emacs.d/clones/www.mlwerke.de/me/me15/me15_548.htm

26 lines
7.5 KiB
HTML
Raw Normal View History

2022-08-25 20:29:11 +02:00
<!DOCTYPE HTML PUBLIC "-//W3C//DTD HTML 3.2//EN">
<HTML>
<HEAD>
<TITLE>Karl Marx - Garibaldi Meetings - Notstand der Baumwollarbeiter</TITLE>
<META HTTP-EQUIV="Content-Type" CONTENT="text/html; charset=ISO-8859-1">
</HEAD>
<BODY LINK="#0000ff" VLINK="#800080" BGCOLOR="#ffffaf">
<P ALIGN="CENTER"><A HREF="../me_ak62.htm"><FONT SIZE=2>Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen 1862</FONT></A></P>
<FONT SIZE=2><P>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 15, 4. Auflage 1972, unver&auml;nderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 548-550.</P>
<P>1. Korrektur.<BR>
Erstellt am 25.10.1998.</P>
</FONT><H2>Karl Marx </H2>
<H1>Garibaldi-Meetings - <BR>
Notstand der Baumwollarbeiter </H1>
<P><HR></P>
<FONT SIZE=2><P>["Die Presse" Nr. 273 vom 4. Oktober 1862] </P>
</FONT><B><P><A NAME="S548">|548|</A></B> London, 30. September 1862 </P>
<P>Nach dem von mir in <A HREF="me15_541.htm">einem fr&uuml;hern Brief</A> beschriebenen Garibaldi-Meeting zu Newcastle fanden &auml;hnliche Meetings statt in Sunderland, Dundee, Birmingham, London und anderen Pl&auml;tzen. Die F&auml;rbung der Meetings war &uuml;berall dieselbe und ihr letztes Wort stets: "Entfernung der Franzosen aus Rom." In diesem Augenblicke beabsichtigt man in allen Vierteln Londons Deputierte zu w&auml;hlen und sie en masse dem Lord John Russell zuzuschicken, um ihn zum Einschreiten gegen die fortdauernde Besetzung Roms durch franz&ouml;sische Truppen zu n&ouml;tigen. "Pressure from without" (Druck von au&szlig;en) ist die ultima ratio des Engl&auml;nders gegen seine Regierung. </P>
<P>Unterdes sieht das Tuilerien-Kabinett weder behaglich noch gleichgiltig den britischen Volksdemonstrationen zu, wie folgender Auszug aus dem "Newcastle Journal" zeigen wird: </P>
<FONT SIZE=2><P>"Der Kaiser der Franzosen hat die Aufmerksamkeit der englischen Regierung auf die in dem letzten Garibaldi-Meeting zu Newcastle vorherrschende Sprache gelenkt. Es wurde betont, da&szlig; zwei Redner, unter anderen der Vorsitzende, Stadtrat Newton, auf Verschw&ouml;rungen gegen das Leben des Kaisers anspielten und in der unzweideutigsten Weise ihn mit Tod f&uuml;r seine italienische Politik bedrohten. Die Regierung sah sich daher veranla&szlig;t, Schritte in dieser Angelegenheit zu tun und zu erkl&auml;ren, da&szlig; die Gesetze von England in der strengsten Weise zur Pr&auml;vention sowohl als Strafe aller solcher Verschw&ouml;rungen, wie die von Orsini, Dr. Bernard und anderen, gehandhabt werden sollen, um so mehr, da auf dem Meeting so unverh&uuml;llt eine Wiederholung des Orsinischen Attentats angek&uuml;ndigt worden. Diese Warnung der Regierung st&uuml;tzt sich darauf, da&szlig; j&uuml;ngst in Mazzinischen Zirkeln Reden gehalten, Drohungen ausgesto&szlig;en und auf <A NAME="S549"><B>|549|</A></B> Umtriebe dunkel angespielt worden, wie sie &auml;hnlich der Orsinischen Verschw&ouml;rung ihren Schatten vorherwarfen. Wir k&ouml;nnen schlie&szlig;lich dem Publikum mitteilen, da&szlig; die ersten gerichtlichen Schritte infolge des Newcastle-Meetings bereits stattgehabt." </P>
</FONT><P>So weit das "Newcastle Journal". Wer irgendwie mit englischen Verh&auml;ltnissen und mit der hier herrschenden Stimmung vertraut, wei&szlig; auch, da&szlig; alle Einmischung des jetzigen Kabinetts in die Volksdemonstrationen nur mit seinem eigenen Sturz enden kann, wie zur Zeit des Orsini-Attentats. </P>
<P>Angesichts des herannahenden Winters werden die Zust&auml;nde der Fabrikdistrikte t&auml;glich drohender. Der "Morning Star" warnt heute, da&szlig;, wenn man an der jetzigen Methode der "offiziellen Wohlt&auml;tigkeit" festhalte, der n&auml;chste Winter die Sturmszenen von 1842/1843 weit &uuml;berboten sehen werde. Den n&auml;chsten Anla&szlig; zu seinem Kassandra-Ruf gibt eine in allen englischen Bl&auml;ttern abgedruckte Erkl&auml;rung eines bei der Maschinen-(Baumwoll-)Weberei fr&uuml;her besch&auml;ftigten und jetzt auf das Pflaster geworfenen Arbeiters von Manchester. Um diese Erkl&auml;rung, deren Inhalt ich nachstehend kurz zusammenfassen will, zu verstehen, mu&szlig; man wissen, was der "labour test" (Arbeitsprobe) ist. Die englische Armengesetzgebung von 1834, die den Pauperismus dadurch auszurotten suchte, da&szlig; sie ihn als entehrendes Verbrechen bestraft, verpflichtet den Hilfesuchenden, bevor sie sein Gesuch gew&auml;hrt, seine "Arbeitslust" zu beweisen, indem er Steine klopft oder "oakum picks" (die F&auml;den aus alten Schiffstauen usw. auszieht), nutzlose Operationen, mit denen die zu Zwangsarbeit verurteilten Verbrecher in den englischen Gef&auml;ngnissen heimgesucht werden. Nach dieser "Arbeitsprobe" erh&auml;lt der Patient einen Shilling pro Woche f&uuml;r jedes Mitglied seiner Familie, d.h. pro Kopf einen halben Shilling in Geld und einen halben Shilling in Brot. </P>
<P>Kommen wir nun zur "Erkl&auml;rung" des englischen Webers. Seine Familie besteht aus sechs Personen. Er erfreute sich fr&uuml;her eines guten Verdienstes. Seit 18 Wochen jedoch fand er sich auf Halbe- und Viertelsarbeitszeit reduziert. W&auml;hrend dieser Periode erreichte die w&ouml;chentliche Einnahme der Familie kaum die H&ouml;he von 8 Shilling. Letzte Woche ward die Fabrik, worin er arbeitete, ganz stillgelegt. Seine Wohnungsmiete betr&auml;gt 2 sh. 3 d. pro Woche. Er hatte alles nicht Niet- und Nagelfeste versetzt; er hatte nichts mehr zu ver&auml;u&szlig;ern, keinen Pfennig in der Tasche, der Hunger glotzte ihm und seiner Familie ins Auge. Er war also gezwungen, bei der Armenbeh&ouml;rde Unterst&uuml;tzung zu suchen. Fr&uuml;h am vergangenen Montag meldete er sich bei den "guardians" |"Armenbeh&ouml;rden"|. </P>
<B><P><A NAME="S550">|550|</A></B> Nach einer "scharfen Untersuchung" gaben sie ihm eine Anweisung auf den Unterst&uuml;tzungsbeamten seines Distrikts. Es w&auml;hrte eine Stunde, bevor der Beamte ihn zu seiner erlauchten Gegenwart vorlie&szlig;. Dann unterwarf er ihn einer neuen Untersuchung und - verweigerte die Hilfe aus dem Grund, da&szlig; er vorige Woche 3 Shilling verdient habe, obgleich "der Patient" ausf&uuml;hrlich &uuml;ber die Verwendung dieses "Verm&ouml;gens" Rechenschaft abgelegt hatte. Er und seine Familie hatten sich durchzuhungern bis zum kommenden Mittwoch. Er begab sich nun wieder zum B&uuml;ro der "guardians". Hier erfuhr er, er m&uuml;sse sich erst dem "labour test" unterwerfen, bevor ihm Hilfe werden k&ouml;nne. Er marschierte also ins workhouse (Armenbastille) und hatte hier mit leerem Magen bis halb sechs Uhr abends oakum zu pfl&uuml;cken, zusammengepackt mit 300 anderen Arbeitern in einem engen Raum von ungef&auml;hr 30 Yards. Hier, eng auf B&auml;nken aneinandergepre&szlig;t, in der schw&uuml;lsten Sommerhitze, in erstickendem Dunst und Staub, hatten die "Patienten des labour test" - sie, geschickte Arbeiter, S&auml;ulen des englischen Nationalreichtums - die niedrigsten Operationen zu verrichten, die einem menschlichen Wesen aufgeb&uuml;rdet werden k&ouml;nnen. Man konnte ebensogut von einem Uhrmacher verlangen, Hufeisen zu h&auml;mmern, oder von einem Orgelspieler, seine Blaseb&auml;lge selbst zu blasen. Am Ende dieser Operation erhielt er genau 5 Shilling, halb in Brot, halb in Geld. Blieb also nach Zahlung der Hausmiete kaum 2 Pence (ungef&auml;hr 2 Silbergroschen preu&szlig;isch) f&uuml;r den t&auml;glichen Konsum von 6 Personen. Und am n&auml;chsten Mittwoch sollte er die "Gottesprobe" von neuem bestehen, die sich &uuml;berhaupt allw&ouml;chentlich wiederholt. Der "Weber" erkl&auml;rt jedoch nun &ouml;ffentlich, da&szlig; er den Hungertod f&uuml;r sich und Familie der Wiederkehr solcher Schmach vorziehe. </P>
</BODY>
</HTML>