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<TITLE>John Reed: 10 Tage die die Welt erschütterten</TITLE>
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VI. DAS KOMITEE ZUR RETTUNG DES VATERLANDES UND DER REVOLUTION
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Freitag, 9. November
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ÆNowotscherkassk, 8. November. Der Aufstand der Bolschewiki und ihr
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Versuch, die Provisorische Regierung zu stürzen und in Petrograd die
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Macht an sich zu reißen, veranlaßt die Kosakenregierung zu der
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Erklärung, daß sie diese Handlungen für verbrecherisch und
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absolut unzulässig erachtet. Die Kosaken werden darum die Provisorische
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Regierung, die eine Koalitionsregierung ist, mit ihrer ganzen Macht
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unterstützen. Unter diesen Umständen werde ich selbst mit dem Beginn
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des 7.November im Dongebiet die gesamte Macht übernehmen bis zur
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Rückkehr der Provisorischen Regierung und der Wiederherstellung der
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Ordnung in Rußland.
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<P align=right>
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Gezeichnet: Ataman<I> Kaledin,</I>
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<P align=right>
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<I></I>Präsident der Regierung der Kosakentruppen."
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Befehl des Ministerpräsidenten Kerenski, datiert in Gatschina:
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ÆIch, der Ministerpräsident der Provisorischen Regierung und Oberster
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Befehlshaber aller bewaffneten Kräfte der Russischen Republik,
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erkläre, daß ich persönlich die Führung der Frontregimenter
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übernommen habe, die dem Vaterlande treu geblieben sind. Ich befehle
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allen Truppen des Petrograder Militärbezirks, die durch
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Mißverständnis oder aus Torheit dem Ruf der Verräter am Vaterland
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und an der Revolution gefolgt sind, die unverzügliche Rückkehr
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zu ihrer Pflicht. Dieser Befehl ist allen Regimentern, Bataillonen und Kompanien
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vorzulesen.
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Gezeichnet: A.F. Kerenski
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Ministerpräsident der Provisorischen Regierung
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<P align=right>
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und Oberster Befehlshaber."
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Telegramm Kerenskis an den Kommandierenden General der Nordfront: ÆDie
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Stadt Gattschina wurde von regierungstreuen Truppen genommen und ohne
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Blutvergießen besetzt. Kompanien von Kronstädter Matrosen und
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Soldaten des Semjonowski- und des Ismailowski-Regiments haben bedingungslos
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die Waffen gestreckt und sich den Regierungstruppen angeschlossen. Ich befehle
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allen für den Vormarsch bestimmten Transporten, schnell vorzurücken.
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Vom Revolutionären Militärkomitee haben die Truppen den Befehl
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erhalten, zurückzugehen."
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Das etwa dreißig Kilometer südwestlich gelegene Gattschina war
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im Verlaufe der Nacht gefallen. In der Umgebung führerlos umherirrende
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Abteilungen der in dem Telegramm genannten Regimenter waren in der Tat von
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Kosaken umzingelt und entwaffnet worden. Es traf aber nicht zu, daß
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sie sich den Regierungstruppen angeschlossen hatten. Gerade jetzt befanden
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sich Trupps von ihnen verwirrt und beschämt im Smolny, bemüht zu
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erklären, wie sich die Sache abgespielt hatte. Sie hätten die Kosaken
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nicht so nahe vermutet und dann versucht, sie zu überreden. An der
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revolutionären Front herrschte offensichtlich die größte
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Verwirrung. Die Garnisonen der südlich gelegenen kleinen Städte
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hatten sich in zwei, manchmal in drei einander bekämpfende Parteien
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gespalten. Die Offiziere hielten in Ermangelung einer stärkeren
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Autorität zu Kerenski, die Mehrheit der Soldaten zu den Sowjets. Der
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Rest schwankte unschlüssig hin und her. Schnell entschlossen betraute
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das Revolutionäre Militärkomitee mit der Verteidigung Petrograds
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einen ehrgeizigen ehemaligen Hauptmann der regulären Armee namens Murawjow,
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der während des Sommers die Todesbataillone organisiert und sich der
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Regierung gegenüber einmal geäußert hatte, daß sie
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zu sanft mit den Bolschewiki verfahre. Diese müßten vom Erdboden
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vertilgt werden. Ein Mann von ausgesprochen militärischem Denken und
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vielleicht aufrichtiger Bewunderung für Macht und Kühnheit. Als
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ich am Morgen mein Haus verließ, waren neben meiner Tür zwei neue
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Befehle des Revolutionären Militärkomitees angeschlagen, in denen
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angeordnet wurde, daß die Läden und Magazine wie gewöhnlich
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offenzuhalten und alle leerstehenden Räume und Wohnungen zur Verfügung
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des Komitees zu halten seien. Seit sechsunddreißig Stunden waren nun
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die Bolschewiki von dem übrigen Rußland abgeschnitten. Die Eisenbahner
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und die Telegrafenarbeiter weigerten sich, ihre Anordnungen weiterzugeben,
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und die Postbeamten, ihre Post zu befördern. Nur die Regierungsstation
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für drahtlose Telegrafie in Zarskoje Selo schleuderte halbstündlich
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Bulletins und Manifeste in alle Himmelsrichtungen, und mit den Kommissaren
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der Stadtduma zugleich fuhren auf schnellen Zügen die Kommissare des
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Smolny durch das ganze Land. Hoch in der Luft zogen zwei Flugzeuge mit
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Propagandamaterial beladen der Front zu. Aber die Ausbreitung des Aufstandes
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ging mit märchenhafter Schnelligkeit vor sich. In Helsingfors erklärte
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sich der Sowjet für die Revolution. In Kiew hatten sich die Bolschewiki
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des Arsenals und der Telegrafenstation bemächtigt und wurden nur von
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den Delegierten des Kosakenkongresses vertrieben, die dort zusammengekommen
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waren. In Kasan hatte das Revolutionäre Militärkomitee den lokalen
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Garnisonstab und den Kommissar der Provisorischen Regierung verhaftet. Aus
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dem fernen Krasnojarsk in Sibirien kamen Nachrichten, daß die Sowjets
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die Kontrolle der städtischen Einrichtungen in die Hände genommen
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hätten. In Moskau, wo sich die Situation infolge eines umfangreichen
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Streiks der Lederarbeiter und der Androhung einer allgemeinen Aussperrung
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durch die Unternehmer besonders zugespitzt hatte, beschlossen die Sowjets
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mit überwältigender Mehrheit die Unterstützung der Petrograder
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Bolschewiki. Ein Revolutionäres Militärkomitee war bereits gebildet
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worden und in Funktion. Die Entwicklung war überall die gleiche. Die
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große Mehrheit der gemeinen Soldaten und die Industriearbeiter
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unterstützten die Sowjets, während die Offiziere, die
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Offiziersschüler und die Mittelklasse im allgemeinen, ebenso wie die
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bürgerlichen Kadetten und die Ægemäßigten" Sozialisten,
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sich auf die Seite der Regierung stellten. In allen diesen Städten bildeten
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sich Komitees zur Rettung des Vaterlandes, die sich für den
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Bürgerkrieg rüsteten. Das große Rußland befand sich
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in einem Zustande der Auflösung. Schon 1905 begann dieser Prozeß.
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Die Märzrevolution hatte ihn nur beschleunigt, und alle Anstrengungen
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der in dieser Revolution zur Macht gelangten Kompromißler hatten nichts
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als eine vorläufige Konservierung des innerlich hohlen alten Regimes
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gezeitigt. All dies hatte sich nun unter dem Ansturm der Bolschewiki in einer
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einzigen Nacht in ein Nichts aufgelöst, so wie man eine Rauchwolke
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auseinanderbläst. Das alte Rußland war nicht mehr. Die alte
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Gesellschaft schmolz in der Gluthitze der Revolution, und aus dem brodelnden
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Flammenmeer stiegen der Klassenkampf, gewaltig und mitleidslos, und die noch
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zerbrechliche, langsam erkaltende Kruste einer neuen Welt.
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In Petrograd streikten sechzehn Ministerien unter der Führung des
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Ministeriums für Arbeit und des Ministeriums für Ernährung
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- die beiden einzigen, die von der sozialistischen Regierung im August gebildet
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worden waren. Wenn jemals Männer alleingestanden haben, so war es die
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ÆHandvoll Bolschewiki" an jenem trüben, kalten Morgen in den von
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allen Seiten wild über sie hinbrausenden Stürmen. Mit dem Rücken
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gegen die Wand kämpfte das Revolutionäre Militärkomitee um
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sein Leben. ÆDe l'audace, encore de l'audace, et toujours de l'audace!"
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(ÆKühnheit, Kühnheit und abermals Kühnheit!") ....Um
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fünf Uhr morgens besetzten die Rotgardisten die Räume der
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Staatsdruckerei, beschlagnahmten Tausende von Exemplaren des Protestaufrufes
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der Duma und verboten das offizielle städtische Organ. Alle
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bürgerlichen Zeitungen waren verboten, sogar ÆGolos Soldata",
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das Organ des alten Zentralexekutivkomitees - das indessen unter einem andern
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Namen, ÆSoldatski Golos", in einer Auflage von hunderttausend Exemplaren
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herauskam: ÆDie Männer, die in der Nacht ihren verräterischen
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Streich begannen, die die Zeitung verbieten, werden das Land nicht lange
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in Unwissenheit halten können. Das Land wird die Wahrheit erfahren!
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Es wird euch, ihr Herren Bolschewiki, durchschauen! Wir werden sehen!...."
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Als wir kurz nach zwölf Uhr den Newski hinunterkamen, hatte sich vor
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dem Dumagebäude eine die ganze Straße füllende Menschenmenge
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angesammelt. Hin und wieder sah man Rotgardisten und Matrosen mit aufgepflanzten
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Bajonetten, jeder umringt von zirka hundert Männern und Frauen -
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Büroangestellten, Studenten, Ladeninhabern -, mit erhobenen Fäusten,
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Beschimpfungen und Drohungen über sie ausschüttend. Auf den Stufen
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Pfadfinder und Offiziere, die Nummern des ÆSoldatski Golos" verteilten.
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Ein Arbeiter mit einer roten Armbinde und einem Revolver in der Hand stand,
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zitternd vor Wut und Nervosität, inmitten einer feindlichen Menge am
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Fuße der Treppe und verlangte die Herausgabe der Zeitungen.... Nie
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in der Geschichte hat sich ähnliches zugetragen. Auf der einen Seite
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eine Handvoll Arbeiter und gewöhnliche Soldaten im Besitz der Waffen,
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die siegreiche Revolution repräsentierend - und dabei in vollster
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Armseligkeit; auf der anderen Seite ein wütender Haufen von Leuten,
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wie sie um die Mittagszeit die Bürgersteige der fünften Avenue
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zu bevölkern pflegen, spöttelnd, schimpfend, schreiend:
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ÆVerräter, Provokateure!" Die Tore wurden von Studenten und Offizieren
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bewacht, die weiße Armbinden mit der Aufschrift: ÆMiliz des Komitees
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für die öffentliche Sicherheit" trugen, und ein halbes Dutzend
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Pfadfinder kamen und gingen. Oben helle Aufregung. Hauptmann Gomberg kam
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die Treppe herunter. ÆSie wollen die Duma auflösen", sagte er.
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ÆDer bolschewistische Kommissar ist gerade beim Bürgermeister."
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Als wir nach oben kamen, stürzte Rjasanow aus dem Zimmer heraus. Er
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war gekommen, um von der Duma die Anerkennung des Rates der Volkskommissare
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zu fordern, und der Bürgermeister hatte ihm eine glatte Absage gegeben.
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In den Büros fand ich eine große, schwatzende Menge, hin- und
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hereilend, schreiend, gestikulierend - Beamte, Intellektuelle, Journalisten,
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ausländische Korrespondenten, französische und englische
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Offiziere....Der Stadtbaumeister wies triumphierend auf sie. ÆDie
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Gesandtschaften erkennen als einzige Macht nur die Duma an", erklärte
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er. ÆFür diese bolschewistischen Mörder und Räuber ist
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es nur noch eine Frage von Stunden. Das ganze Rußland schart sich um
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uns." Im Alexandersaal eine riesige Versammlung des Komitees zur Rettung
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des Vaterlandes und der Revolution. Filippowski hatte den Vorsitz, und Skobelew
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berichtete unter ungeheurem Beifall über neue Beitritte zum Komitee:
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Exekutivkomitee der Bauernsowjets, altes Zentralexekutivkomitee, zentrales
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Armeekomitee, Zentroflot, Menschewiki-Internationalisten,
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Sozialrevolutionäre und Frontgruppendelegierte zum Kongreß der
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Sowjets, Zentralkomitees der Menschewiki, der Sozialrevolutionäre, der
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Volkssozialisten die Gruppe ÆJedinstwo", Bauernverband, Genossenschaften,
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Semstwos, Stadtverwaltungen, Post- und Telegrafenverbände, der Wikshel,
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Rat der Russischen Republik, Verband der Verbände, Kaufmanns- und
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Fabrikantenvereinigung... Æ......Die Macht der Sowjets ist nicht eine
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demokratische macht, sondern eine Diktatur - und nicht eine Diktatur des
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Proletariats, sondern <I>gegen</I> das Proletariat. All jene, die wissen,
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was revolutionäre Begeisterung ist, müssen sich für die
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Verteidigung der Revolution verbünden.... Die Aufgabe des Tages ist
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nicht nur, unverantwortliche Demagogen unschädlich zu machen, sondern
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den Kampf gegen die Konterrevolution aufzunehmen.... Wenn die Gerüchte
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wahr sind, daß gewisse Generale in den Provinzen aus den Geschehnissen
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Vorteil ziehen wollen, um gegen Petrograd zu marschieren, so ist das nur
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ein weiterer Beweis, daß wir die solide Basis einer demokratischen
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Organisation schaffen müssen. Andernfalls werden aus den Schwierigkeiten,
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die wir mit den Linken haben, Schwierigkeiten mit den Rechten erwachsen.
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Die Garnison von Petrograd kann nicht gleichgültig bleiben, wenn
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Bürger, die den ,Golos Soldata' kaufen, und Zeitungsjungen, die die
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,Rabotschaja Gaseta' verkaufen, in den Straßen verhaftet werden. Die
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Stunde der Resolutionen ist vorüber....Laßt jene, die den Glauben
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an die Revolution verloren haben, sich zurückziehen.... um eine vereinigte
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Macht aufzurichten, müssen wir von neuem das Prestige der Revolution
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herstellen.... Laßt uns schwören, daß wir entweder die
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Revolution retten oder untergehen werden!" Der ganze Saal erhob sich, Beifall
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klatschend, mit blitzenden Augen. Aber nicht ein einziger Proletarier war
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zu sehen.... Dann Weinstein: ÆWir müssen ruhig bleiben und nicht
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eher zur Aktion schreiten, bevor die öffentliche Meinung sich fest um
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das Komitee zur Rettung des Vaterlandes und der Revolution geschart hat -
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erst dann können wir von der Verteidigung zum Angriff übergehen!"
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Der Vertreter des Wikshel teilte mit, daß seine Organisation die Initiative
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zur Bildung einer neuen Regierung übernommen habe und daß seine
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Delegierten im Augenblick die Frage mit dem Smolny diskutierten...Eine
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heiße Debatte entbrannte: Sollte man die Bolschewiki in die neue Regierung
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aufnehmen? Martow plädierte für ihre Zulassung. ÆSie sind
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schließlich", sagte er, Æeine bedeutende politische Partei."
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Die Meinungen darüber gingen auseinander. Die rechten Menschewiki und
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die Sozialrevolutionäre wie auch die Volkssozialisten, die Genossenschaften
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und die bürgerlichen Elemente waren entschieden dagegen.... ÆSie
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haben Rußland verraten", erklärte ein Redner. ÆSie haben
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den Bürgerkrieg begonnen und die Front den Deutschen geöffnet.
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Die Bolschewiki müssen erbarmungslos zusammengehauen werden..." Skobelew
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war für den Ausschluß sowohl der Bolschewiki wie der Kadetten.
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Wir begannen eine Unterhaltung mit einem jungen Sozialrevolutionär,
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der seinerzeit zusammen mit den Bolschewiki die Demokratische Konferenz verlassen
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hatte, als Zereteli und die ÆKompromißler" der Demokratie
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Rußlands die Koalitionsregierung aufgezwungen hatten. ÆSie hier?"
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fragte ich ihn. Seine Augen schossen Blitze. ÆJa!" schrie er. ÆIch
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verließ den Kongreß zusammen mit meiner Partei Mittwoch nacht.
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Ich habe nicht mein Leben zwanzig Jahre und mehr aufs Spiel gesetzt, um mich
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jetzt der Tyrannei des unwissenden Pöbels zu unterwerfen. Ihre Methoden
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sind unerträglich. Aber sie haben nicht mit den Bauern gerechnet....Wenn
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die Bauern in Aktion treten werden, dann dürften sie in Minuten erledigt
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sein." ÆAber die Bauern - werden sie handeln? Befriedigt das Landdekret
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nicht die Bauern? Was wünschen diese mehr?" ÆAh, das Landdekret!"
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sagte er wütend. ÆWissen Sie, was das Landdekret ist? Es ist unser
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Dekret - es ist das sozialrevolutionäre Programm, vollkommen! Meine
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Partei hat diese Politik formuliert, auf Grund der sorgfältigsten
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Prüfung der Wünsche der Bauern selbst. Es ist ein Diebstahl...."
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ÆAber wenn es ihre eigene Politik ist, warum sind Sie dagegen? Wenn
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sie den Wünschen der Bauern entspricht, warum sollen diese dagegen sein?"
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ÆSie verstehen nicht! Sehen Sie nicht, daß die Bauern sofort
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begreifen werden, daß das Ganze ein Betrug ist - daß diese
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Usurpatoren das Programm der Sozialrevolutionäre gestohlen haben?" Ich
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fragte, ob es wahr sei, daß Kaledin gegen Norden marschiere. Er nickte
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und rieb sich die Hände, voll bitterer Befriedigung. ÆJa. Sehen
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Sie jetzt, was diese Bolschewiki angerichtet haben. Sie haben die
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Konterrevolution gegen uns in Bewegung gebracht. Die Revolution ist verloren.
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Die Revolution ist verloren." ÆAber werden Sie die Revolution nicht
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verteidigen?" ÆNatürlich werden wir sie verteidigen, bis zu unserem
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letzten Blutstropfen. Jedoch werden wir unter keinen Umständen mit den
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Bolschewiki zusammengehen..." ÆAber wenn Kaledin nach Petrograd kommt
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und die Bolschewiki die Stadt verteidigen. Werden Sie sich ihnen nicht
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anschließen?"
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<P>
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ÆNatürlich nicht. Wir werden die Stadt auch verteidigen, aber
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wir werden die Bolschewiki nicht unterstützen. Kaledin ist der Feind
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der Revolution, aber auch die Bolschewiki sind Feinde der Revolution."
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<P>
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ÆWen ziehen Sie vor: Kaledin oder die Bolschewiki?" ÆDarum handelt
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es sich jetzt nicht", sagte er ungeduldig. ÆIch sage Ihnen, die Revolution
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ist verloren. Und es sind die Bolschewiki, die schuld daran sind. Doch was
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sollen wir von solchen Dingen reden? Kerenski kommt....Übermorgen werden
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wir zur Offensive übergehen....Schon hat der Smolny Delegierte gesandt,
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die uns auffordern, an einer neuen Regierungsbildung teilzunehmen. Wir haben
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sie jetzt - sie sind absolut ohnmächtig..., wir werden mit ihnen nicht
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zusammenarbeiten..."
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<P>
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Draußen fiel ein Schuß. Wir liefen zu den Fenstern. Ein Rotgardist,
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durch die Sticheleien der Menge zur Verzweiflung gebracht, hatte einen
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Schuß abgegeben und ein junges Mädchen am Arm verwundet. Wir konnten
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sehen, wie sie in einen Wagen gehoben wurde, umringt von einer erregten Menge,
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||
|
deren Stimmen bis zu uns empordrangen. Im nächsten Augenblick erschien
|
||
|
ein Panzerwagen an der Ecke des Michailowski, dessen Maschinengewehre hin-
|
||
|
und herfuhren. Die Menge begann sofort zu laufen, wie das in Petrograd
|
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üblich ist, sie warf sich auf den Boden nieder, versteckte sich in den
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||
|
Straßenrinnen und hinter den Telefonmasten. Der Panzerwagen hielt vor
|
||
|
der Treppe der Duma, und ein Mann steckte seinen Kopf aus dem Turm heraus,
|
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die Herausgabe des ÆSoldatski Golos" verlangend. Die Pfadfinder liefen
|
||
|
ins Gebäude. Einen Augenblick lang fuhr der Panzerwagen unentschieden
|
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|
hin und her und verschwand dann den Newski hinauf, während einige hundert
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||
|
Männer und Frauen sich wieder erhoben und ihre Kleider abzustauben
|
||
|
begannen..... Im Innern des Gebäudes hin- und herrennende Menschen,
|
||
|
den Arm voller Exemplare des ÆSoldatski Golos", nach einem Platz suchend,
|
||
|
um sie zu verstecken....Ein Journalist kam in das Zimmer gelaufen, er schwenkte
|
||
|
ein Blatt Papier. ÆHier ist eine Proklamation von Krasnow!" schrie
|
||
|
er. Er war sofort umringt. ÆDrucken lassen, schnell drucken lassen,
|
||
|
und dann in die Kasernen damit!"
|
||
|
<P>
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||
|
ÆAuf den Befehl des Obersten Befehlshabers bin ich zum Befehlshaber
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|
der um Petrograd konzentrierten Truppen ernannt. Bürger, Soldaten, tapfere
|
||
|
Kosaken des Don, des Kuban, des Transbaikal, des Amur, des Jenissej, ihr
|
||
|
alle, die ihr euerm Eid treu geblieben seid, die ihr geschworen habt, euern
|
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Kosakeneid treu zu halten - ich rufe euch auf, Petrograd zu retten vor der
|
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|
Anarchie, vor dem Hunger, vor der Tyrannei, Rußland zu erretten vor
|
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|
der unerträglichen Schande, die eine Handvoll mit dem Golde Wilhelms
|
||
|
gekaufter, unwissender Männer über Rußland zu bringen versuchen.
|
||
|
Die Provisorische Regierung, der ihr in den großen Märztagen die
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||
|
Treue geschworen habt, ist nicht gestürzt, sie wurde nur mit Gewalt
|
||
|
aus dem Gebäude getrieben, in dem sie ihre Sitzungen abhielt. Die Regierung
|
||
|
jedoch, mit Hilfe der Fronttruppen, die treu ihre Pflicht erfüllen,
|
||
|
mit Hilfe des Kosakenrates, der unter seinem Kommando alle Kosaken vereinigt,
|
||
|
im Bewußtsein ihrer Stärke und in völliger Übereinstimmung
|
||
|
mit dem Willen des russischen Volkes, hat geschworen, dem Lande zu dienen,
|
||
|
ihren Vorfahren in den stürmischen Zeiten von 1612 gleich, da die Kosaken
|
||
|
des Don das von den Schweden, den Polen und den Litauern bedrohte Moskau
|
||
|
befreiten. Eure Regierung besteht noch immer.... Die aktive Armee blickt
|
||
|
auf diese Verbrecher mit Empörung und Verachtung. Ihre Akte der
|
||
|
Zerstörung und der Plünderungen, ihre Verbrechen, ihre deutsche
|
||
|
Manier, mit der sie auf das - niedergeworfene, aber noch nicht besiegte -
|
||
|
Rußland schauen, hat sie dem ganzen Volke entfremdet. Bürger,
|
||
|
Soldaten, tapfere Kosaken der Petrograder Garnison! Schickt mir eure Delegierten,
|
||
|
damit ich weiß, wer Verräter an seinem Lande ist und wer nicht,
|
||
|
damit unnützes Blutvergießen vermieden wird."
|
||
|
<P>
|
||
|
Fast im selben Moment hieß es, daß Rotgardisten im Begriff seien,
|
||
|
das Gebäude zu umzingeln. Ein Offizier trat herein, mit einer roten
|
||
|
Armbinde, und verlangte den Bürgermeister. Wenige Minuten später
|
||
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ging er, und der alte Schrejder kam aus seinem Büro, abwechselnd rot
|
||
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und blaß im Gesicht. ÆEine außerordentliche Sitzung der
|
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Duma!" schrie er. ÆSofort!" In dem großen Saal wurden die
|
||
|
Geschäfte unterbrochen. ÆAlle Mitglieder der Duma zu einer
|
||
|
außerordentlichen Sitzung!"
|
||
|
<P>
|
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ÆWas ist los?" ÆIch weiß nicht - man will uns verhaften
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- man will die Duma auflösen - man verhaftet Mitglieder vor dem Tor
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!" So liefen die Gerüchte. Im Nikolaisaal war kaum Platz zum Stehen.
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Der Bürgermeister gab bekannt, daß an allen Eingängen Truppen
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stationiert seien, die niemand herein und heraus ließen, und daß
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ein Kommissar gedroht habe, die Stadtduma aufzulösen und ihre Mitglieder
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zu verhaften. Eine Flut leidenschaftlicher Reden von Mitgliedern und sogar
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von den Galerien war die Antwort. Die frei gewählte Stadtverwaltung
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könne von <I>keiner</I> Macht aufgelöst werden; die Person des
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Bürgermeisters und aller anderen Mitglieder sei unverletzlich; die Tyrannen,
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die Provokateure, die deutschen Agenten könnten niemals anerkannt werden;
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was die Drohung mit der Auflösung anbelange, so sollten sie nur versuchen
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- Ænur über unsere Leichname werden sie in diesen Saal eindringen,
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wir werden, den römischen Senatoren der Antike gleich, mit Würde
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das Kommen der Barbaren erwarten..." Entschließung, die Dumas und Semstwos
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von ganz Rußland telegrafisch zu benachrichtigen. Entschließung,
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daß es für den Bürgermeister oder den Präsidenten der
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Duma unmöglich sei, in irgendwelche Beziehungen zu den Vertretern des
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Revolutionären Militärkomitees oder zu dem sogenannten Rat der
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Volkskommissare zu treten. Resolution, einen neuen Appell an die
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Bevölkerung Petrograds zu richten, sich für die Verteidigung ihrer
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erwählten Stadtregierung zu erheben. Resolution, in permanenter Tagung
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zusammenzubleiben... Inzwischen kam ein Mitglied mit der Nachricht, daß
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er mit dem Smolny telefoniert und daß das Revolutionäre
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Militärkomitee ihm erklärt habe, daß keinerlei Befehle gegeben
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worden seien, die Duma zu umzingeln, und daß die Truppen
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zurückgezogen würden. Als wir die Treppen hinunterkamen, stürmte,
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in höchster Aufregung, Rjasanow durch das Haupttor. ÆWerden Sie
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die Duma auflösen?" fragte ich. ÆMein Gott, nein!" antwortete
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er. ÆEs ist alles ein Irrtum. Ich habe dem Bürgermeister heute
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morgen mitgeteilt, daß wir die Duma in Ruhe lassen würden..."
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Aus dem Newski, in der sinkenden Dämmerung, kam eine lange doppelte
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Reihe Radfahrer mit Gewehren über ihren Schultern. Sie hielten. Die
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Menge drängte auf sie ein, sie mit Fragen überhäufend. ÆWer
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seid ihr? Woher kommt ihr?" fragte ein ältlicher dicker Mann mit einer
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Zigarre im Munde. ÆZwölfte Armee, von der Front. Wir kommen, um
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die Sowjets gegen die verdammten Bourgeois zu verteidigen." Wütende
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Schreie. ÆAh! Bolschewistische Gendarmen! Bolschewistische Kosaken!"
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Ein kleiner Offizier in einem Ledermantel kam die Stufen heruntergeeilt.
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ÆDie Garnison schwankt!" rief er mir zu. ÆDas ist der Anfang
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vom Ende der Bolschewiki. Wollen Sie sehen, wie die Zeiten sich ändern?
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Kommen Sie mit!" Und fast laufend, eilte er den Michailowski hinauf. Wir
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hinter ihm her. ÆWelches Regiment ist es?" ÆDie Bronewiki." Und
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in der Tat war hier die Lage ernst. Die Bronewiki waren die Panzerwagentruppen,
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gewissermaßen der Schlüssel der ganzen Situation. Wer die Bronewiki
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hatte, der hatte sie Stadt. ÆDie Kommissare des Komitees zur Rettung
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des Vaterlandes und die Vertreter der Duma haben zu ihnen gesprochen.Jetzt
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haben sie eine Versammlung,wo sie entscheiden werden."
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<P>
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ÆWas entscheiden? Auf wessen Seite sie kämpfen sollen?" ÆO
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nein, so darf man ihnen nicht kommen. Sie werden niemals gegen die Bolschewiki
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kämpfen, sondern höchstens beschließen, neutral zu bleiben
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- dann aber werden die Offiziersschüler und Kosaken...."
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<P>
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Das Tor der großen Michailowski - Reitschule gähnte schwarz. Zwei
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Posten versuchten uns anzuhalten. Aber wir huschten vorüber, ohne auf
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ihre wütenden Zurufe zu achten. Im Innern eine einzige, matt brennende
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Bogenlampe, hoch unter dem Dach der mächtigen Halle, deren luftige Pfeiler
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und Fensterbögen in der Dämmerung fast verschwanden. An den Seiten
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die dunklen Silhouetten riesiger Panzerwagen. Einer stand in der Mitte der
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Halle, direkt unter der Lampe, und um ihn herum waren an die zweitausend
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wettergebräunte Soldaten versammelt, fast verschwindend in der Riesenhaften
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Ausdehnung des Gebäudes. Ein Dutzend Leute, Offiziere und der Vorsitzende
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des Soldatenkomitees, waren auf dem Dach des Wagens postiert, und vom Turm
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aus sprach ein Soldat. Die war Chanshonow, der schon den im vergangenen Sommer
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abgehaltenen Gesamtrussischen Kongreß der Panzereinheiten geleitet
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hatte. Ein geschmeidiger hübscher Mensch in einem Lederrock mit
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Offiziersachselstücken, der mit lebhafter Beredsamkeit für die
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Neutralität der Truppen eintrat. ÆEs ist entsetzlich, zu denken,
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daß Russen einander morden sollen. Es darf keinen Bürgerkrieg
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geben zwischen Soldaten, die Schulter an Schulter den Zaren und den
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äußeren Feind in Schlachten bezwungen haben, die noch lange in
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der Geschichte fortleben werden. Was kümmert uns Soldaten das Gezänk
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der politischen Parteien? Es fällt mir nicht ein, zu behaupten, daß
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die Provisorische Regierung eine demokratische Regierung war. Wir wollen
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keine Koalition mit der Bourgeoisie! Aber was wir haben müssen, ist
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eine Regierung der vereinten Demokratie, sonst ist Rußland verloren.
|
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Bekommen wir eine solche Regierung, dann ist der Bürgerkrieg unnötig
|
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und der Brudermord bleibt uns erspart." Das klang einleuchtend, und der weite
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Raum hallte vom Beifall wider. Ein Soldat kletterte hinauf, blaß und
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übermüdet. ÆGenossen! Ich komme von der rumänischen
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Front, und ich sage euch, daß wir Frieden haben müssen, sofortigen
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Frieden. Wer immer uns den Frieden geben kann, seien es nun die Bolschewiki
|
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|
oder diese neue Regierung, dem werden wir folgen. Friede. Friede! Wir an
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der Front können nicht mehr kämpfen, weder gegen die Deutschen
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noch gegen die Russen", und damit schloß er. Aus den wogenden Massen
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stieg ein Durcheinander streitender Stimmen, das sich zu zornigen Rufen
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steigerte, als der nächste Redner, ein Menschewik, sie zu überzeugen
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suchte, daß der Krieg weitergeführt werden müsse bis zum
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Siege der Alliierten. ÆDu sprichst wie Kerenski!" rief eine rauhe Stimme
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||
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dem Redner zu. Ein Dumadelegierter plädierte für Neutralität.
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Sie hörten ihm zu, aber voller Mißtrauen, fühlten, daß
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er nicht zu ihnen gehörte. Niemals wieder sah ich Männer so
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|
ängstlich bemüht, zu begreifen und richtig zu entscheiden, unbeweglich,
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|
in fast bedrohlicher Spannung auf die Redner starrend, die Augenbrauen
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||
|
zusammengezogen in der Anspannung des Nachdenkens, die Stirnen
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schweißbedeckt; Riesen an Gestalt, mit den klaren, unschuldigen Augen
|
||
|
von Kindern und den Gesichtern von Helden. Jetzt sprach ein Bolschewik, einer
|
||
|
von ihren eigenen Leuten, heftig, haßerfüllt. Sie hörten
|
||
|
ihm nicht mit mehr Sympathie zu als den anderen. Seine Art entsprach nicht
|
||
|
ihrer Stimmung. Aber er riß sie einen Moment lang aus dem Trott
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||
|
alltäglichen kleinlichen Denkens empor zum Bewußtsein ihrer
|
||
|
Verantwortung gegenüber dem Schicksal Rußlands, des Sozialismus,
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||
|
der Welt, der Revolution. Redner folgte auf Redner, unter gespanntem, nur
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||
|
dann und wann von Beifalls- oder Zornesrufen unterbrochenem Schweigen abwechselnd
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||
|
für und gegen die Neutralität sprechend. Chanshonow redete noch
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einmal, hinreißend, sympathisch. Aber war er nicht ein Offizier, wieviel
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||
|
er immer vom Frieden sprach? Dann ein Arbeiter aus dem Stadtteil Wassili-Ostrow.
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|
Ihn empfingen sie mit den Worten: ÆNun, Arbeiter, wirst du uns den
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|
Frieden bringen?" Ganz in unserer Nähe hatten einige Leute, in der Mehrzahl
|
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waren es Offiziere, eine Art Claque gebildet, die systematisch für die
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||
|
Verteidiger der Neutralität Stimmung machte. ÆChanshonow, Chanshonow!"
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riefen sie fortgesetzt und zischten und pfiffen, wenn ein Bolschewik zu sprechen
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|
versuchte. Plötzlich begannen auf dem Dach des Wagens die Komiteemitglieder
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und die Offiziere, die sich offenbar über irgend etwas uneinig geworden
|
||
|
waren, aufgeregt und heftig gestikulierend aufeinander einzureden. Die
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||
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Versammlung wurde aufmerksam und verlangte zu wissen, um was es sich handle.
|
||
|
Ein Soldat, von einem Offizier zurückgehalten, riß sich los und
|
||
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hob seine Hand empor. ÆGenossen", schrie er, Æder Genosse Krylenko
|
||
|
ist hier und wünscht uns zu sprechen." Ein Sturm wilden Beifalls brach
|
||
|
los, dann Pfeifen und Rufe: ÆProssim! Prossim! - Doloi!" (Hinauf! Hinauf!
|
||
|
- Nieder mit ihm!). Währenddessen kletterte, von hilfsbereiten Händen
|
||
|
gezogen und geschoben, der Volkskommissar für das Heer an der Seite
|
||
|
des Wagens empor. Sich aufrichtend, stand er einen Moment, ging dann nach
|
||
|
vorn, die Hände auf die Hüften gestützt, und blickte
|
||
|
lächelnd um sich, eine kleine Gestalt, kurzbeinig, ohne Kopfbedeckung
|
||
|
und ohne Rangabzeichen auf der Uniform. Die Claque in meiner Nähe
|
||
|
hörte nicht auf zu schreien: ÆChanshonow, Chanshonow! Wir wollen
|
||
|
Chanshonow hören! Hinunter mit ihm! Schluß, Schluß! Nieder
|
||
|
mit dem Verräter!" Die Aufregung begann allgemein zu werden. Da
|
||
|
plötzlich eine Bewegung gleich einer auf uns niederrollenden Lawine:
|
||
|
riesenhafte, zornigblickende Gestalten bahnten sich einen Weg durch das
|
||
|
Gedränge. ÆWer stört hier unsere Versammlung? Woher das
|
||
|
Pfeifen??" Die Claque verstummte, drückte sich schleunigst und
|
||
|
unterließ jede weitere Störung.
|
||
|
<P>
|
||
|
ÆGenossen Soldaten!" begann Krylenko mit vor Müdigkeit heiserer
|
||
|
Stimme. ÆIch kann leider nur sehr schlecht zu euch sprechen, denn ich
|
||
|
habe seit vier Tagen nicht mehr geschlafen. Ich brauche euch nicht erst zu
|
||
|
sagen, daß ich ein Soldat bin wie ihr und daß ich den Frieden
|
||
|
wünsche. Was ich aber hier sagen muß, ist, daß die
|
||
|
bolschewistische Partei, die mit eurer Hilfe und mit Hilfe vieler anderer
|
||
|
braver Genossen in der siegreichen Arbeiter- und Soldatenrevolution die Macht
|
||
|
der blutdürstigen Bourgeoisie stürzte, das von ihr gegebene
|
||
|
Versprechen, ein Friedensangebot an alle kriegführenden Völker
|
||
|
zu richten, bereits, und zwar am heutigen Tag, eingelöst hat."
|
||
|
(Stürmischer Beifall.) ÆMan fordert euch hier zur Neutralität
|
||
|
auf, während die Offiziersschüler und die Todesbataillone, die
|
||
|
niemals neutral sind, uns in den Straßen niederschießen und Kerenski
|
||
|
oder irgendeinen andern von dieser Bande nach Petrograd zurückbringen
|
||
|
wollen. Vom Don aus marschiert Kaledin; Kerenski kommt von der Front, und
|
||
|
Kornilow hetzt die Tekinzy auf und will sein Augustabenteuer wiederholen.
|
||
|
Die Menschewiki und Sozialrevolutionäre, die euch hier so ängstlich
|
||
|
beschwören, doch um alles in der Welt den Bürgerkrieg zu verhindern,
|
||
|
haben sie sich anders an der Macht halten können als vermittels des
|
||
|
Bürgerkrieges, der seit dem letzten Juli nicht aufgehört hat zu
|
||
|
wüten und in dem sie immer - genau wie heute - auf der Seite der Bourgeoisie
|
||
|
zu finden waren? Wie kann ich euch überzeugen, wenn ihr euch bereits
|
||
|
festgelegt habt? Die Frage ist ganz klar. Auf der einen Seite die Kerenski,
|
||
|
Kaledin, Kornilow, die Menschewiki, die Sozialrevolutionäre, die Kadetten,
|
||
|
die Duma und die Offiziere. Auf der anderen Seite stehen die Arbeiter, die
|
||
|
Soldaten und Matrosen, die armen Bauern. Die Regierung ist in euren Händen.
|
||
|
Ihr seid die Herren. Ganz Rußland gehört euch. Wollt ihr es wieder
|
||
|
zurückgeben?" Nur mit der größten Willensanstrengung hielt
|
||
|
er sich, während er redete, aufrecht; aber die ihn beseelende tiefe
|
||
|
und ehrliche Begeisterung begann allmählich trotz seiner Ermüdung
|
||
|
ihre Wirkung auf die Versammlung auszuüben. Als er geendet hatte, wäre
|
||
|
er fast gefallen. Hundert Hände streckten sich ihm entgegen, ihm beim
|
||
|
Herabsteigen behilflich zu sein.
|
||
|
<P>
|
||
|
Chanshonow versuchte erneut zu sprechen. Aber Æabstimmen, abstimmen!"
|
||
|
schallte es ihm entgegen. Er gab schließlich nach und verlas die
|
||
|
Resolution, die besagte, daß die Panzereinheit ihren Vertreter aus
|
||
|
dem Revolutionären Militärkomitee zurückziehen und in dem
|
||
|
gegenwärtigen Bürgerkrieg neutral bleiben würde. Wer für
|
||
|
die Resolution war, sollte nach rechts, wer dagegen war, nach links treten.
|
||
|
Es gab einen Moment des Schwankens. Dann aber begann die Menge, in immer
|
||
|
schnellerem Tempo, einer über den anderen stolpernd, nach links zu fluten.
|
||
|
Nicht weit von uns entfernt fanden sich gegen fünfzig Mann zusammen,
|
||
|
die für die Resolution gestimmt hatten; das war alles. Während
|
||
|
noch die Halle von dem Siegesjubel der anderen widertönte , verließ
|
||
|
das Häuflein eiligst das Gebäude - und einige von ihnen auch für
|
||
|
immer die Revolution. Derselbe Kampf spielte sich in allen Kasernen der Stadt
|
||
|
ab, in allen Bezirken, an der ganzen Front, in ganz Rußland. Solcher
|
||
|
Krylenkos gab es viele; nie zum Schlafen kommend, von Ort zu Ort eilend,
|
||
|
die Regimenter überwachend, überredend, drohend, beschwörend.
|
||
|
Dasselbe in sämtlichen Ortsorganisationen jeder einzelnen Gewerkschaft,
|
||
|
in den Fabriken, in den Dörfern, auf den Kriegsschiffen der weitverstreuten
|
||
|
russischen Flotte. In dem weiten Land Hunderttausende russischer Männer,
|
||
|
Arbeiter, Bauern, Soldaten, Matrosen, um die Redner geschart, mit ungeheurem
|
||
|
Willensaufwand zu begreifen, zu wählen bemüht, angespannt nachdenkend
|
||
|
- und zu guter Letzt so einmütig entscheidend. So war die russische
|
||
|
Revolution...
|
||
|
<P>
|
||
|
Der neue Rat der Volkskommissare im Smolny war inzwischen nicht müßig
|
||
|
gewesen. Das erste Dekret war bereits im Druck und wurde in Tausenden von
|
||
|
Exemplaren noch in derselben Nacht in den Straßen der Stadt verbreitet
|
||
|
und in mächtigen Ballen mit den süd- und ostwärts fahrenden
|
||
|
Zügen ins Land befördert:
|
||
|
<P>
|
||
|
ÆIm Namen der von dem Gesamtrussischen Sowjetkongreß der Arbeiter-
|
||
|
und Soldatendeputierten unter Mitwirkung von Bauerndeputierten gewählten
|
||
|
Regierung der Republik ordnet der Rat der Volkskommissare an:
|
||
|
<P>
|
||
|
1. Die Wahlen zur Konstituierenden Versammlung werden auf den 12. November
|
||
|
angesetzt.
|
||
|
<P>
|
||
|
2. Alle Wahlkommissionen, die Organe der lokalen Selbstverwaltung, die Sowjets
|
||
|
der Arbeiter- und Soldatendeputierten und die Soldatenorganisationen an der
|
||
|
Front werden aufgefordert, die Durchführung freier und
|
||
|
ordnungsmäßiger Wahlen an dem festgesetzten Datum sicherzustellen.
|
||
|
<P>
|
||
|
Im Namen der Regierung der Russischen Republik
|
||
|
<P>
|
||
|
Der Vorsitzende des Rates der Volkskommissare <I> </I>
|
||
|
<P>
|
||
|
<I> Wladimir Uljanow - Lenin</I>."
|
||
|
<P>
|
||
|
<P>
|
||
|
Die im Stadthaus tagende Duma war in voller Aufregung. Als wir ankamen, hatte
|
||
|
gerade ein Mitglied des Rates der Russischen Republik das Wort. Der Rat,
|
||
|
erklärte er, betrachte sich keineswegs als aufgelöst, er sei nur
|
||
|
außerstande, seine Arbeiten fortzusetzen, solange er nicht einen neuen
|
||
|
Sitzungsraum zur Verfügung habe. In der Zwischenzeit habe das
|
||
|
Ältestenkollegium des Rates beschlossen, in corpore dem Komitee zur
|
||
|
Rettung des Vaterlandes beizutreten. Dies war die letzte
|
||
|
Lebensäußerung des Rates der Russischen Republik. Dann kam das
|
||
|
gewohnte Nacheinander von Delegierten aus den Ministerien, dem Wikshel, dem
|
||
|
Verband der Post- und Telegrafenbeamten, die zum hundertsten Male ihren festen
|
||
|
Willen bekundeten, unter keinen Umständen für die bolschewistischen
|
||
|
Usurpatoren zu arbeiten. Ein Offiziersschüler, der mit im Winterpalast
|
||
|
gewesen war, schilderte in stark aufgetragenen Farben seine und seiner Kameraden
|
||
|
angebliche Heldentaten und das schmähliche Verhalten der Rotgardisten.
|
||
|
Alles wurde kritiklos geglaubt. Irgend jemand las laut einen Bericht aus
|
||
|
der sozialrevolutionären Zeitung ÆNarod" vor, der den im Winterpalast
|
||
|
angerichteten Schaden auf fünfhundert Millionen Rubel veranschlagte
|
||
|
und die angeblichen Plünderungen und Zerstörungen in allen Einzelheiten
|
||
|
beschrieb. Von Zeit zu Zeit kamen Kuriere mit neuen Telefonmeldungen: Die
|
||
|
vier sozialistischen Minister seien aus dem Gefängnis entlassen worden.
|
||
|
Krylenko sei in die Peter-Pauls-Festung gegangen, um an den Admiral Werderewski
|
||
|
die Aufforderung zu richten, das noch unbesetzte Marineministerium zu
|
||
|
übernehmen. Der alte Seemann habe akzeptiert. Kerenski habe von Gattschina
|
||
|
aus den Vormarsch angetreten. Die bolschewistischen Garnisonen zogen sich
|
||
|
vor ihm zurück. Im Smolny hätten sie ein neues Dekret herausgegeben,
|
||
|
bestimmt, die Vollmachten der Stadtduma hinsichtlich der Lebensmittelversorgung
|
||
|
zu umgrenzen. Diese letzte ÆUnverschämtheit" hatte einen Wutausbruch
|
||
|
zur Folge. Lenin, der Usurpator und Tyrann, dessen Kommissare sich der
|
||
|
städtischen Garagen und Vorratshäuser bemächtigt hatten, sich
|
||
|
in die Tätigkeit der Ernährungsämter einmischten, dieser Lenin
|
||
|
maßte sich an, die Grenzen der Macht der freien, unabhängigen,
|
||
|
autonomen Stadtverwaltung bestimmen zu wollen. Ein Mitglied schlug zornentbrannt
|
||
|
vor, der Stadt die Lebensmittelzufuhr zu sperren, wenn die Bolschewiki es
|
||
|
wagen sollten, sich in die Geschäfte der Ernährungsämter
|
||
|
einzumischen....Ein anderer, Vertreter des Ernährungsamtes, schilderte
|
||
|
die Situation als sehr ernst und forderte Maßnahmen zur beschleunigten
|
||
|
Heranführung der Lebensmittelzüge. Dedonenko teilte begeistert
|
||
|
mit, daß die Garnison schwanke. Das Semjonowski-Regiment habe schon
|
||
|
den Beschluß gefaßt, sich den Befehlen der sozialrevolutionären
|
||
|
Partei zu unterstellen; Die Besatzungen der Torpedoboote auf der Newa seien
|
||
|
unschlüssig. Es wurden sofort sieben Mitglieder bestimmt, die die Propaganda
|
||
|
fortsetzen sollten......Dann betrat der alte Bürgermeister die
|
||
|
Tribüne: ÆGenossen und Bürger! Ich erfahre soeben, daß
|
||
|
das Leben der Gefangenen in der Peter-Pauls-Festung in Gefahr ist. Vierzehn
|
||
|
Offiziersschüler von der Pawlowsker Schule sind von den bolschewistischen
|
||
|
Wächtern geprügelt und gemartert worden. Einer hat den Verstand
|
||
|
verloren. Jetzt drohen sie, die Minister zu lynchen!" Ein Sturm der
|
||
|
Entrüstung und des Schreckens brach los, der sich nur noch steigerte,
|
||
|
als eine in Grau gekleidete, untersetzte kleine Frau das Wort verlangte.
|
||
|
Dies was Wera Sluzkaja, eine alte Revolutionärin und ein bolschewistisches
|
||
|
Mitglied der Duma. ÆDas ist eine Lüge und Provokation", erklärte
|
||
|
sie, ungeachtet der gegen sie geschleuderten Schmähungen. ÆDie
|
||
|
Arbeiter-und-Bauern-Regierung, die die Todesstrafe abgeschafft hat, kann
|
||
|
solche Handlungen gar nicht dulden. Wir verlangen die unverzügliche
|
||
|
Vornahme einer Untersuchung, und wenn an solchen Erzählungen auch nur
|
||
|
ein Körnchen Wahrheit sein sollte, wird die Regierung nicht verfehlen,
|
||
|
sofort die energischsten Maßnahmen zu treffen."
|
||
|
<P>
|
||
|
Es wurde eine Kommission aus Mitgliedern aller Parteien ernannt und , zusammen
|
||
|
mit dem Bürgermeister, in die Peter-Pauls-Festung entsandt, um Erkundigungen
|
||
|
einzuziehen. Als wir ihnen folgten, war die Duma dabei, eine weitere Kommission
|
||
|
zu wählen, die mit Kerenski konferieren und auf ihn einwirken sollte,
|
||
|
damit er Blutvergießen möglichst vermeide, wenn er in die Hauptstadt
|
||
|
einzöge.
|
||
|
<P>
|
||
|
Es war Mitternacht, als wir die Wachen am Festungstor passierten und in dem
|
||
|
schwachen Schimmer vereinzelter elektrischer Lampen dahinschritten, an der
|
||
|
Kirche, wo die Zarengräber liegen, und dem schlanken goldenen Turm mit
|
||
|
seinem Glockenspiel vorbei, das noch Monate nach der Märzrevolution
|
||
|
nicht aufgehört hatte, jeden Mittag das ÆGott erhalte den Zaren"
|
||
|
zu spielen. Der Platz lag wie ausgestorben; die meisten Fenster blickten
|
||
|
dunkel auf uns herab. Gelegentlich stießen wir auf Gestalten, die in
|
||
|
der Dunkelheit ungeschickt dahinstolperten und unsere Fragen gewöhnlich
|
||
|
mit ÆJa ne snaju" (Ich weiß nicht.) beantworteten. Zu unserer
|
||
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Linken ragte drohend die Silhouette der Trubezkoi-Bastion empor, wo in den
|
||
|
Tagen des Zaren so viele Märtyrer lebendig begraben wurden und ihren
|
||
|
Verstand und ihr Leben verloren, wo die Provisorische Regierung dann die
|
||
|
Minister des Zaren gefangenhielt und wo nun die neue Regierung die Minister
|
||
|
der Provisorischen Regierung eingekerkert hatte. Ein freundlicher Matrose
|
||
|
führte uns in ein kleines Haus, zum Büro des Kommandanten. Dort
|
||
|
saßen in überheiztem, von Tabaksrauch erfülltem Raum, um
|
||
|
einen lustig dampfenden Samowar, ein halbes Dutzend Rotgardisten, Matrosen
|
||
|
und Soldaten. Sie begrüßten uns mit großer Herzlichkeit
|
||
|
und boten uns Tee an. Der Kommandant sei nicht da. Er begleite eine Kommission
|
||
|
von ÆSabotashniki" (Saboteuren) aus der Stadtduma, die sich nicht ausreden
|
||
|
lassen wollten, daß hier alle gefangenen Offiziersschüler gemordet
|
||
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würden. Die revolutionären Soldaten fanden dies zu drollig. In
|
||
|
einer Ecke saß ein kahlköpfiger, aufgeregter kleiner Herr in Gehrock
|
||
|
und kostbarem Pelzmantel, der an seinem Schnurrbart kaute und wie eine gefangene
|
||
|
Ratte um sich blickte. Er war eben verhaftet worden. Irgend jemand meinte
|
||
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nachlässig, daß er ein Minister oder dergleichen sei. Obwohl keinerlei
|
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Feindseligkeit ausgesetzt, war das Männchen augenscheinlich furchtbar
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ängstlich. Ich ging zu ihm hinüber und sprach ihn auf Französisch
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an. ÆGraf Tolstoi", antwortete er, sich steif verbeugend. Æich
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verstehe nicht, warum man mich verhaftet hat. Ich kam über die
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Troizki-Brücke, um nach Hause zu gehen, als zwei dieser - dieser Personen
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- mich anhielten. Ich war Kommissar der Provisorischen Regierung beim
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Generalstab, aber in keiner Weise Mitglied der Regierung..." ÆLaßt
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ihn gehen", meinte ein Matrose. ÆEr ist ungefährlich.." ÆNein",
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antwortete der Soldat, der den Gefangenen gebracht hatte. ÆWir müssen
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den Kommandanten fragen." ÆOh, der Kommandant!" sagte der Matrose.
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ÆWozu habt ihr eigentlich die Revolution gemacht? Um nach wie vor den
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Befehlen von Offizieren zu gehorchen?" Ein Fähnrich des Pawlowski-Regiments
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erzählte, wie der Aufstand begonnen hatte. ÆDas Regiment hatte
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in der Nacht zum Sechsten Wachdienst beim Generalstab. Einige meiner Kameraden
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und ich standen Wache; Iwan Pawlowitsch und ein anderer - ich weiß
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im Moment seinen Namen nicht - saßen hinter den Fenstervorhängen
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in dem Zimmer, wo der Stab eine Sitzung abhielt, und sie hörten allerlei.
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Unter anderem auch Befehle an die Offiziersschüler von Gattschina, in
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der Nacht nach Petrograd zu kommen, und eine Befehl für die Kosaken,
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sich für den anderen Morgen marschfertig zu halten....Die wichtigsten
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Stellen der Stadt sollten vor Tagesgrauen besetzt, dann die Brücken
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geöffnet werden. Als sie jedoch davon zu sprechen begannen, daß
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der Smolny umzingelt werden sollte, hielt Iwan Pawlowitsch es nicht länger
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aus. Es war in diesem Moment gerade ein großes Kommen und Gehen; so
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schlüpfte er hinaus und kam zur Wachstube herunter, der andere Genosse
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blieb oben, um aufzuschnappen, was er konnte. Ich dachte mir schon, daß
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irgend etwas im Gange war. Automobile voller Offiziere kamen an, sämtliche
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Minister waren anwesend. Iwan Pawlowitsch teilte mir mit, was er gehört
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hatte. Es war halbdrei Uhr morgens. Der Schriftführer des Regimentskomitees
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war da, und wir machten ihm Mitteilung und fragten, was wir tun sollten.
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,Alles verhaften, was kommt und was geht!' sagte er. Das machten wir. Im
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Verlauf einer Stunde hatten wir einige Offiziere und ein paar Minister, die
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wir direkt nach dem Smolny bringen ließen. Das Revolutionäre
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Militärkomitee war jedoch nicht bereit; sie wußten nicht, was
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mit ihnen anfangen; und bald kam der Befehl, alle laufen zu lassen und niemand
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mehr zu verhaften. Wir stürmten natürlich gleich nach dem Smolny
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und haben etwa eine Stunde lang geredet, bis sie endlich kapierten, daß
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Krieg war. Es war genau fünf Uhr, als wir zum Stab zurückkamen,
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die meisten waren mittlerweile weg. Wir faßten aber doch einige, und
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die ganze Garnison war in Bewegung..."
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Ein Rotgardist von Wassili-Ostrow beschrieb in allen Einzelheiten, was sich
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in seinem Bezirk an dem großen Tag des Aufstandes abgespielt hatte.
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ÆWir hatten nicht ein Maschinengewehr dort", sagte er lachend, Æund
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der Smolny konnte uns keine geben. Genosse Salkind, ein Mitglied des
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Zentralbüros der Bezirksduma, erinnerte sich plötzlich, daß
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in dem Sitzungssaal der Bezirksduma ein Maschinengewehr lagerte, das von
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den Deutschen erobert worden war. Er und ich und dann noch ein anderer Genosse
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gingen hin, um es zu holen. Die Menschewiki und Sozialrevolutionäre
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hatten gerade eine Sitzung. Wir machten die Tür auf und gingen einfach
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hinein. Zwölf oder fünfzehn Personen saßen um einen Tisch
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herum, gegen uns drei. Als sie uns sahen, hörten sie auf zu sprechen
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und starrten uns an. Wir gingen, ohne uns umzusehen, durch das Zimmer, nahmen
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das Maschinengewehr auseinander, Genosse Salkind packte den einen Teil, ich
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den anderen; wir nahmen sie auf unsere Schulter und zogen ab - nicht einer
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sagte ein Wort!" ÆWissen Sie eigentlich, wie wir den Winterpalast nahmen?"
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fragte ein dritter, ein Matrose. ÆSo um elf Uhr herum hatten wir heraus,
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daß an der Seite der Newa keine Offiziersschüler mehr waren. Wir
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brachen die Tore ein und schlichen, teils einzeln, teils in Gruppen, die
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verschiedenen Treppen hinauf. Oben angekommen, wurden wir von den
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Offiziersschülern festgehalten, und sie nahmen uns unsere Gewehre ab.
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Von unseren Genossen kamen aber immer mehr, und schließlich hatten
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wir die Mehrheit. Jetzt drehten wir den Spieß um und nahmen den
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Offiziersschülern die Gewehre weg..."
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In diesem Moment trat der Kommandant herein, ein fröhlich dreinschauender
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junger Unteroffizier, seinen Arm in einer Binde und tiefe Ränder von
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Schlaflosigkeit unter den Augen. Sein erster Blick fiel auf den Gefangenen,
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der ihn sofort mit Erklärungen bestürmte. ÆAch, ich weiß",
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unterbrach der andere. ÆSie gehören mit zu dem Komitee, das am
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Mittwoch nachmittag die Kapitulation des Stabes verweigerte. Wir haben indes
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kein Interesse an Ihnen, Bürger. Entschuldigung-." Er öffnete die
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Tür und gab dem Grafen Tolstoi mit einer Handbewegung zu verstehen,
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daß er gehen könne. Verschiedene andere, besonders die Rotgardisten,
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wollten protestieren, und der Matrose bemerkte triumphierend: ÆDa habt
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ihr's! Sagte ich's nicht?" Zwei Soldaten verlangten jetzt den Kommandanten
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zu sprechen. Sie waren ein von der Festungsgarnison gewähltes
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Protestkomitee. Die Soldaten beklagten sich darüber, daß die
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Gefangenen genauso verpflegt würden wie die Wachen, wo doch die vorhandenen
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Lebensmittel nicht einmal ausreichten, die Mannschaften satt zu machen.
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ÆWarum sollen wir die Konterrevolutionäre so gut behandeln?"
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ÆWir sind Revolutionäre, Genossen, und keine Banditen", antwortete
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ihnen der Kommandant. Er wandte sich zu uns. Wir sprachen mit ihm über
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die Gerüchte, denen zufolge die Offiziersschüler gemartert würden
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und das Leben der Minister bedroht sei. ÆKönnten wir die Gefangenen
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wohl sehen, um in der Lage zu sein, diesen Erzählungen entgegenzutreten?"
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ÆNein!" versetzte der junge Soldat. Æich will die Gefangenen
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nicht noch einmal stören. Ich habe sie eben erst wecken müssen
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- sie glaubten, wir kämen, sie umzubringen. Die meisten
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Offiziersschüler haben wir schon freigelassen, der Rest wird morgen
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gehen." ÆDürfen wir mit der Dumakommission sprechen?" Der Kommandant,
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der sich ein Glas Tee einschenkte, nickte. ÆSie sind noch draußen
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im Saal." So war es in der Tat. Die Kommissionsmitglieder standen draußen
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vor der Tür, im schwachen Licht einer Öllampe um den
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Bürgermeister geschart, aufgeregt miteinander redend. ÆHerr
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Bürgermeister", begann ich, Æwir sind amerikanische Korrespondenten.
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Wollen Sie uns bitte offiziell das Resultat ihrer Nachforschungen mitteilen?"
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Darauf der Bürgermeister: ÆDie Berichte entsprachen nicht der
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Wahrheit. Von den Zwischenfällen abgesehen, die sich abspielten, als
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die Minister hier eingeliefert wurden, hat man sie durchaus rücksichtsvoll
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behandelt. Den Offiziersschülern ist kein Leid geschehen." Den Newski
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hinauf marschierte in tiefem Schweigen eine endlose Kolonne Soldaten - Kerenski
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entgegen.....In den Nebenstraßen sausten unbeleuchtete Automobile hin
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und her, und verstohlenes emsiges Treiben herrschte in der Fontanka Nr.6,
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dem Hauptquartier des Bauernsowjets, in einigen Wohnungen eines hohen
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Gebäudes am Newski und in der Ingenieurschule. Die Duma war hell
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erleuchtet.... Im Revolutionären Militärkomitee wetterleuchtete
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es wie vor einem drohenden Gewitter.
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