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<!DOCTYPE HTML PUBLIC "-//W3C//DTD HTML 3.2//EN">
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<title>"Neue Rheinische Zeitung" - Die Vereinbarungssitzung vom 17. Juni</title>
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<p align="center"><a href="me05_083.htm"><font size="2">Valdenaires Haft - Sebaldt</font></a>
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<font size="2">|</font> <a href="../me_nrz48.htm"><font size="2">Inhalt</font></a> <font size=
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"2">|</font> <a href="me05_090.htm"><font size="2">Das Amendement Stupp</font></a></p>
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<small>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 85-89<br>
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Dietz Verlag, Berlin/DDR 1971</small> <br>
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<h1>Die Vereinbarungssitzung vom 17. Juni</font></p>
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<p><font size="2">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 20 vom 20. Juni 1848]</font></p>
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<p><b><a name="S85"><85></a></b> **<i>Köln</i>, 19. Juni. "Nichts gelernt und nichts
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vergessen" - das gilt vom Ministerium Camphausen ebensogut wie von den Bourbonen.</p>
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<p>Am 14. Juni dringt das Volk, empört über die Verleugnung der Revolution durch die
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Vereinbarer <Siehe <a href="me05_064.htm">"Die Berliner Debatte über die
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Revolution"</a>>, auf das Zeughaus ein. Es will eine Garantie gegen die Versammlung haben,
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und es weiß, daß Waffen die beste Garantie sind. Das Zeughaus wird gestürmt,
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das Volk bewaffnet sich selbst.</p>
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<p>Der Sturm des Zeughauses, ein Ereignis ohne unmittelbare Resultate, eine auf halbem Wege
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stehengebliebene Revolution, hatte dennoch die Wirkung:</p>
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<p>1. daß die zitternde Versammlung ihren Beschluß vom vorigen Tage zurücknahm
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und erklärte, sie stelle sich unter den Schutz der Berliner Bevölkerung;</p>
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<p>2. daß sie das Ministerium in einer Lebensfrage verleugnete und den Camphausenschen
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Verfassungsentwurf mit 46 Stimmen Majorität durchfallen ließ <Siehe <a href=
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"me05_079.htm">"Die Vereinbarungsversammlung vom 15. Juni"</a>>;</p>
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<p>3. daß das Ministerium sofort in volle Auflösung geriet, daß die Minister
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Kanitz, Schwerin und Auerswald abdankten - von denen bis jetzt erst Kanitz durch Schreckenstein
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definitiv ersetzt ist - und daß Herr Camphausen am 17. Juni erst sich von der Versammlung
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drei Tage Frist erbat, um sein gesprengtes Kabinett wieder zu vervollständigen.</p>
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<p>Das alles hatte der Sturm des Zeughauses zustande gebracht.</p>
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<p>Und zu derselben Zeit, wo die <i>Wirkungen</i> dieser Selbstbewaffnung des Volkes so
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schlagend hervortreten, wagt es die Regierung, die Handlung selbst anzugreifen! Zu derselben
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Zeit, wo Versammlung und Ministerium den Aufstand anerkennen, werden die Teilnehmer des
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Aufstandes zur Unter- <a name="S86"><b><86></b></a> suchung gezogen, nach
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altpreußischen Gesetzen behandelt, in der Versammlung geschmäht und als gemeine
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Diebe hingestellt!</p>
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<p>An demselben Tage, wo die bebende Versammlung sich unter den Schutz der Zeughausstürmer
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stellt, erklären Erlasse der Herren <i>Griesheim</i> (Kriegsministerialkommissar) und
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<i>Temme</i> (Staatsanwalt) die Zeughausstürmer für "Räuber" und "gewaltsame
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Diebe". Der "liberale" Herr Temme, den die Revolution aus dem Exil zurückholte, beginnt
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eine strenge Untersuchung gegen die Fortsetzer der Revolution. <i>Korn</i>,
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<i>Löwinsohn</i> und <i>Urban</i> werden verhaftet. Haussuchungen über Haussuchungen
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werden in ganz Berlin angestellt. Der Hauptmann <i>Natzmer</i>, der richtigen Blick genug
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hatte, um die Notwendigkeit seines Abzugs aus dem Zeughause sofort einzusehen, der Mann, der
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durch seinen friedlichen Abzug Preußen vor einer neuen Revolution und die Minister vor
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den größten Gefahren bewahrte - dieser Mann wird vor ein Kriegsgericht gestellt,
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wird nach Kriegsartikeln behandelt, die ihn zum Tode verurteilen.</p>
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<p>Die Vereinbarer erholen sich ebenfalls von ihrem Schreck. In ihrer Sitzung vom 17.
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verleugnen sie die Zeughausstürmer, wie sie am 9. die Barrikadenkämpfer verleugnet
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haben. In dieser Sitzung vom 17. trug sich nämlich folgendes zu:</p>
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<p>Herr Camphausen erklärt der Versammlung, er werde ihr jetzt die ganze Tatsache
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mitteilen, damit sie entscheide, ob das Ministerium wegen des Zeughaussturmes in Anklagezustand
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zu versetzen sei.</p>
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<p>Allerdings war Grund vorhanden zu einer Anklage der Minister, und zwar nicht, weil sie den
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Sturm des Zeughauses geduldet, sondern weil sie ihn <i>verursacht</i> hatten, indem sie eine
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der bedeutendsten Folgen der Revolution, die Volksbewaffnung, eskamotierten.</p>
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<p>Herr <i>Griesheim</i>, Kommissar des Kriegsministeriums, tritt nach ihm auf. Er gibt eine
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breitere Beschreibung der im Zeughause befindlichen Waffen, namentlich der Gewehre "einer ganz
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neuen Erfindung, alleiniges Geheimnis Preußens", der Waffen "von historischer Bedeutung"
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und alle der andern Herrlichkeiten. Er beschreibt die Bewachung des Zeughauses: oben 250 Mann
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Militär, unten die Bürgerwehr. Er beruft sich darauf, daß die
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Waffeneinsendungen und -absendungen aus dem Zeughaus, als Hauptdepot des ganzen
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preußischen Staats, kaum durch die Märzrevolution unterbrochen worden sei[en].</p>
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<p>Nach allen diesen Vorbemerkungen, mit denen er die Teilnahme der Vereinbarer für das so
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höchst interessante Institut des Zeughauses zu fangen versuchte, kommt er endlich auf die
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Ereignisse des 14. Juni.</p>
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<p>Man habe das Volk stets auf das Zeughaus und auf die Waffensendungen aufmerksam gemacht, man
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habe ihm gesagt, die Waffen gehörten ihm.</p>
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<p><b><a name="S87"><87></a></b> Allerdings gehörten die Waffen dem Volke; erstens
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als Nationaleigentum und zweitens als Stücke der eroberten und garantierten
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Volksbewaffnung.</p>
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<p>Herr Griesheim "konnte mit Bestimmtheit versichern, daß die ersten Schüsse aus
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dem Volke auf die Bürgerwehr gefallen seien".</p>
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<p>Diese Behauptung ist ein Seitenstück der "siebzehn Militärtoten"" des
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März.</p>
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<p>Herr Griesheim erzählt nun, wie das Volk ins Zeughaus eindrang, wie die Bürgerwehr
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sich zurückzog und nun "1.100 Gewehre der neuen Erfindung <i>gestohlen</i> wurden, ein
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unersetzlicher Verlust" (!). Man habe den Hauptmann Natzmer zum Abzug, zu einer
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<i>"Pflichtverletzung"</i> überredet; das Militär sei abgezogen.</p>
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<p>Jetzt aber kommt der Herr Kriegsministerialkommissar zu einer Stelle seines Berichts, bei
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der ihm sein altpreußisches Herz blutet; das Volk hat das Heiligtum des alten
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Preußens entweiht. Man höre:</p>
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<p><font size="2">"Jetzt aber haben <i>förmliche Greueltaten</i> in den oberen Räumen
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begonnen. Man hat <i>gestohlen</i>, <i>geraubt und verwüstet</i>. Neue Waffen sind
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hinuntergeworfen und zerbrochen, <i>Altertümer</i> von unersetzlichem Wert, Gewehre mit
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Silber und Elfenbein, die künstlichen, schwer zu ersetzenden Modelle der Artillerie sind
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verwüstet, <i>die mit dem Blut des Volks errungenen Trophäen und Fahnen</i>, an denen
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die Ehre der Nation haltet, sind <i>zerrissen und besudelt</i> worden!" (Allgemeine
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Entrüstung. Ruf von allen Seiten: Pfui, Pfui!)</font></p>
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<p>Diese Entrüstung des alten Haudegens über die Frivolität des Volks wirkt
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wahrhaft komisch. Das Volk hat an den alten Pickelhauben, Landwehrtschakos und sonstigem
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Gerümpel "von unersetzlichem Werte" "förmliche Greuel" begangen! Es hat "neue Waffen"
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hinuntergeworfen! Welch ein "Greuel" für einen im Dienst ergrauten Oberstlieutenant, der
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die "neuen Waffen" nur im Zeughaus ehrerbietig bewundern durfte, während sein Regiment mit
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den verschlissensten Gewehren exerzierte! Das Volk hat die Artilleriemodelle verwüstet!
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Verlangt Herr Griesheim etwa, das Volk solle sich bei einer Revolution vorher
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Glacéhandschuhe anziehen? Aber das Schrecklichste kommt erst - die Trophäen des
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alten Preußens sind besudelt und zerrissen worden!</p>
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<p>Herr Griesheim berichtet uns hier eine Tatsache, aus der hervorgeht, daß das Berliner
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Volk am 14. Juni einen sehr richtigen revolutionären Takt gezeigt. Das Volk von Berlin hat
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die Befreiungskriege verleugnet, indem es die bei Leipzig und Waterloo eroberten Fahnen mit
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Füßen trat. Das erste, was die Deutschen in ihrer Revolution zu tun haben, ist, mit
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ihrer ganzen schimpflichen Vergangenheit zu brechen.</p>
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<p>Aber die altpreußische Versammlung der Vereinbarer mußte natürlich Pfui!
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Pfui! schreien über einen Akt, in dem das Volk zum erstenmal nicht <a name=
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"S88"><b><88></b></a> nur gegen seine Unterdrücker, sondern auch gegen die
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glänzenden Illusionen seiner eignen Vergangenheit revolutionär auftritt.</p>
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<p>Bei aller schnurrbartsträubenden Entrüstung über solchen Frevel vergißt
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Herr Griesheim jedoch nicht zu bemerken, daß die ganze Geschichte "dem Staat 50.000 Taler
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und für mehrere Bataillone Truppen die Waffen kostet".</p>
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<p>Er fährt fort:</p>
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<p><font size="2">"Es ist nicht das Streben nach Volksbewaffnung, welches den Angriff
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veranlaßt hat. Die Waffen sind für wenige Groschen verkauft worden."</font></p>
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<p>Nach Herrn Griesheim war der Zeughaussturm bloß die Tat einer Anzahl Diebe, die
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Gewehre stahlen, um sie für einen Schnaps wieder zu verkaufen.</p>
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<p>Warum die "Räuber" gerade das Zeughaus und nicht vielmehr die reichen Läden der
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Goldschmiede und Geldwechsler plünderten, darüber ist der Kriegsministerialkommissar
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eine Erklärung schuldig geblieben.</p>
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<p><font size="2">"Es hat sich für den unglücklichen (!) Hauptmann eine sehr rege
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Teilnahme gezeigt, deshalb weil er seine Pflicht verletzt, um, wie es heißt, kein
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Bürgerblut zu vergießen; ja man hat die Tat als anerkennenswert und dankenswert
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dargestellt; es war sogar heute eine Deputation bei mir, welche verlangt, daß die Tat als
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dankenswert für das ganze Vaterland anerkannt werden soll. (Entrüstung.) Es waren
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Deputierte der verschiedenen Klubs unter Vorsitz des Assessors Schramm. (Entrüstung zur
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Rechten und 'Pfui!') Das steht fest, der Kapitän hat das erste, das vornehmlichste Gesetz
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des Soldaten gebrochen - er hat seinen Posten verlassen, trotz der ihm ausdrücklich
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erteilten Instruktion, dies nicht ohne besondern Befehl zu tun. Es ist ihm vorgeredet worden,
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daß er durch seinen Abmarsch den Thron rette, daß sämtliche Truppen die Stadt
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verlassen und der König aus Potsdam entflohen wäre. (Entrüstung.) <i>Er hat
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ebenso gehandelt, wie jener Festungskommandant im Jahre 1806</i>, der auch ohne weiteres das
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ihm Anvertraute übergab, anstatt es zu verteidigen. Was übigens die Einrede betreffe,
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daß er durch seinen Abmarsch das Vergießen von Bürgerblut gehindert habe, so
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verschwindet diese ganz von selbst; es wäre auch kein Haar gekrümmt worden, da er den
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Posten in dem Augenblick übergab, als der übrige Teil des Bataillons zu seiner
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Hülle anrückte." (Bravo zur Rechten, Zischen zur Linken.)</font></p>
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<p>Herr Griesheim hat natürlich wieder vergessen, daß die Zurückhaltung des
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Hauptmanns Natzmer Berlin vor einem neuen Waffenkampf, die Minister vor der größten
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Gefahr, die Monarchie vor dem Sturz rettete. Herr Griesheim ist wieder ganz Oberstlieutenant,
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sieht in der Handlung Natzmers nichts als Insubordination, feiges Verlassen seines Postens und
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Verrat nach der bekannten altpreußischen Manier von 1806. Der Mann, dem die Monarchie
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ihre Fortdauer verdankt, soll zum Tode verurteilt werden. Ein schönes Beispiel für
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die ganze Armee!</p>
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<p>Und wie benahm sich die Versammlung bei dieser Erzählung des Herrn Griesheim? Sie war
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das Echo seiner Entrüstung. Die Linke protestiert <a name="S89"><b><89></b></a>
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schließlich durch - Zischen. Die Berliner Linke benimmt sich überhaupt immer feiger,
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immer zweideutiger. Diese Herren, die bei den Wahlen das Volk exploitiert haben, wo waren sie
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in der Nacht vom 14. Juni, als das Volk aus bloßer Ratlosigkeit die gewonnenen Vorteile
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bald wieder fahren ließ, als nur ein Führer fehlte, um den Sieg vollständig zu
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machen? Wo waren die Herren Berends, Jung, Elsner, Stein, Reichenbach? Sie blieben zu Hause
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oder machten ungefährliche Vorstellungen bei den Ministern. Und damit nicht genug. Sie
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wagen es nicht einmal, das Volk gegen die Verleumdungen und Schmähungen des
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Regierungskommissars zu verteidigen. Kein einziger Redner tritt auf. Kein einziger will
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verantwortlich sein für den Akt des Volks, der ihnen den ersten Sieg verschafft hat. Sie
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wagen nichts als zu - zischen! Welcher Heldenmut!</p>
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<p><font size="2">Geschrieben von Friedrich Engels.</font></p>
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