emacs.d/clones/www.mlwerke.de/beb/beaa/beaa_407.htm

41 lines
18 KiB
HTML
Raw Normal View History

2022-08-25 20:29:11 +02:00
<!DOCTYPE HTML PUBLIC "-//W3C//DTD HTML 3.2//EN">
<HTML>
<HEAD>
<TITLE>August Bebel - Die Frau und der Sozialismus - 20. Kapitel</TITLE>
<META HTTP-EQUIV="Content-Type" CONTENT="text/html; charset=ISO-8859-1">
</HEAD>
<BODY LINK="#0000ff" VLINK="#800080" BGCOLOR="#ffffaf">
<P ALIGN="CENTER"><A HREF="beaa_389.htm"><FONT SIZE=2>19. Kapitel</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="beaa_000.htm"><FONT SIZE=2>Inhalt</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="beaa_414.htm"><FONT SIZE=2>21. Kapitel</FONT></A></P>
<FONT SIZE=2><P>August Bebel - "Die Frau und der Sozialismus" - 62. Auflage, Berlin/DDR, 1973, S. 407-413.</P>
<P>1. Korrektur.<BR>
Erstellt am 31.1.1999.</P>
</FONT><I><FONT SIZE=4><P ALIGN="CENTER">Vierter Abschnitt<BR>
</I></FONT><FONT SIZE=5>Die Sozialisierung der Gesellschaft</P>
</FONT><I><P ALIGN="CENTER">Zwanzigstes Kapitel <BR>
</I><FONT SIZE=4>Die soziale Revolution</P>
</FONT><I><P ALIGN="CENTER">1. Die Umgestaltung der Gesellschaft</P>
</I><B><P><A NAME="S407">|407|</A></B> Die Flut steigt und untersp&uuml;lt das Fundament, auf dem unser Staats- und Gesellschaftsbau ruht. Alle Welt f&uuml;hlt, da&szlig; die Fundamente wanken und nur noch kr&auml;ftige St&uuml;tzen retten k&ouml;nnen. Aber das erfordert gro&szlig;e Opfer, welche die herrschenden Klassen bringen m&uuml;&szlig;ten. Da liegt aber das Hindernis. Jeder Vorschlag, dessen Verwirklichung ernsthaft die materiellen Interessen der herrschenden Klassen sch&auml;digt und ihre bevorrechtete Stellung in Frage zu stellen droht, wird von ihnen grimmig bek&auml;mpft und als eine auf den Umsturz der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung gerichtete Bestrebung gebrandmarkt. Die kranke Welt ist aber nicht zu kurieren, ohne da&szlig; die Privilegien und Vorrechte der herrschenden Klassen in Frage gestellt und schlie&szlig;lich beseitigt werden. </P>
<P>"Der Kampf um die Befreiung der arbeitenden Klassen ist kein Kampf um Vorrechte, sondern ein Kampf um gleiche Rechte und gleiche Pflichten und f&uuml;r die Beseitigung aller Vorrechte", hei&szlig;t es im sozialdemokratischen Programm. Daraus ergibt sich, da&szlig; mit halben Ma&szlig;regeln und kleinen Konzessionen nichts getan ist. </P>
<P>Die herrschenden Klassen betrachten aber ihre bevorrechtete Stellung als eine durchaus naturgem&auml;&szlig;e und selbstverst&auml;ndliche, an deren Berechtigung und Fortbestand man nicht zweifeln d&uuml;rfe, und so ist es wieder selbstverst&auml;ndlich, da&szlig; sie jeden Versuch, ihre Vorrechtstellung zu ersch&uuml;ttern, zur&uuml;ckweisen und bek&auml;mpfen. Selbst Vorschl&auml;ge und Gesetze, die weder an den Grundlagen der bestehenden Gesellschaftsordnung noch an ihrer Vorrechtstellung etwas &auml;ndern, bringen sie in die gr&ouml;&szlig;te Aufregung, sobald nur ihr Geldbeutel in Anspruch genommen wird oder in Anspruch genommen werden k&ouml;nnte. In den Parlamenten werden ganze Berge Papier mit Reden bedruckt, bis endlich der krei&szlig;ende Berg ein M&auml;uslein gebiert. Den selbstverst&auml;ndlich- <A NAME="S408"><B>|408|</A></B> sten Forderungen des Arbeitsschutzes begegnet man mit einem Widerstand, als hinge davon die Existenz der Gesellschaft ab. Und werden nach unendlichen K&auml;mpfen ihnen einige Konzessionen abgerungen, dann geb&auml;rden sie sich, als h&auml;tten sie einen gro&szlig;en Teil ihres Verm&ouml;gens geopfert. Denselben hartn&auml;ckigen Widerstand zeigen sie, handelt es sich darum, die unterdr&uuml;ckten Klassen als formell gleichberechtigt anzuerkennen und, zum Beispiel in Fragen des Arbeitsvertrags, als Gleichberechtigte mit ihnen zu verhandeln. </P>
<P>Dieser Widerstand bei den einfachsten Dingen und den selbstverst&auml;ndlichsten Forderungen best&auml;tigt den alten Erfahrungssatz, da&szlig; keine herrschende Klasse durch<I> Gr&uuml;nde</I> zu &uuml;berzeugen ist, wenn sie nicht die Gewalt der Umst&auml;nde zur Einsicht und zur Nachgiebigkeit zwingt. Die Gewalt der Umst&auml;nde liegt aber in dem steigenden Ma&szlig;e von Einsicht, das bei den Unterdr&uuml;ckten durch die Entwicklung unserer Verh&auml;ltnisse erzeugt wird. Die Klassengegens&auml;tze werden immer sch&auml;rfer, sichtbarer und f&uuml;hlbarer. Es kommt den unterdr&uuml;ckten und ausgebeuteten Klassen die Erkenntnis von der Unhaltbarkeit des Bestehenden; ihre Emp&ouml;rung w&auml;chst und mit ihr das gebieterische Verlangen nach Umgestaltung und Vermenschlichung der Zust&auml;nde. Indem diese Erkenntnis immer weitere Kreise ergreift,<I> erobert sie schlie&szlig;lich die ungeheuere Mehrheit der Gesellschaft, die bei dieser Umgestaltung auf das direkteste interessiert ist</I>. In demselben Ma&szlig;e aber, wie bei der Masse die Einsicht von der Unhaltbarkeit des Bestehenden und die Erkenntnis von der Notwendigkeit seiner Umgestaltung von Grund aus steigt,<I> sinkt die Widerstandsf&auml;higkeit der herrschenden Klasse, deren Macht auf der Unwissenheit und Einsichtslosigkeit der unterdr&uuml;ckten und ausgebeuteten Massen beruht</I>. Diese Wechselwirkung ist evident, und daher mu&szlig; alles, was sie f&ouml;rdert, willkommen sein. Den gro&szlig;kapitalistischen Fortschritten auf der einen Seite h&auml;lt die zunehmende Erkenntnis von dem Widerspruch, in dem sich die bestehende Gesellschaftsordnung mit dem Wohle der ungeheuren Volksmehrheit befindet, die Waage. Kostet auch die L&ouml;sung und Aufhebung der gesellschaftlichen Gegens&auml;tze gro&szlig;e Opfer und viele Anstrengungen, die L&ouml;sung wird gefunden, sobald die Gegens&auml;tze den H&ouml;hepunkt ihrer Entwicklung erreicht haben, dem sie rapid zueilen. </P>
<P>Die Ma&szlig;regeln, die in den einzelnen Entwicklungsphasen zu ergreifen sind, h&auml;ngen von den jeweiligen Umst&auml;nden ab. Es ist unm&ouml;g- <A NAME="S409"><B>|409|</A></B> lich, vorauszusagen, welche Ma&szlig;regeln die Umst&auml;nde im Einzelfall notwendig machen werden. Keine Regierung, kein Minister, und sei es der m&auml;chtigste, wei&szlig; im voraus, was im n&auml;chsten Jahre die Umst&auml;nde ihn n&ouml;tigen zu tun. Das kann erst recht nicht gesagt werden von Ma&szlig;regeln, die von Umst&auml;nden beeinflu&szlig;t werden, deren Eintritt sich der sicheren Berechnung und Voraussage entzieht. Die Frage nach den Mitteln ist die Frage nach der Taktik in einem Kampfe. Die Taktik richtet sich aber nach dem Gegner und weiter nach den Hilfsmitteln, die beiden Teilen zu Gebote stehen. Ein Mittel, das heute vorz&uuml;glich ist, kann morgen verderblich sein, weil die Umst&auml;nde, die gestern seine Anwendung rechtfertigten, sich &auml;nderten. Mit dem Ziele im Auge, h&auml;ngen die Mittel zur Erreichung desselben von Zeit und Umst&auml;nden ab; n&ouml;tig ist nur, da&szlig; man die wirksamsten und<I> einschneidendsten</I> ergreift,<I> die Zeit und Umst&auml;nde erm&ouml;glichen zu ergreifen</I>. Man kann also, l&auml;&szlig;t man sich auf die Ausmalung von Zukunftsgestaltungen ein, nur hypothetisch verfahren; man mu&szlig; Voraussetzungen unterstellen, die man als eingetroffen annimmt.<I> </P>
<P>Von diesem Gesichtspunkt ausgehend unterstellen wir, da&szlig; in einem gegebenen Zeitpunkt alle geschilderten &Uuml;bel so auf die Spitze getrieben sind, da&szlig; sie der gro&szlig;en Mehrheit der Bev&ouml;lkerung so sichtbar und f&uuml;hlbar werden, da&szlig; sie ihr unertr&auml;glich erscheinen und da&szlig; ein allgemeines, unwiderstehliches Verlangen nach gr&uuml;ndlicher Umgestaltung sie ergreift, wobei sie die rascheste Hilfe als die zweckm&auml;&szlig;igste ansieht.</I> </P>
<P>Alle gesellschaftlichen &Uuml;bel haben ohne Ausnahme ihre Quelle in der sozialen Ordnung der Dinge, die gegenw&auml;rtig, wie gezeigt, auf dem Kapitalismus, auf der kapitalistischen Produktionsweise beruht, kraft deren die Kapitalistenklasse die Eigent&uuml;merin aller Arbeitsmittel - Grund und Boden, Gruben und Bergwerke, Rohstoffe, Werkzeuge, Maschinen, Verkehrsmittel - ist und dadurch die Ausbeutung und Unterdr&uuml;ckung der gro&szlig;en Volksmehrheit betreibt, was wachsende Unsicherheit der Existenz, des Druckes und der Erniedrigung der ausgebeuteten Klassen im Gefolge hat. Demgem&auml;&szlig; w&auml;re also der k&uuml;rzeste und rascheste Schritt, durch eine allgemeine Expropriation dieses kapitalistische Eigentum in gesellschaftliches Eigentum (Gemeineigentum) zu verwandeln. <I>Die Warenproduktion wird in sozialistische, f&uuml;r und durch die Gesellschaft betriebene Produktion verwandelt. Der Gro&szlig;betrieb und die stets wachsende Ertragsf&auml;higkeit</I> <A NAME="S410"><B>|410|</A></B> <I>der gesellschaftlichen Arbeit, bisher eine Quelle des Elends und der Unterdr&uuml;ckung der ausgebeuteten Klassen, werden jetzt zu einer Quelle der h&ouml;chsten Wohlfahrt und der harmonischen Ausbildung aller. </P>
<P ALIGN="CENTER"><A NAME="Kap_20_2">2. Die Expropriation der Expropriateure</A></P>
</I><P>Die Umwandlung aller Arbeitsmittel in Gemeineigentum schafft der Gesellschaft die neue Grundlage. Jetzt werden die Lebens- und Arbeitsbedingungen f&uuml;r <I>beide</I> Geschlechter in Industrie, Ackerbau, Verkehr, Erziehung, Ehe, im wissenschaftlichen, k&uuml;nstlerischen und geselligen Leben von Grund aus andere. Die menschliche Existenz erh&auml;lt einen neuen Inhalt. Allm&auml;hlich verliert auch die staatliche Organisation ihren Boden, und es <I>verschwindet der Staat</I>; er hebt sich gewisserma&szlig;en selbst auf. </P>
<P>Im ersten Abschnitt dieser Schrift wurde gezeigt, warum der Staat entstehen mu&szlig;te. Er ist das Produkt einer gesellschaftlichen Entwicklung aus der primitiven, auf Kommunismus beruhenden Gesellschaft, die in dem Ma&szlig;e aufgel&ouml;st wird, wie sich das <I>Privateigentum</I> entwickelt. Mit dem Aufkommen des Privateigentums entstehen innerhalb der Gesellschaft die antagonistischen Interessen. Es entstehen Standes- und Klassengegens&auml;tze, die notwendig zu Klassenk&auml;mpfen zwischen den verschiedenen Interessengruppen f&uuml;hren und die neue Ordnung in ihrem Bestand bedrohen. Um aber die Gegner der neuen Ordnung niederhalten zu k&ouml;nnen und die bedrohten Eigent&uuml;mer zu sch&uuml;tzen, bedarf es einer Organisation, die diesen Angriffen wehrt und den Besitz f&uuml;r "rechtm&auml;&szlig;ig" erkl&auml;rt und "heilig" spricht. <I>Diese das Eigentum sch&uuml;ttende und es aufrechthaltende Organisation und Gewalt wird der Staat.</I> Durch Gesetze sichert er dem Eigent&uuml;mer seinen Besitz und tritt dem Angreifer auf die gesetzlich festgelegte Ordnung als Richter und R&auml;cher gegen&uuml;ber. Ihrem innersten Wesen nach ist also das Interesse einer herrschenden Eigent&uuml;merklasse und das der Staatsgewalt stets konservativ. Die Staatsorganisation &auml;ndert sich erst, wenn es das Interesse des Eigentums erfordert. Ist so der Staat die <I>notwendige </I>Organisation einer auf Klassenherrschaft beruhenden Gesellschaftsordnung, so verliert er, sobald die Klassengegens&auml;tze durch Aufhebung des Privateigentums gefallen sind, <I>seine Existenznotwendigkeit und Existenzm&ouml;glichkeit</I>. Der Staat h&ouml;rt mit der Beseitigung <A NAME="S411"><B>|411|</A></B> des Herrschaftsverh&auml;ltnisses allm&auml;hlich ebenso auf, wie die Religion aufh&ouml;rt, wenn der Glaube an &uuml;bernat&uuml;rliche Wesen oder an vernunftbegabte, &uuml;bersinnliche Kr&auml;fte nicht mehr vorhanden ist. Worte m&uuml;ssen einen Inhalt besitzen; verlieren sie diesen, dann h&ouml;ren sie auf, Begriffe zu bilden. </P>
<P>Hier wirft vielleicht ein kapitalistisch gesinnter Leser ein, alles gut und sch&ouml;n, aber mit welchem "Rechtsgrund" will die Gesellschaft diese grundst&uuml;rzenden Umwandlungen rechtfertigen? Der Rechtsgrund ist derselbe, der immer vorhanden war, wenn es sich um &auml;hnliche Ver&auml;nderungen und Umgestaltungen handelte, das<I> Gemeinwohl</I>. Die Quelle des Rechts ist nicht der Staat, sondern die Gesellschaft, die Staatsgewalt ist nur der Kommis der Gesellschaft, der das Recht zu verwalten und auszumessen hat. Die herrschende Gesellschaft war bisher immer nur eine kleine Minderheit, diese aber handelte im Namen der ganzen Gesellschaft (des Volkes), indem sie sich als "die Gesellschaft" ausgab, wie Ludwig XIV. sich f&uuml;r den Staat. L'&eacute;tat c<>est moi (der Staat bin ich). Wenn unsere Zeitungen schreiben: Die Saison beginnt, die Gesellschaft eilt in die Stadt; oder: Die Saison ist zu Ende, die Gesellschaft eilt aufs Land, meinen sie damit nicht das Volk, sondern die obersten Zehntausend, welche "die Gesellschaft" bilden, wie sie den "Staat" bilden. Die Menge ist Plebs, vile multitude, Canaille, Volk. Dieser Sachlage entsprechend ist alles, was der Staat im Namen der Gesellschaft f&uuml;r das "Gemeinwohl" tut, in erster Linie den herrschenden Klassen n&uuml;tzlich und vorteilhaft gewesen. In ihrem Interesse werden die Gesetze gemacht. "Salus rei publicae suprema lex esto" (das Wohl des Gemeinwesens sei das h&ouml;chste Gesetz) ist bekanntlich ein altr&ouml;mischer Rechtsgrundsatz. Wer bildete aber das r&ouml;mische Gemeinwesen? Die unterjochten V&ouml;lker, die Millionen Sklaven? Nein! Die verh&auml;ltnism&auml;&szlig;ig geringe Zahl r&ouml;mischer B&uuml;rger, in erster Linie der r&ouml;mische Adel, die sich von den Unterjochten ern&auml;hren lie&szlig;en. </P>
<P>Als im Mittelalter Adel und F&uuml;rsten das Gemeingut raubten, taten sie es von "Rechts wegen" im "Interesse des Gemeinwohls", und wie gr&uuml;ndlich dabei mit der. Gemeineigentum und dem Eigentum der hilflosen Bauern verfahren wurde, das zeigt die Geschichte des Mittelalters bis in die Neuzeit auf jedem ihrer Bl&auml;tter. Die Agrargeschichte der letzten tausend Jahre ist eine Geschichte ununterbrochenen Raubes am Gemein- und am Bauerneigentum, der seitens des Adels und der Kirche in allen Kulturstaaten Europas praktiziert wurde. <A NAME="S412"><B>|412|</A></B> Als dann die gro&szlig;e franz&ouml;sische Revolution das Adels- und Kirchengut expropriierte, tat sie dies "im Namen des Gemeinwohls", und der gr&ouml;&szlig;te Teil der acht Millionen Grundeigent&uuml;mer, welche die St&uuml;tze des b&uuml;rgerlichen Frankreich bilden, verdankt dieser Expropriation seine Existenz. Im Namen des "Gemeinwohls" nahm Spanien mehrfach Kircheneigentum in Beschlag, und Italien konfiszierte es g&auml;nzlich, beklatscht von den eifrigsten Verfechtern des "heiligen Eigentums". Der englische Adel hat w&auml;hrend Jahrhunderten das irische und englische Volk an seinem Eigentum bestohlen und beschenkte sich selbst "gesetzlich" von 1804 bis 1832 "im Interesse des Gemeinwohls" mit nicht weniger als 3.511.710 Acres Gemeindeland. Und als im gro&szlig;en nordamerikanischen Sklavenbefreiungskrieg Millionen Sklaven f&uuml;r frei erkl&auml;rt wurden, die wohlerworbenes Eigentum ihrer Herren waren, ohne da&szlig; man diese entsch&auml;digte, geschah es "im Namen des Gemeinwohls". Unsere ganze b&uuml;rgerliche Entwicklung ist ein ununterbrochener Expropriations- und Konfiskationsproze&szlig;, bei dem der Fabrikant den Handwerker, der Gro&szlig;grundbesitzer den Bauern, der Gro&szlig;kaufmann den H&auml;ndler und schlie&szlig;lich ein Kapitalist den anderen, das hei&szlig;t der Gr&ouml;&szlig;ere den Kleineren, expropriiert und aufsaugt. H&ouml;ren wir unsere Bourgeoisie, so geschieht das alles zum Besten des "Gemeinwohls", zum "Nutzen der Gesellschaft". </P>
<P>Die Napoleoniden "retteten" am 18. Brumaire und 2. Dezember die "Gesellschaft", und die "Gesellschaft" begl&uuml;ckw&uuml;nschte sie; wenn die Gesellschaft sich k&uuml;nftig selbst rettet, indem sie das Eigentum, das sie geschaffen, wieder in ihre H&auml;nde nimmt, begeht sie die geschichtlich denkw&uuml;rdigste Tat,<I> denn sie handelt nicht, um die einen zugunsten der anderen zu unterdr&uuml;cken, sondern um allen die Gleichheit der Existenzbedingungen zu gew&auml;hren und jedem ein menschenw&uuml;rdiges Dasein zu erm&ouml;glichen</I>. Es ist die sittlich gro&szlig;artigste Ma&szlig;regel, welche die Gesellschaft jemals ausgef&uuml;hrt hat. </P>
<P>In welchen Formen sich dieser gro&szlig;e gesellschaftliche Expropriationsproze&szlig; vollziehen wird, und unter welchen Modalit&auml;ten, entzieht sich jeder Voraussage. Wer kann wissen, wie dann die Verh&auml;ltnisse beschaffen sind. </P>
<P>In seinem vierten sozialen Brief an v. Kirchmann, betitelt "Das Kapital" <A NAME="ZF1"><A HREF="beaa_407.htm#F1">(1)</A></A>, sagt Rodbertus S. 117: "Eine Abl&ouml;sung alles Grundkapitaleigentums ist<I> keine</I> Schim&auml;re, sondern national-&ouml;konomisch sehr <A NAME="S413"><B>|413|</A></B> wohl denkbar. Auch w&auml;re sie sicherlich die<I> radikalste Hilfe f&uuml;r die Gesellschaft</I>, die, wie man kurz sagen darf, an dem Wachsen der Rente - Grund- und Kapitalrente - leidet. Sie w&auml;re daher die einzige Form der Aufhebung des Grund- und Kapitaleigentums,<I> die auch nicht auf Augenblicke den Verkehr und den Fortschritt des nationalen Reichtums unterbr&auml;che</I>." Was sagen unsere Agrarier zu dieser Ansicht eines ihrer ehemaligen Parteigenossen? </P>
<P>Wie nach einer solchen Ma&szlig;regel die Dinge sich wahrscheinlich gestalten werden, kann nicht in bindender Weise dargelegt werden. Kein Mensch vermag zu wissen, wie k&uuml;nftige Generationen ihre sozialen Organisationen im einzelnen gestalten und ihre Bed&uuml;rfnisse am vollkommensten befriedigen k&ouml;nnen. In der Gesellschaft befindet sich wie in der Natur alles in best&auml;ndigem Flu&szlig;, das eine kommt, das andere vergeht, Altes, Abgestorbenes wird durch Neues, Lebensf&auml;higeres ersetzt. Erfindungen, Entdeckungen und Verbesserungen der zahlreichsten und verschiedensten Art, deren Tragweite und Bedeutung oft niemand voraussehen kann, werden gemacht, sie treten in Wirksamkeit und revolutionieren und umgestalten je nach ihrer Bedeutung die menschliche Lebensweise, die ganze Gesellschaft. </P>
<P>Es kann sich also bei den folgenden Er&ouml;rterungen nur um Entwicklung allgemeiner Prinzipien handeln, deren Aufstellung sich nach den gemachten Auseinandersetzungen von selbst ergibt und deren Durchf&uuml;hrung sich bis zu einem gewissen Grade &uuml;bersehen l&auml;&szlig;t. Die Gesellschaft war schon bisher kein Wesen, das sich von einzelnen leiten und lenken lie&szlig;, wenn es auch oft so den Anschein hatte - "man glaubt zu schieben und wird geschoben" -, sondern ein Organismus, der nach bestimmten immanenten Gesetzen sich entwickelt; k&uuml;nftig ist jede Lenkung und Leitung nach dem Willen einzelner erst recht ausgeschlossen. Die Gesellschaft ist alsdann eine Demokratie, die hinter das Geheimnis ihres Wesens gekommen ist, sie hat die Gesetze ihrer eigenen Entwicklung entdeckt und wendet diese jetzt zweckbewu&szlig;t f&uuml;r ihre Weiterentwicklung an.</P>
<P><HR></P>
<P>Fu&szlig;noten von August Bebel</P>
<P><A NAME="F1">(1)</A> Berlin 1884. <A HREF="beaa_407.htm#ZF1">&lt;=</A></P></BODY>
</HTML>