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<!DOCTYPE HTML PUBLIC "-//W3C//DTD HTML 3.2//EN">
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<title>Friedrich Engels - Der deutsche Bauernkrieg - I</title>
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<body bgcolor="#FFFFFC">
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<p><small>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 7,S. 330-341<br>
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Dietz Verlag, Berlin/DDR 1960</small></p>
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<p align="center"><a href="../me18/me18_512.htm"><font size="2">Ergänzung der Vorbemerkung
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von 1870 zu "Der deutsche Bauernkrieg"</font></a> <font size="2">|</font> <a href=
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"me07_327.htm"><font size="2">Inhalt</font></a> <font size="2">|</font> <a href=
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"me07_342.htm"><font size="2">II - [Die großen oppositionellen Bewegungen und ihre
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Ideologien - Luther und Münzer]</font></a></p>
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<p align="center"><font size="5">I</font></p>
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<p align="center"><font size="5">[Die ökonomische Lage<br>
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und der soziale Schichtenbau Deutschlands]</font></p>
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<p><b><a name="S330"><330></a></b> Gehen wir zunächst kurz zurück auf die
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Verhältnisse Deutschlands zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts.</p>
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<p>Die deutsche Industrie hatte im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert einen bedeutenden
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Aufschwung genommen. An die Stelle der feudalen, ländlichen Lokalindustrie war der
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zünftige Gewerbebetrieb der Städte getreten, der für weitere Kreise und selbst
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für entlegnere Märkte produzierte. Die Weberei von groben Wollentüchern und
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Leinwand war jetzt ein stehender, weitverbreiteter Industriezweig; selbst feinere Wollen- und
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Leinengewebe sowie Seidenstoffe wurden schon in Augsburg verfertigt. Neben der Weberei hatte sich
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besonders jene an die Kunst anstreifende Industrie gehoben, die in dem geistlichen und weltlichen
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Luxus des späteren Mittelalters ihre Nahrung fand: die der Gold- und Silberarbeiter, der
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Bildhauer und Bildschnitzer, Kupferstecher und Holzschneider, Waffenschmiede <(<i>1850</i>)
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fehlt: Waffenschmiede>, Medaillierer, Drechsler etc. etc. Eine Reihe von mehr oder minder
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bedeutenden Erfindungen, deren historische Glanzpunkte die des Schießpulvers <a name=
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"Z1"></a><a href="me07_330.htm#M1">(1)</a> und der Buchdruckerei bildeten, hatte zur Hebung der Gewerbe
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wesentlich beigetragen. Der Handel ging mit der Industrie gleichen Schritt. Die Hanse hatte durch
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ihr hundertjähriges Seemonopol die Erhebung von ganz Norddeutschland aus der
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mittelalterlichen Barbarei sichergestellt; und wenn sie auch schon seit Ende des fünfzehnten
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Jahrhunderts der Konkurrenz der Engländer und Holländer rasch zu erliegen anfing, so
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ging doch trotz Vasco da Gamas Entdeckungen der große Handelsweg von Indien nach dem Norden
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immer noch durch Deutschland, <a name="S331"><b><331></b></a> war Augsburg noch immer der
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große Stapelplatz für italienische Seidenzeuge, indische Gewürze und alle
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Produkte der Levante. Die oberdeutschen Städte, namentlich Augsburg und Nürnberg, waren
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die Mittelpunkte eines für jene Zeit ansehnlichen Reichtums und Luxus. Die Gewinnung der
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Rohprodukte hatte sich ebenfalls bedeutend gehoben. Die deutschen Bergleute waren im
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fünfzehnten Jahrhundert die geschicktesten der Welt, und auch den Ackerbau hatte das
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Aufblühen der Städte aus der ersten mittelalterlichen Roheit herausgerissen. Nicht nur
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waren ausgedehnte Strecken urbar gemacht worden, man baute auch Farbekräuter und andere
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eingeführte Pflanzen, deren sorgfältigere Kultur auf den Ackerhau im allgemeinen
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günstig einwirkt</p>
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<p>Der Aufschwung der nationalen Produktion Deutschlands hatte indes noch immer nicht Schritt
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gehalten mit dem Aufschwung anderer Länder. Der Ackerbau stand weit hinter dem englischen
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und niederländischen, die Industrie hinter der italienischen, flämischen und englischen
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zurück, und im Seehandel fingen die Engländer und besonders die Holländer schon
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an, die Deutschen aus dem Felde zu schlagen. Die Bevölkerung war immer noch sehr dünn
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gesäet. Die Zivilisation in Deutschland existierte nur sporadisch, um einzelne Zentren der
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Industrie und des Handels gruppiert; die Interessen dieser einzelnen Zentren selbst gingen weit
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auseinander, hatten kaum hie und da einen Berührungspunkt. Der Süden hatte ganz andere
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Handelsverbindungen und Absatzmärkte als der Norden; der Osten und der Westen standen fast
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außer allem Verkehr. Keine einzige Stadt kam in den Fall, der industrielle und kommerzielle
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Schwerpunkt des ganzen Landes zu werden, wie London dies z.B. für England schon war. Der
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ganze innere Verkehr beschränkte sich fast ausschließlich auf die Küsten- und
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Flußschiffahrt und auf die paar großen Handelsstraßen, von Augsburg und
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Nürnberg über Köln nach den Niederlanden und über Erfurt nach dem Norden.
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Weiter ab von den Flüssen und Handelsstraßen lag eine Anzahl kleinerer Städte,
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die, vom großen Verkehr ausgeschlossen, ungestört in den Lebensbedingungen des
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späteren Mittelalters fortvegetierten, wenig auswärtige Waren brauchten, wenig
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Ausfuhrprodukte lieferten. Von der Landbevölkerung kam nur der Adel in Berührung mit
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ausgedehnteren Kreisen und neuen Bedürfnissen; die Masse der Bauern kam nie über die
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nächsten Lokalbeziehungen und den damit verbundenen lokalen Horizont hinaus.</p>
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<p>Während in England und Frankreich das Emporkommen des Handels und der Industrie die
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Verkettung der Interessen über das ganze Land und damit die politische Zentralisation zur
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Folge hatte, brachte Deutschland es nur zur Gruppierung der Interessen nach Provinzen, um
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bloß lokale Zentren, und da- <a name="S332"><b><332></b></a> mit zur politischen
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Zersplitterung; einer Zersplitterung, die bald darauf durch den Ausschluß Deutschlands vom
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Welthandel sich erst recht festsetzte. In demselben Maß, wie das <i>reinfeudale</i> Reich
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zerfiel, löste sich der Reichsverband überhaupt auf, verwandelten sich die großen
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Reichslehenträger in beinahe unabhängige Fürsten, schlossen einerseits die
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Reichsstädte, andererseits die Reichsritter Bündnisse, bald gegeneinander, bald gegen
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die Fürsten oder den Kaiser. Die Reichsgewalt, selbst an ihrer Stellung irre geworden,
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schwankte unsicher zwischen den verschiedenen Elementen, die das Reich ausmachten, und verlor
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dabei immer mehr an Autorität; ihr Versuch, in der Art Ludwigs XI. zu zentralisieren, kam
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trotz aller Intrigen und Gewalttätigkeiten nicht über die Zusammenhaltung der
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östreichischen Erblande hinaus. Wer in dieser Verwirrung, in diesen zahllosen sich
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durchkreuzenden Konflikten schließlich gewann und gewinnen mußte, das waren die
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Vertreter der Zentralisation innerhalb der Zersplitterung, der lokalen und provinziellen
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Zentralisation, die <i>Fürsten</i>, neben denen der Kaiser selbst immer mehr ein Fürst
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wie die andern wurde.</p>
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<p>Unter diesen Verhältnissen hatte sich die Stellung der aus dem Mittelalter
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überlieferten Klassen wesentlich verändert, und neue Klassen hatten sich neben den
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alten gebildet.</p>
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<p>Aus dem hohen Adel waren die <i>Fürsten</i> hervorgegangen. Sie waren schon fast ganz
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unabhängig vom Kaiser und im Besitz der meisten Hoheitsrechte. Sie machten Krieg und Frieden
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auf eigne Faust, hielten stehende Heere, riefen Landtage zusammen und schrieben Steuern aus.
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Einen großen Teil des niederen Adels und der Städte hatten sie bereits unter ihre
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Botmäßigkeit gebracht; sie wandten fortwährend jedes Mittel an, um die noch
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übrigen reichsunmittelbaren Städte und Baronien ihrem Gebiet einzuverleiben. Diesen
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gegenüber zentralisierten sie, wie sie gegenüber der Reichsgewalt dezentralisierend
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auftraten. Nach innen war ihre Regierung schon sehr willkürlich. Sie riefen die Stände
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meist nur zusammen, wenn sie sich nicht anders helfen konnten. Sie schrieben Steuern aus und
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nahmen Geld auf, wenn es ihnen gutdünkte; das Steuerbewilligungsrecht der Stände wurde
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selten anerkannt und kam noch seltener zur Ausübung. Und selbst dann hatte der Fürst
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gewöhnlich die Majorität durch die beiden steuerfreien und am Genuß der Steuern
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teilnehmenden Stände, die Ritterschaft und die Prälaten. Das Geldbedürfnis der
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Fürsten wuchs mit dem Luxus und der Ausdehnung des Hofhaltes, mit den stehenden Heeren, mit
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den wachsenden Kosten der Regierung. Die Steuern wurden immer drückender. Die Städte
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waren meist dagegen geschützt durch ihre Privilegien; die ganze Wucht der Steuerlast fiel
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auf die Bauern, sowohl auf die Dominialbauern der Fürsten selbst wie auch auf die
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Leibeigenen, Hörigen <a name="S333"><b><333></b></a> und Zinsbauern <(<i>1850</i>)
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nur: Leibeigne und Hörige> der lehnspflichtigen Ritter. Wo die direkte Besteurung nicht
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ausreichte, trat die indirekte ein; die raffiniertesten Manöver der Finanzkunst wurden
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angewandt, um den löchrigen Fiskus zu füllen. Wenn alles nicht half, wenn nichts mehr
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zu versetzen war und keine freie Reichsstadt mehr Kredit geben wollte, so schritt man zu
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Münzoperationen der schmutzigsten Art, schlug schlechtes Geld, machte hohe oder niedrige
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Zwangskurse, je nachdem es dem Fiskus konvenierte. Der Handel mit städtischen und sonstigen
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Privilegien, die man nachher gewaltsam wieder zurücknahm, um sie abermals für teures
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Geld zu verkaufen, die Ausbeutung jedes Oppositionsversuchs zu Brandschatzungen und
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Plünderungen aller Art etc. etc. waren ebenfalls einträgliche und alltägliche
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Geldquellen für die Fürsten jener Zeit. Auch die Justiz war ein stehender und nicht
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unbedeutender Handelsartikel für die Fürsten. Kurz, die damaligen Untertanen, die
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außerdem noch der Privathabgier der fürstlichen Vögte und Amtleute zu
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genügen hatten, bekamen alle Segnungen des "väterlichen" Regierungssystems im vollsten
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Maße zu kosten.</p>
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<p>Aus der feudalen Hierarchie des Mittelalters war der mittlere Adel fast ganz verschwunden; er
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hatte sich entweder zur Unabhängigkeit kleiner Fürsten emporgeschwungen oder war in die
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Reihen des niederen Adels herabgesunken. Der <i>niedere Adel</i>, <i>die Ritterschaft</i>, ging
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ihrem Verfall rasch entgegen. Ein großer Teil war schon gänzlich verarmt und lebte
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bloß von Fürstendienst in militärischen oder bürgerlichen Ämtern; ein
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andrer stand in der Lehnspflicht und Botmäßigkeit der Fürsten; der kleinere war
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reichsunmittelbar. Die Entwicklung des Kriegswesens, die steigende Bedeutung der Infanterie, die
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Ausbildung der Feuerwaffe beseitigte die Wichtigkeit ihrer militärischen Leistungen als
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schwere Kavallerie und vernichtete zugleich die Uneinnehmbarkeit ihrer Burgen. Gerade wie die
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Nürnberger Handwerker wurden die Ritter durch den Fortschritt der Industrie
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überflüssig gemacht. Das Geldbedürfnis der Ritterschaft trug zu ihrem Ruin
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bedeutend bei. Der Luxus auf den Schlössern, der Wetteifer in der Pracht bei den Turnieren
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und Festen, der Preis der Waffen und Pferde stieg mit den Fortschritten der gesellschaftlichen
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Entwicklung <(<i>1850</i>) der Zivilisation (statt: der gesellschaftlichen Entwicklung)>,
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während die Einkommenquellen der Ritter und Barone wenig oder gar nicht zunahmen. Fehden mit
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obligater Plünderung und Brandschatzung, Wegelagern und ähnliche noble
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Beschäftigungen wurden mit der Zeit zu gefährlich. Die Abgaben und Leistungen der
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herrschaftlichen Untertanen brachten kaum mehr ein als früher. Um ihre zunehmenden
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Bedürfnisse zu decken, mußten die gnädigen Herren zu denselben Mitteln ihre
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Zuflucht nehmen wie die Fürsten. <a name="S334"><b><334></b></a> Die Bauernschinderei
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durch den Adel wurde mit jedem Jahre weiter ausgebildet. Die Leibeigenen wurden bis auf den
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letzten Blutstropfen ausgesogen, die Hörigen mit neuen Abgaben und Leistungen unter allerlei
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Vorwänden und Namen belegt. Die Fronden, Zinsen, Gülten, Laudemien, Sterbfallabgaben,
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Schutzgelder usw. wurden allen alten Verträgen zum Trotz willkürlich erhöht. Die
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Justiz wurde verweigert und verschachert, und wo der Ritter dem Gelde des Bauern sonst nicht
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beikommen konnte, warf er ihn ohne weiteres in den Turm und zwang ihn, sich loszukaufen.</p>
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<p>Mit den übrigen Ständen lebte der niedere Adel ebenfalls auf keinem
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freundschaftlichen Fuß. Der lehnspflichtige Adel suchte sich reichsunmittelbar zu machen,
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der reichsunmittelbare seine Unabhängigkeit zu wahren; daher fortwährende
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Streitigkeiten mit den Fürsten. Der Geistlichkeit, die dem Ritter in ihrer damaligen
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aufgeblähten Gestalt als ein rein überflüssiger Stand erschien, beneidete er ihre
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großen Güter, ihre durch das Zölibat und die Kirchenverfassung zusammengehaltenen
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Reichtümer. Mit den Städten lag er sich fortwährend in den Haaren; er war ihnen
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verschuldet, er nährte sich von der Plünderung ihres Gebiets, von der Beraubung ihrer
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Kaufleute, vom Lösegeld der ihnen in den Fehden abgenommenen Gefangenen. Und der Kampf der
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Ritterschaft gegen alle diese Stände wurde um so heftiger, je mehr die Geldfrage auch bei
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ihr eine Lebensfrage wurde.</p>
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<p>Die <i>Geistlichkeit</i>, die Repräsentantin der Ideologie des mittelalterlichen
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Feudalismus, fühlte den Einfluß des geschichtlichen Umschwungs nicht minder. Durch die
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Buchdruckerei und die Bedürfnisse des ausgedehnteren Handels war ihr das Monopol nicht nur
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des Lesens und Schreibens, sondern der höheren Bildung genommen. Die Teilung der Arbeit trat
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auch auf intellektuellem Gebiet ein. Der neuaufkommende Stand der Juristen verdrängte sie
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aus einer Reihe der einflußreichsten Ämter. Auch sie fing an, zum großen Teil
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überflüssig zu werden, und erkannte dies selbst an durch ihre stets wachsende Faulheit
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und Unwissenheit. Aber je überflüssiger sie wurde, desto zahlreicher wurde sie - dank
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ihren enormen Reichtümern, die sie durch Anwendung aller möglichen Mittel noch
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fortwährend vermehrte.</p>
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<p>In der Geistlichkeit gab es zwei durchaus verschiedene Klassen. Die geistliche
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Feudalhierarchie bildete die <i>aristokratische</i> Klasse: die Bischöfe und
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Erzbischöfe, die Äbte, Prioren und sonstigen Prälaten. Diese hohen
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Würdenträger der Kirche waren entweder selbst Reichsfürsten, oder sie beherrschten
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als Feudalherren, unter der Oberhoheit andrer Fürsten, große Strecken Landes mit
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zahlreichen Leibeignen und Hörigen. Sie exploitierten ihre Untergebenen nicht nur ebenso
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rücksichtslos wie der Adel und die Fürsten, sie gingen noch viel schamloser zu Werke.
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Neben der brutalen Gewalt wurden <a name="S335"><b><335></b></a> alle Schikanen der
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Religion, neben den Schrecken der Folter alle Schrecken des Bannfluchs und der verweigerten
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Absolution, alle Intrigen des Beichtstuhl in Bewegung gesetzt, um den Untertanen den letzten
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Pfennig zu entreißen oder das Erbteil der Kirche zu mehren. Urkundenfälschung war bei
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diesen würdigen Männern ein gewöhnliches und beliebtes Mittel der Prellerei. Aber
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obgleich sie außer den gewöhnlichen Feudalleistungen und Zinsen noch den Zehnten
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bezogen, reichten alle diese Einkünfte noch nicht aus. Die Fabrikation wundertätiger
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Heiligenbilder und Reliquien, die Organisation seligmachender Betstationen, der
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Ablaßschacher wurden zu Hülfe genommen, dem Volk vermehrte Abgaben zu entreißen,
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und lange Zeit mit bestem Erfolg.</p>
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<p>Diese Prälaten und ihre zahllose, mit der Ausbreitung der politischen und religiösen
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Hetzereien stets verstärkte Gendarmerie von Mönchen waren es, auf die der
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Pfaffenhaß nicht nur des Volks, sondern auch des Adels sich konzentrierte. Soweit sie
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reichsunmittelbar <(<i>1850</i>) souverän>, standen sie dem Fürsten im Wege. Das
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flotte Wohlleben der beleibten Bischöfe und Äbte und ihrer Mönchsarmee erregte den
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Neid des Adels und empörte das Volk, das die Kosten davon tragen mußte, um so mehr, je
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schreiender es ihren Predigten ins Gesicht schlug.</p>
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<p>Die <i>plebejische</i> Fraktion der Geistlichkeit bestand aus den Predigern auf dem Lande und
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in den Städten. Sie standen außerhalb der feudalen Hierarchie der Kirche und hatten
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keinen Anteil an ihren Reichtümern. Ihre Arbeit war weniger kontrolliert und, so wichtig sie
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der Kirche war, im Augenblick weit weniger unentbehrlich als die Polizeidienste der
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einkasernierten Mönche. Sie wurden daher weit schlechter bezahlt, und ihre Pfründen
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waren meist sehr knapp. Bürgerlichen oder plebejischen Ursprungs, standen sie der Lebenslage
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der Masse nahe genug, um trotz ihres Pfaffentums bürgerliche und plebejische Sympathien zu
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bewahren. Die Beteiligung an den Bewegungen der Zeit, bei den Mönchen nur Ausnahme, war bei
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ihnen Regel. Sie lieferten die Theoretiker und Ideologen der Bewegung, und viele von ihnen,
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Repräsentanten der Plebejer und Bauern, starben dafür auf dem Schafott. Der
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Volkshaß gegen die Pfaffen wendet sich auch nur in einzelnen Fällen gegen sie.</p>
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<p>Wie über den Fürsten und dem Adel der Kaiser, so stand über den hohen und
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niederen Pfaffen der <i>Papst</i>. Wie dem Kaiser der "gemeine Pfennig", die Reichssteuern,
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bezahlt wurden, so dem Papst die allgemeinen Kirchensteuern, aus denen er den Luxus am
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römischen Hofe bestritt. In keinem Lande <a name="S336"><b><336></b></a> wurden diese
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Kirchensteuern - dank der Macht und Zahl der Pfaffen - mit größerer Gewissenhaftigkeit
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und Strenge eingetrieben als in Deutschland. So besonders die Annaten bei Erledigung der
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Bistümer. Mit den steigenden Bedürfnissen wurden dann neue Mittel zur Beschaffung des
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Geldes erfunden: Handel mit Reliquien, Ablaß- und Jubelgelder usw. Große Summen
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wanderten so alljährlich aus Deutschland nach Rom, und der hierdurch vermehrte Druck
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steigerte nicht nur den Pfaffenhaß, er erregte auch das Nationalgefühl, besonders des
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Adels, des damals nationalsten Standes.</p>
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<p>Aus den ursprünglichen Pfahlbürgern der mittelalterlichen <i>Städte</i> hatten
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sich mit dem Aufblühen des Handels und der Gewerbe drei scharf gesonderte Fraktionen
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entwickelt.</p>
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<p>An der Spitze der städtischen Gesellschaft standen die <i>patrizischen Geschlechter</i>,
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die sogenannte <i>"Ehrbarkeit"</i>. Sie waren die reichsten Familien. Sie allein saßen im
|
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Rat und in allen städtischen Ämtern. Sie verwalteten daher nicht bloß die
|
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Einkünfte der Stadt, sie verzehrten sie auch. Stark durch ihren Reichtum, durch ihre
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||
|
althergebrachte, von Kaiser und Reich anerkannte aristokratische Stellung, exploitierten sie
|
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|
sowohl die Stadtgemeinde wie die der Stadt untertänigen Bauern auf jede Weise. Sie trieben
|
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|
Wucher in Korn und Geld, oktroyierten sich Monopole aller Art, entzogen der Gemeinde nacheinander
|
||
|
alle Anrechte auf Mitbenutzung der städtischen Wälder und Wiesen und benutzten diese
|
||
|
direkt zu ihrem eigenen Privatvorteil, legten willkürlich Weg-, Brücken- und
|
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|
Torzölle und andere Lasten auf und trieben Handel mit Zunftprivilegien, Meisterschafts- und
|
||
|
Bürgerrechten und mit der Justiz. Mit den Bauern des Weichbilds gingen sie nicht schonender
|
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um als der Adel oder die Pfaffen; im Gegenteil, die städtischen Vögte und Amtleute auf
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den Dörfern, lauter Patrizier, brachten zu der aristokratischen Härte und Habgier noch
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eine gewisse bürokratische Genauigkeit in der Eintreibung mit. Die so zusammengebrachten
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|
städtischen Einkünfte wurden mit der höchsten Willkür verwaltet; die
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||
|
Verrechnung in den städtischen Büchern, eine reine Förmlichkeit, war
|
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|
möglichst nachlässig und verworren; Unterschleife und Kassendefekte waren an der
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||
|
Tagesordnung. Wie leicht es damals einer von allen Seiten mit Privilegien umgebenen, wenig
|
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zahlreichen und durch Verwandtschaft und Interesse eng zusammengehaltenen Kaste war, sich aus den
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||
|
städtischen Einkünften enorm zu bereichern, begreift man, wenn man an die zahlreichen
|
||
|
Unterschleife und Schwindeleien denkt, die das Jahr 1848 in so vielen städtischen
|
||
|
Verwaltungen an den Tag gebracht hat.</p>
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<p>Die Patrizier hatten Sorge getragen, die Rechte der Stadtgemeinde besonders in Finanzsachen
|
||
|
überall einschlafen zu lassen. Erst später, als die Prellereien dieser Herren zu arg
|
||
|
wurden, setzten sich die Gemeinden wieder <a name="S337"><b><337></b></a> in Bewegung, um
|
||
|
wenigstens die Kontrolle über die städtische Verwaltung an sich zu bringen. Sie
|
||
|
erlangten in den meisten Städten ihre Rechte wirklich wieder. Aber bei den ewigen
|
||
|
Streitigkeiten der Zünfte unter sich, bei der Zähigkeit der Patrizier und dem Schutz,
|
||
|
den sie beim Reich und den Regierungen der ihnen verbündeten Städte fanden, stellten
|
||
|
die patrizischen Ratsherren sehr bald ihre alte Alleinherrschaft faktisch wieder her, sei es
|
||
|
durch List, sei es durch Gewalt. Im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts befand sich die Gemeinde
|
||
|
in allen Städten wieder in der Opposition.</p>
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<p>Die städtische Opposition gegen das Patriziat teilte sich in zwei Fraktionen, die im
|
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|
Bauernkrieg sehr bestimmt hervortreten.</p>
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<p>Die <i>bürgerliche Opposition</i>, die Vorgängerin unsrer heutigen Liberalen,
|
||
|
umfaßte die reicheren und mittleren Bürger sowie einen nach den Lokalumständen
|
||
|
größeren oder geringeren Teil der Kleinbürger. Ihre Forderungen hielten sich rein
|
||
|
auf verfassungsmäßigem Boden. Sie verlangten die Kontrolle über die
|
||
|
städtische Verwaltung und einen Anteil an der gesetzgebenden Gewalt, sei es durch die
|
||
|
Gemeindeversammlung selbst oder durch eine Gemeindevertretung (großer Rat,
|
||
|
Gemeindeausschuß); ferner Beschränkung des patrizischen Nepotismus und der Oligarchie
|
||
|
einiger weniger Familien, die selbst innerhalb des Patriziats immer offener hervortrat.
|
||
|
Höchstens verlangten sie außerdem noch die Besetzung einiger Ratsstellen durch
|
||
|
Bürger aus ihrer eignen Mitte. Diese Partei, der sich hier und da die unzufriedene und
|
||
|
heruntergekommene Fraktion des Patriziats anschloß, hatte in allen ordentlichen
|
||
|
Gemeindeversammlungen und auf den Zünften die große Majorität. Die Anhänger
|
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des Rats und die radikalere Opposition zusammen waren unter den wirklichen <i>Bürgern</i>
|
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bei weitem die Minderzahl.</p>
|
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|
<p>Wir werden sehen, wie während der Bewegung des sechzehnten Jahrhunderts diese
|
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"gemäßigte", "gesetzliche", "wohlhabende" und "intelligente" Opposition genau dieselbe
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Rolle spielt, und genau mit demselben Erfolg, wie ihre Erbin, die konstitutionelle Partei, in der
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Bewegung von 1848 und 1849.</p>
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<p>Im übrigen eiferte die bürgerliche Opposition noch sehr ernstlich wider die Pfaffen,
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deren faules Wohlleben und lockere Sitten ihr großes Ärgernis gaben. Sie verlangte
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Maßregeln gegen den skandalösen Lebenswandel dieser würdigen Männer. Sie
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forderte, daß die eigene Gerichtsbarkeit und die Steuerfreiheit der Pfaffen abgeschafft und
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die Zahl der Mönche überhaupt beschränkt werde.</p>
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<p>Die <i>plebejische Opposition</i> bestand aus den heruntergekommenen Bürgern und der
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Masse der städtischen Bewohner, die vom Bürgerrechte ausgeschlossen war: den
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Handwerksgesellen, den Taglöhnern und den zahlreichen <a name="S338"><b><338></b></a>
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Anfängen des Lumpenproletariats, die sich selbst auf den untergeordneten Stufen der
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städtischen Entwicklung vorfinden. Das Lumpenproletariat ist überhaupt eine
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Erscheinung, die, mehr oder weniger ausgebildet, in fast allen bisherigen Gesellschaftsphasen
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vorkommt. Die Menge von Leuten ohne bestimmten Erwerbszweig oder festen Wohnsitz wurde gerade
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damals sehr vermehrt durch das Zerfallen des Feudalismus in einer Gesellschaft, in der noch jeder
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Erwerbszweig, jede Lebenssphäre hinter einer Unzahl von Privilegien verschanzt war. In allen
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entwickelten Ländern war die Zahl der Vagabunden nie so groß gewesen wie in der ersten
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Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts. Ein Teil dieser Landstreicher trat in Kriegszeiten in
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die Armeen, ein anderer bettelte sich durchs Land, der dritte endlich suchte in den Städten
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durch Taglöhnerarbeit und was sonst gerade nicht zünftig war, seine notdürftige
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Existenz. Alle drei spielen eine Rolle im Bauernkrieg: der erste in den Fürstenarmeen, denen
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die Bauern erlagen, der zweite in den Bauernverschwörungen und Bauernhaufen, wo sein
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demoralisierender Einfluß jeden Augenblick hervortritt, der dritte in den Kämpfen der
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städtischen Parteien. Es ist übrigens nicht zu vergessen, daß ein großer
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Teil dieser Klasse, namentlich der in den Städten lebende, damals noch einen bedeutenden
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Kern gesunder Bauernnatur besaß und noch lange nicht die Käuflichkeit und
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Verkommenheit des heutigen zivilisierten Lumpenproletariats entwickelt hatte.</p>
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<p>Man sieht, die plebejische Opposition der damaligen Städte bestand aus sehr gemischten
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Elementen. Sie vereinigte die verkommenen Bestandteile der alten feudalen und zünftigen
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Gesellschaft mit dem noch unentwickelten, kaum emportauchenden proletarischen Element der
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aufkeimenden, modernen bürgerlichen Gesellschaft. Verarmte Zunftbürger, die noch durch
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das Privilegium mit der bestehenden bürgerlichen Ordnung zusammenhingen, auf der einen
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Seite; verstoßene Bauern und abgedankte Dienstleute, die noch nicht zu Proletariern werden
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konnten, auf der andern. Zwischen beiden die Gesellen, momentan außerhalb der offiziellen
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Gesellschaft stehend und sich in ihrer Lebenslage dem Proletariat so sehr nähernd, wie dies
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bei der damaligen Industrie und unter dem Zunftprivilegium möglich; aber, zu gleicher Zeit,
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fast lauter zukünftige bürgerliche Meister, kraft eben dieses Zunftprivilegiums. Die
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Parteistellung dieses Gemisches von Elementen war daher notwendig höchst unsicher und je
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nach der Lokalität verschieden. Vor dem Bauernkriege tritt die plebejische Opposition in den
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politischen Kämpfen nicht als Partei, sie tritt nur als turbulenter,
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plünderungssüchtiger, mit einigen Fässern Wein an- und abkäuflicher Schwanz
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der bürgerlichen Opposition auf. Erst die Aufstände der Bauern machen sie zur Partei,
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und auch da ist sie fast überall in ihren Forderungen und ihrem Auftreten abhängig von
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den Bauern - ein merk- <a name="S339"><b><339></b></a> würdiger Beweis, wie sehr
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damals die Stadt noch abhängig vom Lande war. Soweit sie selbständig auftritt, verlangt
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sie die Herstellung der städtischen Gewerksmonopole auf dem Lande, will sie die
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städtischen Einkünfte nicht durch Abschaffung der Feudallasten im Weichbild
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geschmälert wissen usw.; kurz, so weit ist sie reaktionär, ordnet sie sich ihren
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eigenen kleinbürgerlichen Elementen unter und liefert damit ein charakteristisches Vorspiel
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zu der Tragikomödie, die die moderne Kleinbürgerschaft seit drei Jahren unter der Firma
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der Demokratie aufführt.</p>
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<p>Nur in Thüringen unter dem direkten Einfluß Münzers und an einzelnen andern
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Orten unter dem seiner Schüler wurde die plebejische Fraktion der Städte von dem
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allgemeinen Sturm so weit fortgerissen, daß das embryonische proletarische Element in ihr
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momentan die Oberhand über alle andern Fraktionen <(<i>1850</i>) Faktoren> der
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Bewegung bekam. Diese Episode, die den Kulminationspunkt des ganzen Bauernkriegs bildet und sich
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um seine großartigste Gestalt, um <i>Thomas Münzer</i>, gruppiert, ist zugleich die
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kürzeste. Es versteht sich, daß sie am schnellsten zusammenbrechen und daß sie
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zu gleicher Zeit ein vorzugsweise phantastisches Gepräge tragen, daß der Ausdruck
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ihrer Forderungen höchst unbestimmt bleiben muß; gerade sie fand am wenigsten festen
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Boden in den damaligen Verhältnissen.</p>
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<p>Unter allen diesen Klassen, mit Ausnahme der letzten, stand die große exploitierte Masse
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der Nation: die <i>Bauern</i>. Auf dem Bauer lastete der ganze Schichtenbau der Gesellschaft:
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Fürsten, Beamte, Adel, Pfaffen, Patrizier und Bürger. Ob er der Angehörige eines
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Fürsten, eines Reichsfreiherrn, eines Bischofs, eines Klosters, einer Stadt war, er wurde
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überall wie eine Sache, wie ein Lasttier behandelt, und schlimmer. War er Leibeigner, so war
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er seinem Herrn auf Gnade und Ungnade zur Verfügung gestellt. War er Höriger, so waren
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schon die gesetzlichen, vertragsmäßigen Leistungen hinreichend, ihn zu erdrücken;
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aber diese Leistungen wurden täglich vermehrt. Den größten Teil seiner Zeit
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mußte er auf den Gütern des Herrn arbeiten; von dem, was er sich in den wenigen freien
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Stunden erwarb, mußten Zehnten, Zins, Gült, Bede, Reisegeld (Kriegssteuer),
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Landessteuer und Reichssteuer gezahlt werden. Er konnte nicht heiraten und nicht sterben, ohne
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daß dem Herrn gezahlt wurde. Er mußte, außer den regelmäßigen
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Frondiensten, für den gnädigen Herrn Streu sammeln, Erdbeeren sammeln, Heidelbeeren
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sammeln, Schneckenhäuser sammeln, das Wild zur Jagd treiben, Holz hacken usw. Fischerei und
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Jagd gehörten dem Herrn, der Bauer mußte ruhig zusehen, wenn das Wild seine Ernte
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zerstörte. Die Gemeindeweiden und Waldungen der Bauern waren <a name=
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"S340"><b><340></b></a> fast überall gewaltsam von den Herren weggenommen worden. Und
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wie über das Eigentum, so schaltete der Herr willkürlich über die Person des
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Bauern, über die seiner Frau und seiner Töchter. Er hatte das Recht der ersten Nacht.
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Er warf ihn in den Turm, wenn's ihm beliebte, wo ihn mit derselben Sicherheit, wie jetzt der
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Untersuchungsrichter, damals die Folter erwartete. Er schlug ihn tot oder ließ ihn
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köpfen, wenn's ihm beliebte. Von jenen erbaulichen Kapiteln der Carolina, die da "von
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Ohrenabschneiden", "von Nasenabschneiden", "von Augenausstechen", "von Abhacken der Finger und
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der Hände", "von Köpfen", "von Rädern", "von Verbrennen", "von Zwicken mit
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glühenden Zangen", "von Vierteilen" usw. handeln, ist kein einziges, das der gnädige
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Leib- oder Schirmherr nicht nach Belieben gegen seine Bauern angewandt hätte. Wer sollte ihn
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schützen? In den Gerichten saßen Barone, Pfaffen, Patrizier oder Juristen, die wohl
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wußten, wofür sie bezahlt wurden. Alle offiziellen Stände des Reichs lebten ja
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von der Aussaugung der Bauern.</p>
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<p>Die Bauern, knirschend unter dem furchtbaren Druck, waren dennoch schwer zum Aufstand zu
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bringen. Ihre Zersplitterung erschwerte jede gemeinsame Übereinkunft im höchsten Grade.
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Die lange Gewohnheit der von Geschlecht zu Geschlecht fortgepflanzten Unterwerfung, die
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Entwöhnung vom Gebrauch der Waffen in vielen Gegenden, die je nach der Persönlichkeit
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der Herren bald ab-, bald zunehmende Härte der Ausbeutung trug dazu bei, die Bauern ruhig zu
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erhalten. Wir finden daher im Mittelalter Lokalinsurrektionen der Bauern in Menge, aber -
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wenigstens in Deutschland - vor dem Bauernkrieg keinen einzigen allgemeinen, nationalen
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Bauernaufstand. Dazu waren die Bauern allein nicht imstande, eine Revolution zu machen, solange
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ihnen die organisierte Macht der Fürsten, des Adels und der Städte verbündet und
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geschlossen entgegenstand. Nur durch eine Allianz mit andern Ständen konnten sie eine Chance
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des Sieges bekommen; aber wie sollten sie sich mit andern Ständen verbinden, da sie von
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allen gleichmäßig ausgebeutet wurden?</p>
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<p>Wir sehen, die verschiedenen Stände des Reichs: Fürsten, Adel, Prälaten,
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Patrizier, Bürger, Plebejer und Bauern bildeten im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts eine
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höchst verworrene Masse mit den verschiedenartigsten, sich nach allen Richtungen
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durchkreuzenden Bedürfnissen. Jeder Stand war dem andern im Wege, lag mit allen andern in
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einem fortgesetzten, bald offnen, bald versteckten Kampf. Jene Spaltung der ganzen Nation in zwei
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große Lager, wie sie beim Ausbruch der ersten Revolution in Frankreich bestand, wie sie
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jetzt auf einer höheren Entwicklungsstufe in den fortgeschrittensten Ländern besteht,
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war unter diesen Umständen rein unmöglich; sie konnte selbst an- <a name=
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"S341"><b><341></b></a> nähernd nur dann zustande kommen, wenn die unterste, von allen
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übrigen Ständen exploitierte Schichte der Nation sich erhob: die Bauern und die
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Plebejer. Man wird die Verwirrung der Interessen, Ansichten und Bestrebungen jener Zeit leicht
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begreifen, wenn man sich erinnert, welche Konfusion in den letzten zwei Jahren die jetzige, weit
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weniger komplizierte Zusammensetzung der deutschen Nation aus Feudaladel, Bourgeoisie,
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Kleinbürgerschaft, Bauern und Proletariat hervorgebracht hat.</p>
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<hr>
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<p>Fußnoten</p>
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<p><a name="M1">(1)</a> Das Schießpulver wurde, wie jetzt zweifellos nachgewiesen, von
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China über Indien zu den Arabern gebracht und kam von diesen, nebst den Feuerwaffen,
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über Spanien nach Europa. [<i>Fußnote 1875</i>.] <a href="me07_330.htm#Z1"><=</a></p>
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</body>
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</html>
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