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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<TITLE>Karl Marx/Friedrich Engels - Die Lage auf dem amerikanischen Kriegschauplatze</TITLE>
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<P ALIGN="CENTER"><A HREF="../me_ak62.htm"><FONT SIZE=2>Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen 1862</FONT></A></P>
<FONT SIZE=2><P>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 15, 4. Auflage 1972, unver&auml;nderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 504-507.</P>
<P>1. Korrektur.<BR>
Erstellt am 25.10.1998.</P>
</FONT><H2>Karl Marx/Friedrich Engels </H2>
<H1>Die Lage auf dem amerikanischen Kriegsschauplatze </H1>
<FONT SIZE=2><P>Geschrieben vom 23. bis 25. Mai 1862.</P>
</FONT><P><HR></P>
<FONT SIZE=2><P>["Die Presse" Nr. 148 vom 30. Mai 1862] </P>
</FONT><B><P><A NAME="S504">|504|</A></B> Die Einnahme von New Orleans, wie die jetzt eingelaufenen Detail berichte zeigen, ist als ein fast unerreichtes Bravourst&uuml;ck der Flotte ausgezeichnet. Die Flotte der Unionisten bestand blo&szlig; aus Holzschiffen: ungef&auml;hr sechs Kriegsschiffe, jedes mit 14 bis 25 Kanonen, unterst&uuml;tzt von einer zahlreichen Eskadre von Kanonen- und M&ouml;rserbooten. Diese Flotte hatte vor sich zwei Forts, die die Passage des Mississippi versperrten. Im Bereiche der hundert Kanonen dieser Forts war der Flu&szlig; verrammelt durch eine starke Kette, hinter der Torpedos, Feuerfl&ouml;&szlig;e und andere Zerst&ouml;rungswerkzeuge aufgeh&auml;uft waren. Diese ersten Hindernisse waren also zu passieren, um zwischen die Forts zu gelangen. Jenseits der Forts aber befand sich eine zweite furchtbare Verteidigungslinie, gebildet von eisengepanzerten Kanonenbooten, darunter der "Manassas", ein eiserner Widder, und die "Louisiana", eine m&auml;chtige schwimmende Batterie. Nachdem die Unionisten die beiden Forts, die den Strom ganz beherrschen, ohne alle Wirkung w&auml;hrend sechs Tagen bombardiert hatten, beschlossen sie, ihrem Feuer zu trotzen, in drei Divisionen die eiserne Barriere zu forcieren, den Flu&szlig; hinaufzusegeln und den Kampf mit den "ironsides" zu riskieren. Das Wagst&uuml;ck gelang. Sobald die Flottille vor New Orleans landete, war nat&uuml;rlich der Sieg entschieden. </P>
<P>Beauregard hatte jetzt nichts mehr in Corinth zu verteidigen. Seine Stellung dort hatte nur einen Sinn, solange sie Mississippi und Louisiana, speziell New Orleans, deckte. Er befindet sich jetzt strategisch in der Lage, da&szlig; eine verlorene Schlacht ihm keine andere Wahl &uuml;briglassen w&uuml;rde, als seine Armee in Guerillas aufzul&ouml;sen, denn ohne gro&szlig;e Stadt, wo Eisenbahnen und Verpflegungsmittel konzentriert sind, im R&uuml;cken seiner Armee, kann er Massen nicht l&auml;nger zusammenhalten. </P>
<P>McClellan hat unwiderleglich bewiesen, da&szlig; er eine milit&auml;rische Inkapazit&auml;t ist, die, durch g&uuml;nstige Zuf&auml;lle in eine gebietende und verantwort- <A NAME="S505"><B>|505|</A></B> liche Stellung gehoben, den Krieg f&uuml;hrt, nicht um den Feind zu schlagen, sondern vielmehr, um nicht vom Feinde geschlagen zu werden und so die eigene usurpierte Gr&ouml;&szlig;e einzub&uuml;&szlig;en. Er geb&auml;rdet sich wie die alten sogenannten "Man&ouml;vrier-Generale", die ihre &auml;ngstliche Vermeidung jeder taktischen Entscheidung damit entschuldigten, da&szlig; sie den Feind durch strategische Umgehung zur Aufgabe seiner Positionen n&ouml;tigten. Die Konf&ouml;derierten entwischen ihm immer, weil er im entscheidenden Augenblicke nie auf sie losgeht. So lie&szlig; er sie - obgleich ihr R&uuml;ckzugsplan zehn Tage vorher sogar schon in New-Yorker Bl&auml;ttern (zum Beispiel der "Tribune") angek&uuml;ndigt war - ruhig von Manassas nach Richmond retirieren. Dann teilte er seine Armee und flankierte die Konf&ouml;derierten strategisch, indem er mit einem Truppenkorps sich vor Yorktown festsetzte. Ein Festungskrieg liefert immer Vorwand zu Zeitverschwendung und Vermeidung der Schlacht. Sobald er eine den Konf&ouml;derierten &uuml;berlegene Truppenmacht konzentriert hatte, lie&szlig; er sie von Yorktown nach Williamsburg und von da weiter retirieren, ohne sie zur Schlacht zu zwingen. So j&auml;mmerlich ist noch nie ein Krieg gef&uuml;hrt worden. Wenn das R&uuml;ckzugsgefecht bei Williamsburg statt in einem zweiten Bull Run f&uuml;r die Unionstruppen in einer Niederlage der konf&ouml;derierten Arrieregarde endigte, so war McClellan ganz unschuldig an diesem Resultate. </P>
<P>Nach einem Marsch von ungef&auml;hr zw&ouml;lf Meilen (englische), unter 24st&uuml;ndigem Regengu&szlig; und &uuml;ber wahre Kotwege, langten 8.000 Unionstruppen unter General<I> Heintzelmann</I> (<I>deutscher</I> Abkunft, aber geborener Pennsylvanier) unweit Williamsburg an und stie&szlig;en nur auf schwache Piketts des Feindes. Sobald dieser jedoch sich von ihrer geringen numerischen Kraft versichert, entsendete er aus Williamsburg, aus den Kerntruppen, Verst&auml;rkungen, die seine Truppenzahl nach und nach zu 25.000 Mann anschwellten. Um neun Uhr morgens wurde der Kampf ernsthaft; um halb ein Uhr entdeckte General Heintzelmann, da&szlig; das Gefecht zugunsten des Gegners neigte. Er sendete Boten auf Boten an General Kearny, der acht Meilen in seinem R&uuml;cken stand, aber infolge der durch den Regen ganz "aufgel&ouml;sten" Stra&szlig;e sich nur langsam vorw&auml;rtsw&auml;lzen konnte. W&auml;hrend einer ganzen Stunde blieb Heintzelmann ohne Verst&auml;rkung, und das 7. und 8. Jersey-Regiment, das seinen Pulvervorrat verschossen hatte, fing an auszurei&szlig;en nach dem Walde auf beiden Seiten der Stra&szlig;e. Heintzelmann lie&szlig; nun den Oberst Menill mit einer pennsylvanischen Kavallerieschwadron auf beiden S&auml;umen des Waldes deplacieren, unter der Drohung, auf die Fl&uuml;chtlinge zu schie&szlig;en. Dies brachte letztere wieder zum Stehen.</P>
<B><P><A NAME="S506">|506|</A></B> Die Ordnung wurde au&szlig;erdem wieder hergestellt durch das Beispiel eines Massachusetts-Regiments, welches ebenfalls sein Pulver verschossen, nun aber das Bajonett auf die Musketen pflanzte und in ruhiger Haltung den Feind abwartete. Endlich wurde Kearnys Vortrab unter Brigadier Berry (vom Staate Maine) sichtbar. Heintzelmanns Armee empfing die Retter mit einem wilden Hurra; er lie&szlig; die Regimentsmusik den "Yankee Doodle" aufspielen und in Front seiner ersch&ouml;pften Truppen eine Linie von beinahe einer halben Meile durch Berrys Zuzug formieren. Nach vorl&auml;ufigem Feuergefecht machte Berrys Brigade eine Bajonettcharge im Sturmschritt und trieb den Feind vom Schlachtfeld weg zu seinen Erdwerken, von denen das gr&ouml;&szlig;te nach wiederholten Angriffen und Gegenangriffen im Besitz der Unionstruppen blieb. So war das Gleichgewicht der Schlacht hergestellt. Berrys Ankunft hatte die Unionisten gerettet. Um vier Uhr entschied die Ankunft der Brigaden von Jameson und Birney ihren Sieg. Um neun Uhr abends begann der R&uuml;ckzug der Konf&ouml;derierten von Williamsburg, den sie am folgenden Tag - nach Richmond zu - unter harter Verfolgung von Heintzelmanns Kavallerie fortsetzten. Schon zwischen sechs und sieben Uhr morgens nach der Schlacht hatte Heintzelmann Williamsburg durch General Jameson besetzen lassen. Die Arri&egrave;regarde des fliehenden Feindes hatte die Stadt nur eine halbe Stunde vorher am entgegengesetzten Ende ger&auml;umt. Heintzelmanns Schlacht war im eigentlichen Sinne des Wortes eine Infanterieschlacht. Artillerie kam kaum ins Spiel. Musketenfeuer und Bajonettattacke entschieden. Wollte der Kongre&szlig; von Washington ein Dankvotum aussprechen, so geb&uuml;hrte es dem General Heintzelmann, der die Yankees vor einem zweiten Bull Run rettete, nicht dem McClellan, der in seiner gewohnten Manier "die taktische Entscheidung" vermied und den numerisch schw&auml;cheren Gegner zum dritten Mal entwischen lie&szlig;. </P>
<P>Die konf&ouml;derierte Armee in Virginia hat bessere Chancen als Beauregards Armee, einmal, weil sie sich einem McClellan statt einem Halleck gegen&uuml;ber befindet, und dann, weil auf ihrer R&uuml;ckzugslinie die vielen Fl&uuml;sse quer vom Gebirg nach dem Meer laufen. Indes, um zu vermeiden, da&szlig; sie sich nicht<I> ohne Schlacht</I> in Banden aufl&ouml;st, werden ihre Generale gezwungen sein, fr&uuml;her oder sp&auml;ter eine entscheidende Schlacht anzunehmen, gerade wie die Russen bei Smolensk und Borodino sich schlagen mu&szlig;ten,<I> gegen</I> den Willen der richtig urteilenden Generale. J&auml;mmerlich, wie McClellans Kriegsf&uuml;hrung war, hat das best&auml;ndige Retirieren mit R&uuml;cklassung von Artillerie, Munition und anderen Kriegsvorr&auml;ten, zugleich mit den kleinen ungl&uuml;cklichen R&uuml;ckzugsgefechten, die Konf&ouml;de- <A NAME="S507"><B>|507</A></B>| rierten jedenfalls arg demoralisiert, wie sich am Tage einer entscheidenden Schlacht ausweisen wird. Wir kommen also zu dem Fazit: </P>
<P>Verlieren Beauregard oder Jefferson Davis eine entscheidende Schlacht, so l&ouml;sen sich ihre Armeen in Banden auf, Gewinnt einer von ihnen eine entscheidende Schlacht, was durchaus unwahrscheinlich, so ist im besten Fall die Aufl&ouml;sung ihrer Armeen aufgeschoben. Sie sind nicht in der Lage, den geringsten nachhaltigen Nutzen selbst von einem Siege zu ziehen. Sie k&ouml;nnen nicht zwanzig englische Meilen vorr&uuml;cken, ohne festzufahren und wieder die erneuerte Offensive des Gegners abzuwarten. </P>
<P>Es bleibt noch &uuml;brig, die Chancen eines Guerillakrieges zu untersuchen. Nun ist es aber gerade bei diesem Kriege der Sklavenhalter &auml;u&szlig;erst wunderbar, wie wenig, oder vielmehr wie gar nicht die Bev&ouml;lkerung daran teilgenommen. Im Jahre 1813 wurden die Verbindungen der Franzosen von Colomb, L&uuml;tzow, Tschernyschew und zwanzig andern Freisch&auml;rler- und Kosakenf&uuml;hrern fortw&auml;hrend unterbrochen und harceliert. 1812 verschwand in Ru&szlig;land die Bev&ouml;lkerung vollst&auml;ndig von der franz&ouml;sischen Marschlinie; 1814 bewaffneten sich die franz&ouml;sischen Bauern und schlugen die Patrouillen und Nachz&uuml;gler der Alliierten tot, aber hier geschieht gar nichts. Man unterwirft sich dem<I> Schicksal der gro&szlig;en Schlachten</I> und tr&ouml;stet sich mit "Victrix causa diis placuit, sed victa Catoni." Die Renommage mit dem Krieg bis zum Messer lost sich in Dunst auf. Es ist zwar kaum zu bezweifeln, da&szlig; der white trash (der "wei&szlig;e Schund", wie die Pflanzer selbst die "armen Wei&szlig;en" nennen) es mit Guerillakrieg und Brigandage versuchen wird. Ein solcher Versuch wird aber die besitzenden Pflanzer sehr rasch in<I> Unionisten</I> verwandeln. Sie werden selbst die Truppen der Yankees zu Hilfe rufen. Die angeblichen Baumwoll- usw. Verbrennungen am Mississippi beruhen ausschlie&szlig;lich auf dem Zeugnis von zwei Kentuckyanern, die nach Louisville gekommen sein sollen - sicher nicht auf dem Mississippi. Der Brand in New Orleans war leicht organisiert, Der Fanatismus der Kaufleute von New Orleans erkl&auml;rt sich daraus, da&szlig; sie eine Masse konf&ouml;derierter Staatsschuldscheine f&uuml;r bares Geld nehmen mu&szlig;ten. Der Brand von New Orleans wird sich in andern St&auml;dten wiederholen; auch sonst wird gewi&szlig; manches verbrannt, aber dergleichen theatralische Coups k&ouml;nnen nur den Zwiespalt zwischen den Pflanzern und dem "white trash" auf die Spitze treiben, und damit finis Secessiae! </P>
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