitee zur
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Rettung des Vaterlandes und der Revolution ruft euch, Bürger, auf, der
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Macht der Gewalt die Anerkennung zu versagen. Gehorcht ihren Anordnungen
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nicht. Erhebt euch für die Verteidigung des Landes und Der Revolution!
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Unterstützt das Komitee zur Verteidigung des Vaterlandes und der Revolution!
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Gezeichnet: Rat der Russischen Republik, Petrograder
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Stadtduma,Zentralexekutivkomitee (I. Kongreß), Exekutivkomitee der
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Bauernsowjets und vom II. Sowjetkongreß die Gruppe der Frontsoldaten,
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die Sozialrevolutionäre, Menschewiki, Volkssozialisten, Vereinigte
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Sozialdemokraten und die Gruppe ,Jedinstwo'."
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Weitere Plakate von der sozialrevolutionären Partei, den menschewistischen
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Sozialpatrioten, den Bauernsowjets, dem Zentralen Armeekomitee, dem Zentroflot...
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Æ.....Der Hunger wird Petrograd zerschmettern! Die deutschen Armeen
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werden unsere Freiheit niedertrampeln. Die Schwarzhunderter werden Rußland
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mit Pogromen überziehen, wenn nicht alle bewußten Arbeiter, Soldaten
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und Bürger sich vereinigen.....Glaubt nicht den Versprechungen der
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Bolschewiki. Das Versprechen des sofortigen Friedens ist eine Lüge!
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Das Versprechen von Brot ist ein Betrug! Das Versprechen von Land ein
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Märchen!...." Immer wieder die gleiche Tonart, bei allen Plakaten.
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ÆGenossen! Man hat euch in niederträchtiger und grausamer Weise
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betrogen! Die Übernahme der Macht geschah durch die Bolschewiki allein...
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Sie hielten ihre Verschwörung gegenüber den anderen sozialistischen
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Parteien im Sowjet geheim... Sie haben euch Land und Freiheit versprochen,
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aber die Konterrevolution wird die von den Bolschewiki hervorgerufene Anarchie
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ausnutzen, und sie wird euch um Land und Freiheit betrügen...." Nicht
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weniger wild waren die Zeitungen. ÆUnsere Pflicht", erklärte
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ÆDelo Naroda", Æist es, diese Verräter an der Arbeiterklasse
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zu demaskieren. Unsere Pflicht ist es, alle unsere Kräfte zu mobilisieren
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und die Sache der Revolution zu verteidigen!..." ÆIswestija", zum
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letztenmal im Namen des alten Zentralexekutivkomitees sprechend, drohte mit
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furchtbarer Rache. ÆWas den Sowjetkongreß anbelangt, erklären
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wir, daß es keinen Sowjetkongreß gegeben hat! Wir erklären,
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daß er nichts anderes war als eine private Konferenz der bolschewistischen
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Fraktion! Und in dieser Eigenschaft hat er nicht das Recht, die Machtbefugnisse
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des Zentralexekutivkomitees aufzuheben..."
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ÆNowaja Shisn" trat für eine neue Regierung ein, die alle
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sozialistischen Parteien umfassen sollte; sie kritisierte scharf die Haltung
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der Sozialrevolutionäre und der Menschewiki, die den Kongreß verlassen
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hatten, und wies darauf hin, daß die bolschewistische Erhebung eines
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klarmache: daß alle Illusionen über eine Koalition mit der Bourgeoisie
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in Zukunft sinnlos seien... ÆRabotschi Put", der jetzt als ÆPrawda"
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herauskam, Lenins im Juli unterdrücktes Blatt, schrieb: ÆArbeiter,
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Soldaten, Bauern! Im März zerschlugt ihr die Tyrannei der Adelsclique.
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Gestern warft ihr die Tyrannei der Bourgeoisie nieder... Die erste Aufgabe
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ist jetzt, die Tore Petrograds zu bewachen. Die zweite, die
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konterrevolutionären Elemente Petrograds endgültig zu entwaffnen.
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Die dritte, die endgültige Organisierung der revolutionären Macht
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und die Realisierung des Volksprogramms...."
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Die wenigen noch erscheinenden Kadettenorgane und die Bourgeoisie im allgemeinen
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nahmen zu den Vorgängen eine besondere, ironisierende Haltung, eine
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Art Æich hab's euch ja gleich gesagt" gegenüber den anderen Parteien
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ein. Man konnte wohl einflußreiche Angehörige der Kadettenpartei
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um die Stadtduma streifen sehen und in den Vorzimmern des Komitees zur Rettung
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des Vaterlandes antreffen. Sonst aber hielt sich die Bourgeoisie zurück,
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sich auf ihre Stunde vorbereitend, die unmöglich lange auf sich warten
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lassen konnte. Daß die Bolschewiki sich länger als drei Tage an
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der Macht halten sollten, hielt niemand für möglich, ausgenommen
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vielleicht Lenin, Trotzki, die Petrograder Arbeiter und die einfachen Soldaten.
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In dem hohen amphitheatermäßig gebauten Nikolaussaal sah ich an
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diesem Nachmittag die in Permanenz tagende Duma, stürmisch, alle
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Kräfte der Opposition um sich gruppierend. Der alte, in seinem weißen
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Haar und Bart würdevoll dreinschauende Bürgermeister Schrejder
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gab eine Schilderung seines Besuches im Smolny in der vergangenen Nacht,
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wo er im Namen der städtischen Selbstverwaltung Protest eingelegt hatte.
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ÆDie Duma als die einzige rechtmäßig existierende Regierung
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in der Stadt, hervorgegangen aus gleicher, direkter und geheimer Wahl,
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würde die neue Gewalt nicht anerkennen", hatte er Trotzki mitgeteilt,
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worauf ihm Trotzki zur Antwort gegeben hatte, Ædaß es in diesem
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Falle ein kostitutionelles Mittel gebe: Die Auflösung und Neuwahl der
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Duma". Der Bericht löste bei der Versammlung zornige Entrüstung
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aus. ÆWollte man eine sich auf Bajonette stützende Regierung
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anerkennen", fuhr der alte Mann in seiner Rede an die Duma fort, Ædann
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haben wir allerdings eine Regierung; aber für rechtmäßig
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erachte ich nur eine vom Volk, und zwar eine von seiner Mehrheit anerkannte
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Regierung, nicht aber eine durch die gewaltsame Besitzergreifung einer Minderheit
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geschaffene." Darauf wilder Beifall auf allen Bänken, die der Bolschewiki
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ausgenommen. Inmitten erneuten Tumultes teilte der Bürgermeister mit,
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daß die Bolschewiki durch die Entsendung von Kommissaren in zahlreich
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Stadtbezirke mit der Vergewaltigung der städtischen Selbsverwaltung
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bereits begonnen hätten. Dann schrie der bolschewistische Redner, sich
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mit aller Kraft Gehör verschaffend: ÆDer Beschluß des
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Sowjetkongresses beweist, daß das ganze Rußland hinter der Aktion
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der Bolschewiki steht. Ihr seid nicht die wahren Vertreter des Petrograder
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Volkes." Rufe: ÆDas ist eine Beschimpfung!" Würdevoll erinnerte
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der Bürgermeister daran, daß die Duma aus der denkbar freiesten
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Volkswahl hervorgegangen sei. ÆJawohl", antwortete der Bolschewik,
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Æaber das ist schon lange her. Genau wie beim Zentralexekutivkomitee
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und beim Armeekomitee." ÆEs hat keinen neuen Sowjetkongreß gegeben",
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schrien sie auf ihn ein. ÆDie bolschewistische Partei lehnt es ab,
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noch weiter in diesem Nest der Konterrevolution zu bleiben" (Tumult), Æund
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wir verlangen die Neuwahl der Duma". Die Bolschewiki verließen den
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Saal, und ÆDeutsche Agenten!" und ÆNieder mit den Verrätern!"
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schallte es ihnen nach. Schingarjow stellte für die Kadetten den antrag,
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alle städtischen Beamten, die sich dem Revolutionären
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Militärkomitee zur Verfügung gestellt hatten, von ihrem Posten
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zu entheben und unter Anklage zu stellen. Schrejder brachte eine Resolution
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ein des Inhalts, daß die Duma gegen die Androhung der Bolschewiki,
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sie aufzulösen, protestiere und daß sie sich als die
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gesetzmäßige Volksvertretung weigere, ihren Posten zu verlassen.
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Draußen, im Alexandersaal, tagte eine überfüllte Sitzung
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des Komitees zur Rettung des Vaterlandes und der Revolution. Skobelew hatte
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wieder das Wort. ÆNoch niemals", sagte er, Æwar das Schicksal
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der Revolution so auf des Messers Schneide, noch niemals verursachte die
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Frage der Existenz des russischen Staates so viel Besorgnis, noch niemals
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hat die Geschichte die Frage, ob Rußland leben oder untergehen wird,
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so scharf und kategorisch gestellt! Die große Stunde der Rettung der
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Revolution ist da, und im Bewußtsein dessen blicken wir auf das enge
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Bündnis der Lebenskräfte der Revolutionären Demokratie, deren
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organisierter Wille ein Zentrum für die Rettung der Revolution und des
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Vaterlandes bereits geschaffen hat...." Und noch vieles in dieser Art. ÆWir
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werden eher sterben als unsere Stellung preisgeben!"
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Unter stürmischem Beifall nahm die Versammlung von dem Beitritt des
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Eisenbahnverbandes zum Komitee Kenntnis. Wenige Minuten später trafen
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die Post- und Telegrafenangestellten ein, dann einige
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Menschewiki-Internationalisten. Die Eisenbahner erklärten, daß
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sie die Bolschewiki nicht anerkennen würden, daß sie den ganzen
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Eisenbahnapparat in eigene Hände genommen hätten und es entschieden
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ablehnten, ihn irgendeiner usurpatorischen Gewalt anzuvertrauen. Der Delegierte
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der Telegrafenbeamten schilderte, wie seine Kollegen sich geweigert hatten,
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in Anwesenheit des bolschewistischen Kommissares ihre Apparate zu bedienen.
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Die Postangestellten würden von dem Smolny weder Postsachen entgegennehmen
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noch solche an ihn ausliefern....Alle Telefonapparate des Smolny seien aus
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dem allgemeinen Netz ausgeschaltet. Unter großer Belustigung wurde
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berichtet, wie Urizki ins Ministerium des Auswärtigen gekommen sei und
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die Geheimverträge verlangt habe und wie er von Neratow an die frische
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Luft gesetzt worden sei. Sämtliche Regierungsangestellten hätten
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die Arbeit eingestellt. Dies war der Krieg - ein Krieg nach vorbedachtem
|
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|
Plan, in russischer Manier. Die Waffen waren Streik und Sabotage. Wir
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hörten, wie der Vorsitzende eine Liste von Namen mit den jedem einzelnen
|
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zugewiesenen Aufgaben verlas. Der hatte eine Runde durch die Ministerien
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|
zu machen. Ein anderer sollte die Banken besuchen. Etwa zehn oder zwölf
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sollten in die Kasernen gehen, um die Soldaten zur Neutralität zu
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|
überreden - ÆRussische Soldaten, vergießt nicht das Blut
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|
eurer Brüder!"
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<P>
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Ein Komitee wurde eingesetzt zu Verhandlungen mit Kerenski. Andere wurden
|
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in die Provinzstädte entsandt, damit sie dort Zweigorganisationen des
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Komitees zur Rettung des Vaterlandes gründeten und den Zusammenschluß
|
||
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der antibolschewistischen Elemente betrieben. Die Versammlung war aufs
|
||
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zuversichtlichste gestimmt. ÆDiese Bolschewiki wollen der Intelligenz
|
||
|
Vorschriften machen. Wir werden es ihnen zeigen!" Kein größerer
|
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|
Kontrast war denkbar als der zwischen dieser Versammlung und dem Kongreß
|
||
|
der Sowjets. Dort große Massen armseligster Soldaten, schmutziger Arbeiter,
|
||
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Bauern - arme Menschen, gebeugt und zernarbt im brutalen Ringen um die Existenz;
|
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|
hier die Führer der Menschewiki und der Sozialrevolutionäre - die
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||
|
Awxentjew, Dan, Liber, die ehemaligen sozialistischen Minister Skobelew,
|
||
|
Tschernow, Schulter an Schulter mit Kadetten, wie dem öligen Schazki,
|
||
|
dem glatten Winawer, mit Journalisten, Studenten, Intellektuellen aus fast
|
||
|
allen Lagern. Alle gut genährt, gut gekleidet; ich habe unter ihnen
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||
|
kaum drei Proletarier gesehen.
|
||
|
<P>
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||
|
Nachrichten begannen einzulaufen. Kornilows getreue Tekinzy schlugen in Bychow
|
||
|
die Wachen nieder, und Kornilow, der dort gefangengehalten wurde, konnte
|
||
|
entkommen. Von dem Moskauer Sowjet war ein Revolutionäres
|
||
|
Militärkomitee eingesetzt worden, das mit dem Stadtkommandanten wegen
|
||
|
Übergabe des Arsenals verhandelte, so daß die Möglichkeit
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||
|
bestand, die Arbeiter zu bewaffnen.
|
||
|
<P>
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||
|
Mit diesen Tatsachen war ein erstaunliches Durcheinander von Gerüchten,
|
||
|
Übertreibungen und offenbaren Lügen vermengt. So nahm uns ein sonst
|
||
|
intelligenter Kadett, der nacheinander der Privatsekretär erst Miljukows
|
||
|
und dann Tereschtschenkos gewesen war, beiseite, um uns die Einnahme des
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||
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Winterpalastes zu schildern. ÆDie Bolschewiki standen unter Führung
|
||
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deutscher und österreichischer Offiziere", behauptete er allen Ernstes.
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ÆSo?" erwiderten wir höflich. ÆWoher wissen Sie das?"
|
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ÆEiner meiner Freunde war dort und hat sie gesehen." ÆWoher
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wußte er, daß es deutsche Offiziere waren?" ÆOh, weil sie
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deutsche Uniformen trugen." Solcher ganz unsinniger Geschichten waren Hunderte
|
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im Umlauf, und sie wurden nicht nur in der feierlichsten Aufmachung in der
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||
|
antibolschewistischen Presse veröffentlicht, sondern auch geglaubt -
|
||
|
und von Leuten, denen man ein derartiges Maß von Leichtgläubigkeit
|
||
|
nie zugetraut hätte, darunter solche Menschewiki und
|
||
|
Sozialrevolutionäre, deren nüchterne Sachlichkeit notorisch war.
|
||
|
<P>
|
||
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Ernster aber war, was über die angeblichen Greueltaten und den Terror
|
||
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der Bolschewiki im Umlauf war. So wurde erzählt, und man las es auch
|
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gedruckt, daß die Rotgardisten nicht nur den Winterpalast völlig
|
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ausgeplündert und die Offiziersschüler nach ihrer Entwaffnung
|
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niedergemacht, sondern daß sie auch einige der Minister kalten Blutes
|
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ermordet hätten. Was die Frauenbataillone betraf, so waren die meisten
|
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dieser Frauen angeblich vergewaltigt worden, während viele infolge der
|
||
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erlittenen Mißhandlungen Selbstmord verübt haben sollten. Und
|
||
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die Dumaleute nahmen all diese Geschichten für bare Münze. Was
|
||
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Wunder, wenn auch die Mütter und Väter der Offiziersschüler
|
||
|
und Frauen, die die oft von namentlicher Aufführung der angeblichen
|
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Opfer begleiteten Details lasen, ihnen Glauben schenkten. Als die Nacht
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hereinbrach, war die Duma von einer Menge wütender Bürger umlagert.
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Ein typischer Fall ist der des Fürsten Tumanow, dessen Leichnam nach
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den Meldungen zahlreicher Zeitungen im Moika- Kanal treibend aufgefunden
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worden war. Als wenige Stunden später die Familie des Fürsten diese
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Nachricht dementierte und hinzufügte, daß der Fürst
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gefangengehalten werde, identifizierte die Presse den Leichnam als den des
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Generals Denissow. Als aber auch dieser wieder zum Leben kam, stellte wir
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Nachforschungen an und konnten überhaupt keine Spur von irgendeinem
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unter den bezeichneten Umständen aufgefundenen Leichnam entdecken. Als
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wir die Duma verließen, sahen wir zwei Pfadfinder, die Handzettel an
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die riesige Volksmenge verteilten, die sich auf dem Newski gegenüber
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dem Tor angesammelt hatte, fast durchweg Unternehmer, Kaufleute, Beamte und
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Angestellte. Auf einem der Handzettel las ich: Æ V o n d e r S t a
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d t d u m a !" Angesichts der Ereignisse des heutigen Tages proklamiert die
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Stadtduma in ihrer Sitzung vom 26. Oktober (8. November, Anm. d. Red.) die
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Unverletzlichkeit der Privatwohnungen. Durch die Hauskomitees fordert sie
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die Bevölkerung der Stadt Petrograd auf, alle Versuche, in Privatwohnungen
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mit Gewalt einzudringen, mit Entschiedenheit zurückzuweisen und im Interesse
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der Selbstverteidigung der Bürger evtl. auch von der Waffe Gebrauch
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zu machen."
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<P>
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An der Ecke des Litejny- Prospekts hatten fünf oder sechs Rotgardisten
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und ein paar Matrosen einen Zeitungsverkäufer umringt und forderten
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von ihm die Aushändigung der menschewistischen ÆRabotschaja Gaseta".
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Der Zeitungsverkäufer überhäufte sie mit wütenden
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Schimpfworten, die Faust erhebend, als einer der Matrosen die Zeitungen von
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seinem Stand riß. Eine drohende Volksmenge hatte sich angesammelt,
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die die Patrouille wütend beschimpfte. Ein kleiner Arbeiter gab sich
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Mühe, der Volksmenge und dem Zeitungsverkäufer die Notwendigkeit
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dieser Maßnahme immer wieder zu erklären. ÆDie Zeitung bringt
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die Proklamation Kerenskis, die behauptet, daß wir Russen ermordet
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hätten. Das würde zu Blutvergießen führen.." Im Smolny
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schien die Spannung größer denn je. Die gleichen im Dämmer
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der Korridore hin und her eilenden Männer. Trupps von Arbeitern mit
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Gewehren. Führer mit mächtigen Aktenbündeln, diskutierend,
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erklärend, Befehle erteilend, während sie mit besorgten Mienen
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vorübereilten, umgeben von Freunden und Mitarbeitern, Männer,
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buchstäblich außer sich; lebende Wunder von Schlaflosigkeit und
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Arbeit, unrasiert und schmutzig, mit brennenden Augen. So viel hatten sie
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zu tun, so unendlich viel. Die Regierung mußte übernommen, das
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Leben der Stadt organisiert, die Loyalität der Garnison gesichert werden.
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Es galt, den Kampf gegen die Duma und das Komitee zur Rettung des Vaterlandes
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zu führen, die Deutschen fernzuhalten, den Kampf gegen Kerenski
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vorzubereiten, die Provinzen zu unterrichten, eine von Archangelsk bis
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Wladiwostok reichende Propaganda zu betreiben. Und all dies angesichts der
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Weigerung der Regierungs- und städtischen angestellten, sich den Anordnungen
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der Kommissare zu fügen, angesichts der den Dienst verweigernden Post-
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und Telegrafenbeamten, der allen Anforderungen von Zügen gegenüber
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taub bleibenden Eisenbahner. Kerenski im Anmarsch, die Garnison teilweise
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eine zweifelhafte Haltung einnehmend, die Kosaken auf das Signal zum Losschlagen
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wartend. Gegen sich nicht nur die organisierte Bourgeoisie, sondern auch
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alle anderen sozialistischen Parteien mit Ausnahme der linken
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Sozialrevolutionäre, einiger Menschewiki-Internationalisten und der
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Sozialdemokraten-Internationalisten. Und selbst diese unentschlossen, ob
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sie neutral bleiben sollten oder nicht. Mit ihnen, es ist richtig, die Arbeiter-
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|
und Soldatenmassen - die Bauern noch eine unbekannte Größe-; aber
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alles in allem genommen waren sie, die Bolschewiki, eine noch junge Partei,
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arm an erfahrenen und durchgebildeten Kräften. Auf der Vordertreppe
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traf ich Rjasanow, der mir halb belustigt, halb entsetzt erklärte, daß
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er, der Kommissar für Handel, nicht das geringste von Geschäften
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verstehe. In dem in der oberen Etage gelegenen Cafe saß in eine Ecke
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für sich ein Mann in einem Umhang aus Ziegenfell und Kleidern - in denen
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er geschlafen hatte, hätte ich fast gesagt, aber natürlich hatte
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er nicht geschlafen - und mit drei Tage alten Bartstoppeln im Gesicht. Mit
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eifriger Geschäftigkeit kritzelte er auf einen schmutzigen Briefumschlag,
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kaute hin und wieder an seinem Bleistift. Dies war Menshinski, der Kommissar
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für das Finanzwesen, dessen Qualifikation für sein Amt darin bestand,
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|
daß er einmal Buchhalter in einer französischen Bank gewesen
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war....Und diese vier, die aus dem Büro des Revolutionären
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Militärkomitees herauskamen, den Korridor fast im Laufschritt durcheilten
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und noch im Laufen auf kleine Stücke Papier kritzelten, das waren
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Kommissare, in alle vier Himmelsrichtungen Rußlands entsandt, das Land
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zu unterrichten, die Gegner zu überzeugen oder sie zu zwingen, mit
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||
|
Argumenten oder Waffen, wie sie ihnen immer zur Hand kämen....
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<P>
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Der Kongreß sollte um vier Uhr wieder zusammentreten, und der große
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Saal hatte sich lange vordem gefüllt. Aber noch gegen sieben Uhr war
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niemand von der Kongreßleitung zu sehen. Die Bolschewiki und
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Sozialrevolutionäre tagten in ihren Fraktionszimmern. Den ganzen Nachmittag
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hatten Lenin und Trotzki gegen die Kompromißler zu kämpfen gehabt.
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Ein großer Teil der Bolschewiki war zu einer Einigung mit allen
|
||
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sozialistischen Parteien auf der Grundlage der Bildung einer rein sozialistischen
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Regierung bereit. ÆWir können es nicht schaffen; zu viele sind
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gegen uns. Es fehlen uns die Männer. Wir werden isoliert sein, und alles
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||
|
wird verloren sein." So Kamenew, Rjasanow und andere. Aber Lenin und ihm
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|
zur Seite Trotzki standen wie ein Fels. ÆDie Kompromißler sollen
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|
unser Programm akzeptieren, dann werden wir sie hereinkommen lassen. Nicht
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|
einen Zoll breit werden wir nachgeben. Wenn unter uns Genossen sind, die
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||
|
nicht den Mut und den Willen haben zu wagen, was wir wagen, so mögen
|
||
|
sie mit dem Rest der Feiglinge und Kompromißler gehen! Wir aber werden,
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|
gestützt auf Arbeiter und Soldaten, vorwärtsgehen!" Fünf Minuten
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nach sieben traf die Mitteilung der linken Sozialrevolutionäre ein,
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||
|
daß sie im Revolutionären Militärkomitee verbleiben werden.
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ÆDa seht ihr, sie kommen schon", sagte Lenin. Ein wenig später,
|
||
|
als wir in dem großen Saal am Pressetisch saßen, machte mir ein
|
||
|
Anarchist, Berichterstatter bürgerlicher Blätter, den Vorschlag,
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||
|
zu sehen, was aus dem Präsidium geworden war. Im Büro des
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||
|
Zentralexekutivkomitees war kein Mensch, leer war auch das Büro des
|
||
|
Petrograder Sowjets. Wir wanderten von Zimmer zu Zimmer, durch den ganzen
|
||
|
Smolny. Kein Mensch schien auch nur die leiseste Idee zu haben, wo man das
|
||
|
Präsidium des Kongresses finden könne. Im Gehen schilderte mir
|
||
|
mein Begleiter seine frühere revolutionäre Tätigkeit, sein
|
||
|
langes und angenehmes Exil in Frankreich... Die Bolschewiki, so vertraute
|
||
|
er mir an, seien gewöhnliche, rohe, unwissende Leute ohne ästhetisches
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||
|
Empfinden. Er war ein echter Vertreter der russischen Intelligenz... So kamen
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||
|
wir schließlich nach dem Zimmer Nr.17, dem Büro des
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||
|
Revolutionären Militärkomitees, und standen dort inmitten des
|
||
|
ungestümen Kommens und Gehens. Die Tür wurde aufgerissen, und ein
|
||
|
untersetzter Mann in einer Uniform ohne Abzeichen stürzte heraus. Er
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||
|
schien zu lächeln - bald sah man jedoch, daß dieses scheinbare
|
||
|
Lächeln in Wirklichkeit das gespannte Grinsen äußerster
|
||
|
Ermüdung war. Dieser Mann war Krylenko. Mein Bekannter, ein flotter,
|
||
|
zivilisiert aussehender junger Mann, stieß einen Freudenruf aus und
|
||
|
stürzte vorwärts. ÆNikolai Wassiljewitsch!" rief er, seine
|
||
|
Hand ausstreckend. ÆErinnern Sie sich nicht meiner, Genosse? Wir waren
|
||
|
miteinander im Gefängnis." Krylenko machte eine Anstrengung, dachte
|
||
|
nach und musterte ihn. ÆRichtig", sagte er endlich, den anderen mit
|
||
|
einem Ausdruck großer Freundlichkeit ansehend. ÆSie sind S....
|
||
|
Guten tag!" Sie umarmten einander. ÆWas tun Sie hier?" ÆOh, ich
|
||
|
schaue nur so herum....Sie scheinen sehr erfolgreich zu sein." ÆJa!"
|
||
|
erwiderte Krylenko. ÆDie proletarische Revolution ist ein großer
|
||
|
Erfolg." Er lachte. ÆVielleicht - vielleicht werde wir uns wieder im
|
||
|
Gefängnis treffen!" Als wir in den Korridor hinaustraten, fuhr mein
|
||
|
Bekannter in seinen Erklärungen fort. ÆIch bin nämlich ein
|
||
|
Anhänger Kropotkins. In unseren Augen ist die Revolution ein großer
|
||
|
Mißerfolg; sie hat nicht vermocht, den Patriotismus der Massen zu erwecken.
|
||
|
Das allein beweist, daß das Volk für die Revolution nicht reif
|
||
|
ist...."
|
||
|
<P>
|
||
|
Es war genau 8 Uhr 40, als ein Ausbruch jubelnder Begeisterung den Eintritt
|
||
|
des Präsidiums, mit Lenin - dem großen Lenin - in seiner Mitte
|
||
|
ankündigte. Eine untersetzte Gestalt, mit großem, auf stämmigem
|
||
|
Hals sitzenden Kopf, ziemlich kahl. Kleine bewegliche Augen, großer
|
||
|
sympathischer Mund und kräftiges Kinn; jetzt rasiert, der bekannte Bart
|
||
|
jedoch, den er fortan wieder tragen würde, schon wieder sprossend. In
|
||
|
abgetragenem Anzug, mit Hosen, viel zu lang für ihn. Zu unauffällig,
|
||
|
um das Idol eines Mobs zu sein, aber doch geliebt und verehrt wie selten
|
||
|
ein Führer in der Geschichte. Ein Volksführer eigner Art - Führer
|
||
|
nur dank der Überlegenheit seines Intellekts; nüchtern,
|
||
|
kompromißlos und über den Dingen stehend, ohne Effekthascherei
|
||
|
- aber mit der Fähigkeit, tiefe Gedanken in einfachste Worte zu kleiden
|
||
|
und konkrete Situationen zu analysieren. Sein Scharfsinn ist verbunden mit
|
||
|
der größten Kühnheit des Denkens.
|
||
|
<P>
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||
|
Kamenew gab den Bericht über die Aktionen des Revolutionären
|
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|
Militärkomitees: Abschaffung der Todesstrafe in der Armee, Wiederherstellung
|
||
|
der Propagandafreiheit, Freilassung der wegen politischer Vergehen verhaftet
|
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gewesenen Offiziere und Soldaten, Erlaß eines Haftbefehls gegen Kerenski,
|
||
|
Beschlagnahme der Lebensmittelvorräte in den privaten
|
||
|
Warenhäusern...... Ungeheurer Beifall. Noch einmal ein Vertreter vom
|
||
|
ÆBund": ÆDie unnachgiebige Haltung der Bolschewiki wird den
|
||
|
Zusammenbruch der Revolution zur Folge haben. Die Delegierten des Bundes
|
||
|
sehen sich daher gezwungen, aus dem Kongreß auszuscheiden" Zurufe aus
|
||
|
der Versammlung: ÆWir meinten, ihr seiet schon gestern gegangen. Wie
|
||
|
oft gedenkt ihr uns noch zu verlassen?" Darauf der Vertreter der
|
||
|
Menschewiki-Internationalisten, von erstaunten zurufen empfangen: ÆAuch
|
||
|
ihr noch hier?" Der Redner erklärte, daß nur ein Teil der
|
||
|
Menschewiki-Internationalisten den Kongreß verlassen habe, der Rest
|
||
|
würde bleiben. ÆWir erachten die Übernahme der Macht durch
|
||
|
die Sowjets für gefährlich, ja sogar für tödlich für
|
||
|
die Revolution." (Lebhafte Zurufe.) ÆAber wir bleiben im Kongreß,
|
||
|
um hier gegen diese Übernahme zu stimmen." Andere Redner folgten, offenbar
|
||
|
ohne bestimmte Anweisungen, welche Stellung sie einnehmen sollten. Ein
|
||
|
Delegierter der Kohlenbergwerke des Donezbeckens forderte von dem Kongreß
|
||
|
Maßnahmen gegen Kaledin, der möglicherweise versuchen würde,
|
||
|
die Hauptstadt von der Kohle- und Lebensmittelversorgung abzuschneiden. Einige
|
||
|
von der Front angekommene Soldaten überbrachten begeisterte
|
||
|
Grüße ihrer Regimenter. Und nun stand Lenin vorn, die Hände
|
||
|
fest an den Rand des Rednerpultes gekrampft, seine kleinen blinzelnden Augen
|
||
|
über die Menge schweifen lassend, wartend, bis der minutenlange, ihm
|
||
|
offensichtlich gleichgültige Beifallssturm sich gelegt haben würde.
|
||
|
Als er endlich beginnen konnte, sagte er einfach: ÆWir werden jetzt
|
||
|
mit dem Aufbau der sozialistischen Ordnung beginnen." Und wieder raste wilder
|
||
|
Begeisterungssturm durch den Saal. ÆDas erste ist die Durchführung
|
||
|
praktischer Maßregeln zur Verwirklichung des Friedens. Wir werden den
|
||
|
Völkern aller kriegführenden Länder den Frieden auf der Grundlage
|
||
|
der Sowjetbedingungen anbieten: Keine Annexionen, keine
|
||
|
Kriegsentschädigungen, Selbstbestimmungsrecht der Völker. Gleichzeitig
|
||
|
werden wir unserm Versprechen gemäß die Geheimverträge
|
||
|
veröffentlichen und für ungültig erklären. Die Frage
|
||
|
,Krieg und Frieden' ist so einfach, daß ich glaube, die beabsichtigte
|
||
|
Formulierung eines Aufrufes an die Völker aller kriegführenden
|
||
|
Staaten hier ohne Vorrede vorlesen zu können: , <I>Aufruf an die
|
||
|
Völker und Regierungen aller kriegführenden Länder !</I> Die
|
||
|
Arbeiter- und Bauernregierung, die durch die Revolution vom 6. Und 7. November
|
||
|
(24. Und 25. Oktober) geschaffen wurde und sich auf die Sowjets der Arbeiter-,
|
||
|
Soldaten- und Bauerndeputierten stützt, schlägt allen
|
||
|
kriegführenden Völkern und ihren Regierungen vor, sofort Verhandlungen
|
||
|
über einen gerechten demokratischen Frieden zu beginnen. Ein gerechter
|
||
|
oder demokratischer Friede, den die überwältigende Mehrheit der
|
||
|
durch den Krieg erschöpften, gepeinigten und gemarterten Klassen der
|
||
|
Arbeiter und der Werktätigen aller kriegführenden Länder ersehnt
|
||
|
und den die russischen Arbeiter und Bauern nach dem Sturz der Zarenmonarchie
|
||
|
auf das entschiedenste und beharrlichste forderten - ein solcher Friede ist
|
||
|
nach der Auffassung der Regierung ein sofortiger Friede ohne Annexionen (Das
|
||
|
heißt ohne Aneignung fremder Territorien, ohne gewaltsame Angliederung
|
||
|
fremder Völkerschaften) und ohne Kontributionen. Die Regierung
|
||
|
Rußlands schlägt allen kriegführenden Völkern vor,
|
||
|
unverzüglich einen solchen Frieden zu schließen, wobei sie sich
|
||
|
bereit erklärt, sofort, ohne die geringste Verzögerung, alle
|
||
|
entscheidenden Schritte zu unternehmen - bis zur endgültigen
|
||
|
Bestätigung aller Bedingungen eines solchen Friedens durch die
|
||
|
bevollmächtigten Versammlungen der Volksvertreter aller Länder
|
||
|
und aller Nationen. Unter Annexion und Aneignung fremder Territorien versteht
|
||
|
die Regierung, im Einklang mit dem Rechtsbewußtsein der Demokratie
|
||
|
im allgemeinen und der werktätigen Klassen im besonderen, jede Angliederung
|
||
|
einer kleinen und schwachen Völkerschaft an einen großen und
|
||
|
mächtigen Staat, ohne daß diese Völkerschaft ihr
|
||
|
Einverständnis und ihren Wunsch genau, klar und freiwillig zum Ausdruck
|
||
|
gebracht hat, unabhängig davon, wann diese gewaltsame Angliederung erfolgt
|
||
|
ist, sowie unabhängig davon, wie entwickelt oder rückständig
|
||
|
eine solche mit Gewalt angegliederte oder mit Gewalt innerhalb der Grenzen
|
||
|
eines gegebenen Staates festgehaltene Nation ist, und schließlich
|
||
|
unabhängig davon, ob diese Nation in Europa oder in fernen,
|
||
|
überseeischen Ländern lebt. Wenn irgendeine Nation mit Gewalt in
|
||
|
den Grenzen eines gegebenen Staates festgehalten wird, wenn dieser Nation
|
||
|
entgegen ihrem zum Ausdruck gebrachten Wunsche - gleichviel, ob dieser Wunsch
|
||
|
in der Presse oder in Volksversammlungen, in Beschlüssen der Parteien
|
||
|
oder in Empörungen und Aufständen gegen die nationale
|
||
|
Unterdrückung geäußert wurde - das Recht vorenthalten wird,
|
||
|
nach vollständiger Zurückziehung der Truppen der die Angliederung
|
||
|
vornehmenden oder überhaupt der stärkeren Nation, in freier Abstimmung
|
||
|
über die Formen ihrer staatliche Existenz, ohne den mindesten Zwang
|
||
|
selbst zu entscheiden, so ist eine solche Angliederung eine Annexion, das
|
||
|
heißt eine Eroberung und Vergewaltigung. Diesen Krieg fortzusetzen,
|
||
|
um die Frage zu entscheiden, wie die starken und reichen Nationen die von
|
||
|
ihnen annektierten schwachen Völkerschaften unter sich aufteilen sollen,
|
||
|
hält die Regierung für das größte Verbrechen an der
|
||
|
Menschheit, und sie verkündet feierlich ihre Entschlossenheit,
|
||
|
unverzüglich die Bedingungen eines Friedens zu unterzeichnen, der diesem
|
||
|
Krieg unter den obengenannten, für ausnahmslos alle Völkerschaften
|
||
|
gleich gerechten Bedingungen ein Ende macht....
|
||
|
<P>
|
||
|
Die Regierung schafft die Geheimdiplomatie ab, sie erklärt, daß
|
||
|
sie ihrerseits fest entschlossen ist, alle Verhandlungen völlig offen
|
||
|
vor dem ganzen Volke zu führen, und geht unverzüglich dazu über,
|
||
|
alle Geheimverträge zu veröffentlichen, die von der Regierung der
|
||
|
Gutsbesitzer und Kapitalisten in der Zeit vom Februar bis zum 7. November
|
||
|
(25.Oktober) 1917 bestätigt oder abgeschlossen wurden. Der ganze Inhalt
|
||
|
dieser Geheimverträge, soweit er, wie es zumeist der Fall war, den Zweck
|
||
|
hatte, den russischen Gutsbesitzern und Kapitalisten Vorteile und Privilegien
|
||
|
zu verschaffen, die Annexionen der Großrussen aufrechtzuerhalten oder
|
||
|
zu erweitern, wird von der Regierung bedingungslos und sofort für
|
||
|
ungültig erklärt. Indem sich die Regierung an die Regierungen und
|
||
|
Völker aller Länder mit dem Vorschlag wendet, sofort offene
|
||
|
Verhandlungen über den Friedensschluß aufzunehmen, gibt sie ihrerseits
|
||
|
ihrer Bereitschaft Ausdruck, diese Verhandlungen sowohl schriftlich, telegrafisch
|
||
|
als auch durch mündliche Unterhandlungen mit Vertretern der verschiedenen
|
||
|
Länder oder auf Konferenzen dieser Vertreter zu führen. Um solche
|
||
|
Unterhandlungen zu erleichtern, entsendet die Regierung ihren
|
||
|
bevollmächtigten Vertretern in die neutralen Länder. Die Regierung
|
||
|
schlägt allen Regierungen und Völkern aller kriegführenden
|
||
|
Länder vor, sofort eine Waffenstillstand abzuschließen, wobei
|
||
|
sie es ihrerseits für wünschenswert hält, daß dieser
|
||
|
Waffenstillstand auf mindestens drei Monate abgeschlossen werde, das heißt
|
||
|
auf eine Frist, die völlig ausreicht sowohl für den Abschluß
|
||
|
von Friedensverhandlungen , an denen Vertreter ausnahmslos aller
|
||
|
Völkerschaften oder Nationen teilnehmen sollen, die in den Krieg
|
||
|
hineingezogen oder hineingezwungen wurden, als auch für die Einberufung
|
||
|
bevollmächtigter Versammlungen der Volksvertreter aller Länder
|
||
|
zur endgültigen Bestätigung der Friedensbedingungen. Die Provisorische
|
||
|
Arbeiter- und Bauernregierung Rußlands, die dieses Friedensangebot
|
||
|
an die Regierungen und an die Völker aller kriegführenden Länder
|
||
|
richtet, wendet sich gleichzeitig insbesondere an die klassenbewußten
|
||
|
Arbeiter der drei fortgeschrittensten Nationen der Menschheit und der
|
||
|
größten am gegenwärtigen Kriege beteiligten Staaten: Englands,
|
||
|
Frankreichs und Deutschlands. Die Arbeiter dieser Länder haben der Sache
|
||
|
des Fortschritts und des Sozialismus die größten Dienste erwiesen
|
||
|
- in den großen Vorbildern der Chartistenbewegung in England, in der
|
||
|
Reihe der Revolutionen von weltgeschichtlicher Bedeutung, die das
|
||
|
französische Proletariat vollbracht hat, und schließlich im heroischen
|
||
|
Kampf gegen das Sozialistengesetz sowie in der für die Arbeiter der
|
||
|
ganzen Welt mustergültigen, langwierigen und beharrlichen disziplinierten
|
||
|
Arbeit an der Schaffung von proletarischen Massenorganisationen in Deutschland.
|
||
|
Alle diese Vorbilder proletarischen Heldentums und geschichtlicher
|
||
|
Schöpferkraft sind für uns eine Bürgschaft, daß die
|
||
|
Arbeiter der genannten Länder die ihnen jetzt gestellte Aufgabe der
|
||
|
Befreiung der Menschheit von den Schrecken des Krieges und seinen Folgen
|
||
|
begreifen werden, daß diese Arbeiter uns durch ihre allseitige,
|
||
|
entschiedene , rückhaltlos energische Tätigkeit helfen werden,
|
||
|
die Sache des Friedens und zugleich damit die Sache der Befreiung der
|
||
|
werktätigen und ausgebeuteten Volksmassen von jeder Sklaverei und jeder
|
||
|
Ausbeutung erfolgreich zu Ende zu führen'"
|
||
|
<P>
|
||
|
Nachdem der Beifallssturm verrauscht war, fuhr Lenin fort: ÆWir schlagen
|
||
|
dem Kongreß die Ratifikation unserer Erklärung vor. Wir wenden
|
||
|
uns sowohl an die Regierungen als auch an die Völker der
|
||
|
kriegführenden Staaten, weil eine nur an die Völker gerichtete
|
||
|
Erklärung den Abschluß des Friedens hinauszuzögern geeignet
|
||
|
sein könnte. Die im Verlauf des Waffenstillstandes ausgearbeiteten
|
||
|
Friedensbedingungen werden durch die Konstituierende Versammlung ratifiziert
|
||
|
werden. Mit der Festsetzung eines dreimonatigen Waffenstillstandes wünschen
|
||
|
wir den Völkern nach dieser blutigen Menschenvernichtung eine so lange
|
||
|
wie möglich währende Ruhepause zu geben und genügend Zeit,
|
||
|
ihre Vertreter zu wählen. Der Friedensvorschlag wird auf den Widerstand
|
||
|
der imperialistischen Regierungen stoßen. Wir machen uns darüber
|
||
|
keine Illusionen; Aber wir hoffen auf den baldigen Ausbruch der Revolution
|
||
|
in allen kriegführenden Ländern. Das ist der Grund, weswegen wir
|
||
|
uns an die Arbeiter Frankreichs, Englands und Deutschlands im besonderen
|
||
|
wenden....
|
||
|
<P>
|
||
|
Die Revolution vom 6. Und 7. November hat die Ära der sozialistischen
|
||
|
Revolution eröffnet.... Die Arbeiterbewegung wird, im Namen des Friedens
|
||
|
und des Sozialismus, den Sieg davontragen und ihre Mission vollenden..."
|
||
|
Damit endete er. In seiner Art zu sprechen lag etwas Ruhiges und Machtvolles,
|
||
|
das die Seelen der Männer aufwühlte. Man begriff, warum die Menschen
|
||
|
felsenfest glaubten, wenn Lenin sprach.
|
||
|
<P>
|
||
|
Durch Handaufheben wurde schnell beschlossen, daß nur Vertreter der
|
||
|
politischen Parteien zur Resolution sprechen sollten und das die Redezeit
|
||
|
nicht länger als fünfzehn Minuten dauern dürfe. Als erstes
|
||
|
sprach Karelin für die linken Sozialrevolutionäre: ÆUnsere
|
||
|
Partei hatte keine Gelegenheit, Abänderungen zum Text des Aufrufes
|
||
|
vorzuschlagen; es ist ein privates Dokument der Bolschewiki. Wir werden jedoch
|
||
|
dafür stimmen, weil wir mit dem Geist einverstanden sind..." Für
|
||
|
die Sozialdemokraten-Internationalisten sprach Kmarow, lang aufgeschossen,
|
||
|
mit hängenden Schultern und kurzsichtig - ausersehen, die traurige Rolle
|
||
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des Clowns in der Opposition zu spielen. Nur eine Regierung, gebildet aus
|
||
|
allen sozialistischen Parteien, sagte er, wäre autorisiert, eine derart
|
||
|
wichtige Aktion zu unternehmen. Wenn eine sozialistische Koalition gebildet
|
||
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würde, so würde seine Partei das gesamte Programm unterstützen;
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wenn nicht, dann nur Teile davon. Was die Proklamation anbelange, so seien
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die Internationalisten mit ihren Hauptpunkten durchaus einverstanden...
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<P>
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Ein Redner folgte dem anderen, unter steigender Begeisterung; für die
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ukrainische Sozialdemokratie - Zustimmung; für die litauische
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Sozialdemokratie - Zustimmung; für die Volkssozialisten - Zustimmung;
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für die polnische Sozialdemokratie - Zustimmung; für die polnischen
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Sozialisten - Zustimmung, obwohl sie eine sozialistische Koalition vorziehen
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würden; für die lettische Sozialdemokratie - Zustimmung...Etwas
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war in allen diesen Männern entzündet worden. Einer sprach von
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der Ækommenden Weltrevolution, deren Avantgarde wir sind"; ein anderer
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von dem Æneuen Zeitalter der Brüderlichkeit, wo alle Völker
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eine einzige große Familie sein werden..." Jemand verlangte das Wort:
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ÆIch sehe hier einen Widerspruch. Erst sprechen sie von einem Frieden
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ohne Annexionen und Kriegsentschädigungen, und dann erklären sie
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sich bereit, alle Friedensbedingungen zu prüfen. Prüfen heißt
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annehmen..." Sofort erhob sich Lenin: ÆWir wünschen einen gerechten
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Frieden. Aber wir fürchten nicht den revolutionären Krieg. Es ist
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möglich, daß die imperialistischen Regierungen unsern Appell
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unbeantwortet lassen. Wir werden ihnen kein Ultimatum stellen, das abzulehnen
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ihnen leichtfallen sollte. Wenn das deutsche Proletariat hören wird,
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daß wir bereit sind, alle Friedensbedingungen zu prüfen, dann
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wird das vielleicht der letzte Tropfen sein, der den Krug zum Überlaufen
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bringt, und in Deutschland wird die Revolution ausbrechen. Wir sind bereit,
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alle Friedensbedingungen zu prüfen. Das heißt nicht, daß
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wir sie unbedingt annehmen werden. Für einige unserer Bedingungen werden
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wir bis zum Ende kämpfen; aber für andere wird es vielleicht
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unmöglich sein, den Krieg fortzusetzen. Vor allem aber: Wir wünschen,
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den Krieg zu beenden..." Um zehn Uhr fünfunddreißig Minuten forderte
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Kamenew alle, die mit der Proklamation einverstanden waren, auf, ihre Karten
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in die Höhe zu heben. Ein Delegierter wagte es, dagegen zu stimmen;
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aber der plötzliche Ausbruch des Zornes um ihn herum ließ ihn
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die Hand schnell wieder herunternehmen. Und plötzlich, einem gemeinsamen
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Impuls folgend, hatten wir uns erhoben und sangen die Internationale. Ein
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alter graubärtiger Soldat schluchzte wie ein Kind. Alexandra Kollontai
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unterdrückte rasch die Tränen. Mächtig brauste der Gesang
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durch den Saal, durch Fenster und Türen zum stillen Nachthimmel empor.
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ÆDer Krieg ist zu Ende, der Krieg ist zu Ende", jubelte leuchtenden
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Antlitzes ein junger Arbeiter neben mir. Der Gesang war vorüber, und
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wir standen da in einer Art linkischen Schweigens. Plötzlich ertönte
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im Hintergrund des Saales der Ruf: ÆGenossen! Gedenken wir derer, die
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für die Freiheit gestorben sind!" Und so sangen wir den Trauermarsch,
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jene echt russische, schwermütige und doch so siegesgewisse Weise. Die
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Internationale ist schließlich trotz allem eine ausländische Melodie.
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Der Trauermarsch aber kam offenbar aus der Seele jener dunklen Massen, deren
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Vertreter hier im Saale saßen, in deren Vision ein neues Rußland,
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ja vielleicht mehr als das entstand.
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<P>
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ÆUnsterbliche Opfer, ihr sanket dahin;
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<P>
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Wir stehen und weinen, voll Schmerz Herz und Sinn.
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<P>
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Ihr kämpftet und starbet für kommendes Recht;
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Wir aber, wir trauern, der Zukunft Geschlecht.
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<P>
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<P>
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Einst aber, wenn Freiheit den Menschen erstand,
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<P>
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Und all euer Sehnen Erfüllung fand:
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<P>
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Dann werden wir künden, wie ihr einst gelebt,
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Zum Höchsten der Menschheit empor nur gestrebt!"
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<P>
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<P>
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Das war es, wofür sie dort lagen, in ihrem kalten Massengrab auf dem
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Marsfeld, die Märtyrer der Märzrevolution. Das war es, wofür
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Tausende und Zehntausende in finstern Kerkern, in der Verbannung, in den
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sibirischen Bergwerken starben. Es ist nicht gekommen, wie sie es sich vielleicht
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gedacht hatten noch wie es sich die Intelligenz gewünscht haben mag.
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Aber es ist gekommen, rauh und mächtig, aller Formeln spottend, jede
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Art Empfindsamkeit mißachtend: wirklich....Lenin verlas das Dekret
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über Grund und Boden:
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Æ1. Das Eigentum der Grundbesitzer an Grund und Boden wird
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unverzüglich ohne jede Entschädigung aufgehoben.
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2. Die Güter der Gutsbesitzer sowie alle Kron-, Kloster- und
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Kirchenländereien mit ihrem gesamten lebenden und toten Inventar, ihren
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Wirtschaftsgebäuden und allem Zubehör gehen bis zur Konstituierenden
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Versammlung in die Verfügungsgewalt der Bezirksbodenkomitees und der
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Kreissowjets der Bauerndeputierten über
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<P>
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3. Jegliche Beschädigung des beschlagnahmten Besitzes, der von nun an
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dem ganzen Volke gehört, wird als schweres Verbrechen erachtet, das
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vom Revolutionsgericht zu ahnden ist. Die Kreissowjets der Bauerndeputierten
|
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ergreifen alle erforderlichen Maßnahmen zur Wahrung der strengsten
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Ordnung bei der Beschlagnahme der Güter der Gutsbesitzer, zur Feststellung,
|
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|
welche Grundstücke und Grundstücke welchen Umfangs der Beschlagnahme
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|
unterliegen, zur Aufstellung eines genauen Verzeichnisses des gesamten der
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Beschlagnahme unterliegenden Besitzes und zur strengsten revolutionären
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Bewachung der ganzen ins Eigentum des Volkes übergehenden Wirtschaft
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mit allen Baulichkeiten, Geräten, Vieh, Lebensmittelvorräten und
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|
so weiter.<I></I>
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<P>
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<I></I>4. Als Richtschnur für die Durchführung der großen
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|
Agrarumgestaltungen muß überall bis zur endgültigen Entscheidung
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dieser Frage durch die Konstituierende Versammlung der bäuerliche
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Wählerauftrag dienen, der unter Zugrundelegung von 242 Aufträgen
|
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|
der örtlichen bäuerlichen Wähler von der Redaktion der ,Iswestija
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Wserossiskowo Sowjeta Krestjanskich Deputatow' zusammengestellt und in der
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|
Nr.88 dieser ,Iswestija' (Petrograd, Nr.88 vom 1.September [19.August]1917)
|
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|
veröffentlicht wurde.<I></I>
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<P>
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<I></I>5. Der Boden der einfachen Bauern und einfachen Kosaken unterliegt
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nicht der Beschlagnahme."<I></I>
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<P>
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<I></I>ÆDas ist nicht", erklärte Lenin, Ædas Projekt des
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|
ehemaligen Ministers Tschernow, der sich auf Reformen von oben beschränkte.
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Die Fragen der Aufteilung des Landes werden vielmehr von unten, an Ort und
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|
Stelle entschieden werden. Die Menge von Land, die jeder Bauer erhält,
|
||
|
wird entsprechend den örtlichen Bedingungen verschieden sein...Unter
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|
der Provisorischen Regierung weigerten sich die Großgrundbesitzer
|
||
|
entschieden, den Anordnungen der Bodenkomitees Folge zu leisten, jener
|
||
|
Bodenkomitees, die Lwow geplant hatte, die unter Schingarjow ins Leben getreten
|
||
|
waren und die von Kerenski dirigiert wurden!" Die Debatten hatten noch nicht
|
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|
begonnen, als sich ein Mann nach vorn drängte und auf die Bühne
|
||
|
kletterte. Es war Pjanych, ein Mitglied des Exekutivkomitees der Bauernsowjets,
|
||
|
und er schäumte vor Wut. ÆDas Exekutivkomitee des Gesamtrussischen
|
||
|
Sowjets der Bauerndeputierten protestiert gegen die Verhaftung unserer Genossen,
|
||
|
der Minister Salaskin und Maslow! Wir verlangen ihre sofortige Freilassung!
|
||
|
Sie sind zur Zeit in der Peter-Pauls-Festung. Wir müssen eine
|
||
|
unverzügliche Aktion unternehmen! Keine Sekunde ist zu verlieren!" Ihm
|
||
|
folgte ein anderer, ein Soldat mit struppigem Bart und flammenden Augen.
|
||
|
ÆIhr sitzt hier und redet von der Übergabe des Landes an die Bauern,
|
||
|
während ihr gleichzeitig einen Akt der Tyrannei und Usurpation gegen
|
||
|
die gewählten Vertreter der Bauern verübt!" Mit erhobener Faust:
|
||
|
ÆIch erkläre euch, wenn ihnen auch nur ein Haar gekrümmt
|
||
|
wird, so werden wir einen Aufstand machen!" Trotzki erhob sich. Ruhig,
|
||
|
sarkastisch, im Bewußtsein seiner Macht, von Beifallssturm
|
||
|
begrüßt. ÆDas Revolutionäre Militärkomitee hat
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||
|
gestern beschlossen, die sozialrevolutionären und menschewistischen
|
||
|
Minister Maslow, Salaskin, Gwosdew und Maljantowitsch freizulassen. Daß
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||
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sie noch immer in der Peter-Pauls-Festung sind, hat seinen Grund darin, daß
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||
|
wir zuviel zu tun haben....Sie werden jedoch in ihren Wohnungen bleiben
|
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|
müssen und überwacht werden, bis die Untersuchung über ihre
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|
Teilnahme an den verräterischen Handlungen Kerenskis während der
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|
Kornilow-Affäre abgeschlossen ist!" ÆNiemals", schrie Pjanych,
|
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|
Æin keiner Revolution hatte man derartiges gesehen!" ÆSie irren",
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|
antwortete Trotzki. ÆWir haben solche Dinge sogar in dieser Revolution
|
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|
gesehen. Hunderte unserer Genossen sind in den Julitagen verhaftet worden...Als
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|
unsere Genossin Kollontai auf Anordnung des Arztes aus dem Gefängnis
|
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|
entlassen wurde, stellte Awxentjew vor ihre Tür zwei ehemalige Agenten
|
||
|
der zaristischen Geheimpolizei!" Die Bauern traten ab, von höhnischen
|
||
|
Zurufen begleitet. Der Vertreter der linken Sozialrevolutionäre sprach
|
||
|
über das Landdekret. Obgleich im Prinzip einverstanden, könne seine
|
||
|
Partei ihre Zustimmung nicht geben, ohne vorher die Frage diskutiert zu haben.
|
||
|
Die Bauernsowjets müßten gehört werden. Auch die
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||
|
Menschewiki-Internationalisten bestanden darauf, erst eine Parteibesprechung
|
||
|
abzuhalten. Dann sprach der Führer der Maximalisten, des anarchistischen
|
||
|
Flügels der Bauern: ÆWir können einer politischen Partei,
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||
|
die ein solches Gesetz, am ersten Tag und ohne langes Schwätzen
|
||
|
durchführt, die Anerkennung nicht versagen!" Ein typisch russischer
|
||
|
Bauer war auf der Tribüne, langhaarig, mit Stiefeln, im Schaffellmantel:
|
||
|
ÆIch habe nichts gegen euch, Genossen und Bürger", sagte er.
|
||
|
ÆÜberall treiben sich Kadetten herum. Ihr habt unsere sozialistischen
|
||
|
Bauern verhaftet. Warum verhaftet man sie nicht auch?" Dies war das Signal
|
||
|
zu einer erhitzten Debatte unter den Bauern. Es war genau wie bei den
|
||
|
Auseinandersetzungen zwischen den Soldaten am Abend vorher. Die wirklichen
|
||
|
Landproletarier gaben hier ihrem Fühlen Ausdruck. ÆDiese Mitglieder
|
||
|
unseres Exekutivkomitees, die Awxentjew und all die anderen, die wir als
|
||
|
Beschützer der Bauern angesehen haben - was sind die anders als Kadetten!
|
||
|
Verhaften! Verhaften!" Ein anderer: ÆWas sind diese Pjanychs, diese
|
||
|
Awxentjews? Das sind gar keine Bauern! Sie wedeln nur mit dem Schwanz!" Die
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||
|
linken Sozialrevolutionäre schlugen vor, die Verhandlungen auf eine
|
||
|
halbe Stunde zu unterbrechen. Als die Delegierten hinausströmten, erhob
|
||
|
sich Lenin: ÆWir dürfen keine Zeit verlieren, Genossen! Nachrichten,
|
||
|
von höchster Wichtigkeit für Rußland, müssen morgen
|
||
|
früh noch in die Presse. Keine Verzögerung!" Und die hitzigen Debatten
|
||
|
übertönend, hörte man die Stimme eines Vertreters des
|
||
|
Revolutionären Militärkomitees: ÆSofort fünfzehn Agitatoren
|
||
|
nach Zimmer 17 für die Front!" Es dauerte fast zweieinhalb Stunden,
|
||
|
bis die Delegierten wieder nach und nach in den Saal zurückkehrten,
|
||
|
das Präsidium seine Plätze einnahm und die Sitzung mit der Verlesung
|
||
|
der Telegramme fortgesetzt wurde, in denen ein Regiment nach dem anderen
|
||
|
erklärte, zum Revolutionären Militärkomitee zu stehen. Ein
|
||
|
Delegierter der russischen Truppen an der mazedonischen Front schilderte
|
||
|
in bitteren Worten die Lage der Soldaten. ÆWir leiden mehr unter der
|
||
|
Freundschaft unserer Verbündeten als durch den Feind." In Hast angekommene
|
||
|
Vertreter der Zehnten und Zwölften Armee berichteten:" Wir stehen zu
|
||
|
euch mit unserer ganzen Kraft." Ein Bauernsoldat protestierte gegen die
|
||
|
Freilassung der Sozialverräter Maslow und Salaskin. Die Verhaftung des
|
||
|
gesamten Exekutivkomitees der Bauernsowjets wurde verlangt. Das war die wirkliche
|
||
|
Sprache der Revolution. Ein delegierter der russischen Armee in Persien
|
||
|
erklärte, daß er beauftragt sei, die Übernahme der ganzen
|
||
|
Macht durch die Sowjets zu verlangen. Ein ukrainischer Offizier sprach in
|
||
|
seiner Muttersprache: ÆIn dieser Krise kann es keinen Nationalismus
|
||
|
geben. Es lebe die Diktatur des Proletariats in allen Ländern." Nie
|
||
|
wieder, davon war ich angesichts dieser machtvollen Flut himmelanstürmender
|
||
|
und glühender Gedanken überzeugt, würde Rußland in seine
|
||
|
alte Stummheit zurücksinken. Kamenew teilte mit, daß die Gegner
|
||
|
der Bolschewiki überall Unruhen zu stiften bemüht seien. ER verlas
|
||
|
einen Appell des Kongresses an alle Sowjets Rußlands: ÆDer
|
||
|
Gesamtrussische Sowjetkongreß der Arbeiter- und Soldatendeputierten
|
||
|
mit Einschluß einiger Bauerndeputierten richtet an alle lokalen Sowjets
|
||
|
die Aufforderung zur sofortigen Durchführung energischer Maßnahmen
|
||
|
im Interesse der Verhinderung aller konterrevolutionären und
|
||
|
antijüdischen Aktionen und aller Arten Pogrome. Die Ehre der Arbeiter-,
|
||
|
Bauern- und Soldatenrevolution erheischt, daß keinerlei Pogrome geduldet
|
||
|
werden. Die Petrograder Rote Garde, die revolutionäre Garnison und die
|
||
|
Matrosen sorgen für absolute Aufrechterhaltung der Ordnung in der
|
||
|
Hauptstadt. Arbeiter, Soldaten und Bauern! Folgt überall dem Beispiel
|
||
|
der Arbeiter und Soldaten Petrograds. Genossen, Soldaten und Kosaken! Auf
|
||
|
uns entfällt die Pflicht der Sicherung einer wirklichen revolutionären
|
||
|
Ordnung. Das revolutionäre Rußland und die ganze Welt blicken
|
||
|
auf uns..." Punkt zwei erfolgte die Abstimmung über das Landdekret.
|
||
|
Nur eine Stimme war dagegen.....Die Bauerndelegierten waren außer sich
|
||
|
vor Freude. So stürmten die Bolschewiki vorwärts, unwiderstehlich,
|
||
|
ohne Zögern, alle Oppositionen niederwerfend; die einzigen in Rußland,
|
||
|
die ein klar umrissenes Aktionsprogramm besaßen, während die anderen
|
||
|
Parteien acht Monate nur geredet hatten. Jetzt erhob sich ein Soldat, mager,
|
||
|
zerlumpt, leidenschaftlich gegen eine Klausel in den Instruktionen protestierend,
|
||
|
die die Deserteure von der Landverteilung in den Dörfern ausschloß.
|
||
|
Anfangs versucht man ihn niederzuschreien, aber seine einfache, zu Herzen
|
||
|
dringende Sprache verschaffte ihm schließlich Gehör. ÆGegen
|
||
|
seinen Willen in die Metzelei der Schützengräben gezwungen", rief
|
||
|
er, Ædie ihr selber in dem Friedensdekret als schrecklich bezeichnet
|
||
|
habt, grüßte er die Revolution mit der Hoffnung auf Friede und
|
||
|
Freiheit. Friede? Die Kerenskiregierung zwang ihn erneut, nach Galizien zu
|
||
|
gehen, um zu morden und gemordet zu werden; auf seine Wünsche nach Frieden
|
||
|
hatte Kerenski nur ein Lachen....Freiheit? Unter Kerenski wurden seine Komitees
|
||
|
unterdrückt, seine Zeitungen verboten, die Redner seiner Partei
|
||
|
eingekerkert...Zu Hause in seinem Dorf führten die Großgrundbesitzer
|
||
|
den Kampf gegen seine Bodenkomitees und warfen seine Genossen ins
|
||
|
Gefängnis. In Petrograd sabotierte die Bourgeoisie, im Bündnis
|
||
|
mit den Deutschen, die Versorgung der Armee mit Lebensmitteln und Munition...Er
|
||
|
hatte keine Kleider, keine Stiefel...Wer zwang ihn zu desertieren? Die
|
||
|
Kerenskiregierung, die ihr gestürzt habt!" Am Ende seiner Rede erntete
|
||
|
er Beifall. Doch ein anderer Soldat erhob sich: ÆDie Kerenskiregierung
|
||
|
ist kein Schirm, hinter dem sich die Deserteure verstecken können! Die
|
||
|
Deserteure sind Schufte, die nach Hause gelaufen sind und ihre Kameraden
|
||
|
in den Schützengräben im Stich gelassen haben! Jeder Deserteur
|
||
|
ist ein Verräter, der Strafe verdient..." Heftige Bewegung. Rufe:
|
||
|
ÆDowolno! Tiesche!" Kamenew schlug vor, die Beschlußfassung
|
||
|
über die Frage der Regierung zu überlassen. Um halb drei Uhr verlas
|
||
|
Kamenew unter gespannter Aufmerksamkeit des ganzen Kongresses das Dekret
|
||
|
über die Konstituierung der Regierung.
|
||
|
<P>
|
||
|
ÆZur Verwaltung des Landes wird bis zur Einberufung der Konstituierenden
|
||
|
Versammlung eine provisorische Arbeiter-und-Bauern-Regierung gebildet, die
|
||
|
den Namen Rat der Volkskommissare führt. Die Leitung der einzelnen Zweige
|
||
|
des staatlichen Lebens wird Kommissionen übertragen, deren Zusammensetzung
|
||
|
die Durchführung des vom Kongreß verkündeten Programms
|
||
|
ermöglichen muß, in engster Zusammenarbeit mit den
|
||
|
Massenorganisationen der Arbeiter, Arbeiterinnen, Matrosen, Soldaten, Bauern
|
||
|
und Angestellten. Die Regierungsgewalt wird von dem Kollegium der Vorsitzenden
|
||
|
dieser Kommissionen ausgeübt, das heißt von dem Rat der
|
||
|
Volkskommissare. Die Kontrolle über die Tätigkeit der Volkskommissare
|
||
|
sowie das Recht der Absetzung der Volkskommissare steht dem Gesamtrussischen
|
||
|
Kongreß der Sowjets der Arbeiter-, Bauern- und Soldatendeputierten
|
||
|
und seinem Zentralexekutivkomitee zu." Noch immer tiefe Stille. Und dann,
|
||
|
als Kamenew die Liste der Kommissare verlas, stürmischer Jubel nach
|
||
|
jedem Namen, vor allem nach Lenins und Trotzkis.
|
||
|
<P>
|
||
|
<P>
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|
Vorsitzender des Rats der Volkskommissare: <I>Wladimir Iljitsch Uljanow
|
||
|
(Lenin)</I>
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||
|
<P>
|
||
|
<I></I>Volkskommissar für Innere Angelegenheiten: <I>Rykow</I>
|
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|
<P>
|
||
|
<I></I>Landwirtschaft:<I> Miljutin</I>
|
||
|
<P>
|
||
|
<I></I>Arbeit: <I>Schljapnikow</I>
|
||
|
<P>
|
||
|
<I></I>Heeres- und Marinewesen: Ein Komitee, zusammengesetzt aus <I>Owsejenko
|
||
|
(Antonow), Krylenko</I> und<I> Dybenko</I>
|
||
|
<P>
|
||
|
Handel und Industrie: <I>Nogin</I>
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|
<P>
|
||
|
<I></I>Bildungswesen: <I>Lunatscharski</I>
|
||
|
<P>
|
||
|
<I></I>Finanzen: <I>Skworzow (Stepanow)</I>
|
||
|
<P>
|
||
|
für Auswärtige Angelegenheiten:)<I> Bronstein (Trotzki)</I>
|
||
|
<P>
|
||
|
<I></I>Justiz: <I>Oppokow (Lomow)</I>
|
||
|
<P>
|
||
|
<I></I>Ernährung: <I>Teodorowitsch</I>
|
||
|
<P>
|
||
|
<I></I>Post und Telegraf: <I>Awilow (Glebow)</I>
|
||
|
<P>
|
||
|
<I></I>für die Angelegenheiten der Nationalitäten: <I>Dshugaschwili
|
||
|
(Stalin)</I>
|
||
|
<P>
|
||
|
<I></I>Eisenbahnen: Besetzung wird auf später verschoben.
|
||
|
<P>
|
||
|
<P>
|
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|
Überall Bajonette, an den Eingängen des Saales und zwischen den
|
||
|
Delegierten. Das Revolutionäre Militärkomitee gab jedem eine Waffe,
|
||
|
der sie zu tragen vermochte. Die Bolschewiki rüsteten zur
|
||
|
Entscheidungsschlacht gegen Kerenski, dessen Trompetensignale der
|
||
|
Südwestwind herübertrug. Niemand dachte daran, nach Hause zu gehen.
|
||
|
Im Gegenteil; Hinderte Neuankommende fluteten herein, den riesigen Saal bis
|
||
|
zum letzten Platz füllend, entschlossen blickende Arbeiter und Soldaten,
|
||
|
die ausharrten, stundenlang, unermüdlich und eifrig. Die Luft war dick
|
||
|
von Zigarettenqualm und menschlichen Ausdünstungen. Awilow, von der
|
||
|
Redaktion der ÆNowaja Shisn", sprach im Namen der
|
||
|
Sozialdemokraten-Internationalisten und der im Kongreß verbliebenen
|
||
|
Menschewiki-Internationalisten. Mit seinem jungen Intellektuellengesicht
|
||
|
und dem eleganten Gehrock paßte er nicht zu seiner Umgebung. ÆWir
|
||
|
müssen uns unbedingt darüber klarwerden, wohin die Reise geht.
|
||
|
Die Leichtigkeit, mit der die Koalitionsregierung gestürzt wurde,
|
||
|
erklärt sich nicht aus der Kraft der linken Demokratie, sondern aus
|
||
|
der bewiesenen Unfähigkeit jener Regierung, dem Volke Brot und Frieden
|
||
|
zu geben. Auch der linke Flügel wird sich nicht an der Macht halten
|
||
|
können, wenn er diese Fragen nicht zu lösen vermag. Werdet ihr
|
||
|
dem Volk Brot geben können? Getreide ist knapp. Die Mehrheit der Bauern
|
||
|
wird nicht mit euch sein; denn ihr könntet ihnen nicht die Maschinen
|
||
|
geben, die sie brauchen. Brennmaterial und sonstige Rohstoffe herbeizuschaffen
|
||
|
ist nahezu unmöglich. Was den Frieden anbetrifft, so ist die Lösung
|
||
|
dieser Frage sogar noch schwieriger als die der anderen. Die Alliierten haben
|
||
|
es abgelehnt, mit Skobelew auch nur ein Wort zu reden. Sie werde niemals
|
||
|
eine von euch vorgeschlagene Friedenskonferenz akzeptieren. Man wird euch
|
||
|
weder in Paris und London noch in Berlin anerkennen. Ihr könnt auch
|
||
|
nicht auf die wirksame Unterstützung des Proletariats der alliierten
|
||
|
Länder rechnen, denn in den meisten dieser Länder sind die Arbeiter
|
||
|
weit entfernt von jeder Art revolutionärem Kampf. Denkt doch nur daran,
|
||
|
daß die Demokratie der alliierten Länder nicht einmal imstande
|
||
|
war, den Zusammentritt der Stockholmer Konferenz zu ermöglichen. Und
|
||
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die Deutschen? Ich habe soeben mit dem Genossen Goldenberg gesprochen, einem
|
||
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unserer Delegierten auf der Stockholmer Konferenz. Dem ist von Vertretern
|
||
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der äußersten Linken der deutschen sozialdemokratischen Bewegung
|
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|
gesagt worden, daß, solange der krieg währe, in Deutschland eine
|
||
|
Revolution unmöglich sei." Ein wahrer Hagel von Zwischenrufen setzte
|
||
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hier ein, aber Awilow redete unbeirrt weiter. ÆDas unabwendbare Resultat
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der Isolierung Rußlands wird sein: entweder der Zusammenbruch der
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russischen Armee unter den Schlägen der Deutschen und das Zustandekommen
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eines Friedens zwischen der österreichisch-deutschen und der
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französisch-britischen Koalition auf Kosten Rußlands oder ein
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Sonderfrieden mit Deutschland. Wie ich eben höre, bereiten die
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diplomatischen Vertreter der Alliierten ihre Abreise vor und in allen
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Städten Rußlands ist die Bildung von Komitees zur Rettung des
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Vaterlandes im Gange. Es gibt keine Partei, die allein dieser enormen
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Schwierigkeiten Herr werden könnte. Die Revolution kann nur von einer
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sozialistischen Koalitionsregierung zu Ende geführt werden." Er verlas
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die Resolution der zwei Parteien: ÆIn der Erwägung, daß
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zur Sicherung der Errungenschaften der Revolution sofort eine Regierung gebildet
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werden muß, die auf der in den Sowjets der Arbeiter-, Soldaten- und
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Bauerndeputierten organisierten revolutionäre Demokratie basiert; in
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der weiteren Erwägung, daß die Aufgabe dieser Regierung die
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schnellstmögliche Verwirklichung des Friedens ist, die Übergabe
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des Landes an die Agrarkomitees, die Organisierung der Kontrolle über
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die industrielle Produktion sowie die Einberufung der Konstituierenden
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Versammlung an dem festgesetzten Datum - ernennt der Kongreß ein
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Exekutivkomitee, dessen Aufgabe es ist, eine solche Regierung nach
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Verständigung mit den Gruppen der Demokratie zu bilden, die an dem
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Kongreß teilnehmen."
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Awilows kühle und konziliante Art zu argumentieren hatte die Versammlung
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trotz des Überschwanges ihrer revolutionären Begeisterung nicht
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unberührt gelassen. Gegen den Schluß seiner Rede waren die
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Zwischenrufe allmählich verstummt, und als er schloß hatte er
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sogar einigen Beifall. Nach ihm sprach Karelin, gleichfalls jung, furchtlos,
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von unzweifelhafter Aufrichtigkeit, im Namen der linken
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Sozialrevolutionäre, der Partei Maria Spiridonowas, die fast als einzige
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Partei den Bolschewiki gefolgt war und die revolutionären Bauern
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repräsentierte. ÆUnsere Partei hat den Eintritt in den Rat der
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Volkskommissare abgelehnt, weil wir nicht wünschen, uns von dem Teil
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der revolutionären Armee zu trennen, der den Kongreß verlassen
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hat. Es wäre uns sonst unmöglich, unsere Vermittlertätigkeit
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zwischen den Bolschewiki und den anderen demokratischen Parteien auszuüben,
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die uns im gegenwärtigen Moment unsere wichtigste Aufgabe zu sein scheint.
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Wir können keine Regierung unterstützen, die nicht eine Regierung
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der sozialistischen Koalition ist. Weiter protestieren wir gegen die von
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den Bolschewiki geübte Despotie. Man hat unsere Kommissare von ihren
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Posten verjagt, und gestern ist unser einziges Organ, ,Snamja Truda' (Das
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Banner der Arbeit), verboten worden. Die Stadtduma ist im begriff, ein
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machtvolles Komitee zur Rettung des Vaterlandes zu bilden, dessen Aufgabe
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der Kampf gegen euch sein wird. Schon jetzt seid ihr isoliert, und nicht
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eine der anderen Parteien wird euch zu Hilfe kommen." Und dann stand Trotzki
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auf der Tribüne, selbstsicher, faszinierend, das ihm eigene sarkastische
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Lächeln um den Mund. Er sprach mit weithin schallender Stimme, die Masse
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zu sich emporreißend: ÆDie Hinweise auf die Gefahren der Isolierung
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unserer Partei sind nicht neu. Schon am Vorabend des Aufstandes hat man die
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unvermeidbare Niederlage unserer Partei vorausgesagt. Alle waren sie gegen
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uns. Im Revolutionären Militärkomitee stand nur ein kleiner Teil
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der linken Sozialrevolutionäre zu uns. Wie konnten wir es da fertigbringen,
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die Regierung fast ohne Blutvergießen zu stürzen? Die Tatsache
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unseres Sieges ist der sicherste Beweis dafür, daß wir nicht isoliert
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waren. Isoliert war vielmehr die Provisorische Regierung, waren die
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demokratischen Parteien, die gegen uns marschierten. Und die sind es noch
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und werden für immer losgelöst sein vom Proletariat! Sie reden
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von der Notwendigkeit einer Koalition. Die einzig mögliche Koalition,
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das ist die Koalition der Arbeiter, Soldaten und armen Bauern. Und die Ehre
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unserer Partei ist, diese Koalition verwirklicht zu haben. Was für eine
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Koalition aber meinte Awilow? Eine Koalition mit jenen, die die Regierung
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des Volksverrates unterstützen? Nicht immer ist die Koalition
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gleichbedeutend mit Kräftesteigerung. Hätten wir vielleicht den
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Aufstand organisieren können mit Dan und Awxentjew in unsern Reihen?
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Lachende Zustimmung. ÆAwxentjew gab euch wenig Brot. Wird eine Koalition
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mit den Sozialpatrioten mehr liefern? Zwischen den Bauern und Awxentjew,
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der die Verhaftung der Bodenkomitees anordnete, haben wir die Bauern
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gewählt! Unsere Revolution wird die klassische Revolution der Geschichte
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bleiben... Sie erheben gegen uns den Vorwurf, die Verständigung mit
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den anderen demokratischen Parteien zurückgewiesen zu haben. Aber liegt
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die Schuld wirklich bei uns oder müssen wir, wie Karelin es tat, alles
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auf ein Mißverständnis zurückführen? Ach nein, Genossen!
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Wenn eine Partei noch im schwersten revolutionären Kampfe, geblendet
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vom Pulverdampf, daherkommt und erklärt: ,Da ist die politische Macht,
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nehmt sie', und die, denen sie angeboten wird, gehen zum Feinde über,
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so ist das kein Mißverständnis mehr, sondern es ist die offene
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brutale Kriegserklärung. Nicht wir waren es, die den Krieg erklärt
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haben. Awilow glaubt uns schrecken zu können, wenn er das Scheitern
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unserer Friedensbemühungen voraussagt für den Fall, daß wir
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weiter isoliert bleiben. Ich muß hier wiederholen, daß ich nicht
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einzusehen vermag, inwieweit eine Koalition mit Skobelew oder selbst mit
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Tereschtschenko uns irgendwie dem Frieden näherbringen könnte.
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Awilow droht uns mit einem Frieden auf Rußlands Kosten. Darauf habe
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ich zu antworten, daß wir wohl wissen, daß , wenn auch weiterhin
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in Europa die imperialistische Bourgeoisie herrschen wird, das
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revolutionäre Rußland sich allein nicht zu halten vermag. Es gibt
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nur die Alternative: Entweder die russische Revolution wird eine
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revolutionäre Bewegung in Europa auslösen, oder die reaktionären
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Mächte Europas werden das revolutionäre Rußland zerstören!"
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Und die Massen jubelten ihm zu, zu kühnem Wagen entflammt bei dem Gedanken,
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daß sie berufen sein sollten, die Vorkämpfer der Menschheit zu
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sein. Und von dem Augenblick an lebte in den aufständischen Massen,
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in all ihren Aktionen, etwas Bewußtes und Entschlossenes, was sie nie
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wieder verließ. Andererseits begann aber auch der Kampf bestimmte Formen
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anzunehmen. Kamenew gab einem Delegierten vom Eisenbahnerverband das Wort,
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einem stämmigen Menschen mit dem Ausdruck unversöhnlicher Feindschaft
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in seinen grobknochigen Zügen. Was er sagte, wirkte wie eine Bombe:
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ÆIch spreche hier im Namen der stärksten Organisation Rußlands
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und habe den Auftrag, euch die Beschlüsse des Wikshel (Gesamtrussisches
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Exekutivkomitee des Eisenbahnerverbandes) zur Frage der Konstituierung der
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Macht bekanntzugeben. Wir lehnen es ab, die Bolschewiki zu unterstützen,
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solange sie fortfahren, sich von der gesamten Demokratie Rußlands zu
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isolieren!" Ungeheurer Tumult im ganzen Saal. Æ1905 und in den
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Kornilowtagen waren die Eisenbahner die energischsten Verteidiger der Revolution.
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Aber ihr habt uns zu eurem Kongreß nicht eingeladen." Zurufe: ÆDas
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alte Zentralexekutivkomitee war es, das euch nicht eingeladen hat." Der Redner
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schenkte den Zurufen keine Beachtung. ÆWir erkennen die
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Rechtmäßigkeit dieses Kongresses nicht an. Seit dem Ausscheiden
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der Menschewiki und der Sozialrevolutionäre bestehen die Voraussetzungen
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für die Legalität der hier gefaßten Beschlüsse nicht
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mehr. Der Verband unterstützt das alte Zentralexekutivkomitee und
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erklärt, daß der Kongreß kein Recht hat, ein neues Komitee
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zu wählen. Die Staatsmacht muß eine sozialistische und
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revolutionäre Macht sein, verantwortlich den autorisierten Organen der
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gesamten revolutionären Demokratie. Bis zur Bildung einer solchen Macht
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verbietet der Verband der Eisenbahner, der den Transport
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konterrevolutionärer Truppen nach Petrograd verweigert, gleichzeitig
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die Ausführung jeglicher Befehle, die, von wem auch immer, ohne Zustimmung
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des Wikshel erlassen werden. Der Wikshel nimmt die Verwaltung der gesamten
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Eisenbahnen Rußlands in eigene Hände." Ein wilder
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Entrüstungssturm setzte ein, in dem die Schlußbemerkungen des
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Redners fast gänzlich untergingen. Aber die Rede war ein schwerer Schlag.
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Das zeigten die besorgten Mienen im Präsidium. Kamenew antwortete kurz,
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daß die Rechtmäßigkeit des Kongresses nicht bezweifelt werden
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könne, da sogar nach Ausscheiden der Menschewiki und
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Sozialrevolutionäre die Zahl der anwesenden Delegierten die vom alten
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Zentralexekutivkomitee vorgesehene Mindestzahl überschreite. Darauf
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erfolgte die Abstimmung über die Konstituierung der Regierung, die mit
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ungeheurer Mehrheit den Rat der Volkskommissare bestätigte. Die Wahl
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des neuen Zentralexekutivkomitees, des neuen russischen Parlaments, nahm
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kaum fünfzehn Minuten in Anspruch. Trotzki teilte seine Zusammensetzung
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mit: Hundert Mitglieder, davon siebzig Bolschewiki. Die Sitze der Bauern
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und der ausgeschiedenen Parteien sollten diesen reserviert bleiben. ÆDer
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Regierung sind alle Parteien und Gruppen angenehm, die bereit sind, unser
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Programm zu akzeptieren." Mit diesen Worten schloß Trotzki. Der Zweite
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Gesamtrussische Sowjetkongreß wurde geschlossen. Die Delegierten eilten
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nach Hause, in alle Windrichtungen Rußlands, um zu berichten, was sich
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Gewaltiges abgespielt hatte.
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Es war fast sieben Uhr, als wir die Schaffner und Wagenführer vom verbande
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der Straßenbahner weckten, von denen während der ganzen Dauer
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des Kongresses immer einige mit ihren Wagen am Smolny warteten, um die
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Delegierten in ihre Wohnungen zu bringen. Die Stimmung in dem
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überfüllten Wagen schien mir etwas weniger sorglos und heiter als
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am Abend vorher. Viele sahen besorgt aus, als sagten sie sich: ÆNun
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sind wir die Herren. Wie können wir durchführen, was wir uns
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vorgenommen haben?"
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Vor unserem Hause wurden wir in der Dunkelheit von einer Patrouille bewaffneter
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Bürger angehalten und sorgfältig durchsucht. Es war die Proklamation
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der Duma, die zu wirken begann. Unsere Wirtin hörte uns kommen und stolperte
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heraus, in einen rosaseidenen Schal gehüllt. ÆDas Hauskomitee
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ist noch einmal hier gewesen und läßt Ihnen sagen, daß auch
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Sie ihrer Wachpflicht nachkommen müssen, wie die übrigen Männer
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im Hause." ÆWarum wachen?" ÆUm das Haus und die Frauen und Kinder
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zu schützen." ÆGegen wen?" ÆGegen Räuber und Mörder."
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ÆWenn nun aber ein Kommissar vom Revolutionären Militärkomitee
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kommt, um nach Waffen zu suchen?" ÆOh, alle werden behaupten, daß
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sie vom Revolutionären Militärkomitee kommen. Und dann, was ist
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eigentlich der Unterschied?" Ich versicherte feierlich, daß der Konsul
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allen amerikanischen Bürgern das Waffentragen verboten habe, im besonderen
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in der Nachbarschaft der russischen Intelligenz.
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