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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<HEAD>
<TITLE>John Reed: 10 Tage die die Welt ersch&uuml;tterten</TITLE>
</HEAD>
<BODY bgcolor="#FFFFFF">
<H3>
X. MOSKAU
</H3>
<P>
<P>
Das Revolution&auml;re Milit&auml;rkomitee verfolgte mit grimmiger
Entschlossenheit seinen Sieg:
<P>
&AElig;14. November.
<P align=center>
A n a l l e A r m e e k o m i t e e s, a n a l l e K o r p s -, D i v i s
i o n s - u n d
<P align=center>
R e g i e r u n g s k o m i t e e s, a n a l l e S o w j e t s d e r A r
b e i t e r - , S o l d a t e n - u n d
<P align=center>
B a u e r n d e p u t i e r t e n , a n A l l e , A l l e , A l l e !
<P>
Gem&auml;&szlig; dem Abkommen zwischen den Kosaken, Offizierssch&uuml;lern
Soldaten Matrosen und Arbeitern ist beschlossen worden, Alexander Fjodorowitsch
Kerenski vor ein Volkstribunal zu stellen. Wir fordern, da&szlig; Kerenski
verhaftet und ihm, im Namen der nachgenannten Organisationen, befohlen wird,
unverz&uuml;glich nach Petrograd zu kommen und sich dem Tribunal zu stellen.
<P>
Gezeichnet:
<P>
Die Kosaken der 1. Ussuri-Kavalleriedivision.
<P>
Das Komitee der Offizierssch&uuml;ler der Petrograder
Freisch&uuml;tzen-Abteilung.
<P>
Der Delegierte der F&uuml;nften Armee.
<P>
Volkskommissar <I>Dybenko</I>."
<P>
Das Komitee zu Rettung des Vaterlandes und der Revolution, die Duma, das
Zentralkomitee der Sozialrevolution&auml;ren Partei (die Kerenski stolz als
ihr Mitglied z&auml;hlte) protestierten leidenschaftlich und erkl&auml;rten,
da&szlig; nur die Konstituierende Versammlung ihn zur Verantwortung ziehen
k&ouml;nne.
<P>
Am 16. November abends sah ich zweitausend Rotgardisten den Sagorodny-Prospekt
hinuntermarschieren, an ihrer Spitze eine Milit&auml;rkapelle, die die
Marseillaise spielte, mit blutroten Fahnen, die heimkehrenden Br&uuml;der
zu begr&uuml;&szlig;en, die siegreich das Rote Petrograd verteidigt hatten.
M&auml;nner und Frauen, ihre Gewehre geschultert, in der kalten D&auml;mmerung
durch die schlecht beleuchteten, schl&uuml;pfrigen Stra&szlig;en stampfend,
an schweigenden Haufen von Bourgeois vorbei, die sie ver&auml;chtlich, aber
furchterf&uuml;llt vor&uuml;berziehen sahen.
<P>
Alle waren gegen sie - Gesch&auml;ftsleute, Spekulanten, Kapitalisten,
Gutsbesitzer, Offiziere, Politiker, Lehrer, Studenten, Angeh&ouml;rige freier
Berufe, Handwerker, Kr&auml;mer, Beamte, B&uuml;roangestellte. Die anderen
sozialistischen Parteien begegneten den Bolschewiki mit unvers&ouml;hnlichem
Ha&szlig;. Auf ihrer Seite waren nur die Massen der Arbeiter, die Matrosen,
alle nichtdemoralisierten Soldaten, die landlosen Bauern und einige - sehr
wenige - Intellektuelle. Die Kunde von Kerenskis Niederlage kam wie ein Echo
von den entferntsten Ecken des weiten Ru&szlig;lands, wo ausgedehnte
Stra&szlig;enk&auml;mpfe wie eine welle losbrachen, als ungeheures Brausen
des proletarischen Sieges zur&uuml;ck. In Kasan, Saratow, Nowgorod und Winniza
waren die Stra&szlig;en mit Blut bedeckt; in Moskau hatten die Bolschewiki
ihre Gesch&uuml;tze gegen die letzte Festung der Bourgeoisie - den Kreml
- gerichtet. &AElig;Sie bombardieren den Kreml!" - Mit abergl&auml;ubischem
Entsetzen rief man es einander in den Stra&szlig;en Petrograds zu. Reisende
aus dem &AElig;wei&szlig;en und schimmernden Moskau" berichteten
F&uuml;rchterliches: Tausende ermordet, die Twerskaja und der Kusnezki-Most
in Flammen, die Basilius-Kathedrale ein rauchender Tr&uuml;mmerhaufen, die
Uspenski-Kathedrale im Zusammenbrechen, das Spasski-Tor des Kreml vor dem
Einsturz, die Duma niedergebrannt. Nichts, was die Bolschewiki bisher getan,
war dieser furchtbaren L&auml;sterung im Herzen des heiligen Ru&szlig;lands
selbst vergleichbar. Die Ohren der Gl&auml;ubigen h&ouml;rten f&ouml;rmlich
das Krachen der Granaten, wie sie einschlugen in das Antlitz der Heiligen
Orthodoxen Kirche und das Allerheiligste der russischen Nation zu Staub
zermalmten. Am 15. November brach in der Sitzung des Rates der Volkskommissare
Lunatscharski, der Kommissar f&uuml;r Volksbildung, in Tr&auml;nen aus und
eilte aus dem Saal, schreiend: &AElig;Das halte ich nicht aus! Ich kann diese
entsetzliche Vernichtung von soviel Sch&ouml;nheit und Tradition nicht ertragen!"
Am Nachmittag brachten die Zeitungen sein R&uuml;cktrittsschreiben: &AElig;Von
Augenzeugen habe ich soeben geh&ouml;rt, was sich in Moskau abspielt. Die
Basilius-Kathedrale, die Uspenski-Kathedrale werden bombardiert. Der Kreml,
in dem zu Zeit die wichtigsten Kunstsch&auml;tze Petrograds und Moskaus
aufbewahrt werden, steht unter Artilleriefeuer. Die Opfer z&auml;hlen nach
Tausenden. Der f&uuml;rchterliche Kampf hat dort den Gipfel bestialischer
Wildheit erreicht. Was bleibt da noch? Kann es noch schlimmer kommen? Ich
kann das nicht aushalten. Das Ma&szlig; ist voll. Ich bin nicht in der Lage,
diesen Schrecken aufzuhalten. Unter dem Druck dieser Gedanken, die mich zum
Wahnsinn treiben, kann ich nicht arbeiten! Ich scheide darum aus dem Rat
der Volkskommissare aus. Ich bin mir &uuml;ber die Tragweite dieses Entschlusses
vollkommen klar. Aber ich kann es nicht mehr ertragen..." Am selben Tage
streckten die Wei&szlig;gardisten und Offizierssch&uuml;ler im Kreml die
Waffen, und ihnen wurde freier Abzug gew&auml;hrt.
<P>
Hier der Friedensvertrag:
<P>
&AElig;1. Das Komitee f&uuml;r &ouml;ffentliche Sicherheit h&ouml;rt auf
zu bestehen.
<P>
2. Die Wei&szlig;e Garde gibt die Waffen ab und wird aufgel&ouml;st. Die
Offiziere behalten die ihrem Rang zustehenden Waffen. Die Offizierssch&uuml;ler
behalten nur die f&uuml;r ihre Ausbildung notwendigen Waffen. Alle &uuml;brigen
Waffen der Offizierssch&uuml;ler werden abgeliefert. Das Revolution&auml;re
Milit&auml;rkomitee garantiert allen pers&ouml;nliche Freiheit und
Unverletzlichkeit.
<P>
3. Zur Entscheidung der Frage, wie die Entwaffnung, von der in Punkt 2 die
Rede ist, durchgef&uuml;hrt werden soll, wird eine Kommission gebildet aus
Vertretern des Revolution&auml;ren Milit&auml;rkomitees, des Offizierskorps
und der Organisationen, die an der Vermittlung teilgenommen haben.
<P>
4. Mit dem Augenblick der Unterzeichnung des Friedensabkommens geben beide
Seiten unverz&uuml;glich den Befehl, jedes Schie&szlig;en und alle
Kampfhandlungen einzustellen, und ergreifen entschiedene Ma&szlig;nahmen,
um diesen Befehl an Ort und Stelle unbedingt zur Durchf&uuml;hrung zu bringen.
<P>
5. Nach Unterzeichnung des Abkommens werden alle Gefangenen beider Seiten
unverz&uuml;glich in Freiheit gesetzt."
<P>
Seit zwei Tagen waren nun die Bolschewiki Herren der Stadt. Die
ge&auml;ngstigten B&uuml;rger kamen aus ihren Kellern herausgekrochen, um
ihre Toten zu suchen. Aus den Stra&szlig;en verschwanden die Barrikaden.
Trotzdem nahmen die Schauermeldungen &uuml;ber die in Moskau angerichteten
Zerst&ouml;rungen nicht ab, sondern zu. Wir beschlossen daher, nach Moskau
zu fahren, um selbst zu sehen, was sich dort abgespielt hatte. Petrograd
hat, wenn auch seit zwei Jahrhunderten Sitz der Regierung, noch immer etwas
Gek&uuml;nsteltes und Fremdes an sich. Moskau aber ist das wahre Ru&szlig;land,
das Ru&szlig;land, wie es war und wie es sein wird; in Moskau w&uuml;rden
wir erfahren, wie das russische Volk in Wahrheit zur Revolution steht. Das
Leben war dort immer intensiver.
<P>
Im Verlaufe der letzten Woche hatte das Petrograder Revolution&auml;re
Milit&auml;rkomitee mit Hilfe der Massen der Eisenbahner die Kontrolle der
Nikolaibahn &uuml;bernommen und warf jetzt Zug um Zug mit Matrosen und
Rotgardisten nach dem S&uuml;dwesten. Wir hatten vom Smolny ausgestellte
Passierscheine, ohne die niemand die Hauptstadt verlassen durfte. Der Zug
war noch nicht ganz eingelaufen, als auch schon ein gro&szlig;er Haufe zerlumpter
Soldaten, alle mit riesigen Lebensmittelpaketen beladen, die T&uuml;ren
st&uuml;rmte, die Fenster zerschlug, in alle Abteile eindrang, die Trittbretter
besetzte und sogar auf die D&auml;cher kletterte. Wir waren unser drei, denen
es gelang, sich in ein Abteil zu zw&auml;ngen; aber mindesten zwanzig Soldaten
waren sofort hinter uns. Pl&auml;tze waren nur f&uuml;r vier Personen da.
Wir versuchten die Soldaten zu &uuml;berzeugen, schimpften, und der Schaffner
gab uns recht. Wir wurden aber nur ausgelacht. Was k&uuml;mmerte sie das
Bequemlichkeitsbed&uuml;rfnis einer Handvoll &AElig;Burshui" (Bourgeois)!
Jetzt zeigten wir unsere Passierscheine vom Smolny, und sofort &auml;nderten
die Soldaten ihre Haltung. &AElig;Genossen", schrie einer, &AElig;das sind
amerikanische Genossen! Sie sind drei&szlig;igtausend Werst weit hierhergekommen,
um unsere Revolution zu sehen. Da ist es nat&uuml;rlich, da&szlig; sie m&uuml;de
sind." Unter h&ouml;flichen und freundlichen Entschuldigungen lie&szlig;en
uns die Soldaten allein. Einige Augenblicke sp&auml;ter h&ouml;rten wir sie
ein Abteil aufbrechen, das von zwei dicken, gut gekleideten Russen mit Beschlag
belegt war, die den Schaffner bestochen und die Abteilt&uuml;r abgeschlossen
hatten. Gegen sieben Uhr abends fuhr unser Zug endlich aus der Station hinaus,
nur von einer winzigen, holzgefeuerten Lokomotive gezogen, langsam, unter
vielem Halten vorw&auml;rtskriechend. Die Soldaten auf dem Dache sangen
weinerliche Bauernweisen, den Takt dazu mit ihren Abs&auml;tzen stampfend.
Im Korridor des Zuges, in dem ein f&uuml;rchterliches Gedr&auml;nge herrschte,
so da&szlig; man keinen Schritt zu tun vermochte, tobten die ganze Nacht
hindurch w&uuml;tende politische Debatten. Hin und wieder kamen Schaffner,
um - der Gewohnheit getreu - die Fahrkarten zu kontrollieren. Au&szlig;er
den unsrigen fand er nicht viele, und nach einer halben Stunde fruchtlosen
Streitens hob er verzweifelt die Arme und verschwand. Die Luft war zum Ersticken,
voller Tabaksqualm und ensetzlichem Gestank. Ohne die zerbrochenen
Fensterscheiben h&auml;tten wir die Nacht kaum &uuml;berstehen k&ouml;nnen.
<P>
Als wir am n&auml;chsten Morgen, reichlich sp&auml;t, erwachten, hatten wir,
aus den Fenstern blickend, die &Uuml;berraschung einer v&ouml;llig verschneiten
Welt. Es war bitter kalt. Gegen Mittag brachte uns eine Bauersfrau einen
gro&szlig;en Korb Brotschnitten und eine m&auml;chtige Kanne lauwarmen
Kaffee-Ersatzes. Von da an bis zum Abend war nichts als der
&uuml;berf&uuml;llte Zug, r&uuml;ttelnd, anhaltend, manchmal eine Station,
wo die ausgehungerten Soldaten &uuml;ber das sp&auml;rlich versorgte B&uuml;ffet
herfielen und es im Handumdrehen leerfegten. Auf einer dieser Stationen
stie&szlig; ich auf Nogin und Rykow, die ausgeschiedenen Kommissare, die
nach Moskau zur&uuml;ckkehrten, um ihre Klagen bei ihrem eigenen Sowjet
vorzubringen; etwas weiter traf ich Bucharin, einen kleinen rotb&auml;rtigen
Mann, mit den Augen eines Fanatikers - &AElig;linker als Lenin", hie&szlig;
es von ihm... Dann ert&ouml;nte die Bahnhofsglocke, und wir st&uuml;rzten
uns wieder auf unseren Zug, zw&auml;ngten uns durch den &uuml;berf&uuml;llten
und lauten Gang...Gutm&uuml;tige Menschen, die alle Unbequemlichkeiten geduldig
und voller Humor ertrugen und dabei endlos &uuml;ber alles debattierten,
von der Lage in Petrograd bis zur britischen Gewerkschaftsbewegung, oder
laut auf die wenigen mitreisenden &AElig;Burshui" einredeten. Bevor wir in
Moskau ankamen, hatte fast jeder Waggon einen Ausschu&szlig; f&uuml;r die
Beschaffung und Verteilung von Lebensmitteln gebildet, und diese Aussch&uuml;sse
spalteten sich in politische Parteien, die sich endlos &uuml;ber prinzipielle
Fragen stritten. In Moskau fanden wir den Bahnhof ver&ouml;det. Wir gingen
zu dem B&uuml;ro des Kommissars, um die Karten f&uuml;r unsere R&uuml;ckfahrt
in Ordnung bringen zu lassen, und trafen einen m&uuml;rrisch blickenden jungen
Menschen, der die Achselst&uuml;cke eines Leutnants trug. Als wir ihm unsere
Passierscheine vom Smolny zeigten, wurde er w&uuml;tend und erkl&auml;rte
schimpfend, da&szlig; er kein Bolschewik sei, sondern das Komitee f&uuml;r
die &ouml;ffentliche Sicherheit repr&auml;sentiere. Es war charakteristisch
- in der allgemeinen Aufregung um den Besitz der Stadt hatten die Sieger
den Hauptbahnhof v&ouml;llig vergessen. Keine Droschke in Sicht. Ein paar
H&auml;userblocks weiter weckten wir jedoch einen grotesk vermummten Kutscher,
der auf dem Bock seines kleinen Schlittens eingeschlafen war. Wieviel die
Fahrt bis zum Stadtzentrum kostet? Er kratzte sich den Kopf. &AElig;Die Herren
werden in keinem Hotel Unterkommen finden", sagte er. &AElig;Ich will Sie
jedoch f&uuml;r hundert Rubel fahren..." Vor der Revolution kostete dieselbe
Fahrt zwei Rubel! Wir protestierten. Er zuckte die Schultern. &AElig;Es
geh&ouml;rt Mut dazu, nachts einen Schlitten zu fahren", fuhr er fort. Es
gelang uns, ihn bis auf f&uuml;nfzig herunterzudr&uuml;cken... W&auml;hrend
wir in schnellem Tempo die stillen, im Schnee leuchtenden Stra&szlig;en
entlangfuhren, schilderte er uns seine Abenteuer w&auml;hrend des
sechst&auml;gigen Kampfes. &AElig;ich fahre meines Weges oder warte an der
Stra&szlig;enecke auf einen Fahrgast, pl&ouml;tzlich paff! - eine Granate
hier, paff! - eine Granate dort, ratt, ratt, ratt - ein Maschinengewehr...Ich
los, im Galopp. &Uuml;berall um mich herum wird wie verr&uuml;ckt geschossen.
Ich erreiche eine h&uuml;bsche ruhige Stra&szlig;e, halte da, verschnaufe
mich ein bi&szlig;chen, mit einemmal, paff! - eine neue Granate...Verteufelt!"
Die schneebedeckten Stra&szlig;en im Zentrum der Stadt lagen ruhig. Nur ein
paar Bogenlampen brannten, und auf den B&uuml;rgersteigen eilten schnellen
Schrittes vereinzelte Fu&szlig;g&auml;nger vor&uuml;ber. Von der Ebene her
blies ein eisiger Wind, der durch Mark und Bein schnitt. Im ersten Hotel
betraten wir ein von zwei Kerzen k&uuml;mmerlich erleuchtetes B&uuml;ro.
&AElig;Jawohl, wir haben einige sehr komfortable Zimmer, nur sind alle Fenster
herausgeschossen. Falls ein bi&szlig;chen frische Luft die Herren nicht
geniert..." Auf der Twerskaja waren alle Schaufenster zerschlagen, allenthalben
in der Stra&szlig;e Granatl&ouml;cher und aufgew&uuml;hlte Pflastersteine.
Ein Hotel nach dem anderen, alles &uuml;berf&uuml;llt oder die Eigent&uuml;mer
noch immer so erschreckt, da&szlig; sie nichts anderes zu sagen vermochten,
als &AElig;nein nein, wir haben keinen Platz! Wir haben keinen Platz!" In
den Hauptstra&szlig;en, wo die gro&szlig;en Banken und
Gesch&auml;ftsh&auml;user lagen, hatte die Artillerie der Bolschewiki
gr&uuml;ndliche Arbeit geleistet. Ein Sowjetfunktion&auml;r erz&auml;hlte
mir: &AElig;Wenn wir nicht genau wu&szlig;ten, wo die Offizierssch&uuml;ler
und Wei&szlig;gardisten waren, bombardierten wir eben die Geldschr&auml;nke."
Im gro&szlig;en Hotel &AElig;National" nahm man uns dann endlich auf. Wir
waren Ausl&auml;nder, und das Revolution&auml;re Milit&auml;rkomitee hatte
versprochen, die Wohnsitze der Ausl&auml;nder zu sch&uuml;tzen. Der Hoteldirektor
f&uuml;hrte uns umher und zeigte uns eine Anzahl durch Schrapnellsch&uuml;sse
zertr&uuml;mmerte Fensterscheiben im Dachgescho&szlig;. &AElig;Diese Bestien!"
sagte er, die F&auml;uste ballend. &AElig;Aber nur Geduld! Ihre Zeit wird
kommen! In einigen Tagen wird ihre l&auml;cherliche Regierung st&uuml;rzen,
und dann werden wir's ihnen zeigen!"
<P>
Wir a&szlig;en in einem vegetarischen Restaurant, mit dem verlockenden Namen
&AElig;Ich esse Niemand" und einem auffallend gro&szlig;en Bild Tolstois
an der Wand. Dann eilten wir hinaus, die Stadt zu sehen. Der Hauptsitz des
Moskauer Sowjets befand sich in dem fr&uuml;heren Palast des Generalgouverneurs,
einem imposanten wei&szlig;en Bau, dessen Front nach dem Skobelewplatz zu
liegt. Vor dem Eingang standen Rotgardisten Wache. In der oberen Etage des
weiten regelm&auml;&szlig;igen Treppenhauses, dessen W&auml;nde mit der
Ank&uuml;ndigung von Komiteesitzungen und den Aufrufen der politischen Parteien
bedeckt waren, passierten wir mehrere vornehme Empfangss&auml;le mit zahllosen,
jetzt rot verh&auml;ngten Bildern in vergoldeten Rahmen und gelangten in
den pr&auml;chtigen Staatssalon mit seinen herrlichen Kristallkronleuchtern
und goldstrotzender Stuckverzierung. Ged&auml;mpftes Sprechen und das surrende
Gebrumm einiger zwanzig N&auml;hmaschinen f&uuml;llte den Saal. Riesige Ballen
roter und schwarzer Stoffe lagen entrollt und schl&auml;ngelten sich &uuml;ber
den Parkettboden und die Tische, an denen ein halbes Hundert Frauen sa&szlig;en,
die Fahnen und Banner f&uuml;r das Begr&auml;bnis der Revolutionsopfer
zuschnitten und n&auml;hten. Die Z&uuml;ge der Frauen waren herb und trugen
die Spuren der K&auml;mpfe des Proletarierdaseins. Sie arbeiteten mit Feuereifer,
mit vom Weinen ger&ouml;teten Augen. Die Verluste der Roten Armee waren schwer
gewesen. An einem Pult in einer Ecke sah ich Rogow, einen intelligenten
b&auml;rtigen Mann mit einer Brille, in der schwarzen Bluse eines Arbeiters.
Er lud uns ein, bei der am n&auml;chsten Morgen stattfindenden
Trauerdemonstration mit dem Zentralexekutivkomitee zu marschieren. &AElig;Den
Sozialrevolution&auml;ren und Menschewiki etwas beizubringen ist unm&ouml;glich!
Die k&ouml;nnen das Kompromisseln nun einmal nicht lassen! Stellen Sie sich
vor, sie haben uns ein gemeinsames Leichenbeg&auml;ngnis mit den
Offizierssch&uuml;lern vorgeschlagen!" Durch den Saal kam ein Mann in einem
zerlumpten Soldatenmantel, eine Soldatenm&uuml;tze auf dem Kopf, dessen Gesicht
mir vertraut schien. Ich erkannte Melnitschanski, den ich in Bayonne, New
Jersey, w&auml;hrend des gro&szlig;en Standard-Oil-Streiks als Uhrmacher
Georg Melcher kennengelernt hatte. Jetzt war er, wie er mir erz&auml;hlte,
Sekret&auml;r des Moskauer Metallarbeiterverbandes und seit den K&auml;mpfen
Kommissar des Revolution&auml;ren Milit&auml;rkomitees. &AElig;Da, schauen
Sie mich an", sagte er, auf seine abgerissene Kleidung weisend. &AElig;Ich
war mit den Jungen im Kreml, als die Offizierssch&uuml;ler zum erstenmal
gekommen sind. Sie haben mich in den Keller geworfen, mir Mantel, Geld und
Uhr, ja sogar den Ring vom Finger gestohlen! In solchen Lumpen mu&szlig;
ich jetzt herumlaufen!" Von ihm erfuhr ich eine F&uuml;lle von Einzelheiten
&uuml;ber die blutige Sechstageschlacht, die Moskau in zwei sich wutentbrannt
gegen&uuml;berstehende Lager gespalten hatte. Anders als in Petrograd, hatte
hier die Stadtduma das Oberkommando &uuml;ber die Offizierssch&uuml;ler und
Wei&szlig;gardisten &uuml;bernommen. Die Aktionen des Komitees f&uuml;r die
&ouml;ffentliche Sicherheit und die der Truppen unterstanden der Leitung
des B&uuml;rgermeisters Rudnew und des Dumapr&auml;sidenten Minor. Der
Stadtkommandant Rjabzew, ein mehr demokratisch gesinnter Mann, hatte anfangs
gez&ouml;gert, sich dem Revolution&auml;ren Milit&auml;rkomitee zu widersetzen,
sich dann aber dem Zwange der Duma gef&uuml;gt. Die Besetzung des Kreml war
auf Anraten des B&uuml;rgermeisters geschehen. &AElig;Sie werden es nie wagen,
euch dort zu beschie&szlig;en", hatte er gesagt. Ein Garnisonregiment, durch
lange Inaktivit&auml;t v&ouml;llig demoralisiert, war von beiden Seiten um
Hilfe angegangen worden. Die Soldaten des Regiments hielten eine Versammlung
ab, um zu beraten, wie sie sich verhalten sollten. Sie beschlossen, da&szlig;
das Regiment neutral bleiben und seiner gegenw&auml;rtigen Besch&auml;ftigung
nachgehen sollte - dem Handel mit Feuersteinen und Sonnenblumenkernen! &AElig;Das
Schlimmste aber war", sagte Melnitschanski, &AElig;da&szlig; wir unsere
Kr&auml;fte organisieren mu&szlig;ten, w&auml;hrend wir k&auml;mpften. Die
andere Seite wu&szlig;te genau, was sie wollte. Aber hier hatten die Soldaten
ihre Sowjets, und die Arbeiter hatten die ihren. Man stritt f&uuml;rchterlich
darum, wer das Oberkommando haben sollte. Manche Regimenter debattierten
tagelang, bevor sie zu einem Beschlu&szlig; kamen, und als uns die Offiziere
pl&ouml;tzlich verlie&szlig;en, hatten wir keinen Stab, der die K&auml;mpfe
leitete." Er schilderte mir lebendige kleine Episoden: An einem kalten, grauen
Tage hatte er an einer Ecke der Nikitskaja gestanden, &uuml;ber die ein Hagel
von Maschinengewehrfeuer ging. Eine Gruppe kleiner Jungen war dort versammelt
- Stra&szlig;enbuben, die sonst Zeitungen verkauften. Kreischend, aufgeregt,
als ob es sich um ein neues Spiel handelte, warteten sie ab, bis das
Schie&szlig;en etwas nachlie&szlig;, und rannten dann &uuml;ber die
Stra&szlig;e...Viele kamen dabei um, aber die &uuml;brigen rannten weiter
hin und her, lachend, sich gegenseitig herausfordernd.
<P>
Sp&auml;t am Abend ging ich zur Dworjanskoje Sobranije, dem Adelsklub, wo
eine Versammlung der Moskauer Bolschewiki stattfinden sollte, um zu h&ouml;ren,
was die aus dem Rate der Volkskommissare ausgetretenen Bolschewiki Nogin,
Rykow und einige andere zu ihrer Rechtfertigung vorzubringen h&auml;tten.
Die Versammlung fand im Theatersaal statt, wo unter dem alten Regime vor
einem auserlesenen Publikum von Offizieren und elegant gekleideten Damen
die neuesten franz&ouml;sischen Kom&ouml;dien gespielt zu werden pflegten.
Beim Beginn der Versammlung &uuml;berwogen die im Zentrum der Stadt wohnenden
Intellektuellen. Nogin sprach, und die Mehrzahl der Anwesenden stimmte ihm
zu. Sp&auml;t erst kamen die Arbeiter. Ihre Wohnungen lagen weit drau&szlig;en
an der Peripherie der Stadt, und die Stra&szlig;enbahnen fuhren nicht. Aber
gegen Mitternacht begannen sie in Trupps zu zehn oder zwanzig Mann in den
Saal zu str&ouml;men - gro&szlig;e, derbe Gestalten, die Kleider noch schmutzig
vom Kot der Sch&uuml;tzengr&auml;ben, wo sie sich eine Woche lang wie die
Teufel geschlagen und ihre Kameraden rechts und links neben sich hatten fallen
sehen. Die formelle Er&ouml;ffnung der Versammlung war kaum erfolgt, als
Nogin auch schon mit einem Hagel sp&ouml;ttischer und zorniger Zurufe
&uuml;bersch&uuml;ttet wurde. Vergebens versuchte er zu reden und
Erkl&auml;rungen abzugeben. Sie wollten ihn nicht h&ouml;ren. Er war aus
dem Rate der Volkskommissare ausgetreten, er hatte seinen Posten mitten im
Schlachtget&uuml;mmel verlassen! Was die b&uuml;rgerliche Presse anbelange,
die gebe es in Moskau &uuml;berhaupt nicht mehr; sogar die Stadtduma sei
aufgel&ouml;st worden. Bucharin sprach, wild, mit unerbittlicher Logik, jedes
Wort ein Hammerschlag. Ihm lauschten sie mit leuchtenden Augen. Mit gro&szlig;er
Mehrheit wurde eine Resolution angenommen, die das Vorgehen des Rates der
Volkskommissare guthie&szlig;. So sprach Moskau.
<P>
Sp&auml;t in der Nacht gingen wir durch die leeren Stra&szlig;en und das
Iberische Tor nach dem gro&szlig;en Roten Platz vor dem Kreml. Durch die
Dunkelheit schimmerten verschwommen die phantastischen Formen der
Basilius-Kathedrale mit ihren leuchtenden Kuppeln und T&uuml;rmen. Von
Besch&auml;digungen keine Spur. L&auml;ngs der einen Seite des Platzes erhoben
sich die dunklen Mauern des Kreml, darauf der flackernde Widerschein unsichtbarer
Feuer. Von jenseits des m&auml;chtigen Platzes drangen Stimmen zu uns, vermischt
mit dem Ger&auml;usch arbeitender Picken und Schaufeln. Wir gingen hin&uuml;ber.
Am Fu&szlig;e der Mauer t&uuml;rmten sich Berge von Erde und Steinen. Wir
kletterten hinauf und blickten in zwei m&auml;chtige Gruben, zehn bis
f&uuml;nfzehn Fu&szlig; tief und etwa vierzig Meter lang, wo gegen hundert
Arbeiter und Soldaten bei dem Scheine m&auml;chtiger Feuer schaufelten. Ein
junger Student sprach uns deutsch an: &AElig;Das Grab f&uuml;r unsere toten
Br&uuml;der!" erkl&auml;rte er. &AElig;Morgen werden wir hier f&uuml;nfhundert
Proletarier betten, die f&uuml;r die Revolution gestorben sind." Er half
uns die Grube hinunter. Eilig flogen die Picken und Schaufeln, und die Berge
Erde wuchsen h&ouml;her und h&ouml;her. Nicht einer der arbeitenden M&auml;nner
sprach ein Wort. &Uuml;ber ihnen war der sternen&uuml;bers&auml;te Himmel,
und die alten Mauer des Zarenkreml ragte gewaltig auf. &AElig;Hier an diesem
heiligen Ort", sagte der Student, &AElig;dem heiligsten in ganz Ru&szlig;land,
werden wir unser liebstes zur ewigen Ruhe betten. Hier, wo sich die Gr&auml;ber
der Zaren befinden, sollen unsere gefallenen Br&uuml;der schlafen." Er war
in den K&auml;mpfen verwundet worden und trug den Arm in der Schlinge. Er
blickte auf sie herunter. &AElig;Ihr Ausl&auml;nder seht auf uns Russen herab,
weil wir diese mittelalterliche Monarchie solange geduldet haben; aber wir
Russen wu&szlig;ten, da&szlig; der Zar nicht der einzige Tyrann in der Welt
war. Der Kapitalismus ist schlimmer, und er herrscht in der ganzen Welt.
Die Taktik der russischen Revolution&auml;re, das ist die richtige." Als
wir gingen, begannen die Arbeiter in den Gruben, ersch&ouml;pft und trotz
der K&auml;lte schwei&szlig;triefend, schwerf&auml;llig herauszuklettern.
&Uuml;ber den Platz kamen eilig neue Trupps. Die M&auml;nner sprangen in
die Gruben hinein, packten die Picken und Schaufeln und arbeiteten in tiefem
Schweigen. So l&ouml;sten die ganze Nacht hindurch Proletarier einander ab,
in rastloser Eile schaufelnd, und als &uuml;ber dem schneebedeckten weiten
Platz das Kalte Morgenlicht d&auml;mmerte, war das Massengrab fertig.
<P>
Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als wir schon wieder auf den Beinen
waren und durch die dunklen Stra&szlig;en nach dem Skobelewplatz eilten.
Wir sahen in der ganzen gro&szlig;en Stadt nicht einen Menschen; in der Luft
war aber ein kaum merkliches aufgeregtes Summen, wie von heranbrausendem
Sturm. Aus dem faden D&auml;mmerlicht tauchte eine kleine Gruppe von
M&auml;nnern und Frauen mit goldbeschriebenen roten Bannern auf - das
Zentralexekutivkomitee des Moskauer Sowjets. Es wurde allm&auml;hlich heller.
Das Summen in der Luft wurde lauter und tiefer und wuchs an zu einem
unaufh&ouml;rlichen wuchtigen Ba&szlig;. Die Stadt begann zu erwachen. Wir
marschierten die Twerskaja entlang, die wehenden Banner &uuml;ber uns. Die
kleinen Stra&szlig;enkapellen l&auml;ngs des Weges waren verschlossen und
finster. Verschlossen und finster war auch die Kapelle der Iberischen Jungfrau,
die jeder neue Zar zu besuchen pflegte, bevor er zum Kreml ging, im sich
dort selbst die Krone aufs Haupt zu setzen, und die sonst Tag und Nacht offen
stand, wimmelnd von Gl&auml;ubigen und strahlend im Glanze der von den Frommen
gestifteten Kerzen, dem Gold und Silber, den Juwelen der Heiligenbilder.
Zum ersten Male, seit Napoleon in Moskau gewesen, waren, so hie&szlig; es,
die Kerzen ausgegangen.
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Die Heilige Orthodoxe Kirche hatte ihre Gunst Moskau entzogen, dem &AElig;Neste
verruchten Otterngez&uuml;chts", das den Kreml zu bombardieren den verwegenen
Mut gehabt hatte. Schwarz und schweigend lagen die Kirchen. Die Priester
waren verschwunden. Keine Popen waren da, um bei dem roten Leichenbeg&auml;ngnis
den Gottesdienst zu halten. Niemand hatte die Toten eingesegnet. Keine Gebete
sollte &uuml;ber den Gr&auml;bern der &AElig;Gottesl&auml;sterer" gesprochen
werden! Tichon, der Metropolit von Moskau, bereitete die Exkommunikation
der Sowjets vor. Auch die L&auml;den waren geschlossen, und die besitzenden
Klassen blieben zu Hause; aber aus einem anderen Grunde: Das Volk war heute
auf der Stra&szlig;e, und sie zogen es vor, dem furchterweckenden Get&ouml;se
seines Aufmarsches fernzubleiben. Schon zog ein unabsehbarer Menschenstrom
durch das Iberische Tor. Tausende standen auf dem Roten Platz. An der Iberischen
Kapelle, wo sonst niemand vorbeiging, ohne sich zu bekreuzigen, str&ouml;mten
die Massen heute achtlos vor&uuml;ber. Mit M&uuml;he bahnten wir uns einen
Weg durch die sich an der Kremlmauer stauenden Massen und erkletterten eine
Erdh&uuml;gel. Dort standen schon mehrere M&auml;nner, unter ihnen Muralow,
der zum Moskauer Stadtkommandanten gew&auml;hlte Soldat, ein einfach
ausschauender b&auml;rtiger Mensch mit sanftem Gesicht. Aus allen Stra&szlig;en
w&auml;lzten sich jetzt die Massen heran, zu Tausenden und aber Tausenden
den m&auml;chtigen Platz f&uuml;llend, in der &uuml;berwiegenden Mehrzahl
Proletarier. Eine Milit&auml;rkapelle marschierte auf, spielte die
Internationale, und pl&ouml;tzlich stieg, sich schnell &uuml;ber den Platz
verbreitend, gemessener und feierlicher Gesang empor. Von der Kremlmauer
herab hingen gigantische Banner mit goldenen und wei&szlig;en Inschriften:
&AElig;Den M&auml;rtyrern der Avantgarde der sozialistischen Weltrevolution"
und &AElig;Es lebe der Bruderbund der Arbeiter der ganzen Welt". Ein eisiger
Wind fegte &uuml;ber den Platz, zerrte an den Bannern. Jetzt kamen aus den
entfernteren Stadtvierteln die Arbeiter der verschiedenen Fabriken mit ihren
Toten. Wir sahen sie durch das Tor marschieren, mit ihren leuchtenden Bannern
und den dunkleren blutfarbenen S&auml;rgen. Diese waren aus ungehobeltem
Holz roh zusammengeschlagene und rot &uuml;bert&uuml;nchte K&auml;sten, hoch
auf den Schultern rauher Gestalten getragen, denen unaufhaltsam die Tr&auml;nen
&uuml;ber die Wangen rannen. Frauen folgten, herzzerbrechend schluchzend
und jammernd oder mit versteinerten, totenblassen Gesichtern. Einige der
S&auml;rge waren offen, und die Deckel wurden hinterhergetragen. Andere waren
mit gold- oder silberdurchwirktem Tuch bedeckt oder trugen eine auf den Deckel
genagelte Soldatenm&uuml;tze. Dazu unz&auml;hlige aus h&auml;&szlig;liche
k&uuml;nstlichen Blumen gefertigte Kr&auml;nze.
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Langsam bewegte sich die Prozession auf uns zu, durch eine
unregelm&auml;&szlig;ige schmale Gasse, die sich &ouml;ffnete und wieder
schlo&szlig;. Jetzt kam durch das Tor ein endloser Zug von roten Bannern
in allen Schattierungen mit silbernen und goldenen Inschriften und
herabh&auml;ngendem schwarzen Flor, dazwischen einige anarchistische Fahnen,
schwarz, mit wei&szlig;en Inschriften. Das Orchester spielte den
revolution&auml;ren Trauermarsch, und wieder erhob sich, hinrei&szlig;end
und feierlich, mit unterdr&uuml;cktem Schluchzen, der Gesang der barh&auml;uptig
stehenden Menge. Zwischen den Arbeitern marschierten Kompanien Soldaten,
gleichfalls mit ihren S&auml;rgen, Kavallerieschwadronen, salutierend, und
Batterien Artillerie, ihre Gesch&uuml;tze rot und schwarz umwunden - f&uuml;r
immer, wie es schien. Auf ihren Bannern die Losungen: &AElig;Es lebe die
Dritte Internationale!" &AElig;Wir wollen einen gerechten, allgemeinen ,
demokratischen Frieden!" Langsam n&auml;herte sich der Zug mit den S&auml;rgen
dem Grab, und die Tr&auml;ger - unter ihnen viele Frauen, untersetzte,
kr&auml;ftige Proletarierinnen - erklommen mit ihrer Last die Erdh&uuml;gel
und stiegen hinunter in die Gruft. Hinter den Toten kamen andere Frauen,
junge, vom Kummer gebrochene, oder alte verhutzelte M&uuml;tterchen,
herzzerbrechend jammernd, die ihren S&ouml;hnen und Gatten in das Massengrab
zu folgen versuchten und schrien, wenn mitleidsvolle H&auml;nde sie
zur&uuml;ckrissen. Den ganzen Tag hindurch w&auml;hrte die Trauerprozession,
w&auml;lzte sich durch das Iberische Tor und verlie&szlig; den Platz wieder
durch die Nikolskaja, ein nicht enden wollender Strom roter Banner mit
Inschriften der Hoffnung und Bruderliebe und k&uuml;hnen Prophezeiungen,
vorbei an den f&uuml;nfzigtausend am Grabe stehenden Menschen - und die
Werkt&auml;tigen der ganzen Welt und ihre Nachkommen blicken auf diese Banner
f&uuml;r alle Zeiten.
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Einer nach dem anderen sanken die f&uuml;nfhundert S&auml;rge in die Gruft.
Die D&auml;mmerung fiel, und noch immer wehten und flatterten die Banner;
das Orchester spielte den Trauermarsch, und die vielen Versammelten sangen.
In den kahlen Zweigen der B&auml;ume &uuml;ber dem Grab hingen die Kr&auml;nze
gleich fremdartigen Blumen. Zweihundert Mann begannen das Grab zuzuschaufeln.
Dumpf dr&ouml;hnte die herabfallende Erde, den Gesang &uuml;bert&ouml;nend.
Die Lichter erloschen. Das letzte Banner zog vor&uuml;ber, die letzte
schluchzende Frau blickte noch einmal starr zur&uuml;ck. Langsam verebbte
auf dem gro&szlig;en Platz die proletarische Flut. Pl&ouml;tzlich wurde mit
klar, da&szlig; das fromme russische Volk keine Priester mehr brauchte, um
sich das Himmelreich zu erflehen. Auf Erden bauten sie an einem Reich,
sch&ouml;ner, als es der Himmel je sein konnte, und f&uuml;r ein solches
Reich lohnte es sich zu sterben.
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