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<TITLE>Rosa Luxemburg - Die Krise der Sozialdemokratie - I</TITLE>
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<!--Hier war ein unzureichend terminierter Kommentar -->
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<TR>
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<TD ALIGN="center" width="24%" height=20 valign=middle><A HREF="../index.shtml.html"><SMALL>MLWerke</SMALL></A></TD>
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<TD ALIGN="center"><B>|</B></TD>
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<TD ALIGN="center" width="24%" height=20 valign=middle><A HREF="luf.htm"><SMALL>Inhalt</SMALL></A></TD>
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<TD ALIGN="center">|</TD>
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<TD ALIGN="center" width="24%" height=20 valign=middle><A HREF="luf_2.htm"></A><A HREF="luf_2.htm"><SMALL>Teil 2</SMALL></A></TD>
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<TD ALIGN="center"><B>|</B></TD>
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<TD ALIGN="center" width="24%" height=20 valign=middle><A HREF="default.htm"><SMALL>Rosa Luxemburg</SMALL></A></TD>
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</TR>
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<HR size="1">
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<H2>Rosa Luxemburg - Die Krise der Sozialdemokratie</H2>
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<H1>Zur Einleitung</H1>
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<HR size="1">
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<P>2. Januar 1916</P>
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<P>Die nachfolgende Darstellung ist im April vorigen Jahres verfaßt
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worden. Äußere Umstände verhinderten damals ihre Veröffentlichung.</P>
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<P>Ihre nunmehrige Herausgabe ist dem Umstande geschuldet, daß die
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Arbeiterklasse, je länger der Weltkrieg tobt, um so weniger seine
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treibenden Kräfte aus den Augen verlieren darf.</P>
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<P>Die Schrift erscheint ganz unverändert, um dem Leser die Prüfung
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zu ermöglichen, wie sicher die historisch-materialistische Methode
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den Gang der Entwicklung zu erfassen weiß.</P>
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<P>Indem sie die Legende des deutschen Verteidigungskrieges kritisch auflöste
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und die deutsche Beherrschung der Türkei als das eigentliche Ziel
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eines imperialistischen Angriffskrieges offenbarte, sagte sie voraus, was
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sich seitdem von Tag zu Tag mehr bestätigt hat und heute, wo der Weltkrieg
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seinen Schwerpunkt im Orient gefunden hat, vor aller Welt Augen liegt.</P>
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<H1 ALIGN="left">I.<BR>
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Sozialismus oder Barbarei ?</H1>
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<P>Die Szene hat gründlich gewechselt. Der Marsch in sechs Wochen
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nach Paris hat sich zu einem Weltdrama ausgewachsen; die Massenschlächterei
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ist zum ermüdend eintönigen Tagesgeschäft geworden, ohne
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die Lösung vorwärts oder rückwärts zu bringen. Die
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bürgerliche Staatskunst sitzt in der Klemme, im eigenen Eisen gefangen;
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die Geister, die man rief, kann man nicht mehr bannen.</P>
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<P>Vorbei ist der Rausch. Vorbei der patriotische Lärm in den Straßen,
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die Jagd auf Goldautomobile, die einander jagenden falschen Telegramme,
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die mit Cholerabazillen vergifteten Brunnen, die auf jeder Eisenbahnbrücke
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Berlins bombenwerfenden russischen Studenten, die über Nürnberg
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fliegenden Franzosen, die Straßenexzesse des spionenwitternden Publikums,
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das wogende Menschengedränge in den Konditoreien, wo ohrenbetäubende
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Musik und patriotische Gesänge die höchsten Wellen schlugen;
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ganze Stadtbevölkerungen in Pöbel verwandelt, bereit, zu denunzieren,
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Frauen zu mißhandeln, Hurra zu schreien und sich selbst durch wilde
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Gerüchte ins Delirium zu steigern; eine Ritualmordatmosphäre,
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eine Kischineff-Luft, in der der Schutzmann an der Straßenecke der
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einzige Repräsentant der Menschenwürde war.</P>
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<P>Die Regie ist aus. Die deutschen Gelehrten, die »wankenden Lemuren«,
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sind längst zurückgepfiffen. Die Reservistenzüge werden
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nicht mehr vom lauten Jubel der nachstürzenden Jungfrauen begleitet,
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sie grüßen nicht mehr das Volk aus den Wagenfenstern mit freudigem
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Lächeln; sie trotten still, ihren Karton in der Hand, durch die Straßen,
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in denen das Publikum mit verdrießlichen Gesichtern dem Tagesgeschäft
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nachgeht.</P>
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<P>In der nüchternen Atmosphäre des bleichen Tages tönt
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ein anderer Chorus: der heisere Schrei der Geier und Hyänen des Schlachtfeldes.
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Zehntausend Zeltbahnen garantiert vorschriftsmäßig! 100.000 Kilo
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Speck, Kakaopulver, Kaffee-Ersatz, nur per Kasse, sofort lieferbar! Granaten,
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Drehbänke, Patronentaschen, Heiratsvermittlung für Witwen der
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Gefallenen, Ledergurte, Vermittlung von Heereslieferungen ­ nur ernst
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gemeinte Offerten! Das im August, im September verladene und patriotisch
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angehauchte Kanonenfutter verwest in Belgien, in den Vogesen, in den Masuren
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in Totenäckern, auf denen der Profit mächtig in die Halme schießt.
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Es gilt, rasch die Ernte in die Scheunen zu bringen. Über den Ozean
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strecken sich tausend gierige Hände, um mitzuraffen.</P>
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<P>Das Geschäft gedeiht auf Trümmern. Städte werden zu Schutthaufen,
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Dörfer zu Friedhöfen, Länder zu Wüsteneien, Bevölkerungen
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zu Bettlerhaufen, Kirchen zu Pferdeställen; Völker recht, Staatsverträge,
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Bündnisse, heiligste Worte, höchste Autoritäten in Fetzen
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zerrissen; jeder Souverän von Gottes Gnaden den Vetter von der Gegenseite
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als Trottel und wortbrüchigen Wicht, jeder Diplomat den Kollegen von
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der anderen Partei als abgefeimten Schurken, jede Regierung die andere
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als Verhängnis des eigenen Volkes der allgemeinen Verachtung preisgebend;
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und Hungertumulte in Venetien, in Lissabon, in Moskau, in Singapur, und
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Pest in Rußland, und Elend und Verzweiflung überall.</P>
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<P>Geschändet, entehrt, im Blute watend, von Schmutz triefend - so
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steht die bürgerliche Gesellschaft da, so ist sie. Nicht wenn sie,
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geleckt und sittsam, Kultur, Philosophie und Ethik, Ordnung, Frieden und
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Rechtsstaat mimt ­ als reißende Bestie, als Hexensabbat der
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Anarchie, als Pesthauch für Kultur und Menschheit -, so zeigt sie
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sich in ihrer wahren, nackten Gestalt.</P>
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<P>Mitten in diesem Hexensabbat vollzog sich eine weltgeschichtliche Katastrophe:
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die Kapitulation der internationalen Sozialdemokratie. Sich darüber
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zu täuschen, sie zu verschleiern, wäre das Törichtste, das
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Verhängnisvollste, was dem Proletariat passieren könnte. »...der
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Demokrat« (das heißt der revolutionäre Kleinbürger),
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sagt Marx, »geht ebenso makellos aus der schmählichsten Niederlage
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heraus, wie er unschuldig in sie hineingegangen ist, mit der neugewonnenen
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Überzeugung, daß er siegen muß, nicht daß er selbst
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und seine Partei den alten Standpunkt aufzugeben, sondern umgekehrt, daß
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die Verhältnisse ihm entgegen zureifen haben.«
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Das moderne Proletariat geht anders aus geschichtlichen Proben hervor.
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Gigantisch wie seine Aufgaben sind auch seine Irrtümer. Kein vorgezeichnetes,
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ein für allemal gültiges Schema, kein unfehlbarer Führer
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zeigt ihm die Pfade, die es zu wandeln hat. Die geschichtliche Erfahrung
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ist seine einzige Lehrmeisterin, sein Dornenweg der Selbstbefreiung ist
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nicht bloß mit unermeßlichen Leiden, sondern auch mit unzähligen
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Irtümern gepflastert. Das Ziel seiner Reise, seine Befreiung hängt
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davon ab, ob das Proletariat versteht, aus den eigenen Irrtümern zu
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lernen. Selbstkritik, rückisichtslose, grausame, bis auf den Grund
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der Dinge gehende Selbstkritik ist Lebensluft und Lebenslicht der proletarischen
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Bewegung. Der Fall des sozialistischen Proletariats im gegenwärtigen
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Weltkrieg ist beispiellos, ist ein Unglück für die Menschheit.
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Verloren wäre der Sozialismus nur dann, wenn das internationale Proletariat
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die Tiefe dieses Falls nicht ermessen, aus ihm nicht lernen wollte.</P>
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<P>Was jetzt in Frage steht, ist der ganze letzte fünfundvierzigjährige
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Abschnitt in der Entwicklung der modernen Arbeiterbewegung. Was wir erleben,
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ist die Kritik, der Strich und die Summa unter den Posten unserer Arbeit
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seit bald einem halben Jahrhundert. Das Grab der Pariser Kommune hatte
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die erste Phase der europäischen Arbeiterbewegung und die erste Internationale
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geschlossen. Seitdem begann eine neue Phase. Statt der spontanen Revolutionen,
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Aufstände, Barrikadenkämpfe, nach denen das Proletariat jedesmal
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wieder in seinen passiven Zustand zurückfiel, begann der systematische
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Tageskampf, die Ausnützung des bürgerlichen Parlamentarismus,
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die Massenorganisation, die Vermählung des wirtschaftlichen mit dem
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politischen Kampfe und des sozialistischen Ideals mit der hartnäckigen
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Verteidigung der nächsten Tagesinteressen. Zum ersten Male leuchtete
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der Sache des Proletariats und seiner Emanzipation der Leitstern einer
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strengen wissenschaftlichen Lehre. Statt der Sekten, Schulen, Utopien,
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Experimente in jedem Lande auf eigene Faust erstand eine einheitliche internationale
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theoretische Grundlage, die Länder wie Zeilen in einem Band verschlang.
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Die marxistische Erkenntnis gab der Arbeiterklasse der ganzen Welt einen
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Kompaß in die Hand, um sich im Strudel der Tagesereignisse zurechtzufinden,
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um die Kampftaktik jeder Stunde nach dem unverrückbaren Endziel zu
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richten.
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<P>Trägerin, Verfechterin und Hüterin dieser neuen Methode war
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die deutsche Sozialdemokratie. Der Krieg von 1870 und die Niederlage der
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Pariser Kommune hatten den Schwerpunkt der europäischen Arbeiterbewegung
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nach Deutschland verlegt. Wie Frankreich die klassische Stätte der
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ersten Phase des proletarischen Klassenkampfes, wie Paris das pochende
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und blutende Herz der europäischen Arbeiterklasse in jener Zeit gewesen
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war, so wurde die deutsche Arbeiterschaft zur Vorhut der zweiten Phase.
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Sie hat durch zahllose Opfer der unermüdlichen Kleinarbeit die stärkste
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und mustergültige Organisation ausgebaut, die größte Presse
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geschaffen, die wirksamsten Bildungs- und Aufklärungsmittel ins Leben
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gerufen, die gewaltigsten Wählermassen um sich geschart, die zahlreichsten
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Parlamentsvertretungen errungen. Die deutsche Sozialdemokratie galt als
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die reinste Verkörperung des marxistischen Sozialismus. Sie hatte
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und beanspruchte eine Sonderstellung als die Lehrmeisterin und Führerin
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der zweiten Internationale. Friedrich Engels schrieb im Jahre 1895 in seinem
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berühmten Vorwort zu Marxens »Klassenkämpfen in Frankreich«: »Was auch in anderen Ländern geschehen möge, die deutsche
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Sozialdemokratie hat eine besondere Stellung und damit wenigstens zunächst
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auch eine besondere Aufgabe. Die zwei Millionen Wähler, die sie an
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die Urnen schickt, nebst den jungen Männern und den Frauen, die als
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Nichtwähler hinter ihnen stehen, bilden die zahlreichste, kompakteste
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Masse, den entscheidenden ,Gewalthaufen' der internationalen proletarischen
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Armee.« Die deutsche Sozialdemokratie war, wie die »Wiener Arbeiterzeitung« am 5. August 1914 schrieb, »das Juwel der Organisation des klassenbewußten,
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Proletariats«. In ihre Fußstapfen traten immer eifriger die französische,
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die italienische und die belgische Sozialdemokratie, die Arbeiterbewegung
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Hollands, Skandinaviens, der Schweiz, der Vereinigten Staaten. Die slawischen
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Länder aber, die Russen, die Sozialdemokraten des Balkans, blickten
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zu ihr mit schrankenloser, beinahe kritikloser Bewunderung auf. In der
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zweiten Internationale spielte der deutsche »Gewalthaufen« die
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ausschlaggebende Rolle. Auf den Kongressen, in den Sitzungen des Internationalen
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Sozialistischen Büros wartete alles auf die deutsche Meinung. Ja,
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gerade in den Fragen des Kampfes gegen den Militarismus und den Krieg trat
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die deutsche Sozialdemokratie stets entscheidend auf. »Für uns
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Deutsche ist dies unannehmbar«, genügte regelmäßig,
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um die Orientierung der Internationale zu bestimmen. Mit blindem Vertrauen
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ergab sie sich der Führung der bewunderten mächtigen deutschen
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Sozialdemokratie: diese war der Stolz jedes Sozialisten und der Schrecken
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der herrschenden Klassen in allen Ländern.</P>
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<P>Und was erlebten wir in Deutschland, als die große historische
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Probe kam? Den tiefsten Fall, den gewaltigsten Zusammenbruch. Nirgends
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ist die Organisation des Proletariats so gänzlich in den Dienst des
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Imperialismus gespannt, nirgends wird der Belagerungszustand so widerstandslos
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ertragen, nirgends die Presse so geknebelt, die öffentliche Meinung
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so erwürgt, der wirtschaftliche und politische Klassenkampf der Arbeiterklasse
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so gänzlich preisgegeben wie in Deutschland.</P>
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<P>Aber die deutsche Sozialdemokratie war nicht bloß der stärkste
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Vortrupp, sie war das denkende Hirn der Internationale. Deshalb muß
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in ihr und an ihrem Fall die Analyse, der Selbstbesinnungsprozeß
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ansetzen. Sie hat die Ehrenpflicht, mit der Rettung des internationalen
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Sozialismus, das heißt mit schonungsloser Selbstkritik voranzugehen.
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Keine andere Partei, keine andere Klasse der bürgerlichen Gesellschaft
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darf die eigenen Fehler, die eigenen Schwächen im klaren Spiegel der
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Kritik vor aller Welt zeigen, denn der Spiegel wirft ihr zugleich die vor
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ihr stehende geschichtliche Schranke und das hinter ihr stehende geschichtliche
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Verhängnis zurück. Die Arbeiterklasse darf stets ungescheut der
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Wahrheit, auch der bittersten Selbstbezichtigung ins Antlitz blicken, denn
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ihre Schwäche ist nur eine Verirrung, und das strenge Gesetz der Geschichte
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gibt ihr die Kraft zurück, verbürgt ihren endlichen Sieg.</P>
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<P>Die schonungslose Selbstkritik ist nicht bloß das Daseinsrecht,
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sie ist auch die oberste Pflicht der Arbeiterklasse. An unserem Bord führten
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wir die höchsten Schätze der Menschheit, zu deren Hüter
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das Proletariat bestellt war! Und während die bürgerliche Gesellschaft,
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geschändet und entehrt durch die blutige Orgie, ihrem Verhängnis
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weiter entgegenrennt, muß und wird das internationale Proletariat
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sich aufraffen und die goldenen Schätze heben, die es im wilden Strudel
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des Weltkrieges in einem Augenblick der Verwirrung und der Schwäche
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hat auf den Grund sinken lassen.</P>
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<P>Eins ist sicher: der Weltkrieg ist eine Weltwende. Es ist ein törichter
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Wahn, sich die Dinge so vorzustellen, daß wir den Krieg nur zu überdauern
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brauchen, wie der Hase unter dem Strauch das Ende des Gewitters abwartet,
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um nachher munter wieder in alten Trott zu verfallen. Der Weltkrieg hat
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die Bedingungen unseres Kampfes verändert und uns selbst am meisten.
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Nicht als ob die Grundgesetze der kapitalistischen Entwicklung, der Krieg
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zwischen Kapital und Arbeit auf Tod und Leben eine Abweichung oder eine
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Milderung erfahren sollten. Schon jetzt, mitten im Kriege, fallen die Masken,
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und es grinsen uns die alten bekannten Züge an. Aber das Tempo der
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Entwicklung hat durch den Ausbruch des imperialistischen Vulkans einen
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gewaltigen Ruck erhalten, die Heftigkeit der Auseinandersetzungen im Schoße
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der Gesellschaft, die Größe der Aufgaben, die vor dem sozialistischen
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Proletariat in unmittelbarer Nähe ragen ­ sie lassen alles bisherige
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in der Geschichte der Arbeiterbewegung als sanftes Idyll erscheinen.</P>
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<P>Geschichtlich war dieser Krieg berufen, die Sache des Proletariats gewaltig
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zu fördern. Bei Marx, der so viele historische Begebenheiten mit prophetischem
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Blick im Schoße der Zukunft entdeckt hat, findet sich in der Schrift
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über »Die Klassenkämpfe in Frankreich« die folgende
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merkwürdige Stelle:</P>
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<P><SMALL>»In Frankreich tut der Kleinbürger,
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was normalerweise der industrielle Bourgeois tun müßte (um die
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parlamentarischen Rechte kämpfen); der
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Arbeiter tut, was normalerweise die Aufgabe des Kleinbürgers wäre
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|
(um die demokratische Republik kämpfen);
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|
und die Aufgabe des Arbeiters, wer löst sie? Niemand. Sie wird nicht
|
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|
in Frankreich gelöst, sie wird in Frankreich proklamiert. Sie wird
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|
nirgendwo gelöst innerhalb der nationalen Wände. Der Klassenkrieg
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innerhalb der französischen Gesellschaft schlägt um in einen Weltkrieg,
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|
worin sich die Nationen gegenübertreten. Die Lösung, sie beginnt
|
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|
erst in dem Augenblick, wo durch den Weltkrieg das Proletariat an die Spitze
|
|||
|
des Volkes getrieben wird, das den Weltmarkt beherrscht, an die Spitze
|
|||
|
Englands. Die Revolution, die hier nicht ihr Ende, sondern ihren organisatorischen
|
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|
Anfang findet, ist keine kurzatmige Revolution. Das jetzige Geschlecht
|
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|
gleicht den Juden, die Moses durch die Wüste führt. Es hat nicht
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nur eine neue Welt zu erobern, es muß untergehen, um den Menschen
|
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|
Platz zu machen, die einer neuen Welt gewachsen sind.«</SMALL></P>
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<P>Das war im Jahre 1850 geschrieben, zu einer Zeit, wo England das einzige
|
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|
kapitalistisch entwickelte Land, das englische Proletariat das bestorganisierte,
|
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|
durch den wirtschaftlichen Aufschwung seines Landes zur Führung der
|
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|
internationalen Arbeiterklasse berufen schien. Lies statt England: Deutschland,
|
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|
und die Worte Marxens sind eine geniale Vorausahnung des heutigen Weltkrieges.
|
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|
Er war berufen, das deutsche Proletariat an die Spitze des Volkes zu treiben
|
|||
|
und damit »den organisatorischen Anfang« zu der großen
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|||
|
internationalen Generalauseinandersetzung zwischen der Arbeit und dem Kapital
|
|||
|
um die politische Macht im Staate zu machen.</P>
|
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|
<P>Und haben wir uns etwa die Rolle der Arbeiterklasse im Weltkriege anders
|
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|
vorgestellt? Erinnern wir uns, wie wir noch vor kurzer Zeit das Kommende
|
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|
zu schildern pflegten.</P>
|
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|
<P><SMALL>»Dann kommt die <B>Katastrophe</B>. Alsdann wird
|
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|
in Europa der große Generalmarsch schlagen, auf den hin 16 bis 18
|
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|
Millionen Männer, die Blüte der verschiedenen Nationen, ausgerüstet
|
|||
|
mit den besten Mordwerkzeugen, gegeneinander als Feinde ins Feld rücken.
|
|||
|
Aber nach meiner Überzeugung steht hinter dem großen Generalmarsch
|
|||
|
der große Kladderadatsch. Er kommt nicht durch uns, er kommt durch
|
|||
|
Sie selber. Sie treiben die Dinge auf die Spitze, Sie führen es zu
|
|||
|
einer Katastrophe. Sie werden ernten, was Sie gesät haben. <B>Die
|
|||
|
Götterdämmerung der bürgerlichen Welt ist im Anzuge. Seien
|
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|
Sie sicher: sie ist im Anzuge!</B>«</SMALL></P>
|
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|
<P>So sprach unser Fraktionsredner, <B>Bebel</B>, in der <B>Marokkodebatte</B>
|
|||
|
im Reichstag.</P>
|
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|
<P>Die offizielle Flugschrift der Partei »Imperialismus oder Sozialismus?«,
|
|||
|
die vor einigen Jahren in Hunderttausenden von Exemplaren verbreitet worden
|
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|
ist, schloß mit den Worten:</P>
|
|||
|
<P><SMALL>»So wächst sich der Kampf gegen den Imperialismus
|
|||
|
immer mehr zum <B>Entscheidungskampf zwischen Kapital und Arbeit</B> aus.
|
|||
|
Kriegsgefahr, Teuerung und Kapitalismus. ­ Friede, Wohlstand für
|
|||
|
alle, Sozialismus! so ist die Frage gestellt. <B>Großen Entscheidungen
|
|||
|
geht die Geschichte entgegen.</B> Unablässig muß das Proletariat
|
|||
|
an seiner welthistorischen Aufgabe arbeiten, die Macht seiner Organisation,
|
|||
|
die Klarheit seiner Erkenntnis stärken. Möge dann kommen, was
|
|||
|
da will, mag es seiner Kraft gelingen, die fürchterlichen Greuel eines
|
|||
|
Weltkrieges der Menschheit zu ersparen, <B>oder mag die kapitalistische
|
|||
|
Welt nicht anders in die Geschichte versinken, wie sie aus ihr geboren
|
|||
|
ward, in Blut und in Gewalt: die historische Stunde</B> wird die Arbeiterklasse
|
|||
|
bereit finden, und <B>bereit sein ist alles</B>.«</SMALL></P>
|
|||
|
<P>Im offiziellen »Handbuch für sozialdemokratische Wähler« vom Jahre 1911, zur letzten Reichstagswahl, steht auf S.42 über den
|
|||
|
erwarteten Weltkrieg zu lesen:</P>
|
|||
|
<P><SMALL>»Glauben unsere Herrschenden und herrschenden Klassen
|
|||
|
dieses Ungeheure den Völkern zumuten zu dürfen? Wird nicht ein
|
|||
|
Schrei des Entsetzens, des Zornes, der Empörung die Völker erfassen
|
|||
|
und sie veranlassen, diesem Morden ein Ende zu machen?«</SMALL></P>
|
|||
|
<P><SMALL>Werden sie nicht fragen: Für wen, für was das
|
|||
|
alles? Sind wir denn Geisteskranke, um so behandelt zu werden oder uns
|
|||
|
so behandeln zu lassen?</SMALL></P>
|
|||
|
<P><SMALL>Wer sich die Wahrscheinlichkeit eines großen europäischen
|
|||
|
Krieges ruhig überlegt, kann zu keinen anderen Schlüssen, als
|
|||
|
den hier angeführten kommen.</SMALL></P>
|
|||
|
<P><SMALL>Der nächste europäische Krieg wird ein Vabanquespiel,
|
|||
|
wie es die Welt noch nicht gesehen, er ist aller Voraussicht nach der letzte
|
|||
|
Krieg.«</SMALL></P>
|
|||
|
<P>Mit dieser Sprache, mit diesen Worten warben unsere jetzigen Reichstagsabgeordneten
|
|||
|
um ihre 110 Mandate.</P>
|
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<P>Als im Sommer des Jahres 1911 der Panthersprung nach Agadir und die
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lärmende Hetze der deutschen Imperialisten die Gefahr des europäischen
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Krieges in die nächste Nähe gerückt hatten, nahm eine internationale
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Versammlung in London am 4. August die folgende Resolution an:</P>
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<P><SMALL>»Die deutschen, spanischen, englischen, holländischen
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und französischen Delegierten der Arbeiterorganisationen erklären,
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<B>bereit zu sein, sich jeder Kriegserklärung mit allen zu Gebote
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stehenden Mitteln zu widersetzen</B>. Jede vertretene Nation übernimmt
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die Verpflichtung, gemäß den Beschlüssen ihrer nationalen
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und der internationalen Kongresse gegen alle verbrecherischen Umtriebe
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der herrschenden Klassen <B>zu handeln</B>.«</SMALL></P>
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<P>Als aber im November 1912 der Internationale Kongreß in Basel
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zusammentrat, als der lange Zug der Arbeitervertreter im Münster anlangte,
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da ging ein Erschauern vor der Größe der, kommenden Schicksalsstunde
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und ein heroischer Entschluß durch die Brust aller Anwesenden.
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<P>Der kühle, skeptische <B>Victor Adler</B> rief:</P>
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<P><SMALL>»Genossen, das Wichtigste ist, daß wir hier
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an dem gemeinsamen Quell Unserer Kraft sind, daß wir von hier die
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Kraft mitnehmen, ein jeder in seinem Lande zu tun, was er kann, durch die
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Formen und Mittel, die wir haben, mit der ganzen Macht, die wir besitzen,
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uns entgegenzustemmen dem Verbrechen des Krieges. Und wenn es vollbracht
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werden sollte, wenn es wirklich vollbracht werden sollte, <B>dann müssen
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wir dafür sorgen, daß es ein Stein sei, ein Stein vom Ende</B>.</SMALL></P>
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<P><SMALL>Das ist die Gesinnung, die die ganze Internationale beseelt.</SMALL></P>
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<P><SMALL>Und wenn Mord und Brand und Pestilenz durch das zivilisierte
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Europa ziehen ­ wir können nur mit Schaudern daran denken, und
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Empörung und Entrüstung ringt sich aus unserer Brust. <B>Und
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wir fragen uns: sind denn die Menschen, sind die Proletarier wirklich heute
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noch Schafe</B>, daß sie stumm zur Schlachtbank geführt werden
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können?...«</SMALL></P>
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<P><B>Troelstra</B> sprach im Namen der »kleinen Nationen«, auch
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in Belgiens Namen:</P>
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<P><SMALL>»Mit Gut und Blut steht das Proletariat der kleinen
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Länder der Internationale zur Verfügung in allem, was sie beschließen
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will, um den Krieg fernzuhalten. Wir sprechen weiter die Erwartung aus,
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daß, wenn einmal die herrschenden Klassen der großen Staaten
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die Söhne ihres Proletariats zu den Waffen rufen, um die Habgier und
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die Herrschaft ihrer Regierungen zu kühlen in dem Blute und auf dem
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Boden der kleinen Völker, daß dann die Proletariersöhne
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unter dem mächtigen Einfluß ihrer proletarischen Eltern, des
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Klassenkampfes und der proletarischen Presse es sich dreimal überlegen
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werden, ehe sie im Dienste dieses kulturfeindlichen Unternehmens uns, ihren
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Brüdern, ihren Freunden etwas zuleide tun.«</SMALL></P>
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<P>Und <B>Jaurès</B> schloß seine Rede, nachdem er im Namen
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des Internationalen Büros das Manifest gegen den Krieg verlesen hatte:</P>
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<P><SMALL>»Die Internationale vertritt alle sittlichen Kräfte
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in der Welt! Und wenn einmal die tragische Stunde schlägt, in der
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wir uns ganz hingeben müßten, dieses Bewußtsein würde
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uns stützen und stärken. Nicht nur leichthin gesprochen, nein,
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<B>aus dem Tiefsten unseres Wesens erklären wir, wir sind zu allen
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Opfern bereit.«</B></SMALL></P>
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<P>Es war wie ein Rütlischwur. Die ganze Welt richtete die Blicke
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auf den Basler Münster, wo die Glocken zur künftigen großen
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Schlacht zwischen der Armee der Arbeit und der Macht des Kapitals ernst
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und feierlich läuteten.</P>
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<P>Am 3. Dezember 1912 sprach der sozialdemokratische Fraktionsredner David
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im Deutschen Reichstag:</P>
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<P><SMALL>»Das war eine der schönsten Stunden meines Lebens,
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das bekenne ich. Als die Glocken des Münsters den Zug der internationalen
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Sozialdemokraten begleiteten, als die roten Fahnen im Chor der Kirche um
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den Altar sich aufstellten, und als Orgelklang die Sendboten der Völker
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begrüßte, die den Frieden verkünden wollten, da war das
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allerdings ein Eindruck, den ich nicht vergessen werde... Was sich hier
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vollzieht, das sollte Ihnen doch klarwerden. <B>Die Massen hören auf,
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willenlose, gedankenlose Herden zu sein</B>. Das ist neu in der Geschichte.
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Früher haben sich die Massen blindlings von denen, die Interesse an
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einem Krieg hatten, gegeneinanderhetzen und in den Massenmord treiben lassen.
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Das hört auf. <B>Die Massen hören auf, willenlose Instrumente
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und Trabanten irgendwelcher Kriegsinteressenten zu sein</B>.«</SMALL>
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<P>Noch eine Woche vor Ausbruch des Krieges, am 26. Juli 1914, schrieben
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deutsche Parteiblätter:</P>
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<P><SMALL>»Wir sind keine Marionetten, wir bekämpfen mit
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aller Energie ein System, das die Menschen zu willenlosen Werkzeugen der
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blind waltenden Verhältnisse macht, diesen Kapitalismus, der das nach
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Frieden dürstende Europa in ein dampfendes Schlachthaus zu verwandeln
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sich anschickt. Wenn das Verderben seinen Gang geht, wenn der entschlossene
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Friedenswille des deutschen, des internationalen Proletariats, der in den
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nächsten Tagen sich in machtvollen Kundgebungen offenbaren wird, nicht
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imstande sein sollte, den Weltkrieg abzuwehren, <B>dann soll er wenigstens
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der letzte Krieg, dann soll er die Götterdämmerung des Kapitalismus
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werden</B>.« (»Frankfurter Volksstimme.«) </SMALL></P>
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<P>Noch am 30. Juli 1914 rief das Zentralorgan der deutschen Sozialdemokratie:</P>
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<P><SMALL>»Das sozialistische Proletariat lehnt jede Verantwortung
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für die Ereignisse ab, die eine bis zum Aberwitz verblendete herrschende
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Klasse heraufbeschwört. Es weiß, daß <B>gerade ihm neues
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Leben aus den Ruinen blühen wird</B>. Alle <B>Verantwortung</B> fällt
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auf die <B>Machtbaber von heute</B>.</SMALL></P>
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<P><SMALL>Für sie handelt es sich um <B>Sein oder Nichtsein</B>.</SMALL></P>
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<P><SMALL><B>Die Weltgeschichte ist das Weltgericht</B>.«</SMALL></P>
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<P>Und dann kam das Unerhörte, das Beispiellose, der 4. August 1914.</P>
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<P>Ob es so kommen mußte? Ein Geschehnis von dieser Tragweite ist
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gewiß kein Spiel des Zufalls. Es müssen ihm tiefe und weitgreifende
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objektive Ursachen zugrunde liegen. Aber diese Ursachen können auch
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in Fehlern der Führerin des Proletariats, der Sozialdemokratie, im
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Versagen unseres Kampfwillens, unseres Muts, unserer Überzeugungstreue
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liegen. Der wissenschaftliche Sozialismus hat uns gelehrt, die objektiven
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Gesetze der geschichtlichen Entwicklung zu begreifen. Die Menschen machen
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ihre Geschichte nicht aus freien Stücken. Aber sie machen sie selbst.
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Das Proletariat ist in seiner Aktion von dem jeweiligen Reifegrad der gesellschaftlichen
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Entwicklung abhängig, aber die gesellschaftliche Entwicklung geht
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nicht jenseits des Proletariats vor sich, es ist in gleichem Maße
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ihre Triebfeder und Ursache, wie es ihr Produkt und Folge ist. Seine Aktion
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selbst ist mitbestimmender Teil der Geschichte. Und wenn wir die geschichtliche
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Entwicklung so wenig überspringen können, wie der Mensch seinen
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Schatten, wir können sie wohl beschleunigen oder verlangsamen.</P>
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<P>Der Sozialismus ist die erste Volksbewegung der Weltgeschichte, die
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sich zum Ziel setzt und von der Geschichte berufen ist, in das gesellschaftliche
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Tun der Menschen einen bewußten Sinn, einen planmäßigen
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Gedanken und damit den freien Willen hineinzutragen. Darum nennt Friedrich
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Engels den endgültigen Sieg des sozialistischen Proletariats einen
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Sprung der Menschheit aus dem Tierreich in das Reich der Freiheit. Auch
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dieser »Sprung« ist an eherne Gesetze der Geschichte, an tausend
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Sprossen einer vorherigen qualvollen und allzu langsamen Entwicklung gebunden.
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Aber er kann nimmermehr vollbracht werden, wenn aus all dem von der Entwicklung
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zusammengetragenen Stoff der materiellen Vorbedingungen nicht der zündende
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Funke des bewußten Willens der großen Volksmasse aufspringt.
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Der Sieg des Sozialismus wird nicht wie ein Fatum vom Himmel herabfallen.
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Er kann nur durch eine lange Kette gewaltiger Kraftproben zwischen den
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alten und den neuen Mächten erkämpft werden, Kraftproben, in
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denen das internationale Proletariat unter der Führung der Sozialdemokratie
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lernt und versucht, seine Geschicke in die eigene Hand zu nehmen, sich
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des Steuers des gesellschaftlichen Lebens zu bemächtigen, aus einem
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willenlosen Spielball der eigenen Geschichte zu ihrem zielklaren Lenker
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zu werden.
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<P>Friedrich Engels sagte einmal: <I>die bürgerliche Gesellschaft steht
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vor einem Dilemma: entweder Übergang zum Sozialismus oder Rückfall
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in die Barbarei.</I> Was bedeutet ein »Rückfall in die Barbarei« auf unserer Höhe der europäischen Zivilisation? Wir haben wohl
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alle die Worte bis jetzt gedankenlos gelesen und wiederholt, ohne ihren
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furchtbaren Ernst zu ahnen. Ein Blick um uns in diesem Augenblick zeigt,
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was ein Rückfall der bürgerlichen Gesellschaft in die Barbarei
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bedeutet. Dieser Weltkrieg - das ist ein Rückfall in die Barbarei.
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Der Triumph des Imperialismus führt zur Vernichtung der Kultur ­
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sporadisch während der Dauer eines modernen Krieges, und endgültig,
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wenn die nun begonnene Periode der Weltkriege ungehemmt bis zur letzten
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Konsequenz ihren Fortgang nehmen sollte. Wir stehen also heute, genau wie
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Friedrich Engels vor einem Menschenalter, vor vierzig Jahren, voraussagte,
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vor der Wahl: entweder Triumph des Imperialismus und Untergang jeglicher
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Kultur, wie im alten Rom, Entvölkerung, Verödung, Degeneration,
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ein großer Friedhof. Oder Sieg des Sozialismus, das heißt der
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bewußten Kampfaktion des internationalen Proletariats gegen den Imperialismus
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und seine Methode: den Krieg. Dies ist ein Dilemma der Weltgeschichte,
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ein Entweder - Oder, dessen Waagschalen zitternd schwanken vor dem Entschluß
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des klassenbewußten Proletariats. Die Zukunft der Kultur und der
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Menschheit hängt davon ab, ob das Proletariat sein revolutionäres
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Kampfschwert mit männlichem Entschluß in die Waagschale wirft.
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</P>
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<P>In diesem Kriege hat der Imperialismus gesiegt. Sein blutiges Schwert des
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Völkermordes hat mit brutalem Übergewicht die Waagschale in den
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Abgrund des Jammers und der Schmach hinabgezogen. Der ganze Jammer und
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die ganze Schmach können nur dadurch aufgewogen werden, daß
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wir aus dem Kriege und im Kriege lernen, wie das Proletariat sich aus der
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Rolle eines Knechts in den Händen der herrschenden Klassen zum Herrn
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des eigenen Schicksals aufrafft.
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<P>Teuer erkauft die moderne Arbeiterklasse jede Erkenntnis ihres historischen
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Berufes. Der Golgathaweg ihrer Klassenbefreiung ist mit furchtbaren Opfern
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besät. Die Junikämpfer, die Opfer der Kommune, die Märtyrer
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der russischen Revolution ­ ein Reigen blutiger Schatten schier ohne
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Zahl. Jene waren aber auf dem Felde der Ehre gefallen, sie sind, wie Marx
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über die Kommune-Helden schrieb, auf »ewige Zeiten eingeschreint
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in dem großen Herzen der Arbeiterklasse«. Jetzt fallen Millionen
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Proletarier aller Zungen auf dem Felde der Schmach, des Brudermordes, der
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Selbstzerfleischung mit dem Sklavengesang auf den Lippen. Auch das sollte
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uns nicht erspart bleiben. Wir gleichen wahrhaft den Juden, die Moses durch
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die Wüste führt. Aber wir sind nicht verloren, und wir werden
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siegen, wenn wir zu lernen nicht verlernt haben. Und sollte die heutige
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Führerin des Proletariats, die Sozialdemokratie, nicht zu lernen verstehen,
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|
dann wird sie untergehen, »um den Menschen Platz zu machen, die einer
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|
neuen Welt gewachsen sind«.</P>
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<HR size="1" align="left" width="200">
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<P><SMALL>Quelle: »die nicht mehr existierende Website "Unser Kampf" auf fr<66>her "http://felix2.2y.net/deutsch/index.html"«<BR>
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Pfad: »../lu/«<BR>
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|
Verknüpfte Dateien: »<A href="http://www.mlwerke.de/css/format.css">../css/format.css</A>«</SMALL>
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<HR size="1">
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<TABLE width="100%" border="0" align="center" cellspacing=0 cellpadding=0>
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<TR>
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<TD align="center" width="24%" height=20 valign=middle><A href="../index.shtml.html"><SMALL>MLWerke</SMALL></A></TD>
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<TD align="center"><B>|</B></TD>
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<TD align="center" width="24%" height=20 valign=middle><A href="luf.htm"><SMALL>Inhalt</SMALL></A></TD>
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<TD align="center">|</TD>
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<TD align="center" width="24%" height=20 valign=middle><A href="luf_2.htm"><SMALL>Teil 2</SMALL></A></TD>
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<TD align="center"><B>|</B></TD>
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<TD align="center" width="24%" height=20 valign=middle><A href="default.htm"><SMALL>Rosa Luxemburg</SMALL></A></TD>
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</TR>
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</TABLE>
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