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<!DOCTYPE HTML PUBLIC "-//W3C//DTD HTML 3.2//EN">
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<title>Karl Marx/Friedrich Engels - Revue, Januar/Februar 1850</title>
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<body link="#0000FF" vlink="#800080" bgcolor="#FFFFAF">
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<p><font size="2">Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz
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Verlag, Berlin. Band 7, 5. Auflage 1973, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1960,
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Berlin/DDR. S. 213-225.</font></p>
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<h2>Karl Marx/Friedrich Engels</h2>
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<h1 align="center">Revue</h1>
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<h2 align="center">[Januar/Februar 1850]</h2>
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<hr>
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<p><font size="2"><a name="S213">"Neue Rheinische Zeitung.</a></font></p>
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<p><font size="2">Politisch-ökonomische Revue",<br>
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Zweites Heft, Februar 1850.</font></p>
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<p><font size="2"><b><213></b> A tout seigneur, tout honneur. <Jedem Junker seine
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Ehre.> Beginnen wir mit <i>Preußen</i>.</font></p>
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<p><font size="2">Der König von Preußen tut sein mögliches, um den
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gegenwärtigen Moment der lauwarmen Vereinbarung, der ungenügenden Kompromisse zu einer
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Krisis fortzutreiben. Er oktroyiert eine Verfassung und bringt nach verschiedenen
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Unannehmlichkeiten zwei Kammern zustande, die diese Verfassung revidieren. Damit die Verfassung
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der Krone nur ja recht annehmbar erscheine, streichen die Kammern jeden Artikel, der der Krone
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irgendwie anstößig sein könnte, und glauben, jetzt werde der König die
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Verfassung sofort beschwören. Aber im Gegenteil. Um den Kammern einen Beweis seiner
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"königlichen Gewissenhaftigkeit" zu geben, erläßt Friedrich Wilhelm eine
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Botschaft, worin er neue Vorschläge zur Verbesserung der Verfassung macht, Vorschläge,
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deren Annahme dem erwähnten Dokument auch den letzten Schein der geringsten sog.
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konstitutionellen bürgerlichen Garantien nehmen würde. Der König hofft, die
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Kammern werden diese Vorschläge verwerfen - im Gegenteil. Hatten sich die Kammern in der
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Krone getäuscht, so sorgten sie nun dafür, daß die Krone sich in ihnen
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täuschen muß. Sie nehmen alles an, alles, Pairie und Ausnahmsgericht, Landsturm und
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Fideikommisse, bloß um nicht auch nach Hause geschickt zu werden, bloß um den
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König endlich einmal zu einem ernsthaften, "leiblichen" Eide zu zwingen. So rächt sich
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ein preußischer konstitutioneller Bürger.</font></p>
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<p><font size="2">Es wird dem Könige schwer werden, eine Demütigung zu erfinden, die
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diesen Kammern zu hart erscheinen dürfte. Er wird sich zuletzt genötigt sehen zu
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erklären, "je heiliger er das von ihm abzulegende eidliche Gelöbnis halte, um so mehr
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treten ihm dabei die Pflichten vor die Seele, die ihm für das teure Vaterland von Gott
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auferlegt sind", und um so weniger erlaube ihm seine "königliche Gewissenhaftigkeit", eine
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Verfassung zu beschwören, die ihm alles, dem Lande aber nichts biete.</font></p>
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<p><font size="2"><b><a name="S214"><214></a></b> Die Herren des seligen "Vereinigten
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Landtags", die jetzt in den Kammern wieder zusammen sind, fürchten deshalb so sehr, auf
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ihren alten Stand vor dem 18. März zurückgedrängt zu werden, weil sie dann wieder
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die Revolution vor sich haben, die ihnen aber diesmal keine Rosen bringen wird. Dazu kommt,
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daß sie 1847 noch die Anleihe für die angebliche Ostbahn verweigern konnten,
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während sie der Regierung 1849 erst die fragliche Anleihe wirklich bewilligten und dann um
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das theoretische Recht der Geldbewilligung hintennach demütigst bei ihr einkamen.</font></p>
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<p><font size="2">Inzwischen macht sich die Bourgeoisie außer den Kammern das
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Vergnügen, in den Geschwornengerichten die politisch Angeklagten freizusprechen und dadurch
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ihre Opposition gegen die Regierung an den Tag zu legen. Bei diesen Prozessen kompromittiert sich
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dann regelmäßig die Regierung auf der einen Seite, die in den Angeklagten und dem
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Auditorium repräsentierte Demokratie auf der andern. Wir erinnern an den Prozeß des
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"stets konstitutionellen" Waldeck, den Prozeß in Trier usw.</font></p>
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<p><font size="2">Auf die Frage des alten Arndt: "Was ist des Deutschen Vaterland?" antwortete
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Friedrich Wilhelm IV.: <i>Erfurt</i>. Es war nicht so schwer, die Iliade im
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Froschmäuslerkrieg zu travestieren, aber an eine Travestie des Froschmäuslerkrieges hat
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bis jetzt noch niemand zu denken gewagt. Dem Plan Erfurt gelingt es, den Froschmäuslerkrieg
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der Paulskirche selbst noch zu travestieren. Es ist natürlich vollständig
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gleichgültig, oh die unglaubliche Versammlung in Erfurt wirklich zusammenkommt oder ob der
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rechtgläubige Zar sie verbietet, ebenso gleichgültig wie der Protest gegen ihre
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Kompetenz, zu dessen Erlaß Herr Vogt sich ohne Zweifel mit Herrn Venedey vereinbaren wird.
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Die ganze Erfindung hat bloß Interesse für jene tiefsinnigen Politiker, für deren
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Leitartikel die "großdeutsche" und "kleindeutsche" Frage eine ebenso ergiebige wie
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unentbehrliche Fundgrube war, und für die preußischen Bourgeois, die des
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seligmachenden Glaubens leben, der König von Preußen werde in Erfurt alles bewilligen,
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eben weil er in Berlin alles abgeschlagen hat.</font></p>
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<p><font size="2">Wenn die Frankfurter "Nationalversammlung" in Erfurt mehr oder weniger getreu
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widergespiegelt werden soll, so wird der alte Bundestag im "Interim" wiedergeboren und zugleich
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auf seinen einfachsten Ausdruck, auf eine ostreichisch-preußische Bundeskommission
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zurückgeführt. Das Interim ist bereits in Württemberg eingeschritten und wird
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demnächst in Mecklenburg und Schleswig-Holstein einschreiten.</font></p>
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<p><font size="2">Während Preußen lange Zeit mit Emissionen von Papiergeld, mit
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verstohlenen Anleihen der Seehandlung und mit den Resten des Staatsschatzes sein Budget
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kümmerlich zustande brachte und erst jetzt auf die Bahn der Anleihen gedrängt ist,
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steht in <i>Östreich</i> der Staatsbankerott in voller Blüte. <a name=
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"S215"><b><215></b></a></font> Ein Defizit von 155 Mill. Gulden in den ersten neun Monaten
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des Jahres 1849, das bis Ende Dezember auf 210-220 Mill. gestiegen sein muß; der
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vollständige Ruin des Staatskredits im In- und Auslande nach dem mit Eklat gescheiterten
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Versuch einer neuen Anleihe; die totale Erschöpfung der inländischen Finanzressourcen,
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der gewöhnlichen Steuern, der Brandschatzungen, der Papiergeldemission; die Notwendigkeit,
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dem ausgesognen Lande neue Verzweiflungssteuern aufzuoktroyieren, die voraussichtlich gar nicht
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einkommen werden - das sind die Hauptzüge, in denen die blasse Finanznot in Östreich
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zutage tritt. Gleichzeitig damit geht die Verfaulung des östreichischen Staatskörpers
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immer rascher vor sich. Vergebens stellt die Regierung ihr eine krampfhafte Zentralisation
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entgegen; die Desorganisation hat bereits die äußersten Extremitäten des
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Staatskörpers erreicht, den barbarischsten Stämmen, den Hauptstützen des alten
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Östreich, den Südslawen in Dalmatien, Kroatien und dem Banat, den "getreuen" Grenzern
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selbst wird Östreich unerträglich. Nur ein Verzweiflungscoup bleibt noch übrig und
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bietet eine geringe Chance der Rettung - ein Krieg nach außen; dieser Krieg nach
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außen, zu dem Östreich unaufhaltsam getrieben wird, muß seine vollständige
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Auflösung rasch zu Ende führen.</p>
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<p>Auch <i>Rußland</i> war nicht reich genug, seinen Ruhm zu bezahlen, den es noch dazu mit
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barem Gelde erkaufen mußte. Trotz der vielgerühmten Goldbergwerke des Ural und Altai,
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trotz der unerschöpflichen Schätze in den Gewölben von Petropawlowsk, trotz der
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angeblich aus purem Überfluß an Geld hervorgegangenen Rentenankäufe in London und
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Paris sieht der rechtgläubige Zar sich genötigt, nicht nur 5.000.000 Silberrubel unter
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allerlei falschen Vorwänden aus den zur Deckung des Papiergeldes in Petropawlowsk liegenden
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Barvorräten zu entnehmen und den Verkauf seiner Renten an der Pariser Börse zu
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befehlen, sondern auch die ungläubige City von London um einen Vorschuß von 30
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Millionen Silberrubel anzusprechen.</p>
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<p>Durch die Bewegungen der Jahre 1848 und 1849 ist Rußland so tief in die europäische
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Politik verwickelt worden, daß es seine alten Pläne auf die Türkei, auf
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Konstantinopel, "den Schlüssel zu seinem Hause", jetzt schleunigst durchführen
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muß, wenn sie nicht für immer unausführbar werden sollen. Die Fortschritte der
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Kontrerevolution und die täglich wachsende Macht der revolutionären Partei in
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Westeuropa, die eigne innere Lage Rußlands und der schlechte Zustand seiner Finanzen
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zwingen es zu raschem Handeln. Wir sahen vor kurzem das diplomatische Vorspiel dieser neuen
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orientalischen Haupt- und Staatsaktion; wir werden in wenigen Monaten die Aktion selbst
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erleben.</p>
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<p>Der Krieg gegen die Türkei ist notwendig ein europäischer Krieg. Um so besser
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für das heilige Rußland, das dadurch Gelegenheit bekommt, festen Fuß <a name=
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"S216"><b><216></b></a> in Deutschland zu fassen, die Kontrerevolution dort energisch zu
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Ende zu führen, den Preußen Neuchâtel erobern zu helfen und in letzter Instanz
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auf das Zentrum der Revolution, auf Paris zu marschieren.</p>
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<p>Bei einem solchen europäischen Kriege kann England nicht neutral bleiben. Es muß
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sich gegen Rußland entscheiden. Und England ist für Rußland der
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allergefährlichste Gegner. Wenn die Landarmeen des Kontinents sich immer mehr durch
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Ausbreitung schwächen müssen, je weiter sie in Rußland vordringen, wenn ihr
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Vordringen, bei Strafe der Wiederholung von 1812, von den Ostgrenzen des alten Polens an fast
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ganz aufhören muß, so hat England die Mittel, Rußland bei seinen verwundbarsten
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Seiten zu fassen. Abgesehen davon, daß es die Schweden zur Wiedereroberung Finnlands
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zwingen kann, stehen seiner Flotte Petersburg und Odessa offen. Die russische Flotte ist
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bekanntlich die schlechteste der Welt, und Kronstadt und Schlüsselburg sind ebensogut
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einnehmbar wie Saint-Jean d'Acre und San Juan de Ulua. Ohne Petersburg und Odessa aber ist
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Rußland ein Riese mit abgehauenen Händen. Dazu kommt, daß Rußland weder
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für den Absatz seiner Rohprodukte noch für den Einkauf von Industrieprodukten England
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auch nur auf sechs Monate lang entbehren kann, was schon zur Zeit der Napoleonischen
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Kontinentalsperre klar hervortrat, was aber jetzt in noch viel höherem Grade der Fall ist.
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Die Abschneidung des englischen Marktes würde Rußland in wenig Monaten in die
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heftigsten Konvulsionen versetzen. England kann dagegen nicht nur den russischen Markt auf einige
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Zeit entbehren, sondern auch alle russischen Rohprodukte von andern Märkten beziehen. Man
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sieht, daß das gefürchtete Rußland keineswegs so gefährlich ist. Es
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muß aber dem deutschen Bürger in einer so schreckenerregenden Gestalt erscheinen, weil
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es direkt seine Fürsten beherrscht und weil er sehr richtig ahnt, daß die
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Barbarenhorden Rußlands binnen kurzem Deutschland überschwemmen und dort
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gewissermaßen eine messianische Rolle spielen werden.</p>
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<p>Die <i>Schweiz</i> verhält sich zu der Heiligen Allianz im allgemeinen wie die
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preußischen Kammern zu ihrem König im besondern. Nur daß die Schweiz hinter sich
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noch einen Sündenbock stehn hat, dem sie alle Schläge doppelt und dreifach wiedergeben
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kann, die sie von der Heiligen Allianz erhält, einen obendrein wehrlosen, ihr auf Gnade und
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Ungnade überlieferten Sündenbock - die deutschen Flüchtlinge. Es ist wahr,
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daß ein Teil der "radikalen" Schweizer in Genf, im Waadtland, in Bern gegen die feige
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Politik des Bundesrats - feig sowohl gegen die Heilige Allianz wie gegen die Flüchtlinge -
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protestiert hat; es ist aber auch ebenso wahr, daß der Bundesrat recht hatte, wenn er
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behauptete, daß seine Politik "die der ungeheuren Majorität des Schweizer Volks" sei.
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Dazwischen fährt die Zentralgewalt fort, im Innern ganz ruhig <a name=
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"S217"><b><217></b></a> kleine bürgerliche Reformen, Zentralisierung der Douanen, der
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Münzen, der Posten, der Maße und Gewichte, durchzuführen, Reformen, die ihr den
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Applaus der Kleinbürgerschaft sichern. Den Beschluß wegen der Aufhebung der
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Militärkapitulationen durchzuführen, wagt sie freilich nicht, und noch täglich
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gehn die Urkantönler haufenweise nach Como, um sich dort für den neapolitanischen
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Dienst anwerben zu lassen. Aber trotz aller Demut und Zuvorkommenheit gegen die Heilige Allianz
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droht der Schweiz doch ein fatales Gewitter. Im ersten Übermut nach dem Sonderbundskrieg und
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vollends nach der Februarrevolution haben sich die sonst so ängstlichen Schweizer zu
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Unbesonnenheiten verführen lassen. Sie haben das Ungeheure gewagt, einmal unabhängig
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sein zu wollen; sie haben sich anstatt der von den Mächten garantierten Verfassung von 1814
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eine neue gegeben, sie haben die Unabhängigkeit Neuchâtels gegen die Verträge
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anerkannt. Dafür werden sie gezüchtigt werden, trotz aller Bücklinge und
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Gefälligkeiten und Polizeidienste. Und einmal in den europäischen Krieg verwickelt, ist
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die Lage der Schweiz nicht die angenehmste; hat die Schweiz die heiligen Alliierten beleidigt, so
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hat sie die Revolution auf der andern Seite verraten.</p>
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<p>In <i>Frankreich</i>, wo die Bourgeoisie selbst die Reaktion in ihrem eignen Interesse leitet
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und wo die republikanische Regierungsform dieser Reaktion die freieste und konsequenteste
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Entwicklung gestattet, wird die Unterdrückung der Revolution am schamlosesten und am
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gewaltsamsten durchgeführt. In der kurzen Frist eines Monats folgten Schlag auf Schlag die
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Wiederherstellung der Getränkesteuer, die den Ruin der halben Landbevölkerung direkt
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vollendet, das Zirkular d'Hautpoul, das die Gendarmen zu Spionen selbst über die Beamten
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ernennt, das Gesetz über die Schullehrer, das alle Elementarlehrer für willkürlich
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durch die Präfekten absetzbar erklärt, das Unterrichtsgesetz, das die Schulen den
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Pfaffen überliefert, das Transportationsgesetz, in dem die Bourgeoisie ihre ganze
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ungesühnte Rachlust an den Juniinsurgenten ausläßt und sie, in Ermangelung eines
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andern Henkers, dem tödlichsten Klima von ganz Algerien überantwortet. Von den
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zahllosen Ausweisungen selbst der unschuldigsten Fremden, die seit dem 13. Juni gar nicht mehr
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aufgehört haben, wollen wir gar nicht reden.</p>
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<p>Das Ziel dieser heftigen Bourgeoisreaktion ist natürlich die Herstellung der Monarchie.
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Die monarchische Restauration findet aber ein bedeutendes Hindernis in den verschiedenen
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Prätendenten selbst und in den Parteien, die sie im Lande haben. Die Legitimisten und
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Orleanisten, die beiden stärksten monarchischen Parteien, wiegen sich ungefähr auf; die
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dritte Partei, die bonapartistische, ist bei weitem die schwächste. Louis-Napoleon hat trotz
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seiner sieben Millionen Stimmen nicht einmal eine wirkliche Partei, er hat nur eine <a name=
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"S218"><b><218></b></a> Koterie. Er, der in der allgemeinen Handhabung der Reaktion stets
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von der Majorität der Kammer unterstützt wird, findet sich von ihr verlassen, sobald
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seine besondern Interessen als Prätendent hervortreten, verlassen nicht nur von der
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Majorität, sondern auch von seinen Ministern, die ihn jedesmal Lügen strafen und ihn
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schriftlich zwingen, trotz alledem den nächsten Tag zu erklären, daß sie sein
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Vertrauen besitzen. Die Zerwürfnisse, in die er so mit der Majorität gerät, zu so
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ernsthaften Folgen sie vielleicht führen können, sind daher bis jetzt nur komische
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Episoden, in denen der Präsident der Republik jedesmal die Rolle des Geprellten spielt. Es
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versteht sich dabei von selbst, daß jede monarchische Sektion auf ihre eigne Faust mit der
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Heiligen Allianz konspiriert. Die "Assemblée nationale" ist unverschämt genug, dem
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Volke öffentlich mit den Russen zu drohen; daß Louis-Napoleon mit Nikolaus kabaliert,
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darüber liegen schon jetzt Tatsachen genug vor.</p>
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<p>In demselben Maße wie die Reaktion fortschreitet, wachsen natürlich auch die
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Kräfte der revolutionären Partei. Die große Masse der Landbevölkerung,
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ruiniert durch die Folgen der Parzellierung, durch die Steuerlast und den rein fiskalischen,
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selbst vom bürgerlichen Standpunkt aus schädlichen Charakter der meisten Steuern,
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enttäuscht über die Versprechungen Louis-Napoleons und der reaktionären
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Deputierten, die Masse der Landbevölkerung hat sich der revolutionären Partei in die
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Arme geworfen und bekennt sich zu einem freilich meist noch sehr rohen und bürgerlichen
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Sozialismus. Wie revolutionär selbst die legitimistischsten Departements gestimmt sind,
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beweist die letzte Wahl im Departement du Gard, dem Zentrum des Royalismus und des "weißen
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Schreckens" von 1815, wo ein Roter gewählt wurde. Die Kleinbürgerschaft, gedrückt
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durch das große Kapital, das im Handel wie in der Politik wieder ganz die Stellung einnimmt
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wie unter Louis-Philippe, ist der Landbevölkerung gefolgt. Der Umschwung ist so gewaltig,
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daß selbst der Verräter Marrast und das Journal der Épiciers, der
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"Siècle", sich für Sozialisten haben erklären müssen. Die Stellung der
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verschiedenen Klassen gegeneinander, für die die gegenseitige Stellung der politischen
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Parteien nur ein andrer Ausdruck ist, ist fast ganz wieder dieselbe wie am 22. Februar 1848. Nur
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daß es sich jetzt um andre Dinge handelt, daß die Arbeiter sich viel klarer sind und
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daß namentlich eine bisher politisch tote Klasse, die der Bauern, in die Bewegung
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hineingerissen und für die Revolution gewonnen ist.</p>
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<p>Darin liegt die Notwendigkeit für die herrschende Bourgeoisie, die Beseitigung des
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allgemeinen Stimmrechts so rasch wie möglich zu versuchen; und in dieser Notwendigkeit liegt
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wieder die Gewißheit eines baldigen Sieges der Revolution, selbst abgesehen von den
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auswärtigen Verhältnissen.</p>
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<p>Wie gespannt überhaupt die Situation ist, geht schon aus dem komischen <a name=
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"S219"><b><219></b></a> Gesetzesvorschlag des Volksrepräsentanten Pradié
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hervor, der in etwa 200 Artikeln den Versuch macht, den Staatsstreichen und Revolutionen durch
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ein Dekret der Nationalversammlung vorzubeugen. Und wie wenig die hohe Finanz hier sowohl wie in
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andern Hauptstädten der scheinbar hergestellten "Ordnung" traut, kann man daraus sehen,
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daß die verschiedenen Stämme des Hauses Rothschild ihren Gesellschaftsvertrag vor
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einigen Monaten nur auf <i>ein Jahr</i> verlängerten - ein Zeitraum von unerhörter
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Kürze in den Annalen des Großhandels.</p>
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<p>Während der Kontinent sich in den zwei letzten Jahren mit Revolutionen,
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Kontrerevolutionen und dem davon unzertrennlichen Redefluß beschäftigte, machte das
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industrielle <i>England</i> in einem ganz andern Artikel: in Prosperität. Hier war die im
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Herbst 1845 in due course <zum fälligen Zeitpunkt> ausgebrochene Handelskrisis zweimal
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- Anfang 1846 durch die Freihandelsbeschlüsse des Parlaments und Anfang 1848 durch die
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Februarrevolution - unterbrochen worden. Eine Menge der die überseeischen Märkte
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niederdrückenden Waren hatte in der Zwischenzeit allmählich Debouchés gefunden.
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Die Februarrevolution beseitigte nun noch auf eben diesen Märkten die Konkurrenz der
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kontinentalen Industrie, während die englische Industrie an dem gestörten
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Kontinentalmarkt nicht viel mehr verlor, als sie durch den weiteren Verlauf der Krisis ohnehin
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verloren haben würde. Die Februarrevolution, die die kontinentale Industrie momentan fast
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|
ganz still setzte, half so den Engländern auf eine ganz erträgliche Weise durch ein
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Jahr der Krisis zu kommen, trug zur Aufräumung der gehäuften Vorräte auf den
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|
überseeischen Märkten wesentlich bei und machte einen neuen industriellen Aufschwung
|
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|
mit dem Frühjahr 1849 möglich. Dieser Aufschwung, der sich übrigens auch auf einen
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großen Teil der kontinentalen Industrie erstreckte, hat in den letzten drei Monaten einen
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solchen Grad erreicht, daß die Fabrikanten behaupten, noch nie eine so gute Zeit gehabt zu
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haben - eine Behauptung, die jedesmal am Vorabend der Krise gemacht wird. Die Fabriken sind mit
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Aufträgen überladen und arbeiten mit beschleunigter Geschwindigkeit; man sucht jedes
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Mittel auf, um die Zehnstundenbill zu umgehen und neue Arbeitsstunden zu gewinnen; neue Fabriken
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werden in allen Teilen der Industriebezirke in Menge gebaut und die alten werden erweitert. Das
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bare Geld drängt sich auf den Markt, das unbeschäftigte Kapital will den Moment des
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allgemeinen Profits benutzen; der Diskonto füllt die Spekulation, wirft sich in die
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Produktion oder auf den Rohproduktenhandel, und fast alle Artikel steigen absolut, alle steigen
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relativ im Preise. Kurz, die "Prosperität" in ihrer schönsten Blüte beglückt
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England, <a name="S220"><b><220></b></a> und es fragt sich nur, wie lange dieser Rausch
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dauern wird. Sehr lange jedenfalls nicht. Mehrere der größten Märkte, namentlich
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Ostindien, sind schon fast überführt; die Ausfuhr begünstigt schon jetzt weniger
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die wirklichen großen Märkte als die Entrepots des Welthandels, von denen aus die
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Waren nach den günstigsten Märkten dirigiert werden können. Bald werden bei den
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kolossalen Produktivkräften, die die englische Industrie von 1843 bis 1845, in den Jahren
|
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1846 und 1847 und besonders 1849 den bisherigen hinzugefügt hat und die sie noch
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täglich hinzufügt, die noch bleibenden, besonders nord- und südamerikanischen und
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australischen Märkte ebenfalls überführt sein, und mit den ersten Nachrichten von
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dieser Überführung wird der "panic" in der Spekulation und Produktion gleichzeitig
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eintreten - vielleicht schon gegen Ende des Frühjahrs, spätestens im Juli oder August.
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Diese Krisis wird aber dadurch, daß sie mit großen Kollisionen auf dem Kontinent
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zusammenfallen muß, ganz andre Früchte tragen als alle bisherigen. War bisher jede
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Krisis das Signal zu einem neuen Fortschritt, einem neuen Siege der industriellen Bourgeoisie
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über den Grundbesitz und die Finanzbourgeoisie, so wird diese den Anfang der modernen
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englischen Revolution bezeichnen, einer Revolution, in der Cobden die Rolle des Necker
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übernehmen wird.</p>
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<p>Wir kommen nun zu <i>Amerika</i>. Das wichtigste Faktum, das sich hier ereignet hat, wichtiger
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noch als die Februarrevolution, ist die Entdeckung der kalifornischen Goldgruben. Schon jetzt,
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nach kaum achtzehn Monaten, läßt es sich voraussehen, daß diese Entdeckung viel
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großartigere Resultate haben wird als selbst die Entdeckung Amerikas.
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Dreihundertdreißig Jahre lang ist der ganze Handel von Europa nach dem Stillen Ozean mit
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der rührendsten Langmut um das Kap der Guten Hoffnung oder das Kap Horn geführt worden.
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Alle Vorschläge zur Durchstechung des Isthmus von Panama scheiterten an der bornierten
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Eifersucht der handeltreibenden Völker. Achtzehn Monate lang sind die kalifornischen
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Goldminen entdeckt, und schon haben die Yankees eine Eisenbahn, eine große
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Landstraße, einen Kanal vom Mexikanischen Busen in Angriff genommen, schon sind
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Dampfschiffe von New York bis Chagres, von Panama bis San Franzisco in regelmäßiger
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Fahrt, schon konzentriert sich der Handel des Stillen Meeres in Panama, und die Fahrt um Kap Horn
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ist veraltet. Eine Küste von 30 Breitengraden Länge, eine der schönsten und
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fruchtbarsten der Welt, bisher so gut wie unbewohnt, verwandelt sich zusehends in ein reiches,
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zivilisiertes Land, dicht bevölkert von Menschen aller Stämme, vom Yankee zum Chinesen,
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vom Neger zum Indianer und Malaien, vom Kreolen und Mestizen zum Europäer. Das kalifornische
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Gold ergießt sich in Strömen über Amerika und die asiatische Küste des
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Stillen Ozeans und reißt die widerspenstigsten Barbarenvölker in den Welt- <a name=
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"S221"><b><221></b></a></p>
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<p>handel, in die Zivilisation. Zum zweiten Male bekommt der Welthandel eine neue Richtung. Was
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im Altertum Tyrus, Karthago und Alexandria, im Mittelalter Genua und Venedig waren, was bisher
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London und Liverpool gewesen sind, die Emporien des Welthandels, das werden jetzt New York und
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San Franzisco, San Juan de Nicaragna <Greytown> und Leon, Chagres und Panama. Der
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Schwerpunkt des Weltverkehrs, im Mittelalter Italien, in der neueren Zeit England, ist jetzt die
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südliche Hälfte der nordamerikanischen Halbinsel. Die Industrie und der Handel des
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alten Europa müssen sich gewaltig anstrengen, wenn sie nicht in denselben Verfall geraten
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wollen wie die Industrie und der Handel Italiens seit dem 16. Jahrhundert, wenn nicht England und
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Frankreich dasselbe werden soll, was Venedig, Genua und Holland heute sind. In wenig Jahren
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werden wir eine regelmäßige Dampfpaketlinie haben von England nach Chagres, von
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Chagres und San Franzisco nach Sydney, Kanton und Singapore. Dank dem kalifornischen Golde und
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der unermüdlichen Energie der Yankees werden beide Küsten des Stillen Meers bald ebenso
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bevölkert, ebenso offen für den Handel, ebenso industriell sein, wie es jetzt die
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Küste von Boston bis New Orleans ist. Dann wird der Stille Ozean dieselbe Rolle spielen wie
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jetzt das Atlantische und im Altertum und Mittelalter das Mittelländische Meer - die Rolle
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der großen Wasserstraße des Weltverkehrs; und der Atlantische Ozean wird herabsinken
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zu der Rolle eines Binnensees, wie sie jetzt das Mittelmeer spielt. Die einzige Chance, daß
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die europäischen zivilisierten Länder dann nicht in dieselbe industrielle, kommerzielle
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und politische Abhängigkeit fallen, in der Italien, Spanien und Portugal sich jetzt
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befinden, liegt in einer gesellschaftlichen Revolution, die, solange es noch Zeit ist, die
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Produktions- und Verkehrsweise nach den aus den modernen Produktivkräften hervorgehenden
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Bedürfnissen der Produktion selbst umwälzt und dadurch die Erzeugung neuer
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Produktivkräfte möglich macht, welche die Superiorität der europäischen
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Industrie sichern und so die Nachteile der geographischen Lage ausgleichen.</p>
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<p>Zum Schluß noch ein charakteristisches Kuriosum aus China, das der bekannte deutsche
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Missionär Gützlaff mitgebracht hat. Die langsam aber regelmäßig steigende
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Übervölkerung des Landes machte die dortigen gesellschaftlichen Verhältnisse schon
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lange sehr drückend für die große Majorität der Nation. Da kamen die
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Engländer und erzwangen sich den freien Handel nach fünf Häfen. Tausende von
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englischen und amerikanischen Schiffen segelten nach China, und in kurzer Zeit war das Land mit
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wohlfeilen britischen und amerikanischen Maschinenfabrikaten überfüllt. Die
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chinesische, auf der Hand- <a name="S222"><b><222></b></a> arbeit beruhende Industrie erlag
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der Konkurrenz der Maschine. Das unerschütterliche Reich der Mitte erlebte eine
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gesellschaftliche Krise. Die Steuern gingen nicht mehr ein, der Staat kam an den Rand des
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Bankerotts, die Bevölkerung sank massenweise in den Pauperismus hinab, brach in
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Empörungen aus, mißkannte, mißhandelte und tötete des Kaisers Mandarine und
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Fohis Bonzen. Das Land kam an den Rand des Verderbens und ist bereits bedroht mit einer
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gewaltigen Revolution. Aber noch schlimmer. Unter dem aufrührerischen Plebs traten Leute
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auf, die auf die Armut der einen, auf den Reichtum der andern hinwiesen, die eine andere
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Verteilung des Eigentums, ja die gänzliche Abschaffung des Privateigentums forderten und
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noch fordern. Als Herr Gützlaff nach 20jähriger Abwesenheit wieder unter zivilisierte
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Leute und Europäer kam, hörte er von Sozialismus sprechen und frug, was das sei? Als
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man ihm dies erklärt hatte, rief er erschreckt aus:</p>
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<p><font size="2">"Ich soll also dieser verderblichen Lehre nirgends entgehn? Grade dasselbe wird
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ja seit einiger Zeit von vielen Leuten aus dem Mob in China gepredigt!"</font></p>
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<p>Der chinesische Sozialismus mag sich nun freilich zum europäischen verhalten wie die
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chinesische Philosophie zur Hegelschen. Es ist aber immer ein ergötzliches Faktum, daß
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das älteste und unerschütterlichste Reich der Erde durch die Kattunhallen der
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englischen Bourgeois in acht Jahren an den Vorabend einer gesellschaftlichen Umwälzung
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gebracht worden ist, die jedenfalls die bedeutendsten Resultate für die Zivilisation haben
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muß. Wenn unsere europäischen Reaktionäre auf ihrer demnächst bevorstehenden
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Flucht durch Asien endlich an der chinesischen Mauer ankommen, an den Pforten, die zu dem Hort
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der Urreaktion und des Urkonservatismus führen, wer weiß, ob sie nicht darauf die
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Überschrift lesen:</p>
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<p align="center">République chinoise<br>
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Liberté, Egalité, Fraternité.</p>
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<p align="center"><Chinesische Republik<br>
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Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit></p>
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<p><i>London</i>, 31. Januar 1850</p>
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<p align="center">*</p>
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<p>Die Wünsche der preußischen Bürgerschaft sind erfüllt: Der "Mann von
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Ehre" hat die Verfassung beschworen unter der Bedingung, daß es ihm "möglich gemacht
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werde, mit dieser Verfassung zu regieren". Und die Bourgeois in den Kammern haben in den wenigen
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Tagen, die seit dem 6. Februar verflossen sind, diesen Wunsch bereits vollständig
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erfüllt. Vor dem 6. Februar sagten sie: Wir müssen Konzessionen machen, damit nur die
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Verfassung <a name="S223"><b><223></b></a> beschworen werde; ist der Eid erst geleistet, so
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können wir ganz anders auftreten. Nach dem 6. Februar sagen sie: Die Verfassung ist
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beschworen, wir haben alle nur möglichen Garantien; wir können also ganz ruhig
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Konzessionen machen. Achtzehn Millionen zu Kriegsrüstungen, zur Mobilmachung von 500.000
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Mann gegen einen bis jetzt noch unbekannten Feind, werden ohne Debatte, ohne Opposition fast
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einstimmig bewilligt; das Budget wird in vier Tagen votiert, alle Regierungsvorlagen gehen im
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Handumdrehen durch die Kammern. Man sieht, es fehlt der deutschen Bourgeoisie noch immer nicht an
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Feigheit und an Vorwänden für diese Feigheit.</p>
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<p>Der König von Preußen hat durch diese wohlmeinende Kammer Gelegenheit genug
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bekommen einzusehen, welche Vorzüge das konstitutionelle System vor dem absolutistischen
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besitzt, und zwar nicht nur für die Regierten, sondern auch für die Regenten. Wenn wir
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zurückdenken an die Finanzbeklemmung von 1842-1848, an die vergeblichen Borgversuche mit der
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Seehandlung und der Bank, an die abschlägigen Antworten Rothschilds, an die vom Vereinigten
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Landtag verweigerte Anleihe, an die Erschöpfung des Staatsschatzes und der öffentlichen
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Kassen, und wenn wir mit dem allen vergleichen den Finanzüberfluß von 1850 - drei
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Budgets mit siebenzig Millionen Defizit durch Kammerbewilligung gedeckt, Darlehnsscheine,
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Tresorscheine massenhaft in Umlauf gesetzt, der Staat mit der Bank auf einem besseren Fuß
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als je mit der Seehandlung und zu alledem noch vierunddreißig Millionen bewilligter
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Anleihen in Reserve - welch ein Kontrast!</p>
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<p>Nach den Äußerungen des Kriegsministers hält also die preußische
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Regierung Eventualitäten für wahrscheinlich, welche sie zwingen könnten, im
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Interesse der europäischen "Ordnung und Ruhe" ihre ganze Armee zu mobilisieren. Durch diese
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Erklärung hat Preußen seinen erneuerten Beitritt zur Heiligen Allianz laut und
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deutlich genug proklamiert. Wer der Feind ist, dem der neue Kreuzzug gilt, ist klar. Das Zentrum
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der Anarchie und des Umsturzes, das welsche Babel, soll vernichtet werden. Ob Frankreich direkt
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angegriffen werden, ob Diversionen gegen die Schweiz und gegen die Türkei vorhergehen
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sollen, wird oft nur von der Entwicklung der Verhältnisse in Paris abhängen. Jedenfalls
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hat die preußische Regierung jetzt die Mittel, ihre 180.000 Soldaten binnen zwei Monaten
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auf 500.000 zu erhöhen; 400.000 Russen stehn in Polen, Wolhynien und Bessarabien
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echeloniert; Östreich hat 650.000 Mann mindestens auf den Beinen. Schon um diese kolossalen
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Streitkräfte zu ernähren, müssen Rußland und Östreich einen
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Invasionskrieg noch in diesem Jahre beginnen. Und in Beziehung auf die erste Richtung dieser
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Invasion ist soeben ein merkwürdiges Aktenstück in die Öffentlichkeit
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gekommen.</p>
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<p>Die "Schweizerische National-Zeitung" teilt in einer ihrer letzten Nummern <a name=
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"S224"><b><224></b></a> eine angeblich vom östreichischen General Schönhals
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verfaßte Denkschrift mit, welche einen vollständigen Plan zur Invasion der Schweiz
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enthält. Die Hauptmomente dieses Planes sind folgende:</p>
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<p>Preußen zieht gegen 60.000 Mann am Main zusammen, in der Nähe der Eisenbahnen; ein
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Korps Hessen, Bayern und Württemberger konzentriert sich teils bei Rottweil und Tuttlingen,
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teils bei Kempten und Memmingen. Östreich stellt 50.000 Mann in Vorarlberg und nach
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Innsbruck zu auf und bildet ein zweites Korps in Italien zwischen Sesto-Calende und Lecco.
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Inzwischen wird die Schweiz mit diplomatischen Unterhandlungen hingehalten. Ist der Moment des
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Angriffs gekommen, so eilen die Preußen auf der Eisenbahn nach Lörrach, die kleinen
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Kontingente nach Donaueschingen; die Östreicher ziehn sich bei Bregenz und Feldkirch, die
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italienische Armee bei Como und Lecco enger zusammen. Eine Brigade bleibt bei Varese stehn und
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bedroht Bellinzona. Die Gesandten überreichen das Ultimatum und reisen ab. Die Operationen
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beginnen: Der Hauptvorwand ist, die Bundesverfassung von 1814 und die Freiheit der
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Sonderbundskantone herzustellen. Der Angriff selbst ist ein konzentrischer gegen Luzern. Die
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Preußen dringen über Basel gegen die Aar, die Östreicher über St. Gallen und
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Zürich gegen die Limmat vor. Erstere stellen sich von Solothurn bis Zurzach, letztere von
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Zurzach über Zürich bis Uznach auf. Zu gleicher Zeit dringen 15.000 detachierte
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Östreicher über Chur gegen den Splügen und vereinigen sich mit dem italienischen
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Korps, worauf beide durch das Vorderrheintal gegen den St. Gotthard vorrücken und hier
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wieder dem über Varese und Bellinzona vorgegangenen Korps die Hand reichen und die Urkantone
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insurgieren. Diese werden inzwischen durch das Vorrücken der Hauptarmeen, mit denen sich die
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kleineren Kontingente über Schaffhausen vereinigen, und durch die Eroberung Luzerns von der
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westlichen Schweiz abgeschnitten und so die Schafe von den Böcken getrennt. Zu gleicher Zeit
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besetzt Frankreich, das durch den "geheimen Vertrag vom 30. Januar" zur Aufstellung von 60.000
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Mann bei Lyon und Colmar verpflichtet ist, Genf und den Jura unter demselben Vorwande, unter dem
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es Rom besetzte. Damit ist Bern unhaltbar geworden, und die "revolutionäre" Regierung ist
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gezwungen, entweder sogleich zu kapitulieren oder mit ihren Truppen in den Berner Hochalpen zu
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verhungern.</p>
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<p>Man sieht, das Projekt ist gar so übel nicht. Es nimmt die nötige Rücksicht auf
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die Terrainverhältnisse, es schlägt vor, die ebnere und fruchtbarere Nordschweiz zuerst
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zu nehmen und in der Nordschweiz die einzige vorhandene ernsthafte Position, die hinter der Aar
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und Limmat, mit den vereinigten Hauptkräften zu forcieren. Es hat den Vorteil, der Schweizer
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Armee die Kornkammer abzuschneiden und ihr das schwierigere Gebirgsterrain zunächst <a name=
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"S225"><b><225></b></a> noch zu überlassen. Es kann also schon im Anfange des
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Frühjahrs ausgeführt werden, und je früher es ausgeführt wird, desto
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schwieriger ist die Stellung der in die Hochgebirge zurückgedrängten Schweizer.</p>
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<p>Ob das Aktenstück wider den Willen der Urheber publiziert, ob es absichtlich zu dem Zweck
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ausgearbeitet worden ist, einem Schweizer Blatt zur Veröffentlichung in die Hände
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gespielt zu werden, das läßt sich aus bloß inneren Gründen noch schwer
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entscheiden. Im letzteren Falle könnte es nur den Zweck haben, die Schweizer zu veranlassen,
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durch schleunige und zahlreiche Truppenaufgebote ihre Kassen zu erschöpfen und sich mehr und
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mehr fügsam gegen die Heilige Allianz zu beweisen sowie die öffentliche Meinung
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überhaupt über die Absichten der Alliierten irrezuführen. Die Parademacherei, die
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augenblicklich mit den Rüstungen Rußlands und Preußens und mit den
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Kriegsplänen gegen die Schweiz getrieben wird, scheint dafür zu sprechen. Ebenso ein
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Satz der Denkschrift selbst, in dem die größte Schnelligkeit in allen Operationen
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empfohlen wird, damit man möglichst viel Gebiet erobere, ehe die Kontingente daraus
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zusammengezogen und abmarschiert seien. Dagegen sprechen wieder ebensoviel innere Gründe
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für die Echtheit der Denkschrift als eines wirklich vorgeschlagenen Invasionsplans gegen die
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Schweiz.</p>
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<p>Soviel ist gewiß: Die Heilige Allianz wird noch dies Jahr marschieren, sei es
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zunächst gegen die Schweiz oder die Türkei, sei es direkt gegen Frankreich, und in
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beiden Fällen mag der Bundesrat sein Haus bestellen. Ob die Heilige Allianz oder die
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Revolution zuerst in Bern ankommt, er hat seinen Untergang durch seine feige Neutralität
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selbst herbeigeführt. Die Kontrerevolution kann mit seinen Konzessionen nicht zufrieden
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sein, weil sein Ursprung selbst ein mehr oder weniger revolutionärer ist; die Revolution
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kann eine so verräterische und feige Regierung im Herzen Europas zwischen den drei am
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nächsten bei der Bewegung beteiligten Nationen keinen Augenblick dulden. Das Benehmen des
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Schweizer Bundesrats liefert das frappanteste und hoffentlich das letzte Beispiel davon, was die
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angebliche "Unabhängigkeit" und "Selbständigkeit" kleiner Staaten mitten zwischen den
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modernen großen Nationen zu bedeuten hat.(1)</p>
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<hr>
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<p>(1) In Beziehung auf die letzten Ereignisse in <i>Frankreich</i> verweisen wir auf <a href=
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"me07_035.htm">den in diesem Heft enthaltenen Abschnitt des Artikels "1848-1849"</a>. Über
|
||
|
die faktische Abschaffung der Zehnstundenbill in <i>England</i> werden wir <a href=
|
||
|
"me07_233.htm">im nächsten Heft einen selbständigen Artikel bringen</a>.</p>
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</body>
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</html>
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