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<TITLE>Rosa Luxemburg - Die Krise der Sozialdemokratie - IV</TITLE>
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<!--Hier war ein unzureichend terminierter Kommentar -->
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<TD ALIGN="center" width="19%" height=20 valign=middle><A HREF="default.htm"><SMALL>Rosa Luxemburg</SMALL></A></TD>
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<H2>Rosa Luxemburg - Die Krise der Sozialdemokratie</H2>
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<H1><!-- #BeginEditable "%DCberschrift" -->IV.<BR>
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Die Türkei<!-- #EndEditable --></H1>
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<P>Das wichtigste Operationsfeld des deutschen Imperialismus wurde die
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Türkei, sein Schrittmacher hier die Deutsche Bank und ihre Riesengeschäfte
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in Asien, die im Mittelpunkt der deutschen Orientpolitik stehen. In den
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fünfziger und sechziger Jahren wirtschaftete in der asiatischen Türkei
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hauptsächlich englisches Kapital, das die Eisenbahnen von Smyrna aus
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baute und auch die erste Strecke der anatolischen Bahn bis Esmid gepachtet
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hatte. 1888 tritt das deutsche Kapital auf den Plan und bekommt von Abdul
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Hamid zum Betrieb die von den Engländern erbaute Strecke und zum Bau
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die neue Strecke von Esmid bis Angora mit Zweiglinien nach Skutari, Brussa,
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Konia und Kaizarile. 1899 erlangte die Deutsche Bank die Konzession zum
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Bau und Betrieb eines Hafens nebst Anlagen in Haidar Pascha und die alleinige
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Herrschaft über Handel und Zollwesen im Hafen. 1901 übergab die
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türkische Regierung der Deutschen Bank die Konzession für die
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große Bagdadbahn zum Persischen Golf, 1907 für die Trockenlegung
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des Sees von Karaviran und die Bewässerung der Koma-Ebene.</P>
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<P>Die Kehrseite dieser großartigen »friedlichen Kulturwerke« ist der »friedliche« und großartige Ruin des kleinasiatischen
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Bauerntums. Die Kosten der gewaltigen Unternehmungen werden natürlich
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durch ein weitverzweigtes System der öffentlichen Schuld von der Deutschen
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Bank vorgestreckt, der türkische Staat wurde in alle Ewigkeit zum
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Schuldner der Herren Siemens, Gwinner, Helfferich usw., wie er es schon
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früher beim englischen, französischen und österreichischen
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Kapital war. Dieser Schuldner mußte nunmehr nicht bloß ständig
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enorme Summen aus dem Staate herauspumpen, um die Anleihen zu verzinsen,
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sondern mußte für die Bruttogewinne der auf diese Weise errichteten
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Eisenbahnen Garantie leisten. Die modernsten Verkehrsmittel und Anlagen
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werden hier auf ganz rückständige, noch zum großen Teil
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naturalwirtschaftliche Zustände, auf die primitivste Bauernwirtschaft
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aufgepfropft. Aus dem dürren Boden dieser Wirtschaft, die, von der
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orientalischen Despotie seit Jahrhunderten skrupellos ausgesogen, kaum
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einige Halme zur eigenen Ernährung des Bauerntums über die Staatsabgaben
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hinaus produziert, können der
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nötige Verkehr und die Profite
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für die Eisenbahnen natürlich nicht herauskommen. Der Warenhandel
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und der Personenverkehr sind, der wirtschaftlichen und kulturellen Beschaffenheit
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des Landes entsprechend, sehr unentwickelt und können nur langsam
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steigen. Das zur Bildung des erforderlichen kapitalistischen Profits Fehlende
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wird nun in Form der sogenannten »Kilometergarantie« vom türkischen
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Staate den Eisenbahngesellschaften jährlich zugeschossen. Dies ist
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das System, nach dem die Bahnen in der europäischen Türkei vom
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österreichischen und französischen Kapital errichtet wurden,
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und dasselbe System wurde nun auf die Unternehmungen der Deutschen Bank
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in der asiatischen Türkei angewendet. Als Pfand und Sicherheit, daß
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der Zuschuß geleistet wird, hat die türkische Regierung an die
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Vertretung des europäischen Kapitals den sogenannten Verwaltungsrat
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der öffentlichen Schuld, die Hauptquelle der Staatseinnahmen in der
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Türkei: die Zehnten aus einer Reihe von Provinzen überwiesen.
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Von 1893 bis 1910 hat die türkische Regierung auf solche Weise zum
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Beispiel für die Bahn bis Ankara und für die Strecke Eskischehir
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- Konia etwa 90 Millionen Franken »zugeschossen«. Die von dem
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türkischen Staat an seine europäischen Gläubiger immer wieder
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verpfändeten »Zehnten« sind uralte bäuerliche Naturalabgaben
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in Korn, Hammeln, Seide usw. Die Zehnten werden nicht direkt, sondern durch
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Pächter in der Art der berühmten Steuereinnehmer des vorrevolutionären
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Frankreichs erhoben, denen der Staat den voraussichtlichen Betrag
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der Abgaben jedes Wilajets (Provinz) einzeln im Wege der Auktion, das heißt
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an den Meistbietenden gegen Bezahlung in bar verkauft. Ist der Zehent eines
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Wilajets von einem Spekulanten oder einem Konsortium erstanden, so verkaufen
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diese den Zehnten jedes einzelnen Sandschaks (Kreises) an andere Spekulanten,
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die ihren Anteil wiederum einer ganzen Reihe kleinerer Agenten abtreten.
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Da jeder seine Auslagen decken und soviel Gewinn als möglich einstreichen
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will, so wächst der Zehent in dem Maße, wie er sich den Bauern
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nähert lawinenartig. Hat sich der Pächter in seinen Berechnungen
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geirrt so sucht er sich auf Kosten des Bauern zu entschädigen. Dieser
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wartet, fast immer verschuldet, mit Ungeduld auf den Augenblick, seine
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Ernte verkaufen zu können; wenn er aber sein Getreide geschnitten
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hat, muß er mit dem Dreschen oft wochenlang warten, bis es dem Zehentpächter
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beliebt, sich den ihm gebührenden Teil zu nehmen. Der Pächter,
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der gewöhnlich zugleich Getreidehändler ist benutzt diese Lage
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des Bauern, dem die ganze Ernte auf dem Felde zu verfaulen droht, um ihm
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die Ernte zu niedrigem Preise abzupressen, und weiß sich gegen Beschwerden
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Unzufriedener die Hilfe der Beamten und besonders der Muktars (Ortsvorsteher)
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zu sichern. Kann kein Steuerpächter gefunden werden, so werden die
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Zehnten von der Regierung in natura eingetrieben, in Magazine gebracht
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und als der schuldige »Zuschuß« an die Kapitalisten überwiesen.
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Dies der innere Mechanismus der »wirtschaftlichen Regeneration der
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<B>Türkei</B>« durch Kulturwerke des europäischen Kapitals.
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<P>Durch diese Operationen werden also zweierlei Resultate erzielt. Die
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kleinasiatische Bauernwirtschaft wird zum Objekt eines wohlorganisierten
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Aussaugungsprozesses zu Nutz und Frommen des europäischen, in diesem
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Falle vor allem des deutschen Bank- und Industriekapitals. Damit wachsen
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die »Interessensphären« Deutschlands in der Türkei,
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die wiederum Grundlage und Anlaß zur politischen »Beschützung« der Türkei abgeben. Zugleich wird der für die wirtschaftliche
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Ausnutzung des Bauerntums nötige Saugapparat, die türkische Regierung,
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zum gehorsamen Werkzeug, zum Vasallen der deutschen auswärtigen Politik.
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Schon von früher her standen türkische Finanzen, Zollpolitik,
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Steuerpolitik, Staatsausgaben, unter europäischer Kontrolle. Der deutsche
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Einfluß hat sich namentlich der <B>Militärorganisation</B> bemächtigt.
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<P>Es ist nach alledem klar, daß im Interesse des deutschen Imperialismus
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die Stärkung der türkischen Staatsmacht liegt, soweit, daß
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ihr vorzeitiger Zerfall verhütet wird. Eine beschleunigte Liquidation
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der Türkei würde zu ihrer Verteilung unter England, Rußland,
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Italien, Griechenland und anderen führen, womit für die großen
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Operationen des deutschen Kapitals die einzigartige Basis verschwinden
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müßte. Zugleich würde ein außerordentlicher Machtzuwachs
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Rußlands und Englands sowie der Mittelmeerstaaten erfolgen. Es gilt
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also für den deutschen Imperialismus, den bequemen Apparat des »selbständigen
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türkischen Staates«, die »Integrität« der Türkei
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zu erhalten, so lange, bis sie, vom deutschen Kapital von innen heraus
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zerfressen, wie früher Ägypten von den Engländern oder neuerdings
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Marokko von den Franzosen, als reife Frucht Deutschland in den Schoß
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fallen wird. Sagt doch zum Beispiel der bekannte Wortführer des deutschen
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Imperialismus, Paul Rohrbach, ganz offen und ehrlich:</P>
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<P><SMALL>»Es liegt in der Natur der Verhältnisse begründet,
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daß die Türkei, auf allen Seiten von begehrlichen Nachbarn umgeben,
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ihren Rückhalt bei einer Macht findet, die möglichst keine territorialen
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Interessen im Orient hat. Das ist Deutschland. Wir wiederum würden
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beim Verschwinden der Türkei großen Schaden erleiden. Sind Rußland
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und England die Haupterben der Türken, so liegt es auf der Hand, daß
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jene beiden Staaten dadurch einen bedeutenden Machtzuwachs erhalten würden.
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Aber auch wenn die Türkei so geteilt würde, daß ein erhebliches
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Stück auf uns entfällt, so bedeutet das für uns Schwierigkeiten
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ohne Ende, denn Rußland, England und in gewissem Sinne auch Frankreich
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und Italien sind Nachbarn des jetzigen türkischen Besitzes und entweder
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zu Lande oder zur See oder auf beiden Wegen imstande, ihren Anteil zu besetzen
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und zu verteidigen. Wir dagegen stehen außer jeder direkten Verbindung
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mit dem Orient... <B>Ein deutsches Kleinasien oder Mesopotamien könnte
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nur Wirklichkeit werden</B>, wenn vorher zum mindesten Rußland und
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damit auch Frankreich zum Verzicht auf ihre gegenwärtigen politischen
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Ziele und Ideale gezwungen wären, das heißt <B>wenn vorher der
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Weltkrieg seinen Ausgang entschieden im Sinne der deutschen Interessen
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genommen hätte</B>.« (»Der Krieg und die deutsche Politik«,
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S. 36.)</SMALL></P>
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<P>Deutschland, das am 8. November 1898 in Damaskus beim Schatten des Großen
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Saladin feierlich schwur, die mohammedanische Welt und die
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grüne Fahne
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des Propheten zu schützen und zu schirmen, stärkte also ein Jahrzehnt
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lang mit Eifer das Regiment des Blutsultans Abdul Hamid und setzte nach
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einer kurzen Pause der Entfremdung das Werk an dem jungtürkischen
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Regime fort. Die Mission erschöpfte sich außer den einträglichen
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Geschäften der Deutschen Bank hauptsächlich in der Reorganisation
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und dem Drill des türkischen Militarismus durch deutsche Instrukteure,
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von der Goltz Pascha an der Spitze. Mit der Modernisierung des Heerwesens
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waren natürlich neue drückende Lasten auf den Rücken des
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türkischen Bauern gewälzt, aber auch neue glänzende Geschäfte
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für Krupp und die Deutsche Bank eröffnet. Zugleich wurde der
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türkische Militarismus zur Dependenz des preußisch-deutschen
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Militarismus, zum Stützpunkt der deutschen Politik im Mittelmeer und
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in Kleinasien.
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<P></P>
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<P>Daß die von Deutschland unternommene »Regeneration« der Türkei rein künstlicher Galvanisierungsversuch an einem Leichnam
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ist, zeigen am besten die Schicksale der türkischen Revolution. In
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ihrem ersten Stadium, als das ideologische Element in der jungtürkischen
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Bewegung überwog, als sie noch hochfliegende Pläne und Selbsttäuschungen
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über einen wirklichen Leben verheißenden Frühling und innere
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Erneuerung der Türkei hegte, richteten sich ihre politischen Sympathien
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entschieden nach England, in dem sie das Ideal des liberalen modernen Staatswesens
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erblickte, während Deutschland, der offizielle langjährige Beschützer
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des heiligen Regimes des alten Sultan, als Widersacher der Jungtürken
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auftrat. Die Revolution des Jahres 1908 schien der Bankerott der deutschen
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Orientpolitik zu sein und wurde allgemein als solcher aufgefaßt,
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die Absetzung Abdul Hamids erschien als die Absetzung der deutschen Einflüsse.
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In dem Maße jedoch, als die Jungtürken, ans Ruder gelangt, ihre
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völlige Unfähigkeit zu irgendeiner modernen wirtschaftlichen
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sozialen und nationalen großzügigen Reform zeigten, in dem Maße,
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als ihr konterrevolutionärer Pferdefuß immer mehr hervorguckte,
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kehrten sie alsbald mit Naturnotwendigkeit zu den altväterlichen Herrschaftsmethoden
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Abdul Hamids, das heißt zu dem periodisch organisierten Blutbad zwischen
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den aufeinandergehetzten unterjochten Völkern und zur schrankenlosen
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orientalischen Auspressung des Bauerntums als zu den zwei Grundpfeilern
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des Staates zurück. Damit ward auch die künstliche Erhaltung
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dieses Gewaltregimes wieder zur Hauptsorge der »jungen Türkei«,
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und so wurde sie auch in der auswärtigen Politik sehr bald zu den
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Traditionen Abdul Hamids ­ zur Allianz mit Deutschland zurückgeführt.</P>
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<P>Daß bei der Vielfältigkeit der nationalen Fragen, welche
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den türkischen Staat zersprengen: der armenischen, kurdischen, syrischen,
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arabischen, griechischen (bis vor kurzem noch der albanischen und mazedonischen),
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bei der Mannigfaltigkeit der ökonomisch-sozialen Probleme in den verschiedenen
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Teilen des Reiches, bei dem Aufkommen eines kräftigen und lebensfähigen
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Kapitalismus in den benachbarten jungen Balkanstaaten, vor allem bei der
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langjährigen zersetzenden Wirtschaft des internationalen Kapitals
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und der internationalen Diplomatie in der Türkei, daß bei alledem
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eine wirkliche Regeneration des türkischen Staates ein völlig
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aussichtsloses Beginnen ist und alle Versuche, den morschen, zerfallenden
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Haufen von Trümmern zusammenzuhalten, auf ein reaktionäres Unternehmen
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hinauslaufen, war für jedermann und namentlich für die deutsche
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Sozialdemokratie seit langem ganz klar. Schon aus Anlaß des großen
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kretischen Aufstandes im Jahre 1896 hatte in der deutschen Parteipresse
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eine gründliche Erörterung des Orientproblems stattgefunden,
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welche zur Revision des einst von Marx vertretenen Standpunkts aus der
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Zeit des Krimkrieges und zur definitiven Verwerfung der »Integrität
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der Türkei« als eines Erbstücks der europäischen Reaktion
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führte. Und nirgends war das jungtürkische Regime in seiner inneren
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sozialen Unfruchtbarkeit und seinem konterrevolutionären Charakter
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so rasch und genau erkannt, wie in der deutschen sozialdemokratischen Presse.
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Es war auch eine echt preußische Idee, daß es lediglich strategischer
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Eisenbahnen zur raschen Mobilisation und schneidiger Militärinstrukteure
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bedürfe, um eine so morsche Baracke wie den türkischen Staat
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lebensfähig zu machen.<SPAN class="top"><A name="ZF1"></A><A href="luf_4.htm#F1">(1)</A></SPAN>
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<P>Schon im Sommer 1912 mußte das jungtürkische
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|
Regiment der Konterrevolution Platz machen. Der erste Akt der türkischen »Regeneration« in diesem Kriege war bezeichnenderweise der Staatsstreich,
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die Aufhebung der Verfassung, das heißt auch in dieser Hinsicht die
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formelle Rückkehr zum Regiment Abdul Hamids.</P>
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<P>Der von deutscher Seite gedrillte türkische Militarismus machte
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schon im ersten Balkankrieg elend bankrott. Und der jetzige Krieg, in dessen
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unheimlichen Strudel die Türkei als Deutschlands »Schützling« hineingestoßen worden ist, wird, wie der Krieg auch ausgehen mag,
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|
mit unabwendbarer Fatalität zur weiteren oder gar definitiven Liquidation
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|
des Türkischen Reiches führen.</P>
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|
<P>Die Position des deutschen Imperialismus ­ und in dessen Kern: das
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|
Interesse der Deutschen Bank - hat das Deutsche Reich im Orient in Gegensatz
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|
zu allen anderen Staaten gebracht. Vor allem zu England. Dieses hatte nicht
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|
bloß konkurrierende Geschäfte und damit fette Kapitalprofite
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|
in Anatolien und Mesopotamien an den deutschen Rivalen abtreten müssen,
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|
womit es sich schließlich abfand. Die Errichtung strategischer Bahnen
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|
und die Stärkung des türkischen Militarismus unter deutschem
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|
Einfluß wurde aber hier an einem der weltpolitisch empfindlichsten
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|
Punkte für England vorgenommen: in einem Kreuzungspunkt zwischen Zentralasien,
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|
Persien, Indien einerseits und Ägypten andererseits.
|
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|
<P><SMALL>»England« ­ schrieb Rohrbach in seiner »Bagdadbahn« ­ »kann von Europa aus nur an einer Stelle zu Lande angegriffen
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|
und schwer verwundet werden: in Ägypten. Mit Ägypten würde England
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|
nicht nur die Herrschaft über den Suezkanal und die Verbindung mit
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|
Indien und Asien, sondern wahrscheinlich auch seine Besitzungen in Zentral-
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|
und Ostafrika verlieren. Die Eroberung Ägyptens durch eine mohammedanische
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|||
|
Macht wie die Türkei könnte außerdem gefährliche Rückwirkungen
|
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|
auf die 60 Millionen mohammedanischer Untertanen Englands in Indien, dazu
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|
auf Afghanistan und Persien haben. Die Türkei kann aber nur unter
|
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|
der Voraussetzung an Ägypten denken, daß sie über ein ausgebautes
|
|||
|
Eisenbahnsystem in Kleinasien und Syrien verfügt, daß sie durch
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|||
|
die Fortführung der anatolischen Bahn einen Angriff Englands auf Mesopotamien
|
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|
abwehren kann, daß sie ihre Armee vermehrt und verbessert und daß
|
|||
|
ihre allgemeine Wirtschaftslage und ihre Finanzen Fortschritte machen.«</SMALL></P>
|
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<P>Und in seinem zu Beginn des Weltkrieges erschienenen Buche »Der
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Weltkrieg und die deutsche Politik« sagt er:</P>
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<P><SMALL>»Die Bagdadbahn war von Anfang an dazu bestimmt,
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Konstantinopel und die militärischen Kernpunkte des türkischen
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Reiches in Kleinasien in unmittelbare Verbindung mit Syrien und den Provinzen
|
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|
am Euphrat und Tigris zu bringen ... Natürlich war vorauszusehen, daß
|
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|
die Bahn im Verein mit den teils projektierten, teils im Werke befindlichen
|
|||
|
oder schon vollendeten Eisenbahnlinien in Syrien und Arabien auch die Möglichkeit
|
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|
gewähren würde, türkische Truppen in der Richtung auf Ägypten
|
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|
zur Verwendung zu bringen ... Es wird niemand leugnen, daß unter der
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|||
|
Voraussetzung eines deutsch-türkischen Bündnisses und unter verschiedenen
|
|||
|
anderen Voraussetzungen, deren Verwirklichung eine noch weniger einfache
|
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|
Sache wäre, als jenes Bündnis, die Bagdadbahn für Deutschland
|
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|
eine politische Lebensversicherung bedeutet.«</SMALL></P>
|
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|
<P>So offen sprachen die halboffiziösen Wortführer des deutschen
|
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|
Imperialismus dessen Pläne und Absichten im Orient aus. Hier bekam
|
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|
die deutsche Politik bestimmte weitausgreifende Umrisse, eine für
|
|||
|
das bisherige weltpolitische Gleichgewicht höchst grundstürzende,
|
|||
|
aggressive Tendenz und eine sichtbare Spitze gegen England. Die deutsche
|
|||
|
Orientpolitik wurde so der konkrete Kommentar zu der 1899 inaugurierten
|
|||
|
Flottenpolitik.</P>
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|
<P>Zugleich setzte sich Deutschland mit seinem Programm der Integrität
|
|||
|
der Türkei in Gegensatz zu den Balkanstaaten, deren historischer Abschluß
|
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|
und innerer Aufschwung mit der Liquidierung der europäischen Türkei
|
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|
identisch ist. Endlich geriet es in Gegensatz zu Italien, dessen imperialistische
|
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|
Appetite sich in erster Linie auf türkische Besitzungen richten. Auf
|
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|
der Marokkanischen Konferenz in Algeciras 1905 stand denn auch Italien
|
|||
|
bereits auf seiten Englands und Frankreichs. Und sechs Jahre später
|
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|
war die Tripolitanische Expedition Italiens, die sich an die österreichische
|
|||
|
Annexion Bosniens anschloß und ihrerseits zu dem ersten Balkankrieg
|
|||
|
den Auftakt gab, schon die Absage Italiens, die Sprengung des Dreibunds
|
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|
und Isolierung der deutschen Politik auch von dieser Seite. -</P>
|
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|
<P>
|
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|
<P>Die zweite Richtung der deutschen Expansionsbestrebungen kam im Westen
|
|||
|
zum Vorschein, in der Marokkoaffäre. Nirgends zeigte sich die Abkehr
|
|||
|
von der Bismarckschen Politik schroffer. Bismarck begünstigte bekanntlich
|
|||
|
mit Absicht die kolonialen Bestrebungen Frankreichs, um es von den kontinentalen
|
|||
|
Brennpunkten, von Elsaß-Lothringen abzulenken. Der neueste Kurs in
|
|||
|
Deutschland zielte umgekehrt direkt gegen die französische Kolonialexpansion.
|
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|
Die Sachlage in Marokko war nun bedeutend anders gestaltet als in der asiatischen
|
|||
|
Türkei. An berechtigten Kapitalinteressen Deutschlands in Marokko
|
|||
|
war sehr wenig vorhanden. Zwar wurden von deutschen Imperialisten während
|
|||
|
der Marokkokrise zur Not die Ansprüche der Remscheider Kapitalistenfirma
|
|||
|
Mannesmann, die dem marokkanischen Sultan Geld geliehen und dafür
|
|||
|
Konzessionen auf Erzgruben erhalten hatte, als »vaterländisches
|
|||
|
Lebensinteresse« nach Kräften aufgebauscht. Doch hinderte die
|
|||
|
offenkundige Tatsache, daß jede der beiden konkurrierenden Kapitalgruppen
|
|||
|
in Marokko: sowohl die Mannesmanngruppe wie die Krupp-Schneider-Gesellschaft,
|
|||
|
ein ganz internationales Gemisch von deutschen, französischen und
|
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spanischen Unternehmern darstellte, im Ernst und mit einigem Erfolg von
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einer »deutschen Interessensphäre« zu sprechen. Um so symptomatischer
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war die Entschlossenheit und der Nachdruck, mit denen das Deutsche Reich
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im Jahre 1905 plötzlich seinen Anspruch auf Mitwirkung bei der Regelung
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der Marokko-Angelegenheit und seinen Protest gegen die französische
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Herrschaft in Marokko anmeldete. Es war dies der erste weltpolitische Zusammenstoß
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mit Frankreich. Im Jahre 1895 war Deutschland noch zusammen mit Frankreich
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und Rußland dem siegreichen Japan in den Arm gefallen, um es an der
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Ausnutzung des Sieges über China in Schimonoseki zu hindern. Fünf
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Jahre später zog es Arm in Arm mit Frankreich in der ganzen internationalen
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Phalanx auf den Plünderungszug gegen China. Jetzt, in Marokko, kam
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eine radikale Neuorientierung der deutschen Politik in ihrem Verhältnis
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zu Frankreich zum Vorschein. In der Marokkokrise, die in den sieben Jahren
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ihrer Dauer zweimal dicht an den Rand eines Krieges zwischen Deutschland
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und Frankreich geführt hatte, handelte es sich nicht mehr um die »Revanche«,
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um irgendwelche kontinentale Gegensätze zwischen den beiden Staaten.
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Hier äußerte sich ein ganz neuer Gegensatz, der dadurch geschaffen
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wurde, daß der deutsche Imperialismus dem französischen ins
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Gehege kam. Im Schlußergebnis der Krise ließ sich Deutschland
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durch das französische Kongogebiet abfinden und gab damit selbst zu,
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daß es in Marokko keine eigenen Interessen besaß und zu schützen
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hatte. Gerade dadurch bekam aber der deutsche Vorstoß in der Marokkosache
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eine weittragende politische Bedeutung. Gerade in der Unbestimmtheit ihrer
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greifbaren Ziele und Ansprüche verriet die ganze deutsche Marokkopolitik
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die unbegrenzten Appetite, das Tasten und Suchen nach Beute - sie war
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eine ganz allgemein gehaltene imperialistische Kriegserklärung gegen
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Frankreich. Der Gegensatz der beiden Staaten erschien hier in grellem Lichte.
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Dort eine langsame Industrieentwicklung, eine stagnierende Bevölkerung,
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ein Rentnerstaat, der hauptsächlich auswärtige Finanzgeschäfte
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macht, bepackt mit einem großen Kolonialreich, das mit Mühe
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und Not zusammengehalten wird, hier - ein mächtiger, junger, auf den
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ersten Platz hinstrebender Kapitalismus, der in die Welt auszieht, um Kolonien
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zu pirschen. An die Eroberung englischer Kolonien war nicht zu denken.
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So konnte sich der Heißhunger des deutschen Imperialismus, außer
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auf die asiatische Türkei, in erster Linie nur auf die französische
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Erbschaft richten. Dieselbe Erbschaft bot auch einen bequemen Köder,
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um Italien eventuell auf Frankreichs Kosten für die österreichischen
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Expansionsgelüste auf dem Balkan zu entschädigen und es so durch
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gemeinsame Geschäfte am Dreibund festzuhalten. Daß die deutschen
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Ansprüche auf Marokko den französischen Imperialismus aufs äußerste
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beunruhigen mußten, ist klar, wenn man bedenkt, daß Deutschland,
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in irgendeinem Teile Marokkos festgesetzt, es stets in der Hand hätte,
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das ganze nordafrikanische Reich Frankreichs, dessen Bevölkerung in
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chronischem Kriegszustand gegen die französischen Eroberer lebt, durch
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Waffenlieferungen an allen Ecken in Brand zu setzen. Der schließliche
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Verzicht und die Abfindung Deutschlands hatten nur diese unmittelbare Gefahr
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beseitigt, aber die allgemeine Beunruhigung Frankreichs und den einmal
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geschaffenen weltpolitischen Gegensatz weiter bestehen lassen.<SPAN class="top"><A name="ZF2"></A><A href="luf_4.htm#F2">(2)</A></SPAN>
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</P>
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<P>Mit der Marokkopolitik kam Deutschland jedoch nicht nur in Gegensatz
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zu Frankreich, sondern mittelbar wiederum zu England. Hier in Marokko,
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in nächster Nähe Gibraltars, wo sich der zweite wichtigste Kreuzungspunkt
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der weltpolitischen Straßen des britischen Reiches befindet, mußte
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das plötzliche Auftauchen des deutschen Imperialismus mit seinem Anspruch
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und mit dem drastischen Nachdruck, der dieser Aktion gegeben wurde, als
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eine Kundgebung gegen England aufgefaßt werden. Auch formell richtete
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sich der erste Protest Deutschlands direkt gegen die Abmachung zwischen
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England und Frankreich über Marokko und Ägypten vom Jahre 1904,
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und die deutsche Forderung ging klipp und klar dahin, England bei der Regelung
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der Marokkoaffäre auszuschalten. Die unvermeidliche Wirkung dieser
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Stellung auf die deutsch-englischen Beziehungen konnte für niemanden
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ein Geheimnis sein. Die damals geschaffene Situation wird deutlich in einer
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Londoner Korrespondenz der <B>»Frankfurter Zeitung« </B>vom 8. November
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1911 geschildert:</P>
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<P><SMALL>»Das ist das Fazit: Eine Million Neger am Kongo,
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ein großer Katzenjammer und eine starke Wut auf das 'perfide Albion'.
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Den Katzenjammer wird Deutschland überstehen. Was aber soll aus unserem
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Verhältnis zu England werden, das so, wie es ist, absolut nicht fortgehen
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kann, sondern nach aller historischen Wahrscheinlichkeitsrechnung entweder
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zur Verschlimmerung, also zum Kriege führen, oder aber sich bald bessern
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muß... Die Fahrt des 'Panther' war, wie eine Berliner Korrespondenz
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der Frankfurter Zeitung sich neulich treffend ausdrückte, ein Rippenstoß,
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der Frankreich zeigen sollte, daß Deutschland auch noch da ist...
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Über die Wirkung, die dieser Vorstoß hier hervorrufen würde,
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kann man sich in Berlin niemals im unklaren befunden haben; wenigstens
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hat kein hiesiger Zeitungskorrespondent Zweifel daran gehabt, daß
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England energisch auf die <B>französische</B> Seite rücken würde.
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Wie kann man in der <B>Norddeutschen Allgemeinen Zeitung</B> noch immer
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an der Redensart festhalten, daß Deutschland 'mit Frankreich allein'
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zu unterhandeln hatte! Seit einigen hundert Jahren hat sich in Europa eine
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stetig zunehmende Verflechtung der politischen Interessen herausgebildet.
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Wenn einer malträtiert wird, so erfüllt das nach dem politischen
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Naturgesetz, unter dem wir stehen, die andern teils mit Freude, teils mit
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Sorge. Als vor zwei Jahren die <B>Österreicher</B> ihren bosnischen
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Handel mit <B>Rußland</B> hatten, fand Deutschland sich 'in schimmernder
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Wehr' auf dem Plane, obwohl man in Wien, wie nachher gesagt worden ist,
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lieber allein fertig geworden wäre... Es ist nicht verständlich,
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wie man in Berlin meinen konnte, daß die Engländer, die eben
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|
erst eine Periode entschieden antideutscher Stimmung überwunden hatten,
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sich plötzlich überreden lassen würden, daß unsere
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Verhandlungen mit Frankreich sie ganz und gar nichts angingen. Es handelte
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sich in letzter Linie um die <B>Machtfrage</B>, denn ein Rippenstoß,
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er mag noch so freundlich aussehen, ist etwas Handgreifliches, und niemand
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kann vorhersagen, wie bald ein Faustschlag in die Zähne darauf folgen
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wird ... Seitdem ist die Lage weniger kritisch gewesen. Im Momente, wo Lloyd
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George sprach, bestand, wie wir aufs genaueste informiert sind, <B>die
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akute Gefahr eines Krieges zwischen Deutschland und England</B> ... Ob
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man, nach dieser Politik, die Sir Edward Grey und seine Vertreter seit
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langem verfolgen und deren Berechtigung hier nicht erörtert wird,
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in der Marokkofrage von ihnen eine andere Haltung erwarten durfte? Uns
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scheint, daß, wenn man das in Berlin tat, die Berliner Politik damit
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gerichtet ist.«</SMALL></P>
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<P>So hatte die imperialistische Politik sowohl in Vorderasien wie in Marokko
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einen scharfen Gegensatz zwischen Deutschland und England sowohl wie Frankreich
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geschaffen. Wie war aber das Verhältnis zwischen Deutschland und Rußland
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beschaffen? Was liegt auf dem Grunde des Zusammenstoßes hier? In
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der Pogromstimmung, die sich in den ersten Kriegswochen der deutschen Öffentlichkeit
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bemächtigt hatte, glaubte man alles. Man glaubte, daß belgische
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Frauen deutschen Verwundeten die Augen ausstechen, daß die Kosaken
|
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Stearinkerzen fressen und Säuglinge an den Beinchen packen und in
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|
Stücke reißen, man glaubt auch, daß die russischen Kriegsziele
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|
darauf ausgehen, das Deutsche Reich zu annektieren, die deutsche Kultur
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zu vernichten und von der Warthe bis zum Rhein, von Kiel bis München
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den Absolutismus einzuführen.</P>
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<P>Die sozialdemokratische <B>»Chemnitzer Volksstimme« </B>schrieb
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am 2. August:</P>
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<P><SMALL>»In diesem Augenblick empfinden wir alle die Pflicht,
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vor allem anderen gegen die russische Knutenherrschaft zu kämpfen.
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<B>Deutschlands Frauen und Kinder sollen nicht das Opfer russischer Bestialitäten
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|
werden, das deutsche Land nicht die Beute der Kosaken. Denn wenn der Dreiverband
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|
siegt, wird nicht ein englischer Gouverneur oder ein französischer
|
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|
Republikaner, sondern der Russenzar über Deutschland herrschen. Deshalb
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|
verteidigen wir in diesem Augenblick alles, was es an deutscher Kultur
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|
und deutscher Freiheit gibt, gegen einen schonungslosen und barbarischen
|
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|
Feind.«</B></SMALL></P>
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|
<P>Die <B>»Fränkische Tagespost« </B>rief am gleichen Tage:</P>
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<P><SMALL>»<B>Wir wollen nicht, daß die Kosaken</B>,
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|
die alle Grenzorte schon besetzt haben, in unser Land hineinrasen und in
|
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|
unsere Städte Verderben tragen. Wir wollen nicht, daß der <B>russische
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|||
|
Zar</B>, an dessen Friedensliebe selbst am Tage des Erlasses seines Friedensmanifestes
|
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|
die Sozialdemokratie nicht geglaubt hat, der der ärgste Feind des
|
|||
|
russischen Volkes ist, <B>gebiete über einen, der deutschen Stammes
|
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|
ist.«</B></SMALL></P>
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|
<P>Und die <B>»Königsberger Volkszeitung« </B>vom 3. August
|
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schrieb:</P>
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<P><SMALL>»Aber keiner von uns, ob er militärpflichtig
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ist oder nicht, kann auch nur einen Moment daran zweifeln, daß er,
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solange der Krieg geführt wird, alles tun muß, um <B>jenes nichtswürdige
|
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|
Zarat</B> von unseren Grenzen fernzuhalten, das, <B>wenn es siegt, tausende
|
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|
unserer Genossen in die grauenvollen Kerker Rußlands verbannen würde</B>.
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|||
|
Unter russischem Zepter gibt es keine Spur von Selbstbestimmungsrecht des
|
|||
|
Volkes; keine sozialdemokratische Presse ist dort erlaubt; sozialdemokratische
|
|||
|
Vereine und Versammlungen sind verboten. Und deshalb kommt keinem von uns
|
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|
der Gedanke, es in dieser Stunde darauf ankommen zu lassen, ob Rußland
|
|||
|
siegt oder nicht, sondern wir alle wollen bei Aufrechterhaltung unserer
|
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|
Gegnerschaft gegen den Krieg <B>zusammenwirken, um uns selbst vor den Greueln
|
|||
|
jener Schandbuben zu bewahren, die Rußland beherrschen</B>.«</SMALL></P>
|
|||
|
<P>Auf das Verhältnis der deutschen Kultur zum russischen Zarismus,
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|
das ein Kapitel für sich in der Haltung der deutschen Sozialdemokratie
|
|||
|
in diesem Kriege darstellt, werden wir noch näher eingehen. Was jedoch
|
|||
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die Annexionsgelüste des Zaren gegenüber dem Deutschen Reich
|
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|
betrifft, so könnte man ebensogut annehmen, Rußland beabsichtige
|
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|
Europa oder auch den Mond zu annektieren. In dem heutigen Kriege handelt
|
|||
|
es sich überhaupt um die Existenz nur für zwei Staaten: Belgien
|
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|
und Serbien. Gegen beide wurden die deutschen Kanonen gerichtet unter dem
|
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|
Geschrei, es handle sich um die Existenz Deutschlands. Mit Ritualmordgläubigen
|
|||
|
ist bekanntlich jede Diskussion ausgeschlossen. Für Leute jedoch,
|
|||
|
die nicht die Pöbelinstinkte und die auf den Pöbel berechneten
|
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|
grobkalibrigen Schlagworte der nationalistischen Hetzpresse, sondern politische
|
|||
|
Gesichtspunkte zu Rate ziehen, muß es klar sein, daß der russische
|
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|
Zarimus so gut das Ziel der Annexion Deutschlands verfolgen konnte wie
|
|||
|
die des Mondes. An der Spitze der russischen Politik stehen abgefeimte
|
|||
|
Schurken, aber keine Irrsinnigen, und die Politik des Absolutismus hat
|
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|
bei aller Eigenart das mit jeder anderen gemein, daß sie sich nicht
|
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in der blauen Luft, sondern in der Welt der realen Möglichkeiten bewegt,
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|
wo sich die Dinge hart im Raume stoßen. Was also die befürchtete
|
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Verhaftung und lebenslängliche Verbannung der deutschen Genossen nach
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Sibirien sowie die Einführung des russischen Absolutismus im Deutschen
|
|||
|
Reich betrifft, so sind die Staatsmänner des Blutzaren bei aller geistigen
|
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Inferiorität bessere historische Materialisten als unsere Parteiredakteure:
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|
diese Staatsmänner wissen sehr wohl, daß sich eine politische
|
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|
Staatsform nicht überall nach Belieben ,einführen' läßt,
|
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|
sondern daß jeder Staatsform eine bestimmte ökonomisch-soziale
|
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|
Grundlage entspricht; sie wissen aus eigener bitterer Erfahrung, daß
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|||
|
sogar in Rußland selbst die Verhältnisse ihrer Herrschaft beinahe
|
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|
entwachsen sind; sie wissen endlich, daß auch die herrschende Reaktion
|
|||
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in jedem Lande nur die ihr entsprechenden Formen braucht und vertragen
|
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|
kann, und daß die den deutschen Klassen- und Parteiverhältnissen
|
|||
|
entsprechende Abart des Absolutismus der hohenzollernsche Polizeistaat
|
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|
und das preußische Dreiklassenwahlrecht sind. Bei nüchterner
|
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|
Betrachtung der Dinge bestand also von vornherein gar kein Grund zur Besorgnis,
|
|||
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daß der russische Zarismus sich im Ernst bewogen fühlen würde,
|
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|
sogar in dem unwahrscheinlichen Falle seines vollen Sieges, an diesen Produkten
|
|||
|
der deutschen Kultur zu rütteln.</P>
|
|||
|
<P>In Wirklichkeit waren zwischen Rußland und Deutschland ganz andere
|
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|
Gegensätze im Spiel. Nicht auf dem Gebiete der inneren Politik, die
|
|||
|
im Gegenteil durch ihre gemeinsame Tendenz und innere Verwandtschaft eine
|
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|
Jahrhundert alte traditionelle Freundschaft zwischen den beiden Staaten
|
|||
|
begründet hat, stießen sie zusammen, sondern entgegen und trotz
|
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|
der Solidarität der inneren Politik ­ auf dem Gebiete der auswärtigen,
|
|||
|
in den weltpolitischen Jagdgründen.</P>
|
|||
|
<P>Der Imperialismus in Rußland ist ebenso wie in den westlichen
|
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|
Staaten aus verschiedenartigen Elementen zusammengeflochten. Seinen stärksten
|
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|
Strang bildet jedoch nicht wie in Deutschland oder in England die ökonomische
|
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|
Expansion des akkumulationshungrigen Kapitals, sondern das politische Interesse
|
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|
des Staates. Freilich hat die russische Industrie, wie das für die
|
|||
|
kapitalistische Produktion überhaupt typisch ist, bei aller Unfertigkeit
|
|||
|
des inneren Marktes, seit längerer Zeit auch schon einen Export nach
|
|||
|
dem Orient, nach China, Persien, Mittelasien aufzuweisen, und die zarische
|
|||
|
Regierung sucht diese Ausfuhr als erwünschte Grundlage für ihre »Interessensphäre« mit allen Mitteln zu fördern. Aber
|
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|
die Staatspolitik ist hier der schiebende, nicht der geschobene Teil. Einerseits
|
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|
äußert sich in den Eroberungstendenzen des Zarentums die traditionelle
|
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|
Expansion des gewaltigen Reichs, dessen Bevölkerung heute 170 Millionen
|
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|
Menschen umfaßt und das aus wirtschaftlichen wie strategischen Gründen
|
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|
den Zutritt zum freien Weltmeer, zum Stillen Ozean im Osten, zum Mittelmeer
|
|||
|
im Süden zu erlangen sucht. Andererseits spricht hier das Lebensinteresse
|
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|
des Absolutismus mit, die Notwendigkeit, in dem allgemeinen Wettlauf der
|
|||
|
Großstaaten auf weltpolitischem Felde eine achtunggebietende Stellung
|
|||
|
zu behaupten, um sich den finanziellen Kredit im kapitalistischen Auslande
|
|||
|
zu sichern, ohne den der Zarismus absolut nicht existenzfähig ist.
|
|||
|
Hinzu tritt endlich wie in allen Monarchien das dynastische Interesse,
|
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|
das bei dem immer schrofferen Gegensatz der Regierungsform zur großen
|
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|
Masse der Bevölkerung des äußeren Prestiges und der Ablenkung
|
|||
|
von den inneren Schwierigkeiten dauernd bedarf, als des unentbehrlichen
|
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|
Hausmittels der Staatskunst.</P>
|
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|
<P>Allein auch moderne bürgerliche Interessen kommen immer mehr als
|
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|
Faktor des Imperialismus im Zarenreich in Betracht. Der junge russische
|
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|
Kapitalismus, der unter dem absolutistischen Regime natürlich nicht
|
|||
|
voll zur Entfaltung gelangen und im großen und ganzen nicht aus dem
|
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|
Stadium des primitiven Raubsystems herauskommen kann, sieht jedoch bei
|
|||
|
den unermeßlichen natürlichen Hilfsquellen des Riesenreiches
|
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|
eine gewaltige Zukunft vor sich. Es unterliegt keinem Zweifel, daß,
|
|||
|
sobald der Absolutismus weggeräumt ist, Rußland sich - vorausgesetzt,
|
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|
daß der internationale Stand des Klassenkampfes ihm noch diese Frist
|
|||
|
gewährt - rasch zum ersten modernen kapitalistischen Staate entwickeln
|
|||
|
wird. Es ist die Ahnung dieser Zukunft und die Akkumulationsappetite sozusagen
|
|||
|
auf Vorschuß, was die russische Bourgeoisie mit einem sehr ausgeprägten
|
|||
|
imperialistischen Drang erfüllt und bei der Weltverteilung mit Eifer
|
|||
|
ihre Ansprüche melden läßt. Dieser historische Drang findet
|
|||
|
zugleich seine Unterstützung in sehr kräftigen Gegenwartsinteressen
|
|||
|
der russischen Bourgeoisie. Dies ist, erstens, das greifbare Interesse
|
|||
|
der Rüstungsindustrie und ihrer Lieferanten; spielt doch auch in Rußland
|
|||
|
die stark kartellierte schwere Industrie eine große Rolle. Zweitens
|
|||
|
ist es der Gegensatz zum »inneren Feind«, zum revolutionären
|
|||
|
Proletariat, der die Wertschätzung der russischen Bourgeoisie für
|
|||
|
den Militarismus und die ablenkende Wirkung des weltpolitischen Evangelismus
|
|||
|
besonders gesteigert und das Bürgertum unter dem konterrevolutionären
|
|||
|
Regime zusammengeschlossen hat. Der Imperialismus der bürgerlichen
|
|||
|
Kreise in Rußland, namentlich der liberalen,ist in der Gewitterluft der Revolution zusehends gewachsen und hat in dieser
|
|||
|
modernen Taufe der traditionellen auswärtigen Politik des Zarenreichs
|
|||
|
ein modernes Gepräge verliehen.</P>
|
|||
|
<P>Das Hauptziel sowohl der traditionellen Politik des Zarismus wie der
|
|||
|
modernen Appetite der russischen Bourgeoisie sind nun die Dardanellen,
|
|||
|
die nach dem bekannten Ausspruch Bismarcks den Hausschlüssel zu den
|
|||
|
russischen Besitzungen am Schwarzen Meer darstellen. Um dieses Zieles willen
|
|||
|
hat Rußland seit dem 18. Jahrhundert eine Reihe blutiger Kriege mit
|
|||
|
der Türkei geführt, die Befreiermission auf dem Balkan übernommen
|
|||
|
und in ihrem Dienste bei Ismail, bei Navarin, bei Sinope, Silistra und
|
|||
|
Sewastopol, bei Plewna und Schipka enorme Leichenhügel errichtet.
|
|||
|
Die Verteidigung der slawischen Brüder und Christen vor den türkischen
|
|||
|
Greueln fungierte bei dem russischen Muschik als ebenso zugkräftige
|
|||
|
Kriegslegende, wie jetzt die Verteidigung der deutschen Kultur und Feigheit
|
|||
|
gegen die russischen Greuel bei der deutschen Sozialdemokratie. Aber auch
|
|||
|
die russische Bourgeoisie erwärmte sich viel mehr für die Aussichten
|
|||
|
auf das Mittelmeer als für die mandschurische und mongolische Kulturmission.
|
|||
|
Der japanische Krieg wurde von dem liberalen Bürgertum besonders deshalb
|
|||
|
als ein sinnloses Abenteuer so scharf kritisiert, weil er die russische
|
|||
|
Politik von ihrer wichtigsten Aufgabe ablenkte - von dem Balkan. Der verunglückte
|
|||
|
Krieg mit Japan hat noch in anderer Hinsicht nach derselben Richtung gewirkt.
|
|||
|
Die Ausbreitung der russischen Macht in Ostasien, in Zentralasien, bis
|
|||
|
in den Tibet und nach Persien hinein, mußte die Wachsamkeit des englischen
|
|||
|
Imperialismus lebhaft beunruhigen. Besorgt um das enorme indische
|
|||
|
Reich, mußte England die asiatischen Vorstöße des Zarenreichs
|
|||
|
mit wachsendem Mißtrauen verfolgen. In der Tat war der englisch-russische
|
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|
Gegensatz in Asien um den Beginn des Jahrhunderts der stärkste weltpolitische
|
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|
Gegensatz der internationalen Situation, wie er höchstwahrscheinlich
|
|||
|
auch der Brennpunkt der künftigen imperialistischen Entwicklung nach
|
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|
dem heutigen Weltkrieg sein dürfte. Die krachende Niederlage Rußlands
|
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|
im Jahre 1904 und der Ausbruch der Revolution änderten die Situation.
|
|||
|
Auf die sichtbare Schwächung des Zarenreichs folgte eine Entspannung
|
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|
mit England, die im Jahre 1907 sogar zu einer Abmachung über gemeinsame
|
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|
Verspeisung Persiens und freundnachbarliche Beziehungen in Mittelasien
|
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|
führte. Dadurch wurde Rußland der Weg zu großen Unternehmungen
|
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|
im Osten vorerst verlegt, und seine Energie wendete sich um so kräftiger
|
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|
dem alten Ziel - der Balkanpolitik zu. Hier war es nun, daß das zarische
|
|||
|
Rußland zum ersten Male seit einem Jahrhundert treuer und gut fundierter
|
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Freundschaft mit der deutschen Kultur in einen schmerzlichen Gegensatz
|
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|
zu ihr geraten war. Der Weg zu den Dardanellen führt über die
|
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|
Leiche der Türkei, Deutschland betrachtete aber seit einem Jahrzehnt
|
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|
die Integrität dieser Leiche für seine vornehmste weltpolitische
|
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|
Aufgabe. Freilich hat die Methode in der russischen Balkanpolitik schon
|
|||
|
verschiedentlich gewechselt, und auch Rußland hat eine Zeitlang ­
|
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|
erbittert durch den »Undank« der befreiten Balkanslaven, die
|
|||
|
sich der Vasallität beim Zarenreich zu entwinden suchten ­ das
|
|||
|
Programm der »Integrität« der Türkei vertreten, auch
|
|||
|
mit demselben stillschweigenden Vorbehalt, daß die Aufteilung auf
|
|||
|
günstigere Zeiten verschoben werden müsse. Jetzt aber paßte
|
|||
|
die endliche Liquidation der Türkei in die Pläne Rußlands
|
|||
|
sowohl wie der englischen Politik, die ihrerseits zur Stärkung der
|
|||
|
eigenen Position in Indien und Ägypten die dazwischen liegenden türkischen
|
|||
|
Gebiete ­ Arabien und Mesopotamien - zu einem großen mohammedanischen
|
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|
Reich unter britischem Zepter zu vereinigen strebt. So geriet im Orient
|
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|
der russische Imperialismus, wie früher schon der englische, auf den
|
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|
deutschen, der in der Rolle des privilegierten Nutznießers der türkischen
|
|||
|
Zersetzung als ihre Schildwache am Bosporus Posto gefaßt hatte.<SPAN class="top"><A name="ZF3"></A><A href="luf_4.htm#F3">(3)</A></SPAN>
|
|||
|
<P></P>
|
|||
|
<P>Aber noch mehr als direkt mit Deutschland prallte die russische Politik
|
|||
|
auf dem Balkan mit <B>Österreich</B> zusammen. Die politische Ergänzung
|
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des deutschen Imperialismus, sein siamesischer Zwillingsbruder und sein
|
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Verhängnis zugleich ist der österreichische Imperialismus.</P>
|
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<P>Deutschland, das sich durch seine Weltpolitik nach allen Seiten isoliert
|
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|
hat, findet nur in Österreich einen Bundesgenossen. Das Bündnis
|
|||
|
mit Österreich ist freilich alt, noch von Bismarck im Jahre 1879 gegründet,
|
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seitdem hat es aber völlig seinen Charakter verändert. Wie der
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Gegensatz zu Frankreich, so ist das Bündnis mit Österreich durch
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die Entwicklung der letzten Jahrzehnte mit neuem Inhalt gefüllt worden.
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Bismarck dachte lediglich an die Verteidigung des durch die Kriege 1864
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bis 1870 geschaffenen Besitzstandes. Der von ihm geschlossene Dreibund
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hatte durchaus konservativen Charakter, namentlich auch in dem Sinne, daß
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er den endgültigen Verzicht Österreichs auf den Eintritt in den
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deutschen Staatenbund, die Aussöhnung mit dem von Bismarck geschaffenen
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Stand der Dinge, die Besiegelung der nationalen Zersplitterung Deutschlands
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und der militärischen Hegemonie Großpreußens bedeutete.
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Die Balkantendenzen Österreichs waren Bismarck ebenso zuwider wie
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die südafrikanischen Erwerbungen Deutschlands. In seinen »Gedanken
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und Erinnerungen« sagt er:</P>
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<P><SMALL>»Es ist natürlich, daß die Einwohner des
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Donaubeckens Bedürfnisse und Pläne haben, die sich über
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die heutigen Grenzen der Monarchie hinaus erstrecken: und die deutsche
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Reichsverfassung zeigt den Weg an, auf dem Österreich eine Versöhnung
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der politischen und materiellen Interessen erreichen kann, die zwischen
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der Ostgrenze des rumänischen Volksstammes und der Bucht von Cattaro
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vorhanden sind. <B>Aber es ist nicht die Aufgabe des Deutschen Reichs,
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seine Untertanen mit Gut und Blut zur Verwirklichung von nachbarlichen
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Wünschen herzuleihen</B>.« </SMALL></P>
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<P>Was er auch einmal drastischer ausgedrückt hat mit dem bekannten
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Wort, Bosnien sei ihm nicht die Knochen eines pommerschen Grenadiers wert.
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Daß Bismarck in der Tat nicht gedachte, den Dreibund in den Dienst
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österreichischer Expansionsbestrebungen zu stellen, beweist am besten
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ein 1884 mit Rußland abgeschlossener »Rückversicherungsvertrag«,
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wonach das Deutsche Reich im Falle eines Krieges zwischen Rußland
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und Österreich nicht etwa an die Seite des letzteren treten, sondern »wohlwollende Neutralität« bewahren sollte. </P>
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<P>Seit in der deutschen Politik der imperialistische Wandel vollzogen
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war, ist auch ihr Verhältnis zu Österreich verschoben worden.
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Österreich-Ungarn liegt zwischen Deutschland und dem Balkan, also
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auf dem Wege zum Brennpunkt der deutschen Orientpolitik. Österreich
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zum Gegner haben, wäre bei der allgemeinen Isolierung, in die sich
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Deutschland durch seine Politik versetzt hatte, gleichbedeutend mit dem
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Verzicht auf alle weltpolitischen Pläne. Aber auch im Falle einer
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Schwächung und des Zerfalls Österreich-Ungarns, der mit der sofortigen
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Liquidierung der Türkei und mit einer ungeheuren Stärkung Rußlands,
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der Balkanstaaten und Englands identisch ist, wäre zwar die nationale
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Einigung und Stärkung Deutschlands verwirklicht, aber der imperialistischen
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Politik des Deutschen Reichs das Lebenslicht ausgeblasen.<SPAN class="top"><A name="ZF4"></A><A href="luf_4.htm#F4">(4)</A></SPAN>
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<P></P>
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<P>Die Rettung und Erhaltung der habsburgischen Monarchie wurde also logisch
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zur Nebenaufgabe des deutschen Imperialismus, wie die Erhaltung der Türkei
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seine Hauptaufgabe war.</P>
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<P>Österreich bedeutet aber einen ständigen latenten Kriegszustand
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auf dem Balkan. Seit der unaufhaltsame Prozeß der Auflösung
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der Türkei zur Bildung und Erstarkung der Balkanstaaten in nächster
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Nähe Österreichs geführt hatte, begann auch der Gegensatz
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zwischen dem habsburgischen Staat und seinen jungen Nachbarn. Es ist klar,
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daß durch das Aufkommen selbständiger lebensfähiger nationaler
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|
Staaten in unmittelbarer Nähe der Monarchie, die, aus lauter Bruchstücken
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derselben Nationalitäten zusammengesetzt, diese Nationalitäten
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nur mit der Fuchtel der Diktaturparagraphen zu regieren weiß, die
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Zersetzung der ohnehin zerrütteten Monarchie beschleunigt werden mußte.
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|
Die innere Lebensunfähigkeit Österreichs zeigte sich gerade in
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seiner Balkanpolitik und besonders im Verhältnis zu Serbien. Österreich
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war trotz seiner imperialistischen Appetite, die sich wahllos bald auf
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Saloniki, bald auf Durazzo warfen, nicht etwa in der Lage, Serbien zu annektieren,
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|
auch als dieses noch nicht den Zuwachs an Kraft und Umfang durch die beiden
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|
Balkankriege erfahren hatte. Durch die Einverleibung Serbiens hätte
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Österreich in seinem Innern eine von den widerspenstigen südslawischen
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Nationalitäten in gefährlicher Weise gestärkt, die es durch
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|
das brutale und stumpfsinnige Regime seiner Reaktion ohnehin kaum zu zügeln
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|
vermag.<SPAN class="top"><A name="ZF5"></A><A href="luf_4.htm#F5">(5)</A></SPAN> </P>
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|
<P>Österreich kann aber auch nicht die selbständige normale Entwicklung
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Serbiens dulden und von ihr durch normale Handelsbeziehungen profitieren,
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weil die habsburgische Monarchie nicht die politische Organisation eines
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bürgerlichen Staates, sondern bloß ein lockeres Syndikat einiger
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Cliquen gesellschaftlicher Parasiten ist, die mit vollen Händen unter
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Ausnutzung der staatlichen Machtmittel raffen wollen, solange der morsche
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Bau der Monarchie noch hält. Im Interesse der ungarischen Agrarier
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und der künstlichen Teuerung landwirtschaftlicher Produkte verbot
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Österreich also Serbien die Einfuhr von Vieh und Obst und schnürte
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so dem Bauernlande den Hauptabsatz seiner Produkte ab. Im Interesse der
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österreichischen Kartellindustrie zwang es Serbien, Industrieerzeugnisse
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zu höchsten Preisen nur aus Österreich zu beziehen. Um Serbien
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in wirtschaftlicher und politischer Abhängigkeit zu erhalten, verhinderte
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es Serbien, sich im Osten durch ein Bündnis mit Bulgarien den Zutritt
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zum Schwarzen Meer und im Westen durch Erwerbung eines Hafens in Albanien
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den Zutritt zum Adriatischen Meer zu verschaffen. Die Balkanpolitik Österreichs
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zielte also einfach auf die Erdrosselung Serbiens. Sie war aber zugleich
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auf Verhinderung jeder gegenseitigen Annäherung und des inneren Aufschwungs
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|
der Balkanstaaten überhaupt gerichtet und bildete für sie die
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|
ständige Gefahr. Bedrohte doch der österreichische Imperialismus
|
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|
bald durch die Annexion Bosniens, bald durch Ansprüche auf den Sandschak
|
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Novibazar und auf Saloniki, bald durch Ansprüche auf die albanische
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|
Küste fortwährend den Bestand und die Entwicklungsmöglichkeiten
|
|||
|
der Balkanstaaten. Diesen österreichischen Tendenzen zuliebe sowie
|
|||
|
infolge der Konkurrenz Italiens mußte auch nach dem zweiten Balkankrieg
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das Spottgebild des »unabhängigen Albaniens« unter einem
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|
deutschen Fürsten geschaffen werden, das von der ersten Stunde an
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|
nichts anderes war als ein Spielball von Intrigen der imperialistischen
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Rivalen.</P>
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<P>So wurde die imperialistische Politik Österreichs im letzten Jahrzehnt
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zum Hemmschuh für eine normale fortschrittliche Entwicklung auf dem
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Balkan und führte von selbst zu dem unausweichlichen Dilemma: entweder
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|
die habsburgische Monarchie oder die kapitalistische Entwicklung der Balkanstaaten!
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Der Balkan, der sich von der türkischen Herrschaft emanzipiert hatte,
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sah sich vor die weitere Aufgabe gestellt, noch das Hindernis Österreich
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aus dem Wege zu räumen. Die Liquidierung Österreich-Ungarns ist
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historisch nur die Fortsetzung des Zerfalls der Türkei und zusammen
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mit ihm ein Erfordernis des geschichtlichen Entwicklungsprozesses.</P>
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|
<P> Aber jenes Dilemma ließ keine andere Lösung zu als Krieg,
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|||
|
und zwar den Weltkrieg. Hinter Serbien stand nämlich Rußland,
|
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|
das seinen Einfluß auf dem Balkan und seine »Beschützer« -Rolle
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|
nicht preisgeben konnte, ohne auf sein ganzes imperialistisches Programm
|
|||
|
im Orient zu verzichten. In direktem Gegensatz zur österreichischen
|
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|
ging die russische Politik darauf aus, die Balkanstaaten, natürlich
|
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|
unter Rußlands Protektorat, zusammenzuschließen. Der Balkanbund,
|
|||
|
dessen siegreicher Krieg im Jahre 1912 mit der europäischen Türkei
|
|||
|
fast ganz aufgeräumt hatte, war Rußlands Werk und hatte in dessen
|
|||
|
Intentionen die Hauptspitze gegen Österreich zu richten. Zwar zerschellte
|
|||
|
der Balkanbund entgegen allen Bemühungen Rußlands alsbald im
|
|||
|
zweiten Balkankrieg, aber das aus diesem Kriege siegreich hervorgegangene
|
|||
|
Serbien wurde nun in gleichem Maße auf die Bundesgenossenschaft Rußlands
|
|||
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angewiesen, als Österreich sein Todfeind wurde. Deutschland, an die
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|||
|
Schicksale der habsburgischen Monarchie gekoppelt, sah sich genötigt,
|
|||
|
deren stockreaktionäre Balkanpolitik auf Schritt und Tritt zu decken
|
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|
und nun in doppelt scharfen Gegensatz zu Rußland zu treten.</P>
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|||
|
<P>Die österreichische Balkanpolitik führte aber ferner zum Gegensatz
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|
mit Italien, das an der Liquidation sowohl Österreichs wie der Türkei
|
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|
lebhaft interessiert ist. Der Imperialismus Italiens findet in den italienischen
|
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|
Besitzungen Österreichs den nächstliegenden und bequemsten, weil
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populärsten Deckmantel seiner Expansionsgelüste, die sich bei
|
|||
|
der Neuordnung der Dinge auf dem Balkan vor allem auf die gegenüberliegende
|
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|
albanische Küste der Adria richten. Der Dreibund, der schon im Tripoliskrieg
|
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|
einen argen Stoß erlitten hatte, wurde durch die akute Krise auf
|
|||
|
dem Balkan seit den beiden Balkankriegen vollends ausgehöhlt und die
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|||
|
beiden Zentralmächte in scharfen Gegensatz zu aller Welt gebracht.
|
|||
|
Deutschlands Imperialismus, gekettet an zwei verwesende Leichname, steuerte
|
|||
|
geraden Weges in den Weltkrieg.</P>
|
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|
<P>Die Fahrt war übrigens ganz bewußt. Namentlich Österreich
|
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|
als treibende Kraft rannte mit fataler Blindheit schon seit Jahren ins
|
|||
|
Verderben. Seine herrschende klerikal-militärische Clique mit dem
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|
Erzherzog Franz Ferdinand und dessen Handlanger Baron von Chlumezki an
|
|||
|
der Spitze haschte förmlich nach Vorwänden, um loszuschlagen.
|
|||
|
Im Jahre 1909 ließ sie eigens zur Entfachung des nötigen Kriegsfurors
|
|||
|
in deutschen Landen von Prof. <B>Friedmann</B> die berühmten Dokumente
|
|||
|
fabrizieren, die eine weitverzweigte teuflische Verschwörung der Serben
|
|||
|
gegen die habsburgische Monarchie enthüllten und nur den kleinen Fehler
|
|||
|
hatten, daß sie von A bis Z gefälscht waren. Einige Jahre später
|
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|
sollte die tagelang kolportierte Nachricht vom entsetzlichen Martyrium
|
|||
|
des österreichischen Konsuls <B>Prohaska</B> in Üsküb wie
|
|||
|
der zündende Funke ins Pulverfaß fallen, unterdes Prohaska gesund
|
|||
|
und munter pfeifend in den Straßen von Üsküb spazierte.
|
|||
|
Endlich kam das Attentat von Sarajewo, ein lang ersehntes veritables empörendes
|
|||
|
Verbrechen. »Wenn je ein Blutopfer <B>eine befreiende, eine erlösende
|
|||
|
Wirkung</B> gehabt hat, so war es dieses«, jubelten die Wortführer
|
|||
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|
der deutschen Imperialisten. Die österreichischen Imperialisten jubelten
|
|||
|
noch lauter und beschlossen, die erzherzoglichen Leichen zu benutzen,
|
|||
|
solange sie frisch waren.<SPAN class="top"><A name="ZF6"></A><A href="luf_4.htm#F6">(6)</A></SPAN> Nach rascher Verständigung mit
|
|||
|
Berlin wurde der Krieg abgemacht und das Ultimatum als der Fidibus ausgesandt,
|
|||
|
der die kapitalistische Welt an allen Ecken anzünden sollte.
|
|||
|
<P></P>
|
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|
<P>Aber der Zwischenfall in Sarajewo hatte nur den Vorwand geliefert. An
|
|||
|
Ursachen, an Gegensätzen war seit langer Zeit alles für den Krieg
|
|||
|
reif, die Konstellation, die wir heute erleben, war seit einem Jahrzehnt
|
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fertig. Jedes Jahr und jede politische Begebenheit der letzten Zeit brachten
|
|||
|
ihn einen Schritt näher: die türkische Revolution, die Annexion
|
|||
|
Bosniens, die Marokkokrise, die Tripolisexpedition, die beiden Balkankriege.
|
|||
|
Alle Militärvorlagen der letzten Jahre wurden direkt mit Hinblick
|
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|
auf diesen Krieg als bewußte Vorbereitung zur unvermeidlichen Generalabrechnung
|
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|
eingebracht. Fünfmal im Laufe der letzten Jahre wäre der heutige
|
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|
Krieg schon um ein Haar ausgebrochen: im Sommer 1905, als Deutschland zum
|
|||
|
ersten Male in entscheidender Form seine Ansprüche in der Marokkosache
|
|||
|
anmeldete. Im Sommer 1908, als England, Rußland und Frankreich nach
|
|||
|
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|
der Monarchenbegegnung in Reval wegen der mazedonischen Frage ein Ultimatum
|
|||
|
an die Türkei stellen wollten und Deutschland sich bereitete, zum
|
|||
|
Schutz der Türkei sich in den Krieg zu stürzen, den nur der plötzliche
|
|||
|
Ausbruch der türkischen Revolution für diesmal verhindert hat.<A name="ZF7"></A><SPAN class="top"><A href="luf_4.htm#F7">(7)</A></SPAN>
|
|||
|
Im Anfang 1909, als Rußland die österreichische Annexion Bosniens
|
|||
|
mit einer Mobilmachung beantwortete, worauf Deutschland in Petersburg in
|
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|
aller Form erklärte, es sei bereit, auf Österreichs Seite in
|
|||
|
den Krieg zu ziehen. Im Sommer 1911, als der »Panther« nach Agadir
|
|||
|
entsandt wurde, was unbedingt den Ausbruch des Krieges herbeigeführt
|
|||
|
hätte, wenn Deutschland auf den Marokkoanteil nicht verzichtet und
|
|||
|
sich mit Kongo nicht hätte abfinden lassen. Und endlich anfangs 1913,
|
|||
|
als Deutschland angesichts des beabsichtigten Einmarsches Rußlands
|
|||
|
in Armenien zum zweitenmal in Petersburg in aller Form erklärte, kriegsbereit
|
|||
|
zu sein.
|
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|
</P>
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|||
|
<P></P>
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<P>Derartig hing der heutige Weltkrieg seit acht Jahren in der Luft. Wenn
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|
er immer wieder verschoben wurde, so nur deshalb, weil jedesmal eine der
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|
beteiligten Seiten mit den militärischen Vorbereitungen noch nicht
|
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fertig war. Namentlich war in dem »Panther« -Abenteuer 1911 schon
|
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der heutige Weltkrieg reif ­ ohne das ermordete Erzherzogpaar, ohne
|
|||
|
französische Flieger über Nürnberg und ohne russische Invasion
|
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|
in Ostpreußen. Deutschland hat ihn bloß auf einen für
|
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|
sich gelegeneren Moment verschoben. Auch hier braucht man nur die offenherzige
|
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|
Darlegung der deutschen Imperialisten zu lesen: »Wenn von der sogenannten
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|
alldeutschen Seite her während der Marokkokrisis von 1911 gegen die
|
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|
deutsche Politik der Vorwurf der Schwäche gemacht worden ist, so erledigt
|
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|
sich diese falsche Idee schon allein dadurch daß, als wir den 'Panther'
|
|||
|
nach Agadir schickten, der Umbau des Nordostseekanals noch mitten im Werk,
|
|||
|
der Ausbau von Helgoland zu einer großen Seefestung lange nicht vollendet
|
|||
|
und unsere Flotte an Dreadnoughts und Hilfswaffen gegenüber der englischen
|
|||
|
Seemacht ein bedeutend ungünstigeres Verhältnis aufwies als drei
|
|||
|
Jahre nachher. Sowohl der Kanal als auch Helgoland, als auch die Flottenstärke
|
|||
|
waren im Vergleich zum gegenwärtigen Jahre, 1914, teils stark zurück,
|
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|
teils überhaupt noch nicht kriegsbrauchbar. <B>In einer solchen Lage,
|
|||
|
wo man weiß, daß man etwas später sehr viel günstigere
|
|||
|
Chancen haben wird, den Entscheidungskrieg provozieren zu wollen, wäre
|
|||
|
doch einfach töricht gewesen.«</B><SPAN class="top"><A name="ZF8"></A><A href="luf_4.htm#F8">(8)</A></SPAN> Erst mußte
|
|||
|
die deutsche Flotte instand gesetzt und die große Militärvorlage
|
|||
|
im Reichstag durchgedrückt werden. Im Sommer 1914 fühlte sich
|
|||
|
Deutschland kriegsbereit, während Frankreich noch an seiner
|
|||
|
dreijährigen Dienstzeit laborierte und Rußland weder mit dem Flottenprogramm noch mit dem
|
|||
|
Landheer fertig war. Es galt, die Lage energisch auszunutzen. »Für
|
|||
|
uns, das heißt für Deutschland und Österreich-Ungarn« ­ schreibt über die Situation im Jahre 1914 derselbe Rohrbach, der
|
|||
|
nicht bloß der ernsteste Wortführer des Imperialismus in
|
|||
|
Deutschland, sondern auch in genauer Fühlung mit den leitenden Kreisen
|
|||
|
der deutschen Politik, halb und halb ihr offiziöses Mundstück ist -, »für uns bestand <B>die Hauptsorge</B> diesmal darin, daß wir
|
|||
|
durch eine vorübergehende und scheinbare <B>Nachgiebigkeit Rußlands
|
|||
|
moralisch gezwungen werden könnten, zu warten</B>, bis Rußland und
|
|||
|
Frankreich wirklich bereit waren.«<SPAN class="top"><A name="ZF9"></A><A href="luf_4.htm#F9">(9)</A></SPAN> Mit anderen Worten: die Hauptsorge im Juli 1914 war, daß die »Friedensaktion« der deutschen Regierung Erfolg haben, daß Rußland und Serbien
|
|||
|
nachgeben konnten. Es galt, sie diesmal zum Kriege zu <B>zwingen</B>. Und
|
|||
|
die Sache gelang. »Mit tiefem Schmerz sahen wir unsere auf die Erhaltung
|
|||
|
des Weltfriedens gerichteten unermüdlichen Bemühungen scheitern« usw.</P>
|
|||
|
<P>Als die deutschen Bataillone in Belgien einmarschierten, als der Deutsche
|
|||
|
Reichstag vor die vollendete Tatsache des Krieges und des Belagerungszustandes
|
|||
|
gestellt war, war es nach alledem kein Blitz aus heiterem Himmel, keine
|
|||
|
neue unerhörte Situation, kein Ereignis, das in seinen politischen
|
|||
|
Zusammenhängen für die sozialdemokratische Fraktion eine Überraschung
|
|||
|
sein konnte. Der am 4. August offiziell begonnene Weltkrieg war derselbe,
|
|||
|
auf den die deutsche und die internationale imperialistische Politik seit
|
|||
|
Jahrzehnten unermüdlich hinarbeitete, derselbe, dessen Nahen die deutsche
|
|||
|
Sozialdemokratie ebenso unermüdlich seit einem Jahrzehnt fast jedes
|
|||
|
Jahr prophezeite, derselbe, den die sozialdemokratischen Parlamentarier,
|
|||
|
Zeitungen und Broschüren tausendmal als ein frivoles imperialistisches
|
|||
|
Verbrechen brandmarkten, das weder mit Kultur noch mit nationalen Interessen
|
|||
|
etwas zu tun hätte, vielmehr das direkte Gegenteil von beiden wäre.</P>
|
|||
|
<P>Und in der Tat. Nicht um die »Existenz und die freiheitliche Entwicklung
|
|||
|
Deutschlands« handelt es sich in diesem Kriege, wie die sozialdemokratische
|
|||
|
Fraktionserklärung sagt, nicht um die deutsche Kultur, wie die sozialdemokratische
|
|||
|
Presse schreibt, sondern um jetzige Profite der Deutschen Bank in der asiatischen
|
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|
Türkei und künftige Profite der Mannesmänner und Krupp in
|
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|
Marokko, um die Existenz und die Reaktion Österreichs, dieses »Haufens
|
|||
|
organisierte Verwesung, der sich habsburgische Monarchie nennt«, wie
|
|||
|
der »Vorwärts« am 25. Juli 1914 schrieb, um ungarische Schweine
|
|||
|
und Zwetschgen, um den § 14 und die Kultur Friedmann-Prohaska, um
|
|||
|
die Erhaltung der türkischen Baschibuzukenherrschaft in Kleinasien
|
|||
|
und der Konterrevolution auf dem Balkan.</P>
|
|||
|
<P>Ein großer Teil unserer Parteipresse war sittlich entrüstet,
|
|||
|
daß von den Gegnern Deutschlands die »Farbigen und Wilden«,
|
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|
Neger, Sikhs, Maori in den Krieg gehetzt wurden. Nun, diese Völker
|
|||
|
spielen im heutigen Kriege ungefähr dieselbe Rolle wie die sozialistischen
|
|||
|
Proletarier der europäischen Staaten. Und wenn die Maori von Neuseeland
|
|||
|
nach Reuter-Meldung darauf brannten, sich für den englischen König
|
|||
|
die Schädel einzurennen, so zeigten sie just soviel Bewußtsein
|
|||
|
für die eigenen Interessen wie die deutsche sozialdemokratische Fraktion,
|
|||
|
welche die Erhaltung der habsburgischen Monarchie, der Türkei und
|
|||
|
der Kassen der Deutschen Bank mit der Existenz, Freiheit und Kultur des
|
|||
|
deutschen Volkes verwechselte. Ein großer Unterschied besteht freilich
|
|||
|
bei alledem: die Maori trieben noch vor einer Generation Menschenfresserei
|
|||
|
und nicht marxistische Theorie.
|
|||
|
<HR size="1">
|
|||
|
<P>Anmerkungen von Rosa Luxemburg</P>
|
|||
|
<P><SPAN class="top">(1)<A name="F1"></A></SPAN> Am 3. Dezember 1912, nach dem ersten Balkankriege,
|
|||
|
führte der sozialdemokratische Fraktionsredner David im Reichstag
|
|||
|
aus: »Gestern wurde hier bemerkt, die deutsche Orientpolitik sei an
|
|||
|
dem <B>Zusammenbruch der Türkei</B> nicht schuld, die deutsche Orientpolitik
|
|||
|
sei eine gute gewesen. Der Herr Reichskanzler meinte, wir hätten der
|
|||
|
Türkei manchen guten Dienst geleistet, und Herr Bassermann sagte,
|
|||
|
wir hätten die Türkei veranlaßt, vernünftige Reformen
|
|||
|
durchzuführen. Von dem letzteren ist mir nun gar nichts bekannt (Heiterkeit
|
|||
|
bei den Sozialdemokraten.); und auch hinter die guten Dienste möchte
|
|||
|
ich ein Fragezeichen setzen. Warum ist die Türkei zusammengebrochen?
|
|||
|
Was dort zusammengebrochen ist, das war ein <B>Junkerregiment</B>, ähnlich
|
|||
|
dem, das wir in Ostelbien haben. (»Sehr richtig!« bei den Sozialdemokraten.
|
|||
|
­ Lachen rechts.) Der Zusammenbruch der Türkei ist eine Parallelerscheinung
|
|||
|
zu dem Zusammenbruch des mandschurischen Junkerregiments in China. Mit
|
|||
|
den Junkerregimentern scheint es allmählich überall zu Ende zu
|
|||
|
gehen (Zurufe von den Sozialdemokraten: »Hoffentlich!«); sie
|
|||
|
entsprechen nicht mehr den modernen Bedürfnissen.</P>
|
|||
|
<P>Ich sagte, die Verhältnisse
|
|||
|
in der Türkei glichen bis zu einem gewissen Grade denen in Ostelbien.
|
|||
|
Die Türken sind eine regierende Erobererkaste, nur eine kleine Minderheit.
|
|||
|
Neben ihnen gibt es noch Nichttürken, die die mohammedanische Religion
|
|||
|
angenommen haben; aber die eigentlichen Stammtürken sind nur eine
|
|||
|
kleine Minderheit, eine Kriegerkaste, eine Kaste, die sämtliche leitenden
|
|||
|
Stellen eingenommen hat, wie in Preußen, in der Verwaltung, in der
|
|||
|
Diplomatie, im Heere; eine Kaste, deren wirtschaftliche Stellung sich stützte
|
|||
|
auf einen großen Grundbesitz, auf die Verfügung über hörige
|
|||
|
Bauern, gerade wie in Ostelbien; eine Kaste, die diesen Hintersassen gegenüber,
|
|||
|
die fremden Stammes und fremder Religion waren, den bulgarischen, den serbischen
|
|||
|
Bauern gegenüber die gleiche rücksichtslose Grundherrenpolitik
|
|||
|
verfolgt hat, wie in Ostelbien unsere Spahis. (Heiterkeit.) Solange die
|
|||
|
Türkei Naturalwirtschaft hatte, ging das noch; denn da ist ein solches
|
|||
|
Grundherrenregiment noch einigermaßen erträglich, weil der Grundherr
|
|||
|
noch nicht so auf das Ausquetschen seiner Hintersassen drängt; wenn
|
|||
|
er sonst gut zu essen und zu leben hat, ist er zufrieden. In dem Moment
|
|||
|
aber, wo die Türkei durch die Berührung mit Europa zu einer modernen
|
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Geldwirtschaft kam, wurde der Druck der türkischen Junker auf ihre Bauern immer unerträglicher. Es kam zu einer Ausquetschung dieses
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Bauernstandes, und ein großer Teil der Bauern ist zu Bettlern herabgedrückt
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worden; viele sind zu Räubern geworden. Das sind die Komitaschis!
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(Lachen rechts.) Die türkischen Junker haben nicht nur einen Krieg
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geführt gegen einen auswärtigen Feind, nein, unterhalb dieses
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Krieges gegen den auswärtigen Feind hat sich in der Türkei eine
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Bauernrevolution vollzogen. Das war es, was den Türken das Rückgrat
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gebrochen hat, und das war der Zusammenbruch ihres Junkersystems!</P>
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<P>Wenn man nun sagt, die deutsche Regierung habe da gute
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Dienste geleistet ­ nun, die besten Dienste, die sie der Türkei
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und auch dem jungtürkischen System hätte leisten können,
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hat sie nicht geleistet. Sie hätte ihnen raten sollen, die Reformen,
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zu denen die Türkei durch das Berliner Protokoll verpflichtet war,
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durchzuführen, ihre Bauern wirklich frei zu machen, wie Bulgarien
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und Serbien es getan haben. Aber wie konnte das die preußisch-deutsche
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Junkerdiplomatie!</P>
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<P> ... Die Instruktionen, die Herr von Marschall von Berlin
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empfing, konnten jedenfalls nicht darauf gehen, den Jungtürken wirklich
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gute Dienste zu leisten. Was sie ihnen gebracht haben ­ ich will von
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den militärischen Dingen gar nicht sprechen ­ war ein gewisser
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Geist, den sie in das türkische Offizierkorps hineingetragen haben,
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der Geist des »elejanten Jardeoffiziers« (Heiterkeit bei den
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Sozialdemokraten), der Geist, der sich in diesem Kampfe so außerordentlich
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verderblich für die türkische Armee erwiesen hat. Man spricht
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davon, daß Leichen von Offizieren in Lackschuhen usw. gefunden werden.
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Die Überhebung über die Masse des Volkes, über die Masse
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der Soldaten vor allen Dingen, dieses Rauskehren des Offiziers, dieses
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Vonobenrunterbefehlen hat das Vertrauensverhältnis in der türkischen
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Armee in der Wurzel zerstört, und so begreift sich denn auch, daß
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dieser Geist mit dazu beigetragen hat, die innere Auflösung in der
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türkischen Armee herbeizuführen.</P>
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<P>Meine Herren, wir sind also in bezug auf die Frage, wer
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an dem Zusammenbruch der Türkei schuld hat, doch verschiedener Meinung.
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Die Hilfe eines gewissen preußischen Geistes hat den Zusammenbruch
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der Türkei nicht allein verschuldet, natürlich nicht, aber er
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hat mit dazu beigetragen, er hat ihn beschleunigt. Im Grunde waren es ökonomische
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Ursachen, wie ich dargelegt habe.« <A href="luf_4.htm#ZF1"><=</A></P>
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<P><SPAN class="top">(2)<A name="F2"></A> </SPAN>Die in den Kreisen der deutschen Imperialisten
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jahrelang betriebene lärmende Hetze wegen Marokkos war auch nicht
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geeignet, die Besorgnisse Frankreichs zu beruhigen. Der Alldeutsche Verband
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vertrat laut das Programm der Annexion Marokkos, natürlich als »eine
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Lebensfrage« für Deutschland und verbreitete eine Flugschrift
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aus der Feder seines Vorsitzenden Heinrich Claß unter dem Titel: »Westmarokko deutsch!« Als nach dem getroffenen Kongohandel Prof.
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Schiemann in der »Kreuzzeitung« die Abmachung des Auswärtigen
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Amtes und den Verzicht auf Marokko zu verteidigen suchte, fiel die »Post« über ihn folgendermaßen her:</P>
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<P>»<B>Herr Professor Schiemann ist von Geburt Russe,
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vielleicht nicht einmal rein deutscher Abkunft.</B> Niemand kann es ihm
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daher verdenken, daß er <B>Fragen, die das Nationalbewußtsein,
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den patriotischen Stolz in der Brust eines jeden Reichsdeutschen auf das
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empfindlichste berühren, kalt und höhnisch gegenübersteht.</B>
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Das Urteil eines Fremden, der von dem patriotischen Herzschlag, dem schmerzlichen
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Zucken der bangen Seele des deutschen Volkes spricht als von einer durchgegangenen
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politischen Phantasie, einem Konquistadorenabenteuer, muß um so mehr
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unsern <B>berechtigten Zorn und Verachtung </B>herausfordern, als dieser
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Fremde als Hochschullehrer der Berliner Universität die <B>Gastfreundschaft
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des preußischen Staates</B> genießt. Mit <B>tiefem Schmerz</B>
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aber muß es uns erfüllen, daß dieser Mann, der in dem
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leitenden Organ der deutschkonservativen Partei die <B>heiligsten Gefühle
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des deutschen Volkes derart zu beschimpfen wagt</B>, der Lehrer und Ratgeber
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unsres Kaisers in politischen Dingen ist, und ­ ob mit Recht oder Unrecht
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­ als das Sprachrohr des Kaisers gilt.« <A href="luf_4.htm#ZF2"><=</A></P>
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<P><SPAN class="top">(3)<A name="F3"></A> </SPAN>Im Januar 1908 schrieb nach der deutschen
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Presse der russische liberale Politiker Peter von Struve: »Jetzt ist
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es Zeit, auszusprechen, daß es nur einen Weg gibt, ein großes
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Rußland zu schaffen, und der ist: die Hinlenkung aller Kräfte
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auf ein Gebiet, das der realen Einwirkung der russischen Kultur zugänglich
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ist. Dieses Gebiet ist das <B>ganze Becken des Schwarzen Meeres</B>, das
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heißt alle europäischen und asiatischen Länder, die einen
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Ausgang zum Schwarzen Meer haben. Hier besitzen wir für unsere unanfechtbare
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wirtschaftliche Herrschaft eine wirkliche Basis: <B>Menschen, Steinkohle
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und Eisen</B>. Auf dieser realen Basis ­ und nur auf ihr ­ kann
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durch unermüdliche Kulturarbeit, die nach allen Richtungen hin vom
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Staat unterstützt werden muß, ein wirtschaftlich starkes Großrußland
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geschaffen werden.«</P>
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<P>
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Bei Beginn des heutigen Weltkrieges schrieb derselbe Struve
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noch vor dem Eingreifen der Türkei: »Bei den deutschen Politikern
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taucht eine selbständige türkische Politik aus, die sich zu der
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Idee und dem Programm der Ägyptisierung der Türkei unter dem
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Schutze Deutschlands verdichtete. Der Bosporus und die Dardanellen sollten
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sich in ein deutsches Suez verwandeln. Schon vor dem italienisch-türkischen
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Krieg, der die Türkei aus Afrika verdrängte, und vor dem Balkankrieg,
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der die Türken fast aus Europa hinauswarf, tauchte für Deutschland
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deutlich die Aufgabe auf: die Türkei und ihre Unabhängigkeit
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im Interesse der wirtschaftlichen und politischen Festigung Deutschlands
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zu erhalten. Nach den erwähnten Kriegen änderte sich diese Aufgabe
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nur insofern, als die äußerste Schwäche der Türkei
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zutage getreten war: unter diesen Umständen mußte ein Bündnis
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de facto in ein Protektorat oder eine Bevormundung ausarten, die das Ottomanische
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Reich schließlich auf das Niveau Ägyptens bringen mußte.
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Es <B>ist aber vollkommen klar, daß ein deutsches Ägypten am
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Schwarzen und am Marmarameer vom russischen Standpunkt aus völlig
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unerträglich wäre</B>. Kein Wunder daher, daß die russische
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Regierung sofort gegen die auf eine solche Politik hinzielenden Schritte,
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<B>so gegen die Mission General Liman von Sanders</B> protestierte, der
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nicht nur die türkische Armee reorganisieren, sondern auch ein <B>Armeekorps
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in Konstantinopel befehligen sollte</B>. Formell erhielt Rußland
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in dieser Frage Genugtuung, in Wirklichkeit aber änderte sich die
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Sachlage nicht im geringsten. <B>Unter diesen Umständen stand im Dezember
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1913 ein Krieg zwischen Rußland und Deutschland in unmittelbarer
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Nähe: der Fall der Militärmission</B> Liman von Sanders hatte
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die auf die 'Ägyptisierung' der Türkei gerichtete Politik Deutschlands
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aufgedeckt.</P>
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<P><B>Schon diese neue Richtung der deutschen Politik hätte
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ausgereicht, um einen bewaffneten Konflikt zwischen Deutschland und Rußland
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hervorzurufen</B>. Wir traten also <B>im Dezember 1913</B> in eine Epoche
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der Heranreifung eines Konfliktes ein, der unvermeidlich den Charakter
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eines Weltkonfliktes annehmen mußte.« <A href="luf_4.htm#ZF3"><=</A></P>
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<P><SPAN class="top">(4)<A name="F4"></A></SPAN> In der imperialistischen Flugschrift »Warum
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es der deutsche Krieg ist?« lesen wir: »Rußland hatte es
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schon vorher mit der Verlockung versucht, uns Deutsch-Österreich anzubieten,
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jene zehn Millionen Deutsche, die bei unserer nationalen Einigung 1866
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und 1870/1871 draußen bleiben mußten. Lieferten wir ihnen die
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alte Monarchie der Habsburger aus, so mochten wir den Lohn für den
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Verrat davontragen.« <A href="luf_4.htm#ZF4"><=</A></P>
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<P><SPAN class="top">(5)<A name="F5"></A> </SPAN>Die <B>»Kölnische Zeitung« </B>schrieb nach dem Attentat von Sarajewo, also am Vorabend des Krieges, als
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die Karten der offiziellen deutschen Politik noch nicht aufgedeckt waren:</P>
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<P>»Der in die Verhältnisse Uneingeweihte wird
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die Frage stellen, woher es komme, daß Österreich trotz seiner
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Bosnien erwiesenen Wohltaten im Lande nicht nur nicht beliebt, sondern
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geradezu verhaßt ist bei den Serben, die 42 Prozent der Bevölkerung
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ausmachen? Die Antwort wird nur der wirkliche Kenner des Volkes und der
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Verhältnisse verstehen, der Fernstehende, namentlich der an europäische
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Begriffe und Zustände gewöhnte, wird ihr verständnislos
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gegenüberstehen. Die Antwort lautet klipp und klar: <B>Die Verwaltung
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Bosniens war in der Anlage und in ihren Grundideen vollkommen verpfuscht</B>,
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und daran trägt die geradezu sträfliche Unkenntnis die Schuld,
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welche zum Teil noch heute, nach mehr als einem Menschenalter (seit der
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Okkupation) über die wirklichen Zustände im Lande herrscht.«
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<A href="luf_4.htm#ZF5"><=</A></P>
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<P><SPAN class="top">(6)<A name="F6"></A></SPAN> »Warum es der deutsche Krieg ist?« S. 21.<BR>
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Das Organ der Clique des Erzherzogs, »Groß-Österreich«,
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schrieb Woche für Woche Brandartikel im folgenden Stil:</P>
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<P>»Wenn man den Tod des Erzherzogs-Thronfolgers Franz
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Ferdinand in würdiger und seinen Empfindungen Rechnung tragender Weise
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rächen will, <B>dann vollstrecke man so rasch als möglich das
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politische Vermächtnis</B> des unschuldigen Opfers einer unseligen
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Entwicklung der Verhältnisse im Süden des Reiches.<BR>
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<B>Seit sechs Jahren warten wir schon auf die endliche Auslösung all
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der drückenden Spannungen</B>, die wir in unserer ganzen Politik so
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überaus qualvoll empfinden.<BR>
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Weil wir wissen, daß erst aus einem Krieg das neue und große
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Osterreich, das glückliche, seine Völker befreiende Groß-Österreich
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geboren werden kann, <B>darum wollen wir den Krieg</B>.<BR>
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Wir wollen den Krieg, weil es unsere innerste Überzeugung ist, daß
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nur durch einen Krieg in radikaler, plötzlicher Weise unser Ideal
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erreicht werden kann: <B>ein starkes Groß-Österreich</B>, in
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dem die österreichische Staatsidee, der österreichische Missionsgedanke,
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<B>den Balkanvölkern</B> die Freiheit und Kultur zu bringen, im Sonnenglanze
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einer großen, frohen Zukunft blüht.<BR>
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Seitdem der Große tot ist, dessen starke Hand, dessen unbeugsame
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|
Energie Groß-Österreich über Nacht geschaffen hätte,
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seitdem erhoffen wir alles nur mehr vom Krieg.<BR>
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Es ist die letzte Karte, auf die wir alles setzen! <BR>
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Vielleicht führt die ungeheure Erregung, die in Österreich und
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Ungarn nach diesem Attentat gegen Serbien herrscht, zur Explosion gegen
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Serbien und im weiteren Verlauf auch gegen Rußland.<BR>
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Erzherzog Franz Ferdinand hat als einziger diesen Imperialismus nur vorbereiten,
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nicht durchsetzen können. <B>Sein Tod wird hoffentlich das Blutopfer
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sein, das notwendig war, um die imperialistische Entflammung ganz Österreichs
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|
durchzuführen.«</B> <A href="luf_4.htm#ZF6"><=</A></P>
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<P><SPAN class="top">(7)<A name="F7"></A> </SPAN>»Auf Seiten der deutschen Politik war
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man natürlich darüber unterrichtet was geschehen sollte, und
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<B>heute wird kein Geheimnis mehr mit der Tatsache verraten</B>, daß
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wie andere europäische Flotten, <B>so auch die deutschen Seestreitkräfte
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sich damals im Zustande unmittelbarer Kriegsbereitschaft befanden</B>.«
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|
<B>Rohrbach</B>, »Der Krieg und die deutsche Politik«, S. 32. <A href="luf_4.htm#ZF7"><=</A></P>
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|
<P><SPAN class="top">(8)<A name="F8"></A></SPAN> Rohrbach, »Der Krieg und die deutsche Politik«, S. 41. <A href="luf_4.htm#ZF8"><=</A></P>
|
|||
|
<P><SPAN class="top">(9)<A name="F9"></A></SPAN> Ebenda, s. 83. <A href="luf_4.htm#ZF9"><=</A></P>
|
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<!-- #EndEditable -->
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<HR size="1" align="left" width="200">
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<P><SMALL>Quelle: »die nicht mehr existierende Website "Unser Kampf" auf fr<66>her "http://felix2.2y.net/deutsch/index.html"«<BR>
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Pfad: »../lu/«<BR>
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Verknüpfte Dateien: »<A href="http://www.mlwerke.de/css/format.css">../css/format.css</A>«</SMALL>
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<HR size="1">
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<TABLE width="100%" border="0" align="center" cellspacing=0 cellpadding=0>
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<TR>
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<TD align="center" width="19%" height=20 valign=middle><A href="../index.shtml.html"><SMALL>MLWerke</SMALL></A></TD>
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<TD align="center"><B>|</B></TD>
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<TD align="center" width="19%" height=20 valign=middle><!-- #BeginEditable "Link%201b" --><A href="luf_3.htm"><SMALL>Teil 3</SMALL></A><!-- #EndEditable --></TD>
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<TD align="center">|</TD>
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<TD align="center" width="19%" height=20 valign=middle><A href="luf.htm"><SMALL>Inhalt</SMALL></A></TD>
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<TD align="center">|</TD>
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<TD align="center" width="19%" height=20 valign=middle><!-- #BeginEditable "Link%202b" --><A href="luf_5.htm"><SMALL>Teil 5</SMALL></A><!-- #EndEditable --></TD>
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<TD align="center"><B>|</B></TD>
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<TD align="center" width="19%" height=20 valign=middle><A href="default.htm"><SMALL>Rosa Luxemburg</SMALL></A></TD>
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</TR>
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