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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<title>"Neue Rheinische Zeitung" - Der preussische Pressgesetzentwurf</title>
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<p align="center"><a href="me05_238.htm"><font size="2">Die Unterdr&uuml;ckung der Klubs in
Stuttgart und Heidelberg</font></a> <font size="2">|</font> <a href="../me_nrz48.htm"><font
size="2">Inhalt</font></a> <font size="2">|</font> <a href="me05_243.htm"><font size="2">Der
B&uuml;rgerwehrgesetzentwurf</font></a></p>
<small>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 240-242<br>
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1971</small> <br>
<br>
<h1>Der preu&szlig;ische Pre&szlig;gesetzentwurf</font></p>
<p><font size="2">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 50 vom 20. Juli 1848]</font></p>
<p><b><a name="S240">&lt;240&gt;</a></b> **<i>K&ouml;ln</i>, 19. Juli. Wir dachten, unsre Leser
heute wieder mit den Vereinbarungsdebatten erheitern und ihnen namentlich eine brillante Rede
des Abgeordneten Baumstark vorlegen zu k&ouml;nnen, aber die Ereignisse verhindern uns
daran.</p>
<p>Jeder ist sich selbst der N&auml;chste. Wenn die Existenz der Presse bedroht ist,
l&auml;&szlig;t man selbst den Abgeordneten Baumstark fahren.</p>
<p>Herr Hansemann hat der Vereinbarungsversammlung ein interimistisches Pre&szlig;gesetz
vorgelegt. Die v&auml;terliche Sorgfalt des Herrn Hansemann f&uuml;r die Presse verlangt
sofortige Ber&uuml;cksichtigung.</p>
<p>Fr&uuml;her versch&ouml;nerte man den Code Napol&eacute;on durch die erbaulichsten Titel des
Landrechts. Jetzt, nach der Revolution, ist das anders geworden; jetzt bereichert man das
allgemeine Landrecht durch die duftigsten Bl&uuml;ten des Code und der Septembergesetzgebung.
Duch&acirc;tel ist nat&uuml;rlich kein Bodelschwingh.</p>
<p>Wir haben bereits vor mehreren Tagen die Hauptbestimmungen dieses Pre&szlig;gesetzentwurfs
mitgeteilt. Kaum hatte man uns durch einen Verleumdungsproze&szlig; &lt;Siehe <a href=
"me05_198.htm">"Gerichtliche Untersuchung gegen die 'Neue Rheinische Zeitung'"</a>&gt;
Gelegenheit gegeben zu beweisen, da&szlig; die Artikel 367 und 368 des Code p&eacute;nal mit
der Pre&szlig;freiheit im schreiendsten Widerspruch stehen, so tr&auml;gt Herr Hansemann darauf
an, nicht nur sie auf die ganze Monarchie auszudehnen, sondern auch sie noch dreifach zu
versch&auml;rfen. Wir finden alles in dem neuen Entwurf wieder, was uns bereits durch die
praktische Erfahrung so lieb und teuer geworden ist:</p>
<p>Wir finden das Verbot, bei drei Monaten bis zu drei Jahren Strafe, jemanden einer Tatsache
zu beschuldigen, die gesetzlich strafbar ist oder ihn nur <a name="S241"><b>&lt;241&gt;</b></a>
"der &ouml;ffentlichen Verachtung aussetzt"; wir finden das Verbot, die Wahrheit der Tatsache
anders als durch eine "vollg&uuml;ltige Beweisurkunde" zu f&uuml;hren, kurz, wir finden die
klassischsten Denkm&auml;ler napoleonischer Pre&szlig;despotie wieder.</p>
<p>In der Tat, Herr Hansemann h&auml;lt sein Versprechen, die alten Provinzen der Vorteile der
rheinischen Gesetzgebung teilhaftig zu machen!</p>
<p>Der &sect; 10 des Gesetzentwurfs setzt diesen Bestimmungen die Krone auf: Geschah die
Verleumdung gegen Staatsbeamte in bezug auf ihre Staatsverrichtungen, so kann die ordentliche
Strafe <i>um die H&auml;lfte erh&ouml;ht werden</i>.</p>
<p>Artikel 222 des Strafgesetzbuches bestraft mit einmonatlicher bis zweij&auml;hriger
Gef&auml;ngnisstrafe, wenn ein Beamter in Aus&uuml;bung oder gelegentlich (&agrave; l'occasion)
der Aus&uuml;bung seines Amtes eine <i>Beleidigung durch Worte</i> (outrage par parole)
erhalten hat. Dieser Artikel war trotz der wohlwollenden Anstrengungen der Parquets bisher auf
die Presse nicht anzuwenden, und aus guten Gr&uuml;nden. Um diesem &Uuml;belstande abzuhelfen,
hat ihn Herr Hansemann in obigen &sect; 10 verwandelt. Erstens ist das "gelegentlich" in das
bequemere "in <i>bezug</i> auf ihre Amtsverrichtungen" verwandelt; zweitens ist das
l&auml;stige par parole &lt;durch Worte&gt; in par &eacute;crit &lt;durch Schriften&gt;
verwandelt; drittens ist die Strafe verdreifacht.</p>
<p>Von dem Tage an, wo dies Gesetz in Kraft tritt, k&ouml;nnen die preu&szlig;ischen Beamten
ruhig schlafen. Brennt Herr Pfuel den Polen die H&auml;nde und Ohren mit H&ouml;llenstein, und
die Presse ver&ouml;ffentlicht das - viereinhalb Monat bis viereinhalb Jahr Gef&auml;ngnis!
Werden B&uuml;rger aus Versehen ins Gef&auml;ngnis geworfen, obwohl man wei&szlig;, da&szlig;
sie nicht die rechten sind, und die Presse teilt das mit - viereinhalb Monat bis viereinhalb
Jahr Gef&auml;ngnis! Machen sich Landr&auml;te zu reaktion&auml;ren Kommis-Voyageurs
&lt;Handlungsreisenden&gt; und Unterschriftensammlern f&uuml;r royalistische Adressen &lt;Siehe
<a href="me05_169.htm#S170">"Vereinbarungsdebatten" S. 170</a>&gt;, und die Presse
enth&uuml;llt die Herren - viereinhalb Monat bis viereinhalb Jahr Gef&auml;ngnis!</p>
<p>Von dem Tage an, wo dies Gesetz in Kraft tritt, k&ouml;nnen die Beamten ungestraft jede
Willk&uuml;rlichkeit, jede Tyrannei, jede Ungesetzlichkeit begehen; sie k&ouml;nnen ruhig
pr&uuml;geln und pr&uuml;geln lassen, verhaften, ohne Verh&ouml;r festhalten; die einzig
wirksame Kontrolle, die Presse, ist unwirksam gemacht. An dem Tage, wo dies Gesetz in Kraft
tritt, kann die B&uuml;rokratie ein Freudenfest feiern: sie wird m&auml;chtiger, ungehinderter,
st&auml;rker als sie es vor dem M&auml;rz war.</p>
<p>In der Tat, was bleibt von der Pre&szlig;freiheit, wenn man das, was die &ouml;ffentliche
Verachtung <i>verdient</i>, nicht mehr der &ouml;ffentlichen Verachtung preisgeben darf?</p>
<p><b><a name="S242">&lt;242&gt;</a></b> Nach den bisherigen Gesetzen konnte die Presse
wenigstens Tatsachen als Beweise ihrer allgemeinen Behauptungen und Anklagen anf&uuml;hren. Das
wird jetzt ein Ende nehmen. Sie wird nicht mehr <i>berichten</i>, sie wird nur noch allgemeine
<i>Phrasen machen</i> d&uuml;rfen, damit die Wohlmeinenden, vom Herrn Hansemann abw&auml;rts
bis zum Wei&szlig;bierb&uuml;rger, das Recht haben zu sagen, die Presse <i>schimpfe</i>
blo&szlig;, sie <i>beweise</i> nichts! Gerade deswegen verbietet man ihr das Beweisen.</p>
<p>Wir empfehlen &uuml;brigens Herrn Hansemann einen Zusatz zu seinem wohlwollenden Entwurf. Er
m&ouml;ge es auch f&uuml;r strafbar erkl&auml;ren, die Herren Beamten nicht nur der
&ouml;ffentlichen Verachtung, sondern auch dem &ouml;ffentlichen Gel&auml;chter auszusetzen.
Diese L&uuml;cke d&uuml;rfte sonst schmerzlich empfunden werden.</p>
<p>Auf den Unz&uuml;chtigkeitsparagraphen, auf die Konfiskationsvorschriften usw. gehen wir
nicht n&auml;her ein. Sie &uuml;bertreffen die cr&egrave;me der Louis-Philippistischen und
Restaurations-Pre&szlig;gesetzgebung. Nur eine Bestimmung: Der Staatsanwalt kann nach &sect; 21
die Beschlagnahme nicht nur der fertigen Druckschrift beantragen, er kann selbst die eben erst
<i>zum Druck abgegebene Handschrift</i> konfiszieren lassen, wenn der Inhalt ein von Amts wegen
verfolgbares Verbrechen oder Vergehen begr&uuml;ndet! Welch ein weites Feld f&uuml;r
menschenfreundliche Prokuratoren! Welch eine angenehme Zerstreuung, zu jeder beliebigen Zeit
auf Zeitungsb&uuml;ros zu gehen und sich die "zum Druck abgegebene Handschrift" zur
Begutachtung vorlegen zu lassen, da es doch m&ouml;glich w&auml;re, da&szlig; sie ein
Verbrechen oder Vergehen begr&uuml;nden k&ouml;nnte!</p>
<p>Wie possierlich nimmt sich daneben der feierliche Ernst jenes Paragraphen des
Verfassungsentwurfs und der "Grundrechte des deutschen Volks" aus, nach dem es hei&szlig;t:
<i>Die Zensur kann nie wieder hergestellt werden</i>!</p>
<p><font size="2">Geschrieben von Karl Marx.</font></p>
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</html>