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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<TITLE>August Bebel - Die Frau und der Sozialismus - 18. Kapitel</TITLE>
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<P ALIGN="CENTER"><A HREF="beaa_360.htm"><FONT SIZE=2>17. Kapitel</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="beaa_000.htm"><FONT SIZE=2>Inhalt</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="beaa_389.htm"><FONT SIZE=2>19. Kapitel</FONT></A></P>
<FONT SIZE=2><P>August Bebel - "Die Frau und der Sozialismus" - 62. Auflage, Berlin/DDR, 1973, S. 378-388.</P>
<P>1. Korrektur.<BR>
Erstellt am 31.1.1999.</P>
</FONT><I><P ALIGN="CENTER"> Achtzehntes Kapitel <BR>
</I><FONT SIZE=4>Krisen und Konkurrenz</P>
</FONT><I><P ALIGN="CENTER">1. Ursachen und Wirkungen der Krisen</P>
</I><B><P><A NAME="S379">|379|</A></B> Die Krise entsteht, weil kein Ma&szlig;stab vorhanden ist, an dem sich das wirkliche Bed&uuml;rfnis nach einer Ware jederzeit messen und &uuml;bersehen l&auml;&szlig;t. Es gibt in der b&uuml;rgerlichen Gesellschaft keine Macht, welche die gesamte Produktion zu regulieren vermag. Einmal ist die Zahl der Abnehmer f&uuml;r eine Ware eine weit zerstreute, und die Kauff&auml;higkeit der Abnehmer, von welchen die Masse des Verbrauchs abh&auml;ngt, ist von einer Menge von Ursachen beeinflu&szlig;t, die der einzelne Produzent zu kontrollieren nicht in der Lage ist. Sodann sind neben jedem einzelnen Produzenten viele andere vorhanden, deren Produktionsf&auml;higkeit der einzelne nicht kennt. Jeder bem&uuml;ht sich nun mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln - durch billigeren Preis, Reklame, Gew&auml;hrung langer Kredite, Sendung von Reisenden und selbst durch versteckte und hinterlistige Herabsetzung der Produkte seiner Konkurrenten, ein Mittel, das namentlich in kritischer Zeit floriert -, alle seine Konkurrenten aus dem Felde zu schlagen. Die gesamte Produktion ist also auf das subjektive Ermessen des einzelnen angewiesen. Jeder Unternehmer mu&szlig; ein bestimmtes Quantum Ware absetzen, damit er bestehen kann; er will aber ein weit gr&ouml;&szlig;eres Quantum verkaufen, davon h&auml;ngt nicht nur sein gr&ouml;&szlig;eres Einkommen ab, davon h&auml;ngt auch die Wahrscheinlichkeit ab, &uuml;ber seine Konkurrenten zu triumphieren und f&uuml;r sich das Feld zu behaupten. Eine Weile ist der Absatz gesichert, sogar gesteigert; dieses verleitet zu gr&ouml;&szlig;erer Ausdehnung der Unternehmen und zu massenweiserer Produktion. Die g&uuml;nstigeren Zeitverh&auml;ltnisse verleiten aber nicht nur einen, sondern alle Unternehmer zu gleichen Anstrengungen. Die Produktion steigt weit &uuml;ber den Bedarf. Pl&ouml;tzlich stellt sich &Uuml;berf&uuml;llung des Marktee mit Waren heraus. Der Absatz stockt, die Preise fallen, die Produktion wird eingeschr&auml;nkt. Einschr&auml;nkung der Produktion in einem Zweige <A NAME="S380"><B>|380|</A></B> bedingt Verminderung der Arbeiter, Erniedrigung der Arbeitsl&ouml;hne, Einschr&auml;nkung der Konsumtion seitens der Betroffenen. Eine Stockung der Produktion und des Absatzes in anderen Zweigen ist die notwendige Folge. Kleinhandwerker aller Art, H&auml;ndler, Wirte, B&auml;cker, Fleischer usw., deren Kunden haupts&auml;chlich die Arbeiter sind, verlieren den lohnenden Absatz f&uuml;r ihre Waren und geraten ebenfalls in Not. </P>
<P>Wie eine solche Krise wirkt, zeigte die Statistik der Arbeitslosen, die Ende Januar 1902 die Berliner Gewerkschaften vornahmen. Es wurden in Berlin und Vororten &uuml;ber 70.000 g&auml;nzlich Arbeitslose und an 60.000 teilweise Arbeitslose gez&auml;hlt. Am 13. Februar 1909 haben die Berliner Gewerkschaften eine neue Arbeitslosenz&auml;hlung veranstaltet, die 106.722 (92.655 M&auml;nner und, 14.067 Frauen) Arbeitslose ergab.<A NAME="ZF1"><A HREF="beaa_379.htm#F1">(1)</A></A> In England wurden im September 1908 750.000 Arbeitslose gez&auml;hlt. Das sind Arbeiter, die arbeiten wollten, aber in dieser besten aller Welten keine Arbeit fanden. Man kann sich die traurigen sozialen Verh&auml;ltnisse dieser Menschen vorstellen! </P>
<P>Nun liefert eine Industrie der anderen ihr Rohmaterial, eine h&auml;ngt von der anderen ab, folglich mu&szlig; eine unter den Schl&auml;gen der anderen leiden und b&uuml;&szlig;en. Der Kreis der Beteiligten und Betroffenen erweitert sich. Eine Menge Verpflichtungen, die in der Hoffnung auf eine l&auml;ngere Dauer des bestehenden Zustandes eingegangen wurden, k&ouml;nnen nicht erf&uuml;llt werden und steigern die Krise, die von Monat zu Monat gewaltiger wird. Eine Masse aufgespeicherter Waren, Werkzeuge, Maschinen wird nahezu wertlos. Die Waren werden vielfach zu Schleuderpreisen losgeschlagen. Diese Verschleuderung ruiniert oft nicht nur die Besitzer dieser Waren, sondern auch Dutzende andere, die durch diese Verschleuderung nun ihrerseits gezwungen werden, ihre Waren ebenfalls unter dem Kostenpreis herzugeben. Aber auch w&auml;hrend der Krise werden die Produktionsmethoden best&auml;ndig verbessert, in der Absicht, der gesteigerten Konkurrenz zu begegnen; dieses Mittel birgt aber wieder die Ursache zu neuen Krisen in sich. Nachdem die Krise jahrelang dauerte, die &Uuml;berproduktion durch Verschleuderung der Produkte, Einschr&auml;nkung der Produktion und Vernichtung kleinerer Unternehmer allm&auml;hlich beseitigt ist, f&auml;ngt die Gesellschaft an, sich wieder langsam zu erholen. Der Bedarf steigt, damit aber <A NAME="S381"><B>|381|</A></B> auch sofort die Produktion. Anfangs langsam und vorsichtig, doch mit der Dauer des g&uuml;nstigeren Zustandes beginnt das alte Treiben bald von neuem. Man will wieder einholen, was man verlor, und hofft sich zu bergen, bevor eine neue Krise hereinbricht. Aber da alle Unternehmer denselben Gedanken hegen, jeder die Produktionsmittel verbessert, um dem anderen "&uuml;ber" zu kommen, so wird die Katastrophe aufs neue in beschleunigterer Weise hervorgerufen, mit noch verh&auml;ngnisvollerer Wirkung. Zahllose Existenzen werden wie Fangb&auml;lle in die H&ouml;he geworfen und sinken, und aus dieser best&auml;ndigen Wechselwirkung entsteht jener schauderhafte Zustand, den wir in jeder Krise erleben. Die Krisen h&auml;ufen sich in dem Ma&szlig;e, wie die Massenproduktion und der Konkurrenzkampf nicht blo&szlig; zwischen den einzelnen, sondern zwischen ganzen Nationen sich steigert. Der Kampf um die Kundschaft im kleinen und die Absatzgebiete im gro&szlig;en wird immer heftiger und endet schlie&szlig;lich mit enormen Verlusten. Waren und Vorr&auml;te sind dabei in ungeheuren Mengen aufgestapelt, aber die Masse der Menschen, die konsumieren m&ouml;chte, aber nicht kaufen kann, leidet Hunger und Not. </P>
<P>Die Jahre 1901 und 1907/08 haben die Richtigkeit der gegebenen Darstellung wieder einmal erwiesen. Nach Jahren gesch&auml;ftlicher Depression, w&auml;hrend der aber die gro&szlig;kapitalistische Entwicklung unausgesetzt Fortschritte machte, begann die aufsteigende Bewegung, nicht wenig stimuliert durch die Umwandlungen und Neuanschaffungen, die Milit&auml;r- und Marinewesen erforderten. W&auml;hrend dieser Periode begannen eine Unzahl neuer gewerblicher Unternehmungen der verschiedensten Art aus dem Boden zu wachsen, eine gro&szlig;e Anzahl anderer wurde vergr&ouml;&szlig;ert und erweitert, um sie auf diejenige H&ouml;he zu bringen, die der Stand der Technik erlaubte, um ihre Leistungsf&auml;higkeit zu steigern. In demselben Ma&szlig;e wuchs aber auch die Zahl der Unternehmungen, die aus den H&auml;nden einzelnen Kapitalisten in den Besitz von kapitalistischen Genossenschaften (Aktiengesellschaften) &uuml;bergingen, eine Umwandlung, mit der stets eine mehr oder weniger bedeutende Vergr&ouml;&szlig;erung des Betriebs verbunden ist. Es sind viele Tausende von Millionen Mark, welche die neugegr&uuml;ndeten Aktiengesellschaften repr&auml;sentieren. Andrerseits sind die Kapitalisten aller L&auml;nder bestrebt, nationale und internationale Vereinbarungen zu gr&uuml;nden. Kartelle, Ringe, Trusts schie&szlig;en wie Pilze aus dem Boden, durch welche die Preise festgesetzt und die Produktion auf Grund <A NAME="S382"><B>|382|</A></B> genauer statistischer Aufnahmen reguliert werden soll, um die &Uuml;berproduktion und den Preisdruck zu vermeiden. Es ist eine gro&szlig;artige Monopolisierung ganzer Industriezweige eingetreten, zum Vorteil der Unternehmer und auf Kosten der Arbeiter und der Konsumenten, wie sie &auml;hnlich nie dagewesen ist. Viele glaubten, das Kapital sei dadurch in den Besitz des Mittels gelangt, das ihm die Beherrschung des Marktes nach allen Seiten erm&ouml;gliche, zum Schaden des Publikums und zum Nutzen f&uuml;r sich. Aber der &auml;u&szlig;ere Schein t&auml;uscht. Die Gesetze der kapitalistischen Produktion erweisen sich stets st&auml;rker als die pfiffigsten Vertreter des Systems, die seine Regulierung in H&auml;nden zu haben glaubten. Die Krise kam trotzdem, und es zeigte sich einmal wieder, da&szlig; die kl&uuml;gsten Berechnungen sich als T&auml;uschung erweisen und die b&uuml;rgerliche Gesellschaft ihrem Schicksal nicht entgeht. </P>
<P>Aber der Kapitalismus arbeitet in der gleichen Richtung weiter, denn er kann nicht aus seiner Haut. Durch die Art, wie er t&auml;tig sein mu&szlig;, wirft er alle Gesetze der b&uuml;rgerlichen &Ouml;konomie &uuml;ber den Haufen. Die freie Konkurrenz - das A und O der b&uuml;rgerlichen Gesellschaft - soll die T&uuml;chtigsten an die Spitze der Unternehmungen bringen. Die Erfahrung zeigt aber, da&szlig; sie in der Regel nur die Gewissenlosesten und Geriebensten an die Spitze bringt. Auch hebt die Aktiengesellschaft alle Individualit&auml;t auf. Das Kartell, der Trust, der Ring gehen noch weiter, nicht nur der einzelne Unternehmer verschwindet als selbst&auml;ndige Person, auch die Aktiengesellschaft wird dienendes Glied in einer Kette, die ein Kapitalistenausschu&szlig; in der Hand hat, dessen Aufgabe es ist, das Publikum zu pressen und zu pl&uuml;ndern. Eine Handvoll Monopolisten wirft sich zum Herrn der Gesellschaft auf, diese diktieren ihr die Preise f&uuml;r die Waren und den Arbeitern die Lohn- und Lebensbedingungen. </P>
<P>Diese Entwicklung zeigt, wie &uuml;berfl&uuml;ssig der Privatunternehmer geworden ist und da&szlig; die auf nationaler und internationaler Stufe geleitete Produktion das Ziel ist, auf das die Gesellschaft steuert. Nur mit dem Unterschied, da&szlig; schlie&szlig;lich die organisierte Produktion und Distribution (Verteilung)<I> nicht wie heute der Kapitalistenklasse, sondern der Gesamtheit zustatten kommen soll</I>. </P>
<P>Die geschilderte wirtschaftliche Revolution, welche die b&uuml;rgerliche Gesellschaft mit rapider Eile dem H&ouml;hepunkt ihrer Entwicklung zutreibt, wird durch immer neue gewichtige Vorg&auml;nge versch&auml;rft. Wird Europa mit jedem Jahre mehr in seinen Absatzm&auml;rkten und schlie&szlig;lich <A NAME="S383"><B>|383|</A></B> in seinem eigensten Gebiet durch die rasch wachsende nordamerikanische Konkurrenz bedroht, so erheben sich auch Feinde im Osten, welche die wirtschaftliche Lage der Welt mit der Zeit noch<I> kritischer</I> gestalten. </P>
<P>Die Konkurrenz jagt den Kapitalisten, wie das Kommunistische Manifest es ausdr&uuml;ckt, &uuml;ber die ganze Erdkugel. Er sp&auml;ht nach immer neuen Absatzgebieten, das hei&szlig;t nach L&auml;ndern mit V&ouml;lkern, bei denen er seine Waren absetzen und neue Bed&uuml;rfnisse hervorrufen kann. Der Eifer, mit dem in den letzten Jahrzehnten die verschiedenen Staaten nach Kolonien trachteten, insbesondere auch Deutschland, dem es zwar gelang, gro&szlig;e Landgebiete zu okkupieren, aber bewohnt von V&ouml;lkerschaften auf primitivster Kulturstufe, die kein nennenswertes Bed&uuml;rfnis nach europ&auml;ischen Waren haben, zeigt die eine Seite dieses Strebens. Die andere geht darauf hinaus, moderne kapitalistische Kultur zu V&ouml;lkern zu tragen, die bereits auf einer h&ouml;heren Kulturstufe stehen, aber sich bisher dem Eingang moderner Entwicklung bei sich mehr oder weniger schroff entgegenstellten. So Inder, Japaner und vor allem die Chinesen. Es handelt sich hier um L&auml;nder, die mehr als ein Drittel der Bev&ouml;lkerung der Erde umfassen, aber auch um solche - wie das die Japaner bereits im Kriege gegen Ru&szlig;land zeigten -, die, sobald erst einmal bei ihnen die Anregung und das Beispiel gegeben sind, selbst imstande sind, bei sich die kapitalistische Wirtschaftsweise zu entwickeln, und zwar unter Bedingungen, die f&uuml;r die vorgeschrittenen V&ouml;lker von verh&auml;ngnisvollen Folgen begleitet sein werden. Die Leistungsf&auml;higkeit der genannten V&ouml;lker steht au&szlig;er Zweifel, ebenso aber auch ihre Bed&uuml;rfnislosigkeit - die vor allem das Klima beg&uuml;nstigt - und das Geschick, mit dem sie, wenn dazu gezwungen, neuen Verh&auml;ltnissen sich anzupassen wissen. Hier entsteht der alten Welt, die Vereinigten Staaten eingeschlossen, ein wirtschaftlicher Konkurrent, der den Nachweis f&uuml;r die Unhaltbarkeit kapitalistischer Wirtschaftsweise auf dem ganzen Erdenrund beibringen wird. </P>
<P>Einstweilen suchen die verschiedenen konkurrierenden Nationen - in erster Linie die Vereinigten Staaten, England und Deutschland - sich den Rang abzulaufen, und alle Mittel werden angewandt, sich ein m&ouml;glichst gro&szlig;es St&uuml;ck der Weltherrschaft zu sichern. Der Kampf um die Herrschaft auf dem Weltmarkt f&uuml;hrt zur Weltpolitik, zur Einmischung in alle wichtigen internationalen Vorg&auml;nge, und um mit Erfolg hier eingreifen zu k&ouml;nnen, erlangen insbesondere die mariti- <A NAME="S384"><B>|384|</A></B> men R&uuml;stungen einen vordem nicht gekannten Umfang, wodurch aber auch aufs neue die Gefahr gro&szlig;er politischer Katastrophen hervorgerufen wird. </P>
<P>So w&auml;chst mit dem Umfang des wirtschaftlichen Konkurrenzgebiets auch das politische. Die Widerspr&uuml;che wachsen auf internationaler Stufenleiter und rufen in allen kapitalistisch entwickelten Staaten die gleichen Erscheinungen und die gleichen K&auml;mpfe hervor. Und nicht allein ist es die Form, in der erzeugt wird, sondern auch die Art, wie das Erzeugte verteilt wird, was diese heillosen Zust&auml;nde herbeif&uuml;hrt.<I> </P>
<P ALIGN="CENTER"><A NAME="Kap_18_2">2. Der Zwischenhandel und die Verteuerung der Lebensmittel</A></P>
</I><P>In der menschlichen Gesellschaft sind alle Individuen mit tausend F&auml;den aneinander gekettet, um so vielf&auml;ltiger, je<I> h&ouml;her</I> der Kulturgrad eines Volkes ist. Treten St&ouml;rungen ein, so machen diese sich allen Gliedern f&uuml;hlbar. St&ouml;rungen in der Produktion wirken auf die Distribution und die Konsumtion ein und umgekehrt. </P>
<P>Das charakteristische Merkmal der kapitalistischen Produktion ist die Konzentrierung der Produktionsmittel in immer gr&ouml;&szlig;eren Produktionsst&auml;tten. In der Distribution macht sich ein entgegengesetzter Zug bemerkbar. Wer durch die vernichtende Konkurrenz als Produzent aus der Reihe der selbst&auml;ndigen Existenzen gestrichen wird, sucht in neun F&auml;llen von zehn sich als H&auml;ndler zwischen Produzent und Konsument zu dr&auml;ngen, um seine Existenz zu fristen.<A NAME="ZF2"><A HREF="beaa_379.htm#F2">(2)</A></A> </P>
<P>Daher die auff&auml;llige Zunahme der Zwischenpersonen, der H&auml;ndler, <A NAME="S385"><B>|385|</A></B> Kr&auml;mer, H&ouml;ker, Gesch&auml;ftsvermittler, Makler, Agenten, Wirte usw., wie oben statistisch festgestellt wurde. Die meisten dieser Personen, unter welchen die Frauen als selbst&auml;ndige Gesch&auml;ftsinhaber besonders stark vertreten sind, f&uuml;hren meist ein sorgenvolles Leben und eine k&uuml;mmerliche Existenz. Viele sind, um sich zu halten, gezwungen, auf die<I> niedrigsten</I> Leidenschaften ihrer Mitmenschen zu spekulieren und ihnen Vorschub zu leisten. Daher die &Uuml;berhandnahme der Reklame, namentlich in allem, was auf die Befriedigung der Genu&szlig;sucht gerichtet ist. </P>
<P>Nun l&auml;&szlig;t sich nicht bestreiten, und von einem h&ouml;heren Gesichtspunkt betrachtet ist es sehr erfreulich, da&szlig; in der modernen Gesellschaft der Drang nach Lebensgenu&szlig; sich bemerkbar macht. Die Menschen fangen an zu begreifen, da&szlig;, um Mensch zu sein,<I> man menschenw&uuml;rdig leben m&uuml;sse</I>, und sie suchen dieses Bed&uuml;rfnis in Formen zu befriedigen, die ihrem Begriff von Lebensgenu&szlig; entsprechen. In ihrer Reichtumsgestaltung ist aber die Gesellschaft<I> viel aristokratischer</I> geworden als in jeder fr&uuml;heren Periode. Zwischen den Reichsten und den &Auml;rmsten ist heute der Abstand gr&ouml;&szlig;er als je, dagegen ist die Gesellschaft in ihren Ideen und Gesetzen<I> demokratischer</I> geworden.<A NAME="ZF3"><A HREF="beaa_379.htm#F3">(3)</A></A> Die Masse verlangt nach gr&ouml;&szlig;erer Gleichheit, und sie sucht selbst im Verkehrten die Gleichheit, da sie in ihrer Unwissenheit die Wege f&uuml;r die Verwirklichung einer solchen noch nicht kennt, darin, da&szlig; sie es den H&ouml;herstehenden gleichzutun versucht und jeden erreichbaren Genu&szlig; sich verschafft. Alle m&ouml;glichen Anreizungsmittel m&uuml;ssen dazu dienen, diesen Trieb auszubeuten, und die Folgen sind vielfach bedenkliche. Ein an sich berechtigtes Streben f&uuml;hrt in einer Menge F&auml;lle auf Abwege, selbst zum Verbrechen, und die Gesellschaft schreitet in ihrer Weise dagegen ein, ohne das geringste damit zu &auml;ndern. </P>
<P>Die zunehmende Menge der Mittelspersonen hat viele &Uuml;belst&auml;nde im Gefolge. Obgleich die Betreffenden meist sich schwer abm&uuml;hen und in Sorgen arbeiten, sind sie in ihrer Mehrzahl eine Klasse von <A NAME="S386"><B>|386|</A></B> Parasiten, die unproduktiv t&auml;tig ist und ebenso von dem Arbeitsprodukt anderer lebt wie die Unternehmerklasse. Verteuerung der Lebensbed&uuml;rfnisse ist die unumg&auml;ngliche Folge des Zwischenhandels. Diese werden in einer Weise verteuert, da&szlig; sie oft den doppelten und mehrfachen Preis dessen kosten, was der Erzeuger daf&uuml;r erh&auml;lt.<A NAME="ZF4"><A HREF="beaa_379.htm#F4">(4)</A></A> Ist aber eine wesentliche Verteuerung der Waren nicht r&auml;tlich und nicht m&ouml;glich, weil dann eine Einschr&auml;nkung des Verbrauchs eintritt, so werden sie k&uuml;nstlich verschlechtert, man greift zur Verf&auml;lschung der Lebensmittel und zu falschem Ma&szlig; und Gewicht, um den sonst nicht erlangbaren Gewinn zu erhalten. Der Chemiker<I> Chevalier</I> berichtet, da&szlig; er unter den verschiedenen Arten von F&auml;lschungen bei Lebensmitteln f&uuml;r Kaffee 32, Wein 30, Schokolade 28, Mehl 24, Branntwein 23, Brot 20, Milch 19, Butter 10, Oliven&ouml;l 9, Zucker 6 usw. kenne. Ein Hauptbetrug wird mit dem Verkauf fertig abgewogener Waren in den Kraml&auml;den vorgenommen; man liefert oft f&uuml;r ein Kilo nur 900 oder 950 Gramm und sucht so doppelt einzubringen, was man am Preise nachl&auml;&szlig;t. Am schlimmsten sind Arbeiter und kleine Leute daran, die ihre Waren auf Kredit entnehmen und darum schweigen m&uuml;ssen, auch wo sie den Betrug vor Augen sehen. Gro&szlig;er Mi&szlig;brauch mit falschem Gewicht kommt auch im Backwarenverkauf vor. Sehwindel und Betrug sind eben unausbleiblich mit unseren sozialen Zust&auml;nden ver- <A NAME="S387"><B>|387|</A></B> kn&uuml;pft, und gewisse Staatseinrichtungen, zum Beispiel hohe indirekte Steuern und Z&ouml;lle, f&ouml;rdern Schwindel und Betrug. Die Gesetze gegen Lebensmittelverf&auml;lschungen richten dagegen wenig aus. Der Kampf um die Existenz n&ouml;tigt die Betr&uuml;ger, immer raffiniertere Mittel anzuwenden, und eine<I> gr&uuml;ndliche</I> und<I> strenge</I> Kontrolle ist sehr selten vorhanden. Auch wird unter dem Vorwand, da&szlig;, um F&auml;lschungen zu entdecken, ein umfassender und teurer Verwaltungsapparat notwendig sei - was richtig ist -, worunter auch "das legitime Gesch&auml;ft leide", jede ernste Kontrolle lahmgelegt. Greifen aber Kontrollma&szlig;regeln wirksam ein, so bewirken sie eine erhebliche Preissteigerung, weil der niedrigere Preis nur durch F&auml;lschung der Ware m&ouml;glich war. </P>
<P>Um diesen &Uuml;belst&auml;nden im Handel abzuhelfen, unter denen immer und &uuml;berall die Masse am h&auml;rtesten leidet, ist man zur Errichtung von Konsumvereinen geschritten. Insbesondere hat in Deutschland das Konsumvereinswesen f&uuml;r Milit&auml;rpersonen und Beamte eine Bedeutung erlangt, da&szlig; zahlreiche Handelsgesch&auml;fte dadurch zugrunde gerichtet wurden. Aber auch die Arbeiterkonsumvereine haben im letzten Jahrzehnt eine gro&szlig;artige Entwicklung erfahren und sind zum Teil auch zur Selbsterzeugung gewisser Verbrauchsgegenst&auml;nde &uuml;bergegangen. Die Konsumvereine in Hamburg, Leipzig, Dresden, Stuttgart, Breslau, Wien usw. sind musterg&uuml;ltige Einrichtungen geworden, und der Jahresumsatz der deutschen Konsumvereine bel&auml;uft sich auf Hunderte von Millionen Mark. Seit einigen Jahren besteht auch in Hamburg f&uuml;r die deutschen Arbeiterkonsumvereine eine Einkaufszentrale, die die Waren im gr&ouml;&szlig;ten Ma&szlig;stab ankauft und damit ihre billigste Lieferung an die Einzelvereine erm&ouml;glicht. Diese Vereine beweisen also die &Uuml;berfl&uuml;ssigkeit des zersplitterten Zwischenhandels. Das ist der gr&ouml;&szlig;te Vorteil, den sie haben, neben dem, da&szlig; sie reelle Waren liefern. Die materiellen Vorteile f&uuml;r ihre Mitglieder sind nicht sehr bedeutend, auch gen&uuml;gen die Erleichterungen, die sie bieten, nicht, um denselben eine wesentliche Verbesserung ihrer Lebenslage zu verschaffen. Die Gr&uuml;ndung von Konsumvereinen ist aber ein Symptom, da&szlig; man in den weitesten Kreisen die &Uuml;berfl&uuml;ssigkeit des Zwischenhandels erkannt hat. Die Gesellschaft wird schlie&szlig;lich zu einer Organisation gelangen, durch die der Handel &uuml;berfl&uuml;ssig wird, indem die Produkte ohne andere Zwischenpersonen als diejenigen, die der Transport von einem Ort zum anderen und die Verteilung erfordern und im Dienste der <A NAME="S388"><B>|388|</A></B> Gesellschaft stehen, in den Besitz der Konsumenten gelangen. Nach dem gemeinsamen Bezug der Lebensmittel liegt allerdings weiter die Forderung nahe, auch eine gemeinsame, im gro&szlig;artigsten Ma&szlig;stab auszuf&uuml;hrende Fertigstellung f&uuml;r den Tisch zu erlangen, was abermals eine gewaltige Ersparnis an Kr&auml;ften, Raum, Material und Aufwendungen aller Art herbeif&uuml;hren w&uuml;rde. </P>
<P><HR></P>
<P>Fu&szlig;noten von August Bebel</P>
<P><A NAME="F1">(1)</A> Die Arbeitslosigkeit und die Arbeitslosenz&auml;hlung im Winter 1908/09. Berlin 1909, Verlag Buchhandlung Vorw&auml;rts. <A HREF="beaa_379.htm#ZF1">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F2">(2)</A> "Der R&uuml;ckgang des alten Handwerkes ist nicht die alleinige Ursache der unverh&auml;ltnism&auml;&szlig;igen Zunahme des kleinen Detailhandelsbetriebs. Die fortschreitende Industrialisierung und Kommerzialisierung des Landes schafft trotz ihrer Tendenz zum Gro&szlig;betrieb zun&auml;chst immer wieder Boden f&uuml;r kleine Gesch&auml;fte. Ebenso sind Erfindungen, die neue Industriezweige schaffen, auch die Ursache, da&szlig; f&uuml;r den Absatz dieser Produkte auch neue Kleinbetriebe erstehen. Vor allem aber erkl&auml;rt sich die starke Zunahme der Detailhandelsbetriebe daraus, da&szlig; - wie die Handels- und Gewerbekammer zu Dresden in einem der s&auml;chsischen Regierung erstatteten Gutachten (S. 18 der Brosch&uuml;re 'Konsumgenossenschaften und Mittelstandspolitiker') ausf&uuml;hrt -, der Kleinhandel das gro&szlig;e Sammelbecken geworden ist f&uuml;r zahlreiche Personen, die daran verzweifeln, auf anderem Wege ihr Auskommen zu finden."
Lange, Paul:
Detailhandel und Mittelstandspolitik / Paul Lange. - [Electronic ed.].
In: Die neue Zeit : Wochenschrift der deutschen Sozialdemokratie. - 25.1906-1907, 2. Bd.(1907), H. 47, S. 693 - 702
<a href="http://library.fes.de/cgi-bin/neuzeit.pl?id=07.06405&dok=1906-07b&f=190607b_0693&l=190607b_0702" target="_blank" title="online bei der FES">Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2008</a>,
Das <a href="http://library.fes.de/cgi-bin/neuzeit.pl?id=07.06405&dok=1906-07b&f=190607b_0693&l=190607b_0702&c=190607b_0695" target="_blank" title="direkt zur zitierten Seite, online bei der FES">Zitat auf S. 695</a>. Fortsetzung des Artikels in den Heften 48 und 49. <A HREF="beaa_379.htm#ZF2">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F3">(3)</A> Professor<I> Adolf Wagner</I> spricht in der ersten Bearbeitung von Raus "Lehrbuch der politischen &Ouml;konomie" einen &auml;hnlichen Gedanken aus. Er sagt S. 361: "Die soziale Frage ist der zum Bewu&szlig;tsein gekommene Widerspruch der volkswirtschaftlichen Entwicklung mit dem als Ideal vorschwebenden und im politischen Leben sich verwirklichenden gesellschaftlichen Entwicklungsprinzip der Freiheit und Gleichheit." <A HREF="beaa_379.htm#ZF3">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F4">(4)</A> So teilt Dr. <I>E. Sax</I> in seiner Schrift "Die Hausindustrie in Th&uuml;ringen" unter anderem mit, da&szlig; im Jahre 1869 die Produktion von 244<FONT SIZE="-1"><SUP>1</FONT></SUP>/<FONT SIZE="-2">2</FONT> Millioaen Griffeln 122.000 bis 200.000 Gulden Arbeitslohn f&uuml;r die Arbeiter abgeworfen hatte, der Verkaufspreis steigerte sich aber in letzter Hand auf 1.200.000 Gulden, er betrug mindestens das Sechsfache dessen, was der Produzent erhielt. Im Sommer 1888 wurden f&uuml;r f&uuml;nf Zentner Schellfische aus erster Hand 5 Mark bezahlt. Der Detailh&auml;ndler bezahlte dem Gro&szlig;h&auml;ndler 15 und das Publikum dem letzteren 125 Mark. Auch werden Massen von Lebensmitteln vernichtet, weil die Preise nicht die Transportkosten lohnen. So zum Beispiel werden in Jahren eines &uuml;berreichlichen Heringsfanges ganze Bootsladungen als D&uuml;nger verwendet, w&auml;hrend im Binnenland viele Tausende Menschen existieren, die keine Heringe kaufen k&ouml;nnen. &Auml;hnliches passierte im Jahre 1892 in Kalifornien bei einer &uuml;berreichen Kartoffelernte. Als im Jahre 1901 die Zuckerpreise tief gesunken waren, machte ein Fachblatt ernsthaft den Vorschlag, einen gr&ouml;&szlig;eren Teil der Vorr&auml;te unter Wasser zu setzen und zu vernichten, um die Preise zu heben. Bekannt ist auch, da&szlig; Charles Fourier zu seinem soziet&auml;ren Gesellschaftssystem angeregt wurde, weil er als Lehrling in einem kaufm&auml;nnischen Gesch&auml;ft in Toulon den Auftrag erhielt, eine Schiffsladung Reis ins Meer zu versenken, damit die Preise stiegen. Er sagte sich, eine Gesellschaft, die zu solch barbarischen und widersinnigen Ma&szlig;regeln greift, mu&szlig; eine falsche Grundlage haben, und so wurde er Sozialist. <A HREF="beaa_379.htm#ZF4">&lt;=</A></P></BODY>
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