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<TITLE>Larissa Reissner - Hamburger Oktober 1923</TITLE>
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Reissner</SMALL></A></TD>
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<H2> Larissa Reissner</H2>
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<H1> <!-- #BeginEditable "Titel" -->Hamburger Oktober 1923<!-- #EndEditable --></H1>
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<P><SMALL><!-- #BeginEditable "Quelle" -->(Quelle: Gewehre im Oktober,
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Verlag Druck und Wissen, Berlin 1970)<!-- #EndEditable --> </SMALL></P>
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<P> <B> Die Barrikade</B><P>
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In großen Städten vergeht ein Aufstand spurlos. Eine Revolution
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muß groß und sieghaft sein, wenn die Spuren der Zerstörungen,
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ihre heroischen Wunden, die weißen Trichter der Kugeln an den Mauern, die
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mit den Pockennarben des Maschinengewehrfeuers bedeckt sind, sich einige Jahre
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lang erhalten sollen. <P>
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Nach zwei, drei Tagen, nach zwei, drei Wochen verschwindet zusammen mit den von
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schmutzigen Regengüssen umspülten, mit einer Bajonettspitze von der
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Mauer abgerissenen Fetzen der Plakate — die kurze Erinnerung an den Straßenkampf,
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an das aufgewühlte Pflaster, an die Bäume, die, Brücken gleich,
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über die Flüsse der Straßen und die Bäche der Gassen hinübergeworfen
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waren. Hinter den Schuldigen schlagen die Gefängnistore zu; aus den Fabriken
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hinausgeworfen, sind die Teilnehmer an einem Aufstande gezwungen, in einer anderen
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Stadt, in einem entfernten Viertel Arbeit zu suchen; nach der Niederlage verkriechen
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sich die Arbeitslosen in fernen namenlosen Winkeln, die Frauen schweigen, die
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Kinder leugnen, in ewiger Furcht vor den allzufreundlichen Fragen eines Spitzels,
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und die Legende über die Tage des Aufstandes verweht, wird vergessen, übertönt
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von dem Lärm des wiederhergestellten Verkehrs, der wiederaufgenommenen Arbeit.
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Die neue Arbeiterschicht in den Fabriken tritt an die verlassenen Werkbänke,
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raunt sich eine Weile einige Namen und einige besonders geglückte Schüsse
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zu, aber auch das vergeht. <P>
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Der Arbeiter hat in den Grenzen eines bürgerlichen Staates keine Geschichte;
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die Liste seiner Helden führen das Standgericht und der Fabrikportier aus
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dem reformistischen Gewerkschafts-Verband. Nachdem sie mit Waffen gesiegt hat,
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sucht die Bourgeoisie das verhaßte Andenken an die kürzlich erlebte
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Gefahr mit Vergessenheit zu ersticken. <P>
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Seit dem Hamburger Aufstand ist bereits über ein Jahr vergangen. Aber seltsam
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genug — sein Andenken will nicht weichen, obwohl die Spuren der Barrikaden
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sorgsam beseitigt sind und die Züge friedlich über die Dämme und
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Viadukte laufen, die der Verteidigung oder dem Angriff dienten; Möwen ruhen
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auf ihnen. <P>
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Drei standrechtliche Fleischmaschinen stecken die Teilnehmer der Straßenkämpfe
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in aller Eile in die Gefängnisse; Ärzte und Gefängnisaufseher haben
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schon längst die durch die Mißhandlungen bis zur Unkenntlichkeit entstellten
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Leichname an die Verwandten abgeliefert. Aber die Erinnerung an den tollkühnen
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Oktober will trotzdem nicht dem Alltag weichen. Es gibt in der alten Hansestadt
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Hamburg keine Kneipe, keine Arbeiterversammlung, keine proletarische Familie,
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wo die Namen der Teilnehmer nicht mit Stolz genannt, wo nicht wenigstens von Beobachtern
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mit unwillkürlicher Achtung von den erstaunlichen Szenen in den Straßen
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der Vorstädte gesprochen wird. <P>
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Die Erklärung für diese Hartnäckigkeit, mit der das Proletariat
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der Wasserkante die lebendige Erinnerung an die Oktobertage wachhält, liegt
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darin, daß der Hamburger Aufstand weder in militärischer noch politischer
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noch moralischer Hinsicht besiegt war. Es ist in den Massen nicht die tiefe Bitterkeit
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einer Niederlage geblieben. <P>
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Der anhaltende revolutionäre Prozeß, der sie im Oktober auf die Barrikaden
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warf, nahm am 24. kein Ende, als die gesamte Polizei und ausgewählte Schwarzhundert-Garden
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der Marine-Division und der Reichswehr mobilisiert wurden, und auch nicht am 26.,
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als kompakte Massen der Polizei, tausendköpfige Abteilungen der Kavallerie
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und Infanterie, eine Menge von Panzerwagen endlich in die revolutionären
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Vorstädte einbrachen, die schon einige Stunden vorher von den Arbeiter-Hundertschaften
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freiwillig verlassen wurden. Im Gegenteil, die Bewegung, die in den Oktobertagen
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zum Durchbruch kam, die sechzig Stunden über der Stadt herrschte, die den
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Gegner an allen Punkten schlug, wo er es wagte, zum Angriff gegen die geschickt
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angelegten Barrikaden überzugehen; eine Bewegung, die den Arbeitern nur zehn
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Tote und der Polizei und den Truppen Dutzende von Toten und Verwundeten kostete
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- diese Bewegung hat ihre Kämpfer in aller Ruhe und Ordnung zurückgezogen,
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ihre Waffen gerettet und verborgen, die Verwundeten in eine sichere Unterkunft
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geschafft, kurz, sie hat sich planmäßig zurückgezogen, sich in
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illegale Schlupfwinkel verkrochen, um sich bei dem ersten Ruf der gesamtdeutschen
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Revolution wieder zu erheben. <P>
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Der Anfang der revolutionären Bewegung beginnt nicht im Oktober, sondern
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im August des Vorjahres, als Hamburg zu einer Arena von hartnäckigen und
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erbitterten Kämpfen für den Arbeitslohn, für den achtstündigen
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Arbeitstag, für die Entlohnung in Goldwährung, für eine ganze Reihe
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nicht nur ökonomischer, sondern auch rein politischer Forderungen wurde:
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Arbeiterregierung, Produktionskontrolle und so weiter. Diese gewerkschaftlichen
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Kämpfe waren begleitet von Streikausbrüchen und stürmischen Eruptionen
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des anwachsenden revolutionären Hasses: von der Demolierung von Lebensmittelläden,
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von der Verprügelung der Polizisten und Streikbrecher. Die Hamburger Arbeiterinnen
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haben sich in diesen Monaten besonders ausgezeichnet; im allgemeinen sind die
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Frauen einer großen Hafenstadt weitaus selbständiger und politisch
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gereifter, als ihre Genossinnen in den meisten Industriezentren Deutschlands.
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Sie waren es, die im August des Vorjahres ihre Männer hinderten, die Arbeit
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in den streikenden Werften wiederaufzunehmen. Ihre lebendige Kette vermochten
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weder Polizeibajonette, noch kleinmütige Arbeiterhaufen, die bereit waren,
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jede Bedingung der Arbeitgeber anzunehmen, von dem Elbtunnel zu verdrängen
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und zu durchbrechen. Einer dieser Zusammenstöße endete mit der Entwaffnung
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und Verprügelung einer Polizeiabteilung, zumal ihres Leutnants, der sie leitete
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und dafür im schmutzigen, kalten Elbwasser ein Bad nehmen mußte. <P>
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<!-- <IMG SRC="hh23.jpg" border=2 ALIGN=LEFT ALT="Barrikadenbrechender Panzer"> nicht auffindbar -->
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Begonnen
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im August, konnte diese Bewegung nicht mit einem Zusammenbruch enden — wie
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es die Bourgeoisie ausposaunt hat — und auch nicht mit der «glänzenden»
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militärischen Demonstration der Reichswehrkräfte vom 23. bis 26. Oktober.
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Diese Bewegung konnte nur mit einem Sieg oder mit einer Niederlage der gesamten
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Arbeiterklasse Deutschlands enden. In dieser Kontinuierlichkeit, in diesem steten
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und anhaltenden Wachstum, das die Hamburger Genossen auszeichnet, liegt der grundlegende
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Unterschied des bewaffneten Aufstandes von dem sogenannten politischen «Putsch».
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<P>
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Der «Putsch» hat weder eine Vergangenheit noch eine Zukunft; er ist
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entweder ein endgültiger Sieg oder eine ebensolche nicht wieder gutzumachende
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hoffnungslose Niederlage. Wenn eine Revolution stark ist und von einer starken,
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kampffähigen Partei geleitet wird, dann kann sie sich zurückziehen,
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ihre Federn wieder spannen, sich auch nach dem verzweifeltsten Durchbruchsversuch
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wieder zusammenrollen. Wenn das Proletariat schwach, politisch nicht trainiert,
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nicht gestählt ist, dann lebt es in der Hoffnung auf einen kurzen Stoß,
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auf einen blutigen, scharfen Ausbruch, aber zu einer anhaltenden Spannung ist
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es nicht fähig. Mag dieser kurze Stoß die größte Anspannung,
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die ungeheuerlichsten Opfer kosten - die schlecht zusammengefügten lockeren
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Massen werden zu allem bereit sein, wenn eine starke Hoffnung auf einen vollen,
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endgültigen Sieg besteht. Wenn aber einem solchen Versuch, die Macht zu erobern,
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aus diesem oder jenem Grunde ein Mißerfolg folgt, dann zerfallen diese Massen,
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lösen sich aus jeder Organisation heraus, verstärken ihre Niederlage
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durch eine wütende Selbstkritik. Die regulären Stammtruppen der politisch
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gereiften Massen dagegen kehren nach einem Sturmangriff zu ihren alten Schützengräben
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zurück, sie sind fähig, die langweilige, langsame Belagerungsarbeit,
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die Minierarbeit des illegalen Kampfes und die alltäglichen kleinen Scharmützel
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wiederaufzunehmen. Der Hamburger Aufstand bietet - sowohl nach dem anhaltenden
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ihm vorangegangenen politischen Prozeß, als auch, und das ganz besonders,
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nach der glänzenden Arbeit, die in den Tagen und Wochen nach seiner Liquidation
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geleistet wurde - ein klassisches Beispiel für einen echten revolutionären
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Aufstand, der die interessanteste Strategie der Straßenkämpfe und eines
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einzigartigen, idealen Rückzugs ausgearbeitet und in den Massen das Gefühl
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einer zweifellosen Überlegenheit über den Feind, das Bewußtsein
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des moralischen Sieges zurückgelassen hat. <P>
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Die Ergebnisse dieser Arbeit sind nicht zu übersehen. Noch nie hat der Zerfall
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der alten Gewerkschaftsorganisationen ein so gewaltiges Ausmaß erreicht
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wie gerade nach den Oktobertagen. Vom 25. Oktober 1923 bis 1. Januar 1924 sind
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aus den Reihen der reformistischen Gewerkschaftsverbände mehr als 30 000
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alte, langjährige Mitglieder ausgetreten. <P>
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Wir werden weiter unten die traurige Rolle näher beleuchten, die die Gewerkschaftsbürokratie
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und ihr rechter Flügel in den Oktobertagen gespielt haben. Als Leibgarde
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des Reformismus haben die Verbände «Vereinigung Republik» und «Vaterländische
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Verteidigung» offen die Funktionen der Polizei in den ruhigeren Stadtgebieten
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übernommen und es ihr auf diese Weise ermöglicht, ihre Kräfte auf
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die Unterdrückung von Hamm und Schiffbek zu konzentrieren. Davon wird weiter
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unten noch die Rede sein; wir wollen hier nur bemerken, daß alle diese kriegerischen
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Taten der rechten Führer der Sozialdemokratie dazu geführt haben, daß
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vor den Türen ihrer Registrationsbüros sich Haufen von zerrissenen Mitgliedsbüchern
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bildeten. <P>
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Bergeweise lagen sie neben der Schwelle, und Hunderte von Arbeitern, die riskierten,
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verhaftet oder von patrouillierender Reichswehr erschossen zu werden, stürzten
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zum Gewerkschaftshaus, um ihre Mitgliedsbücher den Bürokraten in das
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Verrätergesicht zu werfen. Eine Reihe der größten Gewerkschaften
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der Wasserkante wie der «Vereinigte Verband der Bauarbeiter» kracht
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nach dem Oktoberaufstand in allen Fugen. Ihre Mitglieder sind faktisch nicht daran
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zu hindern, demonstrativ in Massen aus dem Verband auszutreten. <P>
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Ich hatte Gelegenheit, an einer Versammlung eines der Zweige des Bauarbeiter-Verbandes
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teilzunehmen, der beschlossen hatte, in einer Stärke von achthundert Mann
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aus dem Verband auszutreten und seine eigene Vereinigung zu gründen. Unter
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den Anwesenden waren ältere, teils parteilose Arbeiter, Meister ihres Fachs,
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die keinerlei Not litten, die ihre Mitgliedsbeiträge seit Jahrzehnten regelmäßig
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zahlten. <P>
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In dieser Versammlung forderten alte Leute mit wuterstickter Stimme einen sofortigen
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und vollständigen Bruch mit den «Bonzen». Kein Kommunist hätte
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die alte Partei mehr hassen, ihren Zusammenbruch stärker empfinden können.
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Vergeblich versuchten Mitglieder der KPD, die Versammelten von der Absicht abzubringen,
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einen «eigenen Laden» aufzumachen, bestanden darauf, die Gewerkschaften
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von innen heraus, durch eine starke, ihren Einfluß ständig verbreiternde
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Opposition zu revolutionieren. Die Arbeiter verabscheuen die Gewerkschaft als
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etwas, das nicht einen einzigen Arbeitergroschen, der in ihre Kasse gezahlt wird,
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wert ist. <P>
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Die Kommunistische Partei und die hinter ihr stehenden Massen haben sich nicht
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nur innerlich, sondern auch äußerlich unendlich gefestigt. Ihre Aktivität
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ist nicht geschwächt, trotz der zahlreichen Verhaftungen (übrigens wurden
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die meisten nicht während des Aufstandes, sondern nachher, auf Grund von
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freiwilligen Denunziationen seitens der Kleinbürger vorgenommen). Im Gegenteil:
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alle Mauern von Hamburg sind mit unauslöschlichen Aufschriften bedeckt. An
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jeder Straßenkreuzung, an jedem öffentlichen Gebäude liest man
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die Aufschrift: «Die Kommunistische Partei lebt. Sie kann nicht verboten
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werden!» Mag der Reichstag für das «Ermächtigungsgesetz»
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gestimmt haben; mag Seeckt die Fülle der Macht in seinen Händen haben,
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mag die weiße Diktatur die letzten Reste, die letzten kleinen Freiheiten
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der Arbeitergesetzgebung vernichten — dennoch sind alle Wände der Barakken,
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wo die Arbeiter registriert werden, von oben bis unten wie mit Tapeten frisch
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mit den kleinen kommunistischen Plakaten beklebt. Wie Schneeflocken wirbeln sie
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|
in alle Versammlungen der SPD, fallen von den Galerien, kleben an den Wänden
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|
der Kneipen, an den Scheiben der Straßen- und Untergrundbahnen. Die Frauen
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der entfernten Viertel, deren ganze männliche Bevölkerung «unterwegs»,
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das heißt geflohen ist, oder in Gefängnissen sitzt, fordern die Zusendung
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von Plakaten und Flugblättern. Und wenn sie sich über etwas beklagen,
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|
so doch nur über das Fehlen einer billigen kommunistischen Zeitung. Alles
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das ist einer Niederlage so wenig ähnlich, daß die Richter der Kriegsgerichte,
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unter dem Druck der drohenden schweigsamen Massen, die Urteile zu mildern versuchen.
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Die Verurteilten gehen in die Festung oder in das Zuchthaus mit dem Stolz und
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der Ruhe von Siegern, mit der unerschütterlichen Gewißheit, daß
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die Revolution den Ablauf ihrer fünf, sieben oder zehn Strafjahre unbedingt
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unterbrechen wird; sie gehen mit einem herablassenden Spott für die Gesetze
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|
des bürgerlichen Staates, die feige Brutalität seiner Polizei und die
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|||
|
Festigkeit seiner Gefängnismauern. Dieser Glaube kann nicht täuschen.
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|
<P>
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Aber warum hat das ganze Land den Hamburger Aufstand nicht unterstützt? <P>
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|
Ganz Deutschland war in den Oktobertagen in zwei einander gegenüberstehende
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|
Lager gespalten, die auf das Angriffssignal warteten. Doch Sachsen war schon mit
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|
der Polizei und der Reichswehr überfüllt. Somit hörte einer der
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|||
|
wichtigsten Sammelplätze der Revolution auf zu existieren. Zahlreiche Gruppen
|
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|
von Arbeitslosen füllten noch die nächtlichen Straßen von Dresden,
|
|||
|
aber hinter ihnen, neben und vor ihnen stolzierten bewaffnete, herausfordernde
|
|||
|
und freche Reichswehrtruppen. <P>
|
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|
In diesem Augenblick wäre ein Signal zum Kampf, in Sachsen gegeben, sicherlich
|
|||
|
das Signal zum Massenterror gegen die sächsischen Arbeiter gewesen. <P>
|
|||
|
Zur selben Zeit forderte in Hamburg eine Konferenz von Arbeitern der ungeheuren
|
|||
|
Werften von Hamburg, Lübeck, Stettin, Bremen und Wilhelmshaven die sofortige
|
|||
|
Ausrufung des Generalstreiks; es gelang ihren Leitern nur mit großer Mühe,
|
|||
|
einen Aufschub des Generalstreiks auf einige Tage zu erzwingen; die Arbeiterkonferenz
|
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|
in Chemnitz lehnte infolge des rechtssozialistischen Einflusses den Generalstreik
|
|||
|
ab. Sachsen war schon erdrosselt, und das von den linken Sozialdemokraten im letzten
|
|||
|
Augenblick verratene Proletariat wich instinktiv einem Zusammenstoß aus,
|
|||
|
der für die Revolution ungünstig, vielleicht sogar verhängnisvoll
|
|||
|
sein konnte. <P>
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|
Berlin! Wer Berlin in den Oktobertagen gesehen hat, der erinnert sich gewiß
|
|||
|
an das merkwürdige Gefühl der Zwiespältigkeit, die den Grundzug
|
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|
seiner revolutionären Spannung bildete. Frauen und Arbeitslose prägten
|
|||
|
das Gesicht der Straßen. Aufgeweckte Jungen trieben sich vor den Schlangen
|
|||
|
an den Bäcker- und Fleischerläden herum, drängten sich durch die
|
|||
|
Gruppen verzweifelter Frauen und pfiffen die «Internationale». Der Sturz
|
|||
|
der Mark, die lächerlich geringen Unterstützungsgelder der Arbeitslosen,
|
|||
|
Kriegsinvaliden und Kriegerwitwen, die wucherische Ausbeutung der Arbeit, die
|
|||
|
unerschwinglichen Preise für alle Artikel des täglichen Bedarfs, der
|
|||
|
Ruin der Kleinbourgeoisie, das schamlose Verhalten der «großen Koalition»,
|
|||
|
der Aderlaß an der Ruhr, die Repressalien der Franzosen, die Manipulation
|
|||
|
der deutschen Kapitalisten, die die Presse ans Tageslicht gebracht hat, und die
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|||
|
ein blutiges, staubbedecktes Gespenst an der Ruhr heraufbeschworen - das alles
|
|||
|
waren sichere Anzeichen der nahenden Revolution. Die Wagen der Reichen mieden
|
|||
|
schon die Vorstädte, die Polizei war schon soweit, daß sie gegen die
|
|||
|
Plünderer der Brotläden nicht mehr allzu scharf vorging; <P>
|
|||
|
draußen, vor der Stadt dröhnte schon die Artillerie, die man den streikenden
|
|||
|
Betrieben näher brachte; der Lärm der Lastautos, voll beladen mit Polizei,
|
|||
|
mäßigte nicht den Zorn der Menge, die die Märkte und Schaukästen
|
|||
|
der Zeitungen belagerte, sondern hetzte sie noch mehr auf. <P>
|
|||
|
Und daneben - vollkommen passive Arbeitermassen, breite Schichten des verbürgerlichten
|
|||
|
Proletariats, die sich zurückhalten, sich an ihr Stück Brot, an ihr
|
|||
|
gemütliches Heim, an ein Pfund Margarine klammern — auch wenn sie für
|
|||
|
diese Margarine noch so viele Stunden arbeiten müssen. <P>
|
|||
|
Menschen, die bei sich zu Hause, bei einer Tasse schlechten Kaffees und mit dem
|
|||
|
«Vorwärts» in der Hand ein paar Tage in aller Ruhe abwarten wollen
|
|||
|
- bis die Schießerei in den Straßen aufhört, bis man die Toten
|
|||
|
und Verwundeten fortschafft, die Barrikaden weggeräumt hat, bis der Sieger,
|
|||
|
wer es auch sei, ein Bolschewik, ein Ludendorff oder ein Seeckt, die Besiegten
|
|||
|
in die Gefängnisse gesteckt und den Platz der gesetzmäßigen Regierung
|
|||
|
eingenommen hat. <P>
|
|||
|
In Berlin wie in Hamburg (Ausnahmen bilden nur einige ausschließlich von
|
|||
|
Arbeitern bewohnte Stadtviertel) hätte das revolutionäre Proletariat
|
|||
|
der Polizei und den Truppen des Generals Seeckt vollständig isoliert, ohne
|
|||
|
jede aktive Hilfe seitens der breiten Massen, ohne Hoffnung auf Unterstützung
|
|||
|
in den schwersten Augenblicken und vielleicht, ebenso wie in Hamburg, fast waffenlos
|
|||
|
entgegentreten müssen. <P>
|
|||
|
Nichtsdestoweniger führte der in Hamburg unter den gleichen oder fast den
|
|||
|
gleichen ungünstigen Umständen unternommene Aufstand nicht nur zu keiner
|
|||
|
Niederlage; seine Ergebnisse waren im Gegenteil geradezu verblüffend. Es
|
|||
|
ist wahr, hinter seinem Rücken stand das ganze Arbeiterdeutschland, das von
|
|||
|
der Gegenrevolution im offenen Kampfe nicht geschlagen war und daher den heroischen
|
|||
|
Rückzug seines Hamburger Schrittmachers materiell und moralisch decken konnte.
|
|||
|
<P>
|
|||
|
Auf jeden Fall besteht die Arbeit einer sieghaften Partei nicht allein im fieberhaften
|
|||
|
Auflauern der sogenannten zwölften Stunde der Bourgeoisie, des historischen
|
|||
|
Augenblicks, wenn der Zeiger der Zeit nach einem kurzen Augenblick des Schwankens
|
|||
|
die ersten Sekunden der kommunistischen Aera mechanisch auslöst. <P>
|
|||
|
Es gibt ein altes deutsches Märchen von einem tapferen Ritter, der sein ganzes
|
|||
|
Leben in einer verzauberten Höhle in der Erwartung zugebracht hat, daß
|
|||
|
der langsam anschwellende, am Tropfstein sich bildende Wassertropfen ihm endlich
|
|||
|
in den Mund fällt. Und immer hinderte ihn im letzten Augenblick irgendeine
|
|||
|
Bagatelle, irgendein dummer Zwischenfall daran, den so sehnsüchtig erwarteten
|
|||
|
Tropfen aufzufangen, der dann zwecklos in den Sand fiel. Das Furchtbarste ist
|
|||
|
natürlich nicht der Augenblick des Mißerfolges selbst, sondern die
|
|||
|
tote, leere Pause der enttäuschten Erwartung zwischen der einen Flut und
|
|||
|
der nächsten. <P>
|
|||
|
In Hamburg wartete man nicht mit offenem Munde auf das Himmelsnaß. Das,
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was man hierzulande so wundervoll und kurz Aktion zu nennen pflegt, ist in eine
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starke Kette fortwährender Kämpfe eingeschmiedet, mit den vorhergehenden
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Gliedern verbunden und auf die Zukunft gestützt, deren jeder Tag - ob des
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Erfolges oder der Niederlage — unter dem Zeichen des Sieges steht, das die
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Welt, wie die Faust eines Dampfhammers, zerbricht. <P>
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Und außerdem ereignete sich der Aufstand nicht in der Provinz Brandenburg,
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nicht in Preußen, nicht im Berlin des Parlaments, der Siegesallee und des
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Generals Seeckt, sondern an der Wasserkante. <P>
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Verknüpfte Dateien: <!-- #BeginEditable "Verk%FCpfungen" -->»<A href="http://www.mlwerke.de/css/format.css">../css/format.css</A>«,
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<!-- <20><A href="hh23.jpg">hh23.jpg</A><3E> nicht mehr auffindbar -->
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<TD ALIGN="center" width="49%" height=20 valign=middle><A HREF="default.htm"><SMALL>Larissa
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Reissner</SMALL></A></TD>
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