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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<TITLE>John Reed: 10 Tage die die Welt ersch&uuml;tterten</TITLE>
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<BODY bgcolor="#FFFFFF">
<H3>
IV. DER STURZ DER PROVISORISCHEN REGIERUNG
</H3>
<P>
<P>
Mittwoch, 7. November. Ich hatte mich sehr sp&auml;t erhoben. Vom Peter -
Paul schlug bereits die Mittagsglocke, als ich den Newski hinunterschritt.
Der Tag war kalt und ungem&uuml;tlich. Vor den geschlossenen T&uuml;ren der
Staatsbank standen Soldaten mit aufgepflanztem Bajonett. &AElig;Wozu geh&ouml;rt
ihr?" fragte ich, &AElig;zur Regierung?" &AElig;Die Regierung ist futsch.
Slawa Bogu" (Gott sei Dank). Das war alles was ich herausbekam. Die
Stra&szlig;enbahnen fuhren wie gew&ouml;hnlich, nicht nur innen
&uuml;berf&uuml;llt, sondern auch au&szlig;en behangen mit M&auml;nnern,
Frauen und kleinen Jungen, die sich anklammerten, wo nur ein Pl&auml;tzchen
sich fand. Die L&auml;den waren ge&ouml;ffnet, und die Stra&szlig;en schienen
sogar weniger unruhig als am Abend vorher. Die Mauern der H&auml;user waren
in der Nacht mit unz&auml;hligen gegen den Aufstand gerichteten Appellen
beklebt - an die Bauern, an die Frontsoldaten, an die Petrograder Arbeiter.
Einer lautete wie folgt:
<P>
&AElig; V o n d e r P e t r o g r a d e r S t a d t d u m a !
<P>
Die Stadtduma bringt den B&uuml;rgern zur Kenntnis, da&szlig; sie in einer
au&szlig;erordentlichen Sitzung vom 6. November ein Komitee f&uuml;r die
&ouml;ffentliche Sicherheit gebildet hat, das sich zusammensetzt aus Mitgliedern
der Zentralduma und den Stadtbezirksdumas sowie aus Vertretern der folgenden
revolution&auml;ren demokratischen Organisationen: Zentralexekutivkomitee
der Sowjets, Gesamtrussisches Exekutivkomitee der Bauerndeputierten, die
Armeeorganisationen, Zentroflot, Petrograder Sowjet der Arbeiter- und
Soldatendeputierten (!), Gewerkschaftsrat u. a. Zu erreichen sind die Mitglieder
des Komitees f&uuml;r &ouml;ffentliche Sicherheit im Haus der Stadtduma.
Telefon Nr.15-40, 223-77, 138-36. 7. November1917"
<P>
Dies war (mir wurde das erst sp&auml;ter klar) die Kriegserkl&auml;rung der
Duma an die Bolschewiki. Ich kaufte eine Nummer des &AElig;Rabotschi Put",
wie es schien die einzige Zeitung, die zu haben war, und etwas sp&auml;ter,
aus zweiter Hand, von einem Soldaten, f&uuml;r f&uuml;nfzig Kopeken ein Exemplar
des &AElig;Den". Das in Gro&szlig;format in der beschlagnahmten Druckerei
der &AElig;Russkaja Wolja" hergestellte Blatt der Bolschewiki enthielt auf
der Vorderseite in gro&szlig;en Lettern die Parolen: <I>&AElig;Alle Macht
den Sowjets der Arbeiter, Soldaten und Bauern! Friede, Land, Brot!"</I> Der
Leitartikel war von Sinowjew gezeichnet, der sich, wie Lenin, verborgen halten
mu&szlig;te. Er begann: &AElig;Jeder Soldat und jeder Arbeiter, jeder wahre
Sozialist und jeder ehrliche Demokrat begreift, da&szlig; es heute nur zwei
M&ouml;glichkeiten gibt. Entweder - die Macht verbleibt in den H&auml;nden
der Bourgeoisie und der Gutsbesitzer, das hie&szlig;e: Unterdr&uuml;ckung
der revolution&auml;ren Arbeiter, Soldaten und Bauern, Fortsetzung des Krieges,
unvermeidliche Hunger und Tod ...,oder die revolution&auml;ren Arbeiter,
Soldaten und Bauern &uuml;bernehmen die Macht, das w&auml;re die v&ouml;llige
Zerschmetterung der Gutsbesitzertyrannei, die Niederlage der Kapitalisten,
sofortiger Vorschlag eines gerechten Friedens. Die Bauern w&uuml;rden das
Land erhalten, die Arbeiter die Kontrolle &uuml;ber die Industrie, die Hungernden
Brot, der wahnsinnige Krieg ginge zu Ende!"
<P>
Der &AElig;Den" enthielt - allerdings sehr unvollst&auml;ndige - Nachrichten
&uuml;ber die Ereignisse der letzten bewegten Nacht: Besetzung der
Telefonzentrale, der Telegrafenagentur und des Baltischen Bahnhofs durch
die Bolschewiki; die Offizierssch&uuml;ler von Peterhof au&szlig;erstande,
nach Petrograd zu kommen; die Kosaken unentschlossen; Verhaftung einiger
Minister; Erschie&szlig;ung Mejers, des Chefs der Stadtmiliz. Verhaftungen,
Gegenverhaftungen; Handgemenge zwischen Soldaten, Offizierssch&uuml;lern
und Rotgardisten! An der Ecke der Morskaja traf ich den Hauptmann Gomberg,
Sekret&auml;r der Milit&auml;rsektion der menschewistischen Sozialpatrioten.
Auf meine Frage, ob der Aufstand wirklich stattgefunden habe, zuckte erm&uuml;de
die Achseln. &AElig;Tschort snajet" (Wei&szlig; der Teufel.) &AElig;Vielleicht
gelingt es den Bolschewiki in der Tat die Macht an sich zu rei&szlig;en;
aber sie werden sie keine drei Tage halten k&ouml;nnen. Es fehlen ihnen die
M&auml;nner, die f&auml;hig w&auml;ren, die Regierungsgesch&auml;fte zu
f&uuml;hren. Vielleicht ist es ganz gut, sie den Versuch machen zu lassen.
Sie werden um so schneller abwirtschaften..." Das Milit&auml;rhotel an der
Ecke des St. Isaak - Platzes war von bewaffneten Matrosen umstellt. In der
Hotelhalle waren viele elegante junge Offiziere, aufgeregt auf und ab gehend
oder miteinander fl&uuml;sternd. Die Matrosen lie&szlig;en niemand heraus.
Pl&ouml;tzlich ein Gewehrschu&szlig;, darauf das Geknatter einer ganzen Salve.
Ich rannte hinaus. Am Marienpalast, dem Sitz des Rates der Russischen Republik,
schien sich etwas ereignet zu haben. Quer &uuml;ber den weiten Platz waren
in langen Reihen Soldaten mit schu&szlig;bereiten Gewehren aufmarschiert
und starrten zu Dach des Geb&auml;udes empor. &AElig;Provokazia! Auf uns
wurde geschossen!" schrie einer, w&auml;hrend ein anderer zur T&uuml;r lief.
An der Westecke des Palastes stand ein Panzerauto, rotbeflaggt und mit roten,
noch frischen Schriftzeichen: &AElig;SRSD" (Sowjet der Arbeiter- und
Soldatendeputierten). Seine Gesch&uuml;tze waren auf den St.-Isaaks-Platz
gerichtet. Am Ausgang der Nowaja Uliza erhob sich, die Passage versperrend,
eine Barrikade aus Kisten, F&auml;ssern, einer alten Matratze, einem
umgest&uuml;rzten Wagen. Am Ende des Moika- Ufers lag, denn Zugang hindernd,
ein gro&szlig;er Haufen geschnittenen Holzes. Auch entlang der ganzen
H&auml;userfront waren Holzkl&ouml;tze, die von einem in der Nachbarschaft
lagernden Stapel stammten, zu einer Brustwehr aufgeschichtet. &AElig;Erwarten
Sie denn hier K&auml;mpfe?" fragte ich. &AElig;Das wird bald losgehen",
antwortete aufgeregt ein Soldat. &AElig;Gehen Sie weg, Genosse, sonst werden
Sie zu Schaden kommen. Sie m&uuml;ssen von dort dr&uuml;ben kommen." Dabei
zeigte er in Richtung der Admiralit&auml;t. &AElig;Wer mu&szlig; kommen?"
&AElig;Das kann ich nicht sagen, Br&uuml;derchen", antwortete er und spuckte
aus.
<P>
Vor dem Tore des Palastes eine Ansammlung von Matrosen und Soldaten, denen
ein Matrose von dem Ende des Rates der Russischen Republik erz&auml;hlte:
&AElig;Wir gingen hinein, postierten an allen Ausg&auml;ngen unsere Genossen,
und dann ging ich zu dem den Vorsitz f&uuml;hrenden Konterrevolution&auml;r
hin und sagte einfach: ,Schlu&szlig; mit dem Rat. Geht schnell nach Hause.'"
Die Umstehenden lachten. Alle m&ouml;glichen Ausweispapiere schwingend, gelang
es mir, bis zur T&uuml;r der Pressegalerie vorzudringen. Dort aber hielt
mich ein riesiger Matrose an, der, als ich ihm meinen Ausweis zeigte,
l&auml;chelnd sagte: &AElig;Lieber Genosse, wenn Sie St. Michael selber
w&auml;ren, k&ouml;nnten Sie doch nicht passieren." Durch die Scheiben der
T&uuml;r bemerkte ich das wutverzerrte Gesicht und die gestikulierenden Arme
eines dort eingeschlossenen franz&ouml;sischen Korrespondenten .....
<P>
Nicht weit entfernt stand, von einem Haufen Soldaten umringt, ein kleiner
graub&auml;rtiger Mann in der Uniform eines Generals, mit vor Erregung hochrotem
Gesicht. &AElig;Ich bin General Alexejew", schrie er, &AElig;als Ihr vorgesetzter
Offizier und Mitglied des Rates der Russischen Republik fordere ich Sie auf,
mich passieren zu lassen." Der Posten kratzte sich den Kopf, im unklaren,
was er machen sollte. Er rief einen sich n&auml;hernden Offizier heran, der
sehr aufgeregt wurde, als er sah, wen er vor sich hatte, und stramm
milit&auml;risch gr&uuml;&szlig;te, noch ehe er begriff, was er tat.
&AElig;Exzellenz", stammelte er in der unter dem alten Regime &uuml;blichen
Manier, &AElig;der Zutritt zum Palast ist strikt untersagt, und ich habe
keine Befugnis-." Ein Automobil kam vor&uuml;ber. Ich erkannte den im Wagen
sitzenden Goz, der die Situation anscheinend sehr belustigend fand und laut
lachte. Dann ein zweites Auto, auf dem Vordersitz bewaffnete Soldaten, im
Wageninnern verhaftete Mitglieder der Provisorischen Regierung. Pl&ouml;tzlich
sah ich Peters, ein lettisches Mitglied des Revolution&auml;ren
Milit&auml;rkomitees, &uuml;ber den Platz gelaufen kommen. &AElig;Ich denke,
Sie hatten alle diese Herrschaften schon gestern abend festgesetzt", sagte
ich, auf das Auto weisend. &AElig;Ach", antwortete er mit einer unzufriedenen
Grimasse, &AElig;diese Dummk&ouml;pfe haben die meisten wieder laufen lassen,
noch ehe wir uns klargeworden waren, was wir eigentlich wollten...." Den
Woskressenski- Prospekt hinunter waren gewaltige Scharen Matrosen aufmarschiert,
dahinter, soweit das Auge reichte, Soldaten. Wir gingen durch den Admiraltejski-
Prospekt zum Winterpalast. S&auml;mtliche Zug&auml;nge zum Schlo&szlig;platz
waren von Wachen besetzt, die niemand passieren lie&szlig;en, und quer &uuml;ber
den ganzen westlichen Teil des Platzes zog sich ein Truppenkordon, von einem
Haufen aufgeregter B&uuml;rger umlagert. Mit Ausnahme einiger weiter entfernter
Soldaten, die aus dem Schlo&szlig;hof Holz zu holen schienen, um es an der
Vorderseite zu einer Art Brustwehr aufzustapeln, war alles ruhig. Es war
nicht m&ouml;glich, herauszubekommen, ob die Wachen zur Regierung geh&ouml;rten
oder zu den Sowjets. Unsere im Smolny ausgestellten Passierscheine n&uuml;tzten
uns indessen nichts, und so n&auml;herten wir uns der Linie von einer anderen
Seite, zeigten mit wichtiger Miene unsere amerikanischen P&auml;sse vor,
erkl&auml;rten, da&szlig; wir in &AElig;amtlichen Gesch&auml;ften!" k&auml;men
und - schl&uuml;pften durch. An der T&uuml;r nahmen uns die gleichen alten
Palastdiener in ihren mit gelben Messingkn&ouml;pfen besetzten Uniformen
mit rot- und goldverziertem Kragen h&ouml;flich unsere H&uuml;te und M&auml;ntel
ab, und wir gingen nach oben. In den dunklen, tr&uuml;ben, ihrer Wandverkleidung
beraubten Korridoren lungerten einige alte Diener herum, und vor Kerenskis
T&uuml;r schritt ein junger Offizier auf und nieder, seinen Schnurrbart kauend.
Wir fragten, ob wir den Ministerpr&auml;sidenten sprechen k&ouml;nnten. Er
verbeugte sich h&ouml;flich und schlug die Hacken zusammen.
<P>
&AElig;Nein, ich bedauere", sagte er auf franz&ouml;sisch. &AElig;Alexander
Fjodorowitsch ist sehr besch&auml;ftigt..." Er musterte uns einen Moment
und f&uuml;gte hinzu: &AElig;Er ist gar nicht hier..." &AElig;Wo ist er denn?"
&AElig;Er ist zur Front gefahren. Wissen Sie, er hatte nicht einmal
gen&uuml;gend Brennstoff f&uuml;r sein Auto, wir waren daher gezwungen, die
Hilfe des englischen Hospitals in Anspruch zu nehmen." &AElig;Sind die Minister
hier?" &AElig;Die tagen hier in irgendeinem Raum. Wo, wei&szlig; ich nicht."
&AElig;Was meinen Sie, werden die Bolschewiki kommen?" &AElig;Gewi&szlig;,
die kommen sicher, Ich erwarte jede Minute die telefonische Meldung, da&szlig;
sie anr&uuml;cken. Wir sind jedoch bereit. Wir haben die Offizierssch&uuml;ler
hier. In der Vorderseite des Palastes. Dort, durch diese T&uuml;r."
&AElig;K&ouml;nnen wir dort hinein?" &AElig;Nein, gewi&szlig; nicht. Das
ist nicht gestattet." Hastig sch&uuml;ttelte er uns allen die Hand und ging
davon. Wir wandten uns der verbotenen T&uuml;r zu, die durch eine den Saal
teilende provisorische Wand f&uuml;hrte und von au&szlig;en verschlossen
war. Von der anderen Seite h&ouml;rten wir Stimmen. Irgendwer lachte. Sonst
Grabesstille in den weiten R&auml;umen des alten Palastes. Ein alter Diener
kam herbeigelaufen. &AElig;Aber nicht doch, Barin, da k&ouml;nnen Sie nicht
hinein." &AElig;Warum ist die T&uuml;r verschlossen?" &AElig;Um die Soldaten
festzuhalten", versetzte er, und einige Minuten sp&auml;ter etwas von &AElig;Tee
holen wollen" murmelnd, ging er nach dem hinteren Teil des Saals davon. Wir
&ouml;ffneten die T&uuml;r. Unmittelbar vor uns standen ein paar Wachen,
die indes nichts sagten. Am Ende des Korridors war ein gro&szlig;er
geschm&uuml;ckter Raum mit vergoldeter Deckenverzierung und riesigen
Kristallkronleuchtern und dahinter mehrere kleine Zimmer mit dunkler
Holzt&auml;felung. Auf dem Parkettboden lagen zu beiden Seiten lange Reihen
schmutziger Matratzen und Decken, auf denen sich faul Soldaten rekelten.
&Uuml;berall war ein w&uuml;stes Durcheinander von Zigarettenenden, Brotresten,
Kleidungsst&uuml;cken und leeren Weinflaschen. In der schier unertr&auml;glichen
Atmosph&auml;re von Tabaksqualm und ungewaschenen Menschenmassen kamen immer
mehr Soldaten zum Vorschein, mit den roten Achselst&uuml;cken der
Offiziersschulen. Einer hatte eine Flasche wei&szlig;en Burgunders, die offenbar
aus den Kellereien des Palastes stammte. Sie sahen uns verwundert nach, als
wir so von Raum zu Raum wanderten, bis wir zu einer Reihe m&auml;chtiger
Staatssalons kamen, deren lange schmutzige Fensterreihen nach dem
Schlo&szlig;platz blickten. Die W&auml;nde bedeckten riesige Gem&auml;lde
in massiven Goldrahmen, Schlachtenszenen aus der russischen Geschichte:
&AElig;12. Oktober 1812" und &AElig;6. November 1812" und &AElig;16.-28.
August 1813". Eines der Bilder war an der rechten oberen Ecke besch&auml;digt.
Das ganze war - nach dem Zustand der W&auml;nde und des Fu&szlig;bodens zu
urteilen - offenbar schon seit Wochen eine einzige gro&szlig;e Kaserne. Auf
den Fensterb&auml;nken sah ich schu&szlig;fertige Maschinengewehre, zwischen
den Lagerst&auml;tten Gewehrpyramiden. In die Betrachtung der Bilder versunken,
f&uuml;hlte ich pl&ouml;tzlich zu meiner Linken einen intensiven Alkoholdunst.
Dann eine Stimme in hartem, aber flie&szlig;endem Franz&ouml;sisch: &AElig;Ah,
die Herrschaften sind Ausl&auml;nder. Ihre Art, die Bilder zu bewundern,
sagt mir das." Ein kleiner, gedunsener Mensch, der, als er die M&uuml;tze
l&uuml;ftete, einen kahlen Kopf zeigte. &AElig;Amerikaner? Sehr erfreut.
Ich bin Stabshauptmann Wladimir Arzybaschew. Ganz zu ihren Diensten." Er
schien absolut nicht verwundert, da&szlig; vier Ausl&auml;nder, darunter
eine Frau, die Kampfstellungen einer Armee durchwandern, die jeden Augenblick
den Angriff erwartet. Er beklagte den Zustand Ru&szlig;lands. &AElig;Wenn
es nur die Bolschewiki w&auml;ren". Sagte er. &AElig;aber die ganze
gl&auml;nzende Tradition der russischen Armee ist niedergebrochen. Blicken
Sie um sich. Die Leute, die Sie hier sehen, sind alles Offizierssch&uuml;ler,
Anw&auml;rter f&uuml;r die Offizierslaufbahn. Aber haben sie das Aussehen
von Gentlemen? Kerenski hat die Offiziersschulen allen ge&ouml;ffnet, auch
dem einfachen Soldaten, sofern er nur ein Examen zu machen in der Lage war.
Nat&uuml;rlich sind nun sehr, sehr viele von der Revolution angesteckt..."
Ohne Umst&auml;nde wechselte er das Thema. &AElig;Ich m&ouml;chte lieber
heute als morgen Ru&szlig;land verlassen. Ich habe mich entschlossen, zur
amerikanischen Armee zu gehen. Wollen Sie das bitte bei ihrem Konsul in die
Wege leiten? Ich gebe ihnen meine Adresse." Da half kein Protest; er schrieb
sie auf ein st&uuml;ck Papier, und gleich schien ihm leichter ums Herz zu
sein. Ich habe sie heute noch: &AElig;2. Offiziersschule Oranienbaum, Alter
Petershof". &AElig;Wir hatten heute morgen Parade", fuhr er fort, w&auml;hrend
er uns durch die Zimmer f&uuml;hrte. &AElig;Das Frauenbataillon hat beschlossen,
zur Regierung zu halten." &AElig;Ist das Frauenbataillon im Palast?" &AElig;Ja,
in den hinteren R&auml;umen. Dort ist es in Sicherheit, wenn es zu K&auml;mpfen
kommen sollte." Seufzend: &AElig;Die Verantwortung ist gro&szlig;." Wir standen
einen Augenblick am Fenster und blickten auf den Platz vor dem Palast hinunter,
wo drei Kompanien Offizierssch&uuml;ler in langen M&auml;nteln und bewaffnet
aufmarschiert waren. Ein hochgewachsener, energisch blickender Offizier,
in dem ich Stankewitsch, den Chef des Milit&auml;rkommissariats der
Provisorischen Regierung erkannte, sprach zu ihnen. Nach einigen Minuten
schulterten zwei der Kompanien ihre Gewehre, stie&szlig;en drei scharfe Hurras
aus und marschierten &uuml;ber den Platz durchs Rote Tor der Stadt zu. &AElig;Sie
wollen die Telefonzentrale besetzen", sagte irgendjemand. Drei Kadetten standen
neben uns, und wir kamen ins Gespr&auml;ch. Sie erz&auml;hlten, sie seien
aus den Reihen der einfachen Soldaten in die Schule gekommen, und nannten
uns ihre Namen: Robert Olew, Alexej Wassilenko und Erni Sachs, ein Este.
Aber jetzt wollten sie nicht mehr Offizier werden, weil die Offiziere sehr
unbeliebt seien. Sie wu&szlig;ten anscheinend nicht recht, was sie tun sollten.
Fest stand jedenfalls, da&szlig; sie nicht sehr gl&uuml;cklich waren.
<P>
Bald aber fingen sie an, gro&szlig;e Reden zu f&uuml;hren. &AElig;Wenn die
Bolschewiki kommen, werden wir ihnen zeigen, was k&auml;mpfen hei&szlig;t.
Die wagen es ja nicht. Das sind doch alles Feiglinge. Wenn wir aber doch
&uuml;berw&auml;ltigt werden sollten, nun ja, dann beh&auml;lt jeder eine
Patrone f&uuml;r sich selbst..." Da pl&ouml;tzlich in nicht allzu weiter
Entfernung Gewehrfeuer. Drau&szlig;en auf dem Platze begannen die Leute zu
rennen und warfen sich flach auf den Boden. Die an den Ecken haltenden Droschken
rasten davon. Auch im Palast war allgemeine Aufregung, Soldaten liefen wild
durcheinander, ihre Gewehre und Patroneng&uuml;rtel greifend und schreiend:
&AElig;Sie kommen, sie kommen!"... Nach einigen Minuten war alles wieder
ruhig. Die Droschken kamen zur&uuml;ck, und die am Boden liegenden Leute
erhoben sich. Durchs Rote Tor kamen die Offizierssch&uuml;ler gezogen, nicht
mehr ganz im Schritt marschierend, einer von ihnen auf zwei Kameraden
gest&uuml;tzt. Wir verlie&szlig;en den Palast ziemlich sp&auml;t. Am Platze
waren die Wachen verschwunden. Das weite Halbrund der Regierungsgeb&auml;ude
lag wie ausgestorben. Wir gingen in das Hotel France, um zu essen. Wir waren
noch bei der Suppe, als der Kellner mit todblassem Gesicht hereinkam und
uns aufforderte, f&uuml;r den Rest des essens in den Hauptspeisesaal im hinteren
teil des Hauses zu kommen, weil die Lichter ausgemacht werden sollten. &AElig;Es
wird eine gro&szlig;e Schie&szlig;erei geben", sagte er. Als wir wieder an
der Morskaja anlangten, herrschte tiefe Dunkelheit. Nur an der Ecke des Newski
flackerten ein paar Stra&szlig;enlaternen. Darunter stand ein gro&szlig;er
Panzerwagen mit laufendem Motor, der schwarze Rauchwolken ausstie&szlig;.
Ein kleiner Junge war daran hochgeklettert und starrte in den Lauf eines
Maschinengewehrs. &Uuml;berall standen Matrosen und Soldaten, offenbar auf
irgend etwas wartend. Wir gingen zum Roten Tor zur&uuml;ck. Auch dort war
ein Haufe von Soldaten versammelt, zu den hellerleuchteten Fenstern des
Winterpalastes hinaufstarrend und laut miteinander redend.
<P>
&AElig;Aber nein, Genossen!" h&ouml;rte ich einen sagen. &AElig;Wir k&ouml;nnen
unm&ouml;glich schie&szlig;en. Das Frauenbataillon ist drinnen. Man w&uuml;rde
sagen, wir sch&ouml;ssen auf russische Frauen." Am Newski kam wieder ein
Panzerauto um die Ecke gebogen, und ein Mann schrie, seinen Kopf aus dem
T&uuml;rmchen heraussteckend: &AElig;Los, hin&uuml;ber und angegriffen!"
Der F&uuml;hrer eines anderen Autos kam heran und schrie, den L&auml;rm des
arbeitenden Motor &uuml;bert&ouml;nend: &AElig;Das Komitee sagt, wir sollen
warten. Die haben da Artillerie hinter ihren Holzstapeln..." Stra&szlig;enbahnen
fuhren hier nicht, man sah kaum einen Fu&szlig;g&auml;nger, die Laternen
waren gel&ouml;scht. Ein paar Stra&szlig;en weiter jedoch ging das Leben
seinen gewohnten Gang: &uuml;berf&uuml;llte Stra&szlig;enbahnen, auf und
nieder wogende Menschenmassen, erleuchtete Schaufenster, die Reklamezeichen
der Lichtspieltheater. Wir hatten Einla&szlig;karten f&uuml;r das Ballett
des Marientheaters - alle Theater waren ge&ouml;ffnet -; wir fanden es jedoch
drau&szlig;en interessanter.... In der Dunkelheit bahnten wir uns m&uuml;hsam
unseren Weg &uuml;ber Haufen geschnittenen Holzes, die den Zugang zur
Polizeibr&uuml;cke versperrte, und sahen vor dem Stroganowpalast einige Soldaten,
besch&auml;ftigt, ein Dreizollfeldgesch&uuml;tz in Stellung zu bringen. Soldaten
in den allerverschiedensten Uniformen liefen ziellos hin und her,
unabl&auml;ssig redend... Den Newski hinab promenierten un&uuml;bersehbare
Menschenmassen. Die ganze Stadt war offenbar unterwegs. An jeder
Stra&szlig;enecke Ansammlungen und hitzige Debatten. Wachposten standen an
den Kreuzungen, jeweils ein Dutzend Soldaten mit aufgepflanztem Bajonett.;
rotgesichtige alte M&auml;nner in kostbaren Pelzm&auml;nteln drohten ihnen
mit der Faust, elegant gekleidete Frauen kreischten Verw&uuml;nschungen.
Die Soldaten l&auml;chelten verlegen, gaben ausweichende Antworten... Panzerwagen
fuhren die Stra&szlig;e auf und ab. Sie trugen die Namen der alten Zaren
- Oleg, Rurik, Swjatoslaw - und in riesengro&szlig;en Buchstaben aufgemalt
die Aufschrift &AElig;RSDRP" (Rossiskaja Sozial- Demokratitscheskaja Rabotschaja
Partija - Sozialdemokratische Arbeiterpartei Ru&szlig;lands). Am Michailowski
erschien ein Mann, den Arm voller Zeitungen, und war sofort umringt von einer
w&uuml;tenden Menge, die, einen Rubel, f&uuml;nf und zehn Rubel bietend,
sich um die Zeitungen raufte. Es war &AElig;Rabotschi i Soldat", ein vierseitiges
Bl&auml;ttchen in kleinem Format und Riesenlettern, das den Sieg der
proletarischen Revolution und die Befreiung der noch immer in den Kerkern
schmachtenden Bolschewiki ank&uuml;ndigte und die Truppen der Front zur
Verteidigung der Revolution aufforderte. Im &uuml;brigen enthielt das Blatt
nichts wesentlich Neues... An der Ecke der Sadowaja waren &uuml;ber zweitausend
Menschen versammelt und starrten zum Dach eines hohen Geb&auml;udes empor,
wo ab und zu ein kleiner roter Funke aufgl&uuml;hte. &AElig;Seht!" sagte
ein hochgewachsener Bauer hinaufzeigend. &AElig;Ein Provokateur. Gleich wird
er auf die Leute schie&szlig;en..." Anscheinend dachte niemand daran, den
Vorgang zu untersuchen.
<P>
Wir waren am Smolny, dessen massige Fassade ganz in Licht getaucht war. Aus
dem D&auml;mmer der angrenzenden Stra&szlig;en ergossen sich endlose Scharen
dunkler Gestalten. Ein unaufh&ouml;rliches An- und Abfahren von Automobilen
und Motorr&auml;dern. Aus dem Torweg ratterte ein riesiges elefantenfarbenes
Panzerauto mit zwei vom Turm flatternden roten Fahnen. Es war kalt, und die
am &auml;u&szlig;eren Tor postierten Rotgardisten hatten ein Feuer
angez&uuml;ndet. Auch am Innentor war ein Feuer, bei dessen flackerndem Schein
die Wachen schwerf&auml;llig unsere Ausweise durchbuchstabierten und uns
von oben bis unten musterten. Von den zu beiden Seiten des Torweges aufgestellten
vier Maschinengewehren waren die Segeltuchdecken abgenommen, und von den
Bodenst&uuml;cken hingen die Patronengurte herab. Unter den B&auml;umen im
Hofe stand eine dunkle Herde Panzerautos mit ratterndem Motor. Die endlos
langen, kahlen, fast dunklen Korridore hallten wider von dem dumpfen Get&ouml;se
marschierender F&uuml;&szlig;e, von Rufen und Schreien. Aus dem Treppenhaus
w&auml;lzte sich eine dunkle Menge: Arbeiter in Blusen und runden schwarzen
Pelzm&uuml;tzen, die meisten mit Gewehren bewaffnet; Soldaten in rauhen,
erdfarbenen M&auml;nteln und grauen, flachgedr&uuml;ckten Pelzm&uuml;tzen;
dann und wann ein F&uuml;hrer - Lunatscharski, Kamenew - inmitten dahineilender,
aufgeregt redender Gruppen, mit abgespannten besorgten Gesichtern, riesige
Aktenb&uuml;ndel unter dem Arm. Die au&szlig;erordentliche Sitzung des
Petrograder Sowjets war eben vor&uuml;ber. Ich hielt Kamenew an, einen
beweglichen Mann mit breitem, lebhaften Gesicht und kurzem gedrungenem Hals.
Ohne Umst&auml;nde zu machen , las er mir in flie&szlig;endem Franz&ouml;sisch
die eben angenommene Resolution vor: &AElig;Der Petrograder Sowjet der Arbeiter-
und Soldatendeputierten begr&uuml;&szlig;t die siegreiche Revolution des
Proletariats und der Garnison Petrograds. Der Sowjet hebt insbesondere die
Geschlossenheit, Organisiertheit und Disziplin sowie die v&ouml;llige
Einm&uuml;tigkeit hervor, die die Massen bei diesem au&szlig;ergew&ouml;hnlich
unblutigen und au&szlig;ergew&ouml;hnlich erfolgreichen Aufstand an den Tag
gelegt haben. Der Sowjet bringt seine unersch&uuml;tterliche &Uuml;berzeugung
zum Ausdruck, da&szlig; die Arbeiter-und-Bauern-Regierung, die von der Revolution
als Sowjetregierung geschaffen wird und die dem st&auml;dtischen Proletariat
die Unterst&uuml;tzung seitens der ganzen Masse der armen Bauernschaft sichert,
unbeirrt zum Sozialismus schreiten wird, dem einzigen Mittel zur Rettung
des Landes vor den unsagbaren Leiden und Schrecken des Krieges. Die neue
Arbeiter-und-Bauern-Regierung wird sofort allen kriegf&uuml;hrenden V&ouml;lkern
einen gerechten demokratischen Frieden anbieten. Sie wird sofort das Eigentum
der Gutsbesitzer an Grund und Boden aufheben und den Boden den Bauern
&uuml;bergeben. Sie wird die Arbeiterkontrolle &uuml;ber die Produktion und
Verteilung der Produkte sowie die allgemeine Kontrolle des Volkes &uuml;ber
die Banken einf&uuml;hren und diese gleichzeitig in ein einziges
Staatsunternehmen verwandeln. Der Petrograder Sowjet der Arbeiter- und
Soldatendeputierten fordert alle Arbeiter und die gesamte Bauernschaft auf,
die Arbeiter- und Bauernrevolution mit aller Energie und Hingabe zu
unterst&uuml;tzen. Der Sowjet bringt seine &Uuml;berzeugung zum Ausdruck,
da&szlig; die st&auml;dtischen Arbeiter im Bunde mit der armen Bauernschaft
eine unbeugsame kameradschaftliche Disziplin an den Tag legen und die straffste
revolution&auml;re Ordnung schaffen werden, die f&uuml;r den Sieg des Sozialismus
notwendig ist. Der Sowjet ist &uuml;berzeugt, da&szlig; das Proletariat der
westeurop&auml;ischen L&auml;nder uns helfen wird, die Sache des Sozialismus
zum vollen und dauernden Siege zu f&uuml;hren." &AElig;Dann meinen Sie also
gesiegt zu haben?" Er zuckte die Schultern. &AElig;Vorl&auml;ufig haben wir
noch schrecklich viel zu tun. Wir stehen erst am Anfang." Auf der Treppe
traf ich Rjasanow, den stellvertretenden Vorsitzenden der Gewerkschaften,
der finster blickend an seinem grauen Bart kaute. &AElig;Verr&uuml;ckt! Total
verr&uuml;ckt!" schrie er. &AElig;Die europ&auml;ischen Arbeiter denken gar
nicht daran, zu marschieren. Das ganze Ru&szlig;land..." Er hob den Arm zu
einer zerstreuten Geste und rannte davon. Rjasanow und Kamenew hatten beide
gegen den Aufstand gesprochen und waren von Lenin scharf zurechtgewiesen
worden. Es war eine bedeutsame Sitzung gewesen. Im Namen des Revolution&auml;ren
Milit&auml;rkomitees hatte Trotzki das Ende der Provisorischen Regierung
verk&uuml;ndet. &AElig;Die Eigent&uuml;mlichkeit b&uuml;rgerlicher Regierungen
ist, da&szlig; sie das Volk betr&uuml;gen. Wir, die Sowjets der Arbeiter-,
Soldaten- und Bauerdeputierten, sind im Begriff, ein Experiment zu machen,
das in der Geschichte nicht seinesgleichen hat. Wir gehen daran, eine Regierung
zu bilden, die kein anderes Ziel kennen wird als das Wohlergehen der Arbeiter-,
Soldaten- und Bauernmassen."
<P>
Lenin war erschienen. Von ungeheurem Beifallssturm begr&uuml;&szlig;t, sagte
er die siegreiche Erhebung des Proletariats in der ganzen Welt voraus.
<P>
Sinowjew: &AElig;Das russische Proletariat hat mit dem heutigen Tage seine
Schuld gegen&uuml;ber dem internationalen Proletariat beglichen. Wir haben
einen f&uuml;rchterlichen Schlag gegen den Krieg gef&uuml;hrt, einen
t&ouml;dlichen Schlag gegen alle Imperialisten und gegen den Henker Wilhelm
im besonderen."
<P>
Dann hatte Trotzki mitgeteilt, da&szlig; man die Front von dem Sieg der
Revolution in Kenntnis gesetzt habe, da&szlig; aber bisher keine Antwort
eingetroffen sei. Gegen Petrograd seien vielmehr Truppen in Anmarsch, und
man m&uuml;sse an diese eine Delegation entsenden, um ihnen die Wahrheit
mitzuteilen. Rufe. &AElig;Ihr greift dem Willen des Gesamtrussischen
Sowjetkongresses vor!" Was Trotzki zu der k&uuml;hlen Bemerkung veranla&szlig;te:
&AElig;Es ist der Aufstand der Petrograder Arbeiter und Soldaten, der dem
Sowjetkongre&szlig; vorgegriffen hat." Wir hatten M&uuml;he, uns durch die
l&auml;rmenden Massen hindurchzuzw&auml;ngen, die den Eingang des gro&szlig;en
Sitzungssaales belagerten. In qualvoller Enge sa&szlig;en hier auf ihren
Sitzen, auf allen Fensterb&auml;nken, auf dem Rand der Trib&uuml;ne die Vertreter
der Arbeiter und Soldaten ganz Ru&szlig;lands. Die einen in betretenem Schweigen,
die anderen wild erregt, erwarteten sie das Glockenzeichen des Pr&auml;sidenten.
Der Saal war nicht geheizt, aber die ungewaschenen Menschenleiber verbreiteten
eine stickige Hitze. &Uuml;ber der Masse hing, schwer und atembeklemmend,
stinkiger Zigarettenqualm. Dann und wann stieg jemand auf die Trib&uuml;ne
und forderte die Versammlung auf, das Rauchen einzustellen, worauf alle -
die Raucher nicht ausgenommen - in den Ruf einstimmten: &AElig;Nicht rauchen,
nicht rauchen!" und unentwegt weiterqualmten. Ich fand einen Platz neben
Petrowski, einem anarchistischen Delegierten aus dem Obuchow - Werk, der,
unrasiert und schmutzig, sich vor M&uuml;digkeit kaum aufrecht halten konnte.
Er hatte drei N&auml;chte hindurch, ohne zu schlafen, im Revolution&auml;ren
Milit&auml;rkomitee gearbeitet. Auf der Trib&uuml;ne die F&uuml;hrer des
alten Zentralexekutivkomitees - zum letztenmal sa&szlig;en sie &uuml;ber
den Sowjets, die sie vom ersten Tag an beherrscht und die sich nun gegen
sie erhoben hatten. Die erste Etappe der russischen Revolution, die in ruhige
Bahnen zu lenken sie sich so gro&szlig;e M&uuml;he gegeben hatten, war zu
Ende. Ihre drei bedeutendsten Vertreter fehlten in der Versammlung. Kerenski
auf der Flucht zur Front durch ein in Aufruhr geratenes Land. Der alte Adler
Tscheidse, der sich in grimmiger Verachtung in seine georgischen Berge
zur&uuml;ckgezogen hatte und dort an Schwindsucht darniederlag. V&ouml;llig
geknickt sogar der immer optimistische Zereteli, aber doch entschlossen,
zu erscheinen, um mit seiner gl&uuml;henden Beredsamkeit f&uuml;r die verlorene
Sache zu streiten. Goz war da. Neben ihm Dan, Liber, Bogdanow, Broido,
Filippowski, bleich, hohl&auml;ugig, sch&auml;umend vor Wut. Ihnen zu
f&uuml;&szlig;en kocht und brodelt die Masse der Delegierten des Zweiten
Gesamtrussischen Sowjetkongresses, &uuml;ber ihren H&auml;uptern arbeitete
das Revolution&auml;re Milit&auml;rkomitee bis zur Wei&szlig;glut. Hier laufen
alle F&auml;den des Aufstandes zusammen, hier ist der starke Arm der
&uuml;berall zupackt. Es war 10:40 abends.
<P>
Dan - ein magerer Mann mit sanftem Gesicht, in schlechtsitzender Uniform
eines Milit&auml;rarztes - gab das Glockenzeichen. Pl&ouml;tzlich gespannte
Stille, die nur durch das Zanken und Streiten der Leute an der T&uuml;r
unterbrochen wurde. &AElig;Die Macht ist in unseren H&auml;nden", begann
er, hielt einen Moment inne und fuhr mit leiser Stimme fort: &AElig;Genossen!
Der Kongre&szlig; tritt unter so ungew&ouml;hnlichen Umst&auml;nden und in
einem so au&szlig;erordentlichen Moment zusammen, da&szlig; Sie es verstehen
werden, warum das Zentralexekutivkomitee es f&uuml;r unn&ouml;tig erachtet,
sich mit einer politischen Rede an Sie zu wenden. Das wird ihnen umso klarer
werden, wenn Sie daran denken, da&szlig; ich ein Mitglied des
Zentralexekutivkomitees bin und da&szlig; in diesem Moment im Winterpalast
unsere Parteigenossen beschossen werden, die pflichttreu nur die Aufgaben
erf&uuml;llen, die das Zentralexekutivkomitee ihnen aufgetragen hat," (Bewegung).
&AElig;Ich erkl&auml;re die erste Sitzung des Zweiten Gesamtrussischen
Sowjetkongresses der Arbeiter- und Soldatendeputierten f&uuml;r er&ouml;ffnet!"
<P>
Die Wahl des Pr&auml;sidiums erfolgte unter allgemeiner Unruhe. Awanessow
gab bekannt, da&szlig; die Bolschewiki, die linken Sozialrevolution&auml;re
und die Menschewiki - Internationalisten sich auf eine proportionelle Besetzung
des Pr&auml;sidiums geeinigt h&auml;tten. Einige Menschewiki protestierten.
Ein b&auml;rtiger Soldat rief ihnen zu: &AElig;Denkt daran, wie ihr mit uns
Bolschewiki verfuhrt, als wir in der Minderheit waren!" Resultat: 14 Bolschewiki,
7 Sozialrevolution&auml;re, 3 Menschewiki und 1 Internationalist (Gorki -Gruppe).
Gendelman erkl&auml;rte f&uuml;r den rechten Fl&uuml;gel und das Zentrum
der Sozialrevolution&auml;re, da&szlig; sie es ablehnten, in das Pr&auml;sidium
einzutreten; dieselbe Erkl&auml;rung gab Chintschuk im Namen der Menschewiki
ab; die Menschewiki -Internationalisten erkl&auml;rten, da&szlig; sie bis
zur Pr&uuml;fung gewisser Umst&auml;nde am Pr&auml;sidium nicht teilnehmen
k&ouml;nnten. Vereinzelter Beifall und Zischen. Eine Stimme: &AElig;Renegaten,
und ihr nennt euch Sozialisten!" Ein Vertreter der ukrainischen Delegation
verlangte einen Sitz, der ihm zugebilligt wurde. Die M&auml;nner des alten
Zentralexekutivkomitees verlie&szlig;en die Trib&uuml;ne. An ihre Stelle
traten Trotzki, Kamenew, Lunatscharski, Frau Kollontai, Nogin. Im ganzen
Saal st&uuml;rmischer Beifall. Der Aufstieg der Bolschewiki war ungeheuer.
Von der verachteten und gehetzten Sekte noch vor kaum vier Monaten, bis zu
ihrer jetzigen Stellung als F&uuml;hrer des gro&szlig;en, in vollem Aufstand
begriffenen Ru&szlig;lands. Kamenew machte die Tagesordnung bekannt: 1.
&Uuml;bernahme der Macht, 2. Krieg und Friede, 3. Konstituierende Versammlung.
Losowski erhob sich und teilte der Versammlung mit, da&szlig; s&auml;mtliche
Fraktionen des B&uuml;ros sich einig geworden waren, dem Kongre&szlig;
vorzuschlagen, den Bericht des Petrograder Sowjets entgegenzunehmen und zu
diskutieren, darauf den Mitgliedern des Zentralexekutivkomitees der Sowjets
sowie den Vertretern der verschiedenen politischen Parteien das Wort zu geben
und dann erst zur Tagesordnung &uuml;berzugehen. Da pl&ouml;tzlich ein ganz
neuer Ton, tiefer als der Tumult der Menge, andauernd, beunruhigend - die
scharfen Einschl&auml;ge von Kanonen. Alles blickte &auml;ngstlich nach den
Fenstern, fieberhaft erregt. Martow, sich zu Wort meldend, schrie heiser:
&AElig;Das ist der beginnende B&uuml;rgerkrieg, Genosse! Die allererste Frage
mu&szlig; sein: Wie k&ouml;nnen wir diese Krise friedlich &uuml;berwinden?
Wir m&uuml;ssen sofort prinzipiell und von einem politischen Standpunkt aus
die Mittel und Wege diskutieren, durch die der B&uuml;rgerkrieg vermieden
werden kann. In den Stra&szlig;en erschie&szlig;t man unsere Br&uuml;der.
In diesem Moment, da noch vor der Er&ouml;ffnung des Sowjetkongresses eine
der revolution&auml;ren Parteien den Versuch macht, die Frage der macht durch
eine milit&auml;rische Verschw&ouml;rung zu entscheiden..." (hier wurde seine
Stimme einen Moment lang von rasenden Tumulten &uuml;bert&ouml;nt). &AElig;Es
ist die Pflicht aller revolution&auml;ren Parteien, sich die Tatsachen vor
Augen zu f&uuml;hren. Die erste dem Kongre&szlig; vorliegende Frage ist die
Frage der Macht, und diese Frage wird eben in den Stra&szlig;en mittels der
Gewalt der Waffen entschieden.... Wir m&uuml;ssen eine Macht schaffen, die
von der gesamten Demokratie anerkannt wird. Wenn der Kongre&szlig; die Stimme
der revolution&auml;ren Demokratie sein will, so darf er nicht mit gefalteten
H&auml;nden dasitzen angesichts des sich entwickelnden B&uuml;rgerkrieges,
den wir mit dem gef&auml;hrliche Ausbruch der Konterrevolution bezahlen werden...
Die M&ouml;glichkeit einer friedlichen L&ouml;sung liegt allein in der Errichtung
einer gemeinsamen demokratischen Gewalt... Wir m&uuml;ssen eine Delegation
w&auml;hlen, um mit den andern sozialistischen Parteien und Organisationen
zu verhandeln..." Und w&auml;hrenddem unaufh&ouml;rlich das taktfeste dumpfe
Dr&ouml;hnen der Kanonen. Die Delegierten aufeinander einschreiend... So,
unter dem krachen der Gesch&uuml;tze, in dunkler Nacht &#180;, mit Ha&szlig;,
Furcht und sorglosem Wagen, kam das neue Ru&szlig;land zur Welt. Martows
Vorschlag fand die Zustimmung der linken Sozialrevolution&auml;re und der
vereinigten Sozialdemokraten und wurde angenommen. Ein Soldat teilte mit,
da&szlig; der Gesamtrussische Bauernsowjet es abgelehnt habe, Delegierte
zum Kongre&szlig; zu entsenden; er schlug vor, ein Komitee zu ihnen zu senden,
das sie formell einladen sollte. &AElig;Einige Delegierte sind hier anwesend",
sagte er. &AElig;Ich stelle den Antrag, da&szlig; man ihnen Stimmrecht gibt."
Das wurde angenommen.
<P>
Charrasch, in der Uniform eines Hauptmanns, ergriff hitzig das Wort: &AElig;Die
politischen Heuchler, die diesen Kongre&szlig; beherrschen, erz&auml;hlen
uns, wir seien hier, um die Frage der Macht zu entscheiden. Dabei wird diese
Frage hinter unserm R&uuml;cken, noch ehe der Kongre&szlig; seine Arbeiten
begonnen hat, erledigt. Die Schl&auml;ge, die in diesem Moment auf den
Winterpalast niederfallen, nageln den Sarg einer der politischen Partei,
die diese Abenteuer gewagt hat!" (Toben.) Ihm folgte Garra: W&auml;hrend
wir hier Friedensvorschl&auml;ge diskutieren, schl&auml;gt man sich in den
Stra&szlig;en. Die Sozialrevolution&auml;re und Menschewiki lehnen jede
Verantwortung f&uuml;r die jetzigen Vorg&auml;nge ab, und sie fordern alle
&ouml;ffentlichen Gewalten zum entschiedenen Widerstand gegen jeden auf die
gewaltsame Eroberung der Macht gerichteten Versuch auf." Kutschin, Delegierter
der Zw&ouml;lften Armee und Vertreter der Trudowiki: &AElig; Ich bin hier
nur zur Information. Ich kehre jetzt zur Front zur&uuml;ck, deren s&auml;mtliche
Armeekomitees die &Uuml;bernahme der Macht durch die Sowjets, knapp drei
Wochen vor dem Zusammentritt der Konstituierenden Versammlung, als einen
Dolchsto&szlig; in den R&uuml;cken der Armee und als ein Verbrechen gegen
das Volk betrachten." L&auml;rm und Rufe: &AElig;L&uuml;gner!" Als man ihn
wieder h&ouml;rt: &AElig;La&szlig;t uns Schlu&szlig; machen mit diesem
Petrograder Abenteuer! Ich fordere alle Delegierten auf, den Saal zu verlassen,
um das Land und die Revolution zu retten." Ohrenbet&auml;ubender L&auml;rm.
Einige der Delegierten dringen drohend auf den die Trib&uuml;ne verlassenden
Redner ein. Dann sprach Chintschuk, ein Offizier mit langem braunen Knebelbart,
verbindlich und &uuml;berzeugend: &AElig;Ich rede im Namen der Delegierten
von der Front. Die Armee ist auf diesem Kongre&szlig; unvollkommen vertreten,
die Armee erachtet den Sowjetkongre&szlig; in diesem Moment f&uuml;r
&uuml;berfl&uuml;ssig angesichts der Tatsache, da&szlig; es nur noch drei
Wochen bis zur Er&ouml;ffnung der Konstituierenden Versammlung sind" -Zurufe
und L&auml;rm, der immer heftiger anwuchs. &AElig;Die Armee bestreitet dem
Sowjetkongre&szlig; jede Autorit&auml;t!" - Die Soldaten begannen sich im
ganzen Saal zu erheben. &AElig;F&uuml;r wen sprechen Sie? Wen vertreten Sie?"
riefen sie. &AElig;Das Zentralexekutivkomitee der Sowjets der F&uuml;nften
Armee, das Zweite F-Regiment, das Erste N-Regiment, die Dritten
S-Sch&uuml;tzen..." &AElig;Wann sind Sie gew&auml;hlt worden? Sie vertreten
die Offiziere, nicht die Soldaten! Was sagen die Soldaten dar&uuml;ber?"
Beifall und toben. &AElig;Wir Frontsoldaten lehnen jede Verantwortung ab
f&uuml;r alles, was geschehen ist und was noch geschieht, und wir halten
es f&uuml;r notwendig, alle selbstbewu&szlig;ten revolution&auml;ren Kr&auml;fte
f&uuml;r die Rettung der Revolution zu mobilisieren! Die Frontsoldaten werden
den Kongre&szlig; verlassen....K&auml;mpfen mu&szlig; man drau&szlig;en auf
der Stra&szlig;e!" Wilder L&auml;rm. &AElig;Sie reden f&uuml;r den Stab -
nicht f&uuml;r die Armee!" &AElig;Ich fordere alle pflichtbewu&szlig;ten
Soldaten auf, diesen Kongre&szlig; zu verlassen!"
<P>
&AElig;Kornilowbandit! Konterrevolution&auml;r! Provokateur!" wurde ihm
zugerufen. F&uuml;r die Menschewiki erkl&auml;rte Chintschuk, da&szlig; sie
die einzige M&ouml;glichkeit f&uuml;r eine friedliche L&ouml;sung in der
Einleitung von Verhandlungen mit der Provisorischen Regierung &uuml;ber die
Bildung eines neuen Kabinetts s&auml;hen, das sich auf alle Klassen der
Gesellschaft zu st&uuml;tzen h&auml;tte. Minutenlang war er au&szlig;erstande,
weiterzusprechen. Mit fast zum Schreien gesteigerter Stimme verlas er dann
die menschewistische Erkl&auml;rung: &AElig;Die von den Bolschewiki mit Hilfe
des Petrograder Sowjets ohne Konsultation der &uuml;brigen Fraktionen und
Parteien angezettelte milit&auml;rische Verschw&ouml;rung macht es uns
unm&ouml;glich, an dem Kongre&szlig; teilzunehmen. Wir ziehen unsere Delegationen
darum zur&uuml;ck. Die anderen Gruppen fordern wir auf, unserem Beispiel
zu folgen und in einer Besprechung zur Lage Stellung zu nehmen."
&AElig;Deserteur!" schallte es zu ihm hinauf. Wildes, fast ununterbrochenes
toben, in dem der Sozialrevolution&auml;r Gendelman nur zeitweilig zu h&ouml;ren
war, als er gegen die Beschie&szlig;ung des Winterpalastes protestierte.
&AElig;Wir sind entschieden gegen diese Art Anarchie." Er hatte kaum geendet,
da schwang sich blitzenden Auges ein junger Soldat mit magerem Gesicht auf
die Trib&uuml;ne, mit einer Handbewegung Ruhe heischend. &AElig;Genossen!"
rief er, und der L&auml;rm legte sich: &AElig;Ich hei&szlig;e Peterson. Ich
spreche f&uuml;r die Zweiten Lettischen Sch&uuml;tzen. Ihr habt die
Ausf&uuml;hrungen der Vertreter der Armeekomitees geh&ouml;rt. Diese
Ausf&uuml;hrungen w&uuml;rden einen Wert haben, wenn die M&auml;nner, die
sie machten, berechtigt w&auml;ren, sich die <I>Vertreter der Armee</I> zu
nennen." (St&uuml;rmischer Beifall.) <I>&AElig;Aber sie sind nicht die Vertreter
der Soldaten."</I> Mit erhobener Faust: &AElig;Seit langem schon fordert
die Zw&ouml;lfte Armee die Neuwahl des Sowjets und des Armeekomitees. Aber
wie euer Zentralexekutivkomitee hat auch unser Komitee es abgelehnt, die
Vertreter der Massen bis Ende September zusammenzuberufen, soda&szlig; die
Reaktion&auml;re die M&ouml;glichkeit hatten, ihre eigenen falschen Delegierten
zu diesem Kongre&szlig; zu entsenden. La&szlig;t euch sagen, was die Meinung
der lettischen Soldaten schon seit langem ist: Keine papiernen Resolutionen,
keine Reden mehr, sondern taten! Wir m&uuml;ssen die Macht in unsere H&auml;nde
nehmen! M&ouml;gen die falschen Delegierten nur den Kongre&szlig; verlassen.
Die Armee ist nicht mit ihnen." Beifallssturm durchraste den Saal. In den
ersten Augenblicken der Tagung, durch die sich &uuml;berst&uuml;rzenden
Ereignisse bet&auml;ubt und ge&auml;ngstigt durch den Kanonendonner, hatten
die Delegierten geschwankt. Wohl eine Stunde lang waren Hammerschlag auf
Hammerschlag von der Rednertrib&uuml;ne herniedergesaust, sie zwar
zusammenschwei&szlig;end, aber auch niederdr&uuml;ckend. Standen sie wirklich
allein? Erhob sich Ru&szlig;land gegen sie? War es wahr, da&szlig; die Armee
gegen Petrograd marschierte? Dann war dieser hellh&auml;utige junge Soldat
gekommen und hatte gesprochen, und mit einemmal war ihnen die Wahrheit offenbar.
<I>Das</I> war die Stimme der Soldaten. Die Millionen der Arbeiter und Bauern
im Soldatenrock waren M&auml;nner wie sie, die f&uuml;hlten und dachten wie
sie. Weitere Soldaten... Gsheltschak, f&uuml;r die Frontdelegierten, teilte
mit, da&szlig; nur eine kleine Mehrheit von ihnen den Beschlu&szlig; gefa&szlig;t
habe, den Kongre&szlig; zu verlassen, und da&szlig; die <I>bolschewistischen
Mitglieder an der Abstimmung nicht einmal teilgenommen h&auml;tten</I>.
&AElig;Hunderte von Frontdelegierten", erkl&auml;rte er, &AElig;wurden ohne
Teilnahme der Soldaten gew&auml;hlt, weil die Armeekomitees aufgeh&ouml;rt
haben, die wirklichen Vertreter der Soldatenmassen zu sein..." Ein anderer,
Lukjanow, rief, da&szlig; Offiziere, wie Charrasch und Chintschuk, nicht
berechtigt seien, die Armee auf diesem Kongre&szlig; zu vertreten - sie vertreten
allein das Oberkommando. &AElig;Die wirklichen Bewohner der
Sch&uuml;tzengr&auml;ben w&uuml;nschen aufrichtig den &Uuml;bergang der Macht
in die H&auml;nde der Sowjets, und sie erhoffen sich davon sehr viel!" Das
Blatt wendete sich. Dann sprach Abramowitsch f&uuml;r den &AElig;Bund", das
Organ der j&uuml;dischen Sozialdemokraten - mit funkelnden Augen hinter dicken
Brillengl&auml;sern, sch&auml;umend vor Wut: &AElig;Was hier in Petrograd
vor sich geht, ist sch&auml;ndlich! Die Vertreter des Bundes schlie&szlig;en
sich der Erkl&auml;rung der Menschewiki und Sozialrevolution&auml;re an und
werden den Kongre&szlig; verlassen." Mit lauter Stimme und erhobener Faust:
&AElig;Unsere Pflicht gegen&uuml;ber dem russischen Proletariat gestattet
es uns nicht, hier zu bleiben und die Verantwortung f&uuml;r diese verbrechen
zu &uuml;bernehmen. Da die Beschie&szlig;ung des Winterpalastes nicht
aufh&ouml;rt, hat die Stadtduma zusammen mit den Menschewiki und
Sozialrevolution&auml;ren und dem Exekutivkomitee des Bauernsowjets den
Beschlu&szlig; gefa&szlig;t, mit der Provisorischen Regierung unterzugehen,
und wir werden uns jetzt zu ihnen begeben! Unbewaffnet werden wir unsere
Brust den Maschinengewehren der Terroristen darbieten....Wir fordern alle
Delegierten dieses Kongresses auf..." (der Rest ging in einem Sturm von zurufen
und Drohungen unter, die sich zu einem H&ouml;llenl&auml;rm steigerten, als
f&uuml;nfzig Delegierte aufstanden und den Kongre&szlig;saal verlie&szlig;en...).
<P>
Kamenew schwang die Glocke: &AElig;Sitzen bleiben! Wir fahren in unseren
Gesch&auml;ften fort!" Und dann Trotzki, mit blassem, hartem Gesicht, voller
Verachtung, mit schneidender Stimme: &AElig;M&ouml;gen sie gehen, die
Sozialkompromi&szlig;ler, diese Menschewiki, Sozialrevolution&auml;re, diese
Herrschaften vom ,Bund'. Was sind sie anderes wert, als auf den Kehrichthaufen
der Geschichte gefegt zu werden!" Rjasanow stellte im Namen der Bolschewiki
fest, da&szlig; auf Ersuchen der Stadtduma das Revolution&auml;re
Milit&auml;rkomitee eine Delegation nach dem Winterpalast geschickt habe,
um Verhandlungen anzubieten. &AElig;Wir haben alles getan, was in unseren
Kr&auml;ften stand, um Blutvergie&szlig;en zu verhindern..." Wir eilten hinweg,
blieben aber doch eine Moment lang vor dem Zimmer stehen, in dem in fieberhafter
Eile das Revolution&auml;re Milit&auml;rkomitee arbeitete. Keuchend kamen
und gingen Kuriere. Nach allen Richtungen der Stadt eilten Kommissare davon,
ausger&uuml;stet mit Vollmacht &uuml;ber Leben und Tod der B&uuml;rger. Die
T&uuml;r &ouml;ffnete sich. Eine Wolke verbrauchter Luft und Zigarettenqualms
drang heraus. Drinnen, beim Schein einer abgeblendeten elektrischen Lampe,
beugten sich aufgel&ouml;ste Gesichter &uuml;ber eine gro&szlig;e Karte.
Genosse Josefow -Duchwinski, ein l&auml;chelnder junger Bursche mit hellblondem
Haarschopf, stellte uns Passierscheine aus. Als wir in die kalte Nacht
hinaustraten, fanden wir die Frontseite des Smolny in einen riesigen Park
ankommender und abfahrender Automobile verwandelt, deren L&auml;rm von dumpfen
Kanonensch&uuml;ssen &uuml;bert&ouml;nt wurde, die in gemessenen abst&auml;nden
aufeinander folgten. Vom Dr&ouml;hnen seines Motors gesch&uuml;ttelt, stand
dort ein gro&szlig;es Lastauto. M&auml;nner mit Gewehren verstauten
m&auml;chtige B&uuml;ndel, die ihnen von unten zugeworfen wurden. &AElig;Wohin
fahren Sie?" schrie ich hinauf. &AElig;&Uuml;berall hin! Durch die ganze
Stadt!" antwortete frohlockend ein kleiner Arbeiter. Wir zeigten unsere
Passierscheine. &AElig;Fahren Sie mit uns!" luden Sie uns ein. &AElig;Aber
es wird vielleicht geschossen werden!" Wir kletterten hinauf. Knarrend ging
der Hebel herum. Der Wagen ruckte vorw&auml;rts, und wir fielen nach hinten
auf die noch w&auml;hrend des Fahrens Nachkletternden. Vorbei ging es an
dem inneren, dann an dem &auml;u&szlig;eren Tor des Smolny, mit den riesigen
Feuern, die einen roten Schein &uuml;ber die Gesichter der herumstehenden
bewaffneten Arbeiter gossen, in immer schnellerem Tempo den Suworowski- Prospekt
entlang. Ein Genosse ri&szlig; von einem B&uuml;ndel die Umh&uuml;llung ab
und begann H&auml;ndevoll Zeitungen aus dem Wagen hinauszuwerfen. Wir taten
es ihm nach, auf diese Weise einen dicken Schweif flatternder wei&szlig;er
Bl&auml;tter hinter uns herziehend, w&auml;hrend wir durch die dunklen
Stra&szlig;en ratterten. Versp&auml;tete Passanten b&uuml;ckten sich nach
den Bl&auml;ttern, um sie aufzuheben, und von den Wachtfeuern an den
Stra&szlig;enecken liefen die Wachen herbei, bem&uuml;ht, die in der Luft
herumflatternden Bl&auml;tter mit ihren Bajonetten aufzufangen. Dann und
wann tauchten aus dem Dunkel Bewaffnete auf, hoben das Gewehr und riefen
&AElig;Stoi". Aber unser Fahrer rief ihnen etwas Unverst&auml;ndliches zu
und wir rasten weiter. Bei dem Scheine der vorbeihuschenden Stra&szlig;enlaternen
las ich eines der Bl&auml;tter:
<P>
&AElig; A n d i e B &uuml; r g e r R u &szlig; l a n d s !
<P>
Die Provisorische Regierung ist gest&uuml;rzt. Die Staatsmacht ist in die
H&auml;nde des Organs des Petrograder Sowjets der Arbeiter- und
Soldatendeputierten, des Revolution&auml;ren Milit&auml;rkomitees,
&uuml;bergegangen, das an der Spitze des Petrograder Proletariats und der
Petrograder Garnison steht. Die Sache, f&uuml;r die das Volk gek&auml;mpft
hat: das sofortige Angebot eines demokratischen Friedens, die Aufhebung des
Eigentums der Gutsbesitzer an Grund und Boden, die Arbeiterkontrolle &uuml;ber
die Produktion, die Bildung einer Sowjetregierung - diese Sache ist gesichert.
<P>
Es lebe die Revolution der Arbeiter, Soldaten und Bauern!
<P>
<I> Das Revolution&auml;re Milit&auml;rkomitee</I>
<P>
<I> des Petrograder Sowjets</I>
<P>
<I> der Arbeiter- und Soldatendeputierten"</I>
<P>
<I></I>Ein neben mir sitzender schlitz&auml;ugiger Mann mit einem
Mongolengesicht, in einen kaukasischen Mantel aus Ziegenfell geh&uuml;llt,
warnte: &AElig;Vorsicht! Hier sind die Fenster aus denen die Provokateure
geschossen haben." Wir bogen an dem dunkel und fast menschenleer daliegenden
Snamenskiplatz ein, und dann ging es den breiten Newski hinunter, w&auml;hrend
drei unserer Genossen mit schu&szlig;bereitem Gewehr die Fenster im Auge
behielten. Hinter uns eilten Menschen, sich nach unseren Bl&auml;ttern
b&uuml;ckend. Kanonendonner war nicht mehr zu h&ouml;ren, und je mehr wir
uns dem Viertel des Winterpalastes n&auml;herten, um so stiller und
menschenleerer wurden die Stra&szlig;en. Die Stadtduma war hell erleuchtet.
Weiter hinten sahen wir eine dunkle Volksmasse. Matrosen, die eine Kette
bildeten, schrien uns ein w&uuml;tendes Halt zu. Unser Motor stoppte, und
wir kletterten hinunter. Eine erstaunliche Szene bot sich uns dar. An der
Ecke des Jekaterina- Kanals, unter einer Bogenlampe, zog sich ein Kordon
bewaffneter Matrosen quer &uuml;ber den Newski und versperrte einem in
Viererreihen marschierenden Zug den Weg. Es mochten drei- oder vierhundert
Menschen sein, M&auml;nner in Fr&auml;cken, elegant gekleidete Frauen, Offiziere.
Unter ihnen erkannten wir viele Delegierte vom Kongre&szlig;, F&uuml;hrer
der Menschewiki und Sozialrevolution&auml;re: Awxentjew, der rotb&auml;rtige
Vorsitzende des Bauernsowjets, Sorokin, Kerenskis Sprecher, Chintschuk,
Abramowitsch. An der Spitze marschierte wei&szlig;b&auml;rtig der alte Schrejder,
der B&uuml;rgermeister von Petrograd, und Prokopowitsch, der
Ern&auml;hrungsminister in der Provisorischen Regierung, den man am Morgen
verhaftet, aber wieder freigelassen hatte. Ich sah Malkin, den Berichterstatter
der &AElig;Russian Daily News". &AElig; Wir gehen zum Winterpalast, um zu
sterben", rief er, anscheinend ganz vergn&uuml;gt. Der Zug stockte, aber
von der Spitze kam lautes Streiten. Schrejder und Prokopowitsch redeten auf
den langen Matrosen ein, der das Kommando zu haben schien. &AElig;Wir verlangen,
durchgelassen zu werden!" schrien sie. &AElig;Diese Genossen kommen aus dem
Sowjetkongre&szlig;! Schaut ihre Mandate an! Wir wollen zum Winterpalast!"
Der Matrose schien im unklaren zu sein, was er tun sollte. Er kratzte sich
den Kopf: &AElig;ich habe ausdr&uuml;cklich Befehl vom Komitee, niemand zum
Winterpalast zu lassen", brummte er. &AElig;Ich will aber einen Kameraden
schicken, damit er beim Smolny antelefoniert..." &AElig;Wir bestehen darauf,
durchgelassen zu werden! Wir sind ohne Waffen! Wir werden gehen, ob Sie es
erlauben oder nicht!" schrie der alte Schrejder, der sehr aufgeregt war.
&AElig;Ich habe Befehl...", wiederholte der Matrose verdrie&szlig;lich.
&AElig;Schie&szlig;t auf uns, wenn ihr wollt! Wir werden trotzdem gehen!
Vorw&auml;rts!" - kam es von allen Seiten. &AElig;Wir sind bereit zu sterben,
wenn ihr den Mut habt, auf Russen und auf Genossen zu schie&szlig;en! Wir
bieten unsere Brust euren Gewehren dar!" &AElig;Nein", sagte der Matrose
m&uuml;rrisch, &AElig;ich kann nicht gestatten, da&szlig; Sie weitergehen."
&AElig;Was werden sie tun, wenn wir doch gehen? Werden Sie schie&szlig;en?"
&AElig;Nein, ich schie&szlig;e nicht auf Menschen, die keine Gewehre haben.
Wir werden unbewaffnete Russen nicht niederschie&szlig;en..."
<P>
&AElig;Wir gehen weiter. Wie wollen Sie uns aufhalten?" &AElig;Wir werden
Sie schon irgendwie aufhalten", antwortete der Matrose, der anscheinend nicht
mehr weiter wu&szlig;te. &AElig;Wir d&uuml;rfen Sie nicht durchlassen. Etwas
werden wir schon tun." &AElig;Was werden Sie tun, was?" Ein anderer Matrose
kam jetzt heran, aufs h&ouml;chste aufgebracht.
<P>
&AElig;Wir werden euch das Fell versohlen!" schrie er grob. &AElig;Und wenn
n&ouml;tig, werden wir euch zusammenschie&szlig;en. Jetzt marsch nach Hause
und la&szlig;t uns in Frieden!" W&uuml;tender L&auml;rm und Schimpfen war
die Antwort. Prokopowitsch war auf eine Art Kiste gestiegen, und seinen
Regenschirm schwingend, hielt er eine Rede. &AElig;Genossen und B&uuml;rger!"
- sagte er. &AElig;Gegen uns wird grobe Gewalt angewandt!... Wir k&ouml;nnen
unser unschuldiges Blut nicht der Gewalt dieser dummen Menschen ausliefern...Es
ist unter unserer W&uuml;rde, uns hier auf der Stra&szlig;e von Weichenstellern
niederschie&szlig;en zu lassen..." (Was er mit &AElig;Weichenstellern" meinte,
ist mir ein R&auml;tsel geblieben.) &AElig;La&szlig;t uns zur Duma
zur&uuml;ckkehren und beraten, wie man das Land und die Revolution am Besten
retten kann!" Worauf der Zug in w&uuml;rdevollem Schweigen umschwenkte und
zum Newski zur&uuml;ckmarschierte, immer in Viererreihen . Wir n&uuml;tzten
die allgemeine Verwirrung aus, um an dem posten vorbeizuschl&uuml;pfen und
in der Richtung des Winterpalastes weiterzugehen. Hier war alles dunkel,
nichts regte sich au&szlig;er den Posten der Soldaten und Rotgardisten. Der
Kasaner Kathedrale gegen&uuml;ber lag ein dreiz&ouml;lliges Feldgesch&uuml;tz
in der Mitte der Stra&szlig;e, vom R&uuml;ckschlag des letzten Schusses
herumgeschleudert. In jedem Torweg standen Soldaten, die sich leise unterhielten
und zur Polizeibr&uuml;cke hinunterlugten. Jemand sagte: &AElig;Vielleicht
haben wir Unrecht getan..." An den Ecken hielten Patrouillen alle
Vor&uuml;bergehenden an. Die Zusammensetzung dieser Patrouillen war interessant.
Das Kommando &uuml;ber die regul&auml;ren Truppen hatte immer ein
Rotgardist....Das Schie&szlig;en hatte aufgeh&ouml;rt. Gerade als wir die
Morskaja erreichten, h&ouml;rten wir jemand schreien: &AElig;Die
Offizierssch&uuml;ler lassen sagen, wir m&ouml;chten nur kommen und sie
herausholen." Kommandorufe wurden laut, und in der D&auml;mmerung sahen wir,
wie die Masse sich vorw&auml;rts schob. Man h&ouml;rte nichts als Schritte
und das Klirren der Waffen. Wir schlossen uns den ersten Reihen an. Einem
schwarzen Strome gleich die ganze Breite der Stra&szlig;e f&uuml;llend, ohne
Gesang, ohne Rufen, fluteten wir durch das Rote Tor, wo mein Vordermann uns
leise zurief: &AElig;Achtung , Genossen, traut ihnen nicht, sie werden sicher
schie&szlig;en." Im Freien begannen wir zu rennen, uns tief hinunterb&uuml;ckend
und zusammendr&auml;ngend. Hinter dem Fu&szlig;e der Alexanders&auml;ule
stockten wir pl&ouml;tzlich. &AElig;Wie viele von euch sind gefallen?" fragte
ich. &AElig;Ich wei&szlig; nicht. Vielleicht zehn..." Nach einigen Minuten
der Verwirrung hatten die Massen ihre Sicherheit wiedererlangt, und ohne
Befehl ging es weiter. In dem Lichtschein, der aus den Fenstern des
Winterpalastes fiel, konnte ich sehen, da&szlig; die ersten zwei- bis dreihundert
Mann Rotgardisten waren, zwischen ihnen nur einige wenige Soldaten. Wir
erkletterten die aus Brennholz errichtete Barrikade, und auf der Innenseite
herunterspringend, brachen wir in Siegesjubel aus, als wir auf einen Haufen
Gewehre stie&szlig;en, die die Offizierssch&uuml;ler im Stich gelassen hatten.
Die T&uuml;ren zu beiden Seiten des Hauptportals standen offen, hellen
Lichtschein auf die Stra&szlig;e werfend. Kein Laut drang aus dem riesigen
Geb&auml;ude. Von der Masse geschoben, kamen wir zu dem rechten Eingang,
der in einen gro&szlig;en, nackten, gew&ouml;lbten Raum m&uuml;ndete, den
Keller des Ostfl&uuml;gels, von dem ein Irrgarten von Korridoren und Treppen
ausging. Gro&szlig;e Kisten standen dort, auf die sich die Rotgardisten und
Soldaten gierig st&uuml;rzten, sie mit ihren Gewehren aufbrachen und den
Inhalt: Teppiche, Vorh&auml;nge, Leinenzeug, Porzellanteller, Glassachen
usw. herausrissen. Einer stolzierte mit einer Bronzeuhr auf der Schulter
davon, ein anderer griff sich eine Strau&szlig;enfeder und steckte sie an
seinen Hut, Doch kaum hatte das Pl&uuml;ndern begonnen, als auch schon der
Ruf ert&ouml;nte: &AElig;Genossen! Nichts anr&uuml;hren, nichts nehmen, Eigentum
des Volkes!" Und zwanzig Kehlen griffen den Ruf auf: &AElig;Halt! Alles
zur&uuml;cklegen, nichts nehmen, Volkseigentum!" Die Pl&uuml;nderer wurden
gepackt, Damast und Teppiche wurden ihnen abgenommen, und zwei M&auml;nner
trugen die Bronzeuhr wieder zur&uuml;ck. Ungest&uuml;m und hastig wurde alles
wieder in die Kisten gepackt und durch freiwillige Posten bewacht. Das alles
spielte sich v&ouml;llig spontan ab. Durch die Korridore, die Treppen hinauf,
immer leiser, t&ouml;nte der Ruf: &AElig;Revolution&auml;re Disziplin! Eigentum
des Volkes..." Wir gingen zum linken Eingang im Westfl&uuml;gel. Auch dort
war man dabei, wieder Ordnung zu schaffen. &AElig;R&auml;umt den Palast!"
schrie ein Rotgardist aus einer der inneren T&uuml;ren heraus. &AElig;Kommt,
Genossen, wir wollen zeigen, da&szlig; wir keine Diebe und R&auml;uber sind.
Alles verl&auml;&szlig;t den Palast au&szlig;er den Kommissaren, bis wir
Posten aufgestellt haben." Zwei Rotgardisten, ein Soldat und ein Offizier,
standen dort mit Revolvern in den H&auml;nden; ein anderer Soldat sa&szlig;
hinter ihnen am Tisch, mit Feder und Papier. &Uuml;berall waren Rufe:
&AElig;Alles heraus, alles heraus!" von nah und fern zu h&ouml;ren, und
schreiend, schimpfend und sich sto&szlig;end begannen die Massen durch die
T&uuml;r zu dr&auml;ngen. Jeder einzelne wurde, als er herauskam, festgehalten
und von einem Komitee, das sich rasch gebildet hatte, peinlich genau durchsucht.
Was er nicht ganz einwandfrei als sein Eigentum nachweisen konnte, wurde
ihm erbarmungslos abgenommen. Der Mann am Tisch schrieb alles auf, und die
Sachen wurden in einen kleinen Raum gebracht. Die wunderlichsten Dinge wurden
Da zusammengetragen: Bronzen, Tintenflaschen, Bettdecken mit dem kaiserlichen
Monogramm, Kerzen, kleine &Ouml;lgem&auml;lde, Schreibunterlagen, S&auml;bel
mit goldenem Griff, Seife, die verschiedenartigsten Kleidungsst&uuml;cke,
Decken. Ein Rotgardist trug drei Gewehre, zwei davon hatte er den
Offizierssch&uuml;lern abgenommen; ein anderer vier mit Dokumenten vollgestopfte
Aktentaschen. Die S&uuml;nder gaben entweder ihre Beute m&uuml;rrisch preis,
oder sie baten wie Kinder. Die Mitglieder des Komitees, alle gleichzeitig
redend, erkl&auml;rten immer wieder, stehlen sei eines Vork&auml;mpfers des
Volkes unw&uuml;rdig. Solche, die erwischt worden waren, blieben oft zur&uuml;ck
und halfen, ihre Kameraden zu durchsuchen. Auch die Offizierssch&uuml;ler
kamen heraus, in Gruppen zu dreien und vieren. Die Komiteemitglieder packten
mit einigem &Uuml;berma&szlig; an Eifer die sowieso schon ver&auml;ngstigten
Menschen und durchsuchten sie ebenfalls, wobei sie sie mit Bemerkungen wie:
Provokateure, Kornilowleute, Konterrevolution&auml;re, Volksm&ouml;rder usw.
&uuml;bersch&uuml;tteten, sie im &uuml;brigen aber ungeschoren lie&szlig;en.
Auch die Offizierssch&uuml;ler hatten die Taschen mit allem m&ouml;glichen
unbedeutenden Plunder gef&uuml;llt. Der Schreiber nahm ein Protokoll auf,
und die gefundenen Sachen wurden in dem kleinen Zimmer angeh&auml;uft. Die
Offizierssch&uuml;ler wurden entwaffnet. Man fragte sie, ob sie je wieder
die Waffen gegen das Volk erheben w&uuml;rden. Einer nach dem anderen antwortete:
&AElig;Nein." Dann lie&szlig; man sie laufen. Wir fragten, ob wir hinein
k&ouml;nnten. Das Komitee war sich dar&uuml;ber nicht klar, aber der Rotgardist
erkl&auml;rte entschieden, da&szlig; es verboten sei. &AElig;Wer sind Sie
&uuml;berhaupt? Wie kann ich wissen, ob Sie nicht alle miteinander Kerenskileute
sind?" (Wir waren f&uuml;nf Personen, darunter zwei Frauen.)
<P>
&AElig;Platz, Genosse!" Ein Soldat und ein Rotgardist erschienen in der
T&uuml;r, die Menge zur Seite dr&auml;ngend, und andere Rotgardisten folgten
mit aufgepflanzten Bajonetten. Hinter ihnen kamen einer nach dem anderen
ein halbes Dutzend Zivilisten - die Mitglieder der Provisorischen Regierung.
Zuerst Kischkin, das Gesicht m&uuml;de und bla&szlig;. Dann Rutenberg, der
finster zu Boden starrte; der n&auml;chste war Tereschtschenko, der scharf
um sich blickte; er sah uns kalt an.... Sie gingen schweigend vor&uuml;ber;
die siegreichen Aufst&auml;ndischen dr&auml;ngten heran, um zu sehen, man
h&ouml;rte jedoch nur wenige w&uuml;tende Zurufe. Erst sp&auml;ter erfuhren
wir, da&szlig; die Massen auf der Stra&szlig;e sie lynchen wollten; Sch&uuml;sse
waren abgefeuert worden - die Matrosen hatten sie jedoch heil nach der
Peter-Pauls-Festung gebracht... Inzwischen waren wir ungehindert in den Palast
gegangen. Dort war ein fortw&auml;hrendes Kommen und Gehen, ein Bestaunen
der neuentdeckten Zimmer in dem riesigen Geb&auml;ude, ein Suchen nach
verborgenen Offizierssch&uuml;lern, die indes nicht existierten. Wir gingen
nach oben und durchwanderten Zimmer nach Zimmer. Dieser Teil des Palastes
war auch von andern Abteilungen betreten worden, die von der anderen Seite
der Newa kamen. Die Gem&auml;lde, Statuen, die Wandbeh&auml;nge und Teppiche
der gro&szlig;en Staatss&auml;le waren unversehrt; in den B&uuml;ros aber
waren Pulte und Schr&auml;nke durchw&uuml;hlt, die Papiere auf dem Boden
verstreut, und in den Wohnr&auml;umen die Bez&uuml;ge von den Betten gerissen;
die Kleiderschr&auml;nke standen weit offen. Die am meisten gesch&auml;tzte
Beute waren Kleider, die das arbeitende Volk vor allem ben&ouml;tigte. In
einem Zimmer, in dem M&ouml;bel aufgespeichert waren, kamen wir dazu, als
zwei Soldaten die kostbare spanische Lederpolsterung von den St&uuml;hlen
abschnitten. Sie erkl&auml;rten uns, da&szlig; sie sich davon Stiefel machen
wollten... Die alten Palastdiener in ihren blauen und roten, goldgestickten
Uniformen standen nerv&ouml;s herum, gewohnheitsm&auml;&szlig;ig immer und
immer wiederholend: &AElig;Sie k&ouml;nnen da nicht hineingehen, Herr! Es
ist verboten...." Wir gelangten endlich zu dem Saal, in dem die Minister
vor kurzem noch den ganzen Tag und die ganze Nacht getagt und die Diener
sie an die Rotgardisten verraten hatten. Die lange, mit gr&uuml;nem Tuch
&uuml;berzogene Tafel war noch so, wie sie sie verlassen hatten, als man
sie verhaftete. Vor jedem jetzt leeren Sitz Feder, Tinte und Papier; die
Bl&auml;tter bekritzelt mit den Anf&auml;ngen von Aktionspl&auml;nen,
fl&uuml;chtigen Skizzen von Proklamationen und Manifesten, die meisten davon
wieder ausgestrichen, nachdem ihre Zwecklosigkeit sich herausgestellt hatte,
der Rest des Blattes mit verstreuten geometrischen Zeichnungen bedeckt, von
den Schreibern hingemalt, w&auml;hrend sie verzweifelt zuh&ouml;rten, wie
Minister nach Minister ihre zwecklosen Pl&auml;ne entwickelten. Ich nahm
eines dieser bekritzelten Bl&auml;tter, auf dem ich die Handschrift Konowalows
erkannte, das folgenderma&szlig;en begann: &AElig;Die Provisorische Regierung
fordert alle Klassen auf, die Provisorische Regierung zu unterst&uuml;tzen..."
W&auml;hrend dieser ganzen Zeit, das darf nicht vergessen werden, war die
Regierung, obgleich der Palast umzingelt war, in st&auml;ndiger Verbindung
mit de Front und dem &uuml;brigen Ru&szlig;land. Die Bolschewiki hatten am
fr&uuml;hen Morgen das Kriegsministerium eingenommen, aber sie wu&szlig;ten
weder etwas von der Telegrafenstation in den Bodenr&auml;umen, noch wu&szlig;ten
sie etwas von der geheimen Telefonverbindung, die es mit dem Winterpalast
verband. In diesen Bodenr&auml;umen hatte ein junger Offizier den ganzen
Tag gesessen und eine Flut von Aufrufen und Proklamationen ins Land
hinausgesandt; als er h&ouml;rte, da&szlig; der Palast gefallen war, hatte
er einfach die M&uuml;tze aufgesetzt und war seelenruhig hinausspaziert...
<P>
In interessiertes Schauen versunken, hatten wir geraume Zeit nicht bemerkt,
da&szlig; sich die Haltung der Soldaten und Rotgardisten um uns herum uns
gegen&uuml;ber ver&auml;ndert hatte. Als wir so von Zimmer zu Zimmer wanderten,
blieb uns eine kleine Gruppe st&auml;ndig auf den Fersen; als wir die gro&szlig;e
Gem&auml;ldegalerie erreichten, in der wir am Nachmittag mit den
Offizierssch&uuml;lern zusammengewesen waren, war diese Gruppe auf etwa hundert
Mann angewachsen. Ein Riese von Soldat trat uns entgegen, mit finsterem Argwohn:
&AElig;Wer sind Sie?" brummte er. &AElig;Was tun sie hier?" Die anderen
dr&auml;ngten heran, starrten uns an und fingen an zu murren.
&AElig;Provokateure!" h&ouml;rte ich jemand sagen. &AElig;Pl&uuml;nderer!"
Ich zeigte unsere Ausweise vom Revolution&auml;ren Milit&auml;rkomitee. Der
Soldat nahm sie behutsam, drehte sie hin und her, verst&auml;ndnislos.
Augenscheinlich konnte er nicht lesen. Sie zur&uuml;ckgebend, spie er auf
den Fu&szlig;boden. &AElig;Papiere", sagte er ver&auml;chtlich. Der Haufe
begann n&auml;her zu r&uuml;cken. Ich erkannte pl&ouml;tzlich einen Offizier,
der hilflos dreinschaute, ich rief ihn an. Er dr&auml;ngte sich durch die
Menge zu uns heran. &AElig;Ich bin der Kommissar", sagte er mir. &AElig;Wer
sind Sie? Was ist los?" Ich zeigte unsere Papiere. &AElig;Sie sind
Ausl&auml;nder?" fragte er in flie&szlig;endem Franz&ouml;sisch. &AElig;Es
ist hier sehr gef&auml;hrlich..." Dann wandte er sich zu der Menge, unsere
Papiere emporhaltend. &AElig;Genossen", rief er, &AElig;diese Leute hier
sind ausl&auml;ndische Genossen - von Amerika. Sie sind hierhergekommen,
um ihren Landsleuten von dem Mut und der revolution&auml;ren Disziplin der
proletarischen Armee zu berichten!" &AElig;Woher wissen Sie das?" erwiderte
der riesenhafte Soldat. &AElig;Ich sage ihnen, es sind Provokateure! Sie
erz&auml;hlen uns, da&szlig; sie hergekommen sind, um die revolution&auml;re
Disziplin der proletarischen Armee zu sehen. Aber sie sind durch den ganzen
Palast gewandert, woher wissen wir, ob sie nicht ihre Taschen voll haben?"
&AElig;Richtig!" br&uuml;llten die anderen, vorw&auml;rtsdr&auml;ngend.
&AElig;Genossen! Genossen!" mahnte der Offizier, dem der Schwei&szlig; auf
der Stirn stand. &AElig;Ich bin der Kommissar des Revolution&auml;ren
Milit&auml;rkomitees. Vertraut ihr mir? Nun gut, ich sage euch, da&szlig;
diese Ausweise mit denselben Namen gezeichnet sind wie mein eigener Ausweis!"
Er f&uuml;hrte uns durch den Palast und durch eine T&uuml;r hinaus zum Newa-
Ufer. Beim Ausgang wurden uns vom Komitee die Taschen durchsucht...
<P>
&AElig;Sie sind mit knapper Not davongekommen", sagte er, indem er sich das
Gesicht abwischte. &AElig;Was ist mit dem Frauenbataillon geschehen?" fragten
wir. &AElig;Oh - die Frauen!" er lachte. &AElig;die hatten sich alle in einem
der hinteren R&auml;ume zusammengedr&auml;ngt. Wir wu&szlig;ten nicht, was
mit ihnen anfangen. Viele hatten hysterische Anf&auml;lle, es war furchtbar.
Wir haben sie schlie&szlig;lich zum Finnischen Bahnhof gebracht und in einen
Zug nach Lewaschowo gesetzt, dort haben sie ein Lager..." Wir kamen hinaus
in die kalte Nacht voller verhaltener Erregung, in der sich schattenhaft
die Truppen bewegten und Wachposten laut die Passanten anriefen. Vom
gegen&uuml;berliegenden Ufer, wo sich die dunkle Masse der Peter-Pauls-Festung
erhob, kam heiseres Rufen...Zu unseren F&uuml;&szlig;en war der B&uuml;rgersteig
mit herabgefallenem Stuck vom Gesims des Winterpalastes &uuml;bers&auml;t.
Dort waren zwei Geschosse vom Kreuzer &AElig;Aurora" eingeschlagen. Weiteren
Schaden hatte das Artilleriefeuer nicht verursacht... Es war mittlerweile
drei Uhr morgens vorbei. Auf dem Newski brannten wieder alle
Stra&szlig;enlaternen. Der Kanonendonner war verstummt. Nur die um die Feuer
hockenden Soldaten und Rotgardisten erinnerten an den Krieg. Sonst war die
Stadt ruhig, so ruhig wie vielleicht nie in ihrer ganzen Geschichte. In dieser
Nacht gab es keinen einzigen &Uuml;berfall oder Diebstahl.
<P>
Das Geb&auml;ude der Stadtduma war vollst&auml;ndig erleuchtet. Wir stiegen
zu dem mit einer Galerie versehenen Alexandersaal hinauf, wo rotverh&uuml;llt
die gro&szlig;en goldumrahmten Kaiserbilder hingen. Etwa hundert Menschen
waren um die Rednertrib&uuml;ne versammelt. Skobelew sprach gerade. Er forderte
die Erweiterung des Komitees f&uuml;r die &ouml;ffentliche Sicherheit, die
Zusammenfassung aller antibolschewistischen Elemente in einer gro&szlig;en
Organisation, die den Namen &AElig;Komitee zu Rettung des Vaterlandes und
der Revolution" tragen sollte. Die Bildung dieses Komitees - das zu einem
der gef&auml;hrlichsten Gegner der Bolschewiki werden sollte und in der folgenden
Woche an die &Ouml;ffentlichkeit trat, zeitweise unter seinem eigenen
Parteinamen, dann wider als das absolut unparteiische Komitee f&uuml;r die
&ouml;ffentliche Sicherheit - erfolgte in unserem Beisein. Dan, Goz, Awxentjew
waren da, einige der rebellierenden Sowjetdelegierten, Mitglieder des
Exekutivkomitees der Bauernsowjets, der alte Prokopowitsch und sogar Mitglieder
des Rates der Russischen Republik, unter ihnen Winawer und andere
Angeh&ouml;rige der Kadettenpartei. Liber erkl&auml;rte, da&szlig; die
Einberufung der Sowjets unrechtm&auml;&szlig;ig sei und da&szlig; das alte
Zentralexekutivkomitee der Sowjets seine Funktion immer noch aus&uuml;be.
Ein Aufruf an das Land wurde beraten. Wir bem&uuml;hten uns um eine Droschke.
&AElig;Wohin?" Als der Kutscher h&ouml;rte,, da&szlig; wir zum Smolny wollten,
sch&uuml;ttelte er den Kopf. &AElig;Nein", sagte er, &AElig;da ist der Teufel
los!" Erst nach vielem Umhersuchen fanden wir einen Kutscher, der bereit
war, uns zu fahren. Er verlangte drei&szlig;ig Rubel und hielt zwei Stra&szlig;en
vom Smolny entfernt. Die Fenster des Smolny waren noch erleuchtet. Autos
fuhren an und ab. Um die Wachfeuer dr&auml;ngten sich Posten, jeden Ankommenden
gierig nach den letzten Neuigkeiten ausfragend. In den Korridoren war ein
Gewimmel eilender, hohl&auml;ugiger und schmutziger M&auml;nner. In einigen
R&auml;umen lagen Menschen schlafend auf dem Fu&szlig;boden, ihre Gewehre
neben sich. Trotz de ausgeschiedenen Delegierten war der Sitzungssaal
gedr&auml;ngt voll. Als wir hereinkamen, verlas Kamenew gerade die Liste
der verhafteten Minister. Als der Name Tereschtschenko genannt wurde, erfolgte
donnernder Applaus, Ausrufe der Zufriedenheit, Gel&auml;chter; Rutenberg
wurde weniger beachtet; und bei der Nennung Paltschinskis brach ein wilder
Sturm los, w&uuml;tende Rufe.... Es wurde mitgeteilt, da&szlig; Tschudnowski
zum Kommissar des Winterpalastes ernannt worden war. Eine dramatische
Unterbrechung folgte jetzt. Ein riesenhafter Bauer, das b&auml;rtige Gesicht
vor Wut verzerrt, stieg auf die B&uuml;hne und schlug mit der Faust auf den
Tisch des Pr&auml;sidiums: &AElig;Wir Sozialrevolution&auml;re verlangen
die sofortige Freilassung der im Winterpalast verhafteten sozialistischen
Minister! Genossen! Wi&szlig;t ihr, da&szlig; unsere vier Genossen, die ihr
Leben und ihre Freiheit im Kampfe gegen die Tyrannei des Zaren aufs Spiel
gesetzt haben, in die Peter-Pauls-Festung geworfen wurden, das historische
Grab der Freiheit?" Seine weiteren Ausf&uuml;hrungen gingen im L&auml;rm
unter. Ein anderer Delegierter kletterte neben ihn auf die B&uuml;hne, zum
Pr&auml;sidium gewendet: &AElig;Werden die Vertreter der revolution&auml;ren
Massen hier ruhig tagen, w&auml;hrend die Ochrana der Bolschewiki ihre
F&uuml;hrer foltert?" Trotzki bot mit einer Geste Ruhe: &AElig;Sollen wir
diese sogenannten Genossen, die wir dabei erwischt haben, als sie mit dem
Abenteurer Kerenski die Vernichtung der Sowjets vorbereiteten - sollen wir
sie vielleicht mit Glac&eacute;handschuhen anfassen? Sie waren nach dem 16.
Und 18. Juli uns gegen&uuml;ber auch nicht sehr h&ouml;flich! In diesem Moment,
wo die Sozialpatrioten und die Schwachherzigen uns verlassen haben, wo die
ganze Aufgabe der Verteidigung und der Rettung der Revolution auf unsern
schultern ruht, hei&szlig;t es vor allem: arbeiten, arbeiten, arbeiten! Wir
sind entschlossen, lieber zu sterben als nachzugeben." Von Zarskoje Selo
kam ein Kommissar, keuchen und kotbedeckt vom schnellen Ritt: &AElig;Die
Garnison von Zarskoje Selo wacht an den Toren Petrograds, bereit, die Sowjets
und das Revolution&auml;re Milit&auml;rkomitee zu verteidigen." Wilder Jubel.
&AElig;Das von der Front abgesandte Radfahrerkorps ist in Zarskoje angekommen.
Die Soldaten sind mit uns. Sie erkennen die Macht der Sowjets an, die
Notwendigkeit der Sofortigen &Uuml;bergabe des Landes an die Bauern und die
Durchf&uuml;hrung der Arbeiterkontrolle &uuml;ber die Industrie. Das in Zarskoje
stationierte 5. Radfahrerbataillon steht zu uns." Danach sprach der Delegierte
des 3. Radfahrerbataillons. Inmitten tobender Begeisterung erz&auml;hlte
er, wie vor drei Tagen das Radfahrerkorps von der S&uuml;dwestfront zur
&AElig;Verteidigung Petrograds" abkommandiert worden war. Die Soldaten ahnten
aber, was dieser Befehl bedeutete. Auf der Station Peredolsk trafen sie mit
Vertretern des in Zarskoje stationierten 5. Bataillons zusammen. Eine gemeinsame
Versammlung fand statt, und es zeigte sich, da&szlig; &AElig;unter den Radfahrern
nicht einer gewillt war, das Blut seiner Br&uuml;der zu vergie&szlig;en oder
eine Regierung der Kapitalisten und Gutsbesitzer zu verteidigen"! Im Namen
der Menschewiki-Internationalisten schlug Kapelinski die Wahl eines Komitees
vor, das eine friedliche L&ouml;sung des B&uuml;rgerkrieges finden sollte.
&AElig;Es gibt keine friedliche L&ouml;sung!" schrie die Menge. &AElig;Sieg
ist die einzige L&ouml;sung." Der Vorschlag wurde mit &uuml;berw&auml;ltigender
Mehrheit abgelehnt, und die Menschewiki-Internationalisten verlie&szlig;en
unter einem Hagel ironischer Zurufe den Kongre&szlig;. Die Delegierten hatten
ihre anf&auml;ngliche &Auml;ngstlichkeit endg&uuml;ltig &uuml;berwunden.
Kamenew rief von der Trib&uuml;ne herab hinter ihnen her: &AElig;Die
Menschewiki-Internationalisten behaupten, f&uuml;r eine ,friedliche L&ouml;sung'
zu sein, aber sie haben immer gegen die Tagesordnung und f&uuml;r die
Erkl&auml;rung jener gruppen gestimmt, die den Kongre&szlig; verlassen wollten.
Es ist offensichtlich, da&szlig; sich all diese Renegaten schon vorher geeinigt
hatten, den Kongre&szlig; zu verlassen." Die Versammlung beschlo&szlig;,
das Ausscheiden der Parteien unbeachtet zu lassen, und wandte sich der
Ausarbeitung des Aufrufes an die Arbeiter, Soldaten und Bauern Ru&szlig;lands
zu.
<P>
&AElig; A n d i e A r b e i t e r S o l d a t e n u n d B a u e r n !
<P>
Der Zweite Gesamtrussische Kongre&szlig; der Sowjets der Arbeiter- und
Soldatendeputierten ist er&ouml;ffnet. Auf diesem Kongre&szlig; ist die gewaltige
Mehrheit der Sowjets vertreten. Auf dem Kongre&szlig; ist auch eine Reihe
von Delegierten der Bauernsowjets anwesend. Die Vollmachten des paktiererischen
Zentralexekutivkomitees sind abgelaufen. Gest&uuml;tzt auf den Willen der
gewaltigen Mehrheit der Arbeiter, Soldaten und Bauern, gest&uuml;tzt auf
den in Petrograd vollzogenen siegreichen Aufstand der Arbeiter und der Garnison,
nimmt der Kongre&szlig; die Macht in seine H&auml;nde. Die Provisorische
Regierung ist gest&uuml;rzt. Die meisten Mitglieder der Provisorischen Regierung
sind bereits verhaftet. Die Sowjetmacht wird sofort allen V&ouml;lkern einen
demokratischen Frieden und den sofortigen Waffenstillstand an allen Fronten
anbieten. Sie wird die entsch&auml;digungslose &Uuml;bergabe der Gutsbesitzer-,
Kron- und Klosterl&auml;ndereien in die Verf&uuml;gungsgewalt des Bauernkomitees
sichern, sie wird die Rechte der Soldaten sch&uuml;tzen, indem sie die volle
Demokratisierung der Armee durchf&uuml;hrt, sie wird die Arbeiterkontrolle
&uuml;ber die Produktion einf&uuml;hren und die rechtzeitige Einberufung
der Konstituierenden Versammlung gew&auml;hrleisten, sie wird daf&uuml;r
sorgen, da&szlig; die St&auml;dte und D&ouml;rfer mit Gegenst&auml;nden des
dringendsten Bedarfs beliefert werden, sie wird allen in Ru&szlig;land lebenden
V&ouml;lkern das wirkliche recht auf Selbstbestimmung sichern. Der Kongre&szlig;
beschlie&szlig;t: Die ganze Macht geht allerorts an die Sowjets der Arbeiter-,
Soldaten- und Bauerndeputierten &uuml;ber, die eine wirkliche revolution&auml;re
Ordnung zu gew&auml;hrleisten haben. Der Kongre&szlig; ruft die Soldaten
in den Sch&uuml;tzengr&auml;ben zur Wachsamkeit und Standhaftigkeit auf.
Der Sowjetkongre&szlig; ist &uuml;berzeugt, da&szlig; die revolution&auml;re
Armee es verstehen wird, die Revolution gegen jegliche Anschl&auml;ge des
Imperialismus zu verteidigen, bis die neue Regierung den Abschlu&szlig; eines
demokratischen Friedens erzielt hat, den sie unmittelbar allen V&ouml;lkern
anbieten wird. Die neue Regierung wird alle Ma&szlig;nahmen treffen, um durch
eine entschlossene Politik von Requisitionen und Besteuerungen der besitzenden
Klassen die revolution&auml;re Armee mit allem N&ouml;tigen zu versorgen,
und wird auch die Lage der Soldatenfamilien verbessern. Die Kornilowleute
- Kerenski, Kaledin u. a. - versuchen, Truppen gegen Petrograd zu f&uuml;hren.
Einige Truppenteile, die Kerenski auf betr&uuml;gerische Weise in Bewegung
gesetzt hatte, sind auf die Seite des aufst&auml;ndischen Volkes
&uuml;bergegangen.
<P>
<I>Soldaten, setzt dem Kornilowmann Kerenski aktiven Widerstand entgegen!
Seid auf der Hut!</I>
<P>
<I>Eisenbahner, haltet die Truppentransporte an, die Kerenski gegen Petrograd
schickt!</I>
<P>
<I>Soldaten, Arbeiter, Angestellte! Das Schicksal der Revolution und das
Schicksal des demokratischen Friedens liegt in euren H&auml;nden! </I>
<P>
<I> E s l e b e d i e R e v o l u t i o n !</I>
<P>
<I> Der Gesamtrussische Kongre&szlig; der Sowjets</I>
<P>
<I> der Arbeiter- und Soldatendeputierten</I>
<P>
<I> Die Delegierten der Bauernsowjets.</I>"
<P>
<P>
Es war genau 5 Uhr 17 morgens, als, vor M&uuml;digkeit schwankend, Krylenko
auf die B&uuml;hne trat, ein Telegramm in der Hand: &AElig;Genossen! Ein
Telegramm der Nordfront. Die Zw&ouml;lfte Armee entbietet dem Sowjetkongre&szlig;
ihre Gr&uuml;&szlig;e und meldet die Bildung eines Revolution&auml;ren
Milit&auml;rkomitees, das das Kommando &uuml;ber die Nordfront &uuml;bernommen
hat." St&uuml;rmischer Jubel. Weinende M&auml;nner, einander umarmend.
&AElig;General Tscheremissow erkennt das Komitee an. Der Kommissar der
Provisorischen Regierung , Woitinski, ist zur&uuml;ckgetreten." So hatten
sich Lenin und die Petrograder Arbeiter f&uuml;r den Aufstand entschieden.
Der Petrograder Sowjet hatte die Provisorische Regierung niedergezwungen
und dem Sowjetkongre&szlig; den Staatsstreich aufgedr&auml;ngt. Nun hie&szlig;
es: Ru&szlig;land gewinnen und dann - die Welt! W&uuml;rde Ru&szlig;land
folgen und sich erheben? Und die &uuml;brige Welt, was w&uuml;rde sie tun?
W&uuml;rden die V&ouml;lker dem Rufe folgen und aufstehen zu einem roten
Weltsturm?
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Obgleich schon sechs Uhr fr&uuml;h, war es noch ganz dunkel und ziemlich
kalt. Nur ein schwaches, kaum merkliches D&auml;mmern stahl sich &uuml;ber
die stillen Stra&szlig;en, lie&szlig; die Wachtfeuer matter erscheinen. Der
Vorbote eines drohenden, sich grau &uuml;ber Ru&szlig;land erhebenden Tages.
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