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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<TITLE>Friedrich Engels - Drei neue Konstitutionen</TITLE>
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<SMALL>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 4, S. 514 - 518<BR>
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1972 </SMALL></P>
<H2>[Friedrich Engels]</H2>
<H1>Drei neue Konstitutionen</H1>
<HR>
<FONT SIZE=2><P ALIGN="RIGHT">["Deutsche-Br&uuml;sseler-Zeitung" Nr. 15 vom 20. Februar 1848]</P>
</FONT><B><P><A NAME="S514">&lt;514&gt;</A></B> In der Tat, unsere Vorhersagungen &uuml;her die bevorstehenden Triumphe der Bourgeoisie erf&uuml;llen sich rascher, als wir es erwarten konnten. In weniger als 14 Tagen verwandeln sich drei absolute Monarchien in konstitutionelle Staaten: D&auml;nemark, Neapel und Sardinien.</P>
<P>Die Bewegung in Italien hat sich mit einer merkw&uuml;rdigen Schnelligkeit entwickelt. Der Kirchenstaat, Toskana, Sardinien traten nacheinander an ihre Spitze; ein Land trieb das andere immer weiter, ein Fortschritt zog immer einen neuen Fortschritt nach sich. Der italienische Zollverein war der erste Schritt zur Konstituierung der italienischen Bourgeoisie, die entschieden an die Spitze der nationalen Bewegung trat und t&auml;glich mehr mit &Ouml;streich in Kollision kam. Die Bourgeoisie hatte fast alles erreicht, was unter der absoluten Monarchie zu erreichen war, die repr&auml;sentative Verfassung wurde t&auml;glich ein dringenderes Bed&uuml;rfnis f&uuml;r sie. Aber die Eroberung der konstitutionellen Institutionen - das war gerade die Schwierigkeit f&uuml;r die italienischen Bourgeois. Die F&uuml;rsten wollten nicht; die Bourgeois durften ihnen nicht zu drohend gegen&uuml;ber treten, um sie nicht wieder in &Ouml;streichs Arme zu werfen. Die Italiener des Zollvereins h&auml;tten noch lange warten k&ouml;nnen, als ihnen pl&ouml;tzlich von ganz unerwarteter Seite H&uuml;lfe kam: Sizilien stand auf: das Volk von Palermo schlug die k&ouml;niglichen Truppen mit unerh&ouml;rter Tapferkeit aus der Stadt <A NAME="Z1"><A HREF="me04_514.htm#M1">(1)</A></A>, die Abruzzen, Apulien, Kalabrien versuchten eine neue Insurrektion, Neapel selbst bereitete sich zum Kampf, und der Bluthund Ferdinand, von allen Seiten bedr&auml;ngt, ohne Hoffnung auf &ouml;st- <A NAME="S515"><B>&lt;515&gt;</A> </B>reichische Truppen, mu&szlig;te zuerst von allen italienischen F&uuml;rsten eine Konstitution und vollst&auml;ndige Pre&szlig;freiheit bewilligen. Die Nachricht dringt nach Genua und Turin; beide St&auml;dte fordern, da&szlig; Sardinien nicht hinter Neapel zur&uuml;ckbleibt; Karl Albert, zu sehr in die Bewegung verwickelt, um zur&uuml;ckgehen zu k&ouml;nnen, au&szlig;erdem geldbed&uuml;rftig wegen der R&uuml;stungen gegen &Ouml;streich, Karl Albert mu&szlig; den sehr nachdr&uuml;cklichen Vorstellungen der Turiner und Genuesen nachgeben und gleichfalls eine Konstitution bewilligen. Es ist gar keinem Zweifel unterworfen, da&szlig; Toskana folgen, da&szlig; Pius IX. selbst neue Konzessionen machen mu&szlig;.</P>
<P>In den Stra&szlig;en von Palermo hat die italienische Bourgeoisie ihren entscheidenden Sieg errungen. Sie hat jetzt gesiegt; was kommen wird, kann nur noch die Benutzung dieses Sieges nach allen Seiten hin sein und die Sicherstellung seiner Resultate gegen &Ouml;streich.</P>
<P>Dieser Sieg der italienischen Bourgeoisie ist wieder eine Niederlage f&uuml;r &Ouml;streich. Wie mag der alte Metternich vor Wut geknirscht haben, er, der die neapolitanische Revolution von weitem kommen sah, der immer und immer wieder den Papst und Toskana um Erlaubnis zum Durchmarsch f&uuml;r seine Truppen bat und doch seine Panduren und Kroaten am Po zur&uuml;ckhalten mu&szlig;te! Kurier &uuml;ber Kurier kam ihm von Neapel an, Ferdinand, Cocle und Del Carretto schrien um H&uuml;lfe, und Metternich, der 1823 und 1831 so allm&auml;chtig in Italien geherrscht hatte, konnte nichts tun. Er mu&szlig;te ruhig zusehen, wie sein letzter, sein zuverl&auml;ssigster Bundesgenosse in Italien geschlagen und gedem&uuml;tigt, wie durch eine Revolution das ganze Gewicht Neapels gegen &Ouml;streich in die Waagschale gelegt wurde. Und er hatte hundertf&uuml;nfzigtausend Mann am Po stehen! Aber England war da, und der &Uuml;bergang der &Ouml;streicher &uuml;ber den Po w&auml;re das Signal gewesen zur Okkupation Venedigs und zum Bombardement von Triest - und da mu&szlig;ten die Henkersknechte Metternichs ruhig stehenbleiben und, das Gewehr im Arm, zusehen, wie ihnen Neapel verlorenging.</P>
<P>Das Benehmen Englands in der ganzen italienischen Angelegenheit ist sehr anst&auml;ndig gewesen. W&auml;hrend die &uuml;brigen Gro&szlig;m&auml;chte, Frankreich so gut wie Ru&szlig;land, alles getan haben, um Metternich zu unterst&uuml;tzen, hat England ganz allein sich auf die Seite der italienischen Bewegung gestellt. Die englische Bourgeoisie hat das gr&ouml;&szlig;te Interesse, einen &ouml;sterreichisch-italienischen Schutzzollverein zu hintertreiben, dagegen einen anti-&ouml;streichischen, auf der Handelsfreiheit beruhenden Zollverein in Italien zustande zu bringen. - Darum unterst&uuml;tzt sie die italienische Bourgeoisie, welche selbst zu ihrer Entwicklung der Handelsfreiheit einstweilen noch bedarf, welche deshalb die nat&uuml;rliche Bundesgenossin der englischen Bourgeoisie ist.</P>
<B><P><A NAME="S516">&lt;516&gt;</A></B> Inzwischen r&uuml;stet sich &Ouml;streich. Diese R&uuml;stungen ruinieren seine Finanzen vollst&auml;ndig. &Ouml;streich hat kein Geld, es wendet sich an Rothschild wegen eines Anleihens; Rothschild erkl&auml;rt, er wolle keinen Krieg und gebe daher kein Geld zur Unterst&uuml;tzung des Kriegs. Welcher Bankier wird auch der morschen &ouml;streichischen Monarchie noch Geld vorschie&szlig;en zu einem Kriege, in den ein Land wie England sich mischen kann? Auf die Bourgeois kann Metternich also nicht mehr rechnen. Er wendet sich an den Kaiser von Ru&szlig;land, der seit ein paar Jahren durch die Bergwerke des Ural und Altai und durch den Kornhandel ebenfalls zu einem gro&szlig;en Kapitalisten geworden ist, an den wei&szlig;en Zar, der schon einmal Friedrich Wilhelm IV. mit 15 Millionen Silberrubel aushalf und der &uuml;berhaupt der Rothschild aller untergehenden absoluten Monarchien zu werden scheint. Der Zar Nikolaus soll 75 Millionen bewilligt haben - gegen russische Prozente, versteht sich, und auf gute Sicherheit. Desto besser. Wenn der Zar au&szlig;er seinen eignen Ausgaben noch die Unkosten des preu&szlig;ischen und &ouml;streichischen K&ouml;nigtums decken mu&szlig;, wenn sein Geld in erfolglosen R&uuml;stungen gegen Italien verschwendet wird, so werden seine Sch&auml;tze bald ersch&ouml;pft sein.</P>
<P>Wird &Ouml;streich einen Krieg wagen? Wir glauben es kaum. Seine Finanzen sind zerr&uuml;ttet; Ungarn ist in voller G&auml;rung, B&ouml;hmen ist nicht sicher; auf dem Schlachtfeld selbst, in der Lombardei, w&uuml;rden die Guerillas &uuml;berall aus dem Boden wachsen. Und vor allem die Furcht vor England wird Metternich zur&uuml;ckhalten. Lord Palmerston ist in diesem Augenblick der m&auml;chtigste Mann in Europa; seine Entscheidung gibt den Ausschlag, und seine Entscheidung ist diesmal deutlich genug publiziert worden.</P>
<P>Ganz am anderen Ende von Europa, in D&auml;nemark, stirbt ein K&ouml;nig. Sein Sohn, ein r&uuml;der, jovialer Schnapstrinker, beruft sofort eine Versammlung von Notabeln, einen st&auml;ndischen Ausschu&szlig;, um &uuml;ber eine gemeinsame Konstitution f&uuml;r die Herzogt&uuml;mer &lt;Schleswig und Holstein&gt; und D&auml;nemark zu beraten. Und damit die Deutschen sich &uuml;berall blamieren, m&uuml;ssen die Herzogt&uuml;mer erkl&auml;ren, da&szlig; sie diese Konstitution nicht wollen, weil sie dadurch von ihrem deutschen Gesamtvaterlande losgerissen w&uuml;rden!</P>
<P>Es ist wirklich zu l&auml;cherlich. Die Herzogt&uuml;mer haben bedeutend weniger Bev&ouml;lkerung als D&auml;nemark, und doch soll die Zahl ihrer Vertreter gleich sein. Ihre Sprache soll in der Versammlung, in den Protokollen, in allem gleichberechtigt sein. Kurz, die D&auml;nen machen den Deutschen alle m&ouml;glichen Konzessionen, und die Deutschen beharren auf ihrem abgeschmackten Nationaleigensinn. Die Deutschen sind nie national gewesen, wo die Interessen der <A NAME="S517"><B>&lt;517&gt;</A></B> Nationalit&auml;t und die Interessen des Fortschritts zusammenfielen; sie waren es stets, wo die Nationalit&auml;t sich gegen den Fortschritt kehrte. Wo es galt, national zu sein, da spielten sie die Kosmopoliten; wo es galt, nicht unmittelbar national zu sein, da waren sie bis zur Abgeschmacktheit national. In allen F&auml;llen machten sie sich l&auml;cherlich.</P>
<P>Entweder sind die Bewohner der Herzogt&uuml;mer t&uuml;chtige Leute und weiter fortgeschritten als die D&auml;nen; dann werden sie in der St&auml;ndekammer das &Uuml;bergewicht &uuml;ber die D&auml;nen bekommen und haben sich nicht zu beklagen. Oder sie sind deutsche Schlafm&uuml;tzen und stehen an industrieller und politischer Entwicklung hinter den D&auml;nen zur&uuml;ck, und dann ist es hohe Zeit, da&szlig; sie von den D&auml;nen ins Schlepptau genommen werden. Aber es ist wirklich zu absurd, da&szlig; diese biderben Schleswig-Holsteiner die 40 Millionen Deutsche um H&uuml;lfe gegen die D&auml;nen anflehen und [sich] weigern, sich auf ein Schlachtfeld zu stellen, auf dem sie mit denselben Vorteilen k&auml;mpfen wie ihre Gegner; es ist zu absurd, da&szlig; sie die Polizei des Deutschen Bundes anrufen gegen eine Konstitution.</P>
<P>F&uuml;r Preu&szlig;en ist die d&auml;nische Konstitution ein &auml;hnlicher Schlag wie die neapolitanische f&uuml;r &Ouml;streich, obwohl sie selbst nur die R&uuml;ckwirkung des fehlgeschlagenen preu&szlig;ischen Konstitutionsexperiments vom 3. Februar ist. Die preu&szlig;ische Regierung bekommt zu ihren vielen Verlegenheiten noch die Nachbarschaft eines neuen konstitutionellen Staats hinzu; sie verliert zugleich einen treuen Sch&uuml;tzling und Bundesgenossen.</P>
<P>W&auml;hrend Italien und D&auml;nemark so in die Reihe der konstitutionellen Staaten getreten sind, bleibt Deutschland zur&uuml;ck. Alle V&ouml;lker schreiten fort, die kleinsten, schw&auml;chsten Nationen finden in den europ&auml;ischen Verwicklungen immer einen Moment, wo sie trotz ihrer gro&szlig;en, reaktion&auml;ren Nachbarn eine moderne Institution nach der andern erhaschen k&ouml;nnen. Nur die 40 Millionen Deutsche r&uuml;hren sich nicht. Sie schlafen zwar nicht mehr, aber sie schwatzen und kannegie&szlig;ern nur noch, sie handeln noch nicht.</P>
<P>Aber wenn die deutschen Regierungen etwa auf diese Furcht der Bourgeois vor dem Handeln gro&szlig;e Hoffnungen bauen sollten, so w&uuml;rden sie sich sehr t&auml;uschen. Die Deutschen sind die letzten, weil ihre Revolution eine ganz andere sein wird als die sizilianische. Die deutschen Bourgeois und Spie&szlig;b&uuml;rger wissen sehr gut, da&szlig; hinter ihnen ein t&auml;glich wachsendes Proletariat steht, welches am Tage nach der Revolution ganz andre Forderungen stellen wird, als sie selbst w&uuml;nschen. Die deutschen Bourgeois und Spie&szlig;b&uuml;rger benehmen sich daher auf eine feige, unentschiedene, schwankende Weise, sie f&uuml;rchten einen Zusammensto&szlig; nicht weniger, als sie die Regierung f&uuml;rchten.</P>
<B><P><A NAME="S518">&lt;518&gt;</A></B> Eine deutsche Revolution ist eine ganz anders ernsthafte Sache als eine neapolitanische. In Neapel stehen sich blo&szlig; &Ouml;streich und England gegen&uuml;ber; in einer deutschen Revolution stehen sich der ganze Osten und der ganze Westen gegen&uuml;ber. Eine neapolitanische Revolution hat von selbst ihr Ziel erreicht, sobald entschiedene Bourgeois-Institutionen erobert sind; eine deutsche f&auml;ngt erst recht an, wenn sie so weit gekommen ist.</P>
<P>Daher m&uuml;ssen die Deutschen erst vor allen &uuml;brigen Nationen gr&uuml;ndlich kompromittiert sein, sie m&uuml;ssen noch mehr, wie sie es schon sind, zum Gesp&ouml;tt von ganz Europa werden, sie m&uuml;ssen <I>gezwungen </I>werden, die Revolution zu machen. Dann aber werden sie auch aufstehen, nicht die feigen deutschen B&uuml;rger, sondern die deutschen Arbeiter; sie werden sich erheben, der ganzen unsaubern, verworrenen offiziellen deutschen Wirtschaft ein Ende machen und durch eine radikale Revolution die deutsche Ehre wiederherstellen.</P>
<P><HR></P>
<P>Amerkungen F. E.</P>
<P><A NAME="M1">(1)</A> Palermo mit 200.000 Einwohnern besiegte 13.000 Mann, Paris mit einer Million Einwohner besiegte in der Julirevolution 7.000 bis 8.000 Mann. <A HREF="me04_514.htm#Z1">&lt;=</A>&nbsp;</P></BODY>
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