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<!DOCTYPE HTML PUBLIC "-//W3C//DTD HTML 3.2//EN">
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<meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=ISO-8859-1">
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<title>"Neue Rheinische Zeitung" - Die "Koelnische Zeitung" über die
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Junirevolution</title>
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<link rel=stylesheet type="text/css" href="http://www.mlwerke.de/css/artikel.css">
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</head>
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<body>
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<p align="center"><a href="me05_133.htm"><font size="2">Die Junirevolution</font></a> <font
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size="2">|</font> <a href="../me_nrz48.htm"><font size="2">Inhalt</font></a> <font size=
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"2">|</font> <a href="me05_145.htm"><font size="2">Die Junirevolution [Der Verlauf des
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Aufstandes in Paris]</font></a></p>
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<small>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 138-144<br>
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Dietz Verlag, Berlin/DDR 1971</small> <br>
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<h1>Die "Kölnische Zeitung" über die Junirevolution</font></p>
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<p><font size="2">["Neue Rheinische Zeitung Nr. 31 vom 1. Juli 1848]</font></p>
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<p><b><a name="S138"><138></a></b> **<i>Köln</i>, 30. Juni. Man lese folgende
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Stellen aus dem "London Telegraph" und vergleiche damit, was die deutschen Liberalen,
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insonderheit Herr Brüggemann-Dumont et Wolfers über die Pariser Junirevolution
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zusammenschwatzen, und man wird eingestehen müssen, daß die englischen Bourgeois,
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von vielen andern Vorzügen abgesehen, wenigstens <i>das</i> vor den <i>deutschen
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Spießbürgern</i> voraushaben, daß sie große Ereignisse zwar vom
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Bourgeoisstandpunkte aus, übrigens aber als <i>Männer</i> beurteilen und nicht als
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<i>Gassenbuben</i>.</p>
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<p>Der "Telegraph" sagt in seiner Nr. 22:</p>
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<p><font size="2">" ... Und hier wird man von uns erwarten, daß wir uns über
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Ursprung und Folgen dieses fürchterlichen Blutvergießens erklären. <i>Von
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Anfang an stellt</i> es <i>sich als eine vollständige Schlacht zwischen zwei Klassen
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heraus</i>" (Ein Kaiserreich für einen solchen Gedanken, ruft innerlich die hehre
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"Kölnische" und ihr "Wolfers"). "Es ist ein Aufstand der Arbeiter gegen die Regierung, die
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sie selber geschaffen haben, und gegen die Klasse, von welcher die Regierung jetzt
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unterstützt wird. Wie der Streit unmittelbar entstand, ist weniger leicht
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auseinanderzusetzen, als die dauernden und immer gegenwärtigen Ursachen desselben
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anzugeben. <i>Die Februarrevolution</i> wurde hauptsächlich von den <i>arbeitenden
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Klassen</i> gemacht und man sprach es laut aus, <i>daß sie zu ihrem Vorteil gemacht
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worden</i>. Es ist nicht sowohl eine politische als eine soziale Revolution. Die Massen von
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mißvergnügten Arbeitern sind nicht mit einem Sprunge und mit allen Eigenschaften des
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Soldaten auf einmal begabt in die Welt getreten. Ebensowenig ist ihre Not und ihre
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Unzufriedenheit bloß die Frucht der Ereignisse der letzten vier Monate. Erst am Montag
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zitierten wir die vielleicht übertriebenen Angaben Herrn Leroux', der, ohne Widerspruch zu
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erfahren, in der Nationalversammlung anführte, daß es in Frankreich 8 Millionen
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Bettler und 4 Millionen Arbeiter gibt, die keinen sichern Verdienst haben. Er bezeichnete
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ausdrücklich die Zeit vor der Revolution und klagte eben, daß <i>seit</i> der
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Revolution gegen diese gewaltige Krankheit gar nichts <a name=
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"S139"><b><139></b></a></font> geschehen sei. Die Theorien des Sozialismus und
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Kommunismus, die in Frankreich herangereift waren und jetzt eine so große Gewalt auf die
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öffentliche Meinung ausüben, erwuchsen aus der furchtbar gedrückten Lage, in
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welcher sich unter Louis-Philippes Regierung die große Masse des Volkes befand. Die
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Hauptsache, die nicht aus dem Auge verloren werden darf, ist <i>die unglückliche Lage der
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Masse</i>; <i>diese Lage ist die wirkliche lebendige Ursache der Revolution</i>. In der
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Nationalversammlung wurde nun bald beschlossen, die Arbeiter derjenigen Vorteile zu berauben,
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welche ihnen von den Politikern der Revolution so voreilig und unüberlegt zugesprochen
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worden. In <i>sozialer</i> und selbst in <i>politischer</i> Beziehung lag eine <i>gewaltige
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Reaktion</i> klar am Tage. Die Gewalt, von einem großen Teile Frankreichs
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unterstützt, wurde aufgefordert, <i>jene Menschen beiseite zu schaffen</i>, <i>von welchen
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besagte Gewalt ihr Dasein erhalten</i>. Erst geschmeichelt und ernährt, dann geteilt und
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mit dem Hungertode bedroht, weggeschleppt in die Provinzen, wo alle ihre Arbeitsverbindungen
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vernichtet waren, und endlich der zur Vernichtung ihrer Gewalt beschlossene Plan: Kann sich da
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jemand über die Gereiztheit der Arbeiter wundern? Daß sie glaubten, eine zweite
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erfolgreichere Revolution zustande zu bringen, kann wahrlich niemanden überraschen. Und
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ihre Aussichten auf Erfolg gegenüber der bewaffneten Macht der Regierung erschienen nach
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der Dauer des bisherigen Widerstandes größer, als die meisten Leute sich
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einbildeten. Daraus, und daß keine politischen Leiter unter dem Volke entdeckt worden,
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sowie aus der Tatsache, daß die aus Paris fortgeschickten Arbeiter gleich hinter den
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Barrieren wieder umkehrten, geht hervor, daß <i>der Aufstand die Folge eines allgemeinen
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Unwillens unter der arbeitenden Klasse und nicht das Werk politischer Agenten war</i>. Sie
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halten dafür, daß ihr Interesse wieder von ihrer <i>eigenen Regierung</i> verraten
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worden. Sie haben jetzt, <i>wie im Februar</i>, die Waffen ergriffen, um gegen das
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<i>schreckliche Elend</i> anzukämpfen, dessen Opfer sie bereits so lange gewesen.</p>
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<p><i>Der jetzige Kampf ist nur eine Fortsetzung der Februarrevolution</i>. <i>Er ist eine
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Fortsetzung des durch ganz Europa gehenden Kampfes wegen gerechterer Verteilung der
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jährlichen Arbeitserzeugnisse</i>. In Paris wird er jetzt wahrscheinlich bewältigt
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werden; denn die Gewalt, welche die neue Autorität von der alten ererbt, hat
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augenscheinlich das Übergewicht. <i>Doch mag er auch noch so erfolgreich bewältigt
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werden</i>, <i>er wird sich immer und immer wieder erneuern</i>, bis die Regierung entweder
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eine gerechtere Verteilung der jährlichen Arbeitsprodukte zustande bringt oder in der
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Unmöglichkeit, dies zu tun, von allen derartigen Versuchen absteht und die Entscheidung
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der freien Konkurrenz des Marktes überläßt ... Die <i>wirkliche Schlacht wird
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wegen ausreichender Subsistenzmittel geschlagen</i>. Die Mittelklasse selbst ist ihrer
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Existenzmittel von jenen Politikern beraubt worden, welche die Leitung der Revolution
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übernahmen. <i>Die Mittelklasse ist barbarischer geworden als die Arbeiter</i>. Die
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gewaltigsten Leidenschaften sind auf beiden Seiten zu verderblicher Tätigkeit entflammt.
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<i>Sie setzen alle Brüderlichkeit beiseite und liefern sich gegenseitig mörderische
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Schlachten</i>. Die unwissende, wenn nicht böswillige Regierung, welche in dieser
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außerordentlichen Krisis keinen Begriff von ihrer Pflicht zu haben scheint, hat zuerst
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die Arbeiter gegen die Mittelklasse gehetzt und ist jetzt <i>der letzteren behilflich</i>,
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<i>die getäuschten</i>, <i>betrogenen und nun wütend gewordenen Arbeiter von der Erde
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zu tilgen</i>. Der Tadel wegen dieses großen Unheils darf nicht das Prinzip <a name=
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"S140"><b><140></b></a> der Revolution treffen, <i>nicht den Entschluß</i>,
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<i>gegen Elend und Unterdrückung loszuschlagen</i>. Er muß vielmehr gegen die
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gerichtet werden, welche in ihrer politischen Unwissenheit die von Louis-Philippe
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überkommenen Notzustände noch verschlimmerten."</p>
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<p>So schreibt ein <i>Londoner</i> Bourgeoisblatt über die Junirevolution, ein Blatt, das
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die Grundsätze eines <i>Cobden</i>, <i>Bright</i> etc. vertritt, das nach der
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<i>"Times"</i> und dem <i>"Northern Star"</i>, den zwei Despoten der englischen Presse, wie der
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<i>"Manchester Guardian"</i> sagt, das <i>gelesenste Blatt in England</i> ist.</p>
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<p>Man vergleiche Nr. 181 der "<i>Kölnischen Zeitung</i>"! Dieses merkwürdige Blatt
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verwandelt den <i>Kampf zwischen zwei Klassen</i> in den <i>Kampf zwischen den Honetten</i> und
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den <i>Spitzbuben</i>! Braves Blatt! Als wenn diese Epitheta von den zwei Klassen nicht
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wechselseitig zurückgeschleudert würden. Es ist dasselbe Blatt, das <i>zuerst</i> bei
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dem Gerücht des Juniaufstandes <i>seine gänzliche Unwissenheit über den
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Charakter</i> des Aufstandes gestand, <i>dann</i> sich <i>von Paris</i> aus schreiben lassen
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mußte, es handle sich um <i>eine wichtige soziale Revolution</i>, deren Umkreis nicht
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<i>mit einer Niederlage</i> erschöpft sei und <i>schließlich</i>, durch <i>eine</i>
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Niederlage der Arbeiter wieder gekräftigt, in dem Aufstand nichts sieht als den Kampf "der
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<i>unermeßlichen Majorität</i>" gegen eine <i>"wilde Rotte"</i> von <i>"Kannibalen,
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Räubern und Mördern"</i>.</p>
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<p>Der römische Sklavenkrieg, was war er? <i>Ein Krieg zwischen den Honetten und den
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Kannibalen</i>! Herr <i>Wolfers</i> wird römische Geschichte schreiben und Herr
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<i>Dumont-Brüggemann</i> wird die <i>Arbeiter</i>, die "Unglücklichen", über
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ihre wahren Rechte und Pflichten aufklären, "sie in <i>die Wissenschaft</i> einweihen,
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welche zur Ordnung führt, welche den wahren Bürger <i>bildet</i>"!</p>
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<p>Es lebe die <i>Wissenschaft Dumont-Brüggemann-Wolfers</i>, die Geheimwissenschaft! -
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<i>Ein</i> Beispiel dieser <i>Geheimwissenschaft</i>: Das wohllöbliche Triumvirat
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erzählt seinen gläubigen Lesern zwei Nummern hindurch, daß General Cavaignac
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das <i>Viertel St. Antoine unterminieren wolle</i>. Das Viertel St. Antoine ist zufällig
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etwas <i>größer als die gute Stadt Köln</i>. Aber das wissenschaftliche
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Triumvirat, das wir der deutschen Nationalversammlung zur Beherrschung von Deutschland
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anempfehlen, das Triumvirat <i>Dumont-Brüggemann-Wolfers</i>, siegt über diese
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Schwierigkeit, es versteht, die Stadt Köln durch eine Mine in die Luft zu sprengen! Seinen
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Vorstellungen über die Mine, welche das Faubourg St. Antoine in die Luft sprengt,
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entspricht die Vorstellung über die unterirdischen Gewalten, welche die moderne
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Gesellschaft unterminieren und das Paris vom Juni erheben machten und Blutlava aus seinem
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Revolutionskrater heraufspien.</p>
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<p>Aber bestes Triumvirat! Großer <i>Dumont-Brüggemaan-Wolfers</i>, von der Welt der
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Annoncen proklamierte Größen! Annoncen-Cavaignacs! <i>Wir</i> haben bescheiden unser
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Haupt geneigt, geneigt vor der größten geschichtlichen <a name=
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"S141"><b><141></b></a> Krise, die je eklatiert hat: vor dem <i>Klassenkampf der
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Bourgeoisie und des Proletariats</i>. Wir haben die Tatsache nicht gemacht, wir haben sie
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konstatiert. Wir haben konstatiert, daß eine der Klassen <i>die Besiegte</i> ist, wie
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<i>Cavaignac selbst</i> sagt. Wir haben auf dem Grabe der Besiegten den <i>Siegern "Weh!"</i>
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zugerufen, und Cavaignac selbst schaudert zurück vor seiner geschichtlichen
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Verantwortlichkeit! Und die Nationalversammlung beschuldet jedes ihrer Mitglieder der Feigheit,
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das die fürchterliche geschichtliche Verantwortlichkeit nicht offen auf sich nimmt. Haben
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wir den <i>Deutschen</i> das Buch der Sybille aufgeschlagen, damit sie es verbrennen? Wenn wir
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den Kampf der Chartisten und der englischen Bourgeois schildern, fordern wir die Deutschen auf,
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Engländer zu werden?</p>
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<p>Aber Deutschland, undankbares Deutschland, du kennst zwar die <i>"Kölnische
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Zeitung"</i> und ihre Annoncen, aber du kennst die größten deiner Männer nicht,
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deinen <i>Wolfers</i> nicht, deinen <i>Brüggemann</i>, deinen <i>Dumont</i>! Wieviel
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Schweiß des Gehirns, Schweiß des Angesichtes, Blutschweiß ist vergossen im
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<i>Kampf der Klassen</i>, im Kampf von Freien und Sklaven, Patriziern und Plebejern,
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Grundherren und Leibeigenen, Kapitalisten und Arbeitern! <i>Aber nur</i>, <i>weil es keine
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"Kölnische Zeitung" gab</i>. Aber, allertapferstes Triumvirat, wenn die moderne
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Gesellschaft <i>"Missetäter"</i>, <i>"Kannibalen"</i>, <i>"Mörder"</i>,
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<i>"Plünderer"</i> in solcher Masse mit solcher Energie erzeugt, daß ihre Erhebung
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die Grundfesten der offiziellen Gesellschaft erzittern macht, welche Gesellschaft! Welche
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alphabetisch geordnete Anarchie! Und du glaubst den Zwiespalt aufzuheben, du glaubst die
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Mitspieler, die Zuschauer des schrecklichen Dramas erhoben zu haben, indem du sie in die
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Kotzebuesche Bediententragödie hinabziehst!</p>
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<p>Unter den <i>Nationalgarden des Faubourg St. Antoine</i>, <i>St. Jacaues</i>, <i>St.
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Marceau</i> befanden sich nur <i>50</i>, die dem Ruf der Bürgertrompete folgten - so
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meldet der Pariser <i>"Moniteur",</i> das Staatsblatt, das Blatt Ludwig XVI., <i>Robespierres,
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Louis-Philippes</i> und <i>Marrast-Cavaignacs</i>! Nichts einfacher für die
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<i>Wissenschaft</i>, die den Menschen zum <i>wahren Bürger</i> "bildet"! Die drei
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größten Faubourgs von Paris, die drei industriellsten Faubourgs, deren Muster die
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Mousseline von Dacca und den Sammet von Spitalfields erbleichen und verkohlen machten, sollen
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bewohnt sein von "Kannibalen", "Plünderern", Räubern", "Missetätern". So sagt
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<i>Wolfers</i>!</p>
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<p>Und <i>Wolfers</i> ist ein ehrenwerter Mann ! Er hat die Spitzbuben zu Ehren gebracht, indem
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er sie größere Schlachten und Kunstwerke liefern ließ,
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heldenmäßigere Taten vollbringen, als die Karls X., Louis-Philippes, Napoleons und
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der Spinner von Dacca und Spitalfields.</p>
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<p>Wir sprachen eben vom <i>"Londoner Telegraph"</i>. Gestern haben unsere <a name=
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"S142"><b><142></b></a> Leser <i>Emil Girardin</i> gehört. Die Arbeiterklasse, sagt
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er, nachdem sie ihrem Schuldner, der Februarrevolution, einen Monat über Verfall Ausstand
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gegeben, sie, die Gläubigerin, sie klopfte an mit der Muskete, mit der Barrikade, mit dem
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eigenen Leib an das Haus des Schuldners! Aber <i>Emil Girardin</i>! Was ist er? Kein Anarchist!
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Bewahre Gott! Aber er ist ein <i>Republikaner des folgenden Tages</i>, ein <i>Republikaner des
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Morgens</i> (républicain du lendemain) und die <i>"Kölnische Zeitung"</i>, ein
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<i>Wolfers</i>, ein <i>Dumont</i>, ein <i>Brüggemann,</i> sie alle sind <i>Republikaner
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von vorgestern</i>, <i>Republikaner vor der Republik</i>, <i>Republikaner des Abends</i>
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(républicains de la veille)! <i>Emil Girardin</i>, kann er zeugen neben <i>Dumont</i>?
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Wenn die Kölnerin dem <i>Deportieren</i>, dem <i>Hängen</i> die <i>Schadenfreude des
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Deportierens</i>, des <i>Hängens</i> hinzufügt, bewundert ihren Patriotismus! Sie
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will der Welt nur beweisen, der ungläubigen, stockblinden, deutschen Welt, daß die
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<i>Republik mächtiger ist als die Monarchie</i>, daß die republikanische
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Nationalversammlung vermochte mit Cavaignac und Marrast, was die konstitutionelle
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Deputiertenkammer nicht vermochte mit Thiers und Bugeaud! <i>Vive la république</i>! Es
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lebe die Republik! ruft die Spartanerin, die Kölnerin aus über dem verblutenden,
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verächzenden, verbrennenden Paris. Die Kryptorepublikanerin! Darum wird sie als
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<i>feig</i>, als <i>charakterlos</i> verdächtigt von einem <i>Gervinus</i>, von einer
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Augsburgerin! Die Makellose! Die Kölnische Charlotte Corday!</p>
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<p>Bemerkt wohl, <i>kein Pariser Blatt</i>, nicht der <i>"Moniteur"</i>, nicht die
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<i>"Débats"</i>, nicht der <i>"National"</i> sprechen von <i>"Kannibalen"</i>, von
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<i>"Plünderern"</i>, von <i>"Räubern"</i>, von <i>"Mördern"</i>. Es ist nur ein
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Blatt - das Blatt von <i>Thiers</i>, des Mannes, dessen Immoralität <i>Jacobus Venedey</i>
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in der <i>"Köln[ischen] Zeitung"</i> geißelte, des Mannes, gegen den die
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|
Kölnerin aus vollstem Hals schrie:</p>
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<div style="margin-left: 12em">
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<p><font size="2">Sie sollen ihn nicht haben,<br>
|
||
|
Den freien deutschen Rhein,<br>
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|
<Nicolaus Becker, "Der deutsche Rhein"> -</font></p>
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</div>
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|
<p>es ist das Blatt von Thiers, der <i>"Constitutionnel"</i>, aus dem die belgische
|
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|
<i>"Indépendance"</i> schöpft und die rheinische Wissenschaft, verkörpert in
|
||
|
<i>Dumont-Brüggemann-Wolfers</i>!</p>
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<p>Und nun prüft mit einiger Kritik diese skandalösen Anekdoten, womit die
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|
<i>"Kölnische Zeitung"</i> die Erdrückten brandmarkt, dieselbe Zeitung, die <i>beim
|
||
|
Ausbruch des Kampfes</i> erklärte, sie sei völlig <i>unwissend</i> über seinen
|
||
|
Charakter, die <i>während</i> des Kampfes erklärte, es sei eine "<i>wichtige soziale
|
||
|
Revolution</i> was <i>nach</i> dem Kampf ein Boxen von <i>Gendarmen und Spitzbuben</i> ist.</p>
|
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|
<p>Sie haben <i>geplündert</i>! Aber was? <i>Waffen, Munition, Verband</i> und die
|
||
|
<i>nötigsten Lebensmittel</i>. An die Fensterläden schrieben die Spitzbuben: "Mort
|
||
|
aux Voleurs!" <i>Tod den Spitzbuben</i>!</p>
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|
<p><b><a name="S143"><143></a></b> Sie haben <i>"wie Kannibalen gemordet"</i>! Die
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||
|
Kannibalen, sie ließen nicht gutwillig von den <i>Nationalgarden</i>, die <i>hinter</i>
|
||
|
den Linientruppen auf die Barrikaden drangen, ihren <i>Verwundeten die Schädel
|
||
|
einstoßen</i>, ihre Übermannten erschießen, ihre Weiber erdolchen. Die
|
||
|
Kannibalen, die in einem <i>Vernichtungskrieg</i>, wie ein französisches Bourgeoisblatt
|
||
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sagt, <i>vernichteten</i>! Sie haben <i>gebrannt</i>? Und doch ist die <i>einzige</i>
|
||
|
Brandfackel, die sie den <i>legitimen</i> Brandraketen Gavaignacs entgegengeschleudert im 8.
|
||
|
Arrondissement, nur eine <i>poetische</i>, eine <i>erdichtete</i> Fackel, wie der
|
||
|
<i>"Moniteur"</i> bezeugt.</p>
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|
<p><font size="2">"Die einen", sagt Wolfers, "hielten das Programm des Barbès, Blanqui
|
||
|
und Sobrier hoch empor, die andern ließen Napoleon oder Heinrich V. leben."</font></p>
|
||
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|
||
|
<p>Und die keusche Kölnerin, die weder von Napoleoniden noch von Blanquis schwanger geht,
|
||
|
sie erklärte schon am zweiten Tage der Insurrektion, daß "im Namen der <i>roten
|
||
|
Republik</i> gekämpft" werde. Was plaudert sie also von <i>Prätendenten</i>! Aber sie
|
||
|
ist, wie schon angedeutet, eine verstockte <i>Kryptorepublikanerin</i>, und ein weiblicher
|
||
|
Robespierre, wittert sie überall Prätendenten und erzittert ihre Moral vor den
|
||
|
Prätendenten!</p>
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<p><font size="2">"Fast alle waren mit Geld versehen und mehre mit beträchtlichen
|
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|
<i>Summen</i>."</font></p>
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|
<p>Es waren ihrer 30.000 bis 40.000 Arbeiter und "fast alle waren mit Geld versehen" in dieser
|
||
|
Zeit der Not und der Geschäftsstockung! Das Geld war wahrscheinlich deshalb <i>so rar</i>,
|
||
|
<i>weil es die Arbeiter versteckt hatten</i>!</p>
|
||
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|
<p>Mit der größten Gewissenhaftigkeit hat der Pariser <i>"Moniteur"</i> alle
|
||
|
Fälle veröffentlicht, in denen <i>Geld</i> bei den Insurgenten konstatiert wurde.
|
||
|
Diese Fälle beschränkten sich auf höchstens <i>zwanzig</i>. Die verschiedenen
|
||
|
Blätter und Korrespondenzen wiederholen diese Fälle und geben die Summe verschieden
|
||
|
an. Die <i>"Kölnische Zeitung"</i>, von bewährtem kritischem Takt, die diese
|
||
|
verschiedenen Erzählungen von den <i>zwanzig</i> Fällen als ebensoviel verschiedene
|
||
|
Fälle nimmt und noch die gerüchtweise zirkulierenden hinzufügt, sie bekommt
|
||
|
für den besten Fall vielleicht 200 heraus. Und das berechtigt sie zu sagen, daß fast
|
||
|
alle, 30.000 bis 40.000, mit Geld versehn waren! Konstatiert ist bis jetzt bloß,
|
||
|
daß legitimistische, bonapartistische und vielleicht philippistische Emissäre, mit
|
||
|
Geld versehn, sich unter die Barrikadenkämpfer gemischt hatten und zu mischen
|
||
|
beabsichtigten. Herr <i>Payer</i>, das höchst konservative Mitglied der
|
||
|
Nationalversammlung, der 12 Stunden als Gefangener unter den Insurgenten verweilte,
|
||
|
erklärt: <i>Die meisten seien durch viermonatliches Elend zur Verzweiflung getriebene
|
||
|
Arbeiter</i> gewesen und hätten gesagt: <i>Besser an einer Kugel sterben als am
|
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|
Hunger</i>!</p>
|
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|
<p><font size="2">"<i>Viele</i>, <i>sehr viele Tote</i>", versichert Wolfers, "trugen das
|
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|
verhängnisvolle Zeichen, mit welchem die Gesellschaft das Verbrechen
|
||
|
brandmarkt."</font></p>
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<p><b><a name="S144"><144></a></b> Es ist dies eine der niederträchtigen Lügen,
|
||
|
der schandbaren Verleumdungen, der Infamien, die <i>Lamennais</i>, der Gegner der Insurgenten,
|
||
|
der Mann des "National", in seinem <i>"Peuple constituant"</i>, die der stets ritterliche
|
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Legitimist <i>Larochejaquelein</i> in der Nationalversammlung brandmarkt. Die ganze Lüge
|
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|
beruht auf der höchst unverbürgten, vom <i>"Moniteur" nicht bestätigten</i>
|
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Behauptung <i>eines</i> Korrespondenzbüros, man habe <i>elf Leichen</i> gefunden, die mit
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T.F. <Sträflingsbrandzeichen (travaux forcés - Zwangsarbeit)> gezeichnet
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gewesen seien. Und in welcher Revolution fand man nicht diese elf Leichen? Und welche
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Revolution wird nicht elfmal 100 mit diesem Zeichen brandmarken?</p>
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<p>Bemerken wir wohl, die Journale, die Proklamationen, die Illuminationen der Sieger bezeugen,
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daß sie ausgehungert, zur Verzweiflung gejagt, gespießt, füsiliert, lebendig
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vermauert, deportiert, Leichen geschändet haben. Und gegen die Besiegten nur
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<i>Anekdoten</i> und nur vom <i>"Constitutionnel"</i> erzählte, von der
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<i>"Indépendance"</i> abgedruckte, von der "Kölnischen" ins Deutsche
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übertragene Anekdoten! Es gibt keine größere Beleidigung gegen die Wahrheit,
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als sie durch eine <i>Anekdote</i> beweisen wollen, sagt <i>- Hegel</i>.</p>
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<p>Vor den Häusern von Paris sitzen die Weiber und rupfen <i>Charpie</i> den Verwundeten,
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selbst den verwundeten Insurgenten. Die Redakteure der "Kölnischen Zeitung" gießen
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in ihre Wunden <i>Schwefelsäure</i>.</p>
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<p><i>Uns</i> haben sie der bürgerlichen <i>Polizei</i> denunziert. Wir dagegen empfehlen
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den <i>Arbeitern</i>, den "Unglücklichen", über "ihre wahren Rechte und Pflichten
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sich aufklären, in die <i>Wissenschaft</i> sich einweihen zu lassen, welche zur Ordnung
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führt, welche den wahren Bürger bildet", bei dem unsterblichen Triumvirat - bei
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<i>Dumont-Brüggemann-Wolfers</i>.</p>
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<p><font size="2">Geschrieben von Friedrich Engels.</font></p>
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