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<TITLE>John Reed: 10 Tage die die Welt erschütterten</TITLE>
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II. DER HERAUFZIEHENDE STURM
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Im September 1917 marschierte der General Kornilow auf Petrograd, um sich
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zum militärischen Diktator über Rußland aufzuschwingen. Hinter
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ihm wurde plötzlich die Eisenfaust der Bourgeoisie sichtbar, die sich
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anschickte, mit verwegenem Schlag die Revolution niederzuschmettern. In die
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Verschwörung waren auch einige sozialistische Minister verwickelt. Selbst
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Kerenski war verdächtig. Sawkinow, von dem Zentralkomitee seiner Partei,
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den Sozialrevolutionären, aufgefordert, Aufklärung zu geben, weigerte
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sich dessen und wurde ausgeschlossen. Soldatenkomitees verhafteten Kornilow,
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Generale wurden entlassen, Minister ihrer Ämter enthoben, und das Kabinett
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wurde gestürzt. Kerenski machte den Versuch, eine neue Regierung zu
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bilden mit Einschluß der Kadetten, der Partei der Bourgeoisie. Seine
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eigene Partei, die Sozialrevolutionäre, befahlen ihm den Ausschluß
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der Kadetten. Kerenski weigerte sich zu gehorchen und drohte mit seinem eigenen
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Rücktritt aus dem Kabinett, wenn die Sozialisten auf ihrer Forderung
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beständen. Indessen war die Aufregung der Volksmassen so groß,
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daß er sich - wenigstens für den Moment - nicht zu widersetzen
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wagte, und ein provisorisches Direktorium von fünf der bisherigen Minister,
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mit Kerenski an der Spitze übernahm die Macht bis zur endgültigen
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Regelung der Frage. Die Kornilow - Affäre hatte alle sozialistischen
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gruppen, von den Gemäßigten bis zu den Revolutionären, in
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einem leidenschaftlichen Impuls der Selbstverteidigung zusammengeführt.
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Es galt, das Auftauchen neuer Kornilows zu verhindern. Eine neue Regierung
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mußte gebildet werden, die den der Revolution ergebenen Elementen
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verantwortlich war. So forderte denn das Zentralexekutivkomitee der Sowjets
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die Organisationen auf, Delegierte zu einer ÆDemokratischen Beratung"
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zu entsenden, die im September in Petrograd zusammentreten sollte. Im
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Zentralexekutivkomitee der Sowjets hatten sich von vornherein drei Richtungen
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bemerkbar gemacht. Die Bolschewiki forderten die Einberufung eines neuen
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(zweiten) Gesamtrussischen Sowjetkongresses und die Übernahme der Macht
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durch die Sowjets. Das von Tschernow geführte Zentrum der
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Sozialrevolutionäre, die linken Sozialrevolutionäre unter Führung
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von Kamkow und Spiridowna, die Menschewiki - Internationalisten unter Martow
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und das Zentrum der Menschewiki, dessen Sprecher Bogdanow und Skobelew waren,
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traten für eine Ærein sozialistische" Regierung ein. Zereteli,
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Dan und Liber, die Führer der rechten Menschewiki, und die rechten
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Sozialrevolutionäre unter Awxentjew und Goz bestanden auf der Hinzuziehung
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der besitzenden Klassen bei der Bildung der neuen Regierung. Im Petrograder
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Sowjet gelang es den Bolschewiki fast sofort, die Mehrheit zu gewinnen. Dem
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Beispiel Petrograds folgten schnell die Sowjets in Moskau, Kiew, Odessa und
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anderen Städten. Aufs höchste bestürzt, kamen die das
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Zentralexekutivkomitee der Sowjets beherrschenden Menschewiki zu der
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Schlußfolgerung, daß die Gefahr Lenin mehr zu fürchten sei
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als die Gefahr Kornilow. Sie revidierten den für die Demokratische Beratung
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aufgestellten Vertretungsmodus, indem sie den Genossenschaften und
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ähnlichen konservativen Organisationen eine größere Anzahl
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von Delegierten zusprachen. Selbst diese gesiebte Versammlung stimmte zuerst
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für eine Koalitionsregierung ohne die Kadetten. Nur Kerenskis offen
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Drohung mit dem Rücktritt und das Alarmgeschrei der
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Ægemäßigten" Sozialisten, daß Ædie Republik
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in Gefahr sei" , erreichten, daß die Beratung mit einer geringen Mehrheit
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sich zugunsten der Koalition mit der Bourgeoisie aussprach und der Errichtung
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einer Art beratenden Parlaments, ohne gesetzgebende Gewalt, zustimmte, das
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den Namen ÆProvisorische Rat der Russischen Republik" erhielt. Die
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neue Regierung wurde praktisch von den besitzenden Klassen beherrscht, und
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auch in dem neugeschaffenen Rat der Russischen Republik hatten diese eine
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verhältnismäßig große Zahl von Sitzen inne. Das
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Zentralexekutivkomitee der Sowjets hatte faktisch aufgehört, die einfachen
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Menschen in den Sowjets zu vertreten. Es weigerte sich, den im September
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fälligen neuen Gesamtrussischen Sowjetkongreß einzuberufen, und
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war auch nicht gewillt, seine Einberufung durch andere zu dulden. Das offizielle
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Organ des Komitees. ÆIswestija", begann sogar anzudeuten, daß
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die Funktion der Sowjets beendet und ihre baldige Auflösung zu erwarten
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sei. Zur selben Zeit bezeichnete die neue Regierung als einen wesentlichen
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Teil ihrer Politik die Liquidierung aller Æunverantwortlichen
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Organisationen", womit die Sowjets gemeint waren. Die Bolschewiki antworteten
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hierauf mit der Aufforderung an die Gesamtrussischen Sowjets, sich am 2.
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November in Petrograd zu versammeln und die Rgeierungsgewalt zu übernehmen.
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Gleichzeitig zogen sie ihre Vertreter aus dem Provisorischen Rat der Russischen
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Republik zurück mit der Erklärung, daß sie es ablehnten,
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an einer ÆRegierung des Volksverrats" teilzunehmen. Der Rücktritt
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der Bolschewiki ließ den unglückseligen Rat jedoch keineswegs
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zur Ruhe kommen. Die besitzenden Klassen, wider im Besitz einer Machtposition,
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wurden arrogant. Die Kadetten erklärten, daß die Regierung nicht
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berechtigt gewesen sei, Rußland zu einer Republik zu proklamieren.
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Sie forderten strenge Maßnahmen in Armee und Flotte zur Unterdrückung
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der Soldaten- und Matrosenkomitees und griffen die Sowjets heftig an. Auf
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der anderen Seite traten die Menschewiki - Internationalisten und die linken
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Sozialrevolutionäre für den sofortigen Friedensschluß ein,
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für die Übergabe des Landes an die Bauern und für die
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Durchführung der Arbeiterkontrolle über die Industrie, was praktisch
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auf das Programm der Bolschewiki hinauslief. Ich habe Martows Antwortrede
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an die Kadetten gehört. Todkrank, wie er war, hielt er sich mit Mühe
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am Rednerpult aufrecht, und mit einer Stimme, so heiser, daß man ihn
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kaum zu hören vermochte, drohte er nach den rechten Bänken
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hinüber: ÆIhr schimpft uns Defätisten; aber die wahren
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Defätisten sind jene, die um ihrer egoistischen Interessen willen den
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Friedensschluß so lange hinauszögern möchten, bis von der
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russischen Armee nichts mehr übriggeblieben sein wird und Rußland
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nur noch ein Schacherobjekt der verschiedenen imperialistischen Gruppen ist......
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Ihr versucht, dem russischen Volk eine von den Interessen der Bourgeoisie
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diktierte Politik aufzuzwingen. Die Frage des Friedens sollte unverzüglich
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entschieden werden.... Ihr werdet dann sehen, daß sie nicht umsonst
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gearbeitet haben, jene, die ihr deutsche Agenten nennt, jene Zimmerwaldler,
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die in allen Ländern dafür gewirkt haben, daß das
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Bewußtsein der demokratischen Massen erwacht...."
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<P>
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Zwischen diesen beiden Gruppen schwankten die Menschewiki und
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Sozialrevolutionäre - mit unwiderstehlicher Gewalt nach links getrieben
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durch den Druck der steigenden Unzufriedenheit der Massen. Eine tiefgehende
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Feindschaft teilte so den Rat in Gruppen, die miteinander auszusöhnen
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unmöglich war. So war die Lage, als die lang erwartete Ankündigung
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der Pariser Alliiertenkonferenz die brennende Frage der Außenpolitik
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auf die Tagesordnung setzte. In der Theorie waren alle sozialistischen Parteien
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für den schnellstmöglichen Friedensschluß auf demokratischer
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Grundlage. Schon im Mai 1917 hatte der Petrograder Sowjet, damals noch unter
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menschewistischer und sozialrevolutionärer Führung, die berühmten
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russischen Friedensbedingungen proklamiert und die Alliierten aufgefordert,
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eine Konferenz zur Besprechung der Kriegsziele einzuberufen. Diese Konferenz,
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für den August versprochen, wurde ein erstes Mal bis zum September,
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dann bis zum Oktober vertagt und sollte jetzt endgültig am 10. November
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stattfinden. Die Provisorische Regierung hatte zwei Vertreter vorgeschlagen,
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den General Alexejew, einen reaktionären Militär, und Tereschtschenko,
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den Minister des Auswärtigen. Die Sowjets erwählten Skobelew zu
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ihrem Sprecher und entwarfen ein Manifest, den berühmten ÆNakas"
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(Direktiven). Die Provisorische Regierung lehnte Skobelew und seinen
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ÆNakas" ab. Die Gesandten der Alliierten protestierten, und zu guter
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Letzt erklärte Bonar Law im englischen Unterhaus in Beantwortung einer
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an die Regierung gerichteten Anfrage kühl: ÆSoweit mir bekannt,
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wird die Pariser Konferenz die Kriegsziele überhaupt nicht diskutieren,
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sondern nur die >Methoden der Kriegsführung....." Die konservative
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russische Presse jubelte, wohingegen die Bolschewiki riefen: ÆDa seht
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ihr, wohin die Menschewiki und Sozialrevolutionäre mit ihrer
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Kompromißtaktik gelangt sind!"
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Mittlerweile waren an der Tausende Kilometer weiten Front die Millionen Soldaten
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der russischen Armee in Bewegung geraten. Höher und höher gingen
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die Wogen der Erregung, immer neue Delegationen fluteten in die Hauptstadt
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mit dem Ruf. Friede, Friede! Ich ging eines Abends nach dem jenseits des
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Flusses gelegenen Zirkus ÆModern" in eine der großen
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Volksversammlungen, die, jeden Abend zahlreicher, in der ganzen Stadt
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veranstaltet wurden. In dem schmucklosen Amphitheater, von fünf winzigen,
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an einem dünnen Draht hängenden Glühlampen unzureichend
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erleuchtet, drängten sich von der Arena bis hoch unterm Dach
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unübersehbare Massen von Soldaten, Matrosen, Arbeitern und Frauen, alle
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mit gespanntester Aufmerksamkeit lauschend, als ob es um ihr Leben ginge.
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Ein Soldat redete von der 548. Division: ÆGenossen" rief er, und tiefe
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Sorge sprach aus seinem eingefallenen Gesicht und seinen verzweifelten Gesten.
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ÆDie an der Spitze verlangen von uns immer neue Opfer und Opfer, aber
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wir müssen sehen, daß die, die im Besitze sind, völlig
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ungeschoren bleiben. Wir führen Krieg gegen die Deutschen. Würde
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es uns einfallen, die Arbeiten unseres Stabes deutschen Generalen anzuvertrauen?
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Wir stehen auch mit den Kapitalisten im Kriege, und doch laden wir diese
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ein, an unserer Regierung teilzunehmen. Der Soldat sagt: ;Zeigt mir, wofür
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ich kämpfen soll. Für Konstantinopel oder für ein freies
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Rußland? Für die Demokratie oder für die kapitalistischen
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Räuber? Wenn man mir beweisen kann, daß ich die Revolution verteidige,
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dann werde ich hingehen und kämpfen, auch ohne die Todesstrafe, mit
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der man mich zwingen will.' Wenn das Land den Bauern gehören wird, die
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Fabriken den Arbeitern, wenn die Sowjets die Macht ausüben werden, dann
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haben wir etwas zu verteidigen und dann werden wir auch kämpfen!"
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<P>
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Überall in den Kasernen, in den Fabriken, an jeder Straßenecke
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reden Soldaten zu den Massen. Alle fordern die Beendigung des Krieges und
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erklären, daß die Truppen die Schützengräben zu verlassen
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und nach Hause zu gehen entschlossen seien, wenn die Regierung keine ernstlichen
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Anstrengungen machen würde, zum Frieden zu gelangen.
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<P>
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Ein Vertreter der Achten Armee: ÆWir sind schwach, unsere Kompanien
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zählen nur noch wenige Mann. Wir brauchen Lebensmittel und Stiefel und
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Verstärkung, oder die Schützengräben werden bald verlassen
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sein. Frieden oder Verstärkung..... Die Regierung muß den Krieg
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beendigen oder der Armee zur Hilfe kommen...."
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<P>
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Dann ein Redner, der für die Sechsundvierzigste Sibirische Artillerie
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sprach: ÆDie Offiziere lehnten es ab, mit unsern Komitees zu arbeiten,
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sie verraten uns an den Feind, sie verhängen über unsere Agitatoren
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die Todesstrafe; die konterrevolutionäre Regierung unterstützt
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sie Wir glauben, daß die Revolution den Frieden bringen wird. Jetzt
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aber verbietet die Regierung, von solchen Dingen auch nur zu reden, während
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sie uns gleichzeitig hungern läßt und die Munition nicht liefert,
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die wir brauchen, wenn wir kämpfen sollen...." Dazu kamen aus Europa
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Gerüchte über einen Friedensschluß auf Kosten Rußlands.
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Die allgemeine Unzufriedenheit wurde noch gesteigert durch die Nachrichten
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über die Behandlung der russischen Truppen in Frankreich. Die 1. Brigade
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hatte dort versucht, ihre Offiziere durch Soldatenkomitees zu ersetzen, wie
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das ihre Kameraden zu Hause getan hatten, und sich geweigert, einem Befehl
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Folge zu leisten, der sie nach Saloniki beorderte. Sie verlangte, nach
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Rußland geschickt zu werden. Man hatte die Brigade daraufhin eingeschlossen
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und ausgehungert, dann unter Artilleriefeuer genommen, wobei viele Soldaten
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getötet wurden. Am 29. Oktober hörte ich in dem weißmarmornen,
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rotdekorierten Saal des Marienpalastes die von dem erschöpften und nach
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Frieden lechzenden Lande mit Ungeduld erwartete Erklärung Tereschtschenkos
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über die Außenpolitik der Regierung. Diese äußerst
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sorgfältig vorbereitete, ganz unverbindliche Rede brachte indessen nichts
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als die sattsam bekannten Phrasen über die Zerschmetterung des deutschen
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Militarismus mit Hilfe der Alliierten, über das Staatsinteresse
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Rußlands, über die durch Skobelews ÆNakas" verursachten
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Verlegenheiten. Der Schluß war bezeichnend: ÆRußland ist
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mächtig , es wird mächtig bleiben, was auch geschehen mag. Wir
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müssen Rußland verteidigen. Wir müssen zeigen, daß
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wir die Vorkämpfer eines großen Ideals sind und Kinder einer
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großen Nation." Befriedigt war niemand. Den Reaktionären war es
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um eine starke imperialistische Politik zu tun, und die demokratischen Parteien
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wollten die Garantie haben, daß die Regierung nichts unversucht lassen
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würde, um zum Frieden zu gelangen. Hier ein Artikel aus ÆRabotschi
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i Soldat" (Arbeiter und Soldat), dem Organ des bolschewistischen Petrograder
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Sowjets:
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<P>
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ÆW a s d i e R e g i e r u n g d e n S c h ü t z e n g r ä
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b e n z u s a g e n h a t !
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<P>
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Der schweigsamste unserer Minister, Herr Tereschtschenko, hat endlich die
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Sprache gefunden, um den Schützengräben das Folgende mitzuteilen:
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<P>
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1. Wir sind auf das engste verbündet mut unseren Alliierten (nicht mit
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den Völkern, sondern mit den Regierungen).
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2. Es ist zwecklos für die Demokratie, die Möglichkeit oder
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Unmöglichkeit eines Winterfeldzuges zu diskutieren. Darüber entscheiden
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die Regierungen unserer Verbündeten.<I></I>
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<I></I>3. Die Julioffensive war nützlich, und sie war eine sehr
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glückliche Sache. (Kein Wort über die Folgen!) <I></I>
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<P>
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<I></I>4. Es ist nicht wahr, daß sich unsere Verbündeten nicht
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um uns sorgen. Der Minister ist im Besitz sehr wichtiger Erklärungen.
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(Erklärungen? Wie ist`s mit den Taten? Das Verhalten der britischen
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Flotte? Die Unterredung des englischen Königs mit dem landesflüchtigen
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konterrevolutionären General Gurko? Alles dies ließ der Minister
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unerwähnt.)<I></I>
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<P>
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<I></I>5. Der Nakas Skobelews taugt nichts; unsere Verbündeten wollen
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davon nichts wissen, auch die russischen Diplomaten wollen ihn nicht. In
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der Alliiertenkonferenz müssen alle eine Sprache sprechen.<I></I>
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<P>
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<I></I>6. Und das ist alles? - Das ist alles. Wo ist der Ausweg? - Vertrauen
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zu den Alliierten und zu Tereschtschenko! Wann wird der Friede kommen? -
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Wenn die Alliierten es erlauben! Das ist die Antwort der Regierung auf die
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Frage der Schützengräben nach dem Frieden."<I></I>
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<P>
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<I></I>
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<P>
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Da tauchte - vorläufig noch in unklaren umrissen - im Hintergrunde der
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russischen Politik eine gefährliche Macht auf: die Kosaken. ÆNowaja
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Shisn" (Neues Leben), die Zeitung Gorkis, machte auf ihre Tätigkeit
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aufmerksam: ÆZu Beginn der Revolution weigerten sich die Kosaken, auf
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das Volk zu schießen. Als Kornilow auf Petrograd marschierte, folgten
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sie ihm nicht. In der letzten Zeit hat sich ihre Rolle etwas geändert.
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Von der passiven Loyalität zur Revolution sind sie zu einer aktiven
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politische Offensive (gegen sie ) übergegangen...." Kaledin, der Ataman
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der Donkosaken, von der Provisorischen Regierung wegen seiner Beteiligung
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an dem Kornilowabenteuer seines Postens enthoben, weigerte sich zu gehen,
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und von drei riesigen Armeen umgeben, lagerte er intrigierend und drohend
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bei Nowotscherkassk. So groß war seine Macht, daß die Regierung
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seiner Gehorsamsverweigerung gegenüber die Augen verschließen
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mußte. Ja, mehr als das, sie sah sich gezwungen, den Rat des Verbandes
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der Kosakenarmee anzuerkennen und die neugebildeten Kosakensektionen der
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Sowjets für ungesetzlich zu erklären. In der ersten Oktoberhälfte
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erschien eine Kosakendelegation bei Kerenski, die in arrogantem Ton die
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Niederschlagung der gegen Kaledin gerichteten Anklagen forderte und dem
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Ministerpräsidenten den Vorwurf machte, zu nachgiebig gegenüber
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den Sowjets gewesen zu sein. Kerenski erklärte sich bereit, Kaledin
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ungeschoren zu lassen. Außerdem soll er sich wie folgt geäußert
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|
haben : ÆIn den Augen der Sowjetführer bin ich ein Despot und
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Tyrann....Die Provisorische Regierung hängt nicht nur nicht von den
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|
Sowjets ab, sie bedauert im Gegenteil, daß diese überhaupt
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existieren." Gleichzeitig erschien eine andere Kosakenabordnung bei dem
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englischen Gesandten und hatte die Kühnheit, mit ihm als Vertreter des
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|
Æfreien Kosakenvolkes" zu verhandeln. Im Dongebiet war eine Art
|
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|
Kosakenrepublik gebildet worden. Das Kubangebiet proklamierte sich als
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|
unabhängiger Kosakenstaat. Die Sowjets von Rostow am Don und Jekaterinenburg
|
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|
waren von bewaffneten Kosaken auseinandergejagt und der Hauptsitz des
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||
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Bergarbeiterverbandes in Charkow überfallen worden. In allen diesen
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||
|
Manifestationen zeigte die Kosakenbewegung ihren antisozialistischen und
|
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|
militaristischen Charakter. Ihre Führer waren Adlige und große
|
||
|
Grundbesitzer von der Art Kaledins, Kornilows, des Generals Dutow, Karaulows
|
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|
und Bardishis, sie hatten die Unterstützung der mächtigen Kaufleute
|
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|
und Bankiers Moskaus....
|
||
|
<P>
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|
Das alte Rußland begann mit großer Schnelligkeit auseinanderzufallen.
|
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|
In Finnland, in Polen, in der Ukraine und Weißrußland wuchsen
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|
die nationalistischen Bewegungen und wurden kühner. Die unter dem
|
||
|
Einfluß der besitzenden Klassen stehenden lokalen Regierungen forderten
|
||
|
Autonomie und weigerten sich, den Anordnungen Petrograds Folge zu leisten.
|
||
|
In Helsingfors lehnte das finnische Parlament es ab, der Provisorischen Regierung
|
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|
Geld zu leihen, proklamierte die Selbstständigkeit Finnlands und verlangte
|
||
|
die Zurückziehung der russischen Truppen. Die bürgerliche Rada
|
||
|
in Kiew zog die Grenzen der Ukraine so weit, daß sie die reichsten
|
||
|
Agrargebiete Südrußlands, östlich bis zum Ural hin,
|
||
|
umfaßten, und begann mit der Aufstellung einer eigenen Armee. Ihr
|
||
|
Ministerpräsident Winnitschenko arbeitete auf einen Sonderfrieden Mit
|
||
|
Deutschland hin, und die Provisorische Regierung war hilflos. Sibirien und
|
||
|
der Kaukasus forderten ihre besonderen konstituierenden Versammlungen, und
|
||
|
in allen diesen Ländern begann ein verzweifelter Kampf zwischen den
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||
|
Regierungen und den Lokalen Sowjets der Arbeiter- und Soldatendeputierten.
|
||
|
Die Verwirrung wurde mit jedem Tag größer. Die Soldaten desertierten
|
||
|
zu Hunderttausenden und begannen in ungeheuren Wellen plan- und ziellos
|
||
|
über das Land zu fluten. Die Bauern der Gouvernements Tambow und Twer,
|
||
|
des langen Wartens auf das ihnen versprochene Land müde und durch die
|
||
|
Gewaltmaßregeln der Regierung in Verzweiflung gebracht, brannten die
|
||
|
Gutshäuser nieder und massakrierten die Gutsbesitzer. In Moskau, Odessa
|
||
|
und in den Kohlebergwerken des Donezbeckens mächtige Streiks und
|
||
|
Aussperrungen. Der Transport war lahmgelegt, die Armee hungerte, und in den
|
||
|
großen Städten gab es kein Brot. Die Regierung, hin- und hergerissen
|
||
|
zwischen den reaktionären und demokratischen Parteien, konnte nichts
|
||
|
tun, und wo sie gezwungenermaßen eingriff, geschah es stets im Interesse
|
||
|
der besitzenden Klassen. Sie bot die Kosaken auf, um die Bauern zur Räson
|
||
|
zu bringen und die Streiks niederzuschlagen. In Taschkent unterdrückten
|
||
|
die Behörden den Sowjet. In Petrograd hatte sich der Wirtschaftsrat,
|
||
|
dessen Aufgabe es sein sollte, das Wirtschaftsleben des Landes
|
||
|
wiederherzustellen, zwischen den feindlichen Kräften von Kapital und
|
||
|
Arbeit festgefahren und wurde von Kerenski aufgelöst. Die Militärs
|
||
|
des alten Regimes, die von den Kadetten gestürzt wurden, forderten strenge
|
||
|
Maßnahmen, um die Disziplin in Armee und Flotte wiederherzustellen.
|
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Umsonst wiesen der Marineminister, Admiral Werderewski, und der Kriegsminister,
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General Werchowski, darauf hin, daß nur neue, freiwillige, auf der
|
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|
Zusammenarbeit mit den Soldaten- und Matrosenkomitees basierende demokratische
|
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|
Disziplin die Armee und die Flotte retten könnte. Ihre Vorschläge
|
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wurden nicht beachtet. Die Reaktion war offenbar darauf aus, die Volksmassen
|
||
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zu provozieren. Der Kornilow - Prozeß rückte näher und
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||
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näher; immer unverhüllter nahm die bürgerliche Presse für
|
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den General Partei. Sie sprach von ihm als von dem Ægroßen russischen
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Patrioten". Burzews Zeitung ÆObschtscheje Delo" (Die gemeinsame Sache)
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erhob offen den Ruf nach einer Diktatur ÆKornilow - Kaledin - Kerenski".Mit
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Burzew, einem kleinen, gebückt gehenden Mann mit einem Gesicht voller
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Runzeln und kurzsichtigen Augen hinter dicken Brillengläsern, struppigem
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Haar und ergrautem Bart, hatte ich eines Tages eine Unterredung in der
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Pressegalerie des Rates der Republik. ÆHören Sie mir zu, junger
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Mann! Was Rußland braucht ist ein starker Mann. Wir sollten unser Denken
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endlich von der Revolution frei machen und auf die Deutschen konzentrieren.
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Politische Pfuscher haben Kornilow gestürzt; aber hinter diesen Pfuschern
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stehen deutsche Agenten. Ah! Kornilow hätte gewinnen sollen....."
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Auf der Äußersten Rechten traten die Organe der kaum verhüllten
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Monarchisten, Purischkewitschs ÆNarodny Tribun" (Der Volkstribun) ,
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ÆNowaja Rus" (Das neue Rußland), ÆShiwoje Slowo" (Lebendiges
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Wort), offen für die Ausrottung der revolutionären Demokratie ein.
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Am 23. Oktober fand im Golf von Riga eine Seeschlacht mit einem deutschen
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Geschwader statt. Unter dem Vorwand, daß Petrograd in Gefahr sei, bereitete
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die Regierung die Räumung Petrograds vor. Zuerst sollten die großen
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Munitionswerke verlegt und über das ganze Rußland verteilt werden;
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dann wollte die Regierung selbst nach Moskau gehen. Die Bolschewiki wiesen
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sofort darauf hin, daß die Regierung die rote Hauptstadt nur preisgebe,
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um die Revolution zu schwächen. Man hatte Riga an die Deutschen verkauft;
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jetzt sollte Petrograd verraten werden! Die bürgerliche Presse jubelte.
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ÆIn Moskau", so erklärte das Kadettenblatt ÆRetsch" (Die
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Rede), Æwird die Regierung in einer ruhigeren Atmosphäre arbeiten
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können, ohne fortwährend von Anarchisten gestört zu werden."
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Rodsjanko, der Führer des rechten Flügels der Kadetten, erklärte
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in ÆUtro Rossii" (Rußlands Morgen), daß die Einnahme Petrograds
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durch die Deutschen ein Segen Wäre, da diese die Sowjets zerstören
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und die revolutionäre Baltische Flotte erledigen würden.
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ÆPetrograd ist in Gefahr", schrieb er. ÆIch sage mir,
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´überlassen wir Petrograd unserem Herrgott`. Sie fürchten,
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wenn Petrograd verloren ist, dann werden auch die zentralen revolutionären
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Organisationen vernichtet werden. Dazu sage ich, daß ich
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überglücklich sein werde, wenn all diese Organisationen vernichtet
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sind; denn sie werden nichts als Unglück über Rußland
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bringen....Mit dem Fall Petrograds wird auch die Baltische Flotte vernichtet
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werden......Aber das braucht uns nicht leid zu tun; die meisten Kriegsschiffe
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sind ohnehin völlig demoralisiert...."
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<P>
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Angesichts des Protestes der Volksmassen mußte die Regierung ihren
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Plan, Petrograd zu verlassen, jedoch aufgeben. Währenddem hing, einer
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von Blitzen durchzuckten Gewitterwolke gleich, drohend über Rußland
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der Kongreß der Sowjets, bekämpft nicht nur von der Regierung,
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sondern auch von allen Ægemäßigten" Sozialisten. Die zentralen
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Armee- und Flottenkomitees, die Zentralkomitees einiger Gewerkschaften, die
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Bauernsowjets, vor allem aber das Zentralexekutivkomitee der Sowjets selbst
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sparten keine Mühe, um das Zustandekommen des Kongresses zu verhindern.
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Die Zeitungen ÆIswestija" und ÆGolos Soldata" ( Die Stimme des
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Soldaten), ursprünglich von dem Petrograder Sowjet gegründet, aber
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jetzt im Besitz des Zentralexekutivkomitees der Sowjets, griffen ihn heftig
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an; die gesamte sozialrevolutionäre Presse, ÆDelo Naroda" (Die
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Sache des Volkes) und ÆWolja Naroda" (Volkswille, entfesselten ein
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wahres Trommelfeuer gegen ihn. Der Telegraf arbeitete, Delegierte wurden
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im Land umhergeschickt, mit Anweisungen für die Komitees der lokalen
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Sowjets, für die Armeekomitees, die Wahlen für den Kongreß
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einzustellen oder zu verzögern. Feierliche öffentliche Resolutionen
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gegen den Kongreß wurden gefaßt, Erklärungen, daß
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die demokratischen Elemente sich der Abhaltung des Kongresses so unmittelbar
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vor dem Zusammentritt der Konstituierenden Versammlung widersetzten; Vertreter
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der Frontsoldaten, der Semstwoverbände, der Bauern, des Verbandes der
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Kosakenarmeen, des Offiziersbundes, der ÆRitter des heiligen Georg",
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der ÆTodesbataillone" - alle waren sie vereinigt in einem einzigen
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großen Protest.......Im Rat der Russischen Republik gab es nicht eine
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Stimme, die sich für den Kongreß einsetzte. Der ganze, von der
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russischen Märzrevolution geschaffene Apparat funktionierte, um die
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Abhaltung des Sowjetkongresses zu verhindern. Demgegenüber stand der
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vorläufig noch formlose Wille des Proletariats - der Arbeiter, einfachen
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Soldaten und armen Bauern. Viele der lokalen Sowjets waren bereits
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bolschewistisch; daneben bestanden die Organisationen der Industriearbeiter,
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die Fabrikkomitees, und die revolutionären Organisationen der Armee
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und Flotte. In einigen Orten hielten die Massen, an der regulären Wahl
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ihrer Sowjetdelegierten verhindert, Rumpfversammlungen ab, in denen sie aus
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ihrer Mitte heraus einen bestimmten, der nach Petrograd zu gehen hatte. In
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anderen jagten sie die alten, Obstruktion treibenden Komitees auseinander
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und bildeten neue. Die Kruste, die sich an der Oberfläche der seit Monaten
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schlummernden revolutionären Glut gebildet hatte, kam in Bewegung und
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begann bedenklich zu krachen. Nur eine solche spontane Massenbewegung konnte
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den Gesamtrussischen Sowjetkongreß bringen. Und die bolschewistischen
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Redner schleuderten Tag für Tag in allen Kasernen und Fabriken die
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heftigsten anklagen gegen die ÆRegierung des Bürgerkrieges". Eines
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Sonntags fuhren wir auf einem über Ozeane von Schmutz rumpelnden
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ungefügen Straßenbahnwagen, an steif dastehenden Fabriken und
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riesigen Kirchen vorbei, zum Obuchow - Werk, einer staatlichen Munitionsfabrik
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jenseits des Schlüsselburg - Prospekts. Die Versammlung fand zwischen
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den ungeputzten Mauern eines mächtigen, im Bau unterbrochenen Hauses
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statt. Wohl an die Zehntausend dunkelgekleidete Männer und Frauen
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drängten sich um eine rotdrapierte Tribüne, saßen auf Balken
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oder Steinhaufen oder thronten auf hohen Gerüsten, voll grimmiger
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Entschlossenheit und ihren Willen mit Donnerstimme hinausschreiend. Durch
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den trüben, wolkenschweren Himmel brach dann und wann die Sonne und
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goß durch die leeren Fensteröffnungen einen rötlichen Schimmer
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über die zu uns aufgekehrten einfachen Gesichter. Lunatscharski, eine
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schmächtige, studentenhafte Erscheinung mit einem sensitiven
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Künstlerantlitz, setzte auseinander, warum die Sowjets unter allen
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Umständen die Macht übernehmen müßten. Niemand anders
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könnte die Revolution gegen ihre Feinden schützen, die mit Vorbedacht
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das Land und die Armee zugrunde richteten und einem neuen Kornilow das Feld
|
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bereiteten. Ein Soldat sprach, von der rumänischen Front, abgemagert,
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voll bebender Leidenschaft: ÆGenossen, wir hungern an der Front, wir
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frieren, wir sterben und wissen nicht wofür. Ich bitte die amerikanischen
|
||
|
Genossen, es in Amerika zu sagen, daß wir Russen unsere Revolution
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bis zum Tode verteidigen werden. Wir werden alles daran halten, unsere Feste
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zu halten, bis die Massen der ganzen Welt sich erheben werden, um uns zu
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Hilfe zu eilen. Sagt den amerikanischen Arbeitern, daß sie aufstehen
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mögen zum Kampf für die soziale Revolution!"
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<P>
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Petrowski redete, hart, unerbittlich:
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<P>
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ÆJetzt ist keine Zeit für Worte, jetzt muß gehandelt werden.
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Die ökonomische Situation ist schlecht, aber wir müssen uns daran
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gewöhnen. Sie versuchen uns auszuhungern, im Frost umkommen zu lassen.
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Sie wollen uns provozieren. Aber sie sollen wissen, daß sie darin zu
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weit gehen können - daß, wenn sie es wagen sollte, an die
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Organisationen des Proletariats zu rühren, wir sie vom Antlitz der Erde
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|
wegfegen werden!"
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<P>
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Die bolschewistische Presse wuchs plötzlich an. Neben den zwei
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Parteizeitungen ÆRabotschi Put" und ÆSoldat" erschien eine neue
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Zeitung für die Bauern, ÆDerewenskaja Bednota" (Die Dorfarmut),
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die in eine Auflage von einer halben Million herauskam, und am 17. Oktober
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ÆRabotschi i Soldat". Dessen Leitartikel faßte den bolschewistischen
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Standpunkt wie folgt zusammen:
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<P>
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ÆEin viertes Kriegsjahr wird die Vernichtung der Armee und des Landes
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bedeuten.....Petrograd ist bedroht......Die Konterrevolution freut sich
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über das Unglück des Volkes.....Die zur Verzweiflung gebrachten
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Bauern gehen zum offenen Aufstand über; die Großgrundbesitzer
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und die Regierungsbehörden schicken blutige Strafexpeditionen gegen
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sie aus; Betriebe werden geschlossen, den Arbeiter droht der Hungertod.....Die
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Bourgeoisie und ihre Generale wollen eine blinde Disziplin in der Armee
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wiederherstellen.....Von der Bourgeoisie unterstützt, bereiten sich
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die Kornilowleute offen darauf vor, den Zusammentritt der Konstituierenden
|
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Versammlung zu verhindern.....Die Kerenskiregierung ist gegen das Volk. Sie
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wird das Land zugrunde richten......Wir stehen auf seiten des Volkes und
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bei dem Volk - bei den besitzlosen Klassen, den Arbeitern, Soldaten und Bauern.
|
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Das Volk kann nur durch die Vollendung der Revolution gerettet werden....Und
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|
zu diesem Zweck muß die gesamte Macht in die Hände der Sowjets
|
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übergehen.....Wir treten für folgende Forderungen ein:
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<P>
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Alle Macht den Sowjets, in der Hauptstadt sowohl wie in der Provinz.
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<P>
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Sofortiger Waffenstillstand an allen Fronten. Ein ehrlicher Friede zwischen
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den Völkern.
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<P>
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Die großen Güter - ohne Entschädigung - in die Hände
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der Bauern.
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<P>
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Kontrolle der Arbeiter über die industrielle Produktion.
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<P>
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Eine auf ehrliche Weise gewählte Konstituierende Versammlung.
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<P>
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Hier noch eine interessante Stelle aus demselben Organ der Bolschewiki, die
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in der ganzen Welt als deutsche Agenten bezeichnet wurden:
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<P>
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"Der deutsche Kaiser, an dessen Händen das Blut von Millionen Gefallener
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klebt, will seine Armee gegen Petrograd schicken. Man muß an die deutschen
|
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|
Arbeiter appellieren, an die Soldaten und Bauern, die den Frieden nicht weniger
|
||
|
wünschen als wir, daß sie aufstehen mögen gegen diesen verdammten
|
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|
Krieg! Das kann jedoch nur eine revolutionäre Regierung tun, die wirklich
|
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|
im Namen der Arbeiter, Soldaten und Bauern Rußlands spricht, die über
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||
|
die Köpfe der Diplomaten hinweg sich direkt an die deutschen Truppen
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|
wendet, die die deutschen Schützengräben mit Proklamationen in
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deutscher Sprache überschwemmen würde....Unsere Flieger würden
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diese Proklamationen in ganz Deutschland abwerfen...."
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<P>
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Im Rat der Russischen Republik vertiefte sich der Riß mit jedem Tage
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|
mehr. ÆDie besitzenden Klassen", erklärte Karelin für die
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linken Sozialrevolutionäre, Æsind bestrebt , den revolutionären
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Staatsapparat auszunützen, um Rußland an den Kriegswagen der
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Alliierten zu binden. Die revolutionären Parteien sind entschiedene
|
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|
Gegner dieser Politik...." Der alte Nikolai Tschaikowski, der Vertreter der
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Volkssozialisten, sprach gegen die Übergabe des Landes an die Bauern
|
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und stellte sich auf die Seite der Kadetten:
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<P>
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ÆIn der Armee muß sofort die straffeste Disziplin hergestellt
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werden......Ich habe seit dem Beginn des Krieges nicht aufgehört zu
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erklären, daß ich es als ein Verbrechen betrachte, soziale und
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wirtschaftliche Reformen durchzuführen, solange der Krieg währt.
|
||
|
Wir begehen jetzt dieses Verbrechen. Trotzdem bin ich kein Gegner dieser
|
||
|
Reformen; denn ich bin Sozialist."
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<P>
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Von links antworten ihm heftige Zurufe: ÆWir glauben Ihnen nicht."
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|
Rechts findet er mächtigen Beifall. Für die Kadetten erklärte
|
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Adshemow, daß es nicht notwendig sei, den Soldaten zu sagen, wofür
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sie kämpften, da jeder Soldat wissen müsse, daß es vor allem
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darauf ankomme, die Feinde Rußlands aus dem Land zu jagen. Kerenski
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selber erschien zweimal, um einen leidenschaftlichen Appell für die
|
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|
nationale Einheit an die Kammer zu richten, einmal sogar am Schlusse seiner
|
||
|
Rede in Tränen ausbrechend. Er wurde mit Eiseskälte angehört
|
||
|
und oft durch ironische Zwischenrufe unterbrochen.
|
||
|
<P>
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Das Smolny - Institut, der Hauptsitz des Zentralexekutivkomitees der Sowjets
|
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und des Petrograder Sowjets, lag einige Kilometer außerhalb der Stadt,
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am Ufer der mächtigen Newa. Ich fuhr dorthin in einer Art Omnibus, der
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in schneckengleichem Tempo und knarrend über das miserable und schmutzige
|
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Pflaster der kolossal belebten Straße holperte. Am Ende des Weges erhob
|
||
|
sich in wunderbarer Grazie die rauchblaue, mit mattem Gold verzierte Kuppel
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des Smolny - Klosters; daneben die an eine Kaserne erinnernde Fassade des
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Smolny - Instituts, sechshundert Fuß lang und drei mächtige Stockwerk
|
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hoch, über dem Eingang immer noch riesengroß das in Stein gehauene
|
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kaiserliche Wappen. Unter dem alten Regime eine berühmte Klosterschule
|
||
|
für die Töchter des russischen Adels und unter dem Patronat der
|
||
|
Zarin selber stehend, wurde das Institut nach der Umwälzung von den
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||
|
revolutionären Organisationen der Arbeiter und Soldaten übernommen.
|
||
|
In seinem Innern befinden sich über hundert große Zimmer, weiß
|
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|
und schmucklos. Kleine weiße Emailleschildchen weisen den
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Vorübergehenden darauf hin, welcher Bestimmung einst die einzelnen Zimmer
|
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dienten. ÆDamenklassenzimmer Nr. 4", lese ich, oder ÆBüro
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für das Lehrpersonal" usw. Darüber aber hängen mit ungeschickten
|
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Schriftzeichen Tafeln, die Merkmale der neuen Ordnung: ÆExekutivkomitee
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des Petrograder Sowjets", ÆZentralexekutivkomitee der Sowjets" und
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ÆBüro des Auswärtigen", ÆVerband sozialistischer Soldaten",
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ÆZentralrat der Gesamtrussischen Gewerkschaften", ÆFabrikkomitees",
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ÆZentrales Armeekomitee" und das Zentralbüro und Fraktionszimmer
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||
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der politischen Parteien. In den langen, gewölbten, von wenigen elektrischen
|
||
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Birnen erhellten Korridoren geschäftig hin- und hereilende Soldaten
|
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und Arbeiter, einige tief gebeugt unter der Last riesiger Bündel Zeitungen,
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Proklamationen, Propagandaschriften aller Art; mit dem Aufklappen ihrer schweren
|
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Stiefel verursachten sie ein tiefes, unaufhörliches Getöse auf
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dem hölzernen Fußboden. Überall waren Plakate: ÆGenossen!
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Im Interesse eurer Gesundheit, achtet auf Reinlichkeit!" In jeder Etage,
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auf allen Treppenabsätzen standen lange Tische, bedeckt mit Flugschriften
|
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und Literatur der verschiedenen politischen Parteien, die zum Verkauf auslagen.
|
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Der im Erdgeschoß gelegene, sehr geräumige, aber niedrige Speisesaal
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des einstigen Klosters diente auch jetzt seinem alten Zweck. Für zwei
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Rubel kaufte ich einen Bon, der mir Anrecht auf ein Mittagessen gab, und
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schloß mich einer wohl tausend Personen langen Reihe an, um Schritt
|
||
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für Schritt den großen Serviertischen näher zu kommen, wo
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||
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zwanzig Männer und Frauen aus mächtigen Kesseln Kohlsuppe, Fleisch,
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||
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ganze Berge Kascha (Brei) und Stücke schwarzen Brotes verteilten. Für
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fünf Kopeken gab es einen Zinnbecher Tee. Einem zur Hand stehenden Korb
|
||
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entnahm man einen fettigen Holzlöffel.... An den hölzernen Tischen
|
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drängten sich auf den Bänken hungrige Proletarier, die ihr Brot
|
||
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verzehrten, diskutierten und den weiten Raum mit ihren derben Späßen
|
||
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erfüllten. In der oberen Etage war ein weiterer Eßraum für
|
||
|
das Zentralexekutivkomitee der Sowjets reserviert, wenngleich hinging, wer
|
||
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wollte. Hier gab es dick mit Butter belegtes Brot und Tee in unbeschränkten
|
||
|
Mengen. Im Südflügel befand sich in der zweiten Etage der große
|
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|
Sitzungssaal, der ehemalige Ballsaal des Instituts. Ein prächtiger,
|
||
|
ganz in weiß gehaltener Raum, von weißglasierten Leuchtern mit
|
||
|
Hunderten elektrischer Lampen erhellt und durch zwei Reihen massiver Säulen
|
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|
geteilt; an dem einen Ende eine Balustrade, von zwei hohen, vielverzweigten
|
||
|
Leuchtern flankiert, dahinter ein goldener Rahmen, aus dem man das Porträt
|
||
|
des Zaren herausgeschnitten hatte. Hier hatten bei festliche Anlässen
|
||
|
in fürstlicher Umgebung die Galauniformen und geistliche Gewänder
|
||
|
geprangt. Auf der anderen Seite des Saals befand sich das Büro der
|
||
|
Mandatsprüfungskomission für den Sowjetkongreß. Hier stand
|
||
|
ich und musterte die neuangekommenen Delegierten: bärtige Soldaten,
|
||
|
Arbeiter in schwarzen Blusen, einige wenige langhaarige Bauern. Das den Dienst
|
||
|
versehende Mädchen, ein Mitglied der Plechanowgrupee, lächelte
|
||
|
verächtlich. ÆWie verschieden sind diese Leute von den Delegierten
|
||
|
des ersten Kongresses", bemerkte sie. ÆSehen Sie nur, wie roh und unwissend
|
||
|
sie aussehen. Das sind die dunkelsten Schichten des russischen Volkes........"
|
||
|
Sie hatte recht. Rußland war bis zum Grunde aufgewühlt, und das
|
||
|
unterste war zuoberst gekehrt. Die Mandatsprüfungskomission, noch von
|
||
|
dem alten Zentralexekutivkomitee der Sowjets eingesetzt, wies einen nach
|
||
|
dem anderen die Delegierten als nicht ordnungsgemäß gewählt
|
||
|
zurück. Aber Karachin vom Zentralkomitee der Bolschewiki lächelte
|
||
|
nur: ÆUnbesorgt, wenn die Zeit herankommt, werden wir schon sehen,
|
||
|
daß ihr eure Sitze bekommt."
|
||
|
<P>
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||
|
ÆRabotschi i Soldat" schrieb: ÆDie Aufmerksamkeit der Delegierten
|
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|
zum Gesamtrussischen Kongreß sei auf die Versuche gewisser Mitglieder
|
||
|
des Organisationskomitees gelenkt, das Stattfinden des Kongresses zu
|
||
|
hintertreiben, indem sie behaupten, daß er nicht stattfinden werde
|
||
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und daß die Delegierten gut daran tun würden, Petrograd zu
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||
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verlassen.....Schenkt diesen Lügen keinen Glauben.....Große Tage
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nahen heran..."
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|
<P>
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||
|
Da es mittlerweile zweifellos war, daß der Kongreß bis zum 2.
|
||
|
November nicht vollständig beisammen sein würde, vertagte man seine
|
||
|
Eröffnung auf den 7. November. Das ganze Land war jetzt aber in Bewegung,
|
||
|
und die Menschewiki und Sozialrevolutionäre, als sie ihre Niederlage
|
||
|
erkannten, änderten plötzlich ihre Taktik und gaben ihren
|
||
|
Provinzialorganisationen telegrafische Anweisungen, soviel gemäßigte
|
||
|
sozialistische Delegierte zum Kongreß zu wählen, wie ihnen noch
|
||
|
möglich wäre. Gleichzeitig berief das Exekutivkomitee der Bauernsowjets
|
||
|
einen außerordentlichen Bauernkongreß für den 13. Dezember
|
||
|
ein, der alle eventuellen Aktionen der Arbeiter und Soldaten wieder abbiegen
|
||
|
sollte. Die Frage war: Was werden die Bolschewiki tun? Gerüchte liefen
|
||
|
um, daß sie eine bewaffnete Demonstration der Arbeiter und Soldaten
|
||
|
planten. Die bürgerliche und reaktionäre Presse sagte einen Aufstand
|
||
|
voraus und forderte von der Regierung die Verhaftung des Petrograder Sowjets
|
||
|
oder zum mindesten die Verhinderung des Kongreßzusammentritts.
|
||
|
Blätter wie ÆNowaja Rus" gingen bis zur Aufforderung zu einem
|
||
|
Bolschewistengemetzel. Gorkis Blatt ÆNowaja Shisn" war ebenso wie die
|
||
|
Bolschewiki der Meinung, daß die Reaktionäre die Revolution zunichte
|
||
|
machen wollten und daß man ihnen, falls notwendig, bewaffneten Widerstand
|
||
|
entgegensetzen müsse; alle revolutionären demokratische Parteien
|
||
|
Müßten jedoch als eine geeinte Front auftreten. ÆSolange
|
||
|
die Demokratie ihre Hauptkräfte noch nicht mobilisiert hat, solange
|
||
|
der Widerstand gegen ihren Einfluß noch stark ist, sollte man nicht
|
||
|
zum Angriff übergehen. Wenn aber die gegnerischen Kräfte zur Gewalt
|
||
|
greifen, dann sollte die revolutionäre Demokratie den Kampf um die Macht
|
||
|
aufnehmen, dann wird sie von den breitesten Schichten des Volkes
|
||
|
unterstützt werden." Gorki stellte fest, daß sowohl die
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||
|
reaktionäre als auch die Regierungspresse die Bolschewiki zur Gewalt
|
||
|
provozierten. Indessen konnte seiner Meinung nach der Aufstand nur einem
|
||
|
neuen Kornilow nützlich sein, und er forderte die Bolschewiki auf, die
|
||
|
umlaufenden Gerüchte zu dementieren. Im menschwistischen ÆDen"
|
||
|
(Der Tag) veröffentlichte Potressow einen sensationell aufgemachten
|
||
|
Bericht mit einer Karte, der angeblich den geheimen bolschewistischen Kriegsplan
|
||
|
enthüllen sollte. Wie durch Zauberei waren alle Straßenzüge
|
||
|
mit Warnungen, Proklamationen, Aufrufen der Zentralkomitees der
|
||
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Ægemäßigten" und konservativen Parteien und des
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Zentralexekutivkomitees der Sowjets bedeckt, die die Demonstration verurteilten
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und die Arbeiter und Soldaten dringend aufforderten, den Hetzern keine Folge
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zu leisten. Hier ein solcher Aufruf der Militärabteilung der
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Sozialrevolutionären Partei:
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||
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<P>
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ÆWieder gehen in der Stadt Gerüchte um über eine beabsichtigte
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bewaffnete Demonstration. Wo ist die Quelle dieser Gerüchte? Welche
|
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Organisation ermächtigt diese Agitatoren, den Aufstand zu predigen?
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Die Bolschewiki leugneten auf eine im Zentralexekutivkomitee an sie gerichtete
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Frage, daß sie irgend etwas damit zu tun hätten....Doch diese
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Gerüchte bergen eine große Gefahr in sich. Es kann leicht geschehen,
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daß einzelne unverantwortliche Hitzköpfe, die keine rechte Vorstellung
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von der geistigen Verfassung der Mehrheit der Arbeiter, Soldaten und Bauern
|
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haben, die Arbeiter und Soldaten auf die Straße rufen und sie zu einer
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Erhebung aufhetzen.....In dieser fürchterlichen Zeit, die das
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revolutionäre Rußland durchlebt, kann jede Erhebung leicht zum
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Bürgerkrieg führen und das Ergebnis die Zerstörung aller mit
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so viel Arbeit aufgebauten Organisationen des Proletariats sein......Die
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konterrevolutionären Verschwörer wollen die Erhebung ausnutzen,
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um die Revolution zu zerstören, im Interesse Wilhelms die Front zu
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öffnen und die Konstituierende Versammlung zu verhindern.....Bleibt
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auf euren Posten! Geht nicht auf die Straße!"
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Am 28. Oktober sprach ich in dem Korridor des Smolny Kamenew, einen kleinen
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Mann mit rötlichem Spitzbart und gallischer Beweglichkeit. Er war noch
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keineswegs sicher, ob genug Delegierte zum Kongreß erscheinen würden:
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ÆSollte der Kongreß zustande kommen, dann wird er auch die
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überwältigende Mehrheit des Volkes repräsentieren. Und ist
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die Mehrheit eine bolschewistische, wie ich überzeugt bin, daß
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sie es sein wird, dann werden wir die Übernahme der Macht durch die
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Sowjets fordern, und die Provisorische Regierung wird zurücktreten
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müssen." Wolodarski, ein hochgewachsener blasser Jüngling mit einer
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Brille und ungesunder Gesichtsfarbe, war in seinen Äußerungen
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bestimmter: ÆLiber, Dan und die anderen Kompromißler sabotieren
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den Kongreß. Sollte es ihnen gelingen, sein Zusammentreten zu verhindern,
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nun - dann werden wir real genug sein, nicht von ihm abzuhängen."
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In meinen Papieren finde ich unter dem 24. Oktober folgende, den Zeitungen
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vom gleichen Tage entnommene Notizen: ÆMogiljow (Generalstabsquartier).
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Konzentrierung treuer Garderegimenter, der ,Wilden Division', der Kosaken
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und der Todesbataillone. Die Offiziersschüler von Pawlowsk, Zarskoje
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Selo und Peterhof von der Regierung nach Petrograd beordert. Ankunft der
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Schüler von Oranienbaum in der Stadt. Teilweise Stationierung der
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Panzerwagendivision der Petrograder Garnison im Winterpalast. Auf Befehl
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Trotzkis Auslieferung einiger Tausend Gewehre an die Delegierten der Petrograder
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Arbeiter durch die staatliche Waffenfabrik in Sestrorezk. Annahme einer
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Resolution in einer Versammlung der Stadtmiliz des unteren Litejnyviertels,
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die die Übergabe der gesamten Macht an die Sowjets fordert."
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Das sind nur einige Proben von den verwirrenden Ereignissen jener fiebrigen
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Tage, da jeder ahnte, daß sich etwas vorbereitete, aber niemand
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wußte, was. In einer Sitzung des Petrograder Sowjets im Smolny, in
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der Nacht des 30. Oktober, brandmarkte Trotzki die Behauptungen der
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bürgerlichen Presse, daß der Sowjet den bewaffneten Aufstand plane,
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als Æeinen Versuch der Reaktion, den Sowjetkongreß zu diskreditieren
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und zu verhindern.......Der Petrograder Sowjet", erklärte er, Æhat
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keine Aktion angeordnet. Sollte dies notwendig werden, werden wir es tun,
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und wir werden die Unterstützung der Petrograder Garnison haben.....Sie
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(die Regierung) bereitet die Konterrevolution vor; wir werden darauf mit
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einer Offensive antworten, die erbarmungslos und entscheidend sein wird."
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Es ist richtig, daß der Petrograder Sowjet keine bewaffnete Demonstration
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angeordnet hatte, aber das Zentralkomitee der bolschewistischen Partei
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diskutierte die Frage des Aufstandes. Am 23. Oktober tagte das Zentralkomitee
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die ganze Nacht. Anwesend waren alle Intellektuellen der Partei, die
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Führer, und die Delegierten der Petrograder Arbeiter und der Garnison.
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Von den Intellektuellen waren nur Lenin und Trotzki für den Aufstand.
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Selbst die Militärfachleute lehnten ihn ab. Es wurde eine Abstimmung
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vorgenommen und der Aufstand verworfen. Da aber erhob sich mit wutverzerrten
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Zügen ein Arbeiter: ÆIch spreche für das Petrograder
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Proletariat", stieß er rauh hervor. ÆWir sind für den Aufstand,
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macht, was ihr wollt. Aber das eine sage ich euch, wenn ihr gestattet, daß
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die Sowjets auseinandergejagt werden, <I>dann sind wir mit euch fertig."</I>
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Einige Soldaten schlossen sich dieser Erklärung an.....Eine zweite
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Abstimmung wurde vorgenommen und - der Aufstand beschlossen. Der rechte
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Flügel der Bolschewiki unter Rjasanow, Kamenew und Sinowjew fuhr trotzdem
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fort, gegen die bewaffnete Erhebung zu polemisieren. Am Morgen des 31. Oktober
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erschien im ÆRabotschi Put" der erste Teil von Lenins ÆBrief
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an die Genossen", eine der kühnsten politischen Propagandaschriften,
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die die Welt je gesehen. Als Text die Einwendungen Kamenews und Rjasanows
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nehmend, trug Lenin hier alle Argumente zusammen, die zugunsten des Aufstandes
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sprachen. ÆEntweder", schrieb er, Æ<I>offener</I> Verzicht auf
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die Losung ,Alle Macht den Sowjets' oder Aufstand. Einen Mittelweg gibt es
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nicht." Am selben Nachmittag hielt in dem Rat der Russischen Republik der
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Kadettenführer Miljukow eine scharfe Rede, in der er den ÆNakas"
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Skobelews als Æprodeutsch" bezeichnete und erklärte, daß
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die Ærevolutionäre Demokratie" im Begriff sei, Rußland zugrunde
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zu richten. Er machte sich über Tereschtschenko lustig und sprach es
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offen aus, daß er die deutsche Diplomatie der russischen vorziehe.
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Während seiner ganzen Rede herrschte auf den linken Bänken wilder
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Tumult. Die Regierung ihrerseits konnte sich der Bedeutung des Erfolges der
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bolschewistischen Propaganda nicht verschließen. Am 29. Entwarf eine
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gemeinsame Komission der Regierung und des Rates der Russischen Republik
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in aller Hast zwei neue Gesetze, deren eines die vorübergehende
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Übergabe des Landes an die Bauern bestimmte, während das andere
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die Einleitung einer energischen auswärtigen Friedenspolitik bedeuten
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sollte. Einen Tag darauf beseitigte Kerenski die Todesstrafe in der Armee.
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Am selben Nachmittag erfolgte die feierliche Eröffnung der ersten Sitzung
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der ÆKomission zur Festigung des republikanischen Regimes und
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Bekämpfung der Anarchie und Konterrevolution", die allerdings in der
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ferneren Entwicklung nicht die geringsten Spuren hinterlassen hat.... Am
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folgenden Morgen interviewte ich, zusammen mit zwei anderen Journalisten,
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Kerenski - das letztemal, daß dieser Journalisten empfing. ÆDas
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russische Volk", meinte er bitter, Æleidet unter seiner ökonomische
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Ermattung und den Enttäuschungen, die die Alliierten ihm bereiteten!
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Die Welt gibt sich dem Wahn hin, daß die russische Revolution zu Ende
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sei. Irre man sich nicht. Die russische Revolution steht erst an ihrem Beginn."
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Worte, prophetischer, als er es selbst geahnt haben mochte. Am 30. Oktober
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fand eine die ganze Nacht währende ungemein stürmische Sitzung
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des Petrograder Sowjets statt, auf der ich zugegen war. Die
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Ægemäßigten" sozialistischen Intellektuellen, Offiziere,
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Armeekomitees, das Zentralexekutivkomitee der Sowjets waren zahlreich erschienen.
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Gegen sie erhoben sich, leidenschaftlich und einfach, Arbeiter, Bauern und
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niedere Soldaten. Ein Bauer berichtete von den Unruhen in Twer, die, wie
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er sagte, durch die Verhaftung des Bodenkomitees verursacht waren. ÆDieser
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Kerenski", rief er, Æist nichts anderes als ein Schild für die
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Grundbesitzer, die wissen, daß auf der Konstituierenden Versammlung
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wir uns das Land irgendwie nehmen werden, und die diese darum unmöglich
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machen wollen." Ein Maschinist aus den Putilow - Werken schilderte, wie die
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Direktion die Abteilungen, eine nach der anderen, schließe, unter dem
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Vorwande, daß man weder Feuerung noch Rohmaterialien habe,
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währenddessen die Fabrikkomitees riesige Mengen an Materialien entdeckt
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hätten, die versteckt worden waren. ÆDas ist Provokation", sagte
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er, ÆMan will uns aushungern oder zur Gewalt treiben!" Ein Soldat begann
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mit den Worten: ÆGenossen! Ich überbringe euch Grüße
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von dorther, wo Männer ihre eigenen Gräber schaufeln und diese
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Schützengräben nennen." Dann erhob sich, von mächtigem
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Beifallssturm begrüßt, ein langer, hagerer, noch junger Soldat.
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Es war Tschudnowski, als in den Julikämpfen gefallen gemeldet und jetzt
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mit einem Male von den Toten auferstanden: ÆDie Soldatenmassen trauen
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ihren Offizieren nicht mehr. Sogar die Armeekomitees, die es ablehnten, unsern
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Sowjet einzuberufen, haben uns verraten. Die Massen der Soldaten bestehen
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auf dem Zusammentritt der Konstituierenden Versammlung genau an dem Tag,
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für den sie einberufen war. Die es wagen sollten, sie hinauszuschieben,
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werden ihre Strafe finden, und nicht nur platonisch - die Armee hat auch
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Kanonen." Er berichtete von der im Augenblick in der Fünften Armee
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geführten Wahlkampagne für die Konstituierende Versammlung. ÆDie
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Offiziere, und besonders die Menschewiki und Sozialrevolutionäre, tun
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alles, um die Wahltätigkeit der Bolschewiki unmöglich zu machen.
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Man verbietet die Verbreitung unserer Zeitungen in den Schützengräben
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und verhaftet unsere Redner."
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ÆWarum sprichst du nicht davon, daß wir kein Brot haben?" rief
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ein anderer Soldat dazwischen. ÆDer Mensch lebt nicht vom Brot allein",
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antwortete Tschudnowski streng. Ihm folgte ein Offizier und menschewistische
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Sozialpatriot des Witebsker Sowjets. ÆEs handelt sich nicht darum,
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in wessen Händen die Macht liegt. Nicht die Regierung ist das Problem,
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sondern der Krieg......, und der muß gewonnen werden, bevor an irgendeine
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Änderung zu denken ist." (Lärm und ironische Beifall.) ÆDie
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bolschewistischen Agitatoren sind Demagogen." (Allgemeines Gelächter.)
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ÆLaßt uns nur einen Augenblick den Klassenkampf vergessen." Weiter
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kam er jedoch nicht. Laut rief eine Stimme: ÆDas könnte dir wohl
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so passen!" Petrograd bot in jenen Tagen ein eigenartiges Schauspiel, die
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Komiteeräume in den Fabriken starrten vor Waffen, Kuriere kamen und
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gingen, die Roten Garden exerzierten.... In den Kasernen Abend für Abend
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Versammlungen und tagsüber heiße Diskussionen. In den Straßen
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drängten sich gegen Abend riesige Menschenmassen, den Newski auf- und
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niederflutend und sich um die herauskommenden Zeitungen reißend.....
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Raubüberfälle mehrten sich in einem Maße, daß es
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gefährlich war, sich in die Nebenstraßen zu wagen. Auf der Sadowaja
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sah ich eines Nachmittags, wie eine Volksmenge von einigen hundert Menschen
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einen beim stehlen erwischten Soldaten niederschlug und zu Tode trampelte.
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Geheimnisvolle Individuen strichen um die in der Kälte stundenlang nach
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Brot und Milch anstehenden, vor Frost zitternden Frauen herum, tuschelnd,
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daß die Juden die Lebensmittel auf die Seite brächten und daß,
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während das Volk hungere, die Sowjetmitglieder im Luxus schwelgten.
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Der Smolny wurde aufs schärfst bewacht. Niemand kam hinein und heraus,
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der keinen Passierschein hatte. In allen Komiteeräumen herrschte
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geschäftiges Leben den ganzen Tag hindurch, und auch des Nachts waren
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dort Hunderte von Arbeitern und Soldaten, die auf dem nackten Boden schliefen,
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wo immer sich ein Plätzchen bot. Oben, in dem großen Saal,
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strömten die Menschen zu den lärmerfüllten Sitzungen des
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Petrograder Sowjets. In der Stadt taten sich zahllose Spielklubs auf, die
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bis zum Morgengrauen in Betrieb waren, wo der Champagner in Strömen
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floß und Einsätze von zwanzigtausend Rubeln keine Seltenheit waren.
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Im Zentrum der Stadt promenierten Dirnen, juwelen- und pelzgeschmückt,
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und drängten sich in die Cafes. Monarchistenverschwörungen, Schmuggler,
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deutsche Spione, die ihre Unternehmungen vorbereiteten. Und in dem kalten
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Regen, unter einem unfreundlichen grauen Himmel, die große pulsierende
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Stadt, die rascher und rascher dahinstürmt - wohin?
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