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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<TITLE>Lenin: Die Aufgaben der revolution&auml;ren Jugend</TITLE>
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<TD ALIGN="center" width="49%" height=20 valign=middle><A HREF="../default.htm"><SMALL>W. I. Lenin</SMALL></A></TD>
</TR>
</TABLE>
</div>
<H4>
<HR>
W. I. Lenin
</H4>
<H4>
Die Aufgaben der revolution&auml;ren Jugend
</H4>
<H6>
Gedruckt kann man den Text lesen in: Lenin Werke, Dietz Verlag Berlin, Band 7, 6. A. 1973, Seite 30 - 44
</H6>
<P>
<HR>
<H2>
Die Aufgaben der revolution&auml;ren Jugend
</H2>
<H3>
Erster Brief<A HREF="le07_030.htm#N_1_"><SUP>(1)</SUP></A>
</H3>
<P>
Die redaktionelle Erkl&auml;rung der Zeitung
"Student"<A HREF="le07_030.htm#N_2_"><SUP>(2)</SUP></A>, die zuerst, wenn wir nicht irren,
in Nr. 4 (28) des "Oswoboshdenije"<A HREF="le07_030.htm#N_3_"><SUP>(3)</SUP></A>
ver&ouml;ffentlicht wurde und die auch der "Iskra" zuging, zeugt unseres
Erachtens von einem beachtlichen Schritt vorw&auml;rts, der in den Anschauungen
der Redaktion seit dem Erscheinen der Nr. 1 des "Student" erfolgt ist. Herr
Struve machte keinen Fehler, als er sich mitzuteilen beeilte, da&szlig; er
mit den in der Erkl&auml;rung dargelegten Ansichten nicht einverstanden sei:
diese Ansichten sind tats&auml;chlich grundverschieden von jener Richtung
des Opportunismus, die das liberal-b&uuml;rgerliche Organ so konsequent und
eifrig vertritt. Die Redaktion des "Student", die anerkennt, da&szlig; "das
revolution&auml;re Gef&uuml;hl <EM>allein</EM> keine ideologische Einigung
der Studentenschaft bewirken kann", da&szlig; "zu diesem Zweck ein
sozialistisches Ideal notwendig ist, das sich auf diese oder jene sozialistische
Weltanschauung st&uuml;tzt", und zwar auf eine "bestimmte, einheitliche"
Weltanschauung, hat mit der ideologischen Indifferenz und dem theoretischen
Opportunismus bereits grunds&auml;tzlich gebrochen und die Frage der Mittel
zur Revolutionierung der Studentenschaft auf eine richtige Basis gestellt.
<P>
Vom landl&auml;ufigen Standpunkt des vulg&auml;ren "Revolutionarismus" aus
gesehen, erfordert die ideologische Einigung der Studentenschaft allerdings
keine einheitliche Weltanschauung, sie schlie&szlig;t diese vielmehr aus;
ideologische Einigung bedeutet "Duldsamkeit" gegen&uuml;ber verschiedenartigen
revolution&auml;ren Ideen, setzt Verzicht auf ein entschiedenes Bekenntnis
zu einem bestimmten Ideenkreis voraus, kurzum, ideologische Einigung setzt,
vom Standpunkt dieser weisen Politikaster, eine gewisse ideologische Indifferenz
voraus (nat&uuml;rlich mehr oder weniger geschickt verh&uuml;llt durch
abgedroschene Formeln &uuml;ber die Gro&szlig;z&uuml;gigkeit der Ansichten,
&uuml;ber die Wichtigkeit der Einheit um jeden Preis und unverz&uuml;glich
usw. usf.). Als ziemlich plausible, ja auf den ersten Blick sehr
&uuml;berzeugende Beweisf&uuml;hrung f&uuml;r eine solche Fragestellung dient
stets der Hinweis auf die allbekannte und unbestrittene Tatsache, da&szlig;
es in der Studentenschaft den politischen und sozialen Ansichten nach recht
unterschiedliche Gruppen gibt und wohl oder &uuml;bel geben mu&szlig; und
da&szlig; deshalb die Forderung nach einer einheitlichen und bestimmten
Weltanschauung unweigerlich einige dieser Gruppen absto&szlig;en - folglich
die Einigung st&ouml;ren, folglich statt eintr&auml;chtiger Arbeit Streitigkeiten
hervorrufen, folglich die Kraft des gemeinsamen politischen Ansturms
schw&auml;chen wird usw. ohne Ende.
<P>
Sehen wir uns diese plausible Beweisf&uuml;hrung n&auml;her an. Nehmen wir
zum Beispiel die Einteilung der Studentenschaft nach Gruppen in Nr. 1 des
"Student" - in dieser ersten Nummer war die Forderung einer bestimmten und
einheitlichen Weltanschauung von der Redaktion noch nicht aufgestellt worden,
die man daher schwerlich der Voreingenommenheit f&uuml;r die sozialdemokratische
"Engstirnigkeit" verd&auml;chtigen konnte. Der redaktionelle Artikel in Nr.
1 des "Student" unterscheidet in der heutigen Studentenschaft vier Hauptgruppen:
1. "die gleichg&uuml;ltige Menge" - "Leute, die der Studentenbewegung
v&ouml;llig indifferent gegen&uuml;berstehen"; 2. "Akademisten" - Anh&auml;nger
der Studentenbewegung auf ausschlie&szlig;lich akademischem Boden; 3. "Gegner
der Studentenbewegung &uuml;berhaupt - Nationalisten, Antisemiten usw.";
4. "Politiker" - Anh&auml;nger des Kampfes f&uuml;r den Sturz des
Zarendespotismus. "Diese Gruppe besteht ihrerseits aus zwei entgegengesetzten
Elementen - aus einer rein b&uuml;rgerlichen politischen Opposition, die
revolution&auml;r gesinnt ist, und - aus einer Sch&ouml;pfung der letzten
Tage (erst der letzten Tage? N. Lenin), n&auml;mlich dem sozialistisch gesinnten,
revolution&auml;ren intellektuellen Proletariat." Zieht man in Betracht,
da&szlig; die zweite Untergruppe wiederum, wie jedermann bekannt, in
sozialrevolution&auml;re und sozialdemokratische Studenten zerf&auml;llt,
so erweist sich, da&szlig; es in der heutigen Studentenschaft <EM>sechs</EM>
politische Gruppen gibt: Reaktion&auml;re, Gleichg&uuml;ltige, Akademisten,
Liberale, Sozialrevolution&auml;re und Sozialdemokraten.
<P>
Es fragt sich: Ist diese Gruppierung vielleicht zuf&auml;llig? Ist sie vielleicht
durch vor&uuml;bergehende Stimmungen hervorgerufen? Es gen&uuml;gt, diese
Frage geradeheraus zu stellen, um von jedem, der mit der Sache einigerma&szlig;en
vertraut ist, sofort eine verneinende Antwort zu erhalten. Eine andere
Gruppierung k&ouml;nnte es ja in unserer Studentenschaft gar nicht geben,
denn sie ist der am feinsten reagierende Teil der Intelligenz, die Intelligenz
aber hei&szlig;t gerade darum Intelligenz, weil sie die Entwicklung der
Klasseninteressen und der politischen Gruppierungen in der ganzen Gesellschaft
am bewu&szlig;testen, am entschiedensten und am genauesten widerspiegelt
und zum Ausdruck bringt.
<P>
Die Studentenschaft w&auml;re nicht, was sie ist, wenn ihre politische
Gruppierung nicht der politischen Gruppierung in der ganzen Gesellschaft
entspr&auml;che - "entspr&auml;che" nicht im Sinne einer vollst&auml;ndigen
Proportionalit&auml;t zwischen den Studentengruppen und den gesellschaftlichen
Gruppen nach St&auml;rke und Zahl, sondern im Sinne des notwendigen und
unvermeidlichen Vorhandenseins eben jener Gruppen, die es in der Gesellschaft
gibt, auch innerhalb der Studentenschaft. F&uuml;r die gesamte russische
Gesellschaft mit ihrer (verh&auml;ltnism&auml;&szlig;ig) schwachen Entwicklung
der Klassenantagonismen, mit ihrer politischen Unber&uuml;hrtheit, mit ihren
durch den Polizeidespotismus eingesch&uuml;chterten und niedergedr&uuml;ckten
gewaltigen Bev&ouml;lkerungsmassen - sind eben diese sechs Gruppen kennzeichnend:
Reaktion&auml;re, Gleichg&uuml;ltige, <EM>Kulturreformer</EM>, Liberale,
Sozialrevolution&auml;re und Sozialdemokraten. Statt "Akademisten" habe ich
hier "Kulturreformer" eingesetzt, d.h. Anh&auml;nger des legalen Fortschritts
ohne politischen Kampf, eines Fortschritts auf dem Boden der Selbstherrschaft.
Solche Kulturreformer gibt es in allen Schichten der russischen Gesellschaft,
und &uuml;berall beschr&auml;nken sie sich, &auml;hnlich den "Akademisten"
unter den Studenten, auf einen kleinen Kreis von Berufsinteressen, auf
Verbesserungen in den einschl&auml;gigen Zweigen der Volkswirtschaft oder
der staatlichen und &ouml;rtlichen Verwaltung, &uuml;berall halten sie sich
&auml;ngstlich fern von der "Politik", ohne die "Politiker" der verschiedenen
Richtungen voneinander zu unterscheiden (ebensowenig, wie das die Akademisten
tun); als Politik aber bezeichnen sie all und jedes, was sich auf ... die
Form der Regierung bezieht. Die Schicht der Kulturreformer war immer und
ist noch heute die breite Grundlage unseres Liberalismus: in "friedlichen"
Zeiten (d.h., ins "Russische" &uuml;bersetzt, in Zeiten politischer Reaktion)
fallen die Begriffe Kulturreformer und Liberaler fast v&ouml;llig zusammen,
ja sogar in Kriegszeiten, in Zeiten des Aufschwungs der gesellschaftlichen
Stimmung, in Zeiten des wachsenden Ansturms gegen die Selbstherrschaft bleibt
der Unterschied zwischen diesen Begriffen h&auml;ufig verschwommen. Der russische
Liberale h&ouml;rt, selbst wenn er in einer Zeitschrift, die ohne Zensur
im Ausland erscheint, mit einem unumwundenen und offenen Protest gegen die
Selbstherrschaft vor die &Ouml;ffentlichkeit tritt, dennoch nicht auf, sich
vor allem als Kulturreformer zu f&uuml;hlen, und so kommt es immer wieder
vor, da&szlig; er unwillk&uuml;rlich in einen knechtseligen oder, wenn man
will, legalen, loyalen, untert&auml;nigen Ton verf&auml;llt: siehe das
"Oswoboshdenije".
<P>
Das Fehlen einer bestimmten und f&uuml;r alle klar sichtbaren Grenze zwischen
Kulturreformern und Liberalen kennzeichnet &uuml;berhaupt die ganze politische
Gruppierung der russischen Gesellschaft. Man k&ouml;nnte uns vielleicht sagen,
da&szlig; die oben angef&uuml;hrte Teilung in sechs Gruppen nicht richtig
sei, weil sie der Klassenteilung der russischen Gesellschaft nicht entspricht.
Aber ein solcher Einwand w&auml;re nicht stichhaltig. Die Klassenteilung
stellt nat&uuml;rlich den tiefsten Untergrund der politischen Gruppierung
dar; sie bestimmt nat&uuml;rlich <EM>letzten Endes</EM> immer diese Gruppierung.
Aber dieser tiefe Untergrund enth&uuml;llt sich erst im Laufe der geschichtlichen
Entwicklung und in dem Ma&szlig;e, wie die Bewu&szlig;theit der Teilnehmer
und Sch&ouml;pfer dieser Entwicklung w&auml;chst. Zu diesem "letzten Ende"
gelangt man erst durch den politischen Kampf - manchmal im Ergebnis eines
langen, hartn&auml;ckigen, Jahre und Jahrzehnte w&auml;hrenden Kampfes, der
sich bald st&uuml;rmisch in verschiedenen politischen Krisen &auml;u&szlig;ert,
bald abebbt und f&uuml;r einige Zeit scheinbar aufh&ouml;rt. Es ist kein
Zufall, da&szlig; es z.B. in Deutschland, wo der politische Kampf besonders
scharfe Formen annimmt und wo die fortgeschrittenste Klasse - das Proletariat
- besonders klassenbewu&szlig;t auftritt, noch solche Parteien (und
m&auml;chtige Parteien) wie das Zentrum gibt, das seinen ungleichartigen
(und im allgemeinen unbedingt antiproletarischen) Klasseninhalt mit
konfessionellen Merkmalen verh&uuml;llt. Um so weniger darf man sich
dar&uuml;ber wundern, da&szlig; der Klassenursprung der heutigen politischen
Gruppen in Ru&szlig;land sehr stark verdunkelt wird durch die politische
Rechtlosigkeit des ganzen Volkes, durch die Herrschaft der ausgezeichnet
organisierten, ideologisch einheitlichen und traditionell in sich abgekapselten
B&uuml;rokratie. Man mu&szlig; sich eher dar&uuml;ber wundern, da&szlig;
die europ&auml;isch-kapitalistische Entwicklung Ru&szlig;lands, trotz dessen
asiatischer Staatsordnung, der politischen Gruppierung der Gesellschaft bereits
einen so starken Stempel aufdr&uuml;cken konnte.
<P>
Die fortgeschrittenste Klasse jedes kapitalistischen Landes, das
Industrieproletariat, hat auch bei uns bereits den Weg der organisierten
Massenbewegung unter der F&uuml;hrung der Sozialdemokratie, unter dem Banner
des Programms beschritten, das seit langem zum Programm des gesamten
internationalen klassenbewu&szlig;ten Proletariats geworden ist. Die Kategorie
der Leute, die der Politik gleichg&uuml;ltig gegen&uuml;berstehen, ist
nat&uuml;rlich in Ru&szlig;land unvergleichlich zahlreicher als in irgendeinem
anderen europ&auml;ischen Land, aber auch bei uns kann von einer primitiven
und urspr&uuml;nglichen Unber&uuml;hrtheit dieser Kategorie keine Rede mehr
sein: die Gleichg&uuml;ltigkeit der nicht klassenbewu&szlig;ten Arbeiter
- zum Teil auch der Bauern - wird immer h&auml;ufiger abgel&ouml;st von
Ausbr&uuml;chen politischer G&auml;rung und aktiven Protestes, was anschaulich
beweist, da&szlig; <EM>diese</EM> Gleichg&uuml;ltigkeit nichts gemein hat
mit der Gleichg&uuml;ltigkeit satter B&uuml;rger und Kleinb&uuml;rger. Die
Klasse der Kleinb&uuml;rger, die in Ru&szlig;land mit seinem
verh&auml;ltnism&auml;&szlig;ig noch schwach entwickelten Kapitalismus besonders
zahlreich ist, beginnt einerseits zweifellos schon bewu&szlig;te und
folgerichtige Reaktion&auml;re hervorzubringen, andererseits, und das ist
viel h&auml;ufiger der Fall, hebt sie sich noch sehr wenig von der Masse
des dumpfen und bedr&uuml;ckten "werkt&auml;tigen Volkes" ab, findet sie
ihre Ideologen in den breiten Schichten der
Rasnotschinzen-Intelligenz<A HREF="le07_030.htm#N_4_"><SUP>(4)</SUP></A>, die eine noch
ganz ungefestigte Weltanschauung hat und unbewu&szlig;t demokratische und
primitiv sozialistische Ideen vermengt. Eben diese Ideologie kennzeichnet
die alte russische Intelligenz, sowohl den rechten Fl&uuml;gel ihres
liberal-volkst&uuml;mlerischen Teils als auch den radikalsten - die
"Sozialrevolution&auml;re".
<P>
Ich habe gesagt: die "alte" russische Intelligenz. Es tritt bei uns bereits
eine <EM>neue</EM> in Erscheinung, deren Liberalismus fast ganz ges&auml;ubert
ist (nat&uuml;rlich nicht ohne Hilfe des russischen Marxismus) von den primitiven
Volkst&uuml;mlerideen und dem verschwommenen Sozialismus. Die Bildung einer
wirklichen b&uuml;rgerlich-liberalen Intelligenz schreitet bei uns mit
Siebenmeilenstiefeln vorw&auml;rts, insbesondere dank dem Umstand, da&szlig;
an diesem Proze&szlig; so wendige und f&uuml;r Modestr&ouml;mungen des
Opportunismus so empf&auml;ngliche Leute wie die Herren Struve, Berdjajew,
Bulgakow und Co. teilnehmen. Was schlie&szlig;lich die nicht zur Intelligenz
geh&ouml;renden liberalen und reaktion&auml;ren Schichten der russischen
Gesellschaft anbelangt, so ist ihre Verbindung mit den Klasseninteressen
dieser oder jener Gruppen unserer Bourgeoisie und unserer Grundeigent&uuml;mer
gen&uuml;gend klar f&uuml;r jeden, der zum Beispiel mit der T&auml;tigkeit
unserer Semstwos, Dumas, B&ouml;rsen- und Messekomitees usw. einigerma&szlig;en
vertraut ist.
<P>
Wir sind also zu dem unanfechtbaren Schlu&szlig; gelangt, da&szlig; die
politische Gruppierung unserer Studentenschaft nicht zuf&auml;llig, sondern
notwendig und unvermeidlich gerade so ist, wie wir sie oben, in
&Uuml;bereinstimmung mit Nr. 1 der Zeitung "Student", geschildert haben.
Nachdem diese Tatsache feststeht, macht es keine M&uuml;he mehr, die strittige
Frage zu kl&auml;ren, was eigentlich unter "ideologischer Einigung der
Studentenschaft", unter ihrer "Revolutionierung" usw. zu verstehen ist. Auf
den ersten Blick erscheint es sogar &auml;u&szlig;erst merkw&uuml;rdig, da&szlig;
eine so einfache Frage zu einer Streitfrage werden konnte. Wenn die politische
Gruppierung der Studentenschaft der politischen Gruppierung der Gesellschaft
entspricht, bedeutet das dann nicht an sich schon, da&szlig; man unter
"ideologischer Einigung" der Studentenschaft nur eins von beiden verstehen
kann: Entweder die Gewinnung einer m&ouml;glichst gro&szlig;en Zahl von Studenten
f&uuml;r einen ganz bestimmten Kreis sozialer und politischer Ideen oder
die m&ouml;glichst enge Ann&auml;herung zwischen den Studenten einer bestimmten
politischen Gruppe und den Vertretern dieser Gruppe au&szlig;erhalb der
Studentenschaft? Ist es nicht an sich schon klar, da&szlig; man von der
Revolutionierung der Studentenschaft nur vom Standpunkt einer ganz bestimmten
Auffassung &uuml;ber Inhalt und Charakter dieser Revolutionierung sprechen
kann? F&uuml;r einen Sozialdemokraten zum Beispiel bedeutet sie erstens die
Verbreitung der sozialdemokratischen Anschauungen in der Studentenschaft
und den Kampf gegen jene Ansichten, die sich zwar "sozialistisch" und
"revolution&auml;r" nennen, aber mit dem revolution&auml;ren Sozialismus
nichts gemein haben, und zweitens das Bestreben, jede demokratische, darunter
auch die akademische Bewegung in der Studentenschaft auszuweiten, sie
bewu&szlig;ter und entschlossener zu machen.
<P>
Wie diese einfache und klare Frage verwirrt wurde und sich als Streitfrage
erwies - das ist eine sehr lehrreiche und sehr bezeichnende Geschichte. Der
Streit wurde ausgetragen zwischen der "Rewoluzionnaja Rossija" (Nr. 13 und
17) und der "Iskra" (Nr. 31 und 35), und zwar anl&auml;&szlig;lich des "offenen
Briefes" des Kiewer Bundesrates der vereinigten Landsmannschaften und
Studentenorganisationen (ver&ouml;ffentlicht in Nr. 13 der "Rewoluzionnaja
Rossija" und in Nr. 1 des "Student"). Der Kiewer Bundesrat fand den
Beschlu&szlig; des II. Allrussischen Studentenkongresses von 1902 "engstirnig",
demgem&auml;&szlig; die Studentenorganisationen mit den Komitees der
Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Ru&szlig;lands in Verbindung stehen sollten,
wobei man die ganz offenkundige Tatsache, da&szlig; ein gewisser Teil der
Studentenschaft aus verschiedenen Gegenden mit der "Partei der
Sozialrevolution&auml;re" sympathisiert, wohlweislich durch ganz
"unvoreingenommene" und ganz unhaltbare Erw&auml;gungen dar&uuml;ber
bem&auml;ntelte, da&szlig; die "Studentenschaft als solche sich weder der
Partei der Sozialrevolution&auml;re noch der Partei der Sozialdemokraten
vollst&auml;ndig anschlie&szlig;en kann". Die "Iskra" wies auf die Unhaltbarkeit
dieser Behauptung hin, w&auml;hrend die "Rewoluzionnaja Rossija" sie
selbstverst&auml;ndlich mit Leib und Seele verteidigte und die "Entzweiungs-
und Spaltungsfanatiker" der "Iskra" der "Taktlosigkeit" und der mangelnden
politischen Reife beschuldigte.
<P>
Nach allem oben Gesagten tritt die Unsinnigkeit dieser Behauptung nur allzu
klar zutage. Es handelt sich darum, welche politische Rolle die Studentenschaft
spielt. Und da soll man nun zuerst die Augen vor der Tatsache verschlie&szlig;en,
da&szlig; die Studentenschaft von der &uuml;brigen Gesellschaft nicht
losgel&ouml;st ist und deshalb stets und unvermeidlich die ganze politische
Gruppierung der Gesellschaft widerspiegelt. Und dann beginnt man mit
geschlossenen Augen gro&szlig;e Reden zu schwingen &uuml;ber die Studentenschaft
als solche oder &uuml;ber die Studentenschaft im allgemeinen. Als
Schlu&szlig;folgerung ergibt sich ... der Schaden von Entzweiungen und
Spaltungen, die mit dem Anschlu&szlig; an diese oder jene politische Partei
verbunden sind. Es liegt auf der Hand, da&szlig; man, um diesen absonderlichen
Gedankengang zu Ende zu f&uuml;hren, vom politischen Boden auf den Boden
des Beruflichen oder des Studiums hin&uuml;berspringen mu&szlig;te. Und die
"Rewoluzionnaja Rossija" macht in dem Artikel "Studentenschaft und Revolution"
(Nr. 17) eben einen solchen Salto mortale, sie beruft sich erstens auf die
gemeinsamen Interessen, den gemeinsamen Kampf der Studenten und zweitens
auf die Studienziele der Studentenschaft, die Aufgaben der Vorbereitung auf
die bevorstehende gesellschaftliche T&auml;tigkeit, die Aufgaben der
Herausbildung bewu&szlig;ter politischer K&auml;mpfer.
<P>
Diese beiden Hinweise sind durchaus gerechtfertigt - nur haben sie mit der
Sache nichts zu tun und verwirren lediglich die Frage. Es geht hier um die
<EM>politische</EM> T&auml;tigkeit, die ihrem ureigenen Wesen nach untrennbar
mit dem Kampf der Parteien verbunden ist und unweigerlich die <EM>Wahl</EM>
einer bestimmten Partei verlangt. Wie kann man sich vor dieser Wahl mit der
Ausrede dr&uuml;cken, da&szlig; f&uuml;r <EM>jede</EM> politische T&auml;tigkeit
eine sehr ernste wissenschaftliche Vorbereitung, die "Herausbildung" fester
Anschauungen notwendig ist, oder da&szlig; sich keine politische Arbeit auf
Zirkel von Politikern einer bestimmten Richtung beschr&auml;nken darf, sondern
<EM>jede</EM> in immer breitere Bev&ouml;lkerungsschichten eindringen mu&szlig;,
da&szlig; sie den Berufsinteressen jeder Schicht entsprechen, die berufsbedingte
Bewegung mit der politischen vereinigen, die erste auf die H&ouml;he der
zweiten heben mu&szlig;?? Zeigt doch allein die Tatsache, da&szlig; die Leute,
um ihre Stellung zu verteidigen, zu solchen Ausreden ihre Zuflucht nehmen
m&uuml;ssen, h&ouml;chst anschaulich, in welchem Ma&szlig;e es ihnen selbst
an klaren wissenschaftlichen &Uuml;berzeugungen und an einer festen politischen
Linie gebricht! Von welcher Seite man an die Sache auch herangeht, man findet
immer wieder aufs neue die alte Wahrheit best&auml;tigt, welche von den
Sozialdemokraten seit langem gepredigt wird, die sowohl in
wissenschaftlich-theoretischer wie auch in praktisch-politischer Beziehung
den Eiertanz der Sozialrevolution&auml;re - zwischen dem Marxismus auf der
einen, dem westeurop&auml;ischen "kritischen" Opportunismus auf der zweiten
und der russischen kleinb&uuml;rgerlichen Volkst&uuml;mlerrichtung auf der
dritten Seite - bek&auml;mpfen<A HREF="le07_030.htm#N_5_"><SUP>(5)</SUP></A>.
<P>
In der Tat, man stelle sich einigerma&szlig;en entwickelte politische
Verh&auml;ltnisse vor und betrachte, wie unsere "Streitfrage" dann praktisch
steht. Nehmen wir an, wir h&auml;tten eine Partei der Klerikalen, eine Partei
der Liberalen und eine Partei der Sozialdemokraten vor uns. Sie wirken, sagen
wir, in bestimmten Gegenden unter gewissen Schichten der Studentenschaft
und meinetwegen auch der Arbeiterklasse. Sie bem&uuml;hen sich, m&ouml;glichst
einflu&szlig;reiche Vertreter der einen wie der anderen Schicht f&uuml;r
sich zu gewinnen. Es fragt sich nun, w&auml;re es denkbar, da&szlig; sie
sich gegen die Wahl irgendeiner bestimmten Partei durch diese Vertreter auflehnen
mit der Begr&uuml;ndung, da&szlig; es gewisse gemeinsame Studien- und
Berufsinteressen der gesamten Studentenschaft und der gesamten Arbeiterklasse
gibt? Das w&auml;re dasselbe, als wollte man die Notwendigkeit des Kampfes
der Parteien mit dem Hinweis auf die Buchdruckerkunst bestreiten, die f&uuml;r
alle Parteien ohne Unterschied von so gro&szlig;em Nutzen ist. Es gibt in
den zivilisierten L&auml;ndern keine einzige Partei, die nicht verst&uuml;nde,
von welch ungeheurem Nutzen m&ouml;glichst umfassende und gut organisierte
Studenten- und Berufsverb&auml;nde sind, aber jede Partei strebt danach,
da&szlig; eben ihr Einflu&szlig; in diesen Verb&auml;nden &uuml;berwiegt.
Wenn von diesen oder jenen Einrichtungen gesagt wird, sie seien an keine
Partei gebunden, wer w&uuml;&szlig;te da nicht, da&szlig; das meist nichts
anderes ist als eine heuchlerische Redensart im Munde der herrschenden Klassen,
die gern die Tatsache vertuschen m&ouml;chten, da&szlig; die bestehenden
Einrichtungen in 99 von 100 F&auml;llen schon von einem ganz bestimmten
politischen Geist durchdrungen sind?
<P>
Unsere Herren Sozialrevolution&auml;re singen aber im Grunde genommen gerade
Loblieder auf die "Unparteilichkeit". Man nehme z.B. folgenden
Gef&uuml;hlsergu&szlig; der "Rewoluzionnaja Rossija" (Nr. 17): "Was ist denn
das f&uuml;r eine kurzsichtige Taktik, wenn eine revolution&auml;re Organisation
in jeder anderen selbst&auml;ndigen, ihr nicht untergeordneten Organisation
unbedingt einen <EM>Konkurrenten</EM> sehen will, der vernichtet werden
mu&szlig;, in dessen Reihen unbedingt Entzweiung, Uneinigkeit, Desorganisation
hineingetragen werden mu&szlig;?" Das bezieht sich auf den Aufruf der Moskauer
sozialdemokratischen Organisation im Jahre 1896, die der Studentenschaft
den Vorwurf macht, sie habe sich in den letzten Jahren in dem engen Kreis
ihrer Universit&auml;tsinteressen abgekapselt, und die von der "Rewoluzionnaja
Rossija" belehrt wird, da&szlig; das Bestehen der Studentenorganisationen
denjenigen, der "sich in revolution&auml;rer Beziehung festgelegt hat", niemals
hindert, seine Kr&auml;fte der Arbeitersache zu widmen.
<P>
Man sehe blo&szlig;, welche Verwirrung hier herrscht. Eine Konkurrenz ist
nur m&ouml;glich (und unvermeidlich) zwischen einer politischen und einer
ebenfalls politischen Organisation, zwischen politischen und ebenfalls
politischen Bestrebungen. Zwischen einem Verein f&uuml;r gegenseitige Hilfe
und einem revolution&auml;ren Zirkel ist eine Konkurrenz unm&ouml;glich,
und wenn die "Rewoluzionnaja Rossija" letzterem den Wunsch zuschreibt, ersteren
unbedingt zu vernichten, so redet sie baren Unsinn. Ist aber in diesem Verein
f&uuml;r gegenseitige Hilfe ein gewisses politisches Streben zutage getreten
- zum Beispiel den Revolution&auml;ren nicht zu helfen oder aus der Bibliothek
illegale B&uuml;cher auszuschlie&szlig;en -, so wird die Konkurrenz und der
direkte Kampf f&uuml;r jeden ehrlichen "Politiker" zur <EM>Pflicht</EM>.
Und wenn es Leute gibt, die die Zirkel auf den engen Rahmen der
Universit&auml;tsinteressen beschr&auml;nken (solche Leute gibt es zweifellos,
und 1896 hat es deren noch weit mehr gegeben!), so ist der <EM>Kampf</EM>
zwischen ihnen und den Leuten, die nicht eine Einengung, sondern eine Ausweitung
der Interessen propagieren, genauso eine Notwendigkeit und eine Pflicht.
In dem offenen Brief des Kiewer Rates aber, der die Polemik der "Rewoluzionnaja
Rossija" gegen die "Iskra" hervorgerufen hat, handelt es sich um die Wahl
nicht zwischen Studentenorganisationen <EM>und</EM> revolution&auml;ren
Organisationen, sondern zwischen revolution&auml;ren Organisationen verschiedener
Richtungen. Folglich haben gerade diejenigen zu <EM>w&auml;hlen</EM> begonnen,
die sich bereits "in revolution&auml;rer Beziehung festgelegt haben", unsere
"Sozialrevolution&auml;re" aber zerren sie <EM>zur&uuml;ck</EM> unter dem
Vorwand, da&szlig; die Konkurrenz zwischen einer revolution&auml;ren Organisation
und einer reinen Studentenorganisation kurzsichtig sei ... Das ist wirklich
gar zu unlogisch, meine Herren!
<P>
Der <EM>revolution&auml;re</EM> Teil der Studentenschaft hat begonnen, seine
Wahl zwischen zwei revolution&auml;ren Parteien zu treffen, und da erteilt
man ihm folgende Belehrung: "Nicht durch Aufzwingung" eines "bestimmten"
(vorzuziehen ist nat&uuml;rlich die Unbestimmtheit ...) "Parteietiketts"
(f&uuml;r den einen ist es ein Etikett, f&uuml;r den anderen ein Banner),
"nicht durch Vergewaltigung des geistigen Gewissens der Kollegen Studenten"
(die gesamte b&uuml;rgerliche Presse aller L&auml;nder erkl&auml;rt das Wachstum
der Sozialdemokratie aus der Vergewaltigung des Gewissens friedlicher Kollegen
durch F&uuml;hrer und Hetzer ...) "ist dieser Einflu&szlig; erreicht worden",
d.h. der Einflu&szlig; des sozialistischen Teils der Studentenschaft auf
die &uuml;brigen Studenten. Ich glaube, jeder anst&auml;ndige Student wird
diese gegen die Sozialisten erhobene Anklage der "Aufzwingung" eines Etiketts
und der "Vergewaltigung des Gewissens" nach Geb&uuml;hr zu werten wissen.
Und diese charakterlosen, lendenlahmen und prinzipienlosen Reden werden in
Ru&szlig;land gehalten, wo die Begriffe von Parteiorganisation, Parteitreue,
Parteiehre und Banner der Partei ohnehin noch unendlich schwach sind!
<P>
Unsere "Sozialrevolution&auml;re" stellen der revolution&auml;ren Studentenschaft
als Vorbild die fr&uuml;heren Studentenkongresse hin, die ihre "Verbundenheit
mit der allgemein-politischen Bewegung" verk&uuml;ndeten und "vom Fraktionszwist
im revolution&auml;ren Lager vollkommen absahen". Was ist die
"allgemein-politische" Bewegung? Die sozialistische plus die liberale Bewegung.
Von diesem Unterschied absehen - das hei&szlig;t sich auf die Seite des
Unmittelbaren und N&auml;chstliegenden, n&auml;mlich der liberalen Bewegung
stellen. Und dazu rufen die "Sozialrevolution&auml;re" auf! Zur Fernhaltung
von Parteikampf fordern Leute auf, die sich als <EM>besondere</EM> Partei
bezeichnen! Zeigt das nicht, da&szlig; eine solche Partei au&szlig;erstande
ist, ihre politische Ware unter eigener Flagge zu bef&ouml;rdern, da&szlig;
sie gezwungen ist, ihr Zuflucht zum Schmuggel zu nehmen? Ergibt sich daraus
nicht, da&szlig; diese Partei einer <EM>eigenen</EM> bestimmten Programmgrundlage
g&auml;nzlich ermangelt? Wir werden das gleich sehen.
<P>
Die Fehler der Sozialrevolution&auml;re in ihren Ausf&uuml;hrungen &uuml;ber
die Studentenschaft und die Revolution k&ouml;nnen nicht allein mit der Unlogik
erkl&auml;rt werden, die wir oben nachzuweisen bem&uuml;ht waren. In einem
gewissen Sinne kann man das Umgekehrte behaupten: Die Unlogik in ihren
Ausf&uuml;hrungen entspringt ihrem Grundfehler. Sie haben als "Partei" von
Anfang an eine innerlich so widerspruchsvolle, eine so unsichere Haltung
eingenommen, da&szlig; durchaus ehrliche und zu politischem Denken durchaus
f&auml;hige Leute sich in ihr nicht behaupten konnten, ohne st&auml;ndig
zu schwanken und zu straucheln. Man darf nie vergessen, da&szlig; die
Sozialdemokraten den Schaden, den die "Sozialrevolution&auml;re" der Sache
des Sozialismus zuf&uuml;gen, nicht aus den verschiedenen Fehlern dieser
oder jener Publizisten, dieser oder jener Politiker erkl&auml;ren, sondern
da&szlig; sie im Gegenteil alle diese Fehler als das zwangsl&auml;ufige Ergebnis
einer verlogenen programmatischen und politischen Stellung betrachten. In
der Studentenfrage tritt diese Verlogenheit besonders anschaulich zutage,
und der Widerspruch zwischen dem <EM>b&uuml;rgerlich-demokratischen</EM>
Kern und der flittergoldenen H&uuml;lle des revolution&auml;ren Sozialismus
wird offensichtlich.
<P>
In der Tat, man verfolge genau den Gedankengang des programmatischen Artikels
der "Rewoluzionnaja Rossija": "Studentenschaft und Revolution". Der Verfasser
betont vor allem die "Uneigenn&uuml;tzigkeit und Reinheit der Bestrebungen",
"die Kraft der idealen Beweggr&uuml;nde" bei der "Jugend". Gerade darin sucht
er die Erkl&auml;rung f&uuml;r ihre politischen "Neuerungs"bestrebungen,
nicht aber in den wirklichen Verh&auml;ltnissen des gesellschaftlichen Lebens
Ru&szlig;lands, die einerseits einen unvers&ouml;hnlichein Gegensatz zwischen
der Selbstherrschaft und sehr breiten und sehr mannigfaltigen Schichten der
Bev&ouml;lkerung hervorrufen und andererseits eine &Auml;u&szlig;erung der
politischen Unzufriedenheit au&szlig;er durch die Universit&auml;ten ungemein
erschweren (bald wird man sagen m&uuml;ssen: erschwerten).
<P>
Der Verfasser f&auml;llt dann &uuml;ber die Versuche der Sozialdemokraten
her, sich zur Unterscheidung der politischen Gruppen innerhalb der
Studentenschaft verantwortungsbewu&szlig;t einzustellen, die gleichartigen
politischen Gruppen enger zusammenzufassen und das voneinander zu trennen,
was politisch verschiedenartig ist. Der Verfasser kritisiert nicht etwa die
Fehlerhaftigkeit des einen oder anderen Versuchs - es w&auml;re l&auml;cherlich
zu behaupten, da&szlig; alle diese Versuche stets und in allem gl&uuml;cklich
gewesen w&auml;ren. Nein, dem Verfasser ist der blo&szlig;e Gedanke vollkommen
fremd, da&szlig; der Unterschied der Klasseninteressen sich unvermeidlich
auch in der politischen Gruppierung widerspiegeln mu&szlig;, da&szlig; die
Studentenschaft keine Ausnahme von der gesamten Gesellschaft sein kann -
trotz all ihrer Uneigenn&uuml;tzigkeit, Reinheit, idealen Gesinnung usw.,
da&szlig; es die Aufgabe der Sozialisten ist, diesen Unterschied nicht zu
vertuschen, sondern ihn im Gegenteil m&ouml;glichst breiten Massen klarzumachen
und in einer politischen Organisation zu verankern. Der Verfasser betrachtet
die Dinge vom idealistischen Standpunkt des b&uuml;rgerlichen Demokraten
und nicht vom materialistischen des Sozialdemokraten.
<P>
Der Verfasser sch&auml;mt sich daher nicht, f&uuml;r die revolution&auml;re
Studentenschaft die Losung der "allgemein-politischen Bewegung" aufzustellen
und st&auml;ndig zu wiederholen. F&uuml;r ihn liegt der Schwerpunkt gerade
in der allgemein-politischen, das hei&szlig;t in der allgemein-demokratischen
Bewegung, die einheitlich sein m&uuml;sse. Diese Einheit d&uuml;rfe durch
"rein revolution&auml;re Zirkel", die sich "parallel zur allgemeinen
Studentenorganisation" gruppieren m&uuml;&szlig;ten, nicht gest&ouml;rt werden.
Vom Standpunkt der Interessen dieser breiten und einheitlichen demokratischen
Bewegung w&auml;re es nat&uuml;rlich verbrecherisch, Parteietikette
"aufzuzwingen" und das geistige Gewissen der Kollegen zu vergewaltigen. Eben
diesen Standpunkt nahm die b&uuml;rgerliche Demokratie auch 1848 ein, als
die Versuche, auf den Gegensatz zwischen den Klasseninteressen der Bourgeoisie
und des Proletariats hinzuweisen, die "allgemeine" Verurteilung der "Entzweiungs-
und Spaltungsfanatiker" hervorriefen. Eben diesen Standpunkt nimmt auch die
neueste Spielart der b&uuml;rgerlichen Demokratie ein - die Opportunisten
und Revisionisten, die sich nach einer einheitlichen gro&szlig;en demokratischen
Partei sehnen, die friedlich den Weg der Reformen, den Weg der
Arbeitsgemeinschaft der Klassen geht. Sie alle waren und sind zwangsl&auml;ufig
stets Feinde des "Fraktions"zwistes und Anh&auml;nger der "allgemein-politischen"
Bewegung.
<P>
Man sieht: Der Gedankengang der Sozialrevolution&auml;re, vom Standpunkt
eines Sozialisten l&auml;cherlich sinnlos und widerspruchsvoll, ist durchaus
verst&auml;ndlich und folgerichtig vom b&uuml;rgerlich-demokratischen Standpunkt.
Und zwar deshalb, weil die Partei der Sozialrevolution&auml;re im Grunde
nichts anderes ist als eine <EM>Fraktion</EM> der b&uuml;rgerlichen Demokratie,
eine Fraktion, die ihrer Zusammensetzung nach vorwiegend intellektuell, ihren
Anschauungen nach vorwiegend kleinb&uuml;rgerlich ist und ihrem theoretischen
Banner nach den neuesten Opportunismus mit der altv&auml;terlichen
Volkst&uuml;mlerrichtung eklektisch verbindet.
<P>
Am besten werden die Einigungsphrasen des b&uuml;rgerlichen Demokraten vom
Gang der politischen Entwicklung und des politischen Kampfes selbst widerlegt.
Auch in Ru&szlig;land hat das Wachstum der wirklichen Bewegung bereits zu
einer <EM>solchen</EM> Widerlegung gef&uuml;hrt. Ich habe die Absonderung
der "Akademisten", als einer besonderen Gruppe der Studentenschaft, im Auge.
Solange es keinen wirklichen Kampf gab, sonderten sich die Akademisten von
der "allgemeinen Studenten"masse nicht ab, und die "Einheit" des gesamten
"denkenden Teils" der Studentenschaft schien unverbr&uuml;chlich. Sobald
es aber zu <EM>Taten</EM> kam, wurde die Scheidung der verschiedenartigen
Elemente unvermeidlich.<A HREF="le07_030.htm#N_6_"><SUP>(6)</SUP></A>
<P>
Der Fortschritt der politischen Bewegung und des direkten Ansturms auf die
Selbstherrschaft ist begleitet von einer fortschreitenden Kl&auml;rung in
der politischen Gruppierung - trotz allem leeren Gerede von der Vereinigung
aller und eines jeden. Da&szlig; die Scheidung der Akademisten und der Politiker
ein gro&szlig;er Schritt vorw&auml;rts ist, wird wohl niemand bezweifeln.
Bedeutet aber diese Scheidung, da&szlig; die sozialdemokratischen Studenten
mit den Akademisten "brechen"? Die "Rewoluzionnaja Rossija" glaubt, das sei
der Fall (siehe Nr. 17, S. 3).
<P>
Sie glaubt es aber nur infolge der Verwirrung, die wir oben aufgedeckt haben.
Die vollst&auml;ndige Abgrenzung der politischen Richtungen bedeutet keineswegs
eine "Sprengung" der Berufs- und Studentenverb&auml;nde. Ein Sozialdemokrat,
der sich die Arbeit in der Studentenschaft zur Aufgabe stellt, wird sich
<EM>unbedingt</EM> bem&uuml;hen, selber oder durch Vermittlung seiner
Vertrauensleute in eine m&ouml;glichst gro&szlig;e Zahl m&ouml;glichst
umfassender "reiner Studenten"- und Selbstbildungszirkel einzudringen, er
wird sich bem&uuml;hen, den Gesichtskreis jener zu erweitern, die nur akademische
Freiheit fordern, er wird sich bem&uuml;hen, unter denjenigen, die noch nach
einem Programm suchen, gerade f&uuml;r das sozialdemokratische Programm
Propaganda zu machen.
<P>
Wir fassen zusammen. Ein gewisser Teil der Studentenschaft will sich eine
klare und einheitliche sozialistische Weltanschauung erarbeiten. Das Endziel
dieser Vorarbeit kann - f&uuml;r Studenten, die an der revolution&auml;ren
Bewegung praktisch teilnehmen wollen - nur die bewu&szlig;te und unwiderrufliche
Wahl einer der beiden Richtungen sein, die sich gegenw&auml;rtig im
revolution&auml;ren Lager herausgebildet haben. Wer im Namen der ideologischen
Einigung der Studentenschaft, im Namen ihrer Revolutionierung im allgemeinen
usw. gegen eine solche Wahl protestiert, der verdunkelt das sozialistische
Bewu&szlig;tsein, der predigt in Wirklichkeit nur Ideenlosigkeit. Die politische
Gruppierung der Studentenschaft widerspiegelt zwangsl&auml;ufig die politische
Gruppierung der ganzen Gesellschaft, und es ist Pflicht jedes Sozialisten,
nach einer m&ouml;glichst bewu&szlig;ten und folgerichtigen Abgrenzung der
politisch verschiedenartigen Gruppen zu streben.
<P>
Die an die Studentenschaft gerichtete Aufforderung der Partei der
Sozialrevolution&auml;re - "ihre Verbundenheit mit der allgemein-politischen
Bewegung zu verk&uuml;nden und vom Fraktionszwist im revolution&auml;ren
Lager vollkommen abzusehen" - ist ihrem Wesen nach nichts anderes als eine
Aufforderung, vom sozialistischen zum b&uuml;rgerlich-demokratischen Standpunkt
<EM>zur&uuml;ckzugehen</EM>. Das ist weiter nicht verwunderlich, denn die
"Partei der Sozialrevolution&auml;re" ist nur eine Fraktion der
b&uuml;rgerlichen Demokratie in Ru&szlig;land. Der Bruch der sozialdemokratischen
Studenten mit den Revolution&auml;ren und Politikern aller &uuml;brigen
Richtungen bedeutet keineswegs den Bruch mit den allgemein-studentischen
und Bildungsorganisationen; im Gegenteil, nur wenn man auf dem Standpunkt
eines ganz bestimmten Programms steht, kann und soll man un den breitesten
Kreisen der Studentenschaft an der Erweiterung des akademischen Gesichtskreises
arbeiten und den wissenschaftlichen Sozialismus, d.h. den Marxismus, propagieren.
<P>
P.S.: In den n&auml;chsten Briefen m&ouml;chte ich mich mit den Lesern des
"Student" &uuml;ber die Bedeutung des Marxismus f&uuml;r die Herausarbeitung
einer einheitlichen Weltanschauung, &uuml;ber die prinzipiellen und taktischen
Unterschiede zwischen der sozialdemokratischen Partei und der Partei der
Sozialrevolution&auml;re, &uuml;ber Fragen der Studentenorganisation und
&uuml;ber das Verh&auml;ltnis der Studentenschaft zur Arbeiterklasse
&uuml;berhaupt unterhalten.
<P>
<I>Ver&ouml;ffentlicht im September 1903<BR>
in der Zeitschrift "Student" Nr. 2/3.<BR>
Unterschrift: N. Lenin</I>
<P>
<HR>
<P>
<A NAME="N_1_">1. </A> Trotz des Untertitels "Erster Brief" sind weitere
Briefe nicht erschienen. Der Artikel wurde auch als Brosch&uuml;re
vervielf&auml;ltigt und unter dem Titel "An die Studentenschaft. Die Aufgaben
der revolution&auml;ren Jugend (Die Sozialdemokratie und die Intelligenz)"
vertrieben.
<P>
<A NAME="N_2_">2. </A>Student - Zeitung der revolution&auml;ren Studentenschaft.
Es erschienen zwei Nummern: Nr. 1 im April, Nr. 2/3 im September 1903.
<P>
<A NAME="N_3_">3. </A>Oswoboshdenije (Die Befreiung) - Halbmonatsschrift
der liberal-monarchistischen Bourgeoisie, die von 1902 bis 1905 unter der
Redaktion von P.B. Struve in Stuttgart und Paris erschien.
<P>
<A NAME="N_4_">4. </A> Rasnotschinzen - Angeh&ouml;rige der Intelligenz,
hervorgegangen aus der Geistlichkeit, der Beamtenschaft, dem Kleinb&uuml;rgertum
und der Bauernschaft (<EM>Der &Uuml;bersetzer</EM>).
<P>
<A NAME="N_5_">5. </A> Selbstverst&auml;ndlich erfordert der Satz von der
Inkonsequenz und den inneren Widerspr&uuml;chen im Programm und in der Taktik
der Sozialrevolution&auml;re eine besondere, ausf&uuml;hrliche Erl&auml;uterung.
Wir hoffen, in einem der n&auml;chsten Briefe auf diese Frage n&auml;her
eingehen zu k&ouml;nnen.
<P>
<A NAME="N_6_">6. </A> Wenn man gewissen Nachrichten glauben kann, so macht
sich in letzter Zeit die fortschreitende Scheidung der verschiedenartigen
Elemente in der Studentenschaft immer st&auml;rker bemerkbar, und zwar die
Absonderung der Sozialisten von den <EM>revolution&auml;ren</EM> Politikern,
die vom Sozialismus nichts h&ouml;ren wollen. Man sagt, unter den nach Sibirien
verbannten Studenten sei diese letzte Richtung sehr klar hervorgetreten.
Wir werden sehen, ob sich diese Nachrichten best&auml;tigen.
</P>
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<TD ALIGN="center" width="49%" height=20 valign=middle><A HREF="../../index.shtml.html"><SMALL>Gesamt&uuml;bersicht "MLWerke"</SMALL></A></TD>
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<TD ALIGN="center" width="49%" height=20 valign=middle> <A HREF="../default.htm"><SMALL>W. I. Lenin</SMALL></A></TD>
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