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<!DOCTYPE HTML PUBLIC "-//W3C//DTD HTML 3.2//EN">
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<title>Karl Marx - Die Konstitution der Franzoesischen Republik, angenommen am 4. November
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1848</title>
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<body link="#0000FF" vlink="#800080" bgcolor="#FFFFAF">
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<p><font size="2">Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz
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Verlag, Berlin. Band 7, 5. Auflage 1973, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1960,
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Berlin/DDR. S. 494-506.</font></p>
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<h2>Karl Marx</h2>
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<h1>Die Konstitution der Französischen Republik,<br>
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angenommen am 4. November 1848</h1>
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<p><font size="2">Aus dem Englischen.</font></p>
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<p align="center"></p>
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<hr>
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<p><font size="2">["Notes to the People" Nr. 7 vom 14. Juni 1851]</font></p>
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<p><b><a name="S494"><494></a></b> Die Konstitution wird durch eine rhetorische
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Präambel eingeleitet, in der folgende Stellen Beachtung verdienen:</p>
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<p>1. Frankreich erklärt sich als Republik. 2. Die Französische Republik ist
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<i>demokratisch</i>, eins und unteilbar. 3. Ihre Grundsätze sind Freiheit, Gleichheit,
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Brüderlichkeit, und ihre Grundlagen sind die Familie, die Arbeit, das Eigentum und die
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öffentliche Ordnung. 5. Sie achtet die Unabhängigkeit anderer Nationen, wie sie ihrer
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eigenen Unabhängigkeit Achtung zu verschaffen weiß. Sie wird keinen Angriffskrieg
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führen und ihre Streitkräfte niemals gegen die Freiheit eines anderen Volkes einsetzen.
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<i>(Rom!)</i></p>
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<p>Vor dem Juniaufstand hatte die Nationalversammlung eine Konstitution ausgearbeitet, die, unter
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vielen anderen Anerkennungen der Menschenrechte und -pflichten, folgende Artikel enthielt:</p>
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<p><i><font size="2">Art. 6</font></i><font size="2">: Das Recht auf Bildung ist das Recht aller
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Bürger auf die Möglichkeit der vollen Entfaltung ihrer physischen, moralischen und
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intellektuellen Fähigkeiten vermittelst <i>unentgeltlichen</i> Unterrichts durch den
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Staat.</font></p>
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<p><font size="2"><i>Art. 7</i>: Das Recht auf Arbeit ist das Recht eines jeden Mitgliedes der
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Gesellschaft, durch Arbeit leben zu können. Die Gesellschaft hat daher die Verpflichtung,
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allen arbeitsfähigen Personen, die anders keine Arbeit erhalten können, Arbeit zu
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verschaffen.</font></p>
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<p><font size="2"><i>Art. 9</i>: <i>Das Recht auf Unterstützung</i> ist das Recht der
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Waisen. der Arbeitsunfähigen und der Greise, vorn Staat ihre Existenzmittel zu
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erhalten.</font></p>
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<p>Nachdem die Siege des Juni 1848 der Bourgeoisie Mut gemacht hatten, merzte sie diese drei
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Artikel aus der</p>
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<p align="center">KONSTITUTION</p>
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<p>aus, die nun wie folgt lautet:</p>
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<p align="center">KAP. 1. [VON DER SOUVERÄNITÄT]</p>
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<p><b><font size="2"><a name="S495"><495></a></font></b> <font size="2">"[§ 1.] Die
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Souveränität beruht in der Gesamtheit der französischen Bürger. Sie ist
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unveräußerlich und unverjährbar. Kein Individuum, keine Fraktion des Volkes kann
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sich die Ausübung dieser Souveränität zueignen."</font></p>
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<p align="center">KAP. II. RECHTE,<br>
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DIE DURCH DIE KONSTITUTION VERBÜRGT WERDEN</p>
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<p><font size="2">"[§ 2.] Niemand kann anders festgenommen oder gefangengehalten werden, als
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es die Gesetze vorschreiben."</font></p>
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<p><font size="2">"§ 3. Die Wohnung eines jeden, der auf französischem Gebiet wohnt,
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ist unverletzlich, es ist nicht gestattet, anders als in den durch das Gesetz vorgeschriebenen
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Formen einzudringen.</font></p>
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<p>Man beachte hier und im gesamten Text, daß die französische Konstitution die
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Freiheit garantiert, doch immer mit dem Vorbehalt <i>der Ausnahmen</i>, <i>die das Gesetz
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macht</i> oder die es noch machen wird! - und alle die Ausnahmen, die durch Kaiser Napoleon,
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durch die Restauration und durch Louis-Philippe gemacht wurden, sind nicht nur erhalten
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geblieben, sondern sind nach der Junirevolution maßlos vervielfacht worden. So z.B. das
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Gesetz vom 9. August 1849, das sich auf den Belagerungszustand bezieht, den die
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Nationalversammlung und während ihrer Tagungspausen der Präsident verhängen kann,
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und das den Militärbehörden das Recht gibt, alle Personen, die sich politischer
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Vergehen schuldig gemacht haben, vor ein Kriegsgericht zu bringen. Es gibt ihnen außerdem
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die Macht, in jedes Haus bei Tag oder Nacht einzudringen und es zu durchsuchen, alle Waffen zu
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beschlagnahmen und alle Personen auszuweisen, die in dem unter Belagerungszustand stehenden Ort
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keinen Wohnsitz haben.</p>
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<p>Was die <i>Ausländer</i> anbelangt, so ist ihr einziges "Recht", das sie auf
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französischem Boden genießen, eingesperrt und ausgewiesen zu werden, so oft es die
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Polizeibehörden für richtig halten.</p>
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<p>Was die <i>Franzosen</i> anbelangt, so kann jeder französische Bürger verhaftet
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werden, wenn ein einziger <i>Beamter</i> den Auftrag dazu erteilt!</p>
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<p><font size="2">"§ 4. Jeder darf ausschließlich von seinen natürlichen Richtern
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abgeurteilt werden. Es dürfen keine Sondergerichte gebildet werden, gleichviel unter welcher
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Bezeichnung oder unter welchem Vorwand."</font></p>
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<p>Wir haben bereits gesehen, daß im "Belagerungszustand" das Kriegsgericht alle anderen
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Gerichte außer Kraft setzt. Außerdem setzte die Nationalversammlung 1848 ein
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"Sondergericht" unter der Bezeichnung "Haute Cour" für einen Teil der Personen ein, die sich
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politischer Vergehen schul- <a name="S496"><b><496></b></a> dig gemacht haben; und nach dem
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Juniaufstand deportierte sie 15.000 Aufständische ohne irgendein Gerichtsverfahren!</p>
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<p><font size="2">"§ 5. Die Todesstrafe für politische Vergehen ist
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abgeschafft."</font></p>
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<p>Aber man deportiert sie in fieberverseuchte Gegenden, wo sie nur etwas langsamer und viel
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qualvoller hingerichtet werden.</p>
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<p><font size="2">"§ 8. Die Bürger haben des Recht, sich zu verbinden, sich friedlich
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und ohne Waffen zu versammeln, Petitionen einzureichen und ihre Meinung durch die Presse oder auf
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andere Art zu äußern. Die Ausübung dieser Rechte ist nur beschränkt durch
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die gleichen Rechte der anderen und durch die öffentliche Sicherheit."</font></p>
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<p>Daß die Einschränkung durch die "öffentliche Sicherheit" die Ausübung des
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Rechts überhaupt beseitigt, wird durch die folgenden Tatsachen klar bewiesen:</p>
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<p>1. <i>Die Freiheit der Presse</i>. Durch die Gesetze vom 11. August 1848 und vom 27. Juli 1849
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wurden nicht nur wieder Kautionen für Zeitungen verlangt, sondern alle Beschränkungen,
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die vom Kaiser Napoleon und seitdem verfügt worden waren, erneuert und verschärft.</p>
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<p>Das Gesetz vom 16. Juli 1850 <In "Notes to the People": 23. Juli 1850>
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<i>erhöht</i> die Kautionen und dehnt sie auf alle Wochenschriften, Magazine, Zeitschriften
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usw. aus. Darüber hinaus verlangt es, daß jeder Artikel mit dem Namen des Verfassers
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unterzeichnet sei, und führt wieder den <i>Stempel</i> für Zeitungen ein. Damit nicht
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genug, fordert es sogar für den Unterhaltungsroman und die rein literarische Broschüre
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einen Stempel und erzwingt dies alles durch Androhung enormer Geldstrafen! Nach der Annahme des
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letztgenannten Gesetzes verschwand die revolutionäre Presse ganz und gar. Sie hatte lange
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gegen die Verfolgung gekämpft: Woche für Woche wurden Zeitung auf Zeitung und
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Broschüre auf Broschüre unter Anklage gestellt, bestraft, unterdrückt. Die
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Bourgeoisie saß auf der Geschworenenbank und vernichtete die Arbeiterpresse.</p>
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<p>Der Höhepunkt dieses Systems wurde mit dem Gesetz vom 30. Juli 1850 erreicht, das die
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Zensur über das Drama wiederherstellte. Damit wurde die Meinungsfreiheit aus ihrer letzten
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literarischen Zuflucht vertrieben.</p>
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<p>2. <i>Das Recht der Vereinigung und der öffentlichen Versammlungen</i>. Durch die Dekrete
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vom 28. Juli bis 2. August 1848 werden die Klubs einer großen Zahl von Polizeiverordnungen
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unterworfen, die ihnen fast jede Freiheit nehmen. So dürfen sie z.B. keine Resolutionen in
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legislativer Form annehmen usw. Alle <i>un</i>politischen Zirkel und <i>privaten</i>
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Vereinigungen werden durch dieses Gesetz gänzlich der Aufsicht und den Launen der Polizei
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ausgeliefert.</p>
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<p><b><a name="S497"><497></a></b> Durch das Gesetz vom 19.-22. Juni 1849 wird die
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Regierung ermächtigt, für die Dauer eines Jahres alle Klubs und Versammlungen, die ihr
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nicht genehm sind, zu verbieten. Durch das Gesetz vom 6.-12. Juni 1850 wird der Regierung diese
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Ermächtigung für ein weiteres Jahr gegeben und praktisch auf jene Versammlungen und
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Zusammenkünfte ausgedehnt, die mit der Wahl der Volksvertreter zusammenhängen und der
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Regierung mißfallen könnten! Das Ergebnis ist, daß im Prinzip seit Juli 1848
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alle Klubs und öffentlichen Versammlungen, mit Ausnahme der cercles <Klubs> der
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Royalisten und Bonapartisten, aufgehoben wurden.</p>
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<p>Durch das Gesetz vom 29. November 1849 wird allen Arbeitern, die sich für eine
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Erhöhung ihrer Löhne zusammenschließen sollten, Gefängnis bis zu 3 Monaten
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und eine Geldstrafe bis zu 3.000 Francs auferlegt. Und durch dasselbe Gesetz werden diese
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Arbeiter, nach Verbüßung ihrer Strafe, fünf Jahre lang unter Polizeiaufsicht
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gestellt (was Betteln, Ruin und Verfolgung bedeutet).</p>
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<p>Soviel über das Recht der Vereinigung und der öffentlichen Versammlung.</p>
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<p align="center">—————</p>
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<p><font size="2">"§ 9. Der Unterricht ist frei. Die Freiheit des Unterrichts wird nach den
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durch das Gesetz festgelegten Bedingungen und unter Aufsicht des Staats
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ausgeübt."</font></p>
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<p>Hier wird der alte Witz wiederholt. "Der Unterricht ist frei", aber "nach den durch das Gesetz
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festgelegten Bedingungen", und das sind gerade die Bedingungen, die die Freiheit gänzlich
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beseitigen.</p>
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<p>Durch das Gesetz vom 15. März 1850 wird das Erziehungssystem völlig unter die
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Aufsicht der Geistlichkeit gestellt.</p>
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<p>An der Spitze dieses Regierungsdepartements steht ein conseil supeneur de l'instruction
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publique <Oberster Rat für öffentlichen Unterricht>, dem vier französische
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Erzbischöfe vorstehen. Er unterwirft alle Schulmeister der Provinzen, obwohl sie von den
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Gemeinderäten oder den Kirchenräten gewählt wurden, der Macht der recteurs oder
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Pfarrherren. Die Lehrer sind in eine Lage versetzt, die der militärischen Unterordnung und
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Disziplin unter die Pfarrherren, Bürgermeister und Pfarrer gleichkommt, und die Freiheit des
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Unterrichts besteht nach dem bereits angeführten Gesetz darin, daß niemand ohne
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Genehmigung der Zivil- und Kirchenbehörden das Recht zum Unterrichten hat.</p>
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<p><font size="2">"§ 11. Das Eigentum ist unverletzlich."</font></p>
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<p><font size="2">"§ 14. Die Staatsschuld ist gewährleistet."</font></p>
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<p><font size="2">"§ 15. Steuern werden nur für den allgemeinen Nutzen erhoben. Jeder
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Bürger trägt entsprechend seinen Mitteln und seinem Vermögen dazu bei."</font></p>
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<p align="center">KAP. III. VON DEN STAATSGEWALTEN</p>
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<p><b><a name="S498"><498></a></b> Dieses Kapitel behauptet:</p>
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<p><font size="2">1. "Alle Staatsgewalten gehen vorn Volke aus und können nicht erblich
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übertragen werden."</font></p>
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<p><font size="2">2. "Die Trennung der Gewalten ist die erste Bedingung einer freien
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Regierung."</font></p>
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<p>Hier haben wir den alten Verfassungsunsinn. Die Voraussetzung für eine "freie Regierung"
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ist nicht die <i>Trennung</i>, sondern die Einheit der Gewalten. Die Regierungsmaschinerie kann
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gar nicht einfach genug sein. Es ist immer die Kunst der Spitzbuben, sie kompliziert und
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geheimnisvoll zu machen.</p>
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<p align="center">KAP. IV. VON DER GESETZGEBENDEN GEWALT</p>
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<p>Die gesetzgebende Gewalt wird einer einzigen Versammlung von 750 Repräsentanten,
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einschließlich der Vertreter Algeriens und der Kolonien, übertragen. Jede Versammlung,
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die zur Revision der Verfassung einberufen werden sollte, muß aus 900 Personen bestehen.
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Das Wahlsystem stützt sich auf die Bevölkerungszahl.</p>
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<p>Jetzt folgen vier Paragraphen, die vollständig wiedergegeben werden müssen:</p>
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<p><font size="2">"§ 24. Das Wahlrecht ist direkt und allgemein, die Abstimmung ist
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geheim."</font></p>
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<p><font size="2">"§ 25. Wähler sind alle Franzosen, welche 21 Jahre alt und im Genusse
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ihrer politischen und zivilen Rechte sind, ohne Rücksicht auf irgendeinen
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Wahlzensus."</font></p>
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<p><font size="2">"§ 26. Alle Wähler, die das Alter von 25 Jahren erreicht haben,
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können als Repräsentanten gewählt werden, ohne Beschränkung durch den
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Wohnsitz."</font></p>
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<p><font size="2">"§ 27. Das Wahlgesetz wird die Gründe bestimmen, wodurch einem
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französischen Bürger das Recht zu wählen und gewählt zu werden entzogen
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werden kann."</font></p>
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<p>Die obigen Artikel sind genau in demselben Geist abgefaßt wie die ganze übrige
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Konstitution. "Alle Franzosen, die im Genusse ihrer politischen Rechte sind, sind wahlberechtigt"
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- doch "das Wahlgesetz" hat zu entscheiden, welcher Franzose die politischen Rechte <i>nicht</i>
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besitzen soll!</p>
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<p>Das Wahlgesetz vom 15. März 1849 rechnet unter diese Kategorie alle kriminellen
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Verbrecher, aber nicht Personen, die sich politischer Vergehen schuldig gemacht haben. Das
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Wahlgesetz vom 31. Mai 1850 fügte nicht nur diese Personen hinzu - alle diejenigen, die
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wegen "Vergehens gegen die althergebrachten Ansichten" und gegen die Pressegesetze verurteilt
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wurden.-, sondern führte praktisch Wohnortsbeschränkungen ein, durch die zwei Drittel
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des französischen Volkes des Wahlrechts beraubt wurden!</p>
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<p>Das versteht man in Frankreich unter "direktem und allgemeinem Wahlrecht".</p>
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<p><b><font size="2"><a name="S499"><499></a></font></b> <font size="2">"§ 28. Die
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Ausübung jedes bezahlten öffentlichen Amtes ist mit dem Mandat eines
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Volksrepräsentanten unvereinbar. Kein Volksrepräsentant kann während der Dauer der
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Session bezahlte öffentliche Ämter einnehmen, die von der vollziehenden Gewalt
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abhängen."</font></p>
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<p>Diese beiden Bestimmungen wurden durch spätere Entscheidungen eingeschränkt und sind
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im wesentlichen nahezu aufgehoben.</p>
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<p><font size="2">"§ 30. Die Wahl erfolgt nach Departements, in dem Hauptort des Bezirks und
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mit Stimmschein."</font></p>
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<p><font size="2">"§ 31. Die Nationalversammlung wird für drei Jahre gewählt;
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danach muß eine Neuwahl stattfinden."</font></p>
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<p><font size="2">"§ 32. Sie ist permanent, kann sich jedoch vertagen und muß dann
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eine Kommission zu ihrer Vertretung ernennen, welche aus 25 Deputierten und den Mitgliedern des
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Büros der Versammlung besteht. Diese Kommission ist ermächtigt, die Versammlung im
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Notfalle einzuberufen."</font></p>
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<p>§§ 33-38. Die Repräsentanten sind wiederwählbar. Sie sind an keine
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bestimmten Weisungen gebunden, sie sind unverletzlich und können wegen der Meinungen, welche
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sie innerhalb der Nationalversammlung äußern, nicht verfolgt oder verurteilt werden.
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Sie erhalten eine Entschädigung, auf welche sie <i>nicht verzichten dürfen</i>.</p>
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<p>Was die "Unverletzlichkeit des Repräsentanten" und sein "Recht auf freie
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Meinungsäußerung" betrifft, so nahm die Mehrheit nach dem 13. Juni ein neues
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règlement an, das den Präsidenten der Nationalversammlung ermächtigt, über
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einen Abgeordneten die <i>Zensur</i> zu verhängen, ihn mit einer Geldstrafe zu belegen, ihm
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seine Entschädigung zu entziehen und ihn vorübergehend <i>auszuschließen -</i>
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womit die "Meinungsfreiheit" völlig aufgehoben ist. Im Jahre 1850 nahm die Versammlung ein
|
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Gesetz an, durch das Repräsentanten sogar während der Tagung des Hauses wegen Schulden
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verhaftet werden können und, wenn sie nicht in einer angegebenen Frist bezahlen, ihre
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Mandate als Repräsentanten verlieren.</p>
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<p>Somit gibt es in Frankreich weder das Recht der freien Meinungsäußerung noch die
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Unverletzlichkeit des Repräsentanten - sondern lediglich die Unverletzlichkeit des
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|
Gläubigers.</p>
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<p>§§ 39-42. Die Sitzungen der Versammlung sind öffentlich. Nichtsdestoweniger
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kann sich die Versammlung auf Verlangen der erforderlichen Anzahl Repräsentanten zu einem
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geheimen Komitee konstituieren. Um ein Gesetz rechtsgültig zu erlassen, muß es von
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||
|
einer Stimme mehr als der Hälfte aller Repräsentanten beschlossen werden. Abgesehen von
|
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|
dringenden Fällen kann ein Gesetz nur nach drei Lesungen mit einem Abstand von jeweils 5
|
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|
Tagen angenommen werden.</p>
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<p><b><a name="S500"><500></a></b> Diese Ordnung, die aus der englischen "Konstitution"
|
||
|
entlehnt wurde, wird in Frankreich bei wichtigen Anlässen nie eingehalten - gerade bei
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||
|
denjenigen nicht, bei denen sie am nötigsten wäre. Zum Beispiel wurde das Wahlgesetz
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|
vom 31. Mai nach einer Lesung angenommen.</p>
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<p align="center">KAP. V. VON DER VOLLZIEHENDEN GEWALT</p>
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<p>§§ 43-44. Die vollziehende Gewalt wird einem Präsidenten übertragen. Der
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||
|
Präsident muß ein geborener Franzose sein, wenigstens 30 Jahre alt, und darf niemals
|
||
|
die französischen Bürgerrechte verloren haben.</p>
|
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|
<p>Der erste Präsident der Französischen Republik, L. N. Bonaparte, hatte nicht nur
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||
|
seine französischen Bürgerrechte verloren, war nicht nur ein englischer
|
||
|
Spezial-Konstabler gewesen, sondern auch ein naturalisierter Schweizer.</p>
|
||
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|
<p>§§ 45-70. Der Präsident der Republik ist für vier Jahre gewählt und
|
||
|
erst vier Jahre nach Ablauf seiner Amtsperiode wiederwählbar. Dieselben Beschränkungen
|
||
|
gelten für seine Verwandten bis zum sechsten Grade einschließlich. Die Wahl soll am
|
||
|
zweiten Sonntag des Monats Mai stattfinden. Wenn der Präsident zu einer anderen Zeit
|
||
|
gewählt wurde, so erlöschen seine Vollmachten am zweiten Sonntag des Monats Mai im
|
||
|
vierten Jahre nach seiner Wahl. Er wird in geheimer Abstimmung und mit <i>absoluter</i> Mehrheit
|
||
|
gewählt. Wenn kein Kandidat mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen, jedoch
|
||
|
wenigstens zwei Millionen erlangt, wählt die Nationalversammlung den Präsidenten unter
|
||
|
den fünf Kandidaten, welche die meisten Stimmen erhalten haben.</p>
|
||
|
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|
<p>Der Präsident muß der Verfassung die Treue schwören; er hat das Recht, durch
|
||
|
seine Minister der Nationalversammlung Gesetzentwürfe vorzulegen; er kann über die
|
||
|
bewaffnete Macht verfügen, ohne sie persönlich zu befehligen; er darf keinen Teil des
|
||
|
französischen Territoriums abtreten, die Nationalversammlung weder auflösen noch
|
||
|
vertagen, noch die Konstitution außer Kraft setzen. Er schließt und ratifiziert alle
|
||
|
Verträge, die aber nur verbindlich sind, wenn sie von der Nationalversammlung gebilligt
|
||
|
wurden. Er darf keinen Krieg ohne Zustimmung der Nationalversammlung unternehmen; er kann das
|
||
|
Begnadigungsrecht ausüben, aber keine Amnestie erlassen. Wer von dem Haute Cour
|
||
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<Hochgericht> verurteilt wurde, kann nur durch die Nationalversammlung begnadigt werden.
|
||
|
Der Präsident kann die Verkündung eines Gesetzes aufschieben und fordern, daß die
|
||
|
Versammlung noch einmal darüber berate. <a name="S501"><b><501></b></a> Eine solche
|
||
|
Beratung beschließt dann jedoch endgültig. Er ernennt Botschafter und Minister und hat
|
||
|
das Recht, die von den Bürgern gewählten Bürgermeister, Departementsräte,
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Nationalgarden usw. für drei Monate zu suspendieren. Alle seine Dekrete müssen durch
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die Minister gegengezeichnet sein, mit Ausnahme der Entlassungen der Minister selbst. Der
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Präsident, die Minister und die Beamten sind, jeder für seinen Teil, verantwortlich
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für alle Handlungen der Regierung. Jede Handlung, durch die der Präsident die
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ordnungsgemäße Ausübung der Tätigkeit der Nationalversammlung
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beeinflußt, verzögert oder verhindert, ist ein Akt des Hochverrats. Durch eine solche
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Handlung ist der Präsident sogleich seines Amtes enthoben - es wird zur Pflicht eines jeden
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Bürgers, seinen Anordnungen den Gehorsam zu verweigern; seine Amtsgewalt geht sofort an die
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Nationalversammlung über; die Richter des Haute Cour de Justice treten unverzüglich
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zusammen und berufen das Gericht an einen von ihnen festgesetzten Ort, um den Präsidenten
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und seine Mitschuldigen abzuurteilen.</p>
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<p>Der Präsident verfügt über einen offiziellen Wohnsitz und ein Jahresgehalt von
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600.000 Francs oder £ 24.000. (Er erhält jetzt 2.160.000 Francs oder £ 86.400.)
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Die Minister haben ex officio <von Amt wegen> einen Sitz in der Nationalversammlung und
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können so oft sprechen, wie sie wünschen. Die Nationalversammlung wählt unter drei
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Kandidaten, die der Präsident innerhalb eines Monats nach seiner eignen Wahl benennt, einen
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Vizepräsidenten der Republik. Der Vizepräsident leistet den gleichen Eid wie der
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Präsident; er darf kein Verwandter des Präsidenten sein; er übernimmt die Stelle
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des Präsidenten, wenn dieser verhindert ist, und amtiert als Präsident des Staatsrates.
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Wenn das Amt des Präsidenten durch Todesfall oder aus anderen Gründen frei wird,
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muß binnen Monatsfrist eine Neuwahl stattfinden.</p>
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<p align="center">KAP. VI. VOM STAATSRAT</p>
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<p>§§ 71-75. Der Staatsrat ist eine lediglich beratende Körperschaft zur
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Prüfung der Gesetzentwürfe der Regierung und derjenigen, welche von der Versammlung an
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ihn verwiesen werden.</p>
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<p align="center">KAP. VII. VON DER INNEREN VERWALTUNG</p>
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<p>Dieser Abschnitt handelt von den Beamten <in "Notes to the People offensichtlich ein
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Druckfehler: clergy (Geistlichkeit) statt clerks (Beamten)>, den höheren Beamten, den
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Gemeinde- und Kantonalräten. Der einzige Artikel von Bedeutung und der- <a name=
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"S502"><b><502></b></a> jenige, von dem im größtmöglichen Ausmaß
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Gebrauch gemacht wird, ist der folgende:</p>
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<p><font size="2">"§ 80. Die Generalräte, die Kantonalräte und die
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Gemeinderäte können durch den Präsidenten mit Zustimmung des Staatsrates
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aufgelöst werden."</font></p>
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<p align="center">KAP. VIII. VON DER GERICHTLICHEN GEWALT</p>
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<p>Im Grunde genommen wiederholt dieser Abschnitt lediglich die Verordnungen des Kaisers
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Napoleon. Die folgenden Zusätze sind jedoch bemerkenswert:</p>
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<p><font size="2">"§ 81. Im Namen des französischen Volkes wird die Rechtspflege
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unentgeltlich ausgeübt."</font></p>
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<p>Das trifft so wenig zu, daß man nicht einmal umsonst geköpft wird!</p>
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<p>§§ 91-100 behandeln den Haute Cour de Justice, der allein berechtigt ist, über
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den Präsidenten Gericht zu halten, vor dem die Minister und alle Personen, von denen es die
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Nationalversammlung für richtig hält, sie wegen politischer Vergehen vor dieses
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Tribunal zu stellen, angeklagt werden können.</p>
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<p>Dieses "Hochgericht" besteht aus fünf Richtern, die der Kassationshof (das höchste
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Tribunal in Frankreich) aus seinen Mitgliedern wählt, und aus sechsunddreißig
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Geschworenen, welche sich aus Mitgliedern der Generalräte der Departements, einer
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völlig aristokratischen Körperschaft, zusammensetzen. Die einzigen Personen, die von
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diesem Gerichtshof bisher verurteilt wurden, sind die Angeklagten des 15. Mai 1848 (hier treten
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die Namen Barbès, Blanqui und andere im Urteil hervor!) und die Deputierten, die sich am
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13. Juni 1849 kompromittiert hatten.</p>
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<p>Durch das Gesetz vom 7. August 1848 werden alle diejenigen, die nicht lesen und schreiben
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können, aus der Liste der Geschworenen gestrichen und somit zwei Drittel der erwachsenen
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Bevölkerung disqualifiziert!</p>
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<p align="center">KAP. IX. VON DER BEWAFFNETEN GEWALT</p>
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<p>Das alte Militärgesetz bleibt vollständig bestehen. Für die Vergehen der
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Soldaten sind die Zivilgerichtshöfe nicht zuständig. Der folgende Paragraph
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kennzeichnet den Geist dieser Konstitution.</p>
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<p><font size="2">"§ 102. Jeder Franzose ist zum Dienst in der Armee und in der
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Nationalgarde verpflichtet, mit Ausnahme der Fälle, die das Gesetz bestimmt."</font></p>
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<p>Jeder, der Geld hat, kann sich von der Dienstpflicht befreien.</p>
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<p>Durch das jetzt zur Beratung stehende Gesetz, das in zweiter Lesung bereits durchgegangen ist,
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werden die arbeitenden Klassen gänzlich aus den <a name="S503"><b><503></b></a> Reihen
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der Nationalgarde ausgeschlossen! Darüber hinaus hat der Präsident das Recht, die
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Nationalgarden jeder Gemeinde für ein Jahr zu suspendieren - und in der Tat wurde in halb
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Frankreich die Nationalgarde aufgelöst!</p>
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<p align="center">KAP. X. BESONDERE VERFÜGUNGEN</p>
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<p><font size="2">"§ 110. Die Nationalversammlung vertraut die Konstitution der Wachsamkeit
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und dem Patriotismus des gesamten Volkes an"</font></p>
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<p>- und vertraut die "Wachsamen" und "Patriotischen" der Barmherzigkeit des Haute Cour an! - 13.
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Juni!</p>
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<p align="center">KAP. XI. VON DER REVISION DER KONSTITUTION</p>
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<p><font size="2">"§ 111. Sollte die Nationalversammlung am Ende ihrer Session den Wunsch
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nach einer vollständigen oder teilweisen Änderung der Konstitution aussprechen, dann
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soll die Revision in folgender Weise durchgeführt werden: Der durch die Nationalversammlung
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ausgesprochene Wunsch kann nur Gesetzeskraft erlangen nach drei aufeinanderfolgenden
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Verhandlungen, die mit je einem Monat Zwischenraum stattfinden müssen, und mit einer
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Mehrheit von drei Viertel der abgegebenen Stimmen, wobei die Anzahl der Stimmenden wenigstens 500
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betragen muß. Die eigens für die Revision einberufene Versammlung wird nur auf drei
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Monate gewählt und soll sich, abgesehen von sehr dringenden Fällen, mit keinen anderen
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Fragen beschäftigen."</font></p>
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<p align="center">—————</p>
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<p>So sieht die "Konstitution der Französischen Republik" aus, und das ist die Art und
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Weise, in der von ihr Gebrauch gemacht wurde. Der Leser erkennt sofort, daß sie von Anfang
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bis Ende eine Menge schöner Worte ist, die eine höchst betrügerische Absicht
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verbergen. Schon durch ihren Wortlaut wird ihre Verletzung <i>unmöglich</i> gemacht, denn
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jede ihrer Bestimmungen enthält ihre eigene Antithese - hebt sich selbst vollständig
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auf. Zum Beispiel: "Das Wahlrecht ist direkt und allgemein" - "<i>ausgenommen</i> die Fälle,
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die das <i>Gesetz</i> bestimmen wird."</p>
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<p>Daher kann man nicht sagen, daß das Gesetz vom 31. Mai 1850 (das zwei Dritteln der
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Bevölkerung das Wahlrecht entzieht) die Konstitution überhaupt verletzt.</p>
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<p>Die Konstitution wiederholt immer wieder die Formulierung, daß die Regelung und
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Begrenzung der Rechte und Freiheiten des Volkes (z.B. des Vereinigungsrechts, des Wahlrechts, der
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Freiheit der Presse, des Unterrichts usw.) durch ein nachfolgendes <b>organisches Gesetz</b>
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festgelegt werden soll - und diese "organischen Gesetze" "bestimmen" die versprochene Freiheit,
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indem sie sie vernichten. Diesen Trick, die volle Freiheit zu versprechen, die schönsten
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Prinzipien festzulegen und ihre Anwendung, die <i>Details</i>, der Ent- <a name=
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"S504"><b><504></b></a> scheidung "nachfolgender Gesetze" zu überlassen, hat die
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österreichische und preußische Bourgeoisie von ihren französischen Vorbildern
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übernommen, denn dasselbe wurde in der französischen Konstitution von 1830 und in den
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vorangegangenen Konstitutionen getan.</p>
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<p>Volk! Kümmere dich ebensosehr um die <b>Details</b> wie um die Prinzipien, bevor du zur
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Macht gelangst. Im englischen Konvent wurde deshalb gerade um diesen Punkt gekämpft!</p>
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<p>Die einzigen bestimmten und endgültigen Klauseln der ganzen Konstitution sind diejenigen
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über die Präsidentenwahl (§ 45) und über die Revision der Konstitution
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(§ 11). Sie sind die einzigen Bestimmungen, die verletzt werden können, weil sie die
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einzigen sind, die sich nicht selbst widersprechen.</p>
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<p>Sie waren von der konstituierenden Versammlung des Jahres 1848 direkt gegen Bonaparte
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gerichtet, dessen Intrigen um das Präsidentenamt die Deputierten alarmierte.</p>
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<p>Die ewigen Widersprüche dieses Humbugs von einer Konstitution zeigen klar genug,
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daß die Bourgeoisie zwar in <i>Worten</i> demokratisch sein kann, aber nicht in ihren
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Handlungen, sie wird die Wahrheit eines Prinzips anerkennen, es aber nie in die Praxis umsetzen -
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und die wirkliche "Konstitution" Frankreichs findet sich nicht in der Charta, die wir
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wiedergegeben haben, sondern in den auf ihrer Grundlage erlassenen organischen Gesetzen, welche
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wir dem Leser kurz umrissen haben. Die <i>Prinzipien</i> waren vorhanden - die <i>Details</i>
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wurden der Zukunft überlassen, und mit jenen Details wurde die schamlose Tyrannei wieder zum
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Gesetz erhoben!</p>
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<p>Das in Frankreich erreichte Übermaß an Despotismus wird durch die folgenden
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Bestimmungen für die Arbeiter offensichtlich:</p>
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<p>Jeder Arbeiter erhält von der Polizei ein Buch, dessen erste Seite seinen Namen, Alter,
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Geburtsort, Gewerbe oder Beruf und eine Beschreibung seiner Person enthält. Er ist
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verpflichtet, den Namen des Unternehmers, für den er arbeitet, darin einzutragen sowie die
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Gründe, warum er ihn verläßt. Doch das ist noch nicht alles: Das Buch wird seinem
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Unternehmer übergeben und von diesem, versehen mit einer Charakterisierung des Arbeiters, im
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Polizeibüro hinterlegt. Wenn ein Arbeiter seine Stellung aufgibt, muß er zum
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Polizeibüro gehen und dieses Buch holen; er darf keine andere Stelle annehmen, ohne es
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vorzulegen. Dadurch hängt das Brot des Arbeiters völlig von der Polizei ab. Doch das
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ist wiederum noch nicht alles: Dieses Buch erfüllt den Zweck eines Passes. Wenn der Arbeiter
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sich unbeliebt gemacht hat, schreibt die Polizei hinein: "bon pour retounner chez lui"
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<"gültig für die Heimreise"> und er muß in seinen Heimatort zurück-
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<a name="S505"><b><505></b></a> kehren! Die Enthüllung dieser furchtbaren Tatsache
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braucht keinen Kommentar! Überlassen wir es dem Leser, sich selbst die volle Auswirkung
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auszumalen und den tatsächlichen Konsequenzen nachzuspüren. Nicht einmal in der
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Leibeigenschaft der Feudalzeit oder in dem Pariawesen Indiens findet sich eine Parallele. Ist es
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da ein Wunder, wenn das französische Volk auf die Stunde des Aufstands wartet. Ist es ein
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Wunder, wenn sein Unwille einen Sturm entfesselt. Es war gnädig im Jahre 1830, es war
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gnädig im Jahre 1848; doch seitdem wurde seine Freiheit verschachert und sein Blut in
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Strömen vergossen; jedes Gefängnis in Frankreich ist mit lebenslänglich
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Verurteilten überfüllt, 15.000 wurden auf einen Schub deportiert, und jetzt lastet auf
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ihm der fürchterliche Despotismus, den wir beschrieben haben. Ist es da ein Wunder, wenn die
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Bourgeoisie das Volk fürchtet und ihre letzte Kraft anspannt, um die Stunde der Vergeltung
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hinauszuschieben. Doch sie ist in sich gespalten. Sie hat zu viele widersprüchliche
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Bestrebungen, und als erste steht auf dem Programm:</p>
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<p align="center">DAS SPIEL NAPOLEONS</p>
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<p>Die Frage ist jetzt, ob die Amtszeit des Präsidenten verlängert und die Konstitution
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revidiert werden soll. Napoleon kann ohne einen offenen Bruch der Konstitution nicht
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wiedergewählt werden, erstens weil er vor Ablauf einer Periode von vier Jahren nach seiner
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Amtszeit nicht wiedergewählt und zweitens weil die Konstitution nur durch eine
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Zweidrittelmehrheit geändert werden kann. Eine solche Mehrheit gibt es in dieser Frage
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nicht, und daher ist eine verfassungsmäßige Wiederwahl nicht möglich.</p>
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<p>Darum gibt es für Bonaparte nur die eine Alternative: der Konstitution zu trotzen, zu den
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Waffen zu greifen und die Sache auszufechten oder zum vorgeschriebenen Zeitpunkt sein Amt dem
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Gesetz entsprechend zu übergeben. Im letzteren Falle würde Cavaignac Präsident und
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die <b>Republik der Bourgeoisie</b> wäre vollendet. Im ersteren Falle sind die Folgen
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komplizierter.</p>
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<p>Das Spiel Napoleons geht deshalb jetzt darauf hinaus, die Unzufriedenheit des Volkes zu
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schüren. Die Bourgeoisie ist der Feind Napoleons - das Volk weiß das, und es besteht
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zwischen ihnen ein Band der Sympathie. Er teilt jedoch den Makel der Unterdrückung mit der
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Bourgeoisie; wenn er diesen völlig von seinen Schultern auf ihre abwälzen kann, dann
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ist ein großes Hindernis beseitigt.</p>
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<p>Daß er dies anstrebt, bewies seine kürzliche Rede in Dijon, wo er sagte:</p>
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<p><font size="2">"Die Nationalversammlung hat alle schlechten Gesetze in Kraft gesetzt; jedes
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gute Gesetz, das ich vorgeschlagen habe, wurde von dieser Körperschaft verworfen oder
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verstümmelt. Sie haben alle meine Bemühungen, eure Bedingungen zu verbessern, vereitelt
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und den Verbesserungen Hindernisse entgegengestellt, wo es keine gab."</font></p>
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<p><b><a name="S506"><506></a></b> So bemüht er sich, den Blitz von seinem Haupt auf
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die Versammlung abzuleiten. Unterdessen ist die Armee eher für ihn als für die letztere
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Körperschaft - und das Elend des Volkes ist derart, daß nach Meinung der breiten Masse
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beinahe jede Änderung eine Besserung bedeuten müsse, während die Einsichtigen nur
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eine Minderheit sind.</p>
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<p>Deshalb würde das Volk, wenn vielleicht die Bourgeoisie angesichts der Entschlossenheit
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Napoleons unter Cavaignac den Kampf wagen würde, bestimmt gegen sie kämpfen - und
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Napoleon würde auf seiten des Volkes kämpfen. Vereint würden sie sich für die
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Versammlung als zu stark erweisen. Doch dann würde der kritische Zeitpunkt eintreten, da die
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Versammlung herausfinden würde, daß das Volk im Begriff ist zu siegen, und sie
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würde das kleinere der beiden Übel wählen. Sie würde ein Kaiserreich oder
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eine Diktatur Napoleons einer demokratischen und sozialen Republik vorziehen und deshalb mit dem
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Präsidenten zu einer Einigung kommen. Da der letztere die demokratische Macht ebenso wie sie
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fürchtet, würde er ihre Hilfe annehmen. Die Armee oder zumindest ein Teil derselben
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würde durch die Erregung, die Gefahr und den "Ruhm" des Kampfes Napoleon noch mehr ergeben
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sein, und die Auseinandersetzung würde damit ein neues Gesicht bekommen - die Armee und die
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Bourgeoisie gegen das Volk. Der Ausgang hängt von dem Mut, der Klugheit und der Einigkeit
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des Volkes ab. Das Spiel Napoleons besteht darin, erst das Volk gegen die Bourgeoisie, dann die
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Bourgeoisie gegen das Volk auszuspielen und die Armee gegen beide zu gebrauchen.</p>
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<p>Die Zukunft geht mit großen Ereignissen schwanger, und das gegenwärtige Frankreich
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ist eines der interessantesten Studienobjekte, welche die Geschichte bietet.</p>
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</body>
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</html>
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