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<!DOCTYPE HTML PUBLIC "-//W3C//DTD HTML 3.2//EN">
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<title>"Neue Rheinische Zeitung" - Proudhons Rede gegen Thiers</title>
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<p align="center"><a href="me05_303.htm"><font size="2">Die "Kölnische Zeitung" über
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die Zwangsanleihe</font></a> <font size="2">|</font> <a href="../me_nrz48.htm"><font size=
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"2">Inhalt</font></a> <font size="2">|</font> <a href="me05_309.htm"><font size="2">Debatte
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über die bisherige Ablösungsgesetzgebung</font></a></p>
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<small>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 309-314<br>
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Dietz Verlag, Berlin/DDR 1971</small> <br>
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<h1>Proudhons Rede gegen Thiers</font></p>
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<p><font size="2">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 66 vom 5. August 1848]</font></p>
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<p><b><a name="S305"><305></a></b> *<i>Paris</i>, 3. August. Wir haben vorgestern
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Proudhons Rede nur stückweise geben können. Wir werden jetzt in eine genaue
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Erörterung derselben eingehen. Herr Proudhon fängt damit an, zu erklären,
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daß die Februarrevolution weiter nichts sei als das Heraustreten des Sozialismus, der in
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allen folgenden Ereignissen, in allen folgenden Phasen dieser Revolution sich zur Geltung habe
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bringen wollen.</p>
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<p><font size="2">"Ihr wollt mit dem Sozialismus fertig werden: nun gut, seht zu; ich will Euch
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hülfreiche Hand dazu bieten. Der Erfolg des Sozialismus hängt keineswegs von einem
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einzelnen Manne ab; der gegenwärtige Kampf ist keineswegs ein Kampf zwischen mir und Herrn
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Thiers, sondern zwischen der Arbeit und den Privilegien."</font></p>
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<p>Statt dessen weist Herr Proudhon nach, daß Herr Thiers nur sein Privatleben
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angegriffen und verleumdet habe.</p>
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<p><font size="2">"Wenn wir uns auf dieses Terrain stellen, so sage ich zu Herrn Thiers:
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Laßt uns beide beichten! Bekennt Eure Sünden, ich will die meinigen
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bekennen!"</font></p>
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<p>Die Frage, um die es sich handle, sei die Revolution; das Finanzkomitee sehe die Revolution
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als ein zufälliges Ereignis, als eine Überraschung an, er, Proudhon, habe sie
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ernstlich genommen. Im Jahre 93 habe das Eigentum seine Schuld an die Republik bezahlt, indem
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es ein Drittel Steuer zahlte. Die Revolution von 48 müsse in einem
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"Proportionalitätsverhältnis" bleiben. Die Feinde im Jahre 93 waren der Despotismus
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und das Ausland; im Jahre 48 ist der Feind der Pauperismus. "Was ist dies droit au travail",
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das Recht auf Arbeit?</p>
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<p><font size="2">"Wäre die Nachfrage nach Arbeit stärker als das Angebot, so
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brauchte man keine Versprechungen von seiten des Staates. Aber das sei nicht der Fall; die
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Konsumtion ginge sehr schwach: die Magazine seien voll von Waren und die Armen nackt! Und <a
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name="S306"><b><306></b></a></font> doch, welches Land ist geneigter zu konsumieren, als
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Frankreich? Gäbe man uns statt 10 Millionen 100, d.h. 75 Fr[ancs] <im
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Sitzungsprotokoll: 7 fr. 05 centimes> per Kopf und per Tag, so würde man sie schon zu
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konsumieren wissen." (Heiterkeit im Saale.)</p>
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<p>Der Zinsfuß sei eine Grundursache des Ruins für das Volk. Die Errichtung einer
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Nationalbank von zwei Milliarden, die ihr Geld ohne Interesse ausliehe und den Gebrauch des
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Bodens und der Häuser gratis einräume, würde unendliche Vorteile gewähren.
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(Heftige Unterbrechung.)</p>
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<p><font size="2">"Wenn wir <i>daran</i> halten werden (Gelächter), wenn der Fetischismus
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des Geldes durch den Realismus des Genusses verdrängt sein wird (neues Gelächter),
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dann existiert die Garantie der Arbeit. Laßt den Zoll auf die Arbeitsinstrumente
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wegfallen, und Ihr seid gerettet. Diejenigen, welche das Gegenteil sagen, mögen sie
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Girondins oder Montagnards heißen, sind keine Sozialisten, sind keine Republikaner (oh,
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oh?) ... Entweder wird das Eigentum die Republik zu Boden schlagen, oder die Republik
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schlägt das Eigentum zu Boden." (Man ruft: Schluß!)</font></p>
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<p>Herr Proudhon verwickelt sich nun in lange Entwickelungen über die Bedeutung des Zinses
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und wie der Zinsfuß auf Null reduziert werden könne. Solange er sich auf diesem
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ökonomischen Standpunkte hält, ist Herr Proudhon schwach, obgleich er in dieser
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Bourgeoiskammer unendlichen Skandal erregt. Wenn er aber, durch diesen Skandal gerade
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aufgeregt, sich auf den Standpunkt des Proletariers stellt, dann ist's, als geriet die Kammer
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in nervöse Zuckungen.</p>
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<p><font size="2">"Meine Herren, mein Ideengang ist ein anderer als der Eurige; ich stehe auf
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einem anderen Standpunkte als Ihr! Die Liquidation der alten Gesellschaft ist den 24. Februar
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eröffnet worden zwischen der Bourgeoisie und der arbeitenden Klasse. Diese Liquidation
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wird auf heftigem oder auf friedlichem Wege zustande kommen. Alles hängt von der Einsicht
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der Bourgeoisie, von ihrem größern oder geringern Widerstande ab."</font></p>
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<p>Herr Proudhon geht nun auf die Erläuterung seiner Idee "über die Abschaffung des
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Eigentums" über. Er will das Eigentum nicht auf einmal, sondern allmählich
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abschaffen, und deshalb habe er in seinem Journale gesagt, daß die <i>Grundrente ein
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freiwilliges Geschenk der Erde sei</i>, das der Staat allmählich einziehen müsse.</p>
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<p><font size="2">"Ich habe demnach einerseits der Bourgeoisie die Bedeutung der
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Februarrevolution denunziert, ich habe dem Eigentum aufgekündigt, damit es sich bereit
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halte zur Liquidation, und die Eigentümer verantwortlich für ihre Weigerung gemacht
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würden."</font></p>
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<p>Donnerrollen von mehren Seiten: Wie verantwortlich?</p>
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<p><font size="2">"Ich meine, wenn die Eigentümer nicht gutwillig liquidieren wollen, so
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werden <i>wir</i> zur Liquidation schreiten."</font></p>
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<p><b><a name="S307"><307></a></b> Mehrere Stimmen: Wer, <i>Wir</i>?</p>
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<p>Andere Stimmen: Ins Narrenhaus nach Charenton mit ihm. (Furchtbare Aufregung; ein wahrer
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Sturm mit Donner und Windbrausen.)</p>
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<p><font size="2">"Wenn ich wir sage, so identifiziere ich <i>mich</i> mit dem Proletariat und
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Euch mit der Bourgeoisie!"</font></p>
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<p>Herr Proudhon geht sodann in eine Spezifizierung seines Steuersystems ein und wird wieder
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"wissenschaftlich". Diese "Wissenschaft", die jedesmal Proudhons schwache Seite war, wird
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gerade in dieser bornierten Kammer seine starke Seite, indem sie ihm die Keckheit verleiht, mit
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seiner reinen, lautern "Wissenschaft" die unreine Finanzwissenschaft des Herrn Thiers zu
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bekämpfen. Herr Thiers hat seine praktisch-finanzielle Einsicht bewährt. Die
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Staatskasse hat unter seiner Verwaltung ab-, dafür sein Privatvermögen
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zugenommen.</p>
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<p>Als die Kammer Proudhons weiterer Auseinandersetzung wenig Aufmerksamkeit schenkt,
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erklärt er ihr geradezu, daß er noch wenigstens <font size=
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"-1"><sup>3</sup></font>/<font size="-2">4</font> Stunden zu sprechen habe. Als die Kammer dann
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sich zum großen Teil anschicken wollte, fortzugehen, geht er wieder direkt auf Angriffe
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des Eigentums über.</p>
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<p><font size="2">"Durch die alleinige Februarrevolution habt Ihr das Eigentum
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abgeschafft!"</font></p>
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<p>Man möchte sagen, daß der Schrecken die Leute auf ihren Sitzen gebannt hält,
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jedesmal wenn Proudhon ein Wort gegen den Besitz fallen läßt.</p>
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<p><font size="2">"Indem Ihr in der Konstitution das Recht auf Arbeit anerkennt, habt Ihr die
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Anerkennung der Abschaffung des Eigentums ausgesprochen."</font></p>
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<p>Larochejaquelein fragt, ob man das Recht zu stehlen habe. Andere Deputierten wollen Herrn
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Proudhon nicht fortfahren lassen.</p>
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<p><font size="2">"Ihr könnt die Konsequenzen der faits accomplis" (des Geschehenen)
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"nicht vernichten. Wenn Schuldner und Pächter noch zahlen, so tun sie es, weil sie gerne
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wollen." (Furchtbares Getöse. Der Präsident ruft den Redner zur Ordnung: Jedermann
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sei verpflichtet, seine Schulden zu zahlen.)</font></p>
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<p>"Ich sage nicht, daß die Schuldverpflichtungen abgeschafft sind, aber diejenigen,
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welche sie hier verteidigen wollen, vernichten die Revolution ...</p>
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<p>Was sind wir hier, Repräsentanten? Nichts! gar nichts; die Macht, die uns die Macht
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verliehen, ermangelte des Prinzips, der Grundlage. Unsere ganze Autorität ist Gewalt,
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Willkür, die Macht des Stärkern. (Neuer Ausbruch des Sturms.) Das allgemeine
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Stimmrecht ist ein Zufall, und damit dasselbe eine Bedeutung erlange, muß ihm eine
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Organisation vorangehen. Was uns regiert, ist nicht das Gesetz, ist nicht das Recht; es ist die
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Gewalt, die Notwendigkeit, die Providenz ... Der 16. April, der 15. Mai, der 23., 24. und 25.
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Juni sind Fakten, weiter nichts als Fakten, die sich in der Geschichte legitimieren. Wir
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können heute alles machen, was wir wollen; wir sind die <a name=
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"S308"><b><308></b></a> Stärkern. Sprechen wir daher nicht von Aufrührischen;
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die Aufrührischen sind diejenigen, die kein anderes Recht als das des Stärkern haben,
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aber dieses Recht bei den andern nicht gelten lassen wollen. Ich weiß, mein Antrag wird
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nicht angenommen werden. Aber Ihr seid in einer Lage, daß Ihr nur dadurch dem Tode
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entgehen könnt, daß Ihr meinen Antrag annehmt. Es handelt sich von der Kredit-, von
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der Arbeitsfrage! Das Zutrauen wird nie mehr zurückkommen - nein, es ist unmöglich,
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daß es wiederkehrt ..." (Schauderhaft!) "Ihr mögt immerhin sagen, daß Ihr eine
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honette, moderierte Republik machen wollt: Das Kapital wagt sich nicht zu zeigen unter einer
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Republik, die Demonstrationen zugunsten der Arbeiter machen muß. Während daher das
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Kapital auf uns wartet, um uns zu liquidieren, w arten wir auf das Kapital, um es zu
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liquidieren. Der 24. Februar hat das Recht zur Arbeit aufgestellt. Streicht Ihr dieses Recht
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aus der Konstitution, so stellt Ihr das Recht zur Insurrektion auf.</p>
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<p>Setzt Euch auf ewig unter den Schutz der Bajonette, verlängert auf ewig den
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Belagerungszustand: Das Kapital wird doch noch Furcht haben, und der Sozialismus hat die Augen
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auf es gerichtet."</p>
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<p>Die Leser der "Kölnischen Zeitung" kennen Herrn Proudhon von alters her. Herr Proudhon,
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der, wie es in der motivierten Tagesordnung heißt, die Moral, die Religion, die Familie
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und das Eigentum angegriffen, war vor nicht langer Zeit noch der gepriesene Held der
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"Kölnischen Zeitung". Proudhons "sogenanntes sozialökonomisches System" wurde in
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Korrespondenzartikeln aus Paris, in Feuilletons und in langen Abhandlungen ausführlich
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verherrlicht. Von Proudhons Wertbestimmung sollten alle sozialen Reformen ausgehen. Wie die
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"Kölnische Zeitung" zu dieser gefährlichen Bekanntschaft kam, gehört nicht
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hierher. Aber merkwürdig! Sie, die damals in Proudhon einen Retter erblickte, hat jetzt
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der Schmähworte nicht genug, um ihn und seine "lügenhafte Partei" als die
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Untergräber der Gesellschaft zu bezeichnen. Ist Herr Proudhon nicht mehr Herr
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Proudhon?</p>
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<p>Was wir in Herrn Proudhon angegriffen, das war die "utopistische Wissenschaft", mit welcher
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er den Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Proletariat und Bourgeoisie ausgleichen
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wollte. Wir werden darauf zurückkommen. Sein ganzes Banksystem, sein ganzer
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Produktenaustausch ist weiter nichts als eine kleinbürgerliche Illusion. Jetzt, wo er zur
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Ausführung dieser blassen Illusion genötigt ist, demokratisch aufzutreten gegen die
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ganze Bourgeoiskammer und ihr gegenüber diesen Gegensatz schroff ausdrückt, schreit
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letztere über ein Vergreifen an Moral und Eigentum.</p>
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