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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<HEAD>
<TITLE>Teil 1; V. Kapitel: Die Zwangsfamilie als Erziehungsapparat</TITLE>
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<BODY BGCOLOR="#ffff80">
<H2>
Wilhelm Reich
</H2>
<H1>
Die sexuelle Revolution
</H1>
<H3>
Quelle: Fischer Taschenbuch, Frankfurt / Main 1972
</H3>
<P>
<HR>
<H2>
Teil 1; V. Kapitel: Die Zwangsfamilie als Erziehungsapparat
</H2>
<P>
<HR>
<P>
<HR>
<P>
Die wichtigste Erzeugungsst&auml;tte der ideologischen Atmosph&auml;re des
Konservatismus ist die Zwangsfamilie. Ihr Grundtypus ist das Dreieck: Vater,
Mutter und Kind. W&auml;hrend die konservative Anschauung in der Familie
die Grundlage, wie manche sagen, die "Zelle" der menschlichen Gesellschaft
&uuml;berhaupt sieht, erblicken wir in ihr bei Ber&uuml;cksichtigung ihrer
Wandlungen im Laufe der historischen Entwicklung und ihrer jeweiligen
gesellschaftlichen Funktion ein <I>Ergebnis</I> bestimmter &ouml;konomischer
Strukturen. Wir sehen also die Familie nicht als Baustein und Grundlage,
sondern als Folge einer bestimmten &ouml;konomischen Struktur der Gesellschaft
an (matriarchalische, patriarchalische Familie, Zadruga, polygynes und monogynes
Patriarchat usw.).
<P>
Wenn aber die konservative Sexualforschung, die reaktion&auml;re Sozialethik
und die Rechtsordnung von der Familie immer wiederum als <I>der</I> Grundlage
des "Staates" und der "Gesellschaft" sprechen, so haben sie nur in dem Sinne
recht, da&szlig; die Zwangsfamilie zum Bestand des autorit&auml;ren Staates
und der autorit&auml;ren Gesellschaft unabtrennbar geh&ouml;rt. Ihr
gesellschaftlicher Sinn ersch&ouml;pft sich in drei Grundeigenschaften:
<OL>
<LI>
&Ouml;konomisch: Sie war in den Anf&auml;ngen des Kapitalismus der
wirtschaftliche Kleinbetrieb und ist es heute noch in der Bauernschaft und
im Kleingewerbe.
<LI>
Sozial: Sie hat in der autorit&auml;ren Gesellschaft die wichtige Funktion
des Schutzes der wirtschaftlich und sexuell entrechteten Frau und der Kinder.
<LI>
Politisch: W&auml;hrend die Familie in der vorkapitalistischen Zeit des
Privateigentums und in den Anf&auml;ngen des Kapitalismus eine unmittelbare
&ouml;konomische Wurzel in der famili&auml;ren Kleinwirtschaft (wie heute
noch in der Kleinbauernwirtschaft) hatte, vollzog sich mit der Entwicklung
der Produktivkr&auml;fte und der Kollektivierung des Arbeitsprozesses ein
<I>Funktionswechsel</I> der Familie. Ihre unmittelbare &ouml;konomische Basis
verlor an Bedeutung, und zwar zunehmend mit dem Grad der Einbeziehung der
Frauen in den Produktionsproze&szlig;; was an &ouml;konomischer Basis
verlorenging, wurde durch ihre politische Funktion ersetzt. Ihre kardinale
Aufgabe, diejenige, um derentwillen sie von konservativer Wissenschaft und
konservativem Recht am meisten verteidigt wird, ist ihre Eigenschaft als
<I>Fabrik autorit&auml;rer Ideologien</I> und konservativer Strukturen.
</OL>
<P>
Sie bildet den Erziehungsapparat, durch den fast ausnahmslos jedes Mitglied
der Gesellschaft vom ersten Atemzug an hindurch mu&szlig;. Nicht nur als
Institution autorit&auml;rer Art, sondern wie wir gleich sehen werden, kraft
der ihr eigenen Struktur beeinflu&szlig;t sie das Kind im Sinne der konservativen
Weltanschauung; sie ist der Mittler zwischen der wirtschaftlichen Struktur
der Gesellschaft und deren ideologischem &Uuml;berbau, sie ist durchtr&auml;nkt
von der konservativen Atmosph&auml;re, die sich notwendigerweise jedem ihrer
Mitglieder unausl&ouml;schlich einpr&auml;gt. Sie &uuml;bermittelt durch
ihre Formation und durch direkte Beeinflussung nicht nur allgemeine Einstellungen
zur bestehenden Gesellschaftsordnung und konservative Gesinnungsart, sondern
nimmt auch insbesondere durch die sexuelle Struktur, der sie entspringt und
die sie weiterpflanzt, unmittelbaren Einflu&szlig; auf die sexuelle Struktur
der Kinder im konservativen Sinne.
<P>
Es ist kein Zufall, da&szlig; die Einstellung der Jugend f&uuml;r beziehungsweise
gegen die herrschende Ordnung bis zu einem sehr hohen Grade in einem
proportionalen Verh&auml;ltnis zu ihrer Einstellung f&uuml;r beziehungsweise
gegen die Familie steht. Es ist auch kein Zufall, da&szlig; die konservative
und die reaktion&auml;re Jugend im gro&szlig;en und ganzen, von abweichenden
Einzelf&auml;llen abgesehen, familienanh&auml;nglich und -erhaltend, die
revolution&auml;re Jugend dagegen familienfeindlich und -zerst&ouml;rend
ist und sich aus dem Familienverband mehr oder weniger vollst&auml;ndig
l&ouml;st.
<P>
Das h&auml;ngt mit der sexualfeindlichen Atmosph&auml;re und Struktur der
Familie, mit den Beziehungen der Familienmitglieder zueinander aufs innigste
zusammen.
<P>
Wir haben demnach, wenn wir die erzieherische Bedeutung der Familie betrachten,
zwei Tatbest&auml;nde gesondert zu untersuchen: den Einflu&szlig; der konkreten
gesellschaftlichen Ideologien, die sich der Familenerziehung bei der
Beeinflussung der Jugend bedienen, und den unmittelbaren Einflu&szlig; der
"Dreiecksstruktur" selbst.
<P>
<HR>
<H3>
1. Der Einflu&szlig; der gesellschaftlichen Ideologie
</H3>
<P>
Die Familien des Gro&szlig;b&uuml;rgertums unterscheiden sich von denen des
Kleinb&uuml;rgertums, und diese wieder von denen der Industriearbeiter. Sie
alle sind aber der gleichen sexualmoralischen Atmosph&auml;re ausgesetzt,
die die spezifische Klassenmoral nicht austilgt, sondern diese bleibt teils
widerspruchsvoll neben jener bestehen, teils schlie&szlig;t sie mit ihr
Kompromisse.
<P>
Der vorherrschende Typus der Familie, der kleinb&uuml;rgerliche, reicht nun
bedeutend weiter als die gesellschaftliche Schicht "Kleinb&uuml;rgertum",
weit hinein bis ins Gro&szlig;b&uuml;rgertum und noch weiter in die
Industriearbeiterschaft. Die Grundlage der kleinb&uuml;rgerlichen Familie
ist die Beziehung des patriarchalischen Vaters zu Frau und Kindern. Er ist
sozusagen der Exponent und Vertreter der staatlichen Autorit&auml;t in der
Familie. Er ist wegen des Widerspruchs zwischen seiner Stellung im
Produktionsproze&szlig; (Diener) und seiner Familienfunktion (Herr) folgerichtig
und typisch eine Feldwebelnatur; er duckt sich nach oben, saugt die herrschenden
Anschauungen restlos auf (daher seine Nachahmungstendenz) und er herrscht
nach unten; er gibt die obrigkeitlichen und gesellschaftlichen Anschauungen
weiter und setzt sie durch.
<P>
In <I>sexualideologischer</I> Hinsicht f&auml;llt in der kleinb&uuml;rgerlichen
Familie die gesellschaftliche Eheideologie mit dem Kern der Familie
&uuml;berhaupt, der dauermonogamen Ehe, zusammen. So miserabel und trostlos,
leidvoll und unertr&auml;glich die Ehesituation und Familienkonstellation
ist, ideologisch mu&szlig; sie nach au&szlig;en sowohl wie nach innen von
den Familienmitgliedern verfochten werden. Die gesellschaftliche Notwendigkeit
dieses Seins zwingt zum Vertuschen der Misere und zu ideologischem Hochhalten
der Familie und Ehe, erzeugt auch die weitverbreitete
Familiensentimentalit&auml;t und die Schlagworte vom 'Familiengl&uuml;ck',
vom 'trauten Heim', vom 'stillen Ruhepunkt' und vom Gl&uuml;ck, das die Familie
f&uuml;r die Kinder angeblich bedeutet.
<P>
Aus der Tatsache, da&szlig; es in unserer Gesellschaft au&szlig;erhalb der
Ehe und Familie noch trostloser aussieht, weil da jeder materielle, rechtliche
und ideologische Schutz des Sexuallebens fehlt, schlie&szlig;t man auf die
Naturnotwendigkeit der Familieninstitution. Das Verschleiern vor sich selbst
und die sentimentalen Schlagworte, welche wichtige Bestandteile der ideologischen
Beeinflussungsatmosph&auml;re bilden, sind seelisch notwendig, denn sie
unterst&uuml;tzen das Durchhalten und der seelisch un&ouml;konomischen
Familiensituation. So erkl&auml;rt es sich, da&szlig; die Behandlung von
Neurosen so leicht den Familien- und Ehezusammenhang zerst&ouml;rt; sie
r&auml;umt n&auml;mlich mit den Illusionen auf, die Wahrheit tritt unerbittlich
zutage.
<P>
<I>Erziehung zur Ehe und zur Familie ist das Ziel der Aufzucht der Kinder
von Anbeginn.</I> Die Erziehung zum Beruf tritt ja erst viel sp&auml;ter
hinzu. Die sexualverneinende und -verleugnende Erziehung ist nicht nur von
der gesellschaftlichen Atmosph&auml;re diktiert, sondern sie wird notwendig
durch die Sexualverdr&auml;ngung der Erwachsenen. Ohne umfassenden Sexualverzicht
ist ein Existieren in der Familienatmosph&auml;re nicht m&ouml;glich.
<P>
In der typischen kleinb&uuml;rgerlichen Familie nimmt die Beeinflussung des
sexuellen Triebapparates bestimmte, f&uuml;r sie spezifische Formen an, welche
die individuelle Disposition f&uuml;r "Ehe- und Familiensinn" legen. Es wird
n&auml;mlich die pr&auml;genitale Erotik durch &Uuml;berbetonung der E&szlig;-
und Exkretionsfunktionen fixiert, w&auml;hrend die genitale Bet&auml;tigung
restlos unterbunden wird (Onaniebek&auml;mpfung). Die genitale Hemmung und
die pr&auml;genitale Fixierung bedingen eine Verschiebung des sexuellen
Interesses ins Sadistische, und die sexuelle Wi&szlig;begierde des Kindes
wird aktiv unterdr&uuml;ckt. Das ger&auml;t in Widerspruch mit der Wohnungslage,
der allgemeinen sexuellen Ungeniertheit der Eltern und mit dem unvermeidlich
sexuell betonten Milieu in der Familie. Die Kinder nehmen ja doch alle
Vorg&auml;nge wahr, wenn auch verzerrt und mit falschen Auslegungen durchsetzt.
<P>
Die ideologische und erzieherische Hemmung des Sexuellen einerseits, das
Mitansehen und Miterleben der intimsten Vorg&auml;nge unter den Erwachsenen
andererseits setzen im Kinde bereits die Grundlage zur sexuellen Heuchelei.
Das ist etwas gemildert in Industriearbeiterfamilien, wo die Betonung der
E&szlig;- und Verdauungsfunktion weniger stark ist, die genitalen
Bet&auml;tigungen hingegen st&auml;rker besetzt und weniger verboten sind.
Die Widerspr&uuml;che sind daher geringer, die Bahn f&uuml;r die
Genitalit&auml;t ist freier. Das ist durchwegs bedingt durch die wirtschaftliche
Daseinsweise der Industriearbeiterfamilie. Steigt ein Industriearbeiter
wirtschaftlich auf in die Reihen der Arbeiteraristokratie, so ver&auml;ndert
sich dementsprechend auch seine Gesinnung, seine Kinder geraten unter
st&auml;rkeren Druck von seiten der konservativen Moral.
<P>
W&auml;hrend in der kleinb&uuml;rgerlichen Familie die Sexualunterdr&uuml;ckung
sich mehr oder minder vollst&auml;ndig durchsetzt, ger&auml;t sie im
Industriearbeitermilieu in Widerspr&uuml;che mit der notwendigerweise geringeren
Beaufsichtigung der Kinder, die sich ja meist selbst &uuml;berlassen sind.
<P>
<HR>
<H3>
2. Die Dreiecksstruktur
</H3>
<P>
W&auml;hrend die Familie, derart von der ideologischen Atmosph&auml;re der
Gesellschaft beeinflu&szlig;t, auf das Kind einwirkt, ergibt sich aus ihrer
<I>Dreiecksstruktur</I> &uuml;berdies eine f&uuml;r sie spezifische Konstellation
des Kindes, ganz in der Richtung der konservativen Tendenzen der Gesellschaft.
<P>
Die Freudsche Entdeckung, da&szlig; &uuml;berall, wo diese Dreiecksstruktur
besteht, das Kind in ganz bestimmte sexuelle Beziehungen sinnlicher und
z&auml;rtlicher Art zu seinen Eltern kommt, ist grundlegend f&uuml;r das
Verst&auml;ndnis der individuellen sexuellen Entwicklung. Der sogenannte
"&Ouml;dipus-Komplex" umfa&szlig;t alle diese Beziehungen, die in ihrer
Quantit&auml;t, vor allem aber in ihrem Ausgang, von der weiteren Umgebung
und von der Struktur der Familie bestimmt werden. Das Kind richtet seine
ersten genitalen Liebesregungen (von den pr&auml;genitalen sehen wir hier
der Einfachheit halber ab) auf die n&auml;chsten Personen seiner Umgebung,
und das sind meist die Eltern. Typischerweise wird der heterosexuelle Elternteil
geliebt und der gleichgeschlechtliche zun&auml;chst geha&szlig;t. Gegen diesen
werden Eifersuchtsregungen und Ha&szlig; entwickelt, aber gleichzeitig auch
Schuldgef&uuml;hle und Angst vor ihm. Die Angst betrifft in erster Linie
die eigenen genitalen Regungen zum andersgeschlechtlichen Elternteil. Diese
Angst, zusammen mit der realen Unm&ouml;glichkeit der Befriedigung des
Inzestwunsches, bringt diesen mitsamt der genitalen Strebung zur
Verdr&auml;ngung. Aus dieser Verdr&auml;ngung leiten sich die allermeisten
sp&auml;teren Liebesst&ouml;rungen ab.
<P>
Nun sind aber zwei f&uuml;r die Folgen dieses kindlichen Erlebens kardinale
Tatbest&auml;nde nicht zu &uuml;bersehen. Erstens k&auml;me keine
Verdr&auml;ngung zustande, wenn der Knabe etwa zwar auf seine Mutter verzichten
m&uuml;&szlig;te, ihm aber das genitale Spiel mit Altersgenossinnen sowie
die Onanie gesellschaftlich gestattet w&auml;ren. Man gibt nicht gern zu,
da&szlig; solche sexuellen Spiele ("Doktorspiele" usw.) immer stattfinden,
wo Kinder mit anderen l&auml;nger beisammen sind; sie erfolgen allerdings
mit klarem Wissen um das Verp&ouml;nte dieses Tuns, daher mit
Schuldgef&uuml;hlen und sch&auml;digenden Fixierungen an diese Spiele. Das
Kind, das solche Spiele, wenn es Gelegenheit dazu hat, nicht wagt, ist sicherer
Kandidat einer schweren Beeintr&auml;chtigung seines sp&auml;teren Sexuallebens,
es entspricht aber den Prinzipien der Familienerziehung. &Uuml;ber die Versuche,
solche Feststellungen als Produkte verderbter Phantasie abzutun, wird sich
die Geschichte glatt hinwegsetzen. Man wird nicht lange diese Tatsachen
verleugnen und den Konsequenzen, die sie aufzwingen, ausweichen k&ouml;nnen.
Freilich, die offizielle gesellschaftliche Auseinandersetzung mit ihnen wird
nicht und so lange nicht erfolgen, wie die Familienerziehung innerhalb der
autorit&auml;ren Gesellschaft wirtschaftlich und politisch verankert ist.
<P>
Die Verdr&auml;ngung der fr&uuml;hen sexuellen Regungen wird qualitativ und
quantitativ entscheidend von der sexuellen Denkungsart der Eltern bestimmt.
Es h&auml;ngt viel davon ab, ob sie mit mehr oder weniger Strenge erfolgt,
ob sie die Onanie mitbetrifft oder nicht, u.a.m.
<P>
Da&szlig; das Kind gerade im kritischen Alter zwischen dem vierten und dem
sechsten Lebensjahr seine Genitalit&auml;t im Elternhaus erlebt, zwingt ihm
eine bestimmte, eben f&uuml;r die Familienerziehung spezifische L&ouml;sung
auf. Ein Kind, das vom dritten Lebensjahre an in Gemeinschaft mit anderen
Kindern und unbeeinflu&szlig;t von der Elternbindung erzogen w&auml;re,
w&uuml;rde seine Sexualit&auml;t ganz anders entwickeln, in Formen, die hier
nicht zur Diskussion kommen k&ouml;nnen. Man darf auch die Tatsache nicht
untersch&auml;tzen, da&szlig; die Familienerziehung praktisch individualistisch
ist, den g&uuml;nstigen Einflu&szlig; eines Kinderkollektivs ausschlie&szlig;t,
auch dann, wenn das Kind t&auml;glich einige Stunden in einem Kindergarten
verbringt. Die Familienideologie beeinflu&szlig;t praktisch weit mehr den
Kindergarten als dieser die Familienerziehung.
<P>
Das Kind ist also in die Familie hineingezw&auml;ngt und bringt daher eine
Fixierung an die Eltern in sexueller und autoritativer Hinsicht zustande.
Es wird schon zufolge seiner physischen Kleinheit von der elterlichen
Autorit&auml;t erdr&uuml;ckt, m&ouml;ge diese nun streng sein oder nicht.
Die autoritative Bindung &uuml;berwuchert bald die sexuelle, dr&auml;ngt
sie in den Zustand der unbewu&szlig;ten Existenz und steht sp&auml;ter, wenn
die sexuellen Interessen sich der au&szlig;erfamili&auml;ren Welt zuwenden
sollen, als m&auml;chtiger hemmender Block zwischen Sexualinteresse und
Wirklichkeit. Gerade weil die autoritative Bindung selbst zu einem gro&szlig;en
Teil unbewu&szlig;t wird, entzieht sie sich der bewu&szlig;ten Beeinflussung.
<P>
Es hat wenig zu sagen, wenn die unbewu&szlig;te Bindung an die elterliche
Autorit&auml;t oft als Gegenteil, als neurotisches Revoltieren zum Ausdruck
kommt; es vermag die sexuellen Interessen dennoch nicht zur Entfaltung zu
bringen, es sei denn in Form triebhafter und unbeherrschter sexueller Aktionen,
als krankhafte Kompromisse zwischen Sexualit&auml;t und Schuldgef&uuml;hl.
Die sp&auml;tere L&ouml;sung dieser Bindung an die Eltern ist <I>die</I>
Voraussetzung eines gesunden Sexuallebens. Sie gelingt heute in der Minderzahl.
<P>
Die Elternbindung, sowohl die sexuelle Gebundenheit wie die Unterordnung
unter die Autorit&auml;t des Vaters, erschwert in der Pubert&auml;t den Schritt
in die sexuelle und soziale Realit&auml;t, wo sie ihn nicht v&ouml;llig
unm&ouml;glich macht. Das kleinb&uuml;rgerliche Ideal des braven Sohnes und
der braven Haustochter, die noch bis ins reife Alter in der kindlichen Situation
stecken, ist das extreme Gegenteil der freien, selbst&auml;ndigen Jugend.
<P>
Ein weiteres Kennzeichen der Familienerziehung ist, da&szlig; die Eltern,
im besonderen die Mutter, sofern sie nicht gezwungen ist, ihren Lebensunterhalt
au&szlig;erhalb des Hauses zu verdienen, in ihren Kindern bald immer mehr
<I>den</I> Inhalt ihres Lebens suchen - und zu deren Nachteil auch finden,
da&szlig; die Kinder dabei die Rolle von Haushunden spielen, die man lieben,
aber auch beliebig qu&auml;len kann, da&szlig; die affektive Einstellung
der Eltern sie v&ouml;llig ungeeignet zur Erziehung macht, das sind allzu
abgeleierte Tatsachen, als da&szlig; wir uns hier ausf&uuml;hrlicher mit
ihnen besch&auml;ftigen m&uuml;&szlig;ten.
<P>
Was an Ehemisere in den ehelichen Konflikten nicht direkt ausgelebt werden
kann, ergie&szlig;t sich auf die Kinder. Das setzt neuerliche Sch&auml;digungen
ihrer Selbst&auml;ndigkeit und sexuellen Struktur, schafft aber auch einen
neuerlichen Widerspruch: den zwischen dem Miterlebthaben der elterlichen
Ehe, daher <I>Ehegegnerschaft</I>, und dem sp&auml;teren wirtschaftlichen
Zwang zu heiraten. In der Pubert&auml;t spielen sich gerade dann Trag&ouml;dien
ab, wenn die Jugendlichen sich gl&uuml;cklich aus den Sch&auml;digungen der
kindlichen Sexualerziehung gerettet haben und nunmehr auch die puberilen
Fesseln der Familie abstreifen wollen.
<P>
Die Sexualeinschr&auml;nkung, die die Erwachsenen auf sich nehmen mu&szlig;ten,
um das eheliche und famili&auml;re Dasein ertragen zu k&ouml;nnen, pflanzen
sie auf ihre Kinder fort. Und da diese sp&auml;ter aus wirtschaftlichen
Gr&uuml;nden in die famili&auml;re Situation zur&uuml;cksinken m&uuml;ssen,
setzt sich die Sexualeinschr&auml;nkung von Generation zu Generation fort.
<P>
Da die Zwangsfamilie &ouml;konomisch mit der autorit&auml;ren Gesellschaft
verwachsen ist, hei&szlig;t es v&ouml;llig blind den Tatsachen und
Zusammenh&auml;ngen gegen&uuml;berstehen, wenn man ihre Wirkungen innerhalb
dieser Gesellschaft auszurotten hofft. Diese Wirkungen liegen ja in der Situation
der Familie selbst und sind durch die unbewu&szlig;ten Mechanismen der
Triebstruktur in den einzelnen Individuen unausrottbar verankert.
<P>
Zur direkten Sexualhemmung, die aus dem Verh&auml;ltnis zu den Eltern resultiert,
addieren sich die Schuldgef&uuml;hle aus dem ma&szlig;losen Ha&szlig;, welcher
sich in den Kindern in der jahrelangen famili&auml;ren Situation aufspeicherte.
Bleibt dieser Ha&szlig; bewu&szlig;t, so kann er zu einer m&auml;chtigen
individuellen revolution&auml;ren Triebkraft werden; er wird der Motor der
L&ouml;sung aus dem Familienverband und kann sich dann leicht auf die rationellen
Ziele des Kampfes gegen diejenigen Zust&auml;nde &uuml;bertragen, die diesen
Ha&szlig; verursachten.
<P>
Wird aber der Ha&szlig; verdr&auml;ngt, so entwickeln sich aus ihm die
entgegengesetzten Regungen der treuen Anh&auml;nglichkeit und des kindlichen
Gehorsams, welche sicher zu Bleigewichten werden, wenn rationelle Gr&uuml;nde
den Betreffenden sp&auml;ter zur freiheitlichen Bewegung bringen. Man begegnet
dann dem Typus, der vielleicht sogar f&uuml;r die vollst&auml;ndige Freiheit
ist, aber seinen Kindern Religionsunterricht erteilen l&auml;&szlig;t und
selber aus der Kirche nicht austritt, obwohl es seiner &Uuml;berzeugung
widerspricht, weil er "so etwas seinen alten Eltern nicht antun" kann. Man
beobachtet an ihm aber auch Z&uuml;ge des Zauderns und Z&ouml;gerns,
Unentschlossenheit, Gebundenheit durch R&uuml;cksichten auf die Familie usw.
Er ist sicher nicht der Typus des Vork&auml;mpfers f&uuml;r Freiheit.
<P>
Aus der gleichen famili&auml;ren Situation kann aber auch der "Revolution&auml;r
aus neurotischen Gr&uuml;nden" entstehen. Er ist sehr h&auml;ufig bei
kleinb&uuml;rgerlichen Intellektuellen. Das sagt nat&uuml;rlich &uuml;ber
seinen Wert als Revolution&auml;r nichts aus. Aber die Verbundenheit mit
Schuldgef&uuml;hlen macht die so strukturierte revolution&auml;re
Pers&ouml;nlichkeit zu einer problematischen Angelegenheit.
<P>
Die famili&auml;re Sexualerziehung mu&szlig; ihrem Wesen nach Sch&auml;digungen
des Sexuallebens beim einzelnen setzen. Gelingt es dem einen oder anderen
doch, sich zu einem gesunden Sexualleben durchzuringen, so geschieht es
gew&ouml;hnlich auf Kosten seiner famili&auml;ren Bindungen.
<P>
Die Unterdr&uuml;ckung der sexuellen Bed&uuml;rfnisse wirkt sich dar&uuml;ber
hinaus in einer allgemeinen Schw&auml;chung der geistigen und
gef&uuml;hlsm&auml;&szlig;igen Funktionen aus, vor allem der Selbstsicherheit,
der Willensst&auml;rke und der Kritikf&auml;higkeit. Der autorit&auml;ren
Gesellschaftsordnung kommt es nicht auf die "Moral an sich" an. Die
Ver&auml;nderungen im psychischen Organismus, die der Verankerung der Sexualmoral
zuzuschreiben sind, schaffen erst diejenige seelische Struktur, die die
massenpsychologische Basis jeder autorit&auml;ren Gesellschaftsordnung bildet.
Die Untertanenstruktur ist ein Gemisch aus sexueller Impotenz, Hilflosigkeit,
Anlehnungsbed&uuml;rftigkeit, F&uuml;hrersehnsucht, Autorit&auml;tsfurcht,
Lebens&auml;ngstlichkeit und Mystizismus. Sie kennzeichnet sich durch Neigung
zum Rebellentum und durch H&ouml;rigkeit gleichzeitig. Die Sexualscheu und
Sexualheuchelei bilden den Kern dessen, was man Spie&szlig;ertum nennt. Derartig
strukturierte Menschen sind demokratieunf&auml;hig. An ihren Strukturen
zerbrechen die Versuche, echt demokratisch geleitete Organisationen aufzubauen
oder zu erhalten. Sie bilden den massenpsychologischen Boden, auf dem sich
die diktatorischen Gel&uuml;ste und b&uuml;rokratischen Neigungen der
demokratisch gew&auml;hlten F&uuml;hrer entwickeln k&ouml;nnen.
<P>
Die politische Funktion der Familie ist also eine doppelte:
<OL>
<LI>
Sie reproduziert sich selbst, indem sie die Menschen sexuell verkr&uuml;ppelt;
indem sich die patriarchalische Familie erh&auml;lt, konserviert sich auch
die Sexualunterdr&uuml;ckung mit ihren Folgen: Sexualst&ouml;rungen, Neurosen,
Geisteskrankheiten, Sexualverbrechen.
<LI>
Sie erzeugt den autorit&auml;tsf&uuml;rchtigen, lebens&auml;ngstlichen Untertanen
und schafft derart immer neu die M&ouml;glichkeit, da&szlig; Massen durch
eine Handvoll Machthabender beherrscht werden k&ouml;nnen.
</OL>
<P>
So gewinnt die Familie f&uuml;r den Konservativen ihre besondere Bedeutung
als Bollwerk der von ihm bejahten Gesellschaftsordnung. Daher kommt es auch,
da&szlig; sie in der konservativen Sexualwissenschaft eine der am
sch&auml;rfsten verteidigten Positionen ist. Denn sie ist "staats- und
volkserhaltend" - im reaktion&auml;ren Sinn. Die Bewertung der Familie darf
uns daher als Ma&szlig;stab f&uuml;r die Beurteilung der allgemeinen Natur
gesellschaftlicher Ordnungen dienen.
<P>
<HR>
<H4>
... zum 6. Kapitel: Das Problem der Pubert&auml;t
</H4>
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