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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<TITLE>Friedrich Engels - Po und Rhein</TITLE>
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<P ALIGN="CENTER"><A href="../default.htm">Zur&uuml;ck zum Gesamtverzeichnis Karl Marx/Friedrich Engels - Werke</A></P>
<FONT SIZE=2><P>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 13, 7. Auflage 1971, unver&auml;nderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 225-268.</P>
<P>1. Korrektur<BR>
Erstellt am 04.08.1998</P>
</FONT><H2>Friedrich Engels</H2>
<H1>Po und Rhein</H1>
<FONT SIZE=2><P>Geschrieben Ende Februar/Anfang M&auml;rz 1859.<BR>
Erschienen 1859 als anonyme Brosch&uuml;re bei Franz Duncker, Berlin.</P>
<P>Der vorliegende Text fu&szlig;t auf dieser Ausgabe. Die Korrektur sinnver&auml;ndernder Druckfehler wird in Anmerkungen verzeichnet.</P>
</FONT><P><HR></P>
<FONT SIZE=4><P ALIGN="CENTER">I</P>
</FONT><B><P><A NAME="S227">&lt;227&gt;</A></B> Seit Anfang dieses Jahres ist es zum Stichwort eines gro&szlig;en Teils der deutschen Presse geworden, da&szlig; <I>der Rhein am Po verteidigt werden mu&szlig;</I>.</P>
<P>Dies Stichwort hatte seine volle Berechtigung gegen&uuml;ber den bonapartischen R&uuml;stungen und Drohungen. Mit richtigem Instinkt wurde es in Deutschland herausgef&uuml;hlt, da&szlig;, wenn der Po f&uuml;r Louis-Napoleon der Vorwand war, der Rhein unter allen Umst&auml;nden sein Endziel sein mu&szlig;te. Nur ein Krieg um die Rheingrenze kann m&ouml;glicherweise den Blitzableiter abgeben gegen die beiden den Bonapartismus im Innern Frankreichs bedrohenden Elemente: die "patriotische &Uuml;berkraft" der revolution&auml;ren Massen und das g&auml;rende Mi&szlig;behagen der "Bourgeoisie". Den einen g&auml;be es nationale Besch&auml;ftigung, den andern die Aussicht auf einen neuen Markt. Das Gerede von der Befreiung Italiens konnte daher in Deutschland nicht mi&szlig;verstanden werden. Es war der Fall des alten Sprichworts: Man schl&auml;gt den Sack und meint den Esel. Fand Italien sich veranla&szlig;t, den Sack vorzustellen, so hatte doch Deutschland diesmal keine Lust, den Esel abzugeben.</P>
<P>Die Behauptung des Po hatte also im vorliegenden Fall einfach die Bedeutung: da&szlig; Deutschland, mit einem Angriff bedroht, bei dem es sich in letzter Instanz um den Besitz einiger seiner besten Provinzen handelte, in keiner Weise daran denken konnte, eine seiner st&auml;rksten, ja geradezu seine st&auml;rkste milit&auml;rische Position ohne Schwertstreich aufzugeben. In diesem Sinn war allerdings ganz Deutschland bei der Verteidigung des Po interessiert. Am Vorabend eines Kriegs wie im Kriege selbst besetzt man jede benutzbare Stellung. von der aus man den Feind bedrohen und ihm schaden kann, ohne moralische Reflexionen dar&uuml;ber anzustellen, ob dies mit der ewigen Gerechtigkeit und dem Nationalit&auml;tsprinzip vereinbar ist. Man wehrt sich eben seiner Haut.</P>
<P>Diese Art, den Rhein am Po zu verteidigen, ist aber sehr zu unterscheiden von der Tendenz sehr vieler deutscher Milit&auml;rs und Politiker, den Po, d.h. die Lombardei und Venedig, f&uuml;r ein unentbehrliches strategisches <A NAME="S228"><B>&lt;228&gt;</A></B> Komplement und sozusagen f&uuml;r einen integrierenden Teil Deutschlands zu erkl&auml;ren. Diese Ansicht ist besonders seit den Feldz&uuml;gen in Italien 1848 und 1849 aufgestellt und theoretisch verteidigt worden; so vom General <I>von Radowitz </I>in der Paulskirche, vom General <I>von Willisen</I> in seinem "Italienischen Feldzug des Jahres 1848". Im au&szlig;er&ouml;streichischen S&uuml;ddeutschland hat besonders der bayerische General <I>von Hailbronner</I> mit einer gewissen an Begeistrung streifenden Vorliebe dies Thema behandelt. Das Hauptargument ist immer politischer Natur: Italien sei total au&szlig;erstande, unabh&auml;ngig zu bleiben; entweder Deutschland oder Frankreich m&uuml;sse in Italien herrschen; z&ouml;gen sich die &Ouml;streicher heute aus Italien zur&uuml;ck, so st&auml;nden morgen die Franzosen im Etschtale und an den Toren von Triest, und die ganze S&uuml;dgrenze Deutschlands sei entbl&ouml;&szlig;t dem "Erbfeinde" preisgegeben. Darum behaupte &Ouml;streich die Lombardei im Namen und Interesse Deutschlands.</P>
<P>Man sieht, die milit&auml;rischen Autorit&auml;ten f&uuml;r diese Ansicht geh&ouml;ren zu den ersten Deutschlands. Trotzdem m&uuml;ssen wir ihr entschieden entgegentreten.</P>
<P>Zu einem mit wahrem Fanatismus verteidigten Glaubensartikel aber wird diese Ansicht in der Augsburger "Allgemeinen Zeitung", die sich zum Moniteur der deutschen Interessen in Italien aufgeworfen hat. Dies christlich-germanische Blatt, trotz seines Hasses gegen Juden und T&uuml;rken, lie&szlig;e eher sich selbst beschneiden als das "deutsche" Gebiet in Italien. Was von den politisierenden Gener&auml;len schlie&szlig;lich doch nur als eine pr&auml;chtige milit&auml;rische Position in den H&auml;nden Deutschlands verteidigt wird, das ist in der Augsburger "Allg[emeinen] Zeitung" ein wesentlicher Bestandteil einer politischen Theorie. Wir meinen jene "mitteleurop&auml;ische Gro&szlig;machtstheorie", die aus &Ouml;streich, Preu&szlig;en und dem &uuml;brigen Deutschland einen Bundesstaat unter &Ouml;streichs vorwiegendem Einflu&szlig; errichten, Ungarn und die slawisch-rum&auml;nischen Donaul&auml;nder durch Kolonisation, Schulen und sanfte Gewalt germanisieren, den Schwerpunkt dieses L&auml;nderkomplexes dadurch mehr und mehr nach S&uuml;dosten, nach Wien verlegen und nebenbei auch Elsa&szlig; und Lothringen wiedererobern m&ouml;chte. Die "mitteleurop&auml;ische Gro&szlig;macht" soll eine Art Wiedergeburt des Heiligen R&ouml;mischen Reichs Deutscher Nation sein und scheint unter andern auch den Zweck zu haben, die weiland &ouml;streichischen Niederlande sowie Holland sich als Vasallenstaaten einzuverleiben. Des Deutschen Vaterland wird ungef&auml;hr zweimal so weit reichen, als jetzt die deutsche Zunge klingt; und wenn das alles in Erf&uuml;llung gegangen ist, dann ist Deutschland der Schiedsrichter und Herr Europas. Da&szlig; sich dies alles aber erf&uuml;lle, daf&uuml;r ist auch schon gesorgt. Die Romanen sind im akuten Verfall begriffen, die Spanier und Italiener sind bereits total <A NAME="S229"><B>&lt;229&gt;</A></B> zugrunde gegangen, und die Franzosen erleben in diesem Augenblicke ebenfalls ihre Aufl&ouml;sung. Auf der andern Seite sind die Slawen unf&auml;hig zur wahren modernen Staatenbildung und haben den welthistorischen Beruf, germanisiert zu werden, wobei dann das haupts&auml;chlichste Werkzeug der Vorsehung wieder das verj&uuml;ngte &Ouml;streich ist. Der einzige Stamm, der sich noch sittliche Kraft und historische Bef&auml;higung bewahrt hat, sind also die Germanen, und von diesen sind die Engl&auml;nder auch so tief in insularen Egoismus und Materialismus versunken, da&szlig; man ihren Einflu&szlig;, ihren Handel und ihre Industrie durch kr&auml;ftige Schutzz&ouml;lle, durch eine Art rationellen Kontinentalsystems vom europ&auml;ischen Festland entfernt halten mu&szlig;. Auf diese Weise kann es dem deutschen sittlichen Ernst und der jugendlichen mitteleurop&auml;ischen Gro&szlig;macht gar nicht fehlen, da&szlig; diese letztere binnen kurzem die Weltherrschaft zu Wasser und zu Lande an sich rei&szlig;t und eine neue geschichtliche &Auml;ra einweiht, bei der Deutschland seit langer Zeit endlich einmal wieder die erste Violine spielt und die &uuml;brigen Nationen nach ihr tanzen.</P><DIR>
<DIR>
<DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Franzosen und Russen geh&ouml;rt das Land, <BR>
Das Meer geh&ouml;rt den Briten;<BR>
Wir aber besitzen im Luftreich des Traums<BR>
Die Herrschaft unbestritten.</P></DIR>
</DIR>
</DIR>
</DIR>
</FONT><P>Auf die politische Seite dieser patriotischen Phantasien einzugehn, kann uns hier nicht einfallen. Wir haben sie nur eben im Zusammenhang skizziert, damit man uns nicht etwa sp&auml;ter diese s&auml;mtlichen Herrlichkeiten als neue Beweisgr&uuml;nde f&uuml;r die Notwendigkeit der "deutschen" Herrschaft in Italien wieder vorf&uuml;hrt. Uns interessiert hier einzig die milit&auml;rische Frage: Bedarf Deutschland zu seiner Verteidigung die permanente Herrschaft &uuml;ber Italien und speziell den vollen milit&auml;rischen Besitz der Lombardei und Venedigs?</P>
<P>Die Frage auf ihren reinsten milit&auml;rischen Ausdruck reduziert, lautet: Bedarf Deutschland zur Verteidigung seiner S&uuml;dgrenze den Besitz der Etsch, des Mincio und des unteren Po, mit den Br&uuml;ckenk&ouml;pfen Peschiera und Mantua?</P>
<P>Ehe wir sie zu beantworten versuchen, bemerken wir vorher noch ausdr&uuml;cklich: Wenn wir hier von Deutschland reden, so verstehen wir darunter eine einige Macht, deren milit&auml;rische Kr&auml;fte und Aktionen &lt;(<I>1859</I>) Nation&gt; von einem Zentrum aus geleitet werden - Deutschland nicht als einen idealen, sondern als einen wirklichen politischen K&ouml;rper. Unter andern Voraussetzungen kann von den politischen und milit&auml;rischen Bed&uuml;rfnissen Deutschlands &uuml;berhaupt keine Rede sein.</P>
<FONT SIZE=4><P ALIGN="CENTER">II</P>
</FONT><B><P><A NAME="S230">&lt;230&gt;</A></B> Noch mehr als Belgien ist Oberitalien seit Jahrhunderten das Schlachtfeld, auf dem Deutsche und Franzosen ihre Kriege gegeneinander ausgefochten haben. Der Besitz Belgiens und des Po-Tals f&uuml;r den Angreifer ist notwendige Bedingung sei es einer deutschen Invasion Frankreichs, sei es einer franz&ouml;sischen Invasion Deutschlands; erst dieser Besitz sichert vollst&auml;ndig Flanken und R&uuml;cken der Invasion. Nur der Fall einer ganz sichern Neutralit&auml;t dieser L&auml;nder k&ouml;nnte eine Ausnahme bilden, und dieser Fall hat bis jetzt nie existiert.</P>
<P>Wenn auf den Schlachtfeldern des Po-Tals indirekt und mittelbar das Geschick Frankreichs und Deutschlands seit dem Tage von Pavia entschieden wurde, so wurde das Geschick Italiens dort gleichzeitig direkt und unmittelbar entschieden. Mit den gro&szlig;en stehenden Heeren der neueren Zeit, mit der wachsenden Macht Frankreichs und Deutschlands, mit dem politischen Zerfallen Italiens verlor das eigentliche alte Italien, s&uuml;dlich des Rubikon, alle milit&auml;rische Bedeutung, und der Besitz des alten Cisalpinischen Galliens zog die Herrschaft &uuml;ber die schmale, langgestreckte Halbinsel unvermeidlich nach sich. In den Bassins des Po und der Etsch, an der genuesischen, romagnolischen und venetianischen K&uuml;ste sa&szlig; die dichteste Bev&ouml;lkerung, konzentrierte sich der bl&uuml;hendste Ackerbau, die t&auml;tigste Industrie, der lebhafteste Handel Italiens. Die Halbinsel, Neapel und der Kirchenstaat, blieben verh&auml;ltnism&auml;&szlig;ig station&auml;r in ihrer gesellschaftlichen Entwicklung; ihre Kriegsmacht hatte seit Jahrhunderten nicht mehr gez&auml;hlt. Wer das Po-Tal besa&szlig;, schnitt die Landverbindung der Halbinsel mit dem &uuml;brigen Festland ab und konnte sie gelegentlich mit leichter M&uuml;he unterwerfen. So die Franzosen zweimal im Revolutionskriege, so die &Ouml;streicher zweimal in diesem Jahrhundert. Daher hat nur das Bassin des Po und der Etsch Bedeutung f&uuml;r den Krieg.</P>
<P>Eingefa&szlig;t auf drei Seiten von der ununterbrochenen Gebirgskette der Alpen und Apenninen und auf der vierten, von Aquileja bis Rimini, vom <A NAME="S231"><B>&lt;231&gt;</A></B> Adriatischen Meer, bildet dies Bassin einen von der Natur sehr scharf markierten Bodenabschnitt, den der Po von West nach Ost durchl&auml;uft. Die s&uuml;dliche oder apenninische Abgrenzung hat kein Interesse f&uuml;r uns hier; die n&ouml;rdliche oder alpinische desto mehr. Ihr schneebedeckter R&uuml;cken ist nur an wenigen Stellen auf chaussierten Wegen zu passieren; selbst die Zahl der Fahr- und Saumwege und der Fu&szlig;pfade ist beschr&auml;nkt; langgestreckte Taldefileen f&uuml;hren zu den P&auml;ssen &uuml;ber das Hochgebirg.</P>
<P>Die deutsche Grenze umfa&szlig;t Norditalien von der M&uuml;ndung des Isonzo bis zum Stilfser Joch; von da bis Genf reicht die Grenze der Schweiz; von Genf bis zur M&uuml;ndung des Var st&ouml;&szlig;t Frankreich an. Vom Adriatischen Meer bis zum Stilfser Joch, nach Westen gerechnet, f&uuml;hrt jeder folgende Pa&szlig; immer tiefer ins Herz des Po-Bassins, umgeht also alle weiter &ouml;stlich liegenden Stellungen einer italienischen oder franz&ouml;sischen Armee. Die Grenzlinie des Isonzo wird gleich durch den ersten Pa&szlig; von Karfreit (Caporetto) auf Cividale umgangen. Der Pa&szlig; von Pontafel umgeht die Stellung am Tagliamento, die auch noch von zwei nichtchaussierten P&auml;ssen aus K&auml;rnten und Cadore in die Flanke genommen wird. Der Brennerpa&szlig; umgeht die Piavelinie durch den Peutelsteiner Pa&szlig; von Brunecken auf Cortina d'Ampezzo und Belluno, die Brentalinie durch die Val Sugana auf Bassano, die Etschlinie durch das Etschtal, den Chiese durch Judikarien, den Oglio auf nichtchaussierten Wegen &uuml;ber den Tonale und endlich alles Gebiet &ouml;stlich der Adda &uuml;ber das Stilfser Joch und durch das Veltlin.</P>
<P>Man sollte sagen, da&szlig; bei einer so g&uuml;nstigen strategischen Lage der wirkliche Besitz der Ebenen bis zum Po uns Deutschen ziemlich gleichg&uuml;ltig sein k&ouml;nnte. Wo will, bei gleichen Kr&auml;ften, die feindliche Armee sich &ouml;stlich von der Adda oder n&ouml;rdlich vom Po aufstellen? Alle ihre Stellungen sind umgangen; wo sie den Po oder die Adda auch &uuml;berschreitet, ihre Flanke ist bedroht; zieht sie sich s&uuml;dlich vom Po, so gef&auml;hrdet sie ihre Verbindung mit Mailand und Piemont, geht sie hinter den Tessin, so riskiert sie ihren Zusammenhang mit der ganzen Halbinsel. W&auml;re sie verwegen genug, offensiv in der Richtung auf Wien vorzugehn, so kann sie jeden Tag abgeschnitten und gen&ouml;tigt werden, mit dem R&uuml;cken nach dem feindlichen Lande, mit der Front nach Italien eine Schlacht zu liefern. Wird sie dann geschlagen, so ist es ein zweites Marengo mit gewechselten Rollen; schl&auml;gt sie die Deutschen, so m&uuml;ssen diese sich sehr albern anstellen, wenn sie ihren R&uuml;ckzug nach Tirol verlieren.</P>
<P>Der Bau der Stra&szlig;e &uuml;ber das Stilfser Joch ist der Beweis, da&szlig; die &Ouml;streicher aus ihrer Niederlage von Marengo das Richtige gelernt haben. Napoleon baute die Simplonstra&szlig;e, um einen gedeckten Aufgang nach dem Herzen <A NAME="S232"><B>&lt;232&gt;</A></B> Italiens zu haben; die &Ouml;streicher erg&auml;nzten ihr System offensiver Verteidigung in der Lombardei durch die Stra&szlig;e von Stilfs nach Bormio. Man wird sagen, dieser Pa&szlig; sei zu hoch, um im Winter praktikabel zu bleiben; die ganze Route sei zu schwierig, indem sie auf einer Entfernung von mindestens f&uuml;nfzig deutschen Meilen (von F&uuml;ssen in Bayern bis Lecco am Comer See) fortw&auml;hrend durch unwirtbares Hochgebirg geht und auf diese Strecke drei Gebirgsp&auml;sse kommen; da&szlig; sie endlich in dem langen Defilee am Comer See und im Hochgebirge selbst leicht zu sperren sei. Sehen wir zu.</P>
<P>Der Pa&szlig; ist allerdings der h&ouml;chste fahrbare in der ganzen Alpenkette, 8.600 Fu&szlig;, und mag im Winter stark verschneien. Wenn wir uns indes der Winterkampagne Macdonalds 1800 bis 1801, an Spl&uuml;gen und Tonale erinnern, so werden wir auf solche Hindernisse nicht viel geben. Alle Alpenp&auml;sse verschneien im Winter und werden darum doch passiert. Die jetzt seit Armstrongs Herstellung einer brauchbaren, von hinten geladenen, gezogenen Kanone schwerlich noch aufschiebbare Umgestaltung aller Artillerien wird auch leichteres Gesch&uuml;tz in die Feldartillerie einf&uuml;hren und dadurch die Beweglichkeit erleichtern. Ein ernsthafteres Hindernis ist der lange Marsch im Hochgebirge und die wiederholte Gebirgs&uuml;bersteigung. Der Stilfser Pa&szlig; geht nicht &uuml;ber die Wasserscheide der nord- und s&uuml;dalpinischen Fl&uuml;sse, sondern &uuml;ber die zwei adriatischen Gew&auml;sser der Etsch und Adda, und setzt daher voraus, da&szlig; die Hauptkette der Alpen vorher am Brenner- oder Finsterm&uuml;nzpa&szlig; &uuml;berstiegen worden, um vom Inntal ins Etschtal zu gelangen. Da nun der Inn in Tirol ziemlich von Westen nach Osten zwischen zwei Bergketten l&auml;uft, so m&uuml;ssen Truppen vom Bodensee und aus Bayern auch noch die n&ouml;rdlichere dieser Bergketten &uuml;bersteigen, so da&szlig; wir im ganzen zwei oder drei Bergp&auml;sse auf dieser einen Route haben. So beschwerlich dies ist, so ist dies doch kein entscheidendes Hindernis, eine Armee auf diesem Wege nach Italien zu f&uuml;hren. Eine Eisenbahn im Inntal, die schon teilweise fertig, und die im Etschtal projektierte Bahn wird diesen &Uuml;belstand bald auf ein Minimum reduzieren. Napoleons Weg &uuml;ber den Bernhard von Lausanne bis Ivrea f&uuml;hrte zwar nur ungef&auml;hr 30 Meilen durchs Hochgebirge; aber der Weg von Udine nach Wien, auf dem Napoleon 1797 vordrang und auf dem 1809 Eug&egrave;ne und Macdonald sich mit Napoleon bei Wien vereinigten, l&auml;uft &uuml;ber 60 Meilen lang durchs Hochgebirg und f&uuml;hrt ebenfalls &uuml;ber drei Alpenp&auml;sse. Der Weg von Pont-de-Beauvoisin &uuml;ber den Kleinen Bernhard nach Ivrea, die Route, die, ohne die Schweiz zu ber&uuml;hren, direkt von Frankreich am weitesten nach Italien hineinf&uuml;hrt, also zum Umgehen die geschickteste ist, zieht sich <A NAME="S233"><B>&lt;233&gt;</A></B> auch &uuml;ber 40 Meilen durchs Hochgebirg, und ebenso die Simplonstra&szlig;e von Lausanne nach Sesto Calende. - Was endlich das Sperren der Stra&szlig;e im Passe selbst oder am Comer See angeht, so ist man seit den Feldz&uuml;gen der Franzosen in den Alpen nicht so geneigt mehr, an die Wirksamkeit von Sperrpunkten zu glauben. Dominierende H&ouml;hen und die M&ouml;glichkeit der Umgehung machen sie ziemlich nutzlos; die Franzosen nahmen viele mit Sturm und sind nie ernstlich durch die Befestigungen der P&auml;sse aufgehalten worden. Die etwaigen Befestigungen des Passes auf der italienischen Seite sind &uuml;ber den Cevedale, den Monte Corno und Gavia und den Tonale und Aprica zu umgehen. Aus dem Veltlin f&uuml;hren viele Saumwege nach der Bergamasca, und die Absperrung des langen Defilees am Comer See ist teils hierdurch, teils von Dervio aus oder von Bellano durch die Val Sassina zu umgehen. Im Gebirgskrieg ist ein Vordringen mit mehreren Kolonnen ohnehin geboten, und wenn eine durchdringt, ist der Zweck gew&ouml;hnlich erreicht.</P>
<P>Wie sehr die schwierigsten P&auml;sse so ziemlich zu allen Jahreszeiten praktikabel sind, wenn man nur gute Truppen und entschlossene Generale hinschickt; wie sehr also auch geringf&uuml;gige Nebenp&auml;sse, selbst nicht fahrbare, als gute Operationslinien besonders zu Umgehungen zu gebrauchen sind; und wie wenig Sperrpunkte n&uuml;tzen - das beweisen am besten die Feldz&uuml;ge in den Alpen von 1796 bis 1801. Damals war noch kein einziger Alpenpa&szlig; chaussiert, und trotzdem gingen die Armeen in allen Direktionen &uuml;ber die Berge. 1799 ging schon anfangs M&auml;rz Loison mit einer franz&ouml;sischen Brigade auf Fu&szlig;pfaden &uuml;ber die Wasserscheide zwischen Reu&szlig; und Rhein, w&auml;hrend Lecourbe &uuml;ber den Bernhardin und die Viamala ging, von dort den Albula-Julier-Pa&szlig; &uuml;berstieg (7.100 Fu&szlig; hoch) und schon am 24. M&auml;rz das Defilee von Martinsbruck durch Umgehung nahm, indem er Dessolle durch das M&uuml;nstertal &uuml;ber den Pisoc und das Wormser Joch (Fu&szlig;weg 7.850 Fu&szlig; hoch) ins obere Etschtal und von dort auf die Reschen-Scheideck sandte. Anfangs Mai zog Lacourbe sich wieder &uuml;ber den Albula zur&uuml;ck.</P>
<P>Im September desselben Jahres erfolgte Suworows Zug, auf dem, wie der alte Soldat sich in seiner gewaltsamen Bildersprache ausdr&uuml;ckte, das russische Bajonett durch die Alpen drang (Ruskij <20>tyk prognal cres Alpow). Er sandte seine Artillerie gr&ouml;&szlig;tenteils &uuml;ber den Spl&uuml;gen, lie&szlig; eine Umgehungskolonne durch die Val Blegno &uuml;ber den Lukmanier (Fu&szlig;pfad, 5.948 Fu&szlig;) und von dort &uuml;ber den Sixmadun (6.500 Fu&szlig; ungef&auml;hr) in das obere Reu&szlig;tal eindringen, w&auml;hrend er selbst den damals kaum fahrbaren Weg des Sankt Gotthard passierte (6.594 Fu&szlig;). Den Sperrpunkt der Teufelsbr&uuml;cke erst&uuml;rmte er am 24. bis 26. September; aber bei Altdorf angekommen, vor sich den See und auf allen andern Seiten die Franzosen, blieb ihm nichts als das Sch&auml;chen- <A NAME="S234"><B>&lt;234&gt;</A></B> tal hinauf &uuml;ber den Kinzig-Kulm ins Muotatal zu gehen. Dort angekommen, nachdem er alle Artillerie und Bagage im Reu&szlig;tal gelassen, fand er die Franzosen wieder in &Uuml;bermacht vor sich, w&auml;hrend Lecourbe ihm auf den Fersen sa&szlig;. Suworow ging &uuml;ber den Pragel ins Kl&ouml;ntal, um auf diesem Wege die Rheinebene zu gewinnen. Im Defilee von N&auml;fels stie&szlig; er auf un&uuml;berwindlichen Widerstand, und blieb ihm nichts &uuml;brig, als auf dem Fu&szlig;pfad &uuml;ber den Panixer Pa&szlig;, 8.000 Fu&szlig; hoch, das obere Rheintal und die Verbindung mit dem Spl&uuml;gen zu gewinnen. Am 6. Oktober begann der &Uuml;bergang, am 10. war das Hauptquartier in Ilanz. Diese Passage war bis dahin der gro&szlig;artigste aller modernen Alpen&uuml;berg&auml;nge.</P>
<P>Von Napoleons &Uuml;bergang &uuml;ber den Gro&szlig;en Bernhard wollen wir nicht viel sagen. Gegen die &uuml;brigen &auml;hnlichen Operationen jener Zeit steht sie zur&uuml;ck. Die Jahreszeit war g&uuml;nstig, und das einzig Bemerkenswerte ist die geschickte Manier, wie der Sperrpunkt Fort Bard umgangen wurde.</P>
<P>Dagegen verdienen besonders r&uuml;hmliche Erw&auml;hnung Macdonalds Operationen im Winter 1800/1801. Bestimmt, mit 15.000 Mann als linker Fl&uuml;gel der franz&ouml;sischen Armee von Italien den rechten Fl&uuml;gel der &Ouml;streicher an Mincio und Etsch zu umgehen, passierte er <I>im tiefsten Winter mit allen Waffengattungen </I>den Spl&uuml;gen (6.510 Fu&szlig;). Unter den gr&ouml;&szlig;ten M&uuml;hseligkeiten, oft durch Lawinen und Schneest&uuml;rme unterbrochen, f&uuml;hrte er vom 1. bis 7. Dezember seine Armee &uuml;ber den Pa&szlig; und marschierte die Adda hinauf durchs Veltlin an den Aprica. Die &Ouml;streicher scheuten sich ebensowenig vor dem Hochgebirgswinter. Sie behielten den Albula, Julier und Braulio (Wormser Joch) besetzt und machten am letzteren sogar einen &Uuml;berfall, bei dem sie ein Detachement demontierter franz&ouml;sischer Husaren gefangennahmen. Nachdem Macdonald den Apricapa&szlig; vom Adda- ins Ogliotal &uuml;berstiegen hatte, erstieg er den sehr hohen Pa&szlig; des Tonale auf Fu&szlig;pfaden und griff die &Ouml;streicher am 22. Dezember an, die das Defilee im Pa&szlig; mit Eisbl&ouml;cken verschanzt hatten. Sowohl an diesem Tage wie im zweiten Angriff (31. Dezember - er war also neun Tage im Hochgebirge geblieben!) zur&uuml;ckgeworfen, ging er die Val Camonica herab bis zum Lago d'Iseo, schickte Kavallerie und Artillerie &lt;(<I>1859</I>) Infanterie&gt; durch die Ebene und &uuml;berstieg mit der Infanterie die drei Bergr&uuml;cken, die nach Val Trompia, Val Sabbia und nach Judikarien f&uuml;hrten, wo er, in Storo, schon am 6. Januar ankam. Baraguay d'Hilliers war gleichzeitig aus dem Inntal &uuml;ber die Reschen-Scheideck (Finsterm&uuml;nzpa&szlig;) ins obere Etschtal gegangen. - Wenn solche Man&ouml;ver vor sechzig Jahren m&ouml;g- <A NAME="S235"><B>&lt;235&gt;</A></B> lich waren, was k&ouml;nnen wir jetzt nicht tun, wo wir in den meisten P&auml;ssen die sch&ouml;nsten Chausseen haben!</P>
<P>Schon aus diesen Skizzen sehen wir, da&szlig; von allen Sperrpunkten nur diejenigen einige Haltbarkeit besa&szlig;en, die aus Ungeschick oder Mangel an Zeit nicht umgangen wurden. Der Tonale z.B. war unhaltbar, sobald Baraguay d'Hilliers im oberen Etschtal erschien. Die &uuml;brigen Kampagnen beweisen, da&szlig; sie entweder durch Umgehung, aber oft auch durch Sturm genommen wurden. Luziensteig wurde zwei- oder dreimal gest&uuml;rmt, ebenso Malborgeth im Pontafelpa&szlig; 1797 und 1809. Die Tiroler Sperrpunkte hielten weder Joubert 1797 noch Ney 1805 auf. Man wei&szlig;, was Napoleon behauptet, da&szlig; auf Wegen umgangen werden k&ouml;nne, die f&uuml;r eine Ziege praktikabel seien. Und seitdem man auf diese Weise Krieg f&uuml;hrt, sind alle Sperrpunkte zu umgehen.</P>
<P>Es ist demnach nicht abzusehen, wie bei gleichen Kr&auml;ften eine feindliche Armee die Lombardei &ouml;stlich von der Adda gegen eine &uuml;ber die Alpen vordringende deutsche Armee im freien Felde verteidigen kann. Es bliebe ihr nur noch die Chance, sich zwischen den bestehenden oder neu zu errichtenden Festungen aufzustellen und zwischen diesen zu man&ouml;vrieren. Diese M&ouml;glichkeit werden wir weiter unten erw&auml;gen.</P>
<P>Welche P&auml;sse stehen nun Frankreich offen, um in Italien einzudringen? W&auml;hrend Deutschland die eine H&auml;lfte der Nordgrenze Italiens ganz umfa&szlig;t, l&auml;uft die franz&ouml;sische Grenze in ziemlich grader Linie von Norden nach S&uuml;den, umfa&szlig;t und umgeht gar nichts. Erst wenn Savoyen und ein Teil des genuesischen K&uuml;stenlandes erobert ist, k&ouml;nnen &uuml;ber den Kleinen Bernhard und einige Seealpenp&auml;sse Umgehungen vorbereitet werden, deren Wirkung indes blo&szlig; bis an die Sesia und die Bormida geht, also weder die Lombardei noch die Herzogt&uuml;mer, geschweige denn die Halbinsel erreicht. Nur eine Landung in Genua, die indes f&uuml;r eine gro&szlig;e Armee doch wohl ihre Schwierigkeiten haben wird, k&ouml;nnte zu einer Umgehung von ganz Piemont f&uuml;hren; eine Landung weiter &ouml;stlich, z.B. in der Spezia, k&ouml;nnte sich schon nicht mehr auf Piemont und Frankreich basieren, sondern nur auf die Halbinsel und w&auml;re daher in demselben Ma&szlig;e umgangen, wie sie selbst umginge.</P>
<P>Bis jetzt haben wir die Schweiz als neutral vorausgesetzt. F&uuml;r den Fall, da&szlig; sie in den Krieg hineingezogen w&uuml;rde, bek&auml;me Frankreich einen Pa&szlig; mehr zur Verf&uuml;gung: den Simplon (der Gro&szlig;e Bernhard, auf Aosta f&uuml;hrend wie der Kleine, w&uuml;rde keine neuen Vorteile bieten au&szlig;er der k&uuml;rzeren Linie). Der Simplon f&uuml;hrt an den Tessin und deckt dadurch den Franzosen Piemont. Die Deutschen erhielten in derselben Weise den untergeordneten Spl&uuml;gen, der am Comer See mit der Stilfser Stra&szlig;e zusammenst&ouml;&szlig;t, und den Bernhardin, dessen Wirkung bis an den Tessin reicht. Der Gotthard k&ouml;nnte nach <A NAME="S236"><B>&lt;236&gt;</A></B> Umst&auml;nden beiden Parteien dienen, w&uuml;rde ihnen aber wenig neue Flankenvorteile er&ouml;ffnen. So sehen wir, da&szlig; der Einflu&szlig; einer franz&ouml;sischen Umgehung durch die Alpen einerseits und der einer deutschen andererseits bis zur jetzigen lombardisch-piemontesischen Grenze, bis an den Tessin reicht. Wenn aber die Deutschen am Tessin, wenn sie nur bei Piacenza und Cremona stehen, so verlegen sie den Franzosen den Landweg nach der italienischen Halbinsel. Mit andern Worten: Wenn Frankreich Piemont dominiert, so dominiert Deutschland das ganze &uuml;brige Italien.</P>
<P>Ein taktischer Vorteil kommt den Deutschen au&szlig;erdem noch zugut: Auf der ganzen deutschen Grenzlinie ist bei allen wichtigen Passen - das Stilfser Joch ausgenommen - die Wasserscheide auf deutschem Gebiet. Der Fella im Pontafelpa&szlig; entspringt in K&auml;rnten, der Boite im Peutelsteiner Pa&szlig; in Tirol. In dieser letzteren Provinz ist der Vorteil entscheidend. Das obere Brentatal (Val Sugana), das obere Chiesetal (Judikarien) und mehr als die H&auml;lfte des Laufs der Etsch geh&ouml;ren zu Tirol. Wenn auch im einzelnen Fall nicht ohne genaues Studium der Lokalit&auml;t zu entscheiden ist, ob wirklich taktischer Vorteil aus dem Besitz der Wasserscheide bei Hochgebirgsp&auml;ssen hervorgeht, so ist doch so viel sicher, da&szlig; im Durchschnitt die Chancen der &Uuml;berh&ouml;hung wie der Umgehung auf seiten dessen sind, der den Gebirgskamm und ein St&uuml;ck des Abhangs auf der feindlichen Seite besetzt h&auml;lt; und da&szlig; man ferner dadurch in den Stand gesetzt wird, die unpraktikabelsten Stellen der Nebenp&auml;sse schon vor Ausbruch des Kriegs f&uuml;r alle Waffen gangbar zu machen, was in Tirol von entscheidender Wichtigkeit f&uuml;r die Verbindungen werden kann. Wenn dies Vordringen unseres Gebiets auf die feindliche Seite erst die Ausdehnung erh&auml;lt, die das deutsche Bundesgebiet in S&uuml;dtirol hat, wenn, wie hier, die beiden Mauptp&auml;sse, der Brenner- und Finsterm&uuml;nzpa&szlig;, weitab von der feindlichen Grenze zur&uuml;ckliegen; wenn au&szlig;erdem entscheidende Nebenp&auml;sse wie die durch Judikarien und die Val Sugana ganz dem deutschen Gebiet angeh&ouml;ren, so sind dadurch die taktischen Bedingungen einer Invasion Oberitaliens so enorm erleichtert, da&szlig; sie im Kriegsfall nur mit Verstand benutzt zu werden brauchen, um den Erfolg sicherzustellen.</P>
<P>Solange die Schweiz neutral bleibt, ist also Tirol, und sobald die Neutralit&auml;t der Schweiz aufh&ouml;rt, ist Graub&uuml;nden und Tirol (das Inntal und Rheintal) der geradeste Weg f&uuml;r ein deutsches Heer, das gegen Italien operiert. Auf dieser Linie drangen die Hohenstaufen nach Italien; auf keiner andern kann ein milit&auml;risch wie <I>ein </I>Staat agierendes Deutschland mit raschen Schl&auml;gen entscheidend in Italien wirken. F&uuml;r diese Linie aber ist nicht Inner&ouml;streich, sondern Oberschwaben und Bayern, vom Bodensee bis Salzburg, die Opera- <A NAME="S237"><B>&lt;237&gt;</A></B> tionsbasis. Im ganzen Mittelalter hat dies gegolten. Erst als &Ouml;streich sich an der Mitteldonau konsolidierte, als Wien Zentralpunkt der Monarchie wurde, als das deutsche Reich zerfiel und in Italien nicht mehr deutsche, sondern nur noch &ouml;streichische Kriege gef&uuml;hrt wurden, erst da wurde die alte, kurze, grade Linie von Innsbruck auf Verona und von Lindau auf Mailand verlassen, erst da trat die lange, krumme, schlechte Linie von Wien &uuml;ber Klagenfurt und Treviso auf Vicenza an ihre Stelle, eine Linie, auf die sich fr&uuml;her eine deutsche Armee nur im &auml;u&szlig;ersten Notfall des bedrohten R&uuml;ckzugs, nie aber f&uuml;r den Angriff verlassen h&auml;tte.</P>
<P>Solange das deutsche Reich als eine wirkliche Milit&auml;rmacht bestand, solange es demgem&auml;&szlig; seine Angriffe gegen Italien auf Oberschwaben und Bayern basierte, solange mochte es die Unterwerfung Oberitaliens aus politischen Gr&uuml;nden anstreben, nie aber aus rein milit&auml;rischen. In den langen K&auml;mpfen um Italien ist die Lombardei bald deutsch, bald unabh&auml;ngig, bald spanisch, bald &ouml;streichisch gewesen; die Lombardei aber, was nicht zu vergessen ist, war von Venedig getrennt, und Venedig war unabh&auml;ngig. Und obwohl die Lombardei Mantua besa&szlig;, so schlo&szlig; sie doch grade die Minciolinie und das Gebiet zwischen Mincio und Isonzo aus, ohne dessen Besitz, wie uns jetzt versichert wird, Deutschland nicht ruhig schlafen kann. Deutschland (durch Vermittelung &Ouml;streichs) ist erst seit 1814 in den vollen Besitz der Minciolinie gekommen. Und wenn auch Deutschland, als politischer K&ouml;rper, im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert eben nicht die brillanteste Rolle gespielt hat, so war doch der mangelnde Besitz der Minciolinie jedenfalls nicht schuld daran.</P>
<P>Allerdings ist die strategische Arrondierung der Staaten und ihre Begrenzung durch verteidigungsf&auml;hige Linien mehr in den Vordergrund getreten, seit die Franz&ouml;sische Revolution und Napoleon beweglichere Armeen geschaffen und mit diesen Armeen Europa in allen Richtungen durchzogen haben. War im Siebenj&auml;hrigen Kriege noch das Operationsfeld einer Armee auf eine blo&szlig;e Provinz beschr&auml;nkt, drehten sich monatelange Man&ouml;ver um einzelne Festungen, Stellungen oder Operationsbasen, so kommt heute in jedem Kriege die Terrainkonfiguration ganzer L&auml;nder in Betracht, und die Wichtigkeit, die fr&uuml;her an einzelne taktische Positionen gekn&uuml;pft war, klebt jetzt nur noch an gro&szlig;en Festungsgruppen, langen Flu&szlig;linien oder hohen, stark ausgesprochenen Gebirgsketten. Und in dieser Beziehung sind Linien wie die des Mincio und der Etsch allerdings von weit gr&ouml;&szlig;erer Bedeutung als fr&uuml;her.</P>
<P>Sehen wir uns also diese Linien einmal an.</P>
<P>Alle Fl&uuml;sse, die &ouml;stlich vom Simplon von den Alpen in die oberitalienische Ebene zum Po oder direkt zum Adriatischen Meer flie&szlig;en, bilden mit dem <A NAME="S238"><B>&lt;238&gt;</A></B> Po oder allein einen nach Osten konkaven Bogen. Sie sind dadurch der Verteidigung einer im Osten stehenden Armee g&uuml;nstiger als der einer im Westen stehenden. Man sehe den Tessin, die Adda, den Oglio, den Chiese, den Mincio, die Etsch, die Brenta, die Piave, den Tagliamento darauf an; jeder Flu&szlig;, allein oder mit dem ansto&szlig;enden Teil des Po zusammen, bildet einen Kreisbogen, dessen Zentrum nach Osten zu liegt. Dadurch wird die auf dem linken (&ouml;stlichen) Ufer stehende Armee bef&auml;higt, eine Zentralstellung r&uuml;ckw&auml;rts zu nehmen, von der aus sie jeden ernsthaft angegriffenen Punkt des Flu&szlig;laufs in verh&auml;ltnism&auml;&szlig;ig kurzer Zeit erreichen kann; sie h&auml;lt die Jominische "innere Linie", sie marschiert auf dem Radius oder der Sehne, w&auml;hrend der Feind auf der l&auml;ngeren Peripherie man&ouml;vrieren mu&szlig;. Findet sich die Armee des rechten Ufers in der Defensive, so wird umgekehrt dieser Umstand ihr ung&uuml;nstig sein; der Feind ist in seinen falschen Angriffen durch die Lokalit&auml;t unterst&uuml;tzt, und dieselben k&uuml;rzeren Entfernungen von den einzelnen Punkten der Peripherie die ihm bei der Verteidigung zugut kommen, geben nun seinem Angriff ein entscheidendes &Uuml;bergewicht. So sind also die lombardisch-venetianisch Flu&szlig;linien durchaus f&uuml;r eine deutsche Armee in Defensive und Offensive g&uuml;nstig, f&uuml;r eine italienische oder italienisch-franz&ouml;sische Armee ung&uuml;nstig; und wenn hierzu noch der schon entwickelte Umstand kommt, da&szlig; die Tiroler P&auml;sse diese s&auml;mtlichen Linien umgehen, so ist wahrlich kein Grund vorhanden, an der Sicherheit Deutschlands zu verzweifeln, selbst wenn kein &ouml;streichischer Soldat mehr auf italienischem Boden st&auml;nde; denn dieser lombardische Boden geh&ouml;rt uns sooft wir wollen.</P>
<P>Diese lombardischen Flu&szlig;linien sind &uuml;brigens meist sehr unbedeutend und zur ernsthaften Verteidigung wenig geeignet. Abgesehen vom Po selbst, &uuml;ber den wir weiter unten sprechen werden, finden sich im ganzen Bassin nur zwei f&uuml;r Frankreich oder Deutschland wirklich bedeutende Positionen; sie sind von den betreffenden Generalst&auml;ben richtig in ihrer St&auml;rke erfa&szlig;t und befestigt worden und werden im n&auml;chsten Kriege unbedingt die entscheidende Rolle spielen. In Piemont, eine Meile unterhalb Casale, biegt der Po seinen bis dahin &ouml;stlichen Lauf nach S&uuml;den, verl&auml;uft auf stark drei Meilen nach S&uuml;ds&uuml;dost und wendet sich dann wieder nach Osten. An der n&ouml;rdlichen Biegung flie&szlig;t von Norden die Sesia, an der s&uuml;dlichen von S&uuml;dwesten der Tanaro ein. Mit diesem vereinigen sich unmittelbar vor ihrem Einflu&szlig;, dicht bei Alessandria, die Bormida, die Orba und der Belbo und bilden zusammen ein System strahlenf&ouml;rmig nach einem Mittelpunkt zusammenstr&ouml;mender Flu&szlig;linien, deren wichtigster Knotenpunkt durch das verschanzte Lager von Alessandria gedeckt wird. Von Alessandria aus kann eine Armee beliebig die Ufer der kleineren Fl&uuml;sse wechseln, kann die vor der Front liegende Linie <A NAME="S239"><B>&lt;239&gt;</A></B> des Po verteidigen, kann bei dem ebenfalls befestigten Casale &uuml;ber den Po gehn oder auf dem rechten Po-Ufer flu&szlig;abw&auml;rts operieren. Diese Stellung, durch hinreichende Befestigungen verst&auml;rkt, ist die einzige, die Piemont deckt oder zur Basis offensiver Operationen gegen die Lombardei und die Herzogt&uuml;mer dienen kann. Sie leidet indes daran, da&szlig; sie keine Tiefe hat, und da sie sowohl umgangen als in der Front durchbrochen werden kann, so ist dieser Umstand sehr ung&uuml;nstig; ein kr&auml;ftiger und geschickter Angriff w&uuml;rde sie bald auf das noch unvollendete verschanzte Lager von Alessandria reduzieren, und wieweit dies die Verteidiger vor der Notwendigkeit sch&uuml;tzen w&uuml;rde, sich unter ung&uuml;nstigen Umst&auml;nden zu schlagen, dar&uuml;ber fehlen alle Anhaltspunkte, da weder die neuesten dortigen Befestigungsanlagen noch der erreichte Grad ihrer Vollendung bekannt sind. Die Wichtigkeit dieser Position f&uuml;r die Verteidigung Piemonts gegen Angriffe von Osten hatte schon Napoleon erkannt und Alessandria demzufolge neu befestigen lassen. 1814 bew&auml;hrte der Platz seine sch&uuml;tzende Kraft nicht; wieweit er dies heutzutage vermag, werden wir vielleicht bald zu sehn Gelegenheit haben.</P>
<P>Die zweite Position, die f&uuml;r das Venetianische dasselbe und noch viel mehr gegen Angriffe aus Westen leistet, was Alessandria f&uuml;r Piemont, ist die des Mincio und der Etsch. Aus dem Gardasee heraustretend, flie&szlig;t der Mincio vier Meilen weit, bis Mantua, in s&uuml;dlicher Richtung, erleidet bei Mantua eine seeartige, von S&uuml;mpfen umgebene Ausbuchtung und flie&szlig;t dann in s&uuml;d&ouml;stlicher Richtung dem Po zu. Die Flu&szlig;strecke unterhalb der Mantuaner S&uuml;mpfe bis zur M&uuml;ndung ist zu kurz, um einer Armee zum &Uuml;bergang zu dienen, indem der aus Mantua debouchierende Feind sie in den R&uuml;cken nehmen und zu einer Schlacht unter den ung&uuml;nstigsten Umst&auml;nden zwingen k&ouml;nnte. Eine Umgehung von S&uuml;den her m&uuml;&szlig;te weiter ausholen und bei Revere oder Ferrara &uuml;ber den Po gehn. Von Norden ist die Stellung am Mincio durch den Gardasee auf weithin vor Umgehung gesch&uuml;tzt, so da&szlig; die wirklich zu verteidigende Linie des Mincio von Peschiera bis Mantua nur vier Meilen lang ist und an jedem Fl&uuml;gel sich an eine Festung anlehnt, die ein Debouch&eacute; auf das rechte Ufer sichert. Der Mincio selbst ist kein betr&auml;chtliches Hindernis, und die Ufer &uuml;berh&ouml;hen sich je nach der Lokalit&auml;t wechselseitig; hierdurch war die Linie vor 1848 einigerma&szlig;en in Verruf gekommen, und wenn sie nicht durch einen besondern Umstand bedeutend verst&auml;rkt w&uuml;rde, so h&auml;tte sie schwerlich je gro&szlig;e Ber&uuml;hmtheit erlangt. Dieser besondere Umstand ist aber der, da&szlig; vier Meilen weiter r&uuml;ckw&auml;rts der zweite Flu&szlig; Oberitaliens, die Etsch, in einem mit dem Mincio und unteren Po ziemlich parallelen Bogen l&auml;uft und so eine zweite, st&auml;rkere Stellung bildet, die durch die beiden Etschfestungen Verona und Legnago verst&auml;rkt wird. Die beiden Flu&szlig;linien <A NAME="S240"><B>&lt;240&gt;</A></B> aber, mit ihren vier Festungen, bilden zusammen f&uuml;r eine deutsche oder &ouml;streichische, von Italien oder Frankreich angegriffene Armee eine so starke Defensivposition, da&szlig; keine zweite in Europa ihr an die Seite gesetzt werden kann und da&szlig; eine Armee, die nach Abgabe der Garnison noch im Felde auftreten kann, ruhig dem Angriff einer doppelt so starken Macht in dieser Stellung entgegensehen kann. Was diese Position leistet, hat Radetzky 1848 bewiesen. Nach der Mail&auml;nder M&auml;rzrevolution, dem Abfall der italienischen Regimenter und dem &Uuml;bergang der Piemontesen &uuml;ber den Tessin zog er sich mit dem Rest seiner Truppen, ungef&auml;hr 45.000 Mann, nach Verona. Nach Abzug der 15.000 Mann starken Garnisonen blieben ihm etwas &uuml;ber 30.000 Mann disponibel. Ihm gegen&uuml;ber standen zwischen Minci und Etsch ungef&auml;hr 60.000 Piemontesen, Toskaner, Modeneser und Parmesaner. In seinem R&uuml;cken erschien Durandos Armee, ungef&auml;hr 45.000 Mann p&auml;pstliche und neapolitanische Truppen und Freiwillige. Nur die Verbindung durch Tirol war ihm geblieben, und auch diese war, wenn auch nur leicht, durch lombardische Freischaren im Gebirg bedroht. Trotzdem hielt sich Radetzky. Die Beobachtung Peschieras und Mantuas nahm den Piemontesen so viel Truppen weg, da&szlig; sie am 6. Mai bei dem Angriff auf die Stellung von Verona (Schlacht bei Santa Lucia) nur mit vier Divisionen, 40.000 bis 45.000 Mann, auftreten konnten; Radetzky mochte, mit der Garnison von Verona, 36.000 Mann verwenden. Das Gleichgewicht auf dem Schlachtfeld war also, wenn die taktische starke Defensivstellung der &Ouml;streicher in Erw&auml;gung gezogen wird, schon wieder hergestellt, und die Piemontesen wurden geschlagen. Die Kontrerevolution vom 15. Mai in Neapel befreite Radetzky von der Gegenwart der 15.000 Neapolitaner und reduzierte die Armee des venetianischen Festlandes auf ungef&auml;hr 30.000 Mann, wovon aber nur 5.000 p&auml;pstliche Schweizer und ungef&auml;hr ebensoviel p&auml;pstliche italienische Linientruppen im offenen Felde zu verwenden waren; den Rest bildeten Freischaren. Die Nugentsche Reservearmee, die
<P>Als nun der Versuch gemacht wurde, Mantua auch auf dem linken Ufer zu blockieren, entschlo&szlig; sich Radetzky, der inzwischen 12.000 Mann von Weldens Truppen an sich gezogen hatte, die Piemontesen in ihrem geschw&auml;chten Zentrum zu durchbrechen und die sich sammelnden Truppen dann einzeln zu schlagen. Am 22. Juli lie&szlig; er Rivoli angreifen, das die Piemontesen am 23. r&auml;umten; am 23. r&uuml;ckte er selbst von Verona mit 40.000 Mann gegen die blo&szlig; von 14.000 Piemontesen verteidigte Stellung von Sona und Sommacampagna, nahm sie und sprengte dadurch die ganze feindliche Linie. Der linke piemontesische Fl&uuml;gel wurde am 24. vollends &uuml;ber den Mincio zur&uuml;ckgeworfen, und der inzwischen konzentrierte und gegen die &Ouml;streicher vordringende rechte am 25. bei Custozza geschlagen; am 26. ging die ganze &ouml;streichische Armee &uuml;ber den Mincio und schlug die Piemontesen noch einmal bei Volta. Damit war der Feldzug beendigt; fast ohne Widerstand gingen die Piemontesen hinter den Tessin zur&uuml;ck.</P>
<P>Diese kurze Erz&auml;hlung des Feldzugs von 1848 beweist schlagender als alle theoretischen Gr&uuml;nde die St&auml;rke der Stellung am Mincio und an der Etsch. Im Viereck zwischen den vier Festungen angekommen, mu&szlig;ten die Piemontesen so viel Truppen detachieren, da&szlig; ihre Offensivkraft, wie die <A NAME="S242"><B>&lt;242&gt;</A></B> Schlacht von Santa Lucia beweist, dadurch schon gebrochen war, w&auml;hrend Radetzky, sobald die ersten Verst&auml;rkungen kamen, sich mit vollkommener Freiheit zwischen den Festungen bewegen, sich bald auf Mantua, bald auf Verona basieren, heute auf dem rechten Mincio-Ufer den R&uuml;cken des Feindes bedrohen, wenige Tage darauf Vicenza erobern und fortw&auml;hrend die Initiative des Feldzugs aus&uuml;ben konnte. Die Piemontesen haben allerdings Fehler &uuml;ber Fehler begangen; aber es ist gerade die St&auml;rke einer Stellung, die den Feind in Verlegenheit setzt und ihn fast zwingt, Fehler zu begehen. Die Beobachtung, noch mehr die Belagerung der einzelnen Festungen n&ouml;tigt ihn, sich zu teilen, seine disponible Offensivkraft zu schw&auml;chen; die Fl&uuml;sse zwingen ihn, diese Teilung zu wiederholen, und setzen seine verschiedenen Korps mehr oder weniger in die Unm&ouml;glichkeit, sich gegenseitig zu H&uuml;lfe zu kommen. Welche Kr&auml;fte geh&ouml;ren dazu, Mantua zu belagern, solange eine f&uuml;r das Feld disponible Armee jeden Augenblick aus den detachierten Forts von Verona vorbrechen kann?</P>
<P>Mantua allein war imstande, 1797 die siegreiche Armee des Generals Bonaparte aufzuhalten. Nur zweimal imponierte ihm eine Festung: Mantua und zehn Jahre sp&auml;ter Danzig. Der ganze zweite Teil der Kampagne von [1796 und] 1797: Castiglione, Medole, Calliano, Bassano, Arcole, Rivoli - alles dreht sich um Mantua und erst nachdem diese Festung gefallen, wagt der Sieger nach Osten und &uuml;ber den Isonzo vorzudringen. Damals war Verona nicht befestigt; 1848 war von Verona auf dem rechten Etschufer nur die Ringmauer fertig, und die Schlacht von Santa Lucia wurde auf dem Terrain geschlagen, wo gleich darauf die &ouml;streichischen Redeuten und seitdem permanente detachierte Forts angelegt worden sind, und erst hierdurch wird das verschanzte Lager von Verona der Kern, das Reduit der ganzen Stellung, die hierdurch enorm an St&auml;rke gewonnen.</P>
<P>Man sieht, wir denken nicht daran, die Wichtigkeit der Minciolinie zu bem&auml;keln. Aber vergessen wir nicht: Diese Linie ist erst von Wichtigkeit geworden, seitdem &Ouml;streich auf eigne Faust in Italien Kriege f&uuml;hrt und seitdem die Verbindung Bozen - Innsbruck - M&uuml;nchen durch die andere, Treviso - Klagenfurt - Wien in den Hintergrund gedr&auml;ngt worden ist. Und f&uuml;r &Ouml;streich in seiner jetzigen Gestalt ist der Besitz der Minciolinie allerdings eine Lebensfrage. &Ouml;streich als selbst&auml;ndiger Staat, der als europ&auml;ische Gro&szlig;macht auch unabh&auml;ngig von Deutschland agieren will, mu&szlig; entweder den Mincio und unteren Po beherrschen oder auf die Verteidigung Tirols verzichten; Tirol w&auml;re sonst nach beiden Seiten umgangen und nur durch den Toblacher Pa&szlig; mit dem Rest der Monarchie verbunden (die Stra&szlig;e von Salzburg nach Innsbruck geht durch Bayern). Nun existiert zwar eine Ansicht unter &auml;lteren <A NAME="S243"><B>&lt;243&gt;</A></B> Milit&auml;rs, da&szlig; Tirol eine gro&szlig;e Verteidigungsf&auml;higkeit besitze und sowohl das Donau- wie das Po-Bassin beherrsche. Aber diese Ansicht ist unbedingt auf Phantasterei basiert und nie durch die Erfahrung bew&auml;hrt, denn ein Insurrektionskrieg wie der von 1809 beweist nichts f&uuml;r die Operationen einer regelm&auml;&szlig;igen Armee.</P>
<P>Der Urheber dieser Ansicht ist <I>B&uuml;low</I>; er spricht sie unter anderm in seiner Geschichte der Feldz&uuml;ge von Hohenlinden und Marengo aus. Ein Exemplar der franz&ouml;sischen &Uuml;bersetzung dieses Buches, einem englischen Ingenieuroffizier Emmett geh&ouml;rig, der zu Napoleons Zeit in St. Helena kommandiert war, fiel dem gefangenen Feldherrn 1819 in die H&auml;nde. Er machte zahlreiche Randglossen dazu, und Emmett lie&szlig; das Buch 1831 mit Napoleons Noten wieder abdrucken.</P>
<P>Napoleon ging offenbar mit g&uuml;nstigen Eindr&uuml;cken an die Lekt&uuml;re. Bei B&uuml;lows Vorschlag, die ganze Infanterie in Tirailleurs aufzul&ouml;sen, bemerkt er wohlwollend: "De l'ordre, toujours de l'ordre - les tirailleurs doivent toujours &ecirc;tre soutenus par des lignes." &lt;"Ordnung, zu jeder Zeit Ordnung - die Sch&uuml;tzen m&uuml;ssen stete durch Linientruppen unterst&uuml;tzt werden."&gt; Dann folgt ein paarmal: "Bien - c'est bien" &lt;"Das ist gut"&gt;- und wieder: "Bien". Aber von der zwanzigsten Seite an wird es Napoleon doch zu toll, wenn er den armen B&uuml;low sich abarbeiten sieht, alle Wechself&auml;lle des Kriegs aus seiner Theorie der exzentrischen R&uuml;ckz&uuml;ge und konzentrischen Angriffe mit seltnem Ungl&uuml;ck und Ungeschick sich zu erkl&auml;ren und durch eine sch&uuml;lerhafte Interpretation die meisterhaftesten Schachz&uuml;ge ihres Sinns zu berauben. Erst ein paarmal: "Mauvais - cela est mauvais - mauvais principe" &lt;"Schlecht - das ist schlecht - schlechtes Prinzip"&gt; - dann hei&szlig;t es: "Cela n'est pas vrai - absurde - mauvais plan bien dangereux - restez unis si vous voulez vaincre - il ne faut jamais s&eacute;parer son arm&eacute;e par un fleuve - tout cet &eacute;chafaudage est absurde" &lt;"Das ist nicht richtig - unsinnig - schlechter, sehr gef&auml;hrlicher Pan - bleiben Sie vereint wenn Sie siegen wollen - man darf nie seine Armee durch einen Flu&szlig; teilen - dieses ganze Gerede ist unsinnig "&gt; usw. Und wenn Napoleon gar fortw&auml;hrend findet, da&szlig; B&uuml;low stets schlechte Operationen lobt und gute tadelt, da&szlig; er den Gener&auml;len die n&auml;rrischsten Motive unterschiebt und ihnen die komischsten Ratschl&auml;ge gibt, da&szlig; er endlich das Bajonett abschaffen und daf&uuml;r das zweite Glied der Infanterie mit Lanzen bewaffnen will, so ruft er aus: "Bavardage inintelligible, quel absurde bavardage, quelle absurdit&eacute;, quel mis&eacute;rable bavardage, quelle ignorance de la guerre." &lt;"Unverst&auml;ndliches Geschw&auml;tz, welch unsinniges Geschw&auml;tz, welche Abgeschmacktheit, welch miserables Geschw&auml;tz, welche Unkenntnis des Krieges."&gt;</P>
<B><P><A NAME="S244">&lt;244&gt;</A></B> B&uuml;low wirft hier der &ouml;streichischen Donauarmee unter Kray vor, nach Ulm statt nach Tirol gegangen zu sein. Tirol, diese uneinnehmbare Bastion von Bergen und Felsen, beherrsche Bayern und einen Teil der Lombardei zu gleicher Zeit, sobald es von hinreichenden Truppen besetzt sei (Napoleon: "On n'attaque pas les montagnes, pas plus le Tirol que la Suisse, on les observe et on les tourne par les plaines" &lt;"Man greift die berge nicht an, weder Tirol noch die Schweiz, man beobachtet sie nur und umgeht sie durch die Ebene"&gt;). Dann wirft B&uuml;low Moreau vor, er habe sich durch Kray bei Ulm festhalten lassen, statt ihn stehenzulassen und Tirol, das schwach besetzt war, zu erobern: Die Eroberung Tirols h&auml;tte die &ouml;streichische Monarchie niedergeworfen (Napoleon: "Absurde, quand m&ecirc;me le Tirol e&ucirc;t &eacute;t&eacute; ouvert, il ne fallait pas y entrer" &lt;"Unsinnig, selbst wenn Tirol offen gewesen w&auml;re, d&uuml;rfte man nicht dort einr&uuml;cken"&gt;).</P>
<P>Nachdem Napoleon die Lekt&uuml;re des ganzen Buchs beendigt, charakterisierte er das System der exzentrischen R&uuml;ckz&uuml;ge und konzentrischen Angriffe und der Beherrschung der Ebenen durch die Berge mit folgenden Worten: "Si vous voulez apprendre la mani&egrave;re de faire battre une arm&eacute;e sup&eacute;rieure par une arm&eacute;e inf&eacute;rieure, &eacute;tudiez les maximes de cet &eacute;crivain; vous aurez des id&eacute;es sur la science de la guerre, il vous prescrit le contre-pied de ce qu'il faut enseigner." &lt;"Wenn Sie lernen wollen, wie man es anstellt, eine &uuml;berlegene Armee von einer schw&auml;cheren Armee schlagen zu lassen, so studieren Sie nur die Grunds&auml;tze dieses Schriftstellers, Sie werden sch&ouml;ne Begriffe von der Kriegswissenschaft bekommen, er schreibt Ihnen das Gegenteil von dem vor, was man lehren mu&szlig;."&gt;</P>
<P>Drei- bis viermal wiederholte Napoleon die Warnung: "Il ne faut jamais attaquer les pays des montagnes." &lt;"Man darf niemals die Bergl&auml;nder angreifen."&gt; Diese Scheu vor dem Gebirg datiert offenbar aus seinen sp&auml;teren Jahren, wo seine Armeen eine so kolossale St&auml;rke erreichten und sowohl der Verpflegung wie der taktischen Entwicklung halber an die Ebenen gebunden waren. Spanien und Tirol m&ouml;gen auch das ihrige dazu beigetragen haben. Sonst f&uuml;rchtete er sich doch nicht so sehr vor den Bergen. Die erste H&auml;lfte seines Feldzugs von [1796 und] 1797 wurde ganz im Gebirge geschlagen, und in den folgenden Jahren bewiesen Mass&eacute;na und Macdonald hinl&auml;nglich, da&szlig; man auch im Gebirgskrieg - und grade da am allerersten - mit geringen Kr&auml;ften Gro&szlig;es leisten kann. Aber im ganzen ist es klar, da&szlig; unsre modernen Armeen im gemischten Terrain der Ebnen und des niederen H&uuml;gellandes ihre Kr&auml;fte am besten zur Geltung bringen k&ouml;nnen und da&szlig; eine Theorie falsch ist, die vorschreibt, eine gro&szlig;e Armee ins Hochgebirg zu werfen - nicht zum Durchzug, sondern um dort dauernd Stellung zu nehmen -, solange rechts und links Ebenen wie die bayerische und lombardische <A NAME="S245"><B>&lt;245&gt;</A></B> frei liegen, in denen man den Krieg entscheiden kann. Wie lange kann eine Armee von 150.000 Mann in Tirol ern&auml;hrt werden? Wie bald w&uuml;rde der Hunger sie in die Ebene hinuntertreiben, wo sie inzwischen dem Gegner Zeit gelassen hat, sich festzusetzen, wo sie gezwungen werden kann, eine Schlacht unter den ung&uuml;nstigsten Bedingungen zu schlagen? Und wo k&ouml;nnte sie in den engen T&auml;lern eine Position finden in der sie ihre ganze Starke entwickeln kann?</P>
<P>F&uuml;r &Ouml;streich w&auml;re, sobald es den Mincio und die Etsch nicht mehr besitzt, Tirol ein verlorner Posten, den es aufzugeben gen&ouml;tigt w&auml;re, sobald er von Norden oder S&uuml;den angegriffen wird. F&uuml;r Deutschland umgeht Tirol die Lombardei bis an die Adda durch seine P&auml;sse; f&uuml;r ein separat handelndes &Ouml;streich umgeht die Lombardei und das Venetianische bis an die Brenta Tirol. Nur solange Bayern Tirol im Norden und der Besitz der Minciolinie es im S&uuml;den deckt, ist es f&uuml;r &Ouml;streich haltbar. Die Stiftung des Rheinbunde machte es f&uuml;r &Ouml;streich unm&ouml;glich, selbst Tirol und das Venetianische zusammengenommen ernsthaft zu verteidigen, und daher war es ganz konsequent, wenn Napoleon im Pre&szlig;burger Frieden beide Provinzen von &Ouml;streich trennte.</P>
<P>F&uuml;r &Ouml;streich also ist der Besitz der Minciolinie mit Peschiera und Mantua eine absolute Notwendigkeit. F&uuml;r Deutschland als Ganzes ist ihr Besitz keineswegs notwendig, obwohl er milit&auml;risch immer noch ein gro&szlig;er Vorteil ist. Worin dieser Vorteil besteht, liegt auf der Hand. Nur darin, da&szlig; er uns von vornherein eine starke Position in der lombardischen Ebene sichert, die wir dann nicht erst zu erobern brauchen, und da&szlig; er unsere Verteidigungsstellung bequem arrondiert, unsre Offensive aber bedeutend unterst&uuml;tzt.</P>
<P>Wenn aber Deutschland die Minciolinie nicht hat?</P>
<P>Nehmen wir an, ganz Italien sei unabh&auml;ngig, einig und mit Frankreich zum Offensivkriege gegen Deutschland verb&uuml;ndet. Aus allem, was wir bisher gesagt haben, geht hervor, da&szlig; in diesem Falle die Operations- und R&uuml;ckzugslinie der Deutschen nicht Wien - Klagenfurt - Treviso sondern M&uuml;nchen - Innsbruck - Bozen und M&uuml;nchen - F&uuml;ssen - Finsterm&uuml;nz - Glurus w&auml;ren, und da&szlig; ihre Debouch&eacute;s in der lombardischen Ebene zwischen der Val Sugana und der Schweizer Grenze liegen. Wo ist nun der entscheidende Angriffspunkt? Offenbar derjenige Teil Oberitaliens, der die Verbindung der Halbinsel mit Piemont und Frankreich vermittelt, der mittlere Po von Alessandria bis Cremona. Aber die P&auml;sse zwischen Gardasee und Comer See reichen vollst&auml;ndig hin, um den Deutschen das Vordringen in diese Gegend zu gestatten und ihnen den R&uuml;ckzug auf demselben Wege, im schlimmsten Fall &uuml;ber das Stilfser Joch, offenzuhalten. In diesem Fall w&uuml;rden die Mincio- und Etschfestungen, die wir im Besitz der Italiener angenommen haben, weitab vom <A NAME="S246"><B>&lt;246&gt;</A></B> entscheidenden Schlachtfeld liegen. Eine Besatzung des verschanzten Lagers von Verona mit entsprechenden, zur Offensive hinl&auml;nglichen Kr&auml;ften w&uuml;rde nur eine unn&uuml;tze Zersplitterung der feindlichen Truppen sein. Oder erwartet man, da&szlig; die Italiener in Masse auf dem vielbeliebten Plateau von Rivoli den Deutschen das Etschtal verlegen w&uuml;rden? Seitdem die Stelviostra&szlig;e (&uuml;ber das Stilfser Joch) gebaut ist, hat das Debouch&eacute; aus dem Etschtal viel von seiner Wichtigkeit verloren. Aber gesetzt den Fall, da&szlig; Rivoli wieder als Schl&uuml;ssel Italiens figurieren sollte und da&szlig; die Deutschen von der Attraktionskraft der dort stehenden italienischen Armee stark genug angezogen w&uuml;rden, um den Angriff zu machen - wozu sollte dann noch Verona dienen? Es schlie&szlig;t das Etschtal nicht, sonst w&auml;re der Marsch der Italiener nach Rivoli &uuml;berfl&uuml;ssig. Um den R&uuml;ckzug im Fall einer Niederlage zu decken, ist Peschiera hinl&auml;nglich, das einen sichern &Uuml;bergang &uuml;ber den Mincio bietet und damit den weiteren Marsch nach Mantua oder Cremona sicherstellt. Eine Massenaufstellung der ganzen italienischen Streitmacht zwischen den vier Festungen, etwa um die Ankunft der Franzosen hier zu erwarten, ohne zur Schlacht provoziert werden zu k&ouml;nnen, w&uuml;rde aber gerade von Anbeginn des Feldzugs an die uns feindlichen Kr&auml;fte in zwei H&auml;lften teilen und es uns m&ouml;glich machen, auf ihre Vereinigungslinie mit gesammelten Kr&auml;ften erst gegen die Franzosen vorzudringen und, nachdem diese geschlagen, den allerdings etwas langwierigen Proze&szlig; der Delogierung der Italiener aus ihren Festungen vorzunehmen. Ein Land wie Italien, dessen nationale Armee bei jedem erfolgreichen Angriff aus Norden und Osten sofort in das Dilemma versetzt ist, zwischen der Basis Piemont und der Basis der Halbinsel zu w&auml;hlen, solch ein Land mu&szlig; offenbar seine gro&szlig;en Defensivanlagen in der Gegend haben, wo die Armee in dies Dilemma kommen kann. Hier bieten der Einflu&szlig; des Tessin und der Adda in den Po Anhaltspunkte dar. Der General von Willisen ("Italienischer Feldzug des Jahres 1848") w&uuml;nschte beide Punkte von den &Ouml;streichern befestigt. Abgesehen davon, da&szlig; dies schon deswegen nicht geht, weil ihnen das n&ouml;tige Terrain nicht geh&ouml;rt (bei Cremona ist das rechte Po-Ufer parmesanisch, und in Piacenza haben sie nur das Garnisonsrecht), so sind auch beide Punkte f&uuml;r eine gro&szlig;e Defensivstellung zu weit vorgeschoben in einem Lande, wo die &Ouml;streicher in jedem Kriege von Insurrektionen umgeben sein werden; ferner vergi&szlig;t Willisen, der nie zwei Fl&uuml;sse sich vereinigen sehen kann, ohne gleich f&uuml;r ein gro&szlig;es verschanztes Lager Pl&auml;ne zu machen, da&szlig; weder Tessin noch Adda verteidigungsf&auml;hige Linien sind, also auch nach seiner eignen Ansicht das dahinterliegende Land
<P>Der General von Radowitz sprach sich in der Frankfurter Nationalversammlung dahin aus: Wenn Deutschland die Minciolinie nicht mehr besitze, so sei es in die Stellung versetzt, in die es jetzt erst nach einem ganzen ungl&uuml;cklichen Feldzug komme. Der Krieg sei dann sofort auf deutsches Gebiet gespielt; er fange am Isonzo und in Welschtirol an, und alles s&uuml;ddeutsche Gebiet bis nach Bayern hinein sei umgangen, so da&szlig; der Krieg auch in Deutschland statt am Oberrhein dann an der Isar ausgefochten werden m&uuml;sse.</P>
<P>Der General von Radowitz scheint die milit&auml;rischen Kenntnisse seines Publikums ziemlich richtig beurteilt zu haben. Es ist richtig: Wenn Deutschland die Minciolinie aufgibt, so gibt es an Terrain und Positionen so viel auf, als den Franzosen und Italienern ein ganzer gl&uuml;cklicher Feldzug einbringen w&uuml;rde. Aber damit ist Deutschland denn doch noch lange nicht in die Stellung versetzt, in die ein ungl&uuml;cklicher Feldzug es bringen w&uuml;rde. Oder ist eine starke, intakte deutsche Armee, die sich am bayrischen Fu&szlig; der Alpen versammelt und &uuml;ber die Tiroler P&auml;sse marschiert, um in die Lombardei einzufallen, in derselben Lage wie ein durch eine ungl&uuml;ckliche Kampagne ruiniertes und demoralisiertes Heer, das vom Feinde gejagt dem Brenner zueilt? Ist die Chance einer erfolgreichen Offensive von einer Position aus, die den Vereinigungspunkt der Franzosen und Italiener in vieler Beziehung beherrscht, gleich der Chance einer geschlagenen Armee, ihre Artillerie &uuml;ber die Alpen zu bringen? Ehe wir die Minciolinie hatten, haben wir Italien viel &ouml;fter erobert, als seitdem wir sie haben; wer will bezweifeln, da&szlig; wir im Notfall das Kunstst&uuml;ck noch einmal machen?</P>
<P>Was nun den Punkt betrifft, da&szlig; ohne die Minciolinie der Krieg sofort nach Bayern und K&auml;rnten hineingespielt wird, so ist auch das nicht richtig. Unsre ganze Darstellung l&auml;uft darauf hinaus, da&szlig; ohne die Minciolinie die Verteidigung der deutschen S&uuml;dgrenze <I>nur offensiv</I> geschehen kann. Dazu f&uuml;hrt die gebirgige Natur der deutschen Grenzprovinzen, die nicht zum entscheidenden Schlachtfeld dienen k&ouml;nnen: dazu fuhrt die g&uuml;nstige Lage der Alpenp&auml;sse. Das Schlachtfeld liegt in den Ebenen vor ihnen. Dort m&uuml;ssen wir hinabsteigen, und das kann uns keine Macht der Erde wehren. Eine g&uuml;nstigere Einleitung der Offensive als diejenige, die uns hier f&uuml;r den ung&uuml;nstigsten Fall einer franz&ouml;sisch-italienischen Allianz geboten wird, ist nicht <A NAME="S248"><B>&lt;248&gt;</A></B> leicht zu denken. Unterst&uuml;tzt kann sie werden durch Verbesserung der Alpenstra&szlig;en und durch Befestigungen an den Stra&szlig;enknoten in Tirol, die ansehnlich genug sein m&uuml;ssen, um im Fall des R&uuml;ckzugs den Feind, wo nicht ganz aufzuhalten, doch zu starken Detachierungen zum Schutz seiner Verbindungen zu n&ouml;tigen. Was die Alpenstra&szlig;en angeht, so beweisen uns s&auml;mtliche Kriege in den Alpen, da&szlig; auch die meisten nichtchaussierten Hauptwege und viele Saumpfade f&uuml;r alle Waffengattungen ohne &uuml;bergro&szlig;e M&uuml;he passierbar sind. Unter diesen Umst&auml;nden sollte eine deutsche Offensive in die Lombardei doch wahrlich so einzurichten sein, da&szlig; sie alle Aussicht auf Erfolg hat. Freilich, wir k&ouml;nnen trotzdem geschlagen werden; und dann w&uuml;rde der Fall eintreten, von dem Radowitz spricht. Wie steht es dann mit dem Entbl&ouml;&szlig;en Wiens und dem Umgehen Bayerns durch Tirol?</P>
<P>Erstens ist es klar, da&szlig; kein feindliches Bataillon wagen darf, &uuml;ber den Isonzo zu gehn, solange nicht die deutsche Armee von Tirol ganz und unwiederbringlich &uuml;ber den Brenner zur&uuml;ckgeworfen ist. Von dem Augenblick an, wo Bayern die deutsche Operationsbasis gegen Italien bildet, von dem Augenblick an hat eine italienisch-franz&ouml;sische Offensive in der Richtung auf Wien gar keinen Zweck mehr, sie w&auml;re eine nutzlose Zersplitterung der Kr&auml;fte. W&auml;re aber auch Wien dann noch ein so wichtiges Zentrum, da&szlig; es der M&uuml;he wert w&auml;re, die Hauptmacht der feindlichen Armee zu seiner Eroberung zu detachieren, so beweist das blo&szlig;, da&szlig; Wien befestigt werden mu&szlig;. Napoleons Zug 1797 &lt;(<I>1859</I>) 1798&gt;, die Invasionen in Italien und Deutschland 1805 und 1809 h&auml;tten sehr schlimm f&uuml;r die Franzosen endigen k&ouml;nnen, w&auml;re Wien befestigt gewesen. Eine auf solche Entfernungen vorgedrungene Offensive l&auml;uft immer Gefahr, an einer befestigten Hauptstadt ihre letzten Kr&auml;fte zu zerschellen, &Uuml;brigens angenommen, der Feind habe die deutsche Armee &uuml;ber den Brenner geworfen, welches Ma&szlig; von &Uuml;berlegenheit wird nicht vorausgesetzt, um eine wirksame Detachierung nach Inner&ouml;streich m&ouml;glich zu machen!</P>
<P>Wie steht es aber mit der Umgehung von ganz S&uuml;ddeutschland durch Italien? In der Tat, wenn die Lombardei Deutschland bis M&uuml;nchen umgeht, wie weit umgeht dann Deutschland Italien? Doch jedenfalls bis Mailand und Pavia. Die Chancen sind also soweit gleich. Aber infolge der viel gr&ouml;&szlig;eren Breite Deutschlands braucht eine Armee am Oberrhein, die &uuml;ber Italien auf M&uuml;nchen umgangen wird, darum nicht sogleich zur&uuml;ckzugehen. Ein verschanztes Lager in Oberbayern oder eine passagere Befestigung M&uuml;nchens w&uuml;rde die geschlagene Tiroler Armee aufnehmen und die Offensive des nachdringenden Feindes bald zum Stehen bringen, w&auml;hrend der Oberrhein- <A NAME="S249"><B>&lt;249&gt;</A></B> armee die Wahl bliebe, sich auf Ulm und Ingolstadt oder auf den Main zu basieren, schlimmstenfalls also die Operationsbasis zu wechseln. In Italien dagegen ist das alles anders. Ist eine italienische Armee durch die Tiroler P&auml;sse im Westen umgangen, so braucht sie nur noch aus ihren Festungen vertrieben zu werden, und ganz Italien ist erobert. Deutschland, in einem Kriege gegen Frankreich und Italien zusammen, hat stets mehrere Armeen, mindestens drei, und der Sieg oder die Niederlage h&auml;ngt ab von dem Gesamtresultat aller drei Feldz&uuml;ge. Italien bietet nur Raum f&uuml;r eine Armee; jede Teilung w&auml;re ein Fehler; und ist diese eine Armee vernichtet, so ist damit Italien erobert. F&uuml;r eine franz&ouml;sische Armee in Italien ist die Verbindung mit Frankreich unter allen Umst&auml;nden Hauptsache; und solange diese Verbindungslinie nicht auf den Col di Tenda und Genua beschr&auml;nkt wird, solange bietet sie den Deutschen in Tirol die Flanke dar - und um so mehr, je weiter die Franzosen in Italien vorr&uuml;cken. Der Fall eines Eindringens der Franzosen und Italiener nach Bayern durch Tirol mu&szlig; allerdings von dem Augenblick an vorgesehen werden, wo wieder <I>deutsche </I>Kriege in Italien gef&uuml;hrt werden und die Operationsbasis von &Ouml;streich nach Bayern verlegt wird. Aber mit geeigneten fortifikatorischen Anlagen im modernen Sinn, wo die Festungen um der Armeen, nicht aber die Armeen um der Festungen willen da sind, kann dieser Invasion weit leichter die Spitze abgebrochen werden als einer deutschen Invasion nach Italien. Und darum brauchen wir aus dieser sogenannten "Umgehung" von ganz S&uuml;ddeutschland kein Schreckbild zu machen. Der Feind, der eine deutsche Oberrheinarmee durch Italien und Tirol umgeht, mu&szlig; bis an die Ostsee vorr&uuml;cken, ehe er die Fr&uuml;chte dieser Umgehung pfl&uuml;cken kann. Der Marsch Napoleons von Jena nach Stettin l&auml;&szlig;t sich aber in der Richtung von M&uuml;nchen auf Danzig schwerlich wiederholen.</P>
<P>Da&szlig; Deutschland, wenn es die Etsch- und Minciolinie aufgibt, einer sehr starken Defensivposition entsagt, dies bestreiten wir in keiner Weise. Da&szlig; aber diese Position zur Sicherheit der deutschen S&uuml;dgrenze <I>notwendig </I>sei, dies bestreiten wir durchaus. Wenn man freilich, wie die Vertreter der entgegengesetzten Ansicht zu tun scheinen, von der Voraussetzung ausgeht, da&szlig; eine deutsche Armee, wo sie sich auch zeigt, jedesmal geschlagen wird - dann mag man sich einbilden, da&szlig; Etsch, Mincio und Po uns unbedingt n&ouml;tig seien. Dann aber k&ouml;nnen sie in Wirklichkeit erst recht nichts n&uuml;tzen; dann helfen uns weder Festungen nach Armeen, dann gehen wir am besten gleich durch das Kaudinische Joch. Wir haben andre Ansichten von der Wehrkraft Deutschlands, und wir sind deshalb ganz zufrieden, unsre S&uuml;dgrenze gesichert zu sehn durch die Vorteile, die sie der Offensive auf lombardischem Boden darbietet.</P>
<B><P><A NAME="S250">&lt;250&gt;</A></B> Hier aber kommen auch politische Erw&auml;gungen ins Spiel, die wir nicht beiseite lassen k&ouml;nnen. Die nationale Bewegung in Italien ist seit 1820 aus jeder Niederlage verj&uuml;ngt und gewaltiger hervorgegangen. Es gibt wenig L&auml;nder, deren sogenannte nat&uuml;rliche Grenzen so nahe mit den Grenzen der Nationalit&auml;t zusammenfallen und zugleich so prononciert sind. Wenn in einem solchen Lande, das obendrein an f&uuml;nfundzwanzig Millionen Einwohner z&auml;hlt, die nationale Bewegung einmal erstarkt ist, so kann sie nicht wieder ruhen, solange einer der besten, politisch und milit&auml;risch wichtigsten Landesteile und damit beinahe ein Viertel der Gesamteinwohnerzahl einer antinationalen Fremdherrschaft unterworfen ist. Seit 1820 herrscht &Ouml;streich in Italien nur noch durch die Gewalt, durch das Niederschlagen wiederholter Insurrektionen, durch den Terrorismus des Belagerungszustandes. Um seine Herrschaft in Italien zu behaupten, ist &Ouml;streich gen&ouml;tigt, seine politischen Gegner, d.h. jeden Italiener, der sich als Italiener f&uuml;hlt, schlimmer als gemeine Verbrecher zu behandeln. Die Art und Weise, wie die italienischen politischen Gefangenen von &Ouml;streich behandelt wurden und noch stellenweise behandelt werden, ist in zivilisierten L&auml;ndern unerh&ouml;rt. Die &Ouml;streicher haben politische Verbrecher in Italien mit besonderer Vorliebe durch Stockpr&uuml;gel zu infamieren gesucht, sei es um Gest&auml;ndnisse zu erpressen, sei es unter dem Vorwand der Strafe. Man hat &uuml;ber den italienischen Dolch, &uuml;ber den politischen Meuchelmord viel sittliche Entr&uuml;stung ergossen; man scheint aber ganz vergessen zu haben, da&szlig; der &ouml;streichische Stock ihn provozierte. Die Mittel, deren &Ouml;streich sich bedienen mu&szlig;, um seine Herrschaft in Italien zu behaupten, sind der allerbeste Beweis, da&szlig; diese Herrschaft unm&ouml;glich von Dauer sein kann; und Deutschland, das trotz Radowitz, Willisen und Hailbronner nicht dasselbe Interesse an ihr hat als &Ouml;streich, Deutschland ist allerdings in den Fall versetzt, sich zu fragen, ob denn dies Interesse gro&szlig; genug ist, um die vielen Nachteile aufzuwiegen, die mit ihr verbunden sind.</P>
<P>Oberitalien ist ein Anh&auml;ngsel, das Deutschland unter allen Umst&auml;nden nur im Kriege nutzen, im Frieden aber nur schaden kann. Die zu seiner Niederhaltung n&ouml;tigen Armeen sind seit 1820 immer st&auml;rker geworden und &uuml;bersteigen seit 1848 im tiefsten Frieden 70.000 Mann, die sich fortw&auml;hrend wie in Feindesland befinden, jeden Augenblick auf Angriffe gefa&szlig;t sein m&uuml;ssen. Der Krieg 1848 und 1849 und die Okkupation Italiens bis heute - trotz der piemontesischen Kriegskontribution, trotz der wiederholten lombardischen Kontributionen, Zwangsanleihen und Extrasteuern - hat &Ouml;streich offenbar weit mehr gekostet, als ihm Italien seit 1848 eingebracht hat. Und doch ist von 1848 bis 1854 das Land systematisch als eine blo&szlig; provisorische Besitzung behandelt worden, aus der man zieht, soviel man kann, ehe man sie <A NAME="S251"><B>&lt;251&gt;</A></B> r&auml;umt. Erst seit dem orientalischen Krieg ist die Lombardei auf ein paar Jahre in einen weniger abnormen Zustand getreten; und wie lange wird der dauern, bei den jetzigen Verwicklungen, wo das italienische Nationalgef&uuml;hl wieder so heftig pulsiert?</P>
<P>Was aber viel wichtiger ist, wiegt der Besitz der Lombardei all den Ha&szlig;, alle die fanatische Feindschaft auf, die er uns in ganz Italien zugezogen hat? Wiegt er die Mitverantwortlichkeit auf f&uuml;r die Ma&szlig;regeln, durch die &Ouml;streich - im Namen und Interesse Deutschlands, wie uns versichert wird - seine Herrschaft dort sicherstellt? Wiegt er die fortw&auml;hrenden Einmischungen in die inneren Angelegenheiten des &uuml;brigen Italiens auf, ohne die, nach der bisherigen Praxis und den &ouml;streichischen Versicherungen, die Lombardei nicht festgehalten werden kann und die den Ha&szlig; der Italiener gegen uns Deutsche nur noch flammender machen? In allen bisherigen milit&auml;rischen Erw&auml;gungen haben wir immer den schlimmsten Fall, den einer Allianz Frankreichs mit Italien, vorausgesetzt. Solange wir die Lombardei behalten, ist Italien unbedingt der Bundesgenosse Frankreichs in jedem franz&ouml;sischen Kriege gegen Deutschland. Sobald wir sie aufgeben, h&ouml;rt das auf. Ist es aber unser Interesse, vier Festungen zu behalten und uns dagegen die fanatische Feindschaft und den Franzosen die Allianz von 25 Millionen Italienern zu sichern?</P>
<P>Das interessierte Gerede von der politischen Unf&auml;higkeit der Italiener und ihrem Beruf, unter deutscher oder franz&ouml;sischer Herrschaft zu stehn, sowie die verschiedenen Spekulationen &uuml;ber die M&ouml;glichkeit oder Unm&ouml;glichkeit eines einigen Italiens kommen uns im Munde von Deutschen etwas befremdlich vor. Wie lange ist es denn her, da&szlig; wir, die gro&szlig;e deutsche Nation, die doppelt soviel Seelen z&auml;hlt als die Italiener, seit <I>wir </I>dem "Beruf" entgangen sind, entweder unter franz&ouml;sischer oder unter russischer Herrschaft zu stehn? Und hat die Praxis von heute die Frage von der Einheit oder Uneinheit Deutschlands gel&ouml;st? Stehen wir nicht in diesem Augenblick aller Wahrscheinlichkeit nach am Vorabend von Ereignissen, die &uuml;ber unsre Zukunft nach beiden Richtungen hin erst die Frage der Entscheidung entgegenreifen werden? Haben wir denn Napoleon in Erfurt ganz vergessen oder den &ouml;streichischen Appell an Ru&szlig;land auf den Warschauer Konferenzen oder die Schlacht von Bronzell?</P>
<P>Wir wollen f&uuml;r den Augenblick zugeben, da&szlig; Italien entweder unter deutschem oder franz&ouml;sischem Einflu&szlig; stehen mu&szlig;. In diesem Fall entscheidet au&szlig;er den Sympathien namentlich auch noch die milit&auml;rgeographische Lage der beiden beeinflussenden L&auml;nder. Die Streitkr&auml;fte Frankreichs und Deutschlands wollen wir f&uuml;r gleich stark annehmen, obwohl Deutschland offenbar weit st&auml;rker sein k&ouml;nnte. Nun aber glauben wir bewiesen zu haben, da&szlig; im <A NAME="S252"><B>&lt;252&gt;</A></B> allerg&uuml;nstigsten Fall, wenn n&auml;mlich das Wallis und der Simplon den Franzosen offenstehn, ihr unmittelbarer kriegerischer Einflu&szlig; nur Piemont umfa&szlig;t und sie erst eine Schlacht gewinnen m&uuml;ssen, um ihn auf weiterliegende Gebiete auszudehnen, w&auml;hrend unser Einflu&szlig; sich auf die ganze Lombardei und auf den Verbindungspunkt zwischen Piemont und der Halbinsel erstreckt und man uns erst schlagen mu&szlig;, um uns diesen Einflu&szlig; zu nehmen. Wo aber eine solche geographische Anlage zur Herrschaft gegeben ist, da hat der Einflu&szlig; Deutschlands nichts von der franz&ouml;sischen Konkurrenz zu f&uuml;rchten.</P>
<P>Der General Hailbronner sagte in der A[ugsburger] "A[llgemeinen] Z[eitung]" neulich ungef&auml;hr: Deutschland hat einen andern Beruf, als zum Blitzableiter f&uuml;r die Donnerschl&auml;ge zu dienen, die sich &uuml;ber dem Haupt der bonapartischen Dynastie zusammenziehn. Mit demselben Recht k&ouml;nnen die Italiener sagen: Italien hat einen andern Beruf, als den Deutschen zum Puffer zu dienen gegen die St&ouml;&szlig;e, die Frankreich gegen sie f&uuml;hrt, und zum Dank daf&uuml;r von den &Ouml;streichern mit Stockpr&uuml;geln regaliert zu werden. Wenn aber Deutschland ein Interesse daran hat, sich hier einen solchen Puffer zu erhalten, so geschieht das jedenfalls viel besser dadurch, da&szlig; es sich mit Italien auf einen guten Fu&szlig; stellt, der nationalen Bewegung ihr Recht widerfahren la&szlig;t und die italienischen Dinge solange den Italienern &uuml;berl&auml;&szlig;t, als sie sich nicht in deutsche Dinge mischen. Die Radowitzsche Behauptung, da&szlig; Frankreich morgen in Oberitalien herrschen m&uuml;sse, wenn &Ouml;streich heute hinausgeht, war zu ihrer Zeit ebenso unbegr&uuml;ndet, als sie es noch vor drei Monaten war; wie die Dinge heute stehn, scheint sie eine Wahrheit werden zu wollen, aber in einem dem Radowitzschen entgegengesetzten Sinn. Wenn die f&uuml;nfundzwanzig Millionen Italiener nicht ihre Unabh&auml;ngigkeit behaupten k&ouml;nnen, so m&uuml;ssen es die zwei Millionen D&auml;nen, die vier Millionen Belgier, die drei Millionen Holl&auml;nder noch weniger. Trotzdem h&ouml;ren wir die Verteidiger der deutschen Herrschaft in Italien nicht &uuml;ber franz&ouml;sische oder schwedische Herrschaft in diesen L&auml;ndern lamentieren und verlangen, da&szlig; sie durch deutsche Herrschaft ersetzt werde.</P>
<P>Was die Einheitsfrage angeht, so denken wir: Entweder kann Italien einig werden, und dann hat es eine eigne Politik, die notwendigerweise weder deutsch noch franz&ouml;sisch ist und daher uns nicht sch&auml;dlicher sein kann als den Franzosen; oder es bleibt zersplittert, und dann sichert uns die Zersplitterung Bundesgenossen in Italien bei jedem Krieg mit Frankreich.</P>
<P>Soviel ist jedenfalls sicher: Ob wir die Lombardei haben oder nicht, einen bedeutenden Einflu&szlig; in Italien haben wir immer, <I>solange wir zu Hause stark sind</I>. &Uuml;berlassen wir es Italien, seine eignen Sachen selbst abzumachen, so <A NAME="S253"><B>&lt;253&gt;</A></B> h&ouml;rt der Ha&szlig; der Italiener gegen uns von selbst auf, und unser nat&uuml;rlicher Einflu&szlig; auf sie wird jedenfalls viel bedeutender und kann sich unter Umst&auml;nden zur wirklichen Hegemonie steigern. Statt also unsre St&auml;rke im Besitz fremden Bodens zu suchen und in der Unterdr&uuml;ckung einer fremden Nationalit&auml;t, der nur das Vorurteil die Zukunftsf&auml;higkeit absprechen kann, werden wir besser tun, daf&uuml;r zu sorgen, da&szlig; <I>wir in unsrem eignen Hause eins und stark sind</I>.</P>
<FONT SIZE=4><P ALIGN="CENTER">III</P>
</FONT><B><P><A NAME="S254">&lt;254&gt;</A></B> Was dem einen recht, das ist dem andern billig. Verlangen wir den Po und den Mincio zum Schutz nicht sowohl gegen die Italiener als gegen die Franzosen, d&uuml;rfen wir uns nicht wundern, wenn die Franzosen ebenfalls Flu&szlig;linien zum Schutz gegen uns in Anspruch nehmen.</P>
<P>Der Schwerpunkt Frankreichs liegt nicht im Zentrum an der Loire, bei Orl&eacute;ans, sondern im Norden, an der Seine, in Paris; und zweimalige Erfahrung beweist, da&szlig; mit Paris ganz Frankreich f&auml;llt. Die milit&auml;rische Bedeutung der Grenzkonfiguration Frankreichs richtet sich also vor allem nach dem Schutz, den sie Paris gew&auml;hrt.</P>
<P>Von Paris bis Lyon, Basel, Stra&szlig;burg, Lauterburg in gerader Linie ist [es] ungef&auml;hr gleich weit, f&uuml;nfundf&uuml;nfzig Meilen etwa. Jede Invasion Frankreichs von Italien aus, mit Paris zum Objekt, mu&szlig; aber in der Gegend von Lyon, zwischen Rh&ocirc;ne und Loire, oder n&ouml;rdlicher vordringen, wenn sie nicht ihre Verbindungen gef&auml;hrden will. Die Alpengrenze Frankreichs also, s&uuml;dlich von Grenoble, kommt bei einem Vorr&uuml;cken gegen Paris nicht in Betracht; Paris ist von dieser Seite her vollst&auml;ndig gedeckt.</P>
<P>Von Lauterburg an verl&auml;&szlig;t die franz&ouml;sische Grenze den Rhein und wendet sich, im rechten Winkel gegen ihn, nach Nordwesten; sie bildet von Lauterburg bis D&uuml;nkirchen eine so gut wie gerade Linie. Der Kreisbogen, den wir mit dem Radius Paris - Lyon &uuml;ber Basel und Stra&szlig;burg bis Lauterburg beschrieben, wird also hier unterbrochen; die franz&ouml;sische Nordgrenze bildet vielmehr die Sehne zu diesem Bogen, und das Kreissegment jenseits dieser Sehne geh&ouml;rt nicht zu Frankreich. Die k&uuml;rzeste Verbindungslinie von Paris nach der Nordgrenze, die Linie Paris - Mons, ist nur halb so lang wie der Radius Paris - Lyon oder - Stra&szlig;burg.</P>
<P>In diesen einfachen geometrischen Verh&auml;ltnissen ist der Grund gegeben, warum Belgien das Schlachtfeld aller im Norden gef&uuml;hrten Kriege zwischen Deutschland und Frankreich sein mu&szlig;. Belgien umgeht das ganze &ouml;stliche Frankreich von Verdun und der Obermarne bis an den Rhein. Das hei&szlig;t: Eine <A NAME="S255"><B>&lt;255&gt;</A></B> von Belgien eindringende Armee kann eher bei Paris sein als eine &uuml;ber Verdun oder Chaumont hinaus nach dem Rhein zu stehende franz&ouml;sische Armee zur&uuml;ck sein kann; die aus Belgien vordringende Armee kann sich also bei erfolgreicher Offensive stets zwischen Paris und die franz&ouml;sische Mosel-oder Rheinarmee einkeilen; um so mehr, als der Weg von der belgischen Grenze nach den die Umgehung entscheidenden Punkten an der Marne (Meaux, Ch&acirc;teau-Thierry, Epernay) noch k&uuml;rzer ist als der nach Paris selbst.</P>
<P>Damit nicht genug. Auf der ganzen Linie, von der Maas bis zur See, steht in der Richtung auf Paris dem Feinde nicht das allergeringste Terrainhindernis entgegen, bis er an die Aisne und die untere Oise kommt, die aber f&uuml;r die Verteidigung von Paris gegen Norden ziemlich ung&uuml;nstig verlaufen. Weder 1814 noch 1815 legten sie dem Angriff ernsthafte Schwierigkeiten in den Weg. Aber auch zugegeben, da&szlig; sie in den Bereich des durch die Seine und ihre Nebenfl&uuml;sse gegebenen Verteidigungssystems gezogen werden k&ouml;nnen und 1814 teilweise hineingezogen wurden, so ist doch damit gleichzeitig als Tatsache ausgesprochen, da&szlig; die eigentliche Verteidigung Nordfrankreichs erst bei Compi&egrave;gne und Soissons anf&auml;ngt und da&szlig; die erste Defensivposition, die Paris gegen Norden deckt, nur zw&ouml;lf Meilen von Paris liegt.</P>
<P>Eine schw&auml;chere Grenze als die franz&ouml;sische gegen Belgien ist f&uuml;r einen Staat nicht leicht zu denken. Man wei&szlig;, welche M&uuml;he sich Vauban gegeben hat, den Mangel nat&uuml;rlicher Verteidigungsmittel durch k&uuml;nstliche zu ersetzen; man wei&szlig; auch, wie 1814 und 1815 der Angriff durch den dreifachen Festungsg&uuml;rtel hindurchdrang, fast ohne Notiz von ihm zu nehmen. Man wei&szlig;, wie 1815 Festung auf Festung den Angriffen eines einzigen preu&szlig;ischen Korps nach unerh&ouml;rt kurzer Belagerung und Beschie&szlig;ung erlag. Avesnes ergab sich am 22. Juni 1815, nachdem es einen halben Tag aus zehn Feldhaubitzen beschossen worden. Guise ergab sich an zehn Feldgesch&uuml;tze, ohne einen Schu&szlig; zu tun. Maubeuge kapitulierte nach 14 Tagen offener Tranchee am 13. Juli. Landrecies &ouml;ffnete seine Tore am 21. Juli nach 36 Stunden offener Tranchee und zweist&uuml;ndiger Beschie&szlig;ung, nachdem nur 126 Bomben und 52 Vollkugeln von den Belagerern abgefeuert waren. Mariembourg verlangte nur pro forma die Ehren einer offenen Tranchee und einer einzigen vierundzwanzigpf&uuml;ndigen Kugel und kapitulierte am 28. Juli. Philippeville hielt zwei Tage offener Tranchee und einige Stunden Beschie&szlig;ung, Rocroi 26 Stunden offener Laufgr&auml;ben und zwei Stunden Bombardement aus. Nur M&eacute;zi&egrave;res hielt sich 18 Tage lang nach Er&ouml;ffnung der Laufgr&auml;ben. Es war eine Kapitulationswut unter den Kommandanten, die der in Preu&szlig;en nach der Schlacht von Jena nicht viel nachgab; und wenn man anf&uuml;hrt, da&szlig; diese Pl&auml;tze 1815 verfallen, schwach garnisoniert und schlecht ausger&uuml;stet waren, so ist doch nicht <A NAME="S256"><B>&lt;256&gt;</A></B> zu vergessen, da&szlig; mit einzelnen Ausnahmen diese Festungen stets vernachl&auml;ssigt sein m&uuml;ssen. Der Vaubansche dreifache G&uuml;rtel hat heutzutage allen Wert verloren er ist ein positiver Schaden f&uuml;r Frankreich. Keine der Festungen westlich der Maas deckt, f&uuml;r sich, irgendeinen Terrainabschnitt, und nirgends lassen sich vier oder f&uuml;nf auffinden, die zusammen eine Gruppe bilden, innerhalb deren eine Armee Deckung findet und zugleich Man&ouml;vrierf&auml;higkeit beh&auml;lt. Dies kommt daher, da&szlig; keine an einem gro&szlig;en Flusse liegt. Die Lys, die Schelde, die Sambre bekommen Bedeutung f&uuml;r den Krieg erst auf belgischem Gebiet; und so erstreckt sich die Wirkung dieser im freien Felde zerstreut liegenden Festungen nicht &uuml;ber die Schu&szlig;weite ihrer Kanonen hinaus. Mit Ausnahme von ein paar gro&szlig;en Depotpl&auml;tzen an der Grenze, die einer Offensive nach Belgien zur Basis dienen k&ouml;nnen, und einigen Punkten an der Maas und Mosel, die strategische Wichtigkeit haben, dienen alle &uuml;brigen festen Pl&auml;tze und Forts an der franz&ouml;sischen Nordgrenze nur zur nutzlosesten Verzettelung der Streitkr&auml;fte. Jede Regierung, die sie schleifte, w&uuml;rde Frankreich einen Dienst tun; aber was w&uuml;rde der franz&ouml;sische traditionelle Aberglaube dazu sagen?</P>
<P>Die franz&ouml;sische Nordgrenze ist also im h&ouml;chsten Grade ung&uuml;nstig zur Verteidigung, sie ist in der Tat gar nicht zu verteidigen, und der Vaubansche Festungsg&uuml;rtel, statt sie zu verst&auml;rken, ist heutzutage nur noch ein Eingest&auml;ndnis und Denkmal ihrer Schwache.</P>
<P>Wie die mitteleurop&auml;ischen Gro&szlig;machtstheoretiker in Italien, so sehen sich auch die Franzosen jenseits ihrer Nordgrenze nach einer Flu&szlig;linie um, die ihnen eine gute Defensivstellung gew&auml;hren w&uuml;rde. Welche k&ouml;nnte dies sein?</P>
<P>Die erste Linie, die sich darbietet, w&auml;re die der Unterschelde und der Dyle, fortgesetzt bis an die M&uuml;ndung der Sambre in die Maas. Diese Linie w&uuml;rde die bessere H&auml;lfte Belgiens zu Frankreich schlagen. Sie w&uuml;rde fast alle ber&uuml;hmten belgischen Schlachtfelder in sich schlie&szlig;en, auf denen Franzosen und Deutsche sich bek&auml;mpft haben: Oudenarde, Jemappes, Fleurus, Ligny, Waterloo. Aber sie bildet nach immer keine Defensivlinie, sie lie&szlig;e zwischen Schelde und Maas eine gro&szlig;e L&uuml;cke, durch die der Feind ungehindert eindringen kann.</P>
<P>Die zweite Linie w&auml;re die Maas selbst. Wenn Frankreich das linke Maasufer h&auml;tte, so w&uuml;rde es noch nicht einmal so g&uuml;nstig gestellt sein wie Deutschland, wenn es in Italien nur die Etschlinie bes&auml;&szlig;e. Die Etschlinie arrondiert ziemlich vollst&auml;ndig, die Maas nur sehr unvollkommen. Wenn sie von Namur nach Antwerpen fl&ouml;sse, so w&uuml;rde sie eine viel bessere Grenzlinie bilden. Statt dessen aber verl&auml;uft sie von Namur aus nord&ouml;stlich und str&ouml;mt erst jenseits Venlo in einem gro&szlig;en Bogen der Nordsee zu.</P>
<B><P><A NAME="S257">&lt;257&gt;</A></B> Das ganze n&ouml;rdlich von Namur zwischen Maas und See gelegene Gebiet w&uuml;rde im Kriege nur durch seine Festungen gedeckt sein; denn ein feindlicher Maas&uuml;bergang w&uuml;rde die franz&ouml;sische Armee immer in der Ebene von S&uuml;dbrabant finden, und eine franz&ouml;sische Offensive auf das deutsche linke Rheinufer stie&szlig;e sofort auf die starke Rheinlinie, und zwar ganz direkt auf das verschanzte Lager von K&ouml;ln. Der einspringende Winkel der Maas zwischen Sedan und L&uuml;ttich tr&auml;gt ferner dazu bei, die Linie zu schw&auml;chen, trotzdem er durch die Ardennen ausgef&uuml;llt wird. Die Maaslinie gibt also den Franzosen an einer Stelle zuviel, an der andern zuwenig f&uuml;r eine gute Grenzverteidigung. Gehen wir also weiter.</P>
<P>Setzen wir den einen Fu&szlig; unseres Zirkels auf der Karte wieder auf Paris und beschreiben mit dem Radius Paris - Lyon einen Bogen von Basel bis an die Nordsee, so finden wir, da&szlig; der Lauf des Rheins von Basel bis zu seiner M&uuml;ndung mit einer merkw&uuml;rdigen Genauigkeit diesem Bogen folgt. Bis auf wenige Meilen sind alle wichtigen Punkte am Rhein gleich weit von Paris entfernt. <I>Dies ist der eigentliche, reelle Grund des franz&ouml;sischen Verlangens nach der Rheingrenze.</P>
</I><P>Hat Frankreich den Rhein, so ist Paris, Deutschland gegen&uuml;ber, wirklich der Mittelpunkt Frankreichs. Alle Radien, die von Paris der angreifbaren Grenze zulaufen, sei es an den Rhein, sei es an den Jura, sind gleich lang. &Uuml;berall wird dem Feind die konvexe Peripherie des Kreises dargeboten, hinter der er auf Umwegen man&ouml;vrieren mu&szlig;, w&auml;hrend die franz&ouml;sischen Armeen auf der k&uuml;rzeren Sehne sich bewegen und dem Feind zuvorkommen k&ouml;nnen. Die gleich langen Operations- und R&uuml;ckzugslinien der verschiedenen Armeen erleichtern einen konzentrischen R&uuml;ckzug ungemein und damit an einem gegebenen Punkt die M&ouml;glichkeit, zwei dieser Armeen zu einem Hauptschlage gegen den noch getrennten Feind zu vereinigen.</P>
<P>Mit dem Besitz der Rheingrenze w&uuml;rde das Verteidigungssystem Frankreichs, was die <I>nat&uuml;rlichen </I>Voraussetzungen betrifft, eins von denjenigen sein, die der General Willisen "ideale" nennt, die gar nichts mehr zu w&uuml;nschen &uuml;briglassen. Das starke innere Verteidigungssystem des Seinebassins, durch die f&auml;cherf&ouml;rmig der Seine zustr&ouml;menden Fl&uuml;sse Yonne, Aube, Marne, Aisne und Oise gebildet, dies Flu&szlig;system, an dem Napoleon 1814 den Alliierten so derbe strategische Lektionen erteilte, wird dadurch erst nach jeder Richtung gleichm&auml;&szlig;ig gedeckt; der Feind kommt von allen Seiten ziemlich gleichzeitig heran und kann an den Fl&uuml;ssen aufgehalten werden, bis die franz&ouml;sischen Armeen mit vereinigten Kr&auml;ften jede seiner isolierten Kolonnen einzeln anzugreifen imstande sind; w&auml;hrend ohne die Rheinlinie am entscheidendsten Punkt, bei Compi&egrave;gne und Soissons, die Verteidigung erst 12 Meilen von <A NAME="S258"><B>&lt;258&gt;</A></B> Paris zum Stehen kommen kann. In keinem Gebiet Europas w&uuml;rde die Verteidigung in der pl&ouml;tzlichen Konzentration gro&szlig;er Kr&auml;fte so durch die Eisenbahnen unterst&uuml;tzt werden wie in dem Lande zwischen Seine und Rhein. Von dem Zentrum Paris laufen die Eisenbahnradien nach Boulogne, Br&uuml;gge, Gent, Antwerpen, Maastricht, L&uuml;ttich und K&ouml;ln, nach Mannheim und Mainz &uuml;ber Metz, nach Stra&szlig;burg, nach Basel, nach Dijon und Lyon. An welchem Punkt auch der Feind am st&auml;rksten auftreten m&ouml;ge, &uuml;berall kann ihm von Paris aus auf der Eisenbahn die ganze Macht der Reservearmee entgegengeworfen werden. Die innere Verteidigung des Seinebassins wird speziell noch dadurch verst&auml;rkt, da&szlig; innerhalb desselben alle Eisenbahnradien durch die Flu&szlig;t&auml;ler verlaufen (Oise, Marne, Seine, Aube, teilweise Yonne). Damit aber nicht genug. Drei konzentrische Eisenbahnbogen laufen in der L&auml;nge mindestens eines Quadranten um Paris in ziemlich gleichen Entfernungen herum: der erste durch die linksrheinischen Eisenbahnen, die nun schon fast ohne Unterbrechung von Neu&szlig; bis Basel laufen; der zweite geht von Ostende und Antwerpen &uuml;ber Namur, Arlon, Thionville, Metz und Nancy auf Epinal und ist ebenfalls so gut wie vollendet; der dritte endlich l&auml;uft von Calais &uuml;ber Lille, Douai, St.-Quentin, Reims, Ch&acirc;lons-sur-Marne und St.-Dizier nach Chaumont. Hier sind also in allen Ecken und Enden die Mittel gegeben, Massen von Truppen in der k&uuml;rzesten Zeit auf einem beliebigen Punkt zu konzentrieren, und hier w&auml;re durch Natur und Kunst und ohne alle Festungen die Verteidigung durch Man&ouml;vrierf&auml;higkeit so stark, da&szlig; eine Invasion Frankreichs auf ganz andern Widerstand zu rechnen h&auml;tte, als sie 1814 und 1815 fand.</P>
<P>Eins nur w&uuml;rde dem Rhein als Grenzstrom fehlen. Solange das eine Ufer ganz deutsch, das andere ganz franz&ouml;sisch ist, solange beherrscht keines der beiden V&ouml;lker ihn. Einer &uuml;berlegnen Armee, welcher Nation sie auch angeh&ouml;re, k&ouml;nnte der &Uuml;bergang nirgends bestritten werden; das haben wir hundertmal gesehen, und die Strategie gibt die Gr&uuml;nde an, warum dem so sein mu&szlig;. Bei einer &uuml;berlegnen deutschen Offensive k&auml;me die franz&ouml;sische Verteidigung erst weiter zur&uuml;ck zum Stehen: die Nordarmee an der Maas zwischen Venlo und Namur; die Moselarmee an der Mosel, beim Einflu&szlig; der Saar etwa; die Oberrheinarmee an der Obermosel und Obermaas. Um den Rhein vollst&auml;ndig zu beherrschen, um einem feindlichen Flu&szlig;&uuml;bergang energisch entgegentreten zu k&ouml;nnen, m&uuml;&szlig;ten die Franzosen also Br&uuml;ckenk&ouml;pfe auf dem rechten Rheinufer haben. Es war von Napoleon also ganz konsequent, da&szlig; er Wesel, Kastel und Kehl dem franz&ouml;sischen Kaiserreich ohne weiteres einverleibte. Wie die Sachen jetzt stehn, w&uuml;rde sich sein Neffe zur Erg&auml;nzung der sch&ouml;nen Festungen, die ihm die Deutschen aufs linke Rheinufer gebaut haben, au&szlig;er- <A NAME="S259"><B>&lt;259&gt;</A></B> dem noch Ehrenbreitstein, Deutz und zur Not auch den Germersheimer Br&uuml;ckenkopf ausbitten. Dann w&auml;re das milit&auml;rgeographische System Frankreichs nach Offensive und Defensive vollkommen, und jedes neue Anh&auml;ngsel k&ouml;nnte nur schaden. Und wie sehr in der Natur begr&uuml;ndet und sich von selbst verstehend dies System aussieht, davon haben die Alliierten 1813 ein schlagendes Zeugnis abgelegt. Seit kaum 17 Jahren hatte Frankreich dies System sich eingerichtet, und doch verstand es sich schon so von selbst, da&szlig; die hohen Verb&uuml;ndeten, trotz ihrer &Uuml;bermacht und der Wehrlosigkeit Frankreichs, zur&uuml;ckschauderten vor dem Gedanken, daran zu r&uuml;tteln, wie vor einem Sakrileg; und wenn die deutschnationalen Elemente der Bewegung sie nicht fortgerissen h&auml;tten, so w&auml;re der Rhein noch heute ein franz&ouml;sischer Strom.</P>
<P>Wenn wir aber den Franzosen nicht nur den Rhein, sondern auch die Br&uuml;ckenk&ouml;pfe des rechten Ufers abgetreten haben, dann erst haben die Franzosen sich selbst gegen&uuml;ber die Pflicht erf&uuml;llt, die wir nach der Meinung von Radowitz, Willisen und Hailbronner gegen uns erf&uuml;llen, indem wir Etsch und Mincio mit den Br&uuml;ckenk&ouml;pfen Peschiera und Mantua behaupten. Dann aber haben wir auch Deutschland den Franzosen gegen&uuml;ber so total ohnm&auml;chtig gemacht, wie Italien es jetzt gegen&uuml;ber Deutschland ist. Und dann w&uuml;rde, wie 1813, Ru&szlig;land der nat&uuml;rliche "Befreier" Deutschlands (wie Frankreich oder vielmehr die franz&ouml;sische Regierung jetzt als "Befreier" Italiens auftritt) und w&uuml;rde sich zum Lohn seiner uneigenn&uuml;tzigen Anstrengungen nur einige kleine Landstriche zur Arrondierung Polens ausbitten - etwa Galizien und Preu&szlig;en; denn durch diese ist Polen ja auch "umgangen"!</P>
<P>Was f&uuml;r uns die Etsch und der Mincio, das, und noch viel Wichtigeres, ist f&uuml;r Frankreich der Rhein. Umgeht das Venetianische in den H&auml;nden Italiens, und eventuell Frankreichs, Bayern und den Oberrhein und legt die Stra&szlig;e nach Wien blo&szlig;, so umgeht Belgien und Deutschland durch Belgien ganz Ostfrankreich und legt die Stra&szlig;e nach Paris noch viel wirksamer blo&szlig;. Vom Isonzo bis Wien sind immer noch sechzig Meilen, in einem Terrain, wo die Verteidigung immer noch einigerma&szlig;en zum Stehen kommen kann; von der Sambre bis Paris sind drei&szlig;ig Meilen, und erst zw&ouml;lf Meilen vor Paris, bei Soissons oder Compi&egrave;gne, findet die Defensive eine einigerma&szlig;en deckende Flu&szlig;linie. Begibt sich Deutschland, nach Radowitz, durch Aufgeben des Mincio und der Etsch von vornherein in die Lage, in die es sonst durch den</P>
<P>Verlust eines ganzen Feldzugs k&auml;me, so ist Frankreich mit seinen jetzigen Grenzen so gestellt, als h&auml;tte es die Rheingrenze gehabt und zwei Kampagnen verloren, die eine um die Festungen an Rhein und Maas, die zweite im Feld in der belgischen Ebene. Selbst die starke Position der oberitalischen Festungen findet sich einigerma&szlig;en wiederholt am Niederrhein und der Maas; <A NAME="S260"><B>&lt;260&gt;</A></B> w&auml;re nicht aus Maastricht, K&ouml;ln, J&uuml;lich, Wesel und Venlo mit geringer Nachh&uuml;lfe und etwa zwei Zwischenpunkten ein ebenso starkes System zu machen, das Belgien und Nordbrabant vollst&auml;ndig deckte, das einer f&uuml;r das Feld zu schwachen franz&ouml;sischen Armee erlaubte, eine viel st&auml;rkere feindliche durch Man&ouml;vrieren an den Fl&uuml;ssen festzuhalten und schlie&szlig;lich mittelst der Eisenbahnen sich ungehindert in die belgische Ebene oder auf Douai zur&uuml;ckzuziehen?</P>
<P>Wir haben w&auml;hrend dieser ganzen Untersuchung angenommen, da&szlig; Belgien den Deutschen zum Angriff auf Frankreich vollst&auml;ndig offenstehe und mit ihnen alliiert sei. Da wir vom franz&ouml;sischen Standpunkt aus argumentieren mu&szlig;ten, so hatten wir dasselbe Recht dazu wie unsre Gegner am Mincio, wenn sie Italien - auch ein freies und vereinigtes Italien - als den Deutschen stets feindlich annahmen. In allen solchen Dingen ist es ganz in der Ordnung, da&szlig; man den schlimmsten Fall zuerst untersucht, sich auf ihn zun&auml;chst gefa&szlig;t macht; und so m&uuml;ssen die Franzosen verfahren, wenn sie heute die Verteidigungsf&auml;higkeit und die strategische Konfiguration ihrer Nordgrenze ins Auge fassen. Da&szlig; Belgien durch europ&auml;ische Vertr&auml;ge ein neutrales Land ist, ebenso wie die Schweiz, k&ouml;nnen wir hier unbeachtet lassen. Erstens mu&szlig; die geschichtliche Praxis erst noch beweisen, da&szlig; diese Neutralit&auml;t bei einem europ&auml;ischen Kriege mehr ist als ein Blatt Papier, und zweitens wird Frankreich in keinem Fall so fest auf sie rechnen k&ouml;nnen, da&szlig; es die ganze Grenze gegen Belgien milit&auml;risch so behandeln d&uuml;rfte, als bildete dies Land einen deckenden Meerbusen zwischen Frankreich und Deutschland. Die Schw&auml;che der Grenze bleibt also schlie&szlig;lich dieselbe, ob sie nun wirklich aktiv verteidigt wird oder ob nur Truppen detachiert werden, die sie gegen m&ouml;gliche Angriffe besetzen.</P>
<P>Wir haben die Parallele zwischen Po und Rhein nun so ziemlich durchgef&uuml;hrt. Abgesehen von den gr&ouml;&szlig;eren Dimensionen am Rhein, die aber den franz&ouml;sischen Anspruch nur verst&auml;rken w&uuml;rden, ist die Analogie so vollkommen, wie sie nur gew&uuml;nscht werden kann. Man mu&szlig; hoffen, da&szlig; im Falle des Kriegs die deutschen Soldaten den Rhein am Po praktisch mit besserem Erfolg verteidigen, als die mitteleurop&auml;ischen Gro&szlig;machtspolitiker dies theoretisch tun. Sie verteidigen am Po allerdings den Rhein, aber - nur <I>f&uuml;r die Franzosen</I>.</P>
<P>F&uuml;r den Fall &uuml;brigens, da&szlig; die Deutschen auch einmal so ungl&uuml;cklich sein sollten, ihre "nat&uuml;rliche Grenze", den Po und Mincio, zu verlieren, f&uuml;r diesen Fall wollen wir doch die Analogie noch etwas weiterf&uuml;hren. Die Franzosen besa&szlig;en ihre "nat&uuml;rliche Grenze" nur siebenzehn Jahre und haben sich nun schon fast f&uuml;nfundvierzig Jahre ohne sie behelfen m&uuml;ssen. W&auml;hrend dieser <A NAME="S261"><B>&lt;261&gt;</A></B> Zeit sind ihre besten Milit&auml;rs denn auch noch theoretisch zu der Einsicht gekommen, da&szlig; die Nutzlosigkeit des Vaubanschen Festungsg&uuml;rtels gegen eine Invasion in den Gesetzen der modernen Kriegskunst begr&uuml;ndet ist, da&szlig; also 1814 und 1815 weder Zufall noch die vielbeliebte "trahison" &lt;"Verr&auml;terei"&gt;den Alliierten erlaubte, unbek&uuml;mmert zwischen den Festungen durchzumarschieren. Da&szlig; zur Sicherung der exponierten Nordgrenze etwas geschehen mu&szlig;te, war hiernach erst recht augenscheinlich. Trotzdem lag auf der Hand, da&szlig; keine Aussicht da war, die Rheingrenze so bald zu erhalten. Was war zu tun?</P>
<P>Die Franzosen halfen sich in einer Weise, die einem gro&szlig;en Volk Ehre macht: Sie befestigten Paris, sie machten zum ersten Male in der neueren Geschichte den Versuch, ihre Hauptstadt in ein verschanztes Lager im kolossalsten Ma&szlig;stab umzuwandeln. Die Kriegsgelehrten der alten Schule sch&uuml;ttelten den Kopf &uuml;ber dies unverst&auml;ndige Unternehmen. Geld weggeworfen, rein der franz&ouml;sischen Gro&szlig;prahlerei zu Gefallen!. Nichts dahinter, pure Windbeutelei, wer hat je von einer Festung geh&ouml;rt, die neun Meilen im Umkreis und eine Million Bewohner hat! Wie soll sie verteidigt werden, wenn man nicht die halbe Armee als Garnison hineinlegt? Wie soll man diese Menschen alle verproviantieren? Wahnsinn, franz&ouml;sische &Uuml;berhebung, gottloser Frevel, Wiederholung des Turmbaus zu Babel! So beurteilte der milit&auml;rische Zopf das neue Unternehmen, derselbe Zopf, der den Belagerungskrieg an einem Vaubanschen Sechseck studiert und dessen passive Methode der Verteidigung keinen gr&ouml;&szlig;eren offensiven R&uuml;ckschlag kennt als den Ausfall eines Zugs Infanterie vom bedeckten Weg bis an den Glacisfu&szlig;! Die Franzosen aber bauten ruhig fort und haben die Genugtuung gehabt, da&szlig;, obwohl Paris die Feuerprobe noch nicht bestanden, die zopflosen Milit&auml;rs von ganz Europa ihnen recht gegeben haben, da&szlig; Wellington Pl&auml;ne zur Befestigung von London machte, da&szlig; um Wien, wenn wir nicht irren, der Bau detachierter Forts schon begonnen hat und da&szlig; die Befestigung Berlins wenigstens diskutiert wird. Sie haben selbst an dem Beispiel von Sewastopol erfahren m&uuml;ssen, welche enorme St&auml;rke ein kolossales verschanztes Lager hat, wenn es von einer ganzen Armee besetzt, die Verteidigung im gr&ouml;&szlig;ten Ma&szlig;stabe offensiv gef&uuml;hrt wird. Und Sewastopol hatte nur einen Ringwall, keine detachierten Forts nur Feldwerke, keine gemauerten Eskarpen!</P>
<P>Seitdem Paris befestigt ist, kann Frankreich die Rheingrenze entbehren. Wie Deutschland in Italien, wird es seine Verteidigung an der Nordgrenze zun&auml;chst offensiv zu f&uuml;hren haben. Da&szlig; dies verstanden worden ist, das beweist die Disposition d Eisenbahnnetzes. Wird diese Offensive zur&uuml;ck- <A NAME="S262"><B>&lt;262&gt;</A></B> geschlagen, so kommt die Armee an Oise und Aisne zum Stehen, und zwar definitiv; denn ein weiteres Vordringen des Feindes w&uuml;rde keinen Zweck mehr haben, da die aus Belgien kommende Invasionsarmee doch allein zu schwach w&auml;re, gegen Paris zu agieren. Hinter der Aisne, in sichrer Verbindung mit Paris, im schlimmsten Falle hinter der Marne, den linken Fl&uuml;gel an Paris angelehnt, in offensiver Seitenstellung, k&ouml;nnte die franz&ouml;sische Nordarmee die Ankunft der &uuml;brigen Armeen abwarten. Dem Feind bliebe nichts &uuml;brig, als auf Ch&acirc;teau-Thierry vorzugehn und gegen die Verbindungen der franz&ouml;sischen Mosel- und Rheinarmeen zu operieren. Aber die Aktion w&auml;re lange nicht mehr von der entscheidenden Wichtigkeit wie vor der Befestigung von Paris. Im schlimmsten Fall kann den &uuml;brigen franz&ouml;sischen Armeen der R&uuml;ckzug hinter die Loire nicht abgeschnitten werden; dort konzentriert, werden sie immer noch stark genug sein, der durch die Zernierung von Paris geschw&auml;chten und geteilten Invasionsarmee gef&auml;hrlich zu werden oder sich nach Paris hinein durchzuschlagen. Nut einem Wort: Der Umgehung durch Belgien ist durch die Befestigung von Paris die Spitze abgebrochen, sie entscheidet nicht mehr, und man kann die Nachteile, die sie bringt, und die Mittel, die dagegen anzuwenden sind, einfach berechnen.</P>
<P>Das Beispiel der Franzosen werden wir wohl tun nachzuahmen. Statt uns bet&auml;uben zu lassen durch das Geschrei von der Unentbehrlichkeit einer au&szlig;erdeutschen Besitzung, die Tag f&uuml;r Tag unhaltbarer f&uuml;r Deutschland wird, t&auml;ten wir besser, uns auf den unvermeidlichen Moment vorzubereiten, wo wir Italien aufgeben werden. Je fr&uuml;her die uns dann n&ouml;tigen Befestigungen im voraus angelegt werden, desto besser. Wo und wie sie anzulegen sind, dar&uuml;ber mehr zu sagen als die fr&uuml;her hingeworfenen Andeutungen, ist nicht unseres Amts. Nur lege man nicht illusorische Schwerpunkte an und vernachl&auml;ssige, im Verla&szlig; darauf, die einzigen Befestigungen, die eine zur&uuml;ckgehende Armee zum Stehen bringen k&ouml;nnen: verschanzte Lager und Festungsgruppen an Fl&uuml;ssen.</P>
<FONT SIZE=4><P ALIGN="CENTER">IV</P>
</FONT><B><P><A NAME="S263">&lt;263&gt;</A></B> Wir haben jetzt gesehen, wohin die von den mitteleurop&auml;ischen Gro&szlig;machtspolitikern aufgestellte Theorie der nat&uuml;rlichen Grenzen f&uuml;hrt. Dasselbe Recht, das Deutschland auf den Po hat, hat Frankreich auf den Rhein. Soll Frankreich nicht um einer guten milit&auml;rischen Position willen sich neun Millionen Wallonen, Niederl&auml;nder und Deutsche einverleiben, so haben wir auch kein Recht, sechs Millionen Italiener um einer milit&auml;rischen Stellung willen zu unterjochen. Und diese nat&uuml;rliche Grenze, der Po, ist doch am Ende nur eine milit&auml;rische Position, und nur darum, sagt man uns, soll Deutschland ihn behaupten.</P>
<P>Die Theorie der nat&uuml;rlichen Grenzen macht der schleswig-holsteinischen Frage mit dem einen Ruf ein Ende: Danmark til Eideren! D&auml;nemark bis zur Eider! Was verlangen denn die D&auml;nen anders als ihren <I>Po</I> und <I>Mincio</I>, der Eider hei&szlig;t, ihr Mantua, genannt Friedrichstadt?</P>
<P>Die Theorie der nat&uuml;rlichen Grenzen verlangt mit demselben Recht, auf das Deutschland sich am Po st&uuml;tzt, f&uuml;r Ru&szlig;land Galizien und die Bukowina und eine Arrondierung nach der Ostsee zu, die mindestens das ganze preu&szlig;ische rechte Weichselufer in sich schlie&szlig;t. Sie wird wenige Jahre sp&auml;ter mit demselben Recht die Anforderung stellen k&ouml;nnen, da&szlig; die Oder die nat&uuml;rliche Grenze Russisch-Polens sei.</P>
<P>Die Theorie der nat&uuml;rlichen Grenzen, auf Portugal angewandt, ist gezwungen, dies Land bis an die Pyren&auml;en auszudehnen und ganz Spanien in Portugal aufgehn zu lassen.</P>
<P>Die nat&uuml;rliche Grenze von Reu&szlig;-Greiz-Schleiz-Lobenstein wird ebenfalls mindestens bis an die Grenze des deutschen Bundesgebiets und dar&uuml;ber hinaus bis an den Po und vielleicht an die Weichsel ausgedehnt werden m&uuml;ssen, wenn anders den Gesetzen der ewigen Gerechtigkeit Rechnung getragen werden soll, und Reu&szlig;-Greiz-Schleiz-Lobenstein hat ebensoviel Anspruch, da&szlig; ihm sein Recht werde, wie &Ouml;streich.</P>
<B><P><A NAME="S264">&lt;264&gt;</A></B> Wenn die Theorie der nat&uuml;rlichen, d.h. ausschlie&szlig;lich durch milit&auml;rische Erw&auml;gungen festgestellten Grenzen richtig ist, welchen Namen sollen wir dann den deutschen Diplomaten geben, die auf dem Wiener Kongre&szlig; uns an den Rand eines Kriegs Deutscher gegen Deutsche brachten, uns die Maaslinie entgehen lie&szlig;en, die deutsche Ostgrenze blo&szlig;legten und es dem Ausland &uuml;berlie&szlig;[en], Deutschland einzugrenzen und zu repartieren? Wahrlich, kein Land hat soviel Ursache, sich &uuml;ber den Wiener Kongre&szlig; zu beklagen, als Deutschland; aber wenn wir den Ma&szlig;stab der nat&uuml;rlichen Grenzen anlegen, wie sieht es dann erst mit der Reputation der deutschen Staatsm&auml;nner von damals aus? Und gerade dieselben Leute, die die Theorie der nat&uuml;rlichen Grenzen am Po verteidigen, leben von dem Nachla&szlig; der Diplomaten von 1815 und setzen die Tradition des Wiener Kongresses fort.</P>
<P>Wollt ihr ein Beispiel davon?</P>
<P>Als Belgien sich 1830 von Holland losri&szlig;, da erhoben dieselben Leute ihre Stimme, die jetzt den Mincio zu einer Lebenstrage machen. Sie riefen Zeter &uuml;ber die Zerst&uuml;ckelung der starken niederl&auml;ndischen Grenzmacht, die ein Bollwerk gegen Frankreich bilden sollte und die sich sogar - nach allen Erfahrungen von zwanzig Jahren noch soviel Aberglaube - hatte verpflichten m&uuml;ssen, um den in seiner Art wenigstens gro&szlig;artigen Vaubanschen Festungsg&uuml;rtel ein d&uuml;nnes B&auml;ndchen von Festungen herumzulegen. Als f&uuml;rchteten die Gro&szlig;m&auml;chte, Arras und Lille und Douai und Valenciennes w&uuml;rden eines sch&ouml;nen Morgens mit all ihren Bastionen, Demil&uuml;nes und L&uuml;netten nach Belgien hineinmarschieren und sich dort h&auml;uslich niederlassen! Damals wehklagten die Repr&auml;sentanten derselben bornierten Richtung, die wir hier bek&auml;mpfen, Deutschland sei in Gefahr, denn Belgien sei nur ein willenloses Anh&auml;ngsel von Frankreich, ein notwendiger Feind Deutschlands, und die wertvollen Festungen, die mit deutschem (d.h. den Franzosen abgenommenem) Gelde gebaut seien als Schutz gegen Frankreich, die st&auml;nden jetzt den Franzosen gegen uns zu Gebote. Die franz&ouml;sische Grenze sei bis an und &uuml;ber die Maas und Schelde vorger&uuml;ckt, wie lange werde es dauern, bis sie an den Rhein vorgeschoben werde. Die meisten von uns erinnern sich dieser Lamentationen noch ganz deutlich. Und was ist geschehen? Belgien hat sich seit 1848 und besonders seit der bonapartischen Restauration immer entschiedner von Frankreich abgewandt und Deutschland gen&auml;hert. Es kann jetzt sogar schon f&uuml;r ein ausw&auml;rtiges Mitglied des Deutschen Bunde gelten. Und was taten die Belgier, sobald sie sich mit Frankreich in eine Art Opposition setzten? Sie schleiften alle die Festungen, die die Weisheit des Wiener Kongresses dem Lande oktroyiert hatte, als <I>vollst&auml;ndig nutzlos gegen Frankreich </I>und errichteten um Antwerpen ein verschanztes Lager, gro&szlig; genug, die ganze <A NAME="S265"><B>&lt;265&gt;</A></B> Armee aufzunehmen und dort im Falle einer franz&ouml;sischen Invasion englischen oder deutschen Sukkurs abwarten zu k&ouml;nnen Und mit Recht.</P>
<P>Dieselbe weise Politik. die 1830 mit Gewalt das katholische, vorzugsweise franz&ouml;sisch sprechende Belgien an das protestantische, holl&auml;ndisch redende Holland gefesselt halten wollte, dieselbe weise Politik will seit 1848 Italien mit Gewalt unter dem &ouml;streichischen Druck halten und uns Deutsche f&uuml;r &Ouml;streichs Handlungen in Italien verantwortlich machen. Und alles das aus reiner Furcht vor Frankreich. Der ganze Patriotismus dieser Herren scheint darin zu bestehen, da&szlig; sie in eine fieberhafte Aufregung geraten, sobald von Frankreich die Rede ist. Sie scheinen die Schl&auml;ge noch immer nicht verwunden zu haben die der alte Napoleon vor f&uuml;nfzig und sechzig Jahren austeilte. Wir geh&ouml;ren wahrlich nicht zu denen, die die Kriegsmacht Frankreichs untersch&auml;tzen. Wir wissen sehr gut, da&szlig; z.B., was leichte Infanterie angeht und Erfahrung und Geschick im kleinen Krieg und gewisse Seiten der Artilleriewissenschaft keine Armee in Deutschland sich mit der franz&ouml;sischen messen kann. Aber wenn Leute erst mit den zw&ouml;lfhunderttausend Soldaten Deutschlands um sich werfen, als st&auml;nden sie da, fix und fertig wie Schachfiguren, mit denen der Herr Dr. Kollo eine Partie gegen Frankreich um Elsa&szlig; und Lothringen spielt - und wenn dieselben Leute dann bei jeder Gelegenheit eine Zaghaftigkeit an den Tag legen, als verst&auml;nde es sich von selbst, da&szlig; diese zw&ouml;lfhunderttausend Mann von halb soviel Franzosen in die Pfanne gehauen werden m&uuml;&szlig;ten, es sei denn, da&szlig; besagte Zw&ouml;lfhunderttausend sich in lauter uneinnehmbare Positionen verkriechen - so ist es wahrlich hohe Zeit, da&szlig; man die Geduld verliert. Es ist Zeit, dieser Politik der passiven Defensive gegen&uuml;ber daran zu erinnern, da&szlig;, wenn auch Deutschland im ganzen und gro&szlig;en auf eine Defensive mit offensiven R&uuml;ckschl&auml;gen angewiesen sein mag, doch keine Defensive wirksamer ist als die aktive, die offensiv gef&uuml;hrte. Es ist Zeit, daran zu erinnern, da&szlig; wir den Franzosen und andern Nationen gegen&uuml;ber uns im Angriff oft genug &uuml;berlegen gezeigt haben.</P>
<FONT SIZE=2><P>"Im &uuml;brigen ist das Genie von unseren Soldaten, zu attackieren; es ist solches auch schon ganz recht",</P>
</FONT><P>sagt Friedrich der Gro&szlig;e von seiner Infanterie; wie seine Kavallerie zu attackieren verstand, davon m&ouml;gen Ro&szlig;bach, Zorndorf, Hohenfriedberg Zeugnis ablegen. Wie die deutsche Infanterie 1813 und 1814 anzugreifen gewohnt war, daf&uuml;r ist der beste Beweis die bekannte Instruktion Bl&uuml;chers bei Er&ouml;ffnung des Feldzug von 1815:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Da die Erfahrung gelehrt hat, da&szlig; die franz&ouml;sische Armee den Bajonettangriff unsrer Bataillionsmassen nicht auszuhalten vermag, so ist es Recht, diesen stets auszu- <A NAME="S266"><B>&lt;266&gt;</A></B> f&uuml;hren, wo es darauf ankommt, den Feind &uuml;ber den Haufen zu werfen oder einen Posten zu gewinnen."</P>
</FONT><P>Unsre sch&ouml;nsten Schlachten sind Offensivschlachten gewesen, und wenn der deutsche Soldat einer bestimmten Qualifikation des franz&ouml;sischen entbehrt, so ist es erwiesenerma&szlig;en derjenigen, sich defensiv in D&ouml;rfern und H&auml;usern einzunisten; im Angriff kann er sich schon neben ihm sehen lassen und hat es oft genug getan.</P>
<P>Was &uuml;brigens diese Politik selbst betrifft, abgesehen von den zugrunde liegenden Motiven, so besteht sie darin: zuerst unter dem Vorwande der Verteidigung angeblicher oder bis ins Absurde &uuml;bertriebener deutscher Interessen uns bei allen kleineren Grenznachbarn verha&szlig;t zu machen und dann sich dar&uuml;ber zu entr&uuml;sten, da&szlig; diese sich mehr an Frankreich anschlie&szlig;en. Es waren f&uuml;nf Jahre bonapartischer Restauration n&ouml;tig, um Belgien von der franz&ouml;sischen Allianz zu trennen, in die die Politik von 1815, fortgesetzt 1830, die Politik der Heiligen Allianz, es gejagt hatte; und in Italien haben wir den Franzosen eine Position gemacht, die die Minciolinie wahrlich aufwiegt. Und dennoch ist die franz&ouml;sische Politik gegen&uuml;ber Italien immer borniert, engherzig, ausbeutend gewesen, so da&szlig; die Italiener bei irgend loyaler Behandlung von unserer Seite unbedingt mehr zu uns gehalten h&auml;tten als zu Frankreich. Wie sie von 1796 bis 1814 von Napoleon und seinen Statthaltern und Generalen an Geld, Naturalien, Kunstsch&auml;tzen und Menschen ausgesogen worden sind, ist bekannt genug. 1814 kamen die &Ouml;streicher als "Befreier" und wurden als Befreier aufgenommen. (Wie sie Italien befreit haben, davon zeugt der Ha&szlig;, den heute jeder Italiener gegen die Tedeschi &lt;Deutschen&gt; hat.) Soviel &uuml;ber die Praxis der franz&ouml;sischen Politik in Italien; &uuml;ber die Theorie brauchen wir blo&szlig; zu sagen, da&szlig; sie nur <I>einen </I>Grundsatz kennt: <I>Frankreich kann nie ein einheitliches und unabh&auml;ngiges Italien dulden. </I>Bis auf Louis-Napoleon herab steht dieser Grundsatz fest, und damit allen Mi&szlig;verst&auml;ndnissen vorgebeugt werde, mu&szlig; La Gu&eacute;ronni&egrave;re ihn jetzt abermals als ewige Wahrheit proklamieren. Und einer so bornierten spie&szlig;b&uuml;rgerlichen Politik Frankreichs gegen&uuml;ber, einer Politik, die das Recht der Einmischung in die innern Angelegenheiten Italiens ohne weiteres in Anspruch nimmt - einer solchen Politik gegen&uuml;ber sollten wir Deutsche zu bef&uuml;rchten haben, da&szlig; ein nicht mehr unter direkter deutscher Herrschaft stehendes Italien stets Frankreichs gehorsamer Diener gegen uns sein werde? Es ist wahrhaft l&auml;cherlich. Es ist das alte Zeter von 1830 wegen Belgien. Belgien ist uns trotzdem gekommen, ungebeten gekommen, Italien m&uuml;&szlig;te uns ebenso kommen.</P>
<B><P><A NAME="S267">&lt;267&gt;</A></B> Es mu&szlig; &uuml;brigens durchaus festgehalten werden, da&szlig; die Frage um den Besitz der Lombardei eine Frage zwischen Italien und Deutschland ist, nicht aber zwischen Louis-Napoleon und &Ouml;streich. Gegen&uuml;ber einem Dritten wie Louis-Napoleon, einem Dritten, der um seiner eignen, in andrer Beziehung antideutschen Interessen willen sich einmischt, handelt es sich um die einfache Behauptung einer Provinz, die man nur gezwungen abtritt, einer milit&auml;rischen Position, die man nur r&auml;umt, wenn man sie nicht mehr halten kann. Die politische Frage tritt in diesem Fall sogleich hinter die milit&auml;rische zur&uuml;ck; werden wir angegriffen, so wehren wir uns.</P>
<P>Wenn Louis-Napoleon als Paladin der italienischen Unabh&auml;ngigkeit auftreten will, so kann er sich den Krieg gegen &Ouml;streich sparen. Charit&eacute; bien ordonn&eacute;e commence chez soi-m&ecirc;me. &lt;Eine wohlbeschaffene Mildherzigkeit bet&auml;tigt sich zun&auml;chst daheim.&gt; Das "Departement" Korsika ist eine italienische Insel, italienisch, trotzdem es das Vaterland des Bonapartismus ist. M&ouml;ge Louis-Napoleon seinem Onkel Viktor Emanuel vorerst Korsika abtreten, vielleicht lassen wir dann auch mit uns reden. Bis er dies getan hat, wird er wohl tun, seine Begeisterung f&uuml;r Italien f&uuml;r sich zu behalten.</P>
<P>Es ist in ganz Europa keine gr&ouml;&szlig;ere Macht, die nicht Teile andrer Nationen mit ihrem Gebiete vereinigt h&auml;tte. Frankreich hat fl&auml;mische, deutsche, italienische Provinzen. England, das einzige Land, das wirklich nat&uuml;rliche Grenzen besitzt, ist in jeder Richtung &uuml;ber sie hinausgegangen, hat Eroberungen in allen L&auml;ndern gemacht und ist jetzt auch mit einer seiner Dependenzen, den Ionischen Inseln, in Streit, nachdem es eben eine kolossale Rebellion in Indien mit echt &ouml;streichischen Mitteln niedergeschlagen hat. Deutschland hat halbslawische Provinzen, slawische, magyarische, walachische und italienische Anh&auml;ngsel. Und &uuml;ber wieviel Zungen herrscht der wei&szlig;e Zar von Petersburg!</P>
<P>Da&szlig; die Karte von Europa definitiv festgestellt sei, wird kein Mensch behaupten. Alle Ver&auml;nderungen, sofern sie Dauer haben, m&uuml;ssen aber im ganzen und gro&szlig;en darauf hinausgehn, den gro&szlig;en und lebensf&auml;higen europ&auml;ischen Nationen mehr und mehr ihre <I>wirklichen </I>nat&uuml;rlichen Grenzen zu geben, die durch Sprache und Sympathien bestimmt werden, w&auml;hrend gleichzeitig die V&ouml;lkertr&uuml;mmer, die sich hier und da noch finden und die einer nationalen Existenz nicht mehr f&auml;hig sind, den gr&ouml;&szlig;eren Nationen einverleibt bleiben und entweder in ihnen aufgehen oder sich nur als ethnographische Denkm&auml;ler ohne politische Bedeutung erhalten. Milit&auml;rische Erw&auml;gungen k&ouml;nnen nur in zweiter Linie gelten.</P>
<P>Soll aber die Karte von Europa revidiert werden, so haben wir Deutsche <A NAME="S268"><B>&lt;268&gt;</A></B> das Recht, zu fordern, da&szlig; es gr&uuml;ndlich und unparteiisch geschehe und da&szlig; man nicht, wie es beliebte Mode ist, verlange, Deutschland allein solle Opfer bringen, w&auml;hrend alle andern Nationen von ihnen Vorteil haben, ohne das geringste aufzugeben. Wir k&ouml;nnen manches entbehren, das an den Grenzen unsres Gebiets herumh&auml;ngt und uns in Dinge verwickelt, in die wir uns besser nicht so direkt einmischten. Aber geradeso geht es andern auch; m&ouml;gen sie uns das Beispiel der Uneigenn&uuml;tzigkeit geben oder schweigen. Das Endresultat aber dieser ganzen Untersuchung ist, da&szlig; wir Deutsche einen ganz ausgezeichneten Handel machen w&uuml;rden, wenn wir den Po, den Mincio, die Etsch und den ganzen italienischen Plunder vertauschen k&ouml;nnten gegen <I>die Einheit</I>, die uns vor einer Wiederholung von Warschau und Bronzell sch&uuml;tzt und die allein uns nach innen und au&szlig;en stark machen kann. Haben wir diese Einheit, so kann die Defensive aufh&ouml;ren. Wir brauchen dann keinen Mincio mehr; "unser Genie" wird wieder sein, "zu attackieren"; und es gibt noch einige faule Flecke, wo dies n&ouml;tig genug sein wird.</P>
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