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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<TITLE>Rosa Luxemburg - Einf&uuml;hrung in die National&ouml;konomie - III. 1</TITLE>
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<!--Hier war ein unzureichend terminierter Kommentar -->
<P ALIGN="CENTER"><A HREF="lu05_687.htm"><FONT SIZE=2>III. 3</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="lu05_en.htm"><FONT SIZE=2>Inhalt</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="lu05_708.htm"><FONT SIZE=2>III. 2</FONT></A></P>
<FONT SIZE=2><P>Rosa Luxemburg - Gesammelte Werke. Herausgegeben vom Institut f&uuml;r Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Band 5. Berlin/DDR. 1975. "Einf&uuml;hrung in die National&ouml;konomie", S. 697-708.</P>
<P>1. Korrektur<BR>
Erstellt am 06.01.1999.</FONT> </P>
<FONT SIZE=4><P ALIGN="CENTER">III</P>
<I><P ALIGN="CENTER">[Die Warenproduktion]</P>
</I></FONT><B><P><A NAME="S697">|697|</A></B> Die Aufgabe, die wir uns gestellt haben, ist die: Eine Gesellschaft kann nicht existieren ohne gemeinschaftliche Arbeit, das hei&szlig;t ohne Arbeit mit Plan u[nd] Organisation. Wir haben auch zu allen Zeiten die versch[iedensten] Formen gefunden. - In der <A NAME="S698"><B>|698|</A></B> heutigen Gesellschaft finden wir gar keine: weder Herrschaft noch Gesetz, noch Demok[ratie], keine Spur von Plan u[nd] Org[anisation] - Anarchie. Wie ist die kap[italistische] Ges[ellschaft] m&ouml;glich?</P>
<FONT SIZE=4><P ALIGN="CENTER">1</P>
</FONT><P>Um dem Bau des kapitalistischen Babelturms auf die Spur zu kommen, stellen wir uns erst f&uuml;r einen Augenblick wieder eine Gesellschaft mit planm&auml;&szlig;iger Organisation der Arbeit vor. Es sei dies eine Gesellschaft mit hochentwickelter Arbeitsteilung, wo nicht nur die Landwirtschaft und das Gewerbe getrennt, sondern auch innerhalb beider jeder besondere Zweig zur Spezialit&auml;t besonderer Gruppen von Arbeitenden geworden ist.<A NAME="ZF1"><A HREF="lu05_697.htm#F1">[1]</A></A> In der Gesellschaft gibt es also Landwirte und F&ouml;rster, Fischer und G&auml;rtner, Schuster und Schneider, Schlosser und Schmiede, Spinner und Weber usw. usw. Die Gesellschaft im ganzen ist also mit jeder Art Arbeit und jeder Art Produkten versehen. Diese Produkte kommen in gr&ouml;&szlig;erer oder geringerer Menge allen Mitgliedern der Gesellschaft zugute, denn die Arbeit ist eine gemeinschaftliche, sie ist geteilt und von vornherein planm&auml;&szlig;ig organisiert durch irgendeine Autorit&auml;t - sei dies das despotische Gesetz der Regierung oder sei dies die Leibeigenschaft oder irgendeine andere Form der Organisation. Zur Vereinfachung stellen wir uns indes vor, dies sei eine kommunistische Gemeinde mit Gemeineigentum, wie wir sie bereits an dem indischen Beispiel kennengelernt haben. Wir setzen nur f&uuml;r einen Augenblick voraus, da&szlig; die Arbeitsteilung innerhalb dieser Gemeinde viel weiter gediehen ist, als dies geschichtlich der Wahrheit entspricht, und nehmen an, da&szlig; ein Teil der Gemeindemitglieder sich ausschlie&szlig;lich der Landwirtschaft widmet, w&auml;hrend jede andere Art Arbeit von speziellen Handwerkern verfertigt wird. Die Wirtschaft dieser Gemeinde ist uns ganz klar: Es sind die Gemeindemitglieder selbst, die alle den Grund und Boden und s&auml;mtliche Produktionsmittel gemeinsam besitzen, ihr gemeinsamer Wille bestimmt auch, was, wann und wieviel von jedem Produkt hergestellt werden soll. Die fertige Produktenmasse wird aber, da sie gleichfalls allen zusammen geh&ouml;rt, unter alle nach Ma&szlig;gabe der Bed&uuml;rfnisse verteilt. Nun aber stellen wir uns vor, da&szlig; in dieser so beschaffenen kommunistischen Gemeinde eines sch&ouml;nen Morgens das Gemeineigentum aufgeh&ouml;rt hat zu existieren und damit auch die gemeinsame Arbeit und der gemeinsame Wille, der sie regelte. Die einmal erreichte hochentwickelte Arbeitsteilung ist selbstverst&auml;ndlich geblieben. <A NAME="S699"><B>|699|</A></B> Der Schuster sitzt an seinem Leisten, der B&auml;cker hat nichts und versteht nichts als seinen Backofen, der Schmied hat nur die Schmiede und wei&szlig; nur den Hammer zu schwingen usw. usw. Aber die Kette, die fr&uuml;her alle diese Spezialarbeiten zu einer gemeinschaftlichen Arbeit, zur gesellschaftlichen Wirtschaft verband, ist gesprungen. Nun ist jeder auf sich gestellt: der Landwirt, der Schuster, der B&auml;cker, der Schlosser, der Weber usw. Jeder ist ein v&ouml;llig freier, unabh&auml;ngiger Mensch. Die Gemeinde hat ihm nichts mehr zu sagen, niemand kann ihm befehlen, f&uuml;r die Gesamtheit zu arbeiten, niemand k&uuml;mmert sich aber auch um seine Bed&uuml;rfnisse. Die Gemeinde, die ein Ganzes war, ist in einzelne Atome, in einzelne Partikelchen zerfallen, wie ein in tausend Splitter zertr&uuml;mmerter Spiegel; jeder Mensch schwebt nun gewisserma&szlig;en wie ein losgel&ouml;stes St&auml;ubchen in der Luft und mag sehen, wie er auskommt. Was wird nun die Gemeinde, in der eine solche Katastrophe &uuml;ber Nacht vorgegangen ist, was werden all die sich selbst &uuml;berlassenen Menschen am andern Morgen anfangen? Sicher ist zun&auml;chst das eine: Sie werden am andern Morgen vor allem - arbeiten, genau wie sie es fr&uuml;her getan. Denn solange ohne Arbeit die menschlichen Bed&uuml;rfnisse nicht befriedigt werden k&ouml;nnen, mu&szlig; jede menschliche Gesellschaft arbeiten. Welche Umw&auml;lzungen und Ver&auml;nderungen in der Gesellschaft auch vorgehen, die Arbeit kann nicht einen Augenblick ruhen. Die ehemaligen Mitglieder des kommunistischen Gemeinwesens w&uuml;rden also, auch nachdem
<P>Aber es ist dies eben eine ganz neue, eigent&uuml;mliche Art und Weise der gesellschaftlichen Zusammenarbeit, und wir m&uuml;ssen sie uns n&auml;her betrachten. Jeder einzelne Mensch arbeitet jetzt auf eigene Faust, er produziert f&uuml;r eigene Rechnung, nach eigenem Willen und Ermessen. Er mu&szlig; jetzt, um zu leben, Produkte herstellen, die er nicht braucht, sondern die andere brauchen. Jeder arbeitet somit f&uuml;r andere. Das ist an sich nichts Besonderes und nichts Neues. Auch in der kommunistischen Gemeinde arbeiteten alle f&uuml;reinander. Das Besondere aber ist, da&szlig; jetzt jeder sein Produkt an andere nur im Tausch hergibt und Produkte anderer nur auf dem Wege des Tausches kriegen kann. Jeder mu&szlig; jetzt also, um zu Produkten, die er braucht, zu gelangen, durch eigene Arbeit Produkte herstellen, die zum <A NAME="S701"><B>|701|</A></B> Austausch bestimmt sind. Der Schuster mu&szlig; fortw&auml;hrend Schuhe produzieren, die er selbst gar nicht braucht, die f&uuml;r ihn ganz nutzlos, weggeworfene Arbeit sind. Sie haben f&uuml;r ihn nur den Nutzen und Zweck, da&szlig; er sie gegen andere Produkte, die er braucht, eintauschen kann. Er produziert also im voraus seine Stiefel zum Austausch, das hei&szlig;t, er produziert sie als Ware. Jeder kann jetzt nur dann seine Bed&uuml;rfnisse befriedigen, das hei&szlig;t zu Produkten, die andere hergestellt haben, gelangen, wenn er seinerseits mit einem Produkt erscheint, das andere brauchen und das er zu diesem Zweck mit seiner Arbeit hergestellt hat, das hei&szlig;t, jeder gelangt zu seinem Anteil an den Produkten aller anderen, an dem gesellschaftlichen Produkt, wenn er selbst mit einer Ware erscheint. Das von ihm selbst f&uuml;r den Tausch verfertigte Produkt ist jetzt sein Forderungsrecht auf einen Teil des gesellschaftlichen Gesamtprodukts. Das gesellschaftliche Gesamtprodukt existiert jetzt zwar nicht mehr in der fr&uuml;heren Form wie in der kommunistischen Gemeinde, wo es direkt in seiner Masse, in seiner Ganzheit den Reichtum der Gemeinde darstellte und dann erst verteilt wurde. Das hei&szlig;t, es wurde von allen gemeinschaftlich f&uuml;r die Rechnung der Gemeinde und unter der Leitung der Gemeinde gearbeitet, und was produziert war, kam also schon zur Welt als gesellschaftliches Produkt. Dann folgte erst die Verteilung des gemeinsamen Produkts an die einzelnen, und dann trat das Produkt erst in den Privatgebrauch einzelner Gemeindemitglieder. Jetzt wird umgekehrt verfahren: Jeder produziert als einzelner Privatmensch auf eigene Faust, und erst die fertigen Produkte bilden im Austausch zusammen eine Summe, die man als gesellschaftlichen Reichtum betrachten kann. Der Anteil eines jeden, sowohl an der gesellschaftlichen Arbeit wie an dem gesellschaftlichen Reichtum, wird nun dargestellt durch die spezielle Ware, die er mir seiner Arbeit angefertigt und zum Tausch mit anderen gebracht hat. Der Anteil eines jeden an der gesellschaftlichen Gesamtarbeit wird jetzt also nicht mehr in einem gewissen Quantum ihm im voraus zugewiesener Arbeit dargestellt, sondern im fertigen Produkt, in der Ware, die er nach seinem freien Ermessen liefert.<A NAME="ZF2"><A HREF="lu05_697.htm#F2">[2]</A></A> Wenn er nicht will, braucht er gar nicht zu arbeiten, er kann nur spazierengehen, niemand wird ihn daf&uuml;r schelten oder in Strafe nehmen, wie dies wohl mit den renitenten Mitgliedern der kommunistischen Gemeinde geschah, wo Faulenzer wahrscheinlich vom "Haupteinwohner", dem Haupt der Gemeinde, scharf ermahnt oder auch auf der Gemeindeversammlung der &ouml;ffentlichen Verachtung preisgegeben wurden. Jetzt ist jeder Mensch <A NAME="S702"><B>|702|</A></B> sein unumschr&auml;nkter freier Herr, die Gemeinde existiert nicht als Autorit&auml;t. Aber wenn er nicht arbeitet, kriegt er auch nichts zum Tausch von den Produkten der Arbeit anderer. Andererseits aber ist heute der einzelne gar nicht einmal sicher, wenn er noch so flei&szlig;ig arbeitet, da&szlig; er zu den ihm notwendigen Lebensmitteln kommt; denn niemand ist ja gezwungen, ihm solche zu geben, auch gegen seine Produkte.
<P>Jetzt mu&szlig; also jeder, um sich an den Fr&uuml;chten der gesellschaftlichen Produktion, also auch an der gesellschaftlichen Arbeit zu beteiligen, <I>Waren </I>produzieren. Da&szlig; seine Arbeit aber als tats&auml;chlich gesellschaftlich not- <A NAME="S703"><B>|703|</A></B> wendige Arbeit anerkannt wird, sagt ihm niemand, sondern das erf&auml;hrt er daraus, da&szlig; seine Ware in Tausch genommen, da&szlig; sie austauschbar wird. Sein Anteil an der Arbeit und an dem Produkt der Gesamtheit wird also nur dadurch gesichert, da&szlig; seinen Produkten der Stempel der gesellschaftlich notwendigen Arbeit aufgedr&uuml;ckt wird, der Stempel des Tauschwerts.<A NAME="ZF3"><A HREF="lu05_697.htm#F3">[3]</A></A> Bleibt sein Produkt unaustauschbar, dann hat er ein wertloses Produkt geschaffen, dann war seine Arbeit gesellschaftlich &uuml;berfl&uuml;ssig. Dann ist er auch nur ein Privatschuster, der zum eigenen Zeitvertreib Leder verschnitt und Stiefel pfuschte, ein Privatschuster, der gewisserma&szlig;en au&szlig;erhalb der Gesellschaft steht; denn die Gesellschaft will nichts von seinem Produkt wissen, und deshalb sind ihm auch die Produkte der Gesellschaft unzug&auml;nglich. Hat unser Schuster heute seine Stiefel gl&uuml;cklich umgetauscht und hat er Lebensmittel daf&uuml;r gekriegt, so kann er nicht nur ges&auml;ttigt und gekleidet, sondern auch stolz heimkehren: Er ist als n&uuml;tzliches Mitglied der Gesellschaft, seine Arbeit als notwendige Arbeit anerkannt worden. Kehrt er aber mit seinen Stiefeln zur&uuml;ck, weil sie ihm niemand abnehmen wollte, dann hat er allen Grund, melancholisch zu sein, denn er bleibt ohne Suppe, und zugleich hat man ihm dadurch gewisserma&szlig;en, wenn auch mit kaltem Schweigen, erkl&auml;rt; Die Gesellschaft braucht dich nicht, Freundchen, deine Arbeit war gar nicht notwendig, du [bist] also ein &uuml;berfl&uuml;ssiger Mensch, der sich ruhig aufh&auml;ngen kann. Den Anschlu&szlig; an die Gesellschaft gibt unserm Schuster also jedesmal nur ein Paar austauschbare Stiefel, allgemein gesprochen, eine Ware von Tauschwert. Aber genau in derselben Lage wie unser Schuster befinden sich der B&auml;cker, der Weber, der Landmann - alle.<A NAME="ZF4"><A HREF="lu05_697.htm#F4">[4]</A></A> Die Gesellschaft, die den Schuster bald anerkennt, bald schn&ouml;de und kalt ausst&ouml;&szlig;t, ist ja nur die Summe all dieser einzelnen Warenproduzenten, die gegenseitig f&uuml;r den Tausch arbeiten. Die Summe gesellschaftliche Arbeit und gesellschaftliches Produkt, die auf diese Weise zustande kommt, gleicht jetzt deshalb gar nicht der Summe aller Arbeiten und Produkte einzelner Mitglieder, wie das fr&uuml;her bei der kommunistischen, gemeinschaftlichen Wirtschaft der Fall war. Denn jetzt kann dieser <A NAME="S704"><B>|704|</A></B> oder jener flei&szlig;ig arbeiten, und sein Produkt ist doch, wenn es keinen Abnehmer zum Tausch findet, ein weggeworfenes, z&auml;hlt gar nicht. Nur der Austausch bestimmt, was f&uuml;r Arbeiten und was f&uuml;r Produkte notwendig waren, also gesellschaftlich z&auml;hlen. Es ist gleichsam, als wenn alle erst zu Hause blindlings darauflosarbeiteten, dann ihre fertigen Privatprodukte auf einen Platz zusammenschleppten und hier die Sachen gesichtet werden, dann wird erst ein Stempel aufgedr&uuml;ckt: Dies und das waren gesellschaftlich notwendige Arbeiten und werden im Tausch angenommen, jenes aber waren nicht notwendige, sind also null und nichtig. Dieser Stempel besagt: Dies und das hat Wert, jenes ist wertlos und bleibt Privatvergn&uuml;gen respektive -pech des Betreffenden.</P>
<P>Fassen wir die verschiedenen Einzelheiten zusammen, so ergibt sich, da&szlig; durch die blo&szlig;e Tatsache des Warenaustausches, ohne jede andere Einmischung oder Regelung, dreierlei wichtige Verh&auml;ltnisse bestimmt werden:</P>
<P>1. <I>der Anteil </I>jedes Mitgliedes der Gesellschaft an der gesellschaftlichen <I>Arbeit</I>. Dieser Anteil, nach Art und Ma&szlig;, wird ihm nicht mehr von vornherein von der Gemeinde zugewiesen, sondern nur post festum, am fertigen Produkt akzeptiert oder nicht akzeptiert. Fr&uuml;her war jedes einzelne Paar Stiefel, das unser Schuster anfertigte, unmittelbar und im voraus, schon auf dem Leisten, gesellschaftliche Arbeit. Jetzt sind seine Stiefel zun&auml;chst Privatarbeit, die niemanden was angeht. Dann werden sie erst auf dem Tauschmarkt gesichtet, und nur insofern sie in Tausch genommen werden, wird die auf sie verwendete Arbeit des Schusters als gesellschaftliche Arbeit anerkannt. Anders bleiben [sie] seine Privatarbeit und sind wertlos;</P>
<P>2. <I>der Anteil </I>jedes Mitglieds am gesellschaftlichen <I>Reichtum</I>. Vorher kriegte der Schuster seinen Teil der in der Gemeinde verfertigten Produkte bei der Verteilung. Dies wurde bemessen: erstens nach der allgemeinen Wohlhabenheit, nach dem jedesmaligen Stand des Verm&ouml;gens der Gemeinde, zweitens nach den Bed&uuml;rfnissen der Mitglieder. Eine zahlreichere Familie mu&szlig;te mehr kriegen als eine wenig zahlreiche. Bei der Verteilung der eroberten L&auml;ndereien unter den germanischen St&auml;mmen, die zur Zeit der V&ouml;lkerwanderung nach Europa kamen und auf den Tr&uuml;mmern des r&ouml;mischen Reiches sich niederlie&szlig;en, spielte auch die Gr&ouml;&szlig;e der Familie eine Rolle. Die russische Gemeinde, die noch in den achtziger Jahren hie und da Umteilungen ihres Gemeineigentums vornahm, zog dabei die Kopfzahl, die Zahl der "M&auml;uler" jedes Hausstandes in Betracht. Bei der allgemeinen Herrschaft des Austausches f&auml;llt jedes Verh&auml;ltnis zwischen dem Bed&uuml;rfnis des Gesellschaftsmitgliedes und seinem Anteil an <A NAME="S705"><B>|705|</A></B> Reichtum weg sowie zwischen diesem Anteil und der Gr&ouml;&szlig;e des Gesamtreichtums der Gesellschaft. Jetzt wird nur das von jedem Mitglied auf dem Warenmarkt pr&auml;sentierte Produkt, und nur sofern es im Tausch als gesellschaftlich notwendiges akzeptiert wird, ma&szlig;gebend f&uuml;r seinen Anteil am gesellschaftlichen Reichtum;</P>
<P>3. endlich wird durch den Mechanismus des Austausches selbst auch die gesellschaftliche <I>Arbeitsteilung </I>geregelt. Fr&uuml;her bestimmte die Gemeinde, sie brauche soundso viele Ackerknechte, soundso viele Schuster, B&auml;cker, Schlosser und Schmiede usw. Die richtige Proportion zwischen den einzelnen Gewerben wie die Sorge daf&uuml;r, da&szlig; alle n&ouml;tigen Arbeitszweige ausge&uuml;bt werden, lag der Gemeinde und ihren gew&auml;hlten Beamten ob. Sie kennen auch wohl den ber&uuml;hmten Fall, wo die Vertreter einer Dorfgemeinde darum baten, man solle einen zum Tode verurteilten Schlosser freilassen und daf&uuml;r lieber einen Schmied h&auml;ngen, deren es zwei im Dorfe gab. Das ist ein gl&auml;nzendes Beispiel der &ouml;ffentlichen Sorge f&uuml;r die richtige Arbeitsteilung in einem Gemeinwesen. (&Uuml;brigens sahen wir, wie im Mittelalter Kaiser Karl ausdr&uuml;cklich die Arten der Handwerker und ihre Zahl f&uuml;r seine G&uuml;ter vorschrieb. Wir sahen auch, wie in den mittelalterlichen St&auml;dten das Zunftreglement daf&uuml;r sorgte, da&szlig; die einzelnen Gewerbe im richtigen Ma&szlig; ausge&uuml;bt wurden, und lud fehlende Handwerker von ausw&auml;rts in die Stadt ein.) Bei freiem und unbeschr&auml;nktem Austausch wird dies durch den Austausch selbst geregelt. Jetzt hei&szlig;t unseren Schuster niemand schustern. Will er, so kann er Seifenblasen produzieren oder papierene Drachen. Er kann sich aber auch, wenn es ihm einf&auml;llt, statt auf Stiefelmachen aufs Weben, Spinnen oder auf die Goldschmiedekunst verlegen. Niemand sagt ihm, da&szlig; ihn die Gesellschaft &uuml;berhaupt und da&szlig; sie ihn speziell als Schuster braucht. Freilich braucht die Gesellschaft im allgemeinen Schuhwerk. Aber wieviel Schuster dieses Bed&uuml;rfnis decken k&ouml;nnen, bestimmt jetzt niemand. Ob also der gegebene Schuster n&ouml;tig ist, ob nicht vielmehr ein Weber oder Schmied fehlt, das sagt unserm Schuster niemand. Aber was ihm niemand sagt, das erf&auml;hrt er wieder einzig und allein auf dem Warenmarkt. Werden seine Schuhe in Tausch genommen, so wei&szlig; er, da&szlig; die Gesellschaft ihn als Schuster braucht. Und umgekehrt. Er kann die beste Ware anfertigen, wenn aber andere Schuster gen&uuml;gend den Bedarf gedeckt haben, so ist seine Ware &uuml;berfl&uuml;ssig. Wiederholt sich das, so mu&szlig; er sein Gewerbe aufgeben. Der &uuml;berz&auml;hlige Schuster wird von der Gesellschaft in derselben mechanischen Weise ausgeschieden, wie etwa &uuml;berfl&uuml;ssige Stoffe aus dem tierischen K&ouml;rper ausgeschieden werden: indem seine Arbeit nicht als gesellschaftliche Arbeit akzeptiert, er also auf <A NAME="S706"><B>|706|</A></B> den Aussterbeetat gesetzt wird. Derselbe Zwang, austauschbare Produkte f&uuml;r andere als Existenzbedingung f&uuml;r sich zu produzieren, wird unseren ausrangierten Schuster schlie&szlig;lich in ein anderes Gewerbe f&uuml;hren, wo ein starker und nicht gen&uuml;gend gedeckter Bedarf existiert, sagen wir zur Weberei oder zum Rollfuhrwerk, und so wird hier der Fehlbetrag an Arbeitskr&auml;ften ausgef&uuml;llt. Auf dieselbe Weise wird aber nicht nur richtige Proportion unter den Gewerben eingehalten, sondern werden auch die Gewerbe selbst abgeschafft und neu geschaffen. Wenn ein Bed&uuml;rfnis in der Gesellschaft aufh&ouml;rt oder durch andere Produkte als bisher gedeckt wird, so wird das nicht etwa, wie in der fr&uuml;heren kommunistischen Gemeinde, von den Mitgliedern festgestellt und entsprechend die Arbeitenden von einem Gewerbe zur&uuml;ckgezogen und anders verwendet. Es &auml;u&szlig;ert sich dies einfach in der Unaustauschbarkeit der veralteten Produkte. Noch im 17. Jahrhundert bildeten die Per&uuml;ckenmacher ein Handwerk, das in keiner Stadt fehlen durfte. Nachdem jedoch die Mode gewechselt hat und man aufgeh&ouml;rt hat, Per&uuml;cken zu tragen, ist das Gewerbe einfach durch die Unverk&auml;uflichkeit der Per&uuml;cken eines nat&uuml;rlichen Todes gestorben. Mit der Verbreitung der Kanalisation in den modernen St&auml;dten und der Wasserleitungen, die jede Wohnung mechanisch mit Wa
<P>Sie sehen, wir haben in unserer Gemeinde, die nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regiments, des Gemeineigentums, nach dem Verschwinden jeglicher Autorit&auml;t im Wirtschaftsleben, jeglicher Organisation und Planm&auml;&szlig;igkeit in der Arbeit, jeglicher Bande unter den ein- <A NAME="S707"><B>|707|</A></B> zelnen Mitgliedern, die nach dieser Katastrophe am anderen Morgen zun&auml;chst ganz hoffnungslos aussah, allm&auml;hlich wieder einen gewissen Zusammenhang, eine gewisse Ordnung erstehen lassen, und zwar auf eine ganz mechanische Weise. Ohne irgendeine Verst&auml;ndigung unter den einzelnen Mitgliedern, ohne Einmischung irgendeiner h&ouml;heren Macht f&uuml;gten sich nun schlecht oder recht die einzelnen Splitter zum Ganzen. Der Austausch selbst reguliert nun in mechanischer Weise, gleichsam wie eine Art Pumpwerk, die ganze Wirtschaft: Er schafft zwischen den einzelnen Produzenten ein Band, er zwingt sie zur Arbeit, er regelt ihre Arbeitsteilung, er bestimmt ihren Reichtum und die Verteilung dieses Reichtums. Der Austausch regiert die Gesellschaft. Es ist freilich eine etwas seltsame Ordnung, die jetzt vor unseren Augen erstanden ist. Die Gesellschaft sieht jetzt v&ouml;llig anders aus als fr&uuml;her unter dem Regime der kommunistischen Gemeinde. Damals war sie ein kompaktes Ganzes, eine Art gro&szlig;er Familie, deren Glieder alle miteinander verwachsen waren und z&auml;h zusammenhielten, ein fester Organismus, ja sogar ein verkn&ouml;cherter, ziemlich unbeweglicher und starrer Organismus. Jetzt ist das ein &auml;u&szlig;erst lockeres Gebilde, in dem die Einzelglieder aller Augenblicke auseinanderfallen und sich wieder zusammenschlie&szlig;en. In der Tat, wir haben gesehen, da&szlig; unserem Schuster niemand sagt, <I>da&szlig; </I>er arbeiten, <I>was </I>er arbeiten, <I>wieviel </I>er arbeiten soll. Niemand fragt andererseits auch, ob er Lebensmittel braucht, welche er braucht, wieviel er braucht. Niemand k&uuml;mmert sich um ihn, er existiert f&uuml;r die Gesellschaft nicht. Er meldet der Gesellschaft seine Existenz dadurch, da&szlig; er auf dem Warenmarkt mit einem Produkt seiner Arbeit erscheint. Seine Existenz wird akzeptiert, wenn seine Ware akzeptiert wird. Seine Arbeit wird f&uuml;r gesellschaftlich notwendig, er also als ihr arbeitendes Glied anerkannt, nur, insofern seine Stiefel in Tausch genommen werden. Er kriegt Lebensmittel aus dem gesellschaftlichen Reichtum nur, insofern seine Stiefel als Ware angenommen werden. Als Privatperson ist er also kein Gesellschaftsmitglied, ebenso seine Arbeit als Privatarbeit noch keine gesellschaftliche. Er wird erst Gesellschaftsmitglied nur, insofern er austauschbare Produkte, Waren, anfertigt, und nur, solange er solche hat und ver&auml;u&szlig;ern kann. Jedes ausgetauschte Paar Stiefel macht ihn zum Gesellschaftsmitglied, und jedes unverk&auml;ufliche Paar Stiefel schlie&szlig;t ihn wieder aus der Gesellschaft aus. Der Schuster hat also als solcher, als Mensch, keine Verbindung mit der Gesellschaft, seine Stiefel erst geben ihm Anschlu&szlig; an die Gesellschaft, und dies nur, sofern sie Tauschwert haben, als Ware verk&auml;uflich sind. Das ist also kein st&auml;ndiger Anschlu&szlig;, sondern ein immer erneuerter und immer wieder sich aufl&ouml;sen- <B>|708|</B> der. In derselben Lage sind aber neben unserem Schuster alle anderen Warenproduzenten. Und es gibt ja niemanden in der Gesellschaft als Warenproduzenten, denn nur im Tausch erlangt man Mittel zum Leben; um solche zu bekommen, mu&szlig; also jeder mit Waren erscheinen. Das Warenproduzieren ist Lebensbedingung, und so ergibt sich ein Gesellschaftszustand, bei dem alle Menschen ihr Einzeldasein f&uuml;hren als ganz losgel&ouml;ste Individuen, die f&uuml;reinander nicht existieren und die nur durch ihre Waren fortw&auml;hrend abwechselnd Anschlu&szlig; an die Gesamtheit bekommen oder aus diesem Anschlu&szlig; wieder ausgeschaltet werden. Es ist dies eine h&ouml;chst lockere und bewegliche, im unaufh&ouml;rlichen Wirbel ihrer Einzelglieder begriffene Gesellschaft.</P>
<P>Wir sehen, die Abschaffung der planm&auml;&szlig;igen Wirtschaft und die Einf&uuml;hrung des Austausches hat eine ganze Umw&auml;lzung in den gesellschaftlichen Verh&auml;ltnissen der Menschen herbeigef&uuml;hrt, sie hat die Gesellschaft an Kopf und Gliedern umgewandelt.</P>
<P><HR></P>
<P>Redaktionelle Anmerkungen</P>
<P><A NAME="F1">[1]</A> Randnotiz R. L.: Wir werden nachher nachpr&uuml;fen, ob oder inwieweit eine solche Hypothese zul&auml;ssig ist. <A HREF="lu05_697.htm#ZF1">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F2">[2]</A> Randnotiz R. L.: Jetzt ist es aber nicht mehr die Gemeinde als Ganzes, mit der er zu tun hat und die stets ein Bed&uuml;rfnis nach dem Produkt hat, sondern die einzelnen Mitglieder der Gemeinde. <A HREF="lu05_697.htm#ZF2">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F3">[3]</A> Randnotiz R. L.: Gesellschaftliche Arbeit 1. als Summe der Arbeiten der Gesellschaftsmitglieder f&uuml;reinander, 2. in dem Sinne, da&szlig; das Produkt jedes einzelnen selbst ein Resultat der Zusammenarbeit vieler (Rohstoffe, Werkzeug), ja der ganzen Gesellschaft (Wissenschaft, Bed&uuml;rfnis) ist. In <I>beiden </I>F&auml;llen wird der gesellsch. Charakter durch den Austausch vermittelt. Das Wissen in der komm. Gemeinde, in der Fronwirtsch. u. jetzt. <A HREF="lu05_697.htm#ZF3">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F4">[4]</A> Randnotiz R. L.: NB. &Uuml;berproduzierte, unaustauschbare Waren u. unverzehrbarer Vorrat in einer organisierten Gesellschaft: Komm. Gemeinde (Reis ind.), Sklavenwirtsch., Fronwirtsch. (Kl&ouml;ster im Mittelalt.). Unterschied: ersteres nicht gesellsch. Arbeit, letzteres wohl. Verh&auml;ltnis zum "Bed&uuml;rfnis" (zahlungsunf&auml;hige Bed&uuml;rfnis einers. u. &Uuml;berproduktion unverk&auml;uflicher Waren andererseits), &Uuml;berprod. in der sozialist. Gesellsch. <A HREF="lu05_697.htm#ZF4">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F5">[5]</A> Randnotiz R. L.: Baumwolle hat im 19. Jahrhundert die Leinwand verdr&auml;ngt. <A HREF="lu05_697.htm#ZF5">&lt;=</A></P>
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