emacs.d/clones/www.mlwerke.de/me/me08/me08_541.htm

145 lines
22 KiB
HTML
Raw Normal View History

2022-08-25 20:29:11 +02:00
<!DOCTYPE HTML PUBLIC "-//W3C//DTD HTML 3.2//EN">
<HTML>
<HEAD>
<META HTTP-EQUIV="Content-Type" CONTENT="text/html; charset=ISO-8859-1">
<TITLE>Karl Marx - Erzwungene Emigration - Kossuth und Mazzini - Die Fluechtlingsfrage - Wahlbestechung in England - Mr. Cobden</TITLE>
</HEAD>
<BODY LINK="#0000ff" VLINK="#800080" BGCOLOR="#ffffaf">
<P><SMALL>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 8, 3. Auflage 1972, unver<65>nderter Nachdruck der 1. Auflage 1960, Berlin/DDR. S. 541-547</SMALL>
<H2>Karl Marx</H2>
<H1>Erzwungene Emigration -<BR>
Kossuth und Mazzini -<BR>
Die Fl&uuml;chtlingsfrage -<BR>
Wahlbestechung in England -<BR>
Mr. Cobden</H1>
<FONT SIZE=2><P>Aus dem Englischen.</P>
</FONT><P><HR></P>
<FONT SIZE=2><P>["New-York Daily Tribune" Nr. 3722 vom 22. M&auml;rz 1853]</P>
</FONT><B><P><A NAME="S541">&lt;541&gt;</A></B> London, Freitag, 4. M&auml;rz 1853</P>
<P>Aus den Handels- und Schiffahrtsberichten f&uuml;r die Jahre 1851 und 1852, die vergangenen Februar ver&ouml;ffentlicht wurden, ersehen wir, da&szlig; der deklarierte Gesamtwert des <I>Exports </I>f&uuml;r 1851 68.531.601 Pfd.St. und f&uuml;r 1852 71.429.548 Pfd.St. betrug; von diesem letzteren Betrag kommen 47.009.251 Pfd.St. auf den Export von Baumwoll-, Woll-, Leinen- und Seidenwaren. Der <I>Import </I>von 1852 bleibt hinter dem von 1851 zur&uuml;ck. Da der Anteil der Importe f&uuml;r den heimischen Verbrauch nicht abgenommen, sondern eher zugenommen hat, folgt, da&szlig; England statt der gew&ouml;hnlichen Menge an Kolonialprodukten eine gewisse Menge Silber und Gold reexportiert hat.</P>
<P>Das Amt f&uuml;r koloniale Emigration gibt folgende Zahlen &uuml;ber die Emigration aus England, Schottland und Irland nach allen Teilen der Welt f&uuml;r die Zeit vom 1. Januar 1847 bis 30. Juni 1852:</P>
<P ALIGN="CENTER"><CENTER><TABLE CELLSPACING=0 BORDER=0 CELLPADDING=4 WIDTH=472>
<TR><TD WIDTH="23%" VALIGN="TOP" HEIGHT=22>
<P></TD>
<TD WIDTH="19%" VALIGN="TOP" HEIGHT=22>
<P ALIGN="RIGHT">Aus England</TD>
<TD WIDTH="19%" VALIGN="TOP" HEIGHT=22>
<P ALIGN="RIGHT">Schottland</TD>
<TD WIDTH="19%" VALIGN="TOP" HEIGHT=22>
<P ALIGN="RIGHT">Irland</TD>
<TD WIDTH="19%" VALIGN="TOP" HEIGHT=22>
<P ALIGN="RIGHT">Total</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="23%" VALIGN="TOP" HEIGHT=22>
<P>1847</TD>
<TD WIDTH="19%" VALIGN="TOP" HEIGHT=22>
<P ALIGN="RIGHT">34.685</TD>
<TD WIDTH="19%" VALIGN="TOP" HEIGHT=22>
<P ALIGN="RIGHT">8.616</TD>
<TD WIDTH="19%" VALIGN="TOP" HEIGHT=22>
<P ALIGN="RIGHT">214.969</TD>
<TD WIDTH="19%" VALIGN="TOP" HEIGHT=22>
<P ALIGN="RIGHT">258.270</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="23%" VALIGN="TOP" HEIGHT=22>
<P>1848</TD>
<TD WIDTH="19%" VALIGN="TOP" HEIGHT=22>
<P ALIGN="RIGHT">53.865</TD>
<TD WIDTH="19%" VALIGN="TOP" HEIGHT=22>
<P ALIGN="RIGHT">11.505</TD>
<TD WIDTH="19%" VALIGN="TOP" HEIGHT=22>
<P ALIGN="RIGHT">177.719</TD>
<TD WIDTH="19%" VALIGN="TOP" HEIGHT=22>
<P ALIGN="RIGHT">248.089</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="23%" VALIGN="TOP" HEIGHT=22>
<P>1849</TD>
<TD WIDTH="19%" VALIGN="TOP" HEIGHT=22>
<P ALIGN="RIGHT">73.613</TD>
<TD WIDTH="19%" VALIGN="TOP" HEIGHT=22>
<P ALIGN="RIGHT">17.127</TD>
<TD WIDTH="19%" VALIGN="TOP" HEIGHT=22>
<P ALIGN="RIGHT">208.758</TD>
<TD WIDTH="19%" VALIGN="TOP" HEIGHT=22>
<P ALIGN="RIGHT">299.498</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="23%" VALIGN="TOP" HEIGHT=22>
<P>1850</TD>
<TD WIDTH="19%" VALIGN="TOP" HEIGHT=22>
<P ALIGN="RIGHT">57.843</TD>
<TD WIDTH="19%" VALIGN="TOP" HEIGHT=22>
<P ALIGN="RIGHT">15.154</TD>
<TD WIDTH="19%" VALIGN="TOP" HEIGHT=22>
<P ALIGN="RIGHT">207.852</TD>
<TD WIDTH="19%" VALIGN="TOP" HEIGHT=22>
<P ALIGN="RIGHT">280.849</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="23%" VALIGN="TOP" HEIGHT=22>
<P>1851</TD>
<TD WIDTH="19%" VALIGN="TOP" HEIGHT=22>
<P ALIGN="RIGHT">69.557</TD>
<TD WIDTH="19%" VALIGN="TOP" HEIGHT=22>
<P ALIGN="RIGHT">18.646</TD>
<TD WIDTH="19%" VALIGN="TOP" HEIGHT=22>
<P ALIGN="RIGHT">247.763</TD>
<TD WIDTH="19%" VALIGN="TOP" HEIGHT=22>
<P ALIGN="RIGHT">335.966</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="23%" VALIGN="TOP" HEIGHT=22>
<P>1852 (bis Juni)</TD>
<TD WIDTH="19%" VALIGN="TOP" HEIGHT=22>
<P ALIGN="RIGHT">40.767</TD>
<TD WIDTH="19%" VALIGN="TOP" HEIGHT=22>
<P ALIGN="RIGHT">11.562</TD>
<TD WIDTH="19%" VALIGN="TOP" HEIGHT=22>
<P ALIGN="RIGHT">143.375</TD>
<TD WIDTH="19%" VALIGN="TOP" HEIGHT=22>
<P ALIGN="RIGHT">195704</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="23%" VALIGN="TOP" HEIGHT=1><P></P></TD>
<TD WIDTH="19%" VALIGN="TOP" BGCOLOR="#000000" HEIGHT=1><P></P></TD>
<TD WIDTH="19%" VALIGN="TOP" BGCOLOR="#000000" HEIGHT=1><P></P></TD>
<TD WIDTH="19%" VALIGN="TOP" BGCOLOR="#000000" HEIGHT=1><P></P></TD>
<TD WIDTH="19%" VALIGN="TOP" BGCOLOR="#000000" HEIGHT=1><P></P></TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="23%" VALIGN="TOP" HEIGHT=22>
<P>Insgesamt</TD>
<TD WIDTH="19%" VALIGN="TOP" HEIGHT=22>
<P ALIGN="RIGHT">335.330</TD>
<TD WIDTH="19%" VALIGN="TOP" HEIGHT=22>
<P ALIGN="RIGHT">82.610</TD>
<TD WIDTH="19%" VALIGN="TOP" HEIGHT=22>
<P ALIGN="RIGHT">1.200.436</TD>
<TD WIDTH="19%" VALIGN="TOP" HEIGHT=22>
<P ALIGN="RIGHT">1.618.376</TD>
</TR>
</TABLE>
</CENTER></P>
<FONT SIZE=2><P>"Man nimmt an, da&szlig; neun Zehntel der &uuml;ber Liverpool Auswandernden Iren sind", bemerkt das Amt. "Drei Viertel der Emigranten aus Schottland sind Kelten, die entweder aus dem Hochland oder aus Irland &uuml;ber Glasgow kommen."</P>
</FONT><B><P><A NAME="S542">&lt;542&gt;</A></B> Demnach geh&ouml;ren vier F&uuml;nftel der gesamten Emigration der keltischen Bev&ouml;lkerung Irlands, des schottischen Hochlands und der schottischen Inseln an. Zu dieser Auswanderung bemerkt der Londoner "Economist":</P>
<FONT SIZE=2><P>"Sie ist die Folge des Zusammenbruchs des Gesellschaftssystems, das sich auf Zwergwirtschaft und Kartoffelbau gr&uuml;ndet." Er f&uuml;gt hinzu: "Die Abwanderung des &uuml;berfl&uuml;ssigen Teils der Bev&ouml;lkerung aus Irland und dem schottischen Hochland ist eine unerl&auml;&szlig;liche Vorbedingung f&uuml;r alle Arten von Verbesserungen ... Die Eink&uuml;nfte Irlands haben keineswegs unter der Hungersnot von 1846/47 gelitten, und auch nicht unter der seitherigen Auswanderung. Im Gegenteil, seine <I>Nettoeinnahmen </I>betrugen 1851 4.281.999 Pfd.St., waren also um etwa 184.000 Pfd.St. h&ouml;her als 1843."</P>
</FONT><P>Erst treibe man also die Bev&ouml;lkerung eines Landes in die Armut, und wenn dann nichts mehr aus ihr herauszuschinden ist, wenn sie dem Lande zur Last f&auml;llt, so jage man sie fort und errechne die Summe der Nettoeinnahmen! Das ist auch der Grundsatz, den Ricardo in seinem gefeierten Werke, den "Principles of Political Economy" niedergelegt hat. Wenn der j&auml;hrliche Profit eines Kapitalisten 2.000 Pfd.St. betr&auml;gt, so k&uuml;mmert es ihn wenig, ob er hundert oder tausend Arbeiter besch&auml;ftigt. "Ist das wirkliche Einkommen der Nation dem nicht &auml;hnlich?", fragt Ricardo. Wenn das wirkliche Reineinkommen einer Nation, Grundrente und Profit, dasselbe bleibt, dann ist es egal, ob es von zehn oder von zw&ouml;lf Millionen Einwohnern herstammt. Sismondi antwortet darauf in seinen "Nouveaux principes d'&eacute;conomie politique", da&szlig; nach dieser Ansicht dann der englischen Nation gar nichts daran zu liegen brauchte, wenn die ganze Bev&ouml;lkerung verschw&auml;nde und der K&ouml;nig (damals gab es keine K&ouml;nigin, sondern einen K&ouml;nig &lt;Georg III.&gt;) allein mitten auf der Insel bliebe, vorausgesetzt, da&szlig; eine automatische Maschinerie es ihm erm&ouml;glichte, dieselben <I>Nettoeink&uuml;nfte </I>zu erzielen, die heute eine Bev&ouml;lkerung von zwanzig Millionen hervorbringt. Jenes grammatikalische Wesen, das "Nationalreichtum" hei&szlig;t, w&uuml;rde in diesem Falle tats&auml;chlich keine Einbu&szlig;e erfahren.</P>
<P>Ich gab schon in einem <A HREF="me08_499.htm#S500">fr&uuml;heren Bericht</A> ein Beispiel davon, wie im schottischen Hochland das Land "gelichtet" wird. Ich will nun ein Zitat aus dem "Galway Mercury" bringen, das zeigt, wie in Irland auf dieselbe Art und Weise die Emigration erzwungen wird:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Im Westen Irlands sterben die Menschen auf dem Land in Massen aus. Die Gutsherren von Connaught haben sich stillschweigend vereinigt, um alle Kleinbesitzer wie Unkraut auszurotten und f&uuml;hren einen f&ouml;rmlichen Vernichtungskrieg gegen sie ... In dieser Provinz werden t&auml;glich die herzzerrei&szlig;endsten Grausamkeiten ver&uuml;bt, von denen das Publikum gar nichts gewahr wird."</P>
</FONT><B><P><A NAME="S543">&lt;543&gt;</A></B> Es sind jedoch nicht nur die verarmten Bewohner der gr&uuml;nen Insel von Erin &lt;alter Name Irlands&gt; und des schottischen Hochlands, die von den landwirtschaftlichen Verbesserungen und vom "Zusammenbruch des veralteten Gesellschaftssystems" hinweggefegt werden. Es sind nicht nur die kr&auml;ftigen Landarbeiter aus England, Wales und Nieder-Schottland, deren &Uuml;berfahrt die Emigrationsbeamten bezahlen. Das Rad der "Verbesserungen" erfa&szlig;t nun auch eine andere Klasse, die bisher se&szlig;hafteste Klasse Englands. Eine &uuml;berraschend starke Emigrationssucht zeigt sich pl&ouml;tzlich unter den englischen Kleinp&auml;chtern, besonders unter jenen, die schweren Lehmboden besitzen. Die schlechten Ernteaussichten, der Mangel an gen&uuml;gendem Kapital, um die gro&szlig;en Verbesserungen auf ihren Grundst&uuml;cken vorzunehmen, die es ihnen erm&ouml;glichen w&uuml;rden, ihren alten Pachtzins zu zahlen, lassen ihnen keine andere Wahl, als den Ozean zu &uuml;berqueren, um sich ein neues Vaterland und neuen Boden zu suchen. Ich rede hier nicht von der Auswanderung, die die Goldsucht hervorrief, sondern lediglich von jener erzwungenen Emigration, die hervorgerufen wird durch das Pachtsystem, die Konzentration der Gutsh&ouml;fe, die Anwendung von Maschinerie zur Bearbeitung des Bodens und die Einf&uuml;hrung der modernen Gro&szlig;produktion in der Landwirtschaft.</P>
<P>In den alten Staaten, in Griechenland und Rom, bildete die erzwungene Emigration, die die Form der periodischen Errichtung von Kolonien annahm, ein regelrechtes Glied in der gesellschaftlichen Struktur. Das ganze System dieser Staaten war auf einer bestimmten Beschr&auml;nkung der Bev&ouml;lkerungszahl aufgebaut, die nicht &uuml;berschritten werden durfte, sollte nicht der Bestand der antiken Zivilisation selbst gef&auml;hrdet werden. Warum aber verhielt sich das so? Weil die Anwendung der Naturwissenschaft in der materiellen Produktion ihnen g&auml;nzlich unbekannt war. Um zivilisiert zu bleiben, mu&szlig;ten sie ihrer wenige bleiben. Sonst h&auml;tten sie sich jener schweren k&ouml;rperlichen Plackerei unterwerfen m&uuml;ssen, die den freien B&uuml;rger in einen Sklaven verwandelte. Mangel an Produktivkraft machte die B&uuml;rgerschaft abh&auml;ngig von einem gegebenen Zahlenverh&auml;ltnis, an dem nicht ger&uuml;hrt werden durfte. Das einzige Gegenmittel war daher die zwangsweise Emigration.</P>
<P>Dieser selbe Druck der Bev&ouml;lkerung auf die Produktivkr&auml;fte trieb einst die Barbaren aus den Hochebenen Asiens zum Einfall in die Alte Welt. Es wirkte hier dieselbe Ursache, wenn auch in anderer Form. Um Barbaren zu bleiben, mu&szlig;ten sie ihrer wenige bleiben. Sie waren Hirten- und J&auml;gerv&ouml;lker, kriegf&uuml;hrende St&auml;mme, deren Produktionsweise f&uuml;r jedes einzelne Individuum weite Landstriche erforderte, wie dies heute noch bei den <A NAME="S544"><B>&lt;544&gt;</A></B> Indianerst&auml;mmen in Nordamerika der Fall ist. Nahmen sie an Zahl zu, so beschnitt einer das Produktionsgebiet des andern. Daher war die &uuml;bersch&uuml;ssige Bev&ouml;lkerung gezwungen, sich auf jene gro&szlig;en abenteuerlichen Wanderungen zu begehen, die zur Bildung der V&ouml;lker des alten und modernen Europa f&uuml;hrten.</P>
<P>Ganz anders aber steht es mit der gro&szlig;en erzwungenen Emigration unserer Tage. Nicht der Mangel an Produktivkr&auml;ften schafft heute den Bev&ouml;lkerungs&uuml;berschu&szlig;, sondern die Zunahme an Produktivkr&auml;ften verlangt eine Verringerung der Bev&ouml;lkerung und beseitigt den &Uuml;berschu&szlig; durch Hungersnot oder durch Auswanderung. Nicht die Bev&ouml;lkerung dr&uuml;ckt auf die Produktivkraft, sondern die Produktivkraft dr&uuml;ckt auf die Bev&ouml;lkerung.</P>
<P>Nun teile ich weder die Ansicht Ricardos, der in dem "Reineinkommen" den Moloch sieht, dem, ohne auch nur zu murren, ganze V&ouml;lkerschaften geopfert werden m&uuml;ssen, noch teile ich die Ansicht Sismondis, der, in seiner hypochondrischen Philanthropie, &uuml;berlebte Methoden des Ackerbaus gewaltsam erhalten und die Wissenschaft ebenso aus der Industrie verbannen m&ouml;chte, wie einst Plato die Poeten aus seiner Republik verstie&szlig;. In der Gesellschaft vollzieht sich eine lautlose Revolution, vor der es kein Entrinnen gibt und die sich um die menschlichen Existenzen, die sie zerbricht, ebensowenig k&uuml;mmert wie ein Erdbeben um die H&auml;user, die es zerst&ouml;rt. Unterliegen m&uuml;ssen jene Klassen und Rassen, die zu schwach sind, die neuen Lebensbedingungen zu meistern. Kann es aber etwas Kindischeres und Kurzsichtigeres geben als die Ansichten jener &Ouml;konomen, die allen Ernstes glauben, dieser jammervolle &Uuml;bergangszustand bedeute nichts weiter als die Anpassung der Gesellschaft an den Aneignungstrieb der Kapitalisten, so wohl der Grundherren wie der Geldherren? In Gro&szlig;britannien ist der Verlauf dieses Prozesses klar ersichtlich. Die Anwendung wissenschaftlicher Methoden in der Produktion vertreibt die Menschen vom flachen Lende, konzentriert sie aber in den Industriest&auml;dten.</P>
<FONT SIZE=2><P>"Die Auswanderungskommissare haben au&szlig;er einigen wenigen Handwebern aus Spitalfields und Paisley keine Industriearbeiter unterst&uuml;tzt, und auf eigene Kosten sind wenige oder gar keine ausgewandert", sagt der "Economist".</P>
</FONT><P>Der "Economist" wei&szlig; ganz genau, da&szlig; sie auf eigene Kosten nicht auswandern k&ouml;nnten und das ihnen die industrielle Bourgeoisie dabei nicht helfen w&uuml;rde. Wohin f&uuml;hrt das aber? Die b&auml;uerliche Bev&ouml;lkerung, das se&szlig;hafteste und konservativste Element der modernen Gesellschaft, verschwindet, w&auml;hrend das industrielle Proletariat, gerade infolge der modernen Produktionsweise, sich zusammengedr&auml;ngt sieht in m&auml;chtigen Zentren, rings <A NAME="S545"><B>&lt;545&gt;</A></B> um die gewaltigen Produktivkr&auml;fte, deren Sch&ouml;pfungsgeschichte bisher die M&auml;rtyrergeschichte der Arbeiter gewesen. Wer wird die Arbeiter daran hindern, einen Schritt weiter zu gehen und sich dieser Kr&auml;fte zu bem&auml;chtigen, die sich ihrer bisher bem&auml;chtigt hatten? Wo wird es eine Macht geben, die ihnen Widerstand leisten k&ouml;nnte? Nirgends! Vergeblich wird man sich dann auf die "Eigentumsrechte" berufen. Die Bourgeois-&Ouml;konomen geben selbst zu, da&szlig; die modernen Ver&auml;nderungen in der Produktionsweise das veraltete Gesellschaftssystem und seine Art der Aneignung vernichtet haben. <I>Expropriiert </I>haben diese Ver&auml;nderungen bereits die schottischen Clan-M&auml;nner, die irischen H&auml;usler und Pachtbauern, die englischen Yeomen &lt;unabh&auml;ngigen Bauern&gt;, die Handweber, zahllose Handwerker, ganze Generationen von Fabrikkindern und -weibern; sie werden, wenn die Zeit herangereift, den Landlord und den Kattunlord expropriieren.</P>
<P>Auf dem Kontinent schleudert der Himmel Blitze, in England aber zittert die Erde selbst. England ist das Land, wo die wirkliche Umw&auml;lzung der modernen Gesellschaft beginnt.</P>
<P>In meinem Brief vom 1. d.M. teilte ich mit, da&szlig; Mazzini &ouml;ffentlich gegen Kossuth auftreten wolle. Am 2. d.M. erschien tats&auml;chlich im "Morning Advertiser", in der "Morning Post" und der "Daily News" ein Brief Mazzinis. Da Mazzini also jetzt selbst das Eis gebrochen hat, so kann ich gleichfalls berichten, da&szlig; Kossuth unter dem Drucke seiner Pariser Freunde sein eigenes Dokument widerrufen hat. In Kossuths bisheriger Laufbahn finden wir h&auml;ufig derlei Symptome schwankender Schw&auml;chlichkeit, unentwirrbarer Widerspr&uuml;che und Doppelz&uuml;ngigkeit. Er besitzt alle anziehenden Tugenden, gleichzeitig aber auch alle weibischen Fehler des "K&uuml;nstler"charakters. Er ist ein gro&szlig;er K&uuml;nstler "en paroles" &lt;"im Drechseln von Worten"&gt;. Ich empfehle all denen, die sich nicht gerne einem popul&auml;ren Aberglauben beugen, sondern sich lieber selbst ein n&uuml;chternes Urteil bilden wollen, Szemeres k&uuml;rzlich ver&ouml;ffentlichte Biographien von <I>Ludwig Batthyanyi</I>, <I>Arthur G&ouml;rgey </I>und <I>Ludwig Kossuth</I>.</P>
<P>Was die Lombardei betrifft, so kann man sicher sein, da&szlig;, wenn es auch Mazzini nicht gelungen, die italienische Bourgeoisie in die Bewegung einzubeziehen, Radetzky darin nicht versagen wird. In diesem Augenblick geht er daran, das Verm&ouml;gen aller Emigranten zu konfiszieren, sogar jener, die mit Erlaubnis der &Ouml;sterreicher auswanderten und in anderen L&auml;ndern naturalisiert wurden, es sei denn, <I>sie beweisen, da&szlig; sie mit dem letzten Aufstand nichts zu tun hatten</I>. Die &ouml;sterreichischen Zeitungen berechnen den <A NAME="S546"><B>&lt;546&gt;</A></B> Betrag des konfiszierbaren Eigentums auf etwa zw&ouml;lf Millionen Pfund Sterling. In der Unterhaussitzung vom 1. M&auml;rz erwiderte Lord Palmerston auf eine Frage Lord Dudley Stuarts,</P>
<FONT SIZE=2><P>"die Kontinentalm&auml;chte h&auml;tten keinen Antrag auf Ausweisung politischer Fl&uuml;chtlinge gestellt, gesch&auml;he dies aber, so wurde ihnen eine bestimmte und entschiedene Abweisung zuteil werden. <I>Die britische Regierung hatte sich nie dazu hergegeben, f&uuml;r die innere Sicherheit anderer L&auml;nder zu sorgen.</I>"</P>
</FONT><P>Da&szlig; aber trotzdem solch ein Antrag gestellt werden sollte, geht aus dem b&ouml;rsenschacherischen "Moniteur" sowie aus dem "Journal des D&eacute;bats" hervor, das in einer seiner letzten Nummern die Vermutung &auml;u&szlig;ert, England werde sich schon den vereinigten Forderungen &Ouml;sterreichs, Ru&szlig;lands, Preu&szlig;ens und Frankreichs f&uuml;gen. Das "Journal des D&eacute;bats" f&uuml;gt hinzu:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Sollte der Schweizerische Bund &Ouml;sterreich die Erlaubnis verweigern, einen <I>&Uuml;berwachungsdienst </I>&uuml;ber die angrenzenden Kantone zu organisieren, so wird &Ouml;sterreich wohl mit Gewalt ins Schweizer Gebiet eindringen und den Kanton Tessin besetzen; dann w&uuml;rde Frankreich, um des Gleichgewicht zu wahren, mit seinen Truppen in die Schweizer Kantone an seiner Grenze einfallen".</P>
</FONT><P>Das "Journal des D&eacute;bats" bringt also, angewandt auf die Schweiz, praktisch jene einfache L&ouml;sung vor, die Prinz Heinrich von Preu&szlig;en 1770 scherzhaft der Kaiserin Katharina in bezug auf Polen vorschlug. Mittlerweile diskutiert jene ehrw&uuml;rdige K&ouml;rperschaft, der Deutsche Bundestag genannt, gewichtig &uuml;ber "ein Ersuchen, mit dem man sich demn&auml;chst an England zu wenden gedenke", und verschwendet auf diese feierliche Angelegenheit Lungenkraft genug, um die Segel der ganzen deutschen Flotte zu schwellen.</P>
<P>In der Unterhaussitzung vom 1. d.M. ereignete sich ein sehr charakteristischer Zwischenfall. Die Vertreter von Bridgenorth und Blackburn waren wegen Bestechung als zu Unrecht gew&auml;hlt erkl&auml;rt worden. Darauf beantragte Sir J. Shelley, da&szlig; die vor den Kommissionen gemachten Zeugenaussagen auf dem Tische des Hauses niedergelegt und da&szlig; die Wiederwahlen nicht vor dem 4. April ausgeschrieben werden sollten. Hierzu bemerkte der sehr ehrenwerte Baron Sir J. Trollope, "es seien schon vierzehn Kommissionen eingesetzt worden, um die Untersuchungen gegen eine Anzahl Wahlkreise wegen Wahlkorruption zu f&uuml;hren, und es m&uuml;&szlig;ten noch ungef&auml;hr weitere f&uuml;nfzig eingesetzt werden". Dann sprach er &uuml;ber die Schwierigkeit, einerseits genug Mitglieder zur Bildung von Wahlpr&uuml;fungskommissionen im Hause aufzutreiben und andererseits noch Kommissionen f&uuml;r die laufenden Gesch&auml;fte des Hauses bilden zu k&ouml;nnen. W&uuml;rde man der Entstehungs- <A NAME="S547"><B>&lt;547&gt;</A></B> geschichte des Hauses ein bi&szlig;chen genauer nachsp&uuml;ren, so m&uuml;&szlig;te es zusammenbrechen und die parlamentarische Maschinerie zum v&ouml;lligen Stillstand kommen.</P>
<P>In seinem letzten Pamphlet, desgleichen in seinen Ansprachen auf dem Friedenskongre&szlig; in Manchester und auch auf verschiedenen Versammlungen &uuml;ber Schulfragen hat sich Mr. Cobden damit erg&ouml;tzt, die Presse zu kritisieren. Die ganze Presse hat Gleiches mit Gleichem vergolten, den sch&auml;rfsten Hieb aber versetzt ihm jener "Engl&auml;nder", dessen Briefe &uuml;ber Louis-Napoleon solche Sensation zur Zeit des coup d'&eacute;tat &lt;Staatsstreichs&gt; erregten und der sp&auml;ter gegen die Seidenbarone und Baumwoll-Lords vom Leder gezogen. Er schlie&szlig;t einen Brief an Mr. Cobdens Adresse mit folgender epigrammatischen Charakterisierung des Orakels von West-Riding:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Aufgebl&auml;ht und seines Gleichgewichts beraubt durch einen einzigen Triumph, sieht er sich in der Rolle des volkst&uuml;mlichen Autokraten. Der Prophet einer Clique, der ohne Unterla&szlig; agitiert, der giert nach Ber&uuml;hmtheit, den jede Opposition in Rage bringt, launisch, bar jeder Logik, utopistisch, ein Dicksch&auml;del, arrogant und &uuml;berheblich, ein streits&uuml;chtiger Prediger des Friedens, ein bitterer Proselyt der universalen Verbr&uuml;derung, die Freiheit auf den Lippen, den Despotismus in seinen Dogmen, ist er emp&ouml;rt, da&szlig; die Presse sich weder einsch&uuml;chtern noch hinters Licht f&uuml;hren la&szlig;t, m&ouml;chte er ihren Einflu&szlig;, ihre Intelligenz, ihre Unabh&auml;ngigkeit mi&szlig;brauchen, mochte er den Beruf kultivierter Gentlemen zu einem Trupp elender Zeilenschinder herabdr&uuml;cken und sich selbst zu ihrem einzigen Leitartikler aufwerfen."</P>
</FONT><I><P ALIGN="RIGHT">Karl Marx</P></I></BODY>
</HTML>