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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<TITLE>Karl Marx/Friedrich Engels - Die grossen Maenner des Exils</TITLE>
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<P><SMALL>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 8, 3. Auflage 1972, unver<65>nderter Nachdruck der 1. Auflage 1960, Berlin/DDR. S. 282-291</SMALL>
<P ALIGN="CENTER"><A HREF="me08_288.htm"><FONT SIZE=2>VII.</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="me08_233.htm"><FONT SIZE=2>Inhalt</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="me08_292.htm"><FONT SIZE=2>IX.</FONT></A></P>
<P ALIGN="CENTER">VIII</P>
<B><P><A NAME="S289">&lt;289&gt;</A></B> Arnold, dem die Zur&uuml;ckgezogenheit in Ostende keineswegs zusagte, u. d. es nach einer "wiederholten Erscheinung" vor dem Publikum dr&auml;ngte, erfuhr Gustavs Unfall. Er beschlo&szlig;, sofort nach England zur&uuml;ckzueilen und, auf Gustavs Schultern gest&uuml;tzt, sich zum Pentarch d. europ&auml;ischen Demokratie emporzuschwingen. Es hatte sich n&auml;mlich unterdes das Europ&auml;ische Zentralkomitee, bestehend aus Mazzini, Ledru-Rollin u. Darasz, gebildet, dessen Seele Mazzini war. Ruge witterte hier einen vakanten Posten. Mazzini konnte in seinem "Proscrit" den v. ihm selbst erfundnen General Ernst Haug zwar als deutschen Mitarbeiter vorf&uuml;hren, ihn aber wegen seiner g&auml;nzlichen Namenlosigkeit anstandshalber nicht zum Mitglied seines Zentralkomitees ernennen. Unserm Ruge war nicht unbekannt, da&szlig; Gustav zu Mazzini v. d. Schweiz her in Beziehung stand. Er selbst kannte seinerseits zwar Ledru-Rollin, hatte aber d. Ungl&uuml;ck, nicht v. ihm gekannt zu werden. Arnold schlug also seinen Wohnsitz in Brighton auf, h&auml;tschelte und liebkoste den arglosen Gustav, versprach einen "Deutschen Zuschauer" mit ihm in London zu gr&uuml;nden u. sogar gemeinschaftlich u. auf seine Kosten d. demokratische Herausgabe des Rotteck-Welckerschen "Staats-Lexikons" zu betreiben. Zugleich f&uuml;hrte er dem deutschen Lokalblatt, das er seinem Prinzipe gem&auml;&szlig; stets zur Hand hielt (diesmal traf das Schicksal d. "Bremer Tages-Chronik" d. lichtfreundlichen Pfaffen Dulon), unsern Gustav als gro&szlig;en Mann u. als Mitarbeiter ein. Eine Hand w&auml;scht die andre. Gustav f&uuml;hrte Arnold bei Mazzini ein. Da Arnold nun ein durchaus unverst&auml;ndliches Franz&ouml;sisch spricht, konnte ihn niemand hindern, sich dem Mazzini als d. gr&ouml;&szlig;ten Mann u. speziell als den "Denker" Deutschlands zu pr&auml;sentieren. Der geriebene italienische Schw&auml;rmer erkannte auf den ersten Blick in Arnold den Mann, den er brauche, den homme sans cons&eacute;quence &lt;Mann ohne jede Bedeutung&gt;, dem er die deutsche Kontrasignatur <A NAME="S290"><B>&lt;290&gt;</A></B> seiner antip&auml;pstlichen Bullen anvertrauen k&ouml;nne. So wurde Arnold Ruge das f&uuml;nfte Rad am Staatswagen d. europ&auml;ischen Zentraldemokratie. Als ein Els&auml;sser Ledru fragte, wie er auf den Einfall gekommen sei, sich mit einer solchen "b&ecirc;te" &lt;einem solchen "Bl&ouml;dian"&gt; zu alliieren, antwortete Ledru barsch: "C'est l'homme de Mazzini." &lt;"Das ist Mazzinis Mann"&gt; Als man Mazzini fragte, warum er sich mit Ledru &lt;wahrscheinlich verschrieben; m&uuml;&szlig;te Ruge hei&szlig;en&gt;, einem Mann ohne alle Ideen, eingelassen habe, antwortete er schlau: "C'est pr&eacute;cis&eacute;ment pour quoi je l'ai pris." &lt;"Gerade deshalb habe ich ihn genommen."&gt; Mazzini selbst hatte allen Grund, sich Leute mit Ideen vom Halse zu halten. Arnold Ruge aber sah sich in seinem eignen Ideal &uuml;bertroffen u. verga&szlig; f&uuml;r einen Augenblick sogar Bruno Bauer.</P>
<P>Als er das erste Manifest Mazzinis unterzeichnen sollte, dachte er mit Wehmut an d. Zeiten zur&uuml;ck, wo er [sich] dem Professor Leo in Halle u. d. alten Follen in d. Schweiz gegen&uuml;ber das eine Mal als Dreieinigkeitsgl&auml;ubiger u. das andere Mal als humanistischer Atheist produziert hatte. Diesmal galt es, sich mit Mazzini f&uuml;r <I>Gott </I>gegen die F&uuml;rsten zu erkl&auml;ren. Indes, d. philosophische Gewissen unsres Arnold hatte sich schon bedeutend demoralisiert durch seine Verbindung mit Dulon und andern Pastoren, bei denen er als Philosoph passierte. Ein gewisses Faible f. d. Religion im allgemeinen konnte unser Arnold in seinen besten Zeiten nicht loswerden, und &uuml;berdem fl&uuml;sterte ihm sein "ehrliches Bewu&szlig;tsein" zu: Unterzeichne, Arnold! Paris vaut bien une messe. &lt;Paris ist eine Messe wert.&gt; Umsonst wird man nicht f&uuml;nftes Rad am Wagen der provisorischen Regierung Europas in partibus. Bedenke, Arnold! Alle 14 Tage ein Manifest zu unterschreiben, und gar als "membre du parlement allemand" &lt;"Mitglied des deutschen Parlaments"&gt;, in Gesellschaft d. gr&ouml;&szlig;ten M&auml;nner Europas. Und, in Schwei&szlig; gebadet, unterzeichnet Arnold. Sonderbare Schnurre, murmelt er. Ce n'est que le premier pas qui co&ucirc;te. &lt;Der erste Schritt ist immer der schwerste.&gt; Letzten Satz hatte er sich den Abend vorher in seinem Notizbuch angemerkt. Indessen war Arnold noch nicht an d. Ende seiner Pr&uuml;fungen gelangt. Nachdem d. Europ&auml;ische Zentralkomitee eine Reihe von Manifesten erlassen hatte an Europa, an Franzosen, Italiener, Wasserpolacken und Walachen, kam nun, da sich gerade d. gro&szlig;e Schlacht bei Bronzell ereignet hatte, die Reihe an <I>Deutschland</I>. Mazzini griff in seinem Entwurf d. Deutschen wegen Mangel an Kosmopolitismus an und speziell wegen &Uuml;bermut gegen italienische Salamih&auml;ndler, Orgeldreher, Zuckerb&auml;cker, Murmeltiertreiber, Mausefallverk&auml;ufer. Arnold gestand dies best&uuml;rzt ein. Noch mehr. Er erkl&auml;rte sich bereit, Welschtirol u. Istrien an Mazzini abzutreten. Aber dies war nicht genug. Er sollte d. deutschen Nation nicht nur ins Gewissen reden, <A NAME="S291"><B>&lt;291&gt;</A></B> sie sollte auch an ihrer schwachen Seite gefa&szlig;t werden. Arnold erhielt Befehl, diesmal eine Ansicht zu haben, da er d. deutsche Element vertrete. Es war ihm zumute wie d. Kandidaten Jobs. Er kratzte sich bed&auml;chtig hinter dem Ohr u. stotterte nach langem Erw&auml;gen: "Seit Tacitus Zeiten stimmen d. deutschen Barden d. Bariton &lt;Wahrscheinlich ironisch f&uuml;r Baritus, den Schlachtgesang der Germanen&gt; u. z&uuml;nden im Winter Feuer auf allen Bergen an, um sich d. F&uuml;&szlig;e daran zu w&auml;rmen." D. Barden, d. Bariton u. d. Feuer auf allen Bergen! Wenn das die deutsche Freiheit nicht auf die Str&uuml;mpf' bringt! schmunzelte Mazzini. D. Barden, d. Bariton, d. Feuer auf allen Bergen und die deutsche Freiheit kamen als douceur &lt;Zuckerbrot&gt; f. d. deutsche Nation ins Manifest. Arnold Ruge hatte zu seinem Erstaunen d. Examen bestanden u. begriff zum erstenmal, mit wie wenig Weisheit d. Welt regiert wird. Von diesem Augenblick verachtete er mehr als je Bruno Bauer, der schon in seiner Jugend 18 schwere B&auml;nde geschrieben hatte.</P>
<P>W&auml;hrend Arnold im Gefolge d. Europ&auml;ischen Zentralkomitees mit Gott f&uuml;r Mazzini und gegen d. F&uuml;rsten <I>kriegerische </I>Manifeste unterschrieb, griff gleichzeitig die <I>Friedensbewegung </I>unter Cobdens &Auml;gide nicht nur in England um sich, sondern grassierte selbst bis &uuml;ber die Nordsee hin&uuml;ber, so da&szlig; in Frankfurt/Main, d. Yankeeschwindler Elihu Burritt mit Cobden, Jaup und Girardin und dem Indianer Ka-gi-ga-gi-wa-wa-be-ta einen Friedenskongre&szlig; abhalten konnte. Unsern Arnold juckte es in allen Gliedern, auch bei dieser Gelegenheit seine "wiederholte Erscheinung" zu machen und ein Manifest v. sich zu geben. Er ernannte sich also selbst zum korrespondierenden Mitglied d. Frankfurter Versammlung u. &uuml;bersandte ihr ein h&ouml;chst konfuses Friedensmanifest, das er sich aus Cobdens Reden in sein spekulatives Pommersch her&uuml;bernotiert hatte. Arnold wurde v. verschiedenen Deutschen auf d. Widerspruch zwischen seiner kriegerischen Zentralkomiteehaltung und seinem friedensmanifestlichen Qu&auml;kertum aufmerksam gemacht. Er pflegte zu erwidern: "Das sind eben d. Widerspr&uuml;che. Das ist die Dialektik. Ich habe Hegel in meiner Jugend studiert." Sein "ehrliches Bewu&szlig;tsein" aber beruhigte ihn dahin, da&szlig; Mazzini kein Deutsch verstehe u. es daher leicht sei, ihm ein X f&uuml;r ein U zu machen.</P>
<P>Was au&szlig;erdem Arnolds Verh&auml;ltnis zu Mazzini zu befestigen versprach, war die Protektion <I>Harro Harrings</I>, der eben in Hull landete. In ihm tritt ein neuer, h&ouml;chst bezeichnender Charakter auf die B&uuml;hne. </P></BODY>
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