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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<TITLE>Larissa Reissner - Ullstein</TITLE>
<META NAME="BOOKTITLE" CONTENT ="Vorw&auml;rts und nicht vergessen, S.186 ff">
<META NAME="Herausgeber" CONTENT ="Heiner Boehncke">
<META NAME="Originalausgabe" CONTENT ="Eine Reise durch die deutsche Republik, Neuer Deutscher Verlag, Berlin 1926">
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Reissner</SMALL></A></TD>
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<H2> Larissa Reissner</H2>
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<P><SMALL><!-- #BeginEditable "Quelle" -->(Quelle: Eine Reise durch
die deutsche Republik, Neuer Deutscher Verlag, Berlin 1926)<!-- #EndEditable -->
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<P>
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<P> Niemand holt sie vom Telegraphenamt: die Nachrichten kommen von selbst. Gleich
wilden Schwalben schie&szlig;en sie in den Raum des Redakteurs und fallen fix
und fertig, schon in die menschliche Sprache &uuml;bersetzt, auf schmalen Papierstreifen
auf den Tisch. Zehn Apparate empfangen sie ununterbrochen. Ein dunkles Kloster
mit hundert Zellen. Hundert Telephonzellen. In jeder Zelle sitzt ein Einsiedler,
der den Gott der Sensationen mit wilder Stimme um Gaben anruft. <P>
&#171;Hier Berlin, "B. Z.". Hier Ullstein. Hallo! Bitte lauter!&#187; <P>
Wie Arbeitslose auf der Bank einer Anlage, schlummern die Kuriere. Wie Passagiere
in Erwartung eines Zuges, der stets kommt, immer abgeht und niemals steht. Der
Zug von Neuigkeiten, den Erdball umkreisend. Viele warten schon seit gestern.
Die Kabeltelegramme aus Amerika sind schon da, voller kaprizi&ouml;ser B&ouml;rsenzahlen
dieser liebensw&uuml;rdigen Abenteuerinnen, die so geschickt &uuml;ber die Grenze
huschen - nur mit dem leichten Gep&auml;ck jener gef&auml;lschten Neuigkeiten
beladen, die dem Herzen eines Zeitungsmannes so teuer sind. <P>
O, das Ullstein-Haus ist gro&szlig; genug, um alle diese fremden G&auml;ste unterzubringen.
4500 Zimmer, sechs Etagen, endlose Treppen, dutzende eigener Druckereien - es
sind gewi&szlig; Deutschlands beste M&uuml;hlen, die die t&auml;glichen L&uuml;gen-
und Wahrheitsernten ausgezeichnet vermahlen: sechs Tageszeitungen backen das t&auml;gliche
Brot f&uuml;r die millionenk&ouml;pfige Bev&ouml;lkerung von Berlin, f&uuml;r
alle seine Bev&ouml;lkerungsschichten, f&uuml;r alle Geschlechter und Alter, f&uuml;r
ganz Deutschland und f&uuml;r jede seiner St&auml;dte im besonderen. K&ouml;ln
hat einen anderen Geschmack als Berlin; das Leibgericht von Dresden wird in Frankfurt
keine Abnehmer finden. Hamburg braucht Knackw&uuml;rste mit Porter, Dresden &#151;
Eisbein mit Kohl, der S&uuml;dl&auml;nder &#151; etwas Nahrhaftes und Umfangreiches.
<P>
Im Hause Ullstein pflegt niemand zu Fu&szlig; zu gehen. Nur Nichtstuer benutzen
die Treppen. Der Lift ist das einzige Bef&ouml;rderungsmittel. Durch alle Stockwerke
fliegen seine offenen K&auml;fige. Die Liftt&uuml;r ist abgeschafft, geh&ouml;rt
ins Museum. Die Menschen st&uuml;rzen hinein und hinaus. Korrekturen, Manuskripte,
Telegramme haben das Turnen lernen m&uuml;ssen. Schwerf&auml;llige asthmatische
Leitartikel fliegen mit der Behendigkeit von Zirkusakrobaten an den Drahtseilen
entlang. Seit der alte Ullstein seine erste Bude in der Kochstra&szlig;e - eine
kleine Druckerei -eingerichtet hat, w&auml;chst sein Unternehmen ununterbrochen
an. Nachdem es eine gewisse Vollkommenheitsstufe erreicht hatte, blieb es stehen
und begann seinen alten Leib aufzufressen. Wenn die Produktion eines Tages nicht
den Mut hat, ihre alten Organisationsformen zu zertr&uuml;mmern und in ihrem eigenen
Magen zu verdauen, verf&auml;llt sie einem elastischeren und st&auml;rkeren Konkurrenten,
und wird von diesem zum Fr&uuml;hst&uuml;ck verspeist. <P>
<P>
<I> &#171;Berliner Morgenpost&#187;. </I><P><I>
</I> Diese alte Berliner Kleinb&uuml;rgerzeitung ist auch auf einem Friedhof gewachsen,
aber es waren nicht die Gr&auml;ber ihrer eigenen &uuml;beralterten Formen, sondern
der ganzen von Bismarck vernichteten sozialdemokratischen Presse. Ullstein hatte
es damals verstanden, auf den &ouml;den Zeitungsmarkt mit der vom Sozialistengesetz
geschlagenen Bresche Hunderttausende von Exemplaren seines gem&auml;&szlig;igten
Bl&auml;ttchens zu werfen. Es war eine Zeitung, die auf die breitesten Massen
der Klein-Bourgeoisie zugeschnitten war. <P>
Wie oft haben seit jener Zeit die Arbeitsmethoden gewechselt! Vom Handsatz zum
Maschinensatz, von der Handzeichnung zur Photographie, von der blutlosen verschwommenen
Photographie zur k&uuml;nstlerischen Illustration. Jeder technischen Revolution
folgte eine kurze Krankheit des ganzen Unternehmens, wie nach einer Impfung. Dann
&#151; ein wilder Sprung vorw&auml;rts, ph&auml;nomenaler Profit: hunderttausende
neuer Abonnenten, neue Bauten, Werkst&auml;tten, Angestellten, Lastwagen, Telephons.
In den letzten Nachkriegsjahren hat sich schon wieder eine neue Appendizitis gebildet:
die alten Maschinen f&uuml;r den Gu&szlig; von Matrizen, englische Maschinen,
die mit Gas arbeiten und die stets voller fl&uuml;ssigem Blei gehalten werden
m&uuml;ssen. Statt ihrer sind jetzt deutsche eingef&uuml;hrt: sie fressen einfach
Kohle und k&ouml;nnen zu jeder Zeit aufgef&uuml;llt werden. <P>
Ein Betrieb kennt keine Dankbarkeit, er vergi&szlig;t die fr&uuml;heren Verdienste
sofort. Die alte Maschinenabteilung hat ihr Leben ausgehaucht. Sie ist leer und
kalt, und in ihren blinden Scheiben spiegeln sich die Flammen der Feuerungen der
Rivalin. Das muntere Klirren der Matrizen und Feilen klingt in die verlassenen
R&auml;ume. <P>
Einstmals brachte man nur eine <I> Morgenzeitung </I> heraus und f&uuml;rchtete,
sie mit einer Abendausgabe zu erg&auml;nzen, weil man glaubte, dadurch die Auflage
zu verringern. Heute schickt Ullstein eine Menge Zeitungen auf die Stra&szlig;e,
die alle verschieden gekleidet sind, verschiedene Mundarten sprechen, stets zu
anderer Zeit herauskommen und einander nicht st&ouml;ren. <P>
Des morgens - die &#171;Vossische&#187;, sie ist f&uuml;r B&ouml;rsen und Banken
berechnet. Die Leute kauen ihre Butterbrote, trinken Bier, - die &#171;Vossische&#187;
spricht auf sie ein. Sie steigt mit ihnen ins Auto, saust zwischen Restaurant
und B&ouml;rse, B&uuml;ro und Bank, und wickelt flugs ihre Gesch&auml;fte ab.
Es ist eine kluge, vorsichtige, ausgezeichnet unterrichtete Zeitung. Jeder Spekulant
erkauft sich mit 15 Pfennigen die Hoffnung, von dieser alten Dame einen guten
Tip zu bekommen. <P>
<P>
<I> &#171;Die Praktische Berlinerin&#187;. </I><P><I>
</I> W&auml;hrend die M&auml;nner in der Stadt sind, klopft Ullsteins &#171;Praktische
Berlinerin&#187; an die Wohnungst&uuml;ren der Frauen; auch &#171;Die Dame&#187;
oder Ullsteins &#171;Blatt der Hausfrau&#187; wissen sich Eingang zu verschaffen.
Das ist eine musterg&uuml;ltige Technik. Damit diese Hausiererinnen von Haus zu
Haus laufen, Appetite reizen, der Hausfrau die allerbilligste Kaffeekanne, ein
Morgenkleid zu 3 Mark 70, ein &#171;herrschaftliches&#187; Schlafzimmer oder ein
Mittel gegen Schwangerschaft empfehlen k&ouml;nnen, - mu&szlig;te die Druckereitechnik
ein wahres Wunder vollbringen, dazu mu&szlig;te sich das menschliche Genie auf
ein neues h&ouml;heres Niveau aufschwingen. Die Maschine druckt nicht nur alle
96 Seiten des Textes und den Umschlag, sondern sie wirft die vollst&auml;ndig
fertige Nummer auf den Tisch. Im Laufe einer Stunde verfertigt sie 3500 Exemplare.
Was kann man noch &uuml;ber die Ullstein-Schnittmuster, die &#171;Modewelt&#187;
usw. usw. sagen? Ehe noch das Gehirn der Frau erkannt hat, was sie eigentlich
w&uuml;nscht, haben Ullsteins Zuschneider ihre Tr&auml;ume schon l&auml;ngst erraten
und in praktischen Schnittmustern ihr ins Haus geschickt. Die Geister der k&uuml;nftigen
Mantos, Blusen und Dessous haben die ersehnte, ideale, wenn einstweilen auch nur
papierne Gestalt angenommen. <P>
Es gibt Pferde, die rechnen k&ouml;nnen, Hunde, die sich in Geographie auskennen.
Aber da&szlig; die Maschine diese erstaunliche Intelligenz erlangen kann, h&auml;tte
niemand gedacht. Die mechanische Olympia Hoffmanns verstand Romanzen zu singen
und zu knixen - eine Bagatelle! Bei Ullstein sitzt ein Arbeiter vor seiner Setzmaschine,
dr&uuml;ckt auf eine Taste, die zweite, die dritte, und in wenigen Sekunden springt
eine fertige Zeile aus Blei auf den Tisch. Und wenn die Buchstaben ihren Zweck
erf&uuml;llt haben, werden sie demobilisiert - sie kehren in das Nichts zur&uuml;ck,
aus dem sie hervorgegangen sind. Die Maschine besorgt das selbst. <P>
<P>
<P>
<I> &#171;B. Z. am Mittag&#187;. </I><P><I>
</I> Mittags begibt sich die j&uuml;ngste Tochter des alten Ullstein auf die Stra&szlig;e.
Diese Zeitung ist eine Eidechse, eine Fliege, ein aufdringliches, flinkes und
jedermann zug&auml;ngliches Gesch&ouml;pf. Man kann sie fast umsonst haben. Sie
besitzt keine eigenen Meinungen, &uuml;berhaupt kein individuelles Gesicht. Es
ist eine kleine Pf&uuml;tze, in der sich die ganze Welt spiegelt. Ihre Sprache
ist sehr verst&auml;ndlich, kurz und primitiv, - in zwei Minuten kann man alles
erfahren, was die gro&szlig;e Presse heute denkt und sagt. <I> Man </I> braucht
diese Nachrichten &uuml;berhaupt nicht zu kauen: sie sind schon durchgekaut, mit
der erforderlichen Portion Speichel versehen - restlos verdaulich. Man braucht
nur zu schlucken, und man ist informiert. Der Mensch, der zum Denken keine Zeit
hat und sich die Nachrichten nicht selbst zusammensuchen will, kann diesen minderwertigen
Vermittler, dieses Echo der Gro&szlig;st&auml;dte, dieses <I> Stra&szlig;engrammophon
</I> nicht mehr vermissen. <P>
Die Geburtsst&auml;tte der &#171;B. Z.&#187; ist das Abflu&szlig;rohr aller Zeitungen,
und sie lebt nur eine halbe Stunde. Man erwartet ihr Erscheinen mit nerv&ouml;ser
Gier. Millionen Menschen sehen auf die Uhr und warten auf das Rendezvous mit der
&#171;B. Z.&#187;. Aber keine Zeitung wird so schnell vergessen, so ver&auml;chtlich
fortgeworfen, in Autobussen und Caf&eacute;s liegen gelassen. Und jeden Tag ersteht
die Stra&szlig;enaphrodite von neuem -aus dem Abschaum der Meinungen, um sich
Millionen in die Arme zu werfen. <P>
12 Uhr 10. Die B&ouml;rse notiert die ersten Kurse. <P>
12 Uhr 12. Das letzte Telegramm in die Setzerei geschickt. <P>
12 Uhr 15. Die Redaktion nimmt kein Material mehr an. <P>
12 Uhr 16. Die Rotationsmaschine legt ihren funkelnden Matrizenpanzer an. <P>
12 Uhr 17. Der diensttuende Mechaniker schaltet den Strom ein. <P>
Die gr&ouml;&szlig;ten Rotationsmaschinen des Kontinents beginnen ihre Arbeit.
<P>
Eine Flut von Seiten und Spalten. In diesem Strom ist das Wort nur ein Bazillus.
Die ersten gefallenen Nummern kommen zum Vorschein. Schon laufen sie in die Welt,
- jedes Blatt findet irgendeinen Leser, jede Ladung ist f&uuml;r irgend jemanden
bestimmt. Die Attacke ist in vollem Gange, ungeheure B&uuml;ndel von Papier, gigantische
L&uuml;genkokons geb&auml;ren Millionen Eintagsfliegen. <P>
Diese Pressefabrik ist wie eine Festung. Ihre tiefen H&ouml;fe gleichen Gef&auml;ngnish&ouml;fen.
Granitberge isolieren sie von der Stadt. Eine Festung mu&szlig; f&uuml;r den Fall
einer Belagerung mit Wasser und Brot versorgt sein. Ullstein besitzt eine von
der Stadt unabh&auml;ngige Kraftquelle, die gro&szlig; genug ist, seine belagerten
Maschinen acht Tage lang mit Elektrizit&auml;t zu versorgen. Man kann nie wissen:
Streik oder Aufstand. Die gepanzerten T&uuml;ren werden fest verriegelt, und drei
Minuten nach dem Alarmsignal schickt das Kraftwerk tausende Streikbrecher-Pferdekr&auml;fte
zu den Maschinen. <P>
Kein einziger Angestellter kann unbemerkt heraus oder herein. Die Portiers sind
auf Menschen und Sachen dressiert. Aber 12 Uhr 18 Minuten, also acht Minuten nach
der Annahme der letzten dringenden Depesche, &ouml;ffnen sich alle T&uuml;ren
und Tore. Die Zeitungsfabrik schickt ihre Produktion auf die Stra&szlig;e. Breite
Rohre spucken Zeitungsb&uuml;ndel direkt auf die Lastwagen. Motorr&auml;der zittern
ungeduldig, Radfahrer halten ihre offenen S&auml;cke hin, Boten, die die Zeitungsladungen
nach dem Bahnhof und in die Provinz begleiten, brechen .ihr Fr&uuml;hst&uuml;ck
ab. Des Sonnabends werden 4000 Zentner verladen - zwanzig Postz&uuml;ge allein
f&uuml;r die Mittagszeitung. Rechnet man alle Verlagswerke zusammen, so macht
das 75 Postwaggons. Und die ganze Menge mu&szlig; in 45 Minuten verladen sein.
<P>
Die Zeitung &uuml;berholt die Zeit. Die Zeitung &uuml;berholt den Uhrzeiger. Der
Mensch schl&auml;ft die H&auml;lfte seines Lebens. Er stiehlt sich selbst die
Nachtstunden. Die Zeitung hat den H&ouml;chstrekord geschlagen und st&ouml;&szlig;t
nun auf ein un&uuml;berwindliches Hindernis: es sind Barrikaden aus schlafenden
Menschen. Aber in den Gro&szlig;st&auml;dten, auf dem blanken Asphalt ist alles
relativ. Mag die Morgenr&ouml;te ihre Beine in einen Pyjama stekken - die Umh&uuml;llung
von kr&auml;uselnden Morgenwolken ist unmodern. Europa ist wie Gr&ouml;nland,
wie das Polarmeer. Der elektrische Tag dauert 24 Stunden. <P>
Halb sechs Uhr morgens eilen die Zeitungsverk&auml;ufer davon und &#171;machen&#187;
den Morgen. Die Provinzausgabe der &#171;Vossischen Zeitung&#187; ohne die letzten
Telegramme wird nachts gedruckt und versandt; in Berlin wird sie schon abends
8 Uhr 40 Min. verkauft: ein St&uuml;ck Morgen, ein St&uuml;ck von der Zukunft
mit den Ergebnissen der letzten Fu&szlig;ballk&auml;mpfe, mit den Familiennamen
der Verungl&uuml;ckten und unter das Auto Geratenen, mit den englischen Parlamentsdebatten
- alles das f&uuml;r 15 Pfennige! <P>
Ullstein ist eine jener Gro&szlig;m&auml;chte, die jede in das menschliche Bewu&szlig;tsein
importierte Banalit&auml;t mit Z&ouml;llen belegt. Das Ullstein-Haus ist ein Hafenplatz,
ein Grenzpunkt, an dem Riesenladungen von Phrasen ausgeladen werden, von Redensarten,
die wie Gummisohlen am Bewu&szlig;tsem kleben, von Witzen, die flach wie ein Plattfu&szlig;
sind, von stinkenden Anekdoten und neu frisierten politischen Parolen. <P>
<P>
<I> Die &#171;Illustrierte&#187;. </I><P><I>
</I> Ein Meisterwerk dieser Art ist zweifellos die unvergleichliche <I> &#171;Berliner
Illustrierte Zeitung&#187; - </I> das verbreitetste Journal des modernen Deutschland.
Die Auflage? 1600000 Exemplare. Die Nachfrage wird immer gr&ouml;&szlig;er. In
einem halben Jahre werden die zwei Millionen vermutlich erreicht sein. Das Fundament
des Ullstein-Hauses ist die Propaganda der Banalit&auml;t. Im Grunde genommen,
ist es eine Null, ein &Uuml;berhaupt-Nichts, ein Minus, 32 Seiten geistiges Abf&uuml;hrmittel.
Ein Loch im Boudoir eines ber&uuml;hmten Filmstars, ein Spalt, durch den jeder
sehen kann, wie sch&ouml;ne Frauen von Spitzbergen bis zum Kap der guten Hoffnung
baden. Ein Romanfragment von einer Primitivit&auml;t und Geschwindigkeit, da&szlig;
man ihn in der Toilette lesen kann. Nat&uuml;rlich - Reklame. Prinzenhochzeit.
Dann wieder Reklame. Zehn Seiten Reklame. <P>
Die &#171;Illustrierte&#187; war <I> niemals </I> ein Feind Sowjetru&szlig;lands.
Vielleicht war sie es, die die deutschen Arbeiter besser &uuml;ber die Sowjet-Union
unterrichtete, als alle anderen Presse-Organe. Sie bringt alles, was neu, interessant,
unerwartet ist. Ru&szlig;land eine Sensation. Die &#171;Illustrierte&#187; bringt
Ru&szlig;land. Seine Stra&szlig;en, Demonstrationen, F&uuml;hrer, Menschenmengen,
Kinderh&auml;user, Armee. <P>
Der praktische, n&uuml;chterne H&auml;ndler ist eher geneigt, an die Dauerhaftigkeit
einer solchen Regierung zu glauben, die schon besteht, als eine solche, die einstweilen
nur in den K&ouml;pfen der Bewohner des Kurf&uuml;rstendamms und der Tauentzienstra&szlig;e
herumspukt. Wenn die Bolschewisten sich noch f&uuml;nf Jahre halten, dann wird
Ullstein die wei&szlig;en Emigranten ebenso behandeln, wie die ehemalige deutsche
Regierung die russischen Studenten nach 1905 behandelt hat: jeder, der die gesetzliche
Regierung - auch wenn es eine Sowjet-Regierung ist - unterminiert, ist und bleibt
ein Revolution&auml;r, ein Bombenanarchist und &uuml;berhaupt ein Gauner. Aber
Ullstein erscheint es einstweilen geratener, sich nach allen Seiten hin zu sichern:
das im allgemeinen sowjetfreundliche Haus gew&auml;hrte dem wei&szlig;gardistischen
<I> &#171;Rul&#187; </I> in einem entlegenen Winkel ein bescheidenes Obdach. <P>
Aber auch die Freundschaft hat ihre Grenzen, wenn die ganze Presse ein einm&uuml;tiges
Geschrei gegen die Bolschewisten erhebt. Dann kann auch Ullstein nicht schweigen.
Nachdem er ein ganzes Jahr lang eine kommunistenfreundliche Information gebracht
hat, f&auml;hrt er pl&ouml;tzlich seine schwersten Gesch&uuml;tze auf, die sein
verdammendes Urteil l 600 000mal wiederholen, lauter verk&uuml;nden, als es Moses
von dem alten j&uuml;dischen Berge fertiggebracht hat. <P>
<P>
<I> &#171;Das neue Verbrechen der bolschewistischen Justiz!&#187; </I> &#171;Drei
deutsche Studenten zum Tode verurteilt!&#187; Und es sind nicht &#171;drei Studenten&#187;,
sondern 3 mal 1 600 000 Studenten und 3 mal <I> l 600 000 </I> &#171;bolschewistische
M&ouml;rder&#187;. Das ist gewi&szlig; kein Minus mehr, sondern ein sozialer Hebel
von einer Kraft und Leistungsf&auml;higkeit, wie es in Europa nur wenige gibt.
<P>
Die &#171;Illustrierte&#187; bringt ihre kurzen, &auml;tzenden, klebrigen, politischen
Formeln nicht in Form von Leitartikeln oder Kurven, - sie t&auml;towiert sie auf
die seidenweiche Haut einer Variete-S&auml;ngerin, stickt sie auf die W&auml;sche
der ber&uuml;hmten T&auml;nzerin, druckt sie auf die Etikette von Parf&uuml;ms,
die als Mittel gegen &uuml;blen Achselgeruch empfohlen werden. So wird die Parole
einge&auml;tzt, gestickt, gedruckt: &#171;Krieg dem Bolschewismus&#187;. &#171;Gegen
die Weltrevolution!&#187; &#171;Krieg den M&ouml;rdern des unschuldigen blonden,
kurzsichtigen Kindermann mit seiner Reiseapotheke!&#187; <P>
Wie die Ullstein-Parole auch sein mag - f&uuml;r oder gegen USSR., f&uuml;r oder
gegen die chinesische Revolution, f&uuml;r oder gegen den Pakt - die Geschosse
dieser Parolen erreichen ihren Zweck. <P>
<P>
<I> &#171;Sport&#187;. </I><P><I>
</I> Die Motor- und Segelboote der &#171;B. Z.&#187; durchfurchen Seen und Meere,
die Rennpferde der &#171;B. Z.&#187; nehmen alle Hindernisse, der Favorit der
&#171;B. Z.&#187; schl&auml;gt dem ber&uuml;hmten amerikanischen Boxer die Nase
ein, das Motorrad der &#171;B. Z.&#187; stellt einen neuen Schnelligkeitsrekord
auf. Hunde-Ausstellung, Tennis, Wettschwimmen, pr&auml;mierte Zugtiere. Mit allergr&ouml;&szlig;ter
Aufmerksamkeit verfolgt Europa alle diese Dinge. Jede Zeitung, die etwas auf sich
h&auml;lt, bringt t&auml;glich eine Seite Sport. Die Champions kennt man weit
besser, als die bedeutendsten Politiker. Ullstein war vielleicht der erste, der
diese Goldgrube entdeckt hat, der Sportfachleute heranzog zu einer Zeit, als die
anderen Zeitungen ihre Rennberichte von &#171;Brandschaden-Reportern&#187; schreiben
lie&szlig;en. Nach allen Rennst&auml;llen, nach allen Totalisatoren Europas schickte
er seine Spezialkorrespondenten. <P>
<P>
<I> &#171;Der Querschnitt&#187;. </I><P><I>
</I> Von Kunst versteht Ullstein nichts. F&uuml;r diese Finessen, f&uuml;r die
Redaktion des &#171;Querschnitt&#187;, der f&uuml;r ein paar hundert &auml;sthetische
Abonnenten bestimmt ist, engagiert er sich einen kunstsinnigen Mann, der sich
in allen Porzellanarten der Welt und s&auml;mtlichen Schnupftabakdosen des 18.
Jahrhunderts ganz genau auskennt. Diese Zeitschrift ist gewisserma&szlig;en eine
Lilie, der man den Duft jener Mistgrube nicht anmerkt, auf der die &#171;B. Z.&#187;
oder die &#171;Illustrierte&#187; gedeihen. Diese &Auml;sthetenzeitschrift treibt
wie eine Lotosblume auf dem Meer der Ullstein-Millionen herum, - sie schw&auml;rmt
f&uuml;r Negerplastik und amerikanische Kultur. Auch sehr nackte, sehr k&uuml;nstlerische,
f&uuml;r den Kenner berechnete Gestalten finden sich da. Der alte Ullstein schimpft,
wenn er alle diese Finessen sieht. Aber allen anderen &uuml;brigen Redakteuren,
den Verfertigern der &uuml;blen Massenware, ist es aufs strengste untersagt, sich
in die Angelegenheiten der &Auml;stheten einzumischen. Mit denen ist zwar kein
Gesch&auml;ft zu machen, aber daf&uuml;r locken sie Leute mit Geschmack und guter
Position, es macht sich gut, wenn man im Vorzimmer eine klassische Venus stehen
hat. <P>
<P>
<I> &#171;Der heitere Fridolin&#187;. </I><P><I>
</I> Bei der Herstellung von Waren wie &#171;Der heitere Fridolin&#187; dagegen
braucht der alte Ullstein keine Helfershelfer. Auf diesem Gebiet ist er selbst
Meister und Fachmann. Keiner wei&szlig; so gut wie er, wieviel Backpulver, Margarine
und Sirup in diese kleinen Groschenheftchen mit dem radfahrenden Hunde auf dem
Titelblatt hineingeh&ouml;rt, um die kindliche Phantasie in der gew&uuml;nschten
Weise zu banalisieren. Diese Heftchen finden einen rei&szlig;enden Absatz: 350
000 Exemplare, d. h. 700 000 Exemplare im Monat. Es ist ein Gemisch von Sherlock
Holmes, Zirkus, Chronik der Verbrechen und Sentimentalit&auml;t. Die Helden: ein
Polizeihund mit der Seele eines Lesers von Sonntagsbeilagen der &#171;Vossischen
Zeitung&#187;. <P>
<P>
<I> Ullstein-Romane. </I><P><I>
</I> Vor dem Kriege kostete ein B&auml;ndchen von 250 Seiten mit einer Hochzeit
vor dem Altar oder edlem Selbstmord am Schlu&szlig; 1Mark. Heute -2 Mark. Niemals
wird ein &#171;Unsterblicher&#187; so gelesen werden, wie diese anonymen Autoren.
Tolstoj, Goethe? Sie k&ouml;nnen sich mit einem Herrn Weber nicht messen, der
&#171;Ja, ja die Liebe&#187; geschrieben hat. Der alte gute Ullstein macht es
mit der Literatur wie das Kamel mit der Dattel. Nachdem sie einmal heruntergeschluckt
ist, zwingt er seinen Leser so oft wie m&ouml;glich wiederzuk&auml;uen. Alle Ullstein-Romane
werden sofort nach Erscheinen von den gr&ouml;&szlig;ten Kino-Fabriken in Deutschland
verfilmt. Der Ladenverk&auml;uferin, der Lehrerin, einem Postbeamten mu&szlig;
der Glaube an das Gl&uuml;ck erhalten werden. Der Kleinb&uuml;rger mu&szlig; davon
&uuml;berzeugt sein, da&szlig; jeder ehrliche Mensch ohne Blutvergie&szlig;en,
ohne Gewaltakte alles erreichen kann &#151; eine Villa, ein Auto, einen eigenen
Laden. Lesen gen&uuml;gt nicht. Man mu&szlig;, es mit eigenen Augen gesehen haben.
Und Ullstein zeigt es. Jeder kann hingehen und sich davon &uuml;berzeugen, wie
die ehrliche Alice sich mit Ordnungsliebe, einiger Kenntnis in der Buchhaltung
und ihrem netten Fr&auml;tzchen den Weg durch die Finanzwelt bahnen kann. Sie
wird n&auml;mlich von Stinnes geheiratet. Aber dieser Stinnes ist jung und fast
ebenso s&uuml;&szlig;, wie der Verk&auml;ufer in der Konfektionsabteilung von
Wertheim. Andre Leute arbeiten hundert Jahre und sterben als Milliard&auml;re.
Seht, wie sie beerdigt worden sind! Es lohnt sich, ein ganzes Leben lang gewissenhaft
seine Pflicht zu erf&uuml;llen, um mit einem so gl&auml;nzenden Pomp begraben
zu werden. Ganz zu schweigen von Arbeitern und kleinen Angestellten, die immer
das gro&szlig;e Los ziehen und die T&ouml;chter ihrer Brotherren heiraten. Wozu
Revolution? Wozu Politik? Millionen von europ&auml;ischen Arbeitern leben in der
Hoffnung auf Ru&szlig;land. Millionen der SPD-Arbeiter klammern sich insgeheim
an diesen Traum: irgendwann, zu einer bestimmten, vom Schicksal vorgezeichneten
Stunde wird der russische Rotarmist die Grenze &uuml;berschreiten und das tun,
was der deutsche Proletarier zu tun sich nicht getraut. Die Arbeiter schicken
ihre Delegierten nach Ru&szlig;land. Der Kleinbourgeois, der Ullstein-Leser l&auml;uft
ins Kino und sieht sich dort das gelobte Land an. <P>
Gewi&szlig;, Ullstein steht nicht allein da. Mit ihm konkurrieren und ihn &uuml;bertrumpfen
vielleicht solche Zeitungsfabrikanten wie der <I> Scherl-Verlag, </I> der in Deutschland
seiner Zeit den Typus der &#171;parteilosen&#187; Zeitungen geschaffen hat und
der jetzt in den H&auml;nden Hugenbergs liegt, eines ehemaligen Direktors der
Firma Krupp. Nachdem Hugenberg alles an sich gerissen, was dem Zeitungsk&ouml;nig
geh&ouml;rte, verwandelte er diese alten &#171;parteilosen&#187; Zeitungen, die
das Leib- und Magenblatt eines jeden deutschen Durchschnitts-B&uuml;rgers waren,
zum Sprachrohr der aktivsten und w&uuml;tendsten Gegenrevolution. Ihnen folgen
Mosse und viele andere Monopolisten des Zeitungs- und Buchmarktes. Es gibt viele
Ullsteine . . . <P>
Die Dienste, die diese Fabriken der b&uuml;rgerlichen Ideologie zur Zeit des Krieges
der Regierung erwiesen haben, sind nicht hoch genug zu veranschlagen. In alle
Poren des sozialen Organismus, in alle Zellen seines Gehirns wu&szlig;ten sie
einzudringen und ein besonderes Gift jeder dieser Zellen einzuimpfen. Viele N&auml;gel
haben Ullstein, Mosse und Hugenberg in den gro&szlig;en h&ouml;lzernen Hindenburg
eingeschlagen. Legionen von Menschen haben sich unter der Einwirkung dieser literarischen
Narkotika niedermetzeln lassen. Und niemals w&auml;re es der Regierung ohne die
Zeitungstrusts gelungen, die Massen der Kleinbourgeoisie um jene Millionen zu
schr&ouml;pfen, die f&uuml;r die Kriegsanleihe drauf gegangen sind. <P>
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Verkn&uuml;pfte Dateien: <!-- #BeginEditable "Verk%FCpfungen" -->&raquo;<A href="http://www.mlwerke.de/css/format.css">../css/format.css</A>&laquo;,
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Reissner</SMALL></A></TD>
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