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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<TITLE>"Neue Rheinische Zeitung" - Lassalle</TITLE>
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<BODY BGCOLOR="#fffffc">
<P ALIGN="CENTER"><A HREF="me06_452.htm"><FONT SIZE=2>Die kontrerevolution&auml;ren Pl&auml;ne in Berlin</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="../me_nrz49.htm"><FONT SIZE=2>Inhalt</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="me06_459.htm"><FONT SIZE=2>Der preu&szlig;ische Fu&szlig;tritt f&uuml;r die Frankfurter</FONT></A></P>
<P><SMALL>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 6, S. 454-458<BR>
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1959</SMALL></P>
<FONT SIZE=5><P>Lassalle</P>
</FONT><FONT SIZE=2><P>["Neue Rheinisch Zeitung" Nr. 287 vom 2. Mai 1849]</P>
</FONT><B><P><A NAME="S454">&lt;454&gt;</A></B> <I>K&ouml;ln</I>, 1. Mai. &Uuml;bermorgen wird vor den Assisen zu D&uuml;sseldorf die Anklage gegen <I>Lassalle </I>wegen direkter Aufforderung zur Bewaffnung gegen die k&ouml;nigliche Macht verhandelt.</P>
<P>Man erinnert sich, da&szlig; Lassalle, Cantador (Chef der D&uuml;sseldorfer B&uuml;rgerwehr) und der Kolporteur Weyers im vorigen November bei der Verh&auml;ngung des Belagerungszustandes &uuml;ber D&uuml;sseldorf verhaftet und die Untersuchung wegen des obigen "Verbrechens gegen Art. 87 und 102 des Code p&eacute;nal" gegen sie er&ouml;ffnet wurde. &lt;Siehe <A HREF="me06_320.htm">"N.Rh.Ztg." Nr. 237, "Lassalle"</A>&gt;</P>
<P>Die Untersuchung ging m&ouml;glichst langsam. W&auml;hrend der gleichzeitig anh&auml;ngig gemachte Steuerverweigerungsproze&szlig; gegen den Rheinischen Kreisausschu&szlig; der Demokraten schon am 8. Februar in K&ouml;ln verhandelt wurde, ging Assise auf Assise in D&uuml;sseldorf vor&uuml;ber, ehe auch nur der K&ouml;lner Anklagesenat die Sache vor die Geschwornen verwies. Aber Marx, Schneider und Schapper gingen frei umher, und Lassalle sa&szlig; im D&uuml;sseldorfer Arresthaus, und der Code d'instruction criminelle schreibt ja vor, da&szlig; die Sache eines Verhafteten <I>vorzugsweise </I>ber&uuml;cksichtigt werden soll!</P>
<P>Lassalle wurde im Gef&auml;ngnis mit ganz besonderer Vorliebe behandelt. Die "N[eue] Rh[einische] Z[ei]t[un]g" hat oft genug Gelegenheit gehabt, Proben von der Z&auml;rtlichkeit zu ver&ouml;ffentlichen, mit der die Schergen der k&ouml;nigl[ichen] preu&szlig;[ischen] Justiz sich seiner annahmen. &lt;Siehe <A HREF="me06_267.htm">"N.Rh.Ztg." Nr. 219, Lassalle"</A>&gt; W&auml;hrend man Cantador alle m&ouml;glichen Beg&uuml;nstigungen bewilligte - denn Cantador hatte, trotz seines politischen Auftretens, unter der D&uuml;sseldorfer Bourgeoisie eine gro&szlig;e Menge Freunde -, mu&szlig;te Lassalle abermals erfahren, welcher tyrannischen Willk&uuml;r ein k&ouml;nigl[ich] preu&szlig;[ischer] Untersuchungsgefangener <A NAME="S455"><B>&lt;455&gt;</A></B> ausgesetzt ist. Wir erinnern, von den kleineren Schikanen nicht zu sprechen, nur an die Brutalit&auml;ten, die sich Herr Morret, der Gef&auml;ngnisdirektor, in Gegenwart des Untersuchungsrichters, Herrn Ebermeyer (den wir jetzt hier in K&ouml;ln zu besitzen das Gl&uuml;ck haben), gegen ihn erlaubte. Lassalle reichte eine Klage beim Parquet ein; der Generalprokurator, Herr Nicolovius, entschied: Die fragliche Handlung schlie&szlig;e <I>weder ein Verbrechen noch ein Vergehen </I>ein und k&ouml;nne daher nicht verfolgt werden!</P>
<P>Wir erinnern ferner an die vom Arzt f&uuml;r Lassalles Gesundheit f&uuml;r dringend n&ouml;tig erachteten Ausfahrten, zu denen die Prokuratur ihre Zustimmung gab, <I>w&auml;hrend die Regierung sie verweigerte</I>, obwohl ein Untersuchungsgefangener nach dem Gesetz nicht unter der Regierung, sondern einzig und allein unter dem Prokurator steht.</P>
<P>Die Schwierigkeiten, mit denen es verkn&uuml;pft war, Zutritt zu Lassalle ins Gef&auml;ngnis zu erhalten, die Ausfl&uuml;chte, das Versteckspielen usw. sind jedem bekannt, der es einmal versucht hat, in das Innere der D&uuml;sseldorfer "Anstalt" zu dringen.</P>
<P>Endlich war die Untersuchung geschlossen und die Sache sollte an die Ratskammer gehen. Damals war es noch Zeit, den Proze&szlig; noch vor die letzten Assisen zu bringen, die im Februar und M&auml;rz gehalten wurden. Aber das sollte um jeden Preis verh&uuml;tet werden. Als die Akten dem stellvertretenden Oberprokurator, dem "gn&auml;digen" Herrn von Ammon I., zur Fassung seines Schlu&szlig;antrags vorgelegt wurden, zieht Herr Ammon pl&ouml;tzlich einen Brief Lasalles an einen gewissen Stangier, Landwirt im Kreis Altenkirchen, hervor &lt;Siehe <A HREF="me06_444.htm">"N.Rh.Ztg." Nr. 283, Lassalle"</A>&gt;, um daraufhin eine neue Anklage zu begr&uuml;nden. Dieser Brief hatte aber schon mehrere Wochen ruhig im Pult des Herrn Ammon gelegen, ohne da&szlig; es ihm eingefallen w&auml;re, ihn als neuen Beschwerdepunkt zu den Akten zu gehen. Jetzt, wo alles fertig und die Assisen vor der T&uuml;r waren, jetzt erscheint er mit dem Brief. Nun mu&szlig;ten nat&uuml;rlich neue Zeugenverh&ouml;re abgehalten werden, die Sache war um mehrere Wochen aufgehalten, und diese Zeit reichte gerade hin, die Verhandlung der Lassalleschen Prozedur auf den <I>damals bevorstehenden Assisen unm&ouml;glich zu machen</I>.</P>
<P>Der Brief, den Herr Ammon, <I>wie er selbst gestand</I>, schon l&auml;ngere Zeit im Pult aufbewahrt hatte, war &uuml;brigens so unbedeutend, da&szlig; weder Ratskammer noch Anklagesenat R&uuml;cksicht darauf nahmen oder ihn als Beschwerungsgrund mit auff&uuml;hrten!</P>
<P>Genug, die Assisen waren gl&uuml;cklich umschifft, und die n&auml;chsten begannen erst im Mai. Deputationen &uuml;ber Deputationen gingen zum Generalprokurator <A NAME="S456"><B>&lt;456&gt;</A></B> Herrn Nicolovius und baten um Beschleunigung der Sache oder Ansetzung einer au&szlig;erordentlichen Assise. Herr Nicolovius versprach, alles m&ouml;gliche zu tun, und erkl&auml;rte, sechs Monate solle Lassalle in keinem Falle sitzen. Und nun! Kaum 14 Tage fehlen an den sechs Monaten.</P>
<P>Die Ratskammer entschied endlich.. Alle drei Angeklagten wurden an den Anklagesenat verwiesen. Nun aber war eine Schwierigkeit da: Man h&auml;tte, so war man &uuml;berzeugt, im ganzen Landgerichtsbezirk D&uuml;sseldorf keine Jury gefunden, die Herrn Cantador verurteilt h&auml;tte. Um also Cantador freizubekommen, w&auml;re Lassalle mit freigesprochen worden selbst von Leuten, die ihn sonst verurteilt h&auml;tten. Und gerade an der Verurteilung Lassalles lag der Regierung zu D&uuml;sseldorf, lag dem Ministerium und selbst der h&ouml;chsten und allerh&ouml;chsten Kamarilla. Die Feindschaft gegen Lassalle "steht selbst nicht vor dem Throne still".</P>
<P>Was geschieht: "Der Anklagesenat l&auml;&szlig;t die Prozedur gegen Cantador fallen und setzt ihn in Freiheit, w&auml;hrend Lassalle und Weyers in Haft bleiben und vor die Geschwornen verwiesen werden."</P>
<P>Und doch lag gegen Cantador genau dasselbe vor wie gegen Lassalle, mit Ausnahme einer einzigen Rede, die Lassalle in Neu&szlig; gehalten hatte.</P>
<P>Und gerade diese Rede in Neu&szlig; wird herausgerissen, und auf diese hin wandert Lassalle vor die Assisen.</P>
<P>Erinnern wir uns kurz an den ganzen Hergang.</P>
<P>Als der offne Kampf zwischen der seligen Nationalversammlung und der Krone jeden Tag ausbrechen konnte, war D&uuml;sseldorf bekanntlich eine der agitiertesten St&auml;dte der Rheinprovinz. Hier war die B&uuml;rgerwehr ganz auf Seite der Nationalversammlung und au&szlig;erdem von einem Demokraten angef&uuml;hrt. Sie war bereit, den passiven Widerstand in den aktiven zu verwandeln, sobald von Berlin aus das Signal dazu gegeben war. Waffen und Munition waren vorhanden. Lassalle und Cantador standen an der Spitze der ganzen Bewegung. Sie forderten die B&uuml;rger nicht blo&szlig; auf, sich gegen das Ministerium Manteuffel zu bewaffnen, sie bewaffneten wirklich. <I>Hier in D&uuml;sseldorf </I>war das Zentrum ihrer T&auml;tigkeit. <I>Hier mu&szlig;te</I>, wenn wirklich ein Verbrechen vorlag, <I>dies Verbrechen geschehen sein</I>. Und wo soll es geschehen sein? Nicht in D&uuml;sseldorf, sondern - in Neu&szlig;!!</P>
<P>Lassalle war in Neu&szlig; in einer Versammlung gewesen und hatte zum bewaffneten Zuzug nach D&uuml;sseldorf aufgefordert. Diese Aufforderung hatte nicht einmal ein Resultat, denn es kam gar nicht zum Kampf. Und hierin soll das Verbrechen Lassalles bestehen!</P>
<P>Also nicht wegen seiner Hauptt&auml;tigkeit, nicht wegen des <I>wirklichen </I>Bewaffnens, nicht wegen des <I>wirklichen </I>Aufstands, der in D&uuml;sseldorf auf dem <A NAME="S457"><B>&lt;457&gt;</A></B> Punkte war loszubrechen, verweist man Lassalle an die Geschwornen: Darin liegt kein "Verbrechen". Der Anklagesenat selbst, so altersschwach er ist, mu&szlig; es zugeben. Das angebliche Verbrechen liegt in einer ganz <I>gelegentlichen</I>, <I>beil&auml;ufig </I>geschehenen, von der Hauptaktion in D&uuml;sseldorf <I>total abh&auml;ngigen und </I>ohne sie <I>ganz sinnlosen </I>Handlung, nicht in dem <I>Organisieren </I>einer bewaffneten Macht gegen die Regierung in D&uuml;sseldorf, sondern in der Aufforderung an die Neu&szlig;er, diese Organisation zu unterst&uuml;tzen!</P>
<I><P>Aber freilich</I>, <I>Cantador war nicht in Neu&szlig;</I>, als Lassalle diese schreckliche Rede hielt; Cantador hat die Neu&szlig;er nicht zum bewaffneten Widerstand <I>aufgefordert</I>, Cantador hat blo&szlig; - die D&uuml;sseldorfer zum bewaffneten Widerstand <I>organisiert </I>und die dortige <I>B&uuml;rgerwehr</I>, <I>die selbst ein Teil der bewaffneten Macht der Regierung ist</I>, zum Widerstand gegen die Regierung aufgefordert. Das ist der Unterschied, und daher lie&szlig; man Cantador frei und behielt Lassalle in Haft bis zu den jetzigen Assisen.</P>
<P>Noch besser. Lassalle hat auch den Landwirt Stangier direkt zum bewaffneten Zuzug nach D&uuml;sseldorf aufgefordert. Der Brief liegt bei den Akten und ist im Anklageakt w&ouml;rtlich zitiert. (Siehe Nr. 277, Zweite Ausgabe, der "N[euen] Rh[einischen] Z[eitung]".) Hat der Anklageakt <I>hierin </I>einen Grund gefunden, Lassalle vor die Assisen zu verweisen? Es ist ihm nicht eingefallen. Selbst die Ratskammer, die doch <I>neun </I>Anklagepunkte gegen Lassalle aufstellte, von denen der Anklagesenat acht fallenlie&szlig;, hat nicht daran gedacht, diesen Brief mit unter die Anklagepunkte aufzunehmen. Und doch enth&auml;lt dieser Brief <I>genau dasselbe </I>angebliche "Verbrechen", das Lassalle in Neu&szlig; beging.</P>
<P>Etwas Inkonsequenteres, Widersprechenderes, Unbegreiflicheres als dies Verweisungsurteil des Anklagesenats ist selten fabriziert worden.</P>
<P>Das aber ist allerdings anerkennenswert darin: Nach dem Urteil des K&ouml;lnischen Senats selbst liegt in der ganzen Agitation, wie sie im vorigen November in D&uuml;sseldorf betrieben wurde, in der direkten Aufforderung zum Widerstande gegen das Ministerium, in der Bewaffnung, in dem Beschaffen von Munition, in der direkten und offenen Opposition der B&uuml;rgerwehr gegen die Regierung, in dem Schwur, den die B&uuml;rgerwehr leistete, mit den Waffen in der Hand gegen die Regierung und f&uuml;r die Nationalversammlung zu k&auml;mpfen - <I>in dem allen liegt kein Verbrechen</I>. Der K&ouml;lner Anklagesenat hat es gesagt.</P>
<P>Und zwar stimmt er darin &uuml;berein mit der K&ouml;lner Ratskammer, ja mit dem K&ouml;lner Parquet. In der Untersuchung gegen den Rheinischen Kreisausschu&szlig; gingen beide &uuml;ber die Aufforderung zur Bewaffnung gegen den "Feind" ruhig hinweg, lie&szlig;en den Kriminalfall beiseite liegen und hielten sich blo&szlig; <A NAME="S458"><B>&lt;458&gt;</A></B> an das korrektionelle Faktum der Rebellion, das blo&szlig; deshalb vor Geschwornen verhandelt wurde, weil es durch die Presse gegangen war.</P>
<P>Bei Lassalle ist man aber viel pfiffiger gewesen. Man hat erst die Kriminalprozedur eingeleitet und beh&auml;lt sich die korrektionelle vor. Man hat n&auml;mlich f&uuml;r den Fall, da&szlig; Lassalle wegen der Neu&szlig;er Rede freigesprochen w&uuml;rde, ihn vor das Zuchtpolizeigericht verwiesen wegen Aufforderung zum Widerstand gegen die Beamten (Rebellion), die in zwei D&uuml;sseldorfer Reden enthalten sein soll.</P>
<P>Wir brauchen hier nur an die Verhandlung im Proze&szlig; gegen den Rheinischen Kreisausschu&szlig; zu erinnern. Der Fall ist ganz analog. Dort wurde auseinandergesetzt, wie ein <I>Verbrechen </I>(dasselbe, dessen Lassalle angeklagt) vorliege, oder gar nichts; wie man nicht zum bewaffneten Widerstand gegen die Regierung auffordern k&ouml;nne, ohne zum Widerstand auch gegen alle einzelnen Beamten aufzufordern, welche die Regierung sind. Die Geschwornen sprachen frei.</P>
<P>Lassalle wird, wenn er nach seiner unzweifelhaften Freisprechung durch die Geschwornen vor das Korrektionell kommt, in derselben Lage sein. Aber inzwischen hat man einen Vorwand, auf Verl&auml;ngerung der Haft anzutragen, und dann ist das Korrektionellgericht ja nicht so diffizil wie die Geschwornen!</P>
<P>Wir werden morgen auf den Anklageakt selbst eingehen und die L&auml;cherlichkeit dieser ganzen Prozedur auch daraus nachweisen.</P>
<FONT SIZE=2><P>Geschrieben von Friedrich Engels.</P>
</FONT>
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