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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<TITLE>Rosa Luxemburg - Die Akkumulation des Kapitals, 13. Kapitel</TITLE>
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<P ALIGN="CENTER"><A HREF="lu05_166.htm"><FONT SIZE=2>12. Kapitel</FONT></A><FONT SIZE=1> | </FONT><A HREF="lu05_005.htm"><FONT SIZE=2>Inhalt</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="lu05_181.htm"><FONT SIZE=2>14. Kapitel</FONT></A></P>
<FONT SIZE=2><P>Rosa Luxemburg - Gesammelte Werke. Herausgegeben vom Institut f&uuml;r Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Band 5. Berlin/DDR. 1975. "Die Akkumulation des Kapitals", S. 173-180.</P>
<P>1. Korrektur.<BR>
Erstellt am 20.10.1998</P>
<HR>
</FONT><FONT SIZE=5><P ALIGN="CENTER">Dreizehntes Kapitel</P>
<I><P ALIGN="CENTER">Say gegen Sismondi</P>
</I></FONT><B><P><A NAME="S173">&lt;173&gt;</A></B> Der Aufsatz Sismondis im Maiheft 1824 der "Revue encyclop&eacute;dique" gegen Ricardo lockte endlich den damaligen "prince de la science &eacute;conomique", den angeblichen Vertreter, Erben und Popularisator der Smithsehen Schule auf dem Kontinent, J. B. Say, auf den Plan. Im Juli desselben Jahres replizierte Say in der "Revue encyclop&eacute;dique", nachdem er <A NAME="S174"><B>&lt;174&gt;</A></B> bereits in seinen Briefen an Malthus gegen die Sismondische Auffassung polemisiert hatte, in einem Aufsatz unter dein Titel "&Uuml;ber das Gleichgewicht zwischen Konsumtion und Produktion", worauf Sismondi seinerseits eine kurze Duplik ver&ouml;ffentlicht hat. Die Reihenfolge der polemischen Turniere war also eigentlich umgekehrt wie die Reihenfolge der theoretischen Abh&auml;ngigkeiten. Denn es war Say, der zuerst jene Lehre von dem gottgewollten Gleichgewicht zwischen Produktion und Konsumtion Ricardo mitgeteilt und durch diesen auf MacCulloch vererbt hatte. Say stellte in der Tat schon im Jahre 1803 in seinem "Trait&eacute; d'&eacute;conomie politique" im Buch I, Kapitel XXII: "Von den Absatzm&auml;rkten", den folgenden lapidaren Satz auf: "... man zahlt Produkte mit Produkten. Wenn deshalb eine Nation von einer Art Produkte zuviel hat, so besteht das Mittel, um sie abzusetzen, darin, Produkte anderer Art zu schaffen."<A NAME="ZF1"><A HREF="lu05_173.htm#F1">(1)</A></A> Hier haben wir die bekannteste Formulierung der Mystifikation, die von der Ricardoschule wie von der Vulg&auml;r&ouml;konomie als der Eckstein der Harmonielehre akzeptiert wurde.<A NAME="ZF2"><A HREF="lu05_173.htm#F2">(2)</A></A> Das Hauptwerk Sismondis war im Grunde genommen eine fortlaufende Polemik gegen diesen Satz. Nunmehr, in der "Revue encyclop&eacute;dique", dreht Say den Spie&szlig; um und macht die folgende verbl&uuml;ffende Wendung: "Wenn man einwirft, da&szlig; jede menschliche Gesellschaft dank der menschlichen Intelligenz und dem Vorteil, den sie aus den Kr&auml;ften, die ihr die Natur und die K&uuml;nste darbieten, von allen Dingen, die sich zur Befriedigung ihrer Bed&uuml;rfnisse und zur Vermehrung ihrer Gen&uuml;sse eignen, eine Menge produzieren kann, die gr&ouml;&szlig;er ist, als diese Gesellschaft zu verbrauchen imstande ist, so m&ouml;chte ich fragen, wie es kommt, da&szlig; wir keine Nation kennen, die vollst&auml;ndig versorgt ist, da selbst bei denen, die als bl&uuml;hend gelten, sieben Achtel der Bev&ouml;lkerung <A NAME="S175"><B>&lt;175&gt;</A></B> einer Menge Produkte entbehren, die als notwendig betrachtet werden, ich will nicht sagen bei reichen Familien, aber doch in einem bescheidenen Haushalt? Ich bewohne augenblicklich ein Dorf, das in einem der reichsten Kantone Frankreichs liegt. Und doch gibt es dort auf zwanzig H&auml;user neunzehn, wo ich beim Eintreten nur eine grobe Nahrung bemerke und nichts, was zum Wohlbefinden der Familie geh&ouml;rt, nichts von den Dingen, die der Engl&auml;nder 'komfortabel' nennt" usw.<A NAME="ZF3"><A HREF="lu05_173.htm#F3">(3)</A></A></P>
<P>Man bewundere die Stirn des ausgezeichneten Say. Er war es, der behauptete, in der kapitalistischen Wirtschaft k&ouml;nne es keine Schwierigkeiten, keinen &Uuml;berschu&szlig;, keine Krisen, keine Not geben, denn die Waren kaufen einander, und man brauche nur immer mehr zu produzieren, um alles in Wohlgefallen aufzul&ouml;sen. In seiner Hand ist dieser Satz zum Dogma der vulg&auml;r&ouml;konomischen Harmonielehre geworden. Sismondi hatte dagegen scharfen Protest erhoben und die Haltlosigkeit dieser Ansicht dargetan; er hatte darauf hingewiesen, da&szlig; nicht jede beliebige Warenmenge absetzbar sei, sondern da&szlig; das jeweilige Einkommen der Gesellschaft (v + m) die &auml;u&szlig;erste Grenze darstelle, bis zu der die Warenmenge realisiert werden k&ouml;nne. Da aber die L&ouml;hne der Arbeiter auf das nackte Existenzminimum herabgedr&uuml;ckt werden, die Verbrauchsf&auml;higkeit der Kapitalistenklasse auch ihre nat&uuml;rlichen Grenzen habe, so f&uuml;hre die Ausdehnung der Produktion zu Marktstockungen, Krisen und einem noch gr&ouml;&szlig;eren Elend f&uuml;r die Volksmassen. Nun kommt Say und repliziert mit virtuos gespielter Naivit&auml;t: Ja, wenn Sie behaupten, da&szlig; von den Produkten &uuml;berhaupt zuviel produziert werden k&ouml;nne, wie kommt es, da&szlig; es so viele Darbende, so viele Nackte und Hungrige in unserer Gesellschaft gibt? Erkl&auml;re mir, Graf Oerindur, diesen Zwiespalt der Natur. Say, in dessen eigener Position der Hauptkniff darin besteht, da&szlig; er von der Geldzirkulation absieht und mit einem unmittelbaren Warenaustausch operiert, unterstellt jetzt seinem Opponenten, da&szlig; dieser von einem &Uuml;berflu&szlig; der Produkte nicht im Verh&auml;ltnis zu den Kaufmitteln der Gesellschaft, sondern zu ihren wirklichen Bed&uuml;rfnissen spr&auml;che! Dabei hatte Sismondi gerade &uuml;ber diesen Kardinalpunkt seiner Deduktionen wahrhaft keinen Zweifel &uuml;briggelassen. Sagt er doch ausdr&uuml;cklich im Buch II, Kapitel VI seiner "Nouveaux principes": "Selbst dann, wenn die Gesellschaft eine sehr gro&szlig;e Anzahl schlecht gen&auml;hrter, schlecht gekleideter, schlecht behauster Personen z&auml;hlt, begehrt sie nur das, was sie kaufen kann, aber sie kann nur mit ihrem Einkommen kaufen."</P>
<B><P><A NAME="S176">&lt;176&gt;</A></B> Etwas weiter gibt Say dies selbst zu, macht aber gleichzeitig seinem Widerpart eine neue Unterstellung: "Nicht die Verbraucher sind es, die in einer Nation fehlen", sagt er, "sondern die Mittel, zu kaufen. Sismondi glaubt, da&szlig; diese Mittel erheblicher sein werden, wenn die Produkte seltener und demzufolge teurer sind und ihre Herstellung den Arbeitern einen gr&ouml;&szlig;eren Lohn eintragen wird."<A NAME="ZF4"><A HREF="lu05_173.htm#F4">(4)</A></A> Hier versucht Say, die Theorie Sismondis, der die Grundlagen selbst der kapitalistischen Organisation, ihre Anarchie in der Produktion und ihren ganzen Verteilungsmodus angriff, in die eigene vulg&auml;re Denkmethode oder richtiger Schwatzmethode zu verflachen: Er travestiert seine "Neuen Grunds&auml;tze" in ein Pl&auml;doyer f&uuml;r "Seltenheit" der Waren und teure Preise. Und er singt dem entgegen ein Loblied auf den Hochgang der kapitalistischen Akkumulation, er sagt, da&szlig;, wenn die Produktion lebhafter, die Arbeitskr&auml;fte zahlreicher, der Umfang der Produktion erweitert wird, "die Nationen besser und allgemeiner versorgt werden", wobei er die Zust&auml;nde der industriell entwickeltsten L&auml;nder gegen die mittelalterlichen Miseren preist. Im Gegenteil seien die "Maximen" Sismondis f&uuml;r die b&uuml;rgerliche Gesellschaft h&ouml;chst gef&auml;hrlich: "Weshalb fordert er die Untersuchung von Gesetzen, die den Unternehmer verpflichten w&uuml;rden, dem von ihm besch&auml;ftigten Arbeiter die Existenz zu garantieren? Dergleichen Untersuchung w&uuml;rde den Unternehmungsgeist paralysieren; schon die blo&szlig;e Bef&uuml;rchtung, da&szlig; der Staat in private Vertr&auml;ge sich einmischen k&ouml;nnte, ist eine Gei&szlig;el und gef&auml;hrdet den Wohlstand einer Nation."<A NAME="ZF5"><A HREF="lu05_173.htm#F5">(5)</A></A> Diesem allgemeinen apologetischen Geschw&auml;tz Says gegen&uuml;ber f&uuml;hrt Sismondi noch einmal die Debatte auf ihren Grund zur&uuml;ck: "Sicherlich habe ich niemals geleugnet, da&szlig; Frankreich seit den Tagen Ludwigs XIV. seine Bev&ouml;lkerung verdoppelt und seinen Verbrauch vervielf&auml;ltigt hat, wie er es mir entgegenh&auml;lt; ich habe nur behauptet, da&szlig; die Vervielf&auml;ltigung der Produkte ein Gut ist, wenn sie begehrt, bezahlt, gebraucht werden, da&szlig; sie dagegen ein &Uuml;bel ist, wenn kein Begehren nach ihnen stattfindet und die ganze Hoffnung des Produzenten darauf beruht, den Produkten einer mit der seinigen in Wettbewerb stehenden Industrie die Verbraucher zu entziehen. Ich habe zu zeigen gesucht, da&szlig; der nat&uuml;rliche Lauf der Nationen in der fortschreitenden Ver- <A NAME="S177"><B>&lt;177&gt;</A></B> mehrung ihrer Gl&uuml;ckseligkeit und infolgedessen der Vermehrung ihrer Nachfrage nach neuen Produkten und der Mittel, sie zu bezahlen, besteht. Aber die Folgen unserer Einrichtungen, unserer Gesetzgebung, die die arbeitende Klasse jedes Eigentums und jeder Garantie beraubt haben, haben zu gleicher Zeit zu einer ungeordneten Arbeit angespornt, die weder zu der Nachfrage noch zu der Kaufkraft im Verh&auml;ltnis steht, die infolgedessen das Elend noch versch&auml;rft." Und er schlie&szlig;t die Debatte, indem er den satten Harmoniker einl&auml;dt, &uuml;ber die Zust&auml;nde nachzudenken, "die die reichen V&ouml;lker darbieten, bei denen das &ouml;ffentliche Elend zugleich mit dem materiellen Reichtum unaufh&ouml;rlich zunimmt und bei denen die Klasse, die alles produziert, t&auml;glich mehr in den Zustand versetzt wird, nichts genie&szlig;en zu d&uuml;rfen". In diese schrille Dissonanz der kapitalistischen Widerspr&uuml;che klingt der erste Waffengang um das Problem der Kapitalakkumulation aus.</P>
<P>&Uuml;berblickt man den Verlauf und die Ergebnisse dieser ersten Kontroverse, so sind zwei Punkte festzustellen:</P>
<P>1. Trotz aller Konfusion in der Analyse Sismondis kommt seine &Uuml;berlegenheit gegen&uuml;ber der Ricardoschule wie gegen&uuml;ber dem angeblichen Chef der Smithschen Schule zum Ausdruck: Sismondi betrachtet die Dinge vom Standpunkte der Reproduktion, er sucht Wertbegriffe - Kapital und Einkommen - und sachliche Momente - Produktionsmittel und Konsummittel - so gut es geht in ihren Wechselbeziehungen im gesellschaftlichen Gesamtproze&szlig; zu erfassen. Darin steht er Ad. Smith am n&auml;chsten. Nur da&szlig; er die Widerspr&uuml;che des Gesamtprozesses, die bei Smith als dessen subjektive theoretische Widerspr&uuml;che erscheinen, bewu&szlig;t als den Grundton seiner Analyse hervorhebt und das Problem der Akkumulation des Kapitals als den Knotenpunkt und die Hauptschwierigkeit formuliert. Darin bedeutet Sismondi einen unzweifelhaften Fortschritt &uuml;ber Smith hinaus. Ricardo hingegen mit seinen Epigonen sowie Say stecken in der ganzen Debatte lediglich in den Begriffen der einfachen Warenzirkulation, f&uuml;r sie existiert nur die Formel W - G - W (Ware - Geld - Ware), wobei sie sie noch in einen direkten Warenaustausch verf&auml;lschen und mit dieser d&uuml;rren Weisheit s&auml;mtliche Probleme des Reproduktions- und Akkumulationsprozesses ersch&ouml;pft haben wollen. Das ist ein R&uuml;ckschritt hinter Smith, und gegen diese Borniertheit ist Sismondi entschieden im Vorteil. Gerade als sozialer Kritiker zeigt er hier viel mehr Sinn f&uuml;r die Kategorien der b&uuml;rgerlichen &Ouml;konomie als ihre eingeschworenen Apologeten, genauso wie sp&auml;ter Marx als Sozialist unendlich sch&auml;rferes Verst&auml;ndnis f&uuml;r die Differentia specifica des kapitalistischen Wirtschafts- <A NAME="S178"><B>&lt;178&gt;</A></B> mechanismus bis ins einzelne erwiesen hat als die gesamte b&uuml;rgerliche National&ouml;konomie. Wenn Sismondi (im Buch VII, Kapitel VII) gegen Ricardo ruft: "Was, der Reichtum ist alles, die Menschen nichts?", so kommt darin nicht blo&szlig; die "ethische" Schw&auml;che seiner kleinb&uuml;rgerlichen Auffassung im Vergleich mit der streng klassischen Objektivit&auml;t Ricardos zum Ausdruck, sondern auch der durch soziales Empfinden gesch&auml;rfte Blick des Kritikers f&uuml;r lebendige gesellschaftliche Zusammenh&auml;nge der &Ouml;konomie, also auch f&uuml;r deren Widerspr&uuml;che und Schwierigkeiten, dem die steife Borniertheit der abstrakten Auffassung Rirardos und seiner Schule entgegensteht. Die Kontroverse hat nur unterstrichen, da&szlig; Ricardo wie die Epigonen Smith' gleicherma&szlig;en nicht imstande waren, das ihnen von Sismondi aufgegebene R&auml;tsel der Akkumulation auch nur zu erfassen, geschweige zu l&ouml;sen.</P>
<P>2. Die Aufl&ouml;sung des R&auml;tsels wurde aber auch schon dadurch unm&ouml;glich gemacht, weil die ganze Diskussion auf ein Nebengeleise geschoben und um das Problem der Krisen konzentriert wurde. Der Ausbruch der ersten Krise beherrschte naturgem&auml;&szlig; die Diskussion, verhinderte aber ebenso naturgem&auml;&szlig; auf beiden Seiten die Einsicht in die Tatsache, da&szlig; Krisen &uuml;berhaupt nicht das Problem der Akkumulation, sondern blo&szlig; deren spezifische &auml;u&szlig;ere Form, blo&szlig; ein Moment in der zyklischen Figur der kapitalistischen Reproduktion darstellen. Daraus ergab sich, da&szlig; die Debatte schlie&szlig;lich in ein doppeltes Quiproquo auslaufen mu&szlig;te: Die eine Seite deduzierte dabei direkt aus den Krisen die Unm&ouml;glichkeit der Akkumulation, die andere direkt aus dem Warenaustausch die Unm&ouml;glichkeit der Krisen. Der weitere Verlauf der kapitalistischen Entwicklung sollte beide Deduktionen gleicherma&szlig;en ad absurdum f&uuml;hren.</P>
<P>Bei alledem bleibt Sismondis Kritik als erster theoretischer Alarmruf gegen die Kapitalsherrschaft von hoher historischer Bedeutung: Er zeigt die Aufl&ouml;sung der klassischen &Ouml;konomie an, die mit den von ihr selbst wachgerufenen Problemen nicht fertig werden konnte. Wenn Sismondi gegen die Konsequenzen der kapitalistischen Herrschaft einen Angstschrei ausst&ouml;&szlig;t, so war er sicher nicht ein Reaktion&auml;r in dem Sinne, da&szlig; er etwa f&uuml;r vorkapitalistische Verh&auml;ltnisse schw&auml;rmte, wenn er auch gelegentlich die patriarchalischen Produktionsformen in Landwirtschaft und Gewerbe mit Wohlgefallen gegen die Kapitalsherrschaft in Vorteil setzt. Er verwahrt sich dagegen wiederholt und sehr energisch, so z.B. in seinem Aufsatz in der "Revue encyclop&eacute;dique" gegen Ricardo: "Ich h&ouml;re schon den Einwand erheben, da&szlig; ich mich der Vervollkommnung des Landbaues, der K&uuml;nste und aller Fortschritte des Menschen entgegenstelle, da&szlig; ich <A NAME="S179"><B>&lt;179&gt;</A></B> ohne Zweifel die Barbarei der Gesittung vorziehe, da der Pflug eine Maschine ist und das Grabscheit eine noch &auml;ltere, und da&szlig; nach meinem System der Mensch die Erde lediglich mit seinen H&auml;nden h&auml;tte bearbeiten sollen. Ich habe nichts &Auml;hnliches gesagt, und ich mu&szlig; mich ein f&uuml;r allemal gegen jede Folgerung verwahren, die man meinem System unterlegt und die ich nicht selbst gezogen habe. Ich bin weder von denen, die mich angreifen, noch von denen, die mich verteidigen, verstanden worden, und mir ist ebensooft &uuml;ber meine Verb&uuml;ndeten wie &uuml;ber meine Gegner die Schamr&ouml;te ins Gesicht gestiegen ... Man beachte wohl, nicht gegen die Maschinen, nicht gegen die fortschreitende Gesittung oder gegen die Erfindungen richten sich meine Einwendungen, sondern gegen die heutige Organisation der Gesellschaft, eine Organisation, die, w&auml;hrend sie den Arbeitenden jedes anderen Eigentums beraubt als seiner Arme, ihm nicht die geringste Gew&auml;hr gibt gegen einen Wettbewerb, gegen den tollen Handel, der stets zu seinem Nachteil ausschl&auml;gt und dessen Opfer er naturgem&auml;&szlig; werden mu&szlig;." Der Ausgangspunkt in der Kritik Sismondis sind zweifellos die Interessen des Proletariats, und er ist vollkommen im Recht, wenn er seine Grundtendenz so formuliert: "Ich w&uuml;nsche nur nach Mitteln zu suchen, die Fr&uuml;chte der Arbeit denen zu sichern, die die Arbeit leisten, den Nutzen der Maschine dem zuzuwenden, der die Maschine in T&auml;tigkeit setzt." Freilich, wenn er die soziale Organisation n&auml;her angeben soll, die er anstrebt, kneift er aus und bekennt seine Unf&auml;higkeit: "Was wir tun sollen, ist eine Frage von unbegrenzter Schwierigkeit, die wir keineswegs die Absicht haben, heute zu behandeln. Wir w&uuml;nschen die National&ouml;konomen zu &uuml;berzeugen, so vollst&auml;ndig, wie wir selbst davon &uuml;berzeugt sind, da&szlig; ihre Wissenschaft bis jetzt eine falsche Bahn verfolgt hat. Wir haben aber nicht das n&ouml;tige Zutrauen zu uns, um ihnen den wahren Weg zu zeigen; es hie&szlig;e unserem Geiste eine zu gro&szlig;e Anstrengung zumuten, die Gestaltung der Gesellschaft, wie sie sein soll, darzulegen. Wo w&auml;re indessen ein Mensch stark genug, um sich eine Organisation zu denken, die noch nicht vorhanden ist, um in die Zukunft zu sehen, da es doch schon M&uuml;he genug kostet, nur das Vorhandene zu sehen?" Dieses offene Bekenntnis der Unf&auml;higkeit, &uuml;ber den Kapitalismus hinaus in die Zukunft zu blicken, gereichte Sismondi um das Jahr 1820 sicher nicht zur Schande - zu einer Zeit, wo die Herrschaft des gro&szlig;industriellen Kapitals erst die geschichtliche Schwelle &uuml;berschritten hatte und wo die Idee des Sozialismus nur erst in utopischer Gestalt m&ouml;glich war. Da indes Sismondi auf diese Weise weder &uuml;ber den Kapitalismus hinaus noch hinter ihn zur&uuml;ckgehen konnte, so blieb f&uuml;r seine Kritik nur der kleinb&uuml;rgerliche Mittelweg <A NAME="S180"><B>&lt;180&gt;</A></B> &uuml;brig. Die Skepsis in bezug auf die
<P><HR></P>
<P>Fu&szlig;noten von Rosa Luxemburg</P>
<P><A NAME="F1">(1)</A> "L'argent ne remplit qu'un office passager dans ce double &eacute;change. Les &eacute;changes termin&eacute;s, il se trouve qu'on a pay&eacute; des produits avec des produits. En cons&eacute;quence quand une nation a trop de produits dans un genre, le moyen de les &eacute;couler est d'en cr&eacute;er d'un autre genre." (J. B. Say: Trait&eacute; d'&eacute;conomie politique, Bd. I, Paris 1803, S. 154.) <A HREF="lu05_173.htm#ZF1">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F2">(2)</A> In Wirklichkeit geh&ouml;rte Say auch hier nur die pretenti&ouml;se und dogmatische Fixierung des von anderen ausgesprochenen Gedankens. Wie Bergmann in seiner "Geschichte der Krisentheorien" (Stuttgart 1895) darauf aufmerksam macht, finden sich bereits ganz &auml;hnliche &Auml;u&szlig;erungen &uuml;ber die Identit&auml;t zwischen Angebot und Nachfrage sowie &uuml;ber das nat&uuml;rliche Gleichgewicht beider bereits bei Josiah Tucker (1752), bei Turgot in dessen Anmerkungen zur franz&ouml;sischen Ausgabe des Tuckerschen Pamphlets, bei Quesnay, Du Pont de Nemours und anderen. Trotzdem nimmt der "Jammermensch" Say, wie ihn Marx einmal nennt, die Ehre der gro&szlig;en Entdeckung der "th&eacute;orie des d&eacute;bouches" als Oberharmoniker f&uuml;r sich in Anspruch und vergleicht sein Werk bescheiden mit der Entdeckung der Theorie der W&auml;rme, des Hebels und der schiefen Ebene (Siehe seine Einleitung und sein Sachregister zur 6. Auflage seines "Trait&eacute;", 1841: "C'est la th&eacute;orie des &eacute;changes et des d&eacute;bouches - telle qu'elle est d&eacute;velopp&eacute;e dans cet ouvrage - qui changera la politique du monde.'' S. 51 u. 616.) James Mill entwickelt dieselben Standpunkt in seinem 1808 erschienenen "Commerce defended". Marx nennt ihn den eigentlichen Vater der Theorie von dem nat&uuml;rlichen Gleichgewicht zwischen Produktion und Absatz. <A HREF="lu05_173.htm#ZF2">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F3">(3)</A> Revue encyclop&eacute;dique, Bd. XXIII, Juli 1824, S. 20. <A HREF="lu05_173.htm#ZF3">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F4">(4)</A> l.c., S. 21. <A HREF="lu05_173.htm#ZF4">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F5">(5)</A> l.c., S. 29. Say klagt Sismondi als den Erzfeind der b&uuml;rgerlichen Gesellschaft in folgender pathetischen Deklamation an: "C'est contre l'organisation moderne de la soci&eacute;t&eacute;; organisation qui, en d&eacute;pouillant l'homme qui travaille de toute autre propri&eacute;t&eacute; que celle de ses bras, ne lui donne aucune garantie contre une concurrence dirig&eacute;e &agrave; son pr&eacute;judice. Quoi! parce que la soci&eacute;t&eacute; garantit &agrave; toute esp&egrave;ce d'entrepreneur la libre disposition de ses capitaux, c'est &agrave; dire de sa propri&eacute;t&eacute; elle d&eacute;pouille l'homme qui travaille! Je le r&eacute;p&egrave;te: rien de plus dang&eacute;reux que de vues qui conduisent &agrave; r&eacute;gler l'usage des propri&eacute;t&eacute;s." Denn "les bras et les facult&eacute;s" - "sont aussi des propri&eacute;t&eacute;s"! <A HREF="lu05_173.htm#ZF5">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F6">(6)</A> Marx streift in seiner Geschichte der Opposition gegen die Ricardosche Schule und deren Aufl&ouml;sung Sismondi nur ganz kurz. Er sagt an einer Stelle : "Ich schlie&szlig;e Sismondi hier aus meiner historischen &Uuml;bersicht aus, weil die Kritik seiner Ansichten in einen Teil geh&ouml;rt, den ich nur erst nach dieser Schrift behandeln kann, die reale Bewegung des Kapitals (Konkurrenz und Kredit)." (Theorien &uuml;ber den Mehrwert, Bd. III. S. 52.) [Karl Marx: Theorien &uuml;ber den Mehrwert, Dritter Teil. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 26.3, S. 46.] Etwas weiter widmet Marx jedoch, im Zusammenhang mit Malthus, auch Sismondi einen allerdings in seinen gro&szlig;en Z&uuml;gen ersch&ouml;pfenden Passus: "<I>Sismondi</I> hat das tiefe Gef&uuml;hl, da&szlig; die kapitalistische Produktion sich widerspricht; da&szlig; ihre Formen - ihre Produktionsverh&auml;ltnisse - einerseits zur ungez&uuml;gelten Entwicklung der Produktivkraft und des Reichtums spornen; da&szlig; diese Verh&auml;ltnisse andrerseits bedingte sind, deren Widerspr&uuml;che von Gebrauchswert und Tauschwert, Ware und Geld, Kauf und Verkauf, Produktion und Konsumtion, Kapital und Lohnarbeit etc. um so gr&ouml;&szlig;re Dimensionen annehmen, je weiter sich die Produktivkraft entwickelt. Er f&uuml;hlt namentlich den Grundwiderspruch: Ungefesselte Entwicklung der Produktivkraft und Vermehrung des Reichtums, der zugleich aus Waren besteht, versilbert werden mu&szlig;, einerseits; andrerseits als Grundlage Einschr&auml;nkung der Masse der Produzenten auf die necessaries. Hence sind bei ihm die Krisen nicht wie bei Ric(ardo) Zuf&auml;lle, sondern wesentliche Ausbr&uuml;che der immanenten Widerspr&uuml;che auf gro&szlig;er Stufenleiter und zu bestimmten Perioden. Er schwankt nun best&auml;ndig: Sollen die Produktivkr&auml;fte von Staats wegen gefesselt werden, um sie den Produktionsverh&auml;ltnissen ad&auml;quat zu machen, oder die Produktionsverh&auml;ltnisse, um sie den Produktivkr&auml;ften ad&auml;quat tu machen? Er fl&uuml;chtet sich dabei oft in die Vergangenheit; wird laudator temporis acti oder m&ouml;chte auch durch andre Regelung der Revenue im Verh&auml;ltnis zum Kapital oder der Distribution im Verh&auml;ltnis zur Produktion die Widerspr&uuml;che b&auml;ndigen, nicht begreifend, da&szlig; die Distributionsverh&auml;ltnisse nur die Produktionsverh&auml;ltnisse sub alia specie sind. Er <I>beurteilt</I> die Widerspr&uuml;che der b&uuml;rgerlichen Produktion schlagend, aber er <I>begreift</I> sie nicht und begreift daher auch nicht den Proze&szlig; ihrer Aufl&ouml;sung. (Wie sollte er das auch, wo diese Produktion erst in ihrer Bildung begriffen war? - <I>R. L.</I>) Was aber bei ihm zugrunde liegt, ist in der Tat die Ahnung, da&szlig; den im Scho&szlig; der kapitalistischen Gesellschaft entwickelten Produktivkr&auml;ften, materiellen und sozialen Bedingungen der Sch&ouml;pfung des Reichtums, <I>neue</I> Formen der Aneignung dieses Reichtums entsprechen m&uuml;ssen; da&szlig; die b&uuml;rgerlichen Formen nur transitorische und widerspruchsvolle sind, in denen der Reichtum immer nur eine gegens&auml;tzliche Existenz erh&auml;lt und &uuml;berall zugleich als sein Gegenteil auftritt. Es ist Reichtum, der immer die Armut zur Voraussetzung hat und sich nur entwickelt, indem er sie entwickelt." (l.c., S. 55.) [Karl Marx: Theorien &uuml;ber den Mehrwert, Dritter Teil. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 26.3, S. 50/51.]</P>
<P>Im "Elend der Philosophie" f&uuml;hrt Marx Sismondi an einiger Stellen gegen Proudhon an, &auml;u&szlig;ert sich aber &uuml;ber ihn selbst nur im folgenden kurzen Satz: "Diejenigen, welche, wie Sismondi, zur richtigen Proportionalit&auml;t der Produktion zur&uuml;ckkehren und dabei die gegenw&auml;rtigen Grundlagen der Gesellschaft erhalten wollen, sind reaktion&auml;r, da sie, um konsequent zu sein, auch alle anderen Bedingungen der Industrie fr&uuml;herer Zeiten zur&uuml;ckzuf&uuml;hren bestrebt sein m&uuml;ssen." [Karl Marx: Das Elend der Philosophie. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, <A HREF="../../me/me04/me04_065.htm#S97">Bd. 4, S. 97</A>.] In "Zur Kritik der politischen &Ouml;konomie" wird Sismondi zweimal kurz erw&auml;hnt; einmal wird er als der letzte Klassiker der b&uuml;rgerlichen &Ouml;konomie in Frankreich in Parallele mit Ricardo in England gestellt, an einer anderen Stelle wird hervorgehoben, da&szlig; Sismondi gegen Ricardo den spezifisch gesellschaftlichen Charakter der wertschaffenden Arbeit betonte. Im Kommunistischen Manifest endlich wird Sismondi als das Haupt des kleinb&uuml;rgerlichen Sozialismus genannt. <A HREF="lu05_173.htm#ZF6">&lt;=</A></P></BODY>
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