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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<TITLE>Friedrich Engels - Die Trade-Unions</TITLE>
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<META name="description" content="Die Trade-Unions">
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<TD ALIGN="center" width="199" height=20 valign=middle bgcolor="#99CC99"><A HREF="http://www.mlwerke.de/index.shtml"><FONT size="2" color="#006600">MLWerke</A></FONT></TD>
<TD ALIGN="center" width="200" height=20 valign=middle bgcolor="#99CC99"><A href="../default.htm"><FONT size=2 color="#006600">Marx/Engels - Werke</A></TD>
<TD ALIGN="center" width="199" height=20 valign=middle bgcolor="#99CC99"><A HREF="../me_ak81.htm"><FONT size=2 color="#006600">Artikel und Korrespondenzen 1881</A></TD>
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<P>
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<TR>
<TD valign="top"><SMALL>Seitenzahlen verweisen auf: </SMALL></TD>
<TD><SMALL>&nbsp;&nbsp;</SMALL></TD>
<TD><SMALL>Karl Marx/Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 19, 4. Auflage 1973, unver&auml;nderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 254-260.</SMALL></TD>
</TR>
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<TD><SMALL>Korrektur:</SMALL></TD>
<TD><SMALL>&nbsp;&nbsp;</SMALL></TD>
<TD><SMALL>1</SMALL></TD>
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<TD><SMALL>Erstellt:</SMALL></TD>
<TD><SMALL>&nbsp;&nbsp;</SMALL></TD>
<TD><SMALL>18.07.1999</SMALL></TD>
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</TABLE>
<H2>Friedrich Engels</H2>
<H1>Die Trade-Unions</H1>
<FONT SIZE=2><P>Geschrieben um den 20. Mai 1881.<BR>
Aus dem Englischen.</P>
</FONT><P><HR size="1" align="center"></P>
<FONT SIZE=5><P ALIGN="CENTER">I</P>
</FONT><FONT SIZE=2><P>["The Labour Standard" Nr. 4 vom 28. Mai 1881, Leitartikel]</P>
</FONT><B><P>|254|</B> In unserer <A HREF="me19_251.htm">letzten Ausgabe</A> betrachteten wir die T&auml;tigkeit der Trade-Unions, insoweit sie das &ouml;konomische Lohngesetz gegen die Unternehmer durchsetzen. Wir kehren zu diesem Thema zur&uuml;ck; denn es ist von h&ouml;chster Wichtigkeit, da&szlig; die Arbeiterklasse es in ihrer Gesamtheit von Grund aus verstehe.</P>
<P>Wir nehmen an, kein englischer Arbeiter unserer Tage mu&szlig; dar&uuml;ber belehrt werden, da&szlig; es ebenso im Interesse des einzelnen Kapitalisten wie der gesamten Kapitalistenklasse liegt, die L&ouml;hne so weit wie m&ouml;glich zu senken. Das Arbeitsprodukt wird, wie David Ricardo unwiderleglich nachgewiesen hat, nach Abzug aller Unkosten in zwei Teile geteilt: Der eine bildet den Lohn des Arbeiters, der andere den Profit des Kapitalisten. Da nun das Nettoprodukt der Arbeit in jedem einzelnen Fall eine gegebene Gr&ouml;&szlig;e darstellt, ist es klar, da&szlig; der eine Teil, Profit genannt, nicht zunehmen kann, ohne da&szlig; der andere Teil, Lohn genannt, sich verringert. Zu bestreiten, da&szlig; es im Interesse des Kapitalisten liegt, die L&ouml;hne zu senken, w&auml;re gleichbedeutend mit der Behauptung, da&szlig; es nicht in seinem Interesse liege, seinen Profit zu steigern.</P>
<P>Wir wissen sehr gut, da&szlig; es andere Mittel gibt, den Profit vor&uuml;bergehend zu steigern; sie &auml;ndern aber das allgemeine Gesetz nicht und brauchen daher hier von uns nicht beachtet zu werden.</P>
<P>Wie k&ouml;nnen nun aber die Kapitalisten die L&ouml;hne senken, wenn die Lohnh&ouml;he durch ein klares, genau bestimmtes &ouml;konomisches Gesetz geregelt wird? Das &ouml;konomische Lohngesetz existiert und ist unwiderleglich. <A NAME="S255"><B>|255|</A></B> Aber es ist, wie wir gesehen haben, elastisch, und zwar in doppelter Hinsicht. Der Lohn kann in einem einzelnen Gewerbezweig gesenkt werden - entweder direkt, durch schrittweise Gew&ouml;hnung der Arbeiter dieses Gewerbes an einen niedrigeren Lebensstandard, oder indirekt, durch Verl&auml;ngerung des Arbeitstages (oder Steigerung der Arbeitsintensit&auml;t w&auml;hrend derselben Arbeitszeit) ohne Lohnerh&ouml;hung.</P>
<P>Das Interesse jedes einzelnen Kapitalisten, seinen Profit durch Senkung des Lohns seiner Arbeiter zu steigern, erh&auml;lt einen neuen Antrieb durch die Konkurrenz der Kapitalisten ein und desselben Produktionszweigs untereinander. Jeder von ihnen ist bestrebt, seine Konkurrenten zu unterbieten, und wenn er seinen Profit nicht opfern will, mu&szlig; er versuchen, den Lohn zu senken. Auf diese Weise wird der Druck auf den Lohn, hervorgerufen durch das Interesse jedes einzelnen Kapitalisten, infolge ihrer gegenseitigen Konkurrenz verzehnfacht. Was vorher eine Frage gr&ouml;&szlig;eren oder geringeren Profits war, wird jetzt zu einer Frage der Notwendigkeit.</P>
<P>Gegen&uuml;ber diesem st&auml;ndigen, unaufh&ouml;rlichen Druck hat die unorganisierte Arbeiterschaft keine wirksamen Mittel des Widerstands. Darum zeigt der Lohn in Produktionszweigen, in denen die Arbeiter nicht organisiert sind, eine st&auml;ndig sinkende Tendenz und die Arbeitszeit eine st&auml;ndig steigende Tendenz. Langsam aber sicher schreitet dieser Proze&szlig; fort. Zeiten der Prosperit&auml;t m&ouml;gen ihn hier und da unterbrechen, Zeiten schlechten Gesch&auml;ftsgangs jedoch beschleunigen ihn nachher wieder um so mehr. Die Arbeiter gew&ouml;hnen sich nach und nach an einen immer niedrigeren Lebensstandard. W&auml;hrend die Arbeitszeit eine Tendenz zur Verl&auml;ngerung zeigt, n&auml;hern die L&ouml;hne sich immer mehr ihrem absoluten Minimum - jener Summe, unterhalb derer es f&uuml;r den Arbeiter v&ouml;llig unm&ouml;glich wird, zu leben und sein Geschlecht fortzupflanzen.</P>
<P>Eine vor&uuml;bergehende Ausnahme hiervon gab es um den Beginn dieses Jahrhunderts. Die sich rasch ausdehnende Anwendung von Dampfkraft und Maschinen reichte f&uuml;r die noch schneller wachsende Nachfrage nach ihren Produkten nicht aus. In diesen Produktionszweigen war der Lohn in der Regel hoch, mit Ausnahme des Lohns von Kindern, die vom Arbeitshaus an den Fabrikanten verkauft wurden; der Lohn f&uuml;r qualifizierte Handarbeit, ohne die man nicht auskommen konnte, war sehr hoch; was ein F&auml;rber, ein Mechaniker, ein Samtscherer, ein Spinner an der Hand-Mule damals erhielt, klingt heute m&auml;rchenhaft. Zur selben Zeit waren die Gewerbe, welche durch Maschinen verdr&auml;ngt wurden, zum langsamen Absterben verurteilt. Neuerfundene Maschinen verdr&auml;ngten aber allm&auml;hlich diese gutbezahlten Arbeiter; es wurden Maschinen erfunden, mit denen Maschinen <A NAME="S256"><B>|256|</A></B> hergestellt wurden, und zwar in einem solchen Ausma&szlig;, da&szlig; das Angebot maschinell hergestellter Waren die Nachfrage nicht nur deckte, sondern sogar &uuml;berstieg. Als durch den allgemeinen Frieden im Jahre 1815 der regelm&auml;&szlig;ige Handelsverkehr wiederhergestellt wurde, nahmen die Zehnjahreszyklen von Prosperit&auml;t, &Uuml;berproduktion und Krise ihren Anfang. Alle Vorteile, welche die Arbeiter aus fr&uuml;heren Prosperit&auml;tsperioden gerettet und vielleicht w&auml;hrend der Periode st&uuml;rmischer &Uuml;berproduktion sogar noch vergr&ouml;&szlig;ert hatten, wurden ihnen jetzt, in der Zeit des schlechten Gesch&auml;ftsgangs und der Krise, wieder entrissen; und bald war die in den Fabriken arbeitende Bev&ouml;lkerung Englands dem allgemeinen Gesetz unterworfen, nach dem der Lohn der unorganisierten Arbeiter st&auml;ndig dem absoluten Minimum zustrebt.</P>
<P>Inzwischen jedoch waren auch die 1824 legalisierten Trade-Unions auf den Plan getreten, und das war die h&ouml;chste Zeit. Die Kapitalisten sind immer organisiert. In den meisten F&auml;llen brauchen sie keinen formellen Verband, keine Statuten, keine Funktion&auml;re etc. Ihre im Vergleich zu den Arbeitern geringe Zahl, der Umstand, da&szlig; sie eine besondere Klasse bilden, ihr st&auml;ndiger gesellschaftlicher und gesch&auml;ftlicher Verkehr untereinander machen das alles &uuml;berfl&uuml;ssig; erst sp&auml;ter, wenn ein Industriezweig in einem Gebiet vorherrschend geworden ist, wie zum Beispiel die Baumwollindustrie in Lancashire, wird eine formelle Trade-Union der Kapitalisten notwendig. Die Arbeiter dagegen k&ouml;nnen von allem Anfang an nicht ohne starke Organisation mit genau festgelegten Statuten auskommen, die ihren Einflu&szlig; durch Funktion&auml;re und Komitees aus&uuml;bt. Durch das Gesetz von 1824 wurden diese Organisationen legal. Seit jenem Tage ist die Arbeiterschaft in England eine Macht geworden. Die Masse war jetzt nicht l&auml;nger hilflos und in sich selbst gespalten wie fr&uuml;her. Zu der St&auml;rke, die ihr Koalition und gemeinsames Handeln verliehen, kam bald die Kraft einer wohlgef&uuml;llten Kasse - des "Widerstandsgeldes", wie der bezeichnende Ausdruck unserer franz&ouml;sischen Br&uuml;der lautet. Die ganze Sachlage &auml;nderte sich jetzt. F&uuml;r den Kapitalisten wurde es eine riskante Sache, den Lohn zu senken oder die Arbeitszeit zu verl&auml;ngern.</P>
<P>Daher die Wutausbr&uuml;che der Kapitalistenklasse jener Zeit gegen die Trade-Unions. Diese Klasse hatte ihre langge&uuml;bte Praxis, die Arbeiterklasse zu schinden, stets als gesetzlich verbrieftes Vorrecht betrachtet. Dem sollte nun Einhalt geboten werden. Kein Wunder, da&szlig; die Kapitalisten in heftiges Geschrei ausbrachen und sich in ihren Rechten und in ihrem Besitz mindestens ebensosehr beeintr&auml;chtigt f&uuml;hlten wie die irischen Landlords unserer Tage.</P>
<B><P><A NAME="S257">|257|</A></B> Sechzig Jahre Kampferfahrung haben sie etwas einsichtiger gemacht. Die Trade-Unions sind jetzt eine anerkannte Einrichtung geworden, und ihre Funktion als mitbestimmender Faktor bei Lohnregelungen ist in demselben Ma&szlig;e anerkannt wie die Funktion der Fabrikgesetze als bestimmende Faktoren bei der Regelung der Arbeitszeit. Ja, die Baumwollfabrikanten in Lancashire sind neuerdings sogar bei den Arbeitern in die Schule gegangen und verstehen es jetzt, einen Streik zu organisieren, wenn das in ihrem Interesse liegt, und zwar ebensogut oder besser als jede Trade-Union.</P>
<P>So ist es also eine Folge des Wirkens der Trade-Unions, da&szlig; gegen den Widerstand der Unternehmer das Lohngesetz durchgesetzt wird, da&szlig; die Arbeiter jedes gut organisierten Gewerbezweigs in der Lage sind, wenigstens ann&auml;hernd, den vollen Wert ihrer Arbeitskraft zu erhalten, die sie dem Unternehmer vermieten, und da&szlig; mit Hilfe von Staatsgesetzen die Arbeitszeit wenigstens nicht allzusehr jene H&ouml;chstdauer &uuml;berschreitet, &uuml;ber die hinaus die Arbeitskraft vorzeitig ersch&ouml;pft wird. Das ist aber auch das H&ouml;chstma&szlig; dessen, was f&uuml;r die Trade-Unions, wie sie gegenw&auml;rtig organisiert sind, &uuml;berhaupt erreichbar ist, und auch das nur unter st&auml;ndigen K&auml;mpfen, mit ungeheurem Verschlei&szlig; an Kraft und Geld; und dann machen die Konjunkturschwankungen, alle zehn Jahre mindestens einmal, das Errungene im Handumdrehen wieder zunichte, und der Kampf mu&szlig; von neuem durchgefochten werden. Das ist ein verh&auml;ngnisvoller Kreislauf, aus dem es kein Entrinnen gibt. Die Arbeiterklasse bleibt, was sie war und als was unsere chartistischen Vorv&auml;ter sie rundheraus bezeichneten - eine Klasse von Lohnsklaven. Soll dies das Endergebnis von soviel Arbeit, Selbstaufopferung und Leiden sein? Soll dies f&uuml;r immer das h&ouml;chste Ziel der englischen Arbeiter bleiben? Oder soll die Arbeiterklasse hierzulande nicht endlich versuchen, diesen verh&auml;ngnisvollen Kreis zu durchbrechen und einen Ausweg aus ihm zu finden in einer Bewegung f&uuml;r die Abschaffung des Lohnsystems &uuml;berhaupt?</P>
<P>N&auml;chste Woche werden wir die Rolle untersuchen, die die Trade-Unions als Organisatoren der Arbeiterklasse spielen.</P>
<FONT SIZE=4><P ALIGN="CENTER">II</P>
</FONT><FONT SIZE=2><P>['The Labour Standard" Nr. 5 vom 4. Juni 1881, Leitartikel]</P>
</FONT><P>Wir haben bisher die Funktionen der Trade-Unions nur insoweit betrachtet, als sie zur Regelung der Lohnh&ouml;he beitragen und dem Arbeiter in <A NAME="S258"><B>|258|</A></B> seinem Kampf gegen das Kapital wenigstens einige Mittel sichern, mit denen er sich zur Wehr setzen kann. Mit diesem Gesichtspunkt jedoch ist unser Thema nicht ersch&ouml;pft.</P>
<P>Wir sprachen vom Kampf des Arbeiters gegen das Kapital. Dieser Kampf existiert, was immer die Apologeten des Kapitals auch dagegen sagen m&ouml;gen. Er wird existieren, solange eine Lohnsenkung das sicherste und bequemste Mittel zur Steigerung des Profits bleibt, ja dar&uuml;ber hinaus, solange das Lohnsystem &uuml;berhaupt existieren wird. Das blo&szlig;e Vorhandensein von Trade-Unions beweist diese Tatsache zur Gen&uuml;ge; wenn sie nicht zum Kampf gegen die &Uuml;bergriffe des Kapitals geschaffen worden sind, wozu sind sie dann geschaffen? Es hat keinen Zweck, ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Durch keine noch so sch&ouml;nen Worte kann die h&auml;&szlig;liche Tatsache verdeckt werden, da&szlig; die gegenw&auml;rtige Gesellschaft im wesentlichen in zwei gro&szlig;e, antagonistische Klassen gespalten ist - auf der einen Seite die Kapitalisten, denen alle Produktionsmittel geh&ouml;ren, auf der anderen Seite die Arbeiter, die nichts besitzen als die eigene Arbeitskraft. Das Arbeitsprodukt der letztgenannten Klasse mu&szlig; zwischen beiden Klassen geteilt werden, und gerade um diese Teilung tobt ununterbrochen der Kampf. Jede Klasse versucht einen m&ouml;glichst gro&szlig;en Anteil zu erlangen; und das seltsamste an diesem Kampfe ist, da&szlig; die Arbeiterklasse, obwohl sie nur um einen Anteil an ihrem eigenen Produkt k&auml;mpft, oft genug beschuldigt wird, sie beraube eigentlich den Kapitalisten!</P>
<P>Ein Kampf zwischen zwei gro&szlig;en Gesellschaftsklassen wird jedoch unvermeidlich zu einem politischen Kampf. So war es mit dem langen Kampf zwischen der Mittel- oder Kapitalistenklasse und der Grundbesitzeraristokratie; so ist es auch mit dem Kampf zwischen der Arbeiterklasse und eben diesen Kapitalisten. In jedem Kampf von Klasse gegen Klasse ist das unmittelbare Ziel, um das gek&auml;mpft wird, die politische Macht; die herrschende Klasse verteidigt ihre politische Vorherrschaft, das hei&szlig;t ihre sichere Mehrheit in den gesetzgebenden K&ouml;rperschaften; die untere Klasse k&auml;mpft zuerst um einen Anteil an dieser Macht, sp&auml;ter um die ganze Macht, um in die Lage zu kommen, die bestehenden Gesetze entsprechend ihren eigenen Interessen und Bed&uuml;rfnissen zu &auml;ndern. So k&auml;mpfte die Arbeiterklasse Gro&szlig;britanniens jahrelang leidenschaftlich und sogar unter Anwendung von Gewalt f&uuml;r die Volks-Charte, die ihr diese politische Macht geben sollte; sie erlitt eine Niederlage, aber der Kampf hatte auf die siegreiche Mittelklasse einen solchen Eindruck gemacht, da&szlig; diese seitdem schon froh war, um den Preis immer neuer Zugest&auml;ndnisse an das werkt&auml;tige Volk, einen l&auml;ngeren Waffenstillstand zu erkaufen.</P>
<B><P><A NAME="S259">|259|</A></B> Nun ist in einem politischen Kampf von Klasse gegen Klasse die Organisation die wichtigste Waffe. Und in demselben Ma&szlig;e, wie die blo&szlig; politische, die chartistische Organisation zerfiel, in demselben Ma&szlig;e wurde die Organisation der Trade-Unions immer st&auml;rker, bis sie jetzt eine solche St&auml;rke erreicht hat, da&szlig; sich mit ihr keine ausl&auml;ndische Arbeiterorganisation vergleichen kann. Einige wenige gro&szlig;e Trade-Unions, ein bis zwei Millionen Arbeiter umfassend und von den kleineren oder lokalen Verb&auml;nden unterst&uuml;tzt, stellen eine Macht dar, mit der jede Regierung der herrschenden Klasse, gleichviel ob Whig oder Tory, rechnen mu&szlig;.</P>
<P>Entsprechend den Traditionen ihrer Entstehung und Entwicklung hierzulande haben sich diese m&auml;chtigen Organisationen bisher fast ausschlie&szlig;lich auf die Funktion beschr&auml;nkt, bei der Lohn- und Arbeitszeitregelung mitzuwirken und die Abschaffung offen arbeiterfeindlicher Gesetze zu erzwingen. Wie bereits gesagt, taten sie dies mit geradesoviel Erfolg, wie sie mit Recht erwarten durften. Sie erreichten aber noch mehr: Die herrschende Klasse, die die St&auml;rke der Trade-Unions besser kennt als diese selbst, machte ihnen aus freien St&uuml;cken Zugest&auml;ndnisse, die noch dar&uuml;ber hinausgingen. Die Ausdehnung des Wahlrechts auf alle Haushaltungsvorst&auml;nde durch Disraeli gab mindestens dem gr&ouml;&szlig;eren Teil der organisierten Arbeiterklasse das Stimmrecht. Hatte er das vorgeschlagen, wenn er nicht angenommen h&auml;tte, da&szlig; diese neuen W&auml;hler einen eigenen Willen &auml;u&szlig;ern - da&szlig; sie k&uuml;nftig nicht mehr liberalen Politikern der Mittelklasse ihre F&uuml;hrung &uuml;berlassen w&uuml;rden? W&auml;re er imstande gewesen, das durchzusetzen, wenn das werkt&auml;tige Volk bei der Leitung seiner riesigen Gewerkschaftsverb&auml;nde nicht die F&auml;higkeit zu administrativer und politischer Arbeit bewiesen h&auml;tte?</P>
<P>Gerade diese Ma&szlig;nahme er&ouml;ffnete neue Perspektiven f&uuml;r die Arbeiterklasse. Sie verschaffte ihr in London und in allen Industriest&auml;dten die Mehrheit und setzte sie damit in den Stand, den Kampf gegen das Kapital mit neuen Waffen zu f&uuml;hren, indem sie M&auml;nner ihrer eigenen Klasse ins Parlament entsandte. Aber wir m&uuml;ssen leider sagen, da&szlig; die Trade-Unions hier ihre Pflicht als Vorhut der Arbeiterklasse vergessen haben. Die neue Waffe befindet sich jetzt seit mehr als zehn Jahren in ihren H&auml;nden, aber sie haben sie kaum jemals aus der Scheide gezogen. Sie sollten nicht vergessen, da&szlig; sie die Stellung, die sie heute innehaben, nicht auf die Dauer halten k&ouml;nnen, wenn sie nicht wirklich an der Spitze der Arbeiterklasse marschieren. Es ist geradezu widernat&uuml;rlich, da&szlig; die englische Arbeiterklasse, obwohl sie die Kraft besitzt, vierzig oder f&uuml;nfzig Arbeiter ins Parlament zu schicken, sich f&uuml;r ewig damit zufriedengeben sollte, sich von Kapitalisten oder <A NAME="S260"><B>|260|</A></B> ihren Handlangern, wie Rechtsanw&auml;lten, Redakteuren etc. vertreten zu lassen.</P>
<P>&Uuml;berdies sind eine Menge Anzeichen daf&uuml;r vorhanden, da&szlig; die englische Arbeiterklasse zu dem Bewu&szlig;tsein erwacht, geraume Zeit einen falschen Weg gegangen zu sein; da&szlig; die gegenw&auml;rtigen Bewegungen, ausschlie&szlig;lich f&uuml;r h&ouml;here L&ouml;hne und k&uuml;rzere Arbeitszeit, sie in einen verh&auml;ngnisvollen Kreis bannen, aus dem es kein Entrinnen gibt; da&szlig; das Grund&uuml;bel nicht in den niedrigen L&ouml;hnen liegt, sondern im Lohnsystem selbst. Diese Erkenntnis, einmal in der Arbeiterklasse allgemein verbreitet, mu&szlig; die Stellung der Trade-Unions wesentlich &auml;ndern. Sie werden nicht l&auml;nger das Vorrecht genie&szlig;en, die einzigen Organisationen der Arbeiterklasse zu sein. Neben den Verb&auml;nden in den einzelnen Industriezweigen oder &uuml;ber ihnen mu&szlig; ein Gesamtverband, eine politische Organisation der Arbeiterklasse als Ganzes entstehen.</P>
<P>Demnach t&auml;ten die Trade-Unions gut daran, zweierlei zu ber&uuml;cksichtigen: Erstens, da&szlig; die Zeit rasch herannaht, da die Arbeiterklasse hierzulande mit nicht mi&szlig;zuverstehender Stimme ihren vollen Anteil an der Vertretung im Parlament fordern wird; zweitens, da&szlig; ebenso rasch die Zeit herannaht, da die Arbeiterklasse begreifen wird, da&szlig; der Kampf f&uuml;r hohe L&ouml;hne und kurze Arbeitszeit und die ganze T&auml;tigkeit der Trade-Unions in ihrer jetzigen Form nicht Selbstzweck, sondern Mittel ist, ein sehr notwendiges und wirksames Mittel, aber doch nur eines von verschiedenen Mitteln zu einem h&ouml;heren Ziel: der Abschaffung des Lohnsystems &uuml;berhaupt.</P>
<P>F&uuml;r die vollg&uuml;ltige Vertretung der Arbeiterschaft im Parlament sowie f&uuml;r die Vorbereitung zur Abschaffung des Lohnsystems werden Organisationen, nicht einzelner Industriezweige, sondern der Arbeiterklasse in ihrer Gesamtheit notwendig sein. Und je eher sie auf den Plan treten, desto besser. Es gibt keine Macht in der Welt. die der englischen Arbeiterklasse auch nur einen einzigen Tag widerstehen k&ouml;nnte, wenn sie sich in ihrer Gesamtheit organisiert.</P>
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