122 lines
7.6 KiB
HTML
122 lines
7.6 KiB
HTML
|
<!DOCTYPE HTML PUBLIC "-//W3C//DTD HTML 3.2//EN">
|
||
|
|
||
|
<html>
|
||
|
<head>
|
||
|
<meta name="generator" content="HTML Tidy for Windows (vers 1st August 2002), see www.w3.org">
|
||
|
<meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=ISO-8859-1">
|
||
|
|
||
|
<title>"Neue Rheinische Zeitung" - Die Freiheit der Breratungen in Berlin</title>
|
||
|
<link rel=stylesheet type="text/css" href="http://www.mlwerke.de/css/artikel.css">
|
||
|
</head>
|
||
|
|
||
|
<body>
|
||
|
<p align="center"><a href="me05_398.htm"><font size="2">Die Krisis und die
|
||
|
Kontrerevolution</font></a> <font size="2">|</font> <a href="../me_nrz48.htm"><font size=
|
||
|
"2">Inhalt</font></a> <font size="2">|</font> <a href="me05_408.htm"><font size="2">Die
|
||
|
Ratifikation des Waffenstillstandes</font></a></p>
|
||
|
<small>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 405-407<br>
|
||
|
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1959</small><br>
|
||
|
<br>
|
||
|
|
||
|
|
||
|
<h1>Die Freiheit der Beratungen in Berlin</font></p>
|
||
|
|
||
|
<p><font size="2">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 105 vom 17. September 1848]</font></p>
|
||
|
|
||
|
<p><b><a name="S405"><405></a></b> **<i>Köln</i>, 16. September. Es ist in der
|
||
|
kontrerevolutionären Presse seit dem Eintritt der Krisis fortwährend behauptet
|
||
|
worden, die Berliner Versammlung berate nicht frei. Namentlich hat der wohlbekannte
|
||
|
G-Korrespondent der "Kölnischen Zeitung", der sein Amt ebenfalls nur noch "interimistisch
|
||
|
bis zur Ernennung seines Nachfolgers" verwaltet, mit unverkennbarer Angst auf die "8.000 bis
|
||
|
10.000 Klubfäuste" hingewiesen, die im Kastanienwäldchen <Die im
|
||
|
Kastanienwäldchen gelegene Singakademie war der Tagungsort der Berliner
|
||
|
Nationalversammlung> ihre Freunde von der Linken "moralisch" unterstützten. Die
|
||
|
"Vossische", "Spenersche" und andere Zeitungen haben ähnliches Klagegeschrei erhoben, und
|
||
|
Herr Reichensperger hat sogar am 7. d. [Mts.] direkt darauf angetragen, die Versammlung von
|
||
|
Berlin (nach Charlottenburg etwa?) zu verlegen.</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Die "Berliner Zeitungs-Halle" bringt einen langen Artikel, worin sie diese Anschuldigung zu
|
||
|
widerlegen sucht. Sie erklärt, die große Majorität für die Linke sei
|
||
|
gegenüber der früheren schwankenden Haltung der Versammlung durchaus keine
|
||
|
Inkonsequenz. Es lasse sich nachweisen,</p>
|
||
|
|
||
|
<p><font size="2">"daß die Abstimmung vom 7. auch seitens derer, welche früher immer
|
||
|
mit den Ministern gestimmt hatten, <i>ohne Widerspruch</i> gegen ihr früheres Verhalten
|
||
|
stattfinden konnte, ja daß sie, vom Standpunkte jener Mitglieder betrachtet, mit ihrem
|
||
|
früheren Verhalten in vollkommener Harmonie steht ..." Die von den Zentren
|
||
|
Übergegangenen "hatten in einer Täuschung gelebt; sie hatten sich die Sache so
|
||
|
<i>vorgestellt</i>, als ob die Minister Vollstrecker des Volkswillens wären; sie hatten im
|
||
|
Bestreben der Minister, Ruhe und Ordnung herzustellen, einen Ausdruck ihres, der
|
||
|
Majoritätsmitglieder, eigenen Willens gefunden und waren nicht <i>innegeworden</i>,
|
||
|
daß die Minister nur da den Volkswillen zulassen könnten, wo derselbe dem Willen der
|
||
|
Krone nicht widerspricht, nicht aber da, wo er diesem sich entgegensetzt."</font></p>
|
||
|
|
||
|
<p><b><a name="S406"><406></a></b> So "erklärt" die "Z[eitungs]-H[alle]" das
|
||
|
auffallende Phänomen von dem plötzlichen Umschlagen so vieler Mitglieder aus den
|
||
|
Vorstellungen und Täuschungen dieser Mitglieder. Man kann die Sache nicht unschuldiger
|
||
|
darstellen.</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Sie gibt indes zu, daß Einschüchterungen stattgefunden haben. Aber, meint
|
||
|
sie,</p>
|
||
|
|
||
|
<p><font size="2">"wenn die Einflüsse von außen etwas gewirkt haben, so war es dies,
|
||
|
daß sie den Einflüssen der ministeriellen Vorspiegelungen und Verleitungskünste
|
||
|
einigermaßen die Waage hielten und so den vielen schwachen und unselbständigen
|
||
|
Mitgliedern es möglich machten, dem <i>natürlichen</i> Lebensinstinkt ... zu
|
||
|
folgen".</font></p>
|
||
|
|
||
|
<p>Die Gründe, welche die "Zeitungs-Halle" veranlassen, die wankenden Mitglieder der
|
||
|
Zentren in dieser Weise vor dem Publikum moralisch zu rechtfertigen, liegen auf der Hand: Der
|
||
|
Artikel ist mehr für diese Herren der Zentren selbst, als für das Publikum
|
||
|
geschrieben. Für uns, die wir nun einmal das Privilegium haben, rückhaltlos zu
|
||
|
sprechen, und die wir die Vertreter einer Partei nur solange und soweit unterstützen, als
|
||
|
sie <i>revolutionär</i> auftreten - für uns existieren diese Gründe nicht.</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Warum sollen wir es nicht sagen? Die Zentren haben sich am 7. d. [Mts.] allerdings durch die
|
||
|
Volksmassen einschüchtern lassen <Siehe <a href="me05_390.htm">"Sturz des Ministeriums
|
||
|
der Tat"</a>>; ob ihre Furcht begründet war oder nicht, lassen wir dahingestellt
|
||
|
sein.</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Das Recht der demokratischen Volksmassen, durch ihre Anwesenheit auf die Haltung
|
||
|
konstituierender Versammlungen moralisch einzuwirken, ist ein altes revolutionäres
|
||
|
Volksrecht, das seit der englischen und französischen Revolution in keiner
|
||
|
stürmischen Zeit entbehrt werden konnte. Diesem Recht verdankt die Geschichte fast alle
|
||
|
energischen Schritte solcher Versammlungen. Wenn die Ansässigen des "Rechtsbodens", wenn
|
||
|
die furchtsamen und philiströsen Freunde der "Freiheit der Beratungen" dagegen jammern, so
|
||
|
hat dies keinen andern Grund als den, daß sie überhaupt keine energischen
|
||
|
Beschlüsse wollen.</p>
|
||
|
|
||
|
<p>"Freiheit der Beratungen!" Es gibt keine hohlere Phrase als diese. Die "Freiheit der
|
||
|
Beratungen" wird beeinträchtigt durch die Freiheit der Presse, durch die Freiheit der
|
||
|
Versammlung und der Rede, durch das Recht der Volksbewaffnung auf der einen Seite. Sie wird
|
||
|
beeinträchtigt durch die bestehende öffentliche Macht, die in den Händen der
|
||
|
Krone und ihrer Minister beruht: durch die Armee, die Polizei, die sog. unabhängigen, in
|
||
|
der Tat aber von jeder Beförderung und jeder politischen Veränderung abhängigen
|
||
|
Richter.</p>
|
||
|
|
||
|
<p><b><a name="S407"><407></a></b> Die Freiheit der Beratungen ist zu jeder Zeit eine
|
||
|
Phrase, die weiter nichts sagen will als Unabhängigkeit von allen nicht durch das Gesetz
|
||
|
anerkannten Einflüssen. Diese anerkannten Einflüsse, Bestechung, Beförderung,
|
||
|
Privatinteressen, Furcht vor einer Kammerauflösung usw. machen ja erst die Beratungen
|
||
|
wahrhaft "frei". Aber in Revolutionszeiten ist diese Phrase vollends sinnlos. Wo zwei
|
||
|
Mächte, zwei Parteien sich gerüstet gegenüberstehen, wo der Kampf jeden
|
||
|
Augenblick losbrechen kann, da haben die Deputierten nur die Wahl:</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Entweder sie stellen sich <i>unter den Schutz des Volkes</i> und lassen sich dann auch von
|
||
|
Zeit zu Zeit eine kleine Lektion gefallen;</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Oder sie stellen sich unter den <i>Schutz der Krone</i>, ziehen in irgendeine kleine Stadt,
|
||
|
beraten unter dem Schutz der Bajonette und Kanonen oder gar des Belagerungszustandes - und dann
|
||
|
werden sie nichts dagegen haben, wenn die Krone und die Bajonette ihnen ihre Beschlüsse
|
||
|
vorschreiben</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Einschüchterung durch das unbewaffnete Volk oder Einschüchterung durch die
|
||
|
bewaffnete Soldateska - die Versammlung möge wählen.</p>
|
||
|
|
||
|
<p>Die französische Konstituante zog von Versailles nach Paris. Es gehört eigentlich
|
||
|
ihrem ganzen Charakter nach zur deutschen Revolution, daß die Vereinbarungsversammlung
|
||
|
von Berlin nach Charlottenburg zieht.</p>
|
||
|
</body>
|
||
|
</html>
|
||
|
|