emacs.d/clones/www.mlwerke.de/me/me15/me15_381.htm

23 lines
6.5 KiB
HTML
Raw Normal View History

2022-08-25 20:29:11 +02:00
<!DOCTYPE HTML PUBLIC "-//W3C//DTD HTML 3.2//EN">
<HTML>
<HEAD>
<TITLE>Karl Marx - Die Absetzung Fr&eacute;monts</TITLE>
<META HTTP-EQUIV="Content-Type" CONTENT="text/html; charset=ISO-8859-1">
</HEAD>
<BODY LINK="#0000ff" VLINK="#800080" BGCOLOR="#ffffaf">
<P ALIGN="CENTER"><A HREF="../me_ak61.htm"><FONT SIZE=2>Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen 1861</FONT></A></P>
<FONT SIZE=2><P>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 15, 4. Auflage 1972, unver&auml;nderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 381-383.</P>
<P>1. Korrektur.<BR>
Erstellt am 25.10.1998.</P>
</FONT><H2>Karl Marx </H2>
<H1>Die Absetzung Fr&eacute;monts </H1>
<FONT SIZE=2><P>Geschrieben um den 19. November 1861.</P>
</FONT><P><HR></P>
<FONT SIZE=2><P>["Die Presse" Nr. 325 vom 26. November 1861] </P>
</FONT><B><P><A NAME="S381">|381|</A></B> Fr&eacute;monts Absetzung von dem Generalkommando Missouris bildet einen Knotenpunkt in der Entwicklungsgeschichte des Amerikanischen B&uuml;rgerkrieges. Fr&eacute;mont hat zwei gro&szlig;e S&uuml;nden zu b&uuml;&szlig;en. Er war der erste Kandidat der Republikanischen Partei f&uuml;r die Pr&auml;sidentenw&uuml;rde (1856), und er ist der erste General des Nordens, der (30. August 1861) die Sklavenhalter mit Sklavenemanzipation bedrohte. Er bleibt also ein Rival f&uuml;r Pr&auml;sidentschaftskandidaten der Zukunft und ein Hindernis f&uuml;r die Kompromi&szlig;macher der Gegenwart. </P>
<P>W&auml;hrend der letzten zwei Dezennien hatte sich in den Vereinigten Staaten die sonderbare Praxis ausgebildet, keinen Mann, der eine entscheidende Stellung in seiner eigenen Partei einnahm, zum Pr&auml;sidenten zu w&auml;hlen. Die Namen solcher M&auml;nner wurden zwar zu Wahldemonstrationen benutzt, sobald es aber zum eigentlichen Gesch&auml;ft kam, fallengelassen und durch unbekannte Mittelm&auml;&szlig;igkeiten von nur lokalem Einflu&szlig; ersetzt. In dieser Weise wurden Polk, Pierce, Buchanan usw. Pr&auml;sidenten. In dieser Weise A. Lincoln. General Andrew Jackson war in der Tat der letzte Pr&auml;sident der Vereinigten Staaten, der seiner pers&ouml;nlichen Bedeutung sein Amt verdankte, w&auml;hrend alle seine Nachfolger es umgekehrt ihrer pers&ouml;nlichen Unbedeutendheit schuldeten. </P>
<P>Im Wahljahr 1860 waren die hervorragendsten Namen der Republikanischen Partei Fr&eacute;mont und Seward. Bekannt durch seine Abenteuer w&auml;hrend des mexikanischen Krieges, durch seine k&uuml;hne Exploration Kaliforniens und seine Kandidatur von 1856, war Fr&eacute;mont eine zu auff&auml;llige Figur, um auch nur in Betracht zu kommen, sobald es sich nicht mehr um eine republikanische Demonstration, sondern bereits um einen republikanischen Erfolg handelte. Er trat daher nicht als Kandidat auf. <A NAME="S382"><B>|382|</A></B> Anders Seward, republikanischer Senator im Kongre&szlig; zu Washington, Gouverneur des Staates New York und seit der Entstehung der Republikanischen Partei unbedingt ihr erster Redner. Es bedurfte einer Reihe kr&auml;nkender Niederlagen, um Herrn Seward zum Verzicht auf seine eigene Kandidatur und zur oratorischen Patronage des damals mehr oder minder unbekannten A. Lincoln zu bestimmen. Sobald er jedoch seine eigenen Kandidaturversuche gescheitert sah, oktroyierte er sich als republikanischer Richelieu einem Manne, den er f&uuml;r einen republikanischen Louis XIII. hielt. Er trug dazu bei, Lincoln zum Pr&auml;sidenten zu machen, unter der Bedingung, da&szlig; Lincoln ihn zum Staatssekret&auml;r mache, ein Rang, der einigerma&szlig;en mit dem eines englischen Ministerpr&auml;sidenten vergleichbar. In der Tat war Lincoln kaum erw&auml;hlter Pr&auml;sident, als Seward das Staatssekretariat gesichert erhielt. Sofort trat ein sonderbarer Wechsel in der Haltung des Demosthenes der Republikanischen Partei ein, den die Prophezeiung des "irrepressible conflict" (des ununterdr&uuml;ckbaren Konflikts) zwischen dem Systeme der freien Arbeit und dem Systeme der Sklaverei ber&uuml;hmt gemacht hatte. Obgleich am 6. November 1860 gew&auml;hlt, hatte Lincoln die Pr&auml;sidentenw&uuml;rde erst am 4. M&auml;rz 1861 anzutreten. In der Zwischenzeit, w&auml;hrend der Wintersitzung des Kongresses, machte sich Seward zum Focus aller Kompromi&szlig;versuche; die n&ouml;rdlichen Organe des S&uuml;dens, wie z.B. der "New-York Herald", deren b&ecirc;te noire |schwarzes Schaf| Seward bis dahin, priesen ihn pl&ouml;tzlich als den Staatsmann der Vers&ouml;hnung, und in der Tat war es nicht seine Schuld, wenn der Friede um jeden Preis nicht zustande kam. Seward betrachtete offenbar das Staatssekretariat als blo&szlig;e Vorstufe und war weniger mit dem "ununterdr&uuml;ckbaren Konflikt" der Gegenwart als mit der Pr&auml;sidentschaft der Zukunft besch&auml;ftigt. Er hat von neuem den Beweis geliefert, da&szlig; Virtuosen der Zunge gef&auml;hrlich-unzul&auml;ngliche Staatsm&auml;nner sind. Man lese seine Staatsdepeschen! Welch widerliches Gemisch von Phrasengro&szlig;tum und Kleingeisterei, von Mimik der Kraft und Tat der Schw&auml;che! </P>
<P>F&uuml;r Seward also war Fr&eacute;mont der gef&auml;hrliche Rival, den es zu verderben galt; ein Unternehmen, das um so leichter schien, als Lincoln, seiner advokatischen Tradition gem&auml;&szlig;, aller Genialit&auml;t abhold, &auml;ngstlich am Buchstaben der Konstitution klebt und jeden Schritt scheut, der die "loyalen" Sklavenhalter der Grenzstaaten beirren k&ouml;nnte. Einen andern Anhalt bot Fr&eacute;monts Charakter. Er ist offenbar ein Mann des Pathos, etwas hochtrabend und hochfahrend und nicht ohne allen melodramatischen <A NAME="S383"><B>|383|</A></B> Anflug. Erst versuchte die Regierung ihn durch eine Reihe kleinlicher Schikanen zu freiwilliger Abdankung zu hetzen. Als dies mi&szlig;lang, beraubte sie ihn des Kommandos in dem Augenblicke, wo die von ihm selbst organisierte Armee dem Feinde im S&uuml;dwesten Missouris eben gegen&uuml;bertrat und eine entscheidende Schlacht bevorstand. </P>
<P>Fr&eacute;mont ist das Idol der Staaten Nordwestens, die ihn als den "pathfinder" (Wegfinder) feiern. Sie betrachten seine Absetzung als eine pers&ouml;nliche Insulte. Erlebt die Unionsregierung noch einige Unf&auml;lle, gleich denen von Bull Run und Balls Bluff, so hat sie selbst der Opposition, die sich dann gegen sie auft&uuml;rmen und das bisherige diplomatische System der Kriegsf&uuml;hrung zerbrechen wird, in John Fr&eacute;mont den F&uuml;hrer gegeben. Auf die Anklageschrift, die das Kriegsministerium von Washington gegen den abgesetzten General ver&ouml;ffentlicht hat, soll sp&auml;ter zur&uuml;ckgekommen werden. </P>
</BODY>
</HTML>