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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<TITLE>Karl Marx - Der Seehandel Oesterreichs</TITLE>
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<BODY LINK="#0000ff" VLINK="#800080" BGCOLOR="#ffffaf">
<FONT SIZE=2><P>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 12, Berlin/DDR 1961. S. 88-94.</P>
</FONT><H2>Karl Marx</H2>
<H1>Der Seehandel &Ouml;sterreichs</H1>
<FONT SIZE=2><P>Geschrieben Ende November 1856.<BR>
Aus dem Englischen.</P>
</FONT><P><HR></P>
<FONT SIZE=2><P>["New-York Daily Tribune" Nr. 5082 vom 4. August 1857]</P>
</FONT><B><P><A NAME="S88">&lt;88&gt;</A></B> In einem <A HREF="me12_083.htm">fr&uuml;heren Artikel</A> haben wir die nat&uuml;rlichen Bedingungen dargestellt, die zur Wiederbelebung des Adriahandels in Triest gef&uuml;hrt haben. Die Entwicklung dieses Handels ist gr&ouml;&szlig;tenteils den Bem&uuml;hungen des &Ouml;sterreichischen Lloyd zu verdanken, einer Gesellschaft, die von Engl&auml;ndern gegr&uuml;ndet wurde, aber seit 1836 in der Hand Triester Kapitalisten ist. Zu Anfang besa&szlig; der Lloyd nur einen Dampfer, der einmal w&ouml;chentlich zwischen Triest und Venedig verkehrte. Diese Verbindung wurde bald zu einer t&auml;glichen ausgestaltet. Nach und nach rissen die Dampfer des Lloyd den Handel von Rovigno, Fiume, Pirano, Zara und Ragusa an der istrischen und der dalmatinischen K&uuml;ste an sich. Als n&auml;chstes wurde die Romagna in den Verkehr einbezogen, dann kamen Albanien, Epirus und Griechenland an die Reihe. Die Dampfer hatten das Adriatische Meer noch nicht verlassen, als der Archipel, Saloniki, Smyrna, Beirut, Ptolemais und Alexandria sich um Aufnahme in das Verkehrsnetz bewarben, das der Lloyd plante. Schlie&szlig;lich drangen seine Schiffe ins Schwarze Meer und nahmen unmittelbar vor den Augen Ru&szlig;lands und der T&uuml;rkei die Linien in Besitz, die Konstantinopel mit Sinope, Trapezunt, Varna, Braila und Galatz verbinden. So r&uuml;ckt eine Gesellschaft, die nur f&uuml;r die &ouml;sterreichische K&uuml;stenschiffahrt im Adriatischen Meer gegr&uuml;ndet worden ist, immer weiter ins Mittell&auml;ndische Meer vor und wartet, nachdem sie sich das Schwarze Meer gesichert, offensichtlich nur auf den Durchstich des Isthmus von Suez, um in das Rote Meer und den Indischen Ozean vorzudringen.</P>
<P>Das Kapital des Lloyd, urspr&uuml;nglich auf 1.000.000 Florin festgesetzt, ist durch wiederholte Emissionen neuer Aktien und durch Anleihen auf <A NAME="S89"><B>&lt;89&gt;</A></B> 13.000.000 Florin gestiegen. Kapitalbewegung und Gesch&auml;fte der Gesellschaft seit 1836 werden im letzten Direktorenbericht folgenderma&szlig;en sichtbar:</P>
<P ALIGN="CENTER"><CENTER><TABLE CELLSPACING=0 BORDER=0 CELLPADDING=1 WIDTH=379>
<TR><TD WIDTH="48%" VALIGN="TOP">
<P></TD>
<TD WIDTH="26%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">1836/37</TD>
<TD WIDTH="26%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">1853/54</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="48%" VALIGN="TOP">
<P>Kapital</TD>
<TD WIDTH="26%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">1.000.000 fl.</TD>
<TD WIDTH="26%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">8.000.000 fl.</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="48%" VALIGN="TOP">
<P>Zahl der Dampfer</TD>
<TD WIDTH="26%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">7</TD>
<TD WIDTH="26%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">47</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="48%" VALIGN="TOP">
<P>Pferdekr&auml;fte</TD>
<TD WIDTH="26%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">630</TD>
<TD WIDTH="26%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">7.990</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="48%" VALIGN="TOP">
<P>Tonnengehalt</TD>
<TD WIDTH="26%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">1.944</TD>
<TD WIDTH="26%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">23.665</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="48%" VALIGN="TOP">
<P>Wert der Dampfer</TD>
<TD WIDTH="26%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">798.824 fl.</TD>
<TD WIDTH="26%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">8.010.000 fl.</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="48%" VALIGN="TOP">
<P>Zahl der Fahrten</TD>
<TD WIDTH="26%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">87</TD>
<TD WIDTH="26%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">1.465</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="48%" VALIGN="TOP">
<P>Zur&uuml;ckgelegte Meilen</TD>
<TD WIDTH="26%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">43.652</TD>
<TD WIDTH="26%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">776.415</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="48%" VALIGN="TOP">
<P>Zahl der Reisenden</TD>
<TD WIDTH="26%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">7.967</TD>
<TD WIDTH="26%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">331.688</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="48%" VALIGN="TOP">
<P>Bef&ouml;rderte Edelmetalle</TD>
<TD WIDTH="26%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">3.934.269 fl.</TD>
<TD WIDTH="26%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">59.523.125 fl.</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="48%" VALIGN="TOP">
<P>Briefe und Depeschen</TD>
<TD WIDTH="26%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">35.205</TD>
<TD WIDTH="26%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">748.930</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="48%" VALIGN="TOP">
<P>St&uuml;ckg&uuml;ter</TD>
<TD WIDTH="26%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">5.752</TD>
<TD WIDTH="26%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">565.508</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="48%" VALIGN="TOP">
<P>Gesamtausgaben</TD>
<TD WIDTH="26%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">232.267 fl.</TD>
<TD WIDTH="26%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">3.611.156 fl.</TD>
</TR>
</TABLE>
</CENTER></P>
<P>&nbsp;</P>
<TABLE CELLSPACING=0 BORDER=0 CELLPADDING=1 WIDTH=552>
<TR><TD WIDTH="81%" VALIGN="TOP">
<P>In siebzehn Jahren betrugen die Gesamtausgaben der Gesellschaft (einschlie&szlig;lich Dividenden)</TD>
<TD WIDTH="19%" VALIGN="BOTTOM">
<P ALIGN="RIGHT">25.147.403 fl.</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="81%" VALIGN="TOP">
<P>Die Gesamteinnahmen</TD>
<TD WIDTH="19%" VALIGN="BOTTOM">
<U><P ALIGN="RIGHT">26.032.452 fl.</U></TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="81%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">Folglich bleibt eine Reserve von</TD>
<TD WIDTH="19%" VALIGN="BOTTOM">
<P ALIGN="RIGHT">885.049 fl.</TD>
</TR>
</TABLE>
<P>Wie aus der angef&uuml;hrten Tabelle hervorgeht, ist der Lloyd eine Handelsunternehmung von gro&szlig;er Bedeutung und hat, wohin immer auch seine Schiffe vorgedrungen sind, das Wachstum von Industrie und Handel au&szlig;erordentlich gef&ouml;rdert. Man hat den Wert des &ouml;sterreichischen Quintals auf 300 fl. und das Gep&auml;ck eines jeden Passagiers auf 10 fl. veranschlagt und danach berechnet, da&szlig; der Lloyd von 1836 bis 1853 transportiert hat:</P>
<P ALIGN="CENTER"><CENTER><TABLE CELLSPACING=0 BORDER=0 CELLPADDING=1 WIDTH=400>
<TR><TD WIDTH="61%" VALIGN="TOP">
<P>An Waren</TD>
<TD WIDTH="39%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">1.255.219.200 Florin</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="61%" VALIGN="TOP">
<P>An Gep&auml;ck</TD>
<TD WIDTH="39%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">84.847.930 Florin</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="61%" VALIGN="TOP">
<P>An M&uuml;nzgeld und Edelmetallbarren</TD>
<TD WIDTH="39%" VALIGN="BOTTOM">
<U><P ALIGN="RIGHT">&nbsp;&nbsp;&nbsp;461.113.767 Florin</U></TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="61%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">Insgesamt</TD>
<TD WIDTH="39%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">1.801.180.897 Florin</TD>
</TR>
</TABLE>
</CENTER></P>
<FONT SIZE=2><P>"Es ist gewi&szlig;", sagt ein franz&ouml;sischer Autor, "da&szlig; die stille, aber beharrliche T&auml;tigkeit dieser Gesellschaft von Kaufleuten f&uuml;r die Angelegenheiten der Levante auf Jahre hinaus zumindest ebenso bedeutsam und um vieles ehrenhafter gewesen ist als die T&auml;tigkeit der &ouml;sterreichischen Diplomatie."</P>
</FONT><P>Die Wiederbelebung des Handels und die Entwicklung der Dampfschiffahrt im Adriatischen Meer mu&szlig; &uuml;ber kurz oder lang eine adriatische Flotte ins Leben rufen, die seit dem Niedergang Venedigs nicht mehr bestand. <A NAME="S90"><B>&lt;90&gt;</A></B> Napoleon wollte, ganz seiner Mentalit&auml;t entsprechend, diese Flotte schaffen, ohne erst auf die Wiederherstellung des Seehandels zu warten - ein Experiment, das er gleichzeitig in Antwerpen und in Venedig anstellte. War es ihm gelungen, Armeen zu sammeln, ohne da&szlig; ein Volk hinter ihnen stand, so zweifelte er auch nicht an seiner Macht, Kriegsflotten aufzubauen ohne eine Handelsmarine als Grundlage. Aber abgesehen von den Unm&ouml;glichkeiten, die einem solchen Plan notwendigerweise anhaften, stie&szlig; Napoleon auf v&ouml;llig unerwartete Schwierigkeiten lokalen Charakters. Nachdem er seine f&auml;higsten Ingenieure nach Venedig gesandt, die Befestigungen der Stadt vervollst&auml;ndigt, das schwimmende mat&eacute;riel &lt;Inventar&gt; instand gesetzt, die Werften zur fr&uuml;heren Aktivit&auml;t wiedererweckt hatte, stellte sich pl&ouml;tzlich heraus, da&szlig; durch den technischen Fortschritt in Seekrieg und Seefahrt Venedigs Hafen zu der gleichen Bedeutungslosigkeit verurteilt war, zu der die neuen Handelswege seinen Handel und Schiffsverkehr verdammt hatten. Es erwies sich, da&szlig; der Hafen Venedigs, wie vortrefflich er sich auch f&uuml;r die alten Galeeren eignen mochte, nicht die erforderliche Tiefe f&uuml;r moderne Linienschiffe hatte, und da&szlig; sogar Fregatten nicht einlaufen konnten, ohne ihre Gesch&uuml;tze auszuladen, es sei dann, da&szlig; S&uuml;dwind und Springflut zusammenfielen. Nun ist es f&uuml;r moderne Kriegsh&auml;fen eine Lebensfrage, da&szlig; sie jederzeit Schiffen Einfahrt gew&auml;hren und tief und ger&auml;umig genug sind, eine ganze Flotte aufzunehmen, sei es zum Angriff oder zur Verteidigung. Bonaparte sah au&szlig;erdem ein, da&szlig; er noch einen anderen Fehler begangen hatte. Mit den Vertr&auml;gen von Campo Formio und Lun&eacute;ville hatte er Venedig von der Ostk&uuml;ste des Adriatischen Meeres abgeschnitten und es so der Seeleute beraubt, die es zur Bemannung seiner Schiffe brauchte. Von der M&uuml;ndung des Isonzo bis Ravenna suchte er vergeblich nach einer seet&uuml;chtigen Bev&ouml;lkerung, da die Gondoliere Venedigs und die Fischer der Lagunen (ein furchtsamer und schm&auml;chtiger Menschenschlag) gar nicht verm&ouml;gen, irgendeinen t&uuml;chtigen Matrosen zu stellen. Napoleon erkannte jetzt, was die Venezianer bereits im zehnten Jahrhundert entdeckt hatten, da&szlig; die Herrschaft &uuml;ber das Adriatische Meer nur dem Besitzer seiner Ostk&uuml;sten geh&ouml;ren kann. Er begriff, da&szlig; seine Vertr&auml;ge von Campo Formio und Lun&eacute;ville kolossale Mi&szlig;griffe waren, da sie &Ouml;sterreich die seet&uuml;chtige Bev&ouml;lkerung des Adriatischen Meeres auslieferten, und ihm selbst nur den Namen eines verfallenen Hafens (magni nominis umbram &lt;den Schatten eines gro&szlig;en Namens&gt;) &uuml;briglie&szlig;en. Um seine fr&uuml;heren Schnitzer wiedergutzumachen, eignete er sich in den folgenden Vertr&auml;gen von Pre&szlig;burg und Wien Istrien und Dalmatien an.</P>
<B><P><A NAME="S91">&lt;91&gt;</A></B> Strabon wies schon vor langer Zeit darauf hin, da&szlig; die gegen&uuml;berliegende K&uuml;ste Illyriens an ausgezeichneten Hafen &uuml;berreich ist, w&auml;hrend an der adriatischen K&uuml;ste Italiens Buchten und Hafen v&ouml;llig fehlen; und w&auml;hrend der B&uuml;rgerkriege in Rom sehen wir, wie Pompejus an den K&uuml;sten von Epirus und Illyrien m&uuml;helos gro&szlig;e Flotten aufstellen kann, w&auml;hrend es C&auml;sar auf der italienischen Seite nur nach beispielloser Anstrengung gelingt, eine kleine Zahl von Booten zusammenzubringen, um seine Truppen in Abteilungen &uuml;berzusetzen. Mit ihren tiefen Einschnitten, ihren wilden Felseninseln, ihren an jedem Ort lauernden Sandb&auml;nken, ihren vortrefflichen Schlupfh&auml;fen ist die K&uuml;ste Illyriens und Dalmatiens eine erstklassige nat&uuml;rliche Schule f&uuml;r t&uuml;chtige Seeleute - Matrosen mit kraftvollen Gliedern und furchtlosen Herzen, abgeh&auml;rtet in den St&uuml;rmen, die fast t&auml;glich das Adriatische Meer aufw&uuml;hlen. Die Bora, der gro&szlig;e St&ouml;renfried dieses Meeres, erhebt sich stets ohne das kleinste Warnungszeichen; mit der Gewalt eines Tornados &uuml;berf&auml;llt sie die Seeleute und gestattet nur dem K&uuml;hnsten, auf Deck zu bleiben. Manchmal tobt sie wochenlang und am heftigsten zwischen der Bucht von Cattaro und dem S&uuml;dende von Istrien. Der Dalmatiner aber ist von Kindheit an gew&ouml;hnt, ihr zu trotzen, er wird hart unter ihrem Atem und verachtet die armseligen Winde anderer Meere. So tun sich Luft, Land und See zusammen, um den robusten und n&uuml;chternen Seefahrer dieser K&uuml;ste zu zeugen.</P>
<P>Sismondi hat bemerkt, da&szlig; die Seidenweberei so zu den lombardischen Bauern geh&ouml;rt wie das Seidenspinnen zum Seidenwurm. So geh&ouml;rt das Leben auf dem Meere ebenso zum Dalmatiner wie zum Seevogel. Piraterie ist das Thema ihrer Volkslieder wie der Landraub das Thema der alten teutonischen Dichtung. Der Dalmatiner pflegt noch immer das Andenken an die wilden Heldentaten der Uskoken, die anderthalb Jahrhunderte lang die regul&auml;ren Truppen Venedigs und der T&uuml;rkei in Schach hielten und deren Kriegsz&uuml;gen erst der Vertrag zwischen &Ouml;sterreich und der T&uuml;rkei 1617 ein Ende setzte, w&auml;hrend die Uskoken sich bis dahin einer geh&ouml;rigen Protektion des Kaisers erfreut hatten. Die Geschichte der Uskoken kann man nur mit der Geschichte der Kosaken am Dnepr - vergleichen die einen wurden aus der T&uuml;rkei, die anderen aus Polen vertrieben; jene verbreiteten Furcht und Schrecken &uuml;ber das Adriatische, diese &uuml;ber das Schwarze Meer; die ersteren wurden anfangs von &Ouml;sterreich heimlich unterst&uuml;tzt und dann vernichtet, und die letzteren von Ru&szlig;land. Die dalmatinischen Matrosen in dem Mittelmeergeschwader des Admirals &Eacute;merian erregten die Bewunderung Napoleons. Zweifellos besitzt also die Ostk&uuml;ste des Adriatischen Meeres die Menschenreserven, um <A NAME="S92"><B>&lt;92&gt;</A></B> eine erstklassige Flotte zu bemannen. Das einzige, was ihnen fehlt, ist Disziplin. Durch eine Z&auml;hlung im Jahre 1813 stellte Napoleon fest, da&szlig; 43.500 Seeleute an dieser K&uuml;ste wohnen:</P>
<P ALIGN="CENTER"><CENTER><TABLE CELLSPACING=0 BORDER=0 CELLPADDING=1 WIDTH=153>
<TR><TD WIDTH="57%" VALIGN="TOP">
<P>In Triest</TD>
<TD WIDTH="43%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">12.000</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="57%" VALIGN="TOP">
<P>In Fiume</TD>
<TD WIDTH="43%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">6.000</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="57%" VALIGN="TOP">
<P>In Zara</TD>
<TD WIDTH="43%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">9.500</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="57%" VALIGN="TOP">
<P>In Spalato</TD>
<TD WIDTH="43%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">5.000</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="57%" VALIGN="TOP">
<P>In Ragusa</TD>
<TD WIDTH="43%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">8.500</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="57%" VALIGN="TOP">
<P>In Cattaro</TD>
<TD WIDTH="43%" VALIGN="TOP">
<U><P ALIGN="RIGHT">&nbsp;&nbsp;2.500</U></TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="57%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">Insgesamt</TD>
<TD WIDTH="43%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">43.500</TD>
</TR>
</TABLE>
</CENTER></P>
<P>Heute m&uuml;ssen es mindestens 55.000 sein.</P>
<P>Nachdem die Mannschaft gefunden war, suchte Napoleon nach den H&auml;fen f&uuml;r eine adriatische Flotte. Die illyrischen Provinzen wurden definitiv durch den Wiener Frieden 1809 erworben, aber franz&ouml;sische Truppen hielten sie schon seit der Schlacht bei Austerlitz besetzt und Napoleon ben&uuml;tzte die Vorteile, die der Kriegszustand ihm bot, um die gro&szlig;en Arbeiten vorzubereiten, die im Frieden ausgef&uuml;hrt werden sollten. 1806 wurde Herr Beautemps-Beaupr&eacute;, von mehreren Ingenieuren und Hydrographen der franz&ouml;sischen Flotte unterst&uuml;tzt, zur Besichtigung der K&uuml;sten nach Istrien und Dalmatien geschickt, um den geeignetsten Ort f&uuml;r die in der Adria geplante Flottenbasis ausfindig zu machen. Die ganze K&uuml;ste wurde erforscht, und die Aufmerksamkeit der Ingenieure fiel schlie&szlig;lich auf den Hafen Pola, der an der S&uuml;dspitze der Halbinsel Istrien liegt. Die Venezianer, die sich dagegen str&auml;ubten, ihre Seemacht anderw&auml;rts als in Venedig zu stationieren, hatten Pola nicht nur vernachl&auml;ssigt, sondern auch eifrig das Ger&uuml;cht verbreitet, da&szlig; angeblich eine Sandbank Pola f&uuml;r Kriegsschiffe unzug&auml;nglich mache. Herr Beaupr&eacute; stellte jedoch fest, da&szlig; eine solche Sandbank nicht existiere, und Pola alle Bedingungen eines modernen Kriegshafens erf&uuml;lle. Zu verschiedenen Zeiten hatte es als St&uuml;tzpunkt der Seestreitkr&auml;fte des Adriatischen Meeres gedient. Es war der Mittelpunkt der Seekampfhandlungen der R&ouml;mer w&auml;hrend der illyrischen und pannonischen Kriegsz&uuml;ge und wurde unter dem R&ouml;mischen Reich st&auml;ndige Flottenstation. Zu verschiedenen Zeiten ist es von den Genuesen, den Venezianern und zuletzt von den Uskoken besetzt gewesen. Tief und ger&auml;umig in jeder Richtung, wird der Hafen von Pola vom Meere her durch Inseln gesch&uuml;tzt, und im R&uuml;cken durch Felsen, die die Stellung beherrschen. Sein einziger Nachteil besteht in seinem ungesunden Klima und den Fiebern, welche aber, wie Herr Beautemps-Beaupr&eacute; versichert, bei einer systematischen Entw&auml;sserung verschwinden werden, einer Kanalisation, die bisher nicht angelegt worden ist.</P>
<B><P><A NAME="S93">&lt;93&gt;</A></B> Die &Ouml;sterreicher haben sich mit dem Gedanken, eine Seemacht zu werden, nur sehr langsam vertraut gemacht. Bis vor ganz kurzer Zeit war in ihren eigenen Augen die Marine nur eine Unterabteilung des Heeres. Ein Oberst in der Armee kam an Rang einem Linienkapit&auml;n gleich, ein Oberstleutnant einem Fregattenkapit&auml;n, ein Major einem Korvettenkapit&auml;n; und die gleiche Stellung in der Rangliste schien den &Ouml;sterreichern auch die gleiche Stellung in der Marine und im Heer zu garantieren. Galt es einen Seekadetten zu ernennen, so hielten sie es f&uuml;r das ratsamste, ihn zuvor zu einem Husarenf&auml;hnrich auszubilden. Die Rekruten wurden f&uuml;r die Flotte auf dieselbe Weise ausgehoben wie f&uuml;r das Heer, mit dem einzigen Unterschied, da&szlig; die Provinzen Istrien und Dalmatien ausschlie&szlig;lich f&uuml;r den Seedienst bestimmt waren. Die Dienstzeit war gleich, acht Jahre zu Land wie zur See.</P>
<P>Die Trennung von Armee und Flotte ist, wie jeder neuzeitliche Fortschritt in &Ouml;sterreich, das Ergebnis der Revolution von 1848. Trotz der Erfahrungen, die Napoleon gemacht hatte, blieb Venedig bis 1848 das einzige Arsenal &Ouml;sterreichs. Venedigs M&auml;ngel ber&uuml;hrten &Ouml;sterreich nicht, weil es faktisch &uuml;berhaupt keine moderne Flotte hatte. Seine Seemacht bestand aus nur 6 Fregatten, 5 Korvetten, 7 Briggs, 6 Schaluppen, 16 Dampfern und 36 armierten Booten - insgesamt 850 Gesch&uuml;tze. Um die italienische Revolution zu bestrafen, verlegte &Ouml;sterreich die Marineakademie, das Observatorium, das hydrographische Institut, das schwimmende Inventar und den Artilleriepark von Venedig nach Triest. Die Werften und die Speicher blieben in Venedig; und so wurde das Marinewesen aus B&uuml;rokratenrache in zwei Teile geschnitten. Anstatt Venedig zu bestrafen, beraubte man beide Teile ihrer Leistungsf&auml;higkeit. Allm&auml;hlich entdeckte die &ouml;sterreichische Regierung, da&szlig;, so gl&auml;nzend Triest sich auch als Handelshafen eignen m&ouml;ge, es doch f&uuml;r einen Flottenst&uuml;tzpunkt ungeeignet sei. Sie mu&szlig;te sich endlich an die Lehre erinnern, die Napoleon im Adriatischen Meer erhalten hatte, und Pola zum Zentrum der Marineverwaltung machen. Ganz nach &ouml;sterreichischer Gewohnheit sind die ersten Jahre nach der Verlegung der Admiralit&auml;t nach Pola dazu verwendet worden, Kasernen statt Werften zu bauen. Das Verteidigungssystem besteht in einem Kreuzfeuer, das von den Inseln auf den Hafeneingang gerichtet wird, und in einer Kette von Maximilians-T&uuml;rmen, die Schiffe daran hindern sollen, Bomben in den Hafen zu werfen. Au&szlig;er den strategischen Vorteilen besitzt Pola auch die f&uuml;r einen guten Hafen unentbehrliche Bedingung, n&auml;mlich in der Lage zu sein, eine starke Flotte zu versorgen. Istrien hat Eichen wie Neapel; Krain, K&auml;rnten und Steiermark sind unersch&ouml;pflich reich an Fichten, die schon den Hauptartikel der Triester Ausfuhr bilden; Steiermark besitzt gro&szlig;e Eisenvorkommen; f&uuml;r die Ausfuhr <A NAME="S94"><B>&lt;94&gt;</A></B> des Hanfs von Ancona ist Pola der bequemste Ort; Kohle wird bis jetzt noch aus England eingef&uuml;hrt, aber in den dalmatinischen Gruben bei Sebenico beginnt man Kohle besserer Qualit&auml;t zu f&ouml;rdern, und wenn die Eisenbahnstrecke Triest-Wien er&ouml;ffnet ist, kann vom Semmering her beste Qualit&auml;t kommen. Die Produkte Istriens, auf kalkigem Boden wachsend, vertragen lange Transporte. &Ouml;l ist reichlich vorhanden, ungarisches Getreide ganz in der N&auml;he, Schweine liefert das Donautal in ungeheuren Massen. Diese Schweine werden jetzt nach Galatz und Hamburg bef&ouml;rdert, aber die Eisenbahn wird sie nach Triest und Pola bringen.</P>
<P>Bei all diesen ausgezeichneten Bedingungen f&uuml;r die Erneuerung einer Seemacht im Adriatischen Meer gibt es nur ein Hindernis - &Ouml;sterreich selbst. K&ouml;nnte &Ouml;sterreich bei seiner jetzigen Organisation und unter seiner gegenw&auml;rtigen Regierung eine starke Handels- und Seemacht im Adriatischen Meer gr&uuml;nden, so w&uuml;rde es mit allen Traditionen der Geschichte brechen, die seit jeher Macht zur See mit Freiheit verbunden hat. Aber die Traditionen &uuml;ber den Haufen werfen hie&szlig;e andererseits, &Ouml;sterreich selbst &uuml;ber den Haufen werfen.</P>
</BODY>
</HTML>