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<META NAME="Author" CONTENT="Friedrich Engels">
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<META NAME="Date" CONTENT="1998-01-18">
<TITLE>Friedrich Engels - Revolution und Konterrevolution in Deutschland - IV</TITLE>
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<P><SMALL>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 8, "Revolution und Konterrevolution in Deutschland", S. 80-84 <BR>
Dietz Verlag, Berlin/DDR, 1960 </SMALL></P>
<P ALIGN="CENTER"><A HREF="me08_075.htm"><FONT SIZE=2>XIII - [Die preu&szlig;ische konstituierende Versammlung - Die Frankfurter Nationalversammlung]</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="me08_003.htm"><FONT SIZE=2>Inhalt</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="me08_085.htm"><FONT SIZE=2>XV - [Preu&szlig;ens Triumph]</FONT></A></P>
<FONT SIZE=5><STRONG><P ALIGN="CENTER">XIV<BR>
[Die Wiederherstellung der Ordnung -<BR>
Reichstag und Kammern]</P>
</FONT><P><A NAME="S80">&lt;80&gt;</A> </STRONG>Die ersten Monate des Jahres 1849 wurden von der &ouml;sterreichischen und preu&szlig;ischen Regierung dazu benutzt, die im Oktober und November des Vorjahres errungenen Vorteile weiter zu verfolgen. Der &ouml;sterreichische Reichstag hatte seit der Einnahme Wiens ein reines Schattendasein in dem kleinen m&auml;hrischen Landst&auml;dtchen Kremsier &lt;Kromeriz&gt; gef&uuml;hrt. Hier widerfuhr den slawischen Abgeordneten, die mitsamt ihren W&auml;hlern haupts&auml;chlich dazu beigetragen hatten, die &ouml;sterreichische Regierung aus ihrer tiefen Erniedrigung wieder emporzuheben, eine einzigartige Z&uuml;chtigung f&uuml;r ihren Verrat an der europ&auml;ischen Revolution. Kaum hatte die Regierung ihre Kraft wiedererlangt, da begann sie den Reichstag und sein slawische Mehrheit mit der gr&ouml;&szlig;ten Verachtung zu behandeln, und als nach den ersten Erfolgen der kaiserlichen Waffen eine rasche Beendigung des Kriegs in Ungarn zu erwarten stand, wurde der Reichstag am 4. M&auml;rz aufgel&ouml;st und seine Abgeordneten mit Waffengewalt auseinandergetrieben. Jetzt erkannten die Slawen endlich, da&szlig; man sie zum Narren gehalten, und jetzt erhob sich der Ruf: Auf nach Frankfurt, la&szlig;t uns dort die Opposition weiterbetreiben, die uns hier unm&ouml;glich gemacht wird! Aber jetzt war es zu sp&auml;t, und die blo&szlig;e Tatsache, da&szlig; sie keine andere Wahl mehr hatten, als sich still zu verhalten oder in die machtlose Frankfurter Versammlung einzutreten - diese Tatsache allein bewies zur Gen&uuml;ge ihre v&ouml;llige Hilflosigkeit.</P>
<P>So endeten f&uuml;r jetzt und h&ouml;chstwahrscheinlich f&uuml;r immer die Versuche der Slawen Deutschlands, wieder zu nationaler Selbst&auml;ndigkeit zu gelangen. Zersplitterte Reste zahlreicher Nationen, deren Nationalit&auml;t und politische Lebenskraft l&auml;ngst erloschen waren und die sich daher seit beinah einem Jahrtausend gezwungen sahen, den Spuren einer st&auml;rkeren Nation zu folgen, die sie &uuml;berwunden, wie die Walliser in England, die Basken in Spanien, die <A NAME="S81"><STRONG>&lt;81&gt;</A></STRONG> Niederbretonen in Frankreich und in j&uuml;ngerer Zeit die spanischen und franz&ouml;sischen Kreolen in den neuerdings von den Angloamerikanern besetzten Teilen Nordamerikas - diese sterbenden V&ouml;lkerst&auml;mme, die B&ouml;hmen, K&auml;rntner, Dalmatiner usw., hatten versucht, sich die allgemeine Verwirrung des Jahres 1848 zunutze zu machen, um den politischen Status quo wiederherzustellen, der A.D. 800 bestanden. Die Geschichte eines Jahrtausends m&uuml;&szlig;te ihnen gezeigt haben, da&szlig; ein solcher R&uuml;ckschritt nicht m&ouml;glich war; da&szlig;, wenn das ganze Gebiet &ouml;stlich der Elbe und der Saale einstmals von miteinander verwandten slawischen V&ouml;lkerschaften besiedelt gewesen, diese Tatsache nur die geschichtliche Tendenz und die physische und intellektuelle F&auml;higkeit der deutschen Nation bewies, ihre alten &ouml;stlichen Nachbarn zu unterwerfen, aufzusaugen und sie zu assimilieren; da&szlig; diese absorbierende Tendenz der Deutschen stets eines der m&auml;chtigsten Mittel gewesen und noch ist, wodurch die westeurop&auml;ische Zivilisation in Osteuropa verbreitet wurde; da&szlig; diese Tendenz erst dann aufh&ouml;ren konnte, als der Proze&szlig; der Germanisierung auf die Grenze starker, geschlossener, ungebrochener Nationen stie&szlig;, die imstande waren, ein selbst&auml;ndiges nationales Leben zu f&uuml;hren wie die Ungarn und in gewissem Grade die Polen; und da&szlig; es deshalb das nat&uuml;rliche unvermeidliche Schicksal dieser sterbenden Nationen war, diesen Proze&szlig; der Aufl&ouml;sung und Aufsaugung durch ihre st&auml;rkeren Nachbarn sich vollenden zu lassen. Das ist allerdings keine sehr schmeichelhafte Aussicht f&uuml;r den nationalen Ehrgeiz der panslawistischen Schw&auml;rmer, die es fertiggebracht, einen Teil der B&ouml;hmen und S&uuml;dslawen in Bewegung zu setzen; aber k&ouml;nnen sie erwarten, die Geschichte werde um tausend Jahre zur&uuml;ckschreiten, einigen schwinds&uuml;chtigen V&ouml;lkerschaften zuliebe, die auf den von ihnen bewohnten Gebieten &uuml;berall mitten unter Deutschen und in deutscher Umgebung, die seit fast undenklichen Zeiten f&uuml;r jede &Auml;u&szlig;erung kulturellen Lebens keine andere Sprache haben als die deutsche und denen die ersten Bedingungen nationaler Existenz fehlen: gr&ouml;&szlig;ere Bev&ouml;lkerung und Geschlossenheit des Gebiets? Daher prallte die panslawistische Welle, unter der sich &uuml;berall in den slawischen Gegenden Deutschlands und Ungarns das Streben nach Wiederherstellung der Unabh&auml;ngigkeit all dieser ungez&auml;hlten kleinen Nationen verbarg, &uuml;berall mit der revolution&auml;ren Bewegung Europas zusammen; und mochten die Slawen auch vorgeben, f&uuml;r die Freiheit zu k&auml;mpfen, so waren sie doch (mit Ausnahme des demokratischen Teils der Polen) unwandelbar auf seiten des Despotismus und der Reaktion zu finden. So war es in Deutschland, so war es in Ungarn und hier und da sogar auch in der T&uuml;rkei. Verr&auml;ter an der Sache des Volkes, Helfershelfer und Hauptst&uuml;tzen des R&auml;nkespiels der &ouml;sterreichischen Regierung, brachten sie sich durch ihr Verhalten bei allen <A NAME="S82"><STRONG>&lt;82&gt;</A></STRONG> revolution&auml;ren Nationen in Acht und Bann. Und obwohl die Masse des Volkes sich nirgends an dem kleinlichen Gez&auml;nk &uuml;ber Nationalit&auml;ten beteiligte, das die panslawistischen F&uuml;hrer anzettelten, schon aus dem einfachen Grunde, weil sie zu unwissend war, wird es doch f&uuml;r immer unvergessen bleiben, da&szlig; in Prag, einer halbdeutschen Stadt
<P>Auf die Verfassung, die der Kaiser &lt;Franz Joseph I.&gt; gleichzeitig mit der Aufl&ouml;sung des Reichstags erlie&szlig;, brauchen wir nicht zur&uuml;ckzukommen, denn sie ist praktisch niemals wirksam geworden und ist jetzt bereits v&ouml;llig beseitigt. Der Absolutismus ist in &Ouml;sterreich seit dem 4. M&auml;rz 1849 in jeder Beziehung vollst&auml;ndig wiederhergestellt.</P>
<P>In Preu&szlig;en traten im Februar die Kammern zusammen, um die vom K&ouml;nig erlassene neue Verfassung zu revidieren und zu best&auml;tigen. Sie tagten etwa sechs Wochen, unterw&uuml;rfig und dem&uuml;tig genug in ihrem Verhalten gegen&uuml;ber der Regierung, aber doch nicht ganz so gef&uuml;gig, wie der K&ouml;nig und seine Minister sie haben wollten. Deshalb wurden sie auch bei der ersten passenden Angelegenheit aufgel&ouml;st.</P>
<P>Damit war man f&uuml;rs erste in &Ouml;sterreich wie in Preu&szlig;en der Fesseln der parlamentarischen Kontrolle ledig. Die beiden Regierungen konzentrierten jetzt die gesamte Macht bei sich allein und konnten sie &uuml;berall einsetzen, wo sie gerade gebraucht wurde, &Ouml;sterreich gegen Ungarn und Italien, Preu&szlig;en gegen Deutschland. Denn auch Preu&szlig;en r&uuml;stete zu einem Feldzug, durch den die "Ordnung" in den kleineren Staaten wiederhergestellt werden sollte.</P>
<P>Nachdem jetzt in den beiden gro&szlig;en Mittelpunkten der Bewegung in Deutschland, in Wien und Berlin, die Konterrevolution wieder das Heft in der Hand hatte, blieben nur die kleineren Staaten, in denen der Kampf noch nicht entschieden war, obgleich sich die Waage auch dort immer mehr zuungunsten der Revolution senkte. Diese kleineren Staaten hatten, wie schon bemerkt, einen gemeinsamen Mittelpunkt in der Frankfurter Nationalversammlung gefunden. Nun war aber diese sogenannte Nationalversamm- <A NAME="S83"><STRONG>&lt;83&gt;</A></STRONG> lung, mochte auch ihr reaktion&auml;rer Charakter l&auml;ngst so offenkundig geworden sein, da&szlig; das Volk in Frankfurt selbst die Waffen gegen sie erhob, ihrem Ursprung nach doch mehr oder weniger revolution&auml;rer Natur. Sie hatte im Januar eine abnorme, revolution&auml;re Stellung eingenommen. Ihre Zust&auml;ndigkeit war niemals abgegrenzt wurden, und schlie&szlig;lich hatte sie sich zu dem - von den gr&ouml;&szlig;eren Staaten allerdings niemals anerkannten - Entschlu&szlig; aufgerafft, ihren Beschl&uuml;ssen Gesetzeskraft zu verleihen. Unter diesen Umst&auml;nden, und da die konstitutionell-monarchistische Partei infolge des Wiedererstarkens des Absolutismus ihre Stellung v&ouml;llig ver&auml;ndert sah, ist es nicht verwunderlich, da&szlig; die liberale monarchistische Bourgeoisie fast in ganz Deutschland ihre letzte Hoffnung auf die Mehrheit dieser Versammlung setzte, ebenso wie das Kleinb&uuml;rgertum, der Kern der demokratischen Partei, in seiner wachsenden Bedr&auml;ngnis sich um jene Minderheit der gleichen K&ouml;rperschaft scharte, die in der Tat die letzte geschlossene parlamentarische Phalanx der Demokratie darstellte. Auf der anderen Seite erkannten die gr&ouml;&szlig;eren Regierungen und besonders die preu&szlig;ische immer mehr die Unvereinbarkeit einer solchen regelwidrigen, aus Wahlen hervorgegangenen K&ouml;rperschaft mit dem wiederhergestellten monarchischen System in Deutschland, und wenn sie nicht sofort ihre Aufl&ouml;sung erzwangen, so nur darum, weil die Zeit dazu noch nicht gekommen war und weil Preu&szlig;en sie zun&auml;chst noch zur F&ouml;rderung seiner eigenen ehrgeizigen Pl&auml;ne ausnutzen wollte.</P>
<P>Inzwischen verfiel diese kl&auml;gliche Versammlung selbst in immer gr&ouml;&szlig;ere Verwirrung. Ihre Deputationen und Kommissare waren in Wien wie in Berlin mit der gr&ouml;&szlig;ten Verachtung behandelt, eines ihrer Mitglieder, trotz seiner parlamentarischen Immunit&auml;t, in Wien als gemeiner Rebell hingerichtet worden. Ihre Erlasse wurden nirgends beachtet; wenn die gr&ouml;&szlig;eren Staaten sie &uuml;berhaupt zur Kenntnis nahmen, so nur in Protestnoten, die der Versammlung das Recht abstritten, Gesetze anzunehmen und Beschl&uuml;sse zu fassen, die f&uuml;r ihre Regierungen bindend seien. Das Vertretungsorgan der Versammlung, die Zentrale Exekutivgewalt, war mit fast allen Kabinetten Deutschlands in diplomatische H&auml;ndel verwickelt, und trotz aller ihrer Bem&uuml;hungen konnten werde die Versammlung noch die Zentralregierung &Ouml;sterreich oder Preu&szlig;en dazu bringen, ihre Ansichten, Pl&auml;ne und Forderungen endg&uuml;ltig darzulegen. Endlich begann die Versammlung wenigstens klar zu erkennen, da&szlig; sie sich alle Macht hatte entgleiten lassen, da&szlig; sie &Ouml;sterreich und Preu&szlig;en auf Gnade und Ungnade ausgeliefert war und da&szlig; sie, wenn sie &uuml;berhaupt eine Reichsverfassung f&uuml;r Deutschland zustande bringen wollte, sofort und allen Ernstes an diese Aufgabe herangehen mu&szlig;te. Und viele ihrer schwankenden Mitglieder erkannten jetzt ebenfalls klar, da&szlig; sie von den Regierungen gr&uuml;nd- <A NAME="S84"><STRONG>&lt;84&gt;</A></STRONG> lich zum Narren gehalten worden waren. Aber was konnten sie bei ihrer Ohnmacht jetzt tun? Der einzige Schritt, der sie noch retten konnte, war der schleunige, entschiedene &Uuml;bergang in das Lager des Volkes, obgleich der Erfolg selbst dieses Schrittes mehr als zweifelhaft geworden; und bei alledem, wo waren in diesem hilflosen Haufen unentschlossener, kurzsichtiger, aufgeblasener Gesch&ouml;pfe, die, wenn der ewige L&auml;rm widerspruchsvoller Ger&uuml;chte und diplomatischer Noten sie v&ouml;llig bet&auml;ubte, ihren einzigen Trost und Halt in der endlos wiederholten Versicherung suchten, da&szlig; sie die besten, die gr&ouml;&szlig;ten, die weisesten M&auml;nner des Landes seien, die allein Deutschland retten k&ouml;nnten; - wo waren, fragen wir, unter diesen Jammergestalten, die ein einziges Jahr parlamentarischen Lebens zu v&ouml;lligen Idioten gemacht, wo waren da die M&auml;nner, die einen raschen, kraftvollen Entschlu&szlig; fassen, geschweige den tatkr&auml;ftig und konsequent handeln konnten?</P>
<P>Endlich lie&szlig; die &ouml;sterreichische Regierung die Maske fallen. In ihrer Verfassung vom 4. M&auml;rz erkl&auml;rte sie &Ouml;sterreich zur unteilbaren Monarchie mit gemeinsamem Finanz- und Zollsystem und gemeinsamem Heerwesen, um so alle trennenden Schranken zwischen den deutschen und nichtdeutschen Provinzen zu beseitigen. Diese Erkl&auml;rung stand in schroffem Widerspruch zu Resolutionen und Artikeln der k&uuml;nftigen Reichsverfassung, die von der Frankfurter Versammlung bereits angenommen worden waren. Das war der Fehdehandschuh, den ihr &Ouml;sterreich hinwarf, und der armen Versammlung blieb keine andere Wahl, als ihn aufzunehmen. Sie tat dies mit einiger Prahlerei, was &Ouml;sterreich im Bewu&szlig;tsein seiner Macht und der v&ouml;lligen Bedeutungslosigkeit der Versammlung ruhig hingehen lassen konnte. Und diese Vertretung des deutschen Volkes, wie diese k&ouml;stliche Versammlung sich selbst betitelte, wu&szlig;te, um sich f&uuml;r diesen Schimpf an &Ouml;sterreich zu r&auml;chen, nicht besseres zu tun, als sich, an H&auml;nden und F&uuml;&szlig;en gebunden, der preu&szlig;ischen Regierung zu F&uuml;&szlig;en zu werfen. So unglaublich es auch scheinen mag, sie beugte das Knie vor denselben Ministern, die sie als verfassungswidrig und volksfeindlich gebrandmarkt und auf deren Entlassung sie vergeblich gedrungen. Die Einzelheiten dieser schmachvollen Verhandlungen und die tragikomischen Ereignisse, die ihnen folgten, werden der Gegenstand unseres n&auml;chsten Briefes bilden.</P>
<P>London, April 1852 </P></BODY>
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