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<!DOCTYPE HTML PUBLIC "-//W3C//DTD HTML 3.2//EN">
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<html>
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<meta name="generator" content="HTML Tidy for Windows (vers 1st August 2002), see www.w3.org">
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<title>"Neue Rheinische Zeitung" - Der Gesetzentwurf ueber die Zwangsanleihe und seine
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Motivierung</title>
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<link rel=stylesheet type="text/css" href="http://www.mlwerke.de/css/artikel.css">
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</head>
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<p align="center"><a href="me05_260.htm"><font size="2">Die Turiner "Concordia"</font></a>
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<font size="2">|</font> <a href="../me_nrz48.htm"><font size="2">Inhalt</font></a> <font size=
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"2">|</font> <a href="me05_271.htm"><font size="2">Der Vereinbarungsdebatten über die
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Kreistände</font></a></p>
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<small>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 262-270<br>
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Dietz Verlag, Berlin/DDR 1971</small> <br>
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<h1>Der Gesetzentwurf über die Zwangsanleihe und seine
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Motivierung</font></p>
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<p><font size="2">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 56 vom 26. Juli 1848]</font></p>
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<p><b><a name="S262"><262></a></b> **<i>Köln</i>, 25. Juli. Ein berüchtigter
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Gauner des gesegneten Viertels von St. Giles in London erschien vor den Assisen. Er war
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angeklagt, den Koffer eines berüchtigten Geizhalses der City um 2.000 Pfund Sterling
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erleichtert zu haben.</p>
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<p><font size="2">"Meine Herren Geschwornen", begann der Angeklagte, "ich nehme Ihre Geduld
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nicht für lange Zeit in Anspruch. Meine Verteidigung ist nationalökonomischer Natur
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und sie wird ökonomisch mit den Worten umgehen. Ich habe dem Herrn Cripps 2.000 Pfund
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Sterling genommen. Nichts sicherer als das. Aber ich habe einem Privatmann genommen, um dem
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Publikum zu geben. Wo sind die 2.000 Pfund Sterling hingekommen? Habe ich sie etwa egoistisch
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an mir gehalten? Durchsuchen Sie meine Taschen. Wenn Sie einen Pence finden, verkaufe ich Ihnen
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meine Seele um einen Farthing. Die 2.000 Pfund, Sie finden sie wieder bei dem Schneider, dem
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Shopkeeper <Krämer>, im Restaurant usw. Was habe ich also getan? Ich habe
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<i>'nutzlos liegende</i> Summen, <i>die nur durch eine Zwangsanleihe'</i> dem Grabe des Geizes
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zu entreißen waren, <i>'in Zirkulation gesetzt'</i>. Ich war ein Agent der Zirkulation,
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und die Zirkulation ist die erste Bedingung des Nationalreichtums. Meine Herren, Sie sind
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Engländer! Sie sind Ökonomen! Sie werden einen Wohltäter der Nation nicht
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verurteilen!"</font></p>
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<p>Der Ökonom von St. Giles sitzt in Vandiemensland <heute Tasmanien, von 1803 bis 1854
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britische Sträflingskolonie> und hat Gelegenheit, über die verblendete
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Undankbarkeit seiner Landsleute nachzudenken.</p>
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<p>Aber er hat nicht umsonst gelebt. Seine Prinzipien bilden die Grundlage der
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<i>Hansemannschen Zwangsanleihe</i>.</p>
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<p><font size="2">"Die Zulässigkeit der Zwangsanleihe", sagt Hansemann in den
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<i>Motiven</i> zu dieser Maßregel, "beruht auf der gewiß begründeten
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Voraussetzung, daß ein großer Teil des baren Geldes in den Händen von
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Privatpersonen in <i>kleinern oder größern Summen nutzlos</i> liegt und <i>nur durch
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eine Zwangsanleihe in Zirkulation gesetzt werden kann</i>."</font></p>
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<p><b><a name="S263"><263></a></b> Wenn ihr ein Kapital <i>verzehrt</i>, bringt ihr es in
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Zirkulation. Wenn ihr es nicht in Zirkulation bringt, <i>verzehrt</i> es der Staat, um es in
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Zirkulation zu bringen.</p>
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<p>Ein Baumwollfabrikant beschäftigt z.B. 100 Arbeiter. Er zahle täglich jedem von
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ihnen 9 Silbergroschen. Es wandern also täglich 900 Silbergroschen, resp. 30 Taler aus
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seiner Tasche in die Tasche der Arbeiter und aus den Taschen der Arbeiter in die Taschen des
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Epiciers <Krämers>, des Hausbesitzers, des Schusters, des Schneiders usw. Diese
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Wanderung der 30 Taler heißt ihre <i>Zirkulation</i>. Von dem Augenblicke an, wo der
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Fabrikant seine Baumwollstoffe nur noch mit Verlust verkaufen oder gar nicht verkaufen kann,
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hört er auf zu produzieren, hört er auf, die Arbeiter zu beschäftigen, und mit
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dem Aufhören der Produktion hört die Wanderung der 30 Taler, hört die
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<i>Zirkulation</i> auf. Wir werden die Zirkulation zwangsweise herstellen! ruft Hansemann aus.
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Warum läßt der Fabrikant auch sein Geld <i>nutzlos</i> liegen? Warum läßt
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er es nicht zirkulieren? Wenn schönes Wetter ist, zirkulieren viele Leute im Freien.
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Hansemann treibt die Leute ins Freie, zwingt sie zu zirkulieren, um das schöne Wetter
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herzustellen. Großer Wetterkünstler!</p>
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<p>Die ministerielle und kommerzielle Krise raubt dem Kapital der bürgerlichen
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Gesellschaft die Zinsen. Der Staat hilft ihr wieder auf die Beine, indem er auch das Kapital
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wegnimmt.</p>
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<p>Der Jude <i>Pinto</i>, der berühmte Börsenspieler des 18. Jahrhunderts, empfiehlt
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in seinem Buch über die "Zirkulation" das Börsenspiel. Das Börsenspiel
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produziere zwar nicht, aber es befördre die Zirkulation, die Wanderung des Reichtums aus
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einer Tasche in die andere. Hansemann verwandelt die Staatskasse in ein Roulette, worauf das
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Vermögen der Staatsbürger zirkuliert. Hansemann-Pinto!</p>
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<p>In den <i>"Motiven"</i> zum "Zwangsanleihegesetz" stößt Hansemann nun auf eine
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große Schwierigkeit. Warum hat die <i>freiwillige Anleihe</i> nicht die nötigen
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Summen eingebracht?</p>
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<p>Man kennt ja das "unbedingte Vertrauen", dessen sich die jetzige Regierung erfreut. Man
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kennt den schwärmerischen Patriotismus der großen Bourgeoisie, die sich über
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nichts mehr beklagt, als daß einige Wühler ihr hingegebenes Vertrauen nicht zu
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teilen sich erfrechen. Man kennt ja die Loyalitätsadressen aus allen Provinzen. Und "trotz
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alledem und alledem" ist Hansemann genötigt, die poetische freiwillige Anleihe in die
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prosaische Zwangsanleihe zu verwandeln!</p>
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<p>Im Regierungsbezirke Düsseldorf z.B. haben Adlige 4.000 Taler, Offiziere <a name=
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"S264"><b><264></b></a> 900 Taler beigesteuert - und wo herrscht mehr Vertrauen als unter
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den Adligen und Offizieren im Regierungsbezirk Düsseldorf? Von den Beiträgen der
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Prinzen des königlichen Hauses gar nicht zu reden.</p>
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<p>Lassen wir uns von Hansemann das Phänomen erklären.</p>
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<p><font size="2">"Die <i>freiwilligen</i> Beiträge sind bisher nur spärlich
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eingegangen. Es ist dies <i>wohl weniger dem Mangel an Vertrauen</i> zu unseren Zuständen,
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als der <i>Ungewißheit</i> über das <i>wirkliche Bedürfnis</i> des Staates
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zuzuschreiben, indem man abwarten zu dürfen glaubte, <i>ob und in welchem Maße die
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Geldkräfte des Volks in Anspruch genommen werden möchten</i>. Auf diesen
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<i>Umstand</i> gründet sich die Hoffnung, daß jeder nach Kräften
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<i>freiwillig</i> beitragen werde, sobald ihm die <i>Beitragspflicht</i> als eine
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<i>unabweisbare Notwendigkeit</i> vorgeführt wird."</font></p>
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<p>Der Staat, in höchsten Nöten, appelliert an den Patriotismus. Er ersucht
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höflichst den Patriotismus, auf den Altar des Vaterlands 5 Millionen Taler niederzulegen,
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und zwar nicht einmal als Geschenk, sondern nur als freiwilliges <i>Darlehn</i>. Man besitzt
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das höchste Vertrauen in den Staat, aber man bleibt taub gegen seinen Notschrei! Man
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befindet sich leider in solcher <i>"Ungewißheit"</i> über das "<i>wirkliche
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Bedürfnis</i> des Staats", daß man sich vorläufig unter den größten
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Seelenleiden entschließt, dem Staate <i>gar nichts</i> zu geben. Man hat zwar das
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höchste Vertrauen zu der Staatsbehörde, und die ehrenwerte Staatsbehörde
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behauptet, der Staat bedürfe 15 Millionen. Eben aus Vertrauen traut man der Versicherung
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der Staatsbehörde nicht, betrachtet vielmehr ihr Geschrei nach 15 Millionen als eine reine
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Spielerei.</p>
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<p>Man kennt die Geschichte von jenem wackern <i>Pennsylvanier,</i> der seinen Freunden nie
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einen Dollar lieh. Er besaß solches Vertrauen in ihren geordneten Lebenswandel, er
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schenkte ihrem Geschäft einen solchen Kredit, daß er bis zu seiner Todesstunde nie
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die "Gewißheit" gewann, sie befänden sich in einem "wirklichen Bedürfnis" nach
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einem Dollar. In ihren stürmischen Forderungen erblickte er nur Prüfungen seines
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Vertrauens, und das Vertrauen des Mannes war unerschütterlich.</p>
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<p>Die preußische Staatsbehörde fand den ganzen Staat von Pennsylvaniern
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bewohnt.</p>
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<p>Aber Herr Hansemann erklärt sich das sonderbare politisch-ökonomische
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Phänomen noch aus einem andern merkwürdigen <i>"Umstand"</i>.</p>
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<p>Das Volk steuerte nicht freiwillig bei, "weil es abwarten zu dürfen glaubte, <i>ob und
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in welchem Maße seine Geldkräfte in Anspruch genommen werden möchten</i>". Mit
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andern Worten: Niemand zahlte freiwillig, weil jeder abwartete, <i>ob und in welchem
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Maße</i> er zum Zahlen <i>gezwungen</i> würde. Vorsichtiger Patriotismus!
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Höchst verwickeltes Vertrauen! Auf diesen <i>"Umstand"</i> nun, daß hinter der
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blauäugig-sanguinischen freiwilligen Anleihe jetzt die dunkelblickende <a name=
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"S265"><b><265></b></a> hypochondrische Zwangsanleihe steht, "gründet" Herr
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Hansemann "die <i>Hoffnung</i>, daß jeder nach Kräften <i>freiwillig</i> beitragen
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werde". Wenigstens muß der verstockteste Zweifler die Ungewißheit verloren und die
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Überzeugung gewonnen haben, daß es der Staatsbehörde mit ihren
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Geldbedürfnissen wirklicher Ernst ist, und das ganze Übel lag ja, wie wir gesehen,
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nur in dieser peinlichen Ungewißheit. Wenn ihr nicht gebt, wird euch genommen, und das
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Nehmen macht euch und uns Unbeschwerlichkeiten. Wir hoffen also, daß euer Vertrauen von
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seiner überspannten Art abläßt und statt in hohlklingenden Phrasen in
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vollklingenden Talern sich äußert. Est-ce clair? <Ist das klar?></p>
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<p>So sehr nun Herr Hansemann auf diesen <i>"Umstand" "Hoffnungen"</i> gründet, so hat
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jedoch die grübelnde Gemütsart seiner <i>Pennsylvanier</i> ihn selbst angesteckt, und
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er sieht sich veranlaßt, nach noch stärkeren <i>Reizmitteln</i> zum Vertrauen
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umzuschauen. Das Vertrauen ist zwar da, aber es will nicht heraus. Es bedarf der
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<i>Reizmittel</i>, um es aus seinem latenten Zustand zu treiben.</p>
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<p><font size="2">"Um aber für die freiwillige Beteiligung einen noch stärkeren
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Antrieb" (als die Aussicht auf die Zwangsanleihe) "zu schaffen, ist [in] § 1 die
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Verzinsung der Anleihe zu 3 1/3 Prozent projektiert und ein Termin" (bis zum ersten Oktober)
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"offen gelassen, bis zu welchem freiwillige Darlehen zu 5 Prozent noch angenommen werden
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sollen."</font></p>
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<p>Herr Hansemann setzt also eine <i>Prämie</i> von 1<font size=
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"-1"><sup>2</sup></font>/<font size="-2">3</font> Prozent auf das freiwillige Darlehn, und nun
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wird der Patriotismus wohl flüssig werden, die Koffer werden springen, und die goldenen
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Fluten des Vertrauens werden in die Staatskasse strömen.</p>
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<p>Herr Hansemann findet es natürlich "billig", den großen Leuten 1<font size=
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"-1"><sup>2</sup></font>/<font size="-2">3</font> Prozent mehr zu zahlen als den kleinen, die
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nur gewaltsam das Unentbehrliche sich nehmen lassen. Zur Strafe ihrer weniger komfortablen
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Vermögensumstände werden sie überdem noch die <i>Rekurskosten</i> zu tragen
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haben.</p>
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<p>So erfüllt sich der Bibelspruch. Wer hat, dem wird gegeben. Wer nicht hat, dem wird
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genommen.</p>
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<p><font size="2">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 60 vom 30. Juli 1848]</font></p>
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<p>**<i>Köln</i>, 29. Juli. Wie Peel einst für die Getreidezölle, so hat
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Hansemann-Pinto für den unfreiwilligen Patriotismus eine "gleitende Skala" entdeckt.</p>
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<p><font size="2">"In betreff des Prozentsatzes für die Beitragspflichtigkeit", sagt unser
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Hansemann in seinen Motiven, "ist eine progressive Skala angenommen, da offenbar die
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Fähigkeit, Geld zu beschaffen, mit dem Betrage des Vermögens in <i>arithmetischem</i>
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Verhältnis steigt."</font></p>
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<p><b><a name="S266"><266></a></b> Mit dem Vermögen steigt die Fähigkeit, Geld
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zu beschaffen. Mit andern Worten: In dem Maße, als man über mehr Geld zu
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verfügen hat, hat man über mehr Geld zu verfügen. Soweit nichts richtiger.
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Daß aber die Fähigkeit, Geld zu beschaffen, nur in <i>arithmetischem</i>
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Verhältnis steigt, mögen die verschiedenen Vermögensbeträge auch in
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<i>geometrischem</i> Verhältnis stehn - das ist eine Entdeckung Hansemanns, die ihm
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größeren Ruhm bei der Nachwelt sichern muß als dem Malthus der Satz, daß
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die Lebensmittel nur in arithmetischem Verhältnis wachsen, während die
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Bevölkerung in geometrischem Verhältnis steigt.</p>
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<p>Wenn also z.B. verschiedene Vermögensbeträge sich zueinander verhalten, wie</p>
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<p>1, 2, 4, 8, 16, 32, 64, 128, 256, 512,</p>
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<p>so wächst nach der Entdeckung des Herrn Hansemann die Fähigkeit, Geld zu
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beschaffen, wie</p>
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<p>1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10.</p>
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<p>Trotz des scheinbaren Wachsens der Beitragspflichtigkeit nimmt also nach unserm
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Ökonomen die Fähigkeit, Geld zu beschaffen, in demselben Maße ab, worin das
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Vermögen zunimmt.</p>
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<p>In einer Novelle des Cervantes finden wir den größten spanischen Finanzmann im
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Irrenhaus. Der Mann hatte ausfindig gemacht, daß die spanische Staatsschuld vernichtet
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sei, sobald</p>
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<p><font size="2">"die Cortes das Gesetz genehmigen, daß alle Vasallen Seiner
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Majestät vorn 14. bis in das 60. Jahr verpflichtet sein sollen, einen Tag im Monat bei
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Wasser und Brot zu fasten, und zwar an einem nach Belieben auszuwählenden und zu
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bestimmenden Tage. Der Aufwand aber, der sonst an Früchten, Gemüse, Fleischspeisen,
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Fischen, Weinen, Eiern und Hülsenfrüchten an diesem Tage verbraucht worden wäre,
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soll zu Geld angeschlagen und Seiner Majestät abgeliefert werden, ohne daß ein
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Heller, bei Strafe des Meineides, wegfalle."</font></p>
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<p>Hansemann kürzt das Verfahren ab. Er hat seine sämtlichen Spanier, die ein
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jährliches Einkommen von 400 Talern besitzen, aufgefordert, einen Tag im Jahr ausfindig zu
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machen, an dem sie 20 Taler entbehren können. Er hat die Kleinen aufgefordert, der
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gleitenden Skala gemäß sich für 40 Tage ungefähr aller Konsumtion zu
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enthalten. Wenn sie zwischen August und September die 20 Taler nicht finden, wird ein
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Gerichtsvollzieher im Oktober sie suchen nach den Worten: Suchet, so werdet ihr finden.</p>
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<p>Folgen wir weiter den <i>"Motiven"</i>, die der preußische Necker uns anvertraut.</p>
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<p><font size="2">"Jedes Einkommen", belehrt er uns, "aus Gewerbe im weitesten Sinne des
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Wortes, also ohne Rücksicht darauf, ob davon Gewerbesteuer bezahlt wird, wie das Einkom-
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<a name="S267"><b><267></b></a></font> men der Ärzte, Advokaten, kann nur <i>nach
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|
Abzug der Betriebsausgaben</i>, einschließlich der von den Schulden zu zahlenden Zinsen
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in Betracht kommen, <i>da nur auf diese Weise das reine Einkommen gefunden wird</i>. Aus
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<i>demselben Grunde</i> mußte <i>das Gewerbebetriebskapital</i> außer Anspruch
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gelassen werden, <i>sofern</i> der nach dem <i>Einkommen</i> zu berechnende Anleihebeitrag
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<i>sich höher beläuft als der nach dem Betriebskapital berechnete</i>."</p>
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<p>Nous marchons de surprise en surprise. <Wir schreiten von Überraschung zu
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Überraschung.> Das <i>Einkommen</i> kann nur in Betracht kommen <i>nach Abzug des
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Betriebskapitals</i>, denn die Zwangsanleihe kann und soll nichts anderes sein als die
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außerordentliche Form einer <i>Einkommensteuer</i>. Und die Betriebskosten gehören
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so wenig zum Einkommen des Industriellen, wie der Baumstamm und die Wurzel des Baums zu seinen
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||
|
Früchten gehören. <i>Aus diesem Grunde</i> also, weil bloß das Einkommen
|
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|
besteuert werden soll und nicht das Betriebskapital, wird eben das Betriebskapital besteuert
|
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|
und nicht das Einkommen, wenn die erste Manier dem Fiskus profitlicher scheint. Es ist Herrn
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||
|
Hansemann also völlig gleichgültig, "auf welche Weise das <i>reine</i> Einkommen
|
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gefunden wird". Was er sucht, ist, "auf welche Weise das <i>größte</i> Einkommen"
|
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|
für den Fiskus "gefunden wird".</p>
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|
<p>Herr Hansemann, der das Betriebskapital selbst angreift, gleicht dem Wilden, der den Baum
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|
fällt, um in den Besitz seiner Früchte zu gelangen.</p>
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|
<p><font size="2">"Wenn also" (Art. 9 des Gesetzentwurfs) "sich die nach dem
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Gewerbebetriebskapital zu bemessende Anleihebeteiligung höher als nach dem zehnfachen
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|
Betrage des Einkommens beläuft, tritt die erstere Art der Abschätzung ein" und wird
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||
|
also das "Gewerbebetriebskapital" selbst "in Anspruch genommen".</font></p>
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<p>Sooft es also dem Fiskus beliebt, kann er das Vermögen statt des Einkommens seinen
|
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|
Forderungen zugrunde legen.</p>
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<p>Das Volk verlangt den mysteriösen preußischen Staatsschatz in Augenschein zu
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nehmen. Das Ministerium der Tat antwortet auf diese taktlose Anforderung durch den Vorbehalt,
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||
|
einen durchdringenden Blick in sämtliche Kaufmannsbücher zu werfen und ein
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||
|
Inventarium über den Vermögensbestand seiner sämtlichen Angehörigen
|
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|
aufzunehmen. Die konstitutionelle Ära in Preußen beginnt damit, nicht das
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||
|
Staatsvermögen durch das Volk, sondern das Volksvermögen durch den Staat
|
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|
kontrollieren zu lassen, um so der schamlosesten Einmischung der Bürokratie in den
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||
|
bürgerlichen Verkehr und die Privatverhältnisse Tür und Tor zu eröffnen. In
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||
|
Belgien hat der Staat ebenfalls zu einer Zwangsanleihe seine Zuflucht genommen, aber er
|
||
|
hält sich bescheiden an die Steuerregister und Hypothekenbücher, an vorhandene
|
||
|
öffentliche Dokumente. Das Ministerium der Tat dagegen spielt das Spartanertum aus der
|
||
|
preußischen Armee in die preußische Nationalökonomie hinein.</p>
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<p><b><a name="S268"><268></a></b> In seinen "Motiven" sucht Hansemann zwar den
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||
|
Bürger zu beschwichtigen durch allerlei milde Worte und freundliche Vorstellungen.</p>
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<p>"Der Verteilung der Anleihe", flüstert er ihm zu, "liegt die
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<i>Selbstschätzung</i> zum Grunde." Alles "Gehässige" wird vermieden.</p>
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<p><font size="2">"<i>Auch nicht einmal</i> eine <i>summarische</i> Angabe der einzelnen
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Vermögensteile wird erfordert ... Die zur <i>Prüfung der Selbstschätzungen</i>
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niedergesetzte Kreiskommission soll im Wege <i>gütlicher</i> Vorstellung zu angemessener
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Beteiligung auffordern, und erst, wenn dieser Weg ohne Erfolg ist, den Betrag einschätzen.
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Gegen diese Entscheidung steht der <i>Rekurs</i> an eine Bezirkskommission usw."</font></p>
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<p>Selbstschätzung" Nicht einmal <i>summarische</i> Angabe der einzelnen
|
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|
Vermögensteile! Gütliche Vorstellung! Rekurs!</p>
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|
<div style="margin-left: 12em">
|
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<p><font size="2">Sage, was willst du mehr?<br>
|
||
|
<H. Heine, "Du hast Diamanten und Perlen"></font></p>
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</div>
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<p>Fangen wir gleich mit dem Ende an, mit dem <i>Rekurs</i>.</p>
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<p>Art. 16 bestimmt:</p>
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<p><font size="2">"Die Einziehung erfolgt <i>ohne Rücksicht auf eingelegten Rekurs</i> zu
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den festgesetzten Terminen, vorbehaltlich der Rückzahlung, insoweit der Rekurs für
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begründet befunden wird."</font></p>
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<p>Also erst die <i>Exekution</i> trotz dem Rekurs, hinterher die Begründung trotz der
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Exekution!</p>
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<p>Noch mehr!</p>
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<p>Die durch den Rekurs verursachten "Kosten fallen dem Rekurrenten zur Last, wenn sein Rekurs
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ganz <i>oder teilweise</i> verworfen wird und werden nötigenfalls exekutivisch
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beigetrieben". (Art. 19.) Wer die ökonomische Unmöglichkeit einer exakten
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Vermögensabschätzung kennt, sieht auf den ersten Blick, daß der Rekurs <i>immer
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teilweise</i> verworfen werden kann, der Rekurrent also jedesmal den Schaden davonträgt.
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Der Rekurs mag also beschaffen sein, wie er will, eine Geldbuße ist sein unzertrennlicher
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Schatten. Allen Respekt vor dem Rekurs!</p>
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<p>Von dem Rekurs, dem Ende, gehen wir zurück zum Anfang, der
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<i>Selbstschätzung</i>.</p>
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<p>Herr Hansemann scheint nicht zu fürchten, daß seine Spartaner sich selbst
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überschätzen.</p>
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<p>Nach Art. 13 bildet "die Selbstangabe der zum Beitrag Verpflichteten die <i>Grundlage</i>
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der Anleiheverteilung". Die Architektonik des Herrn Hansemann ist so beschaffen, daß man
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aus der Grundlage seines Gebäudes keineswegs auf die weitern Umrisse desselben
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schließen kann.</p>
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<p>Oder vielmehr die "Selbstangabe", die in der Form einer "Erklärung" den vom Herrn
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"Finanzminister oder in dessen Auftrage von der Bezirksregie- <a name=
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"S269"><b><269></b></a> rung zu bestimmenden Beamten einzureichen ist" - diese Grundlage
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wird nun tiefer begründet. Nach Art. 14 "treten zur Prüfung der abgegebenen
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Erklärungen eine oder mehrere Kommissionen zusammen, deren Vorsitzender sowie übrige
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Mitglieder zur Zahl von mindestens <i>fünf vom Finanzminister oder der von ihm
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beauftragten Behörde zu ernennen</i> sind". Die <i>Ernennung</i> des Finanzministers oder
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der von ihm beauftragten Behörde bildet also die eigentliche <i>Grundlage</i> der
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Prüfung.</p>
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<p>Weicht die Selbstschätzung ab von dem <i>"Ermessen"</i> dieser vom Finanzminister
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ernannten Kreis- oder Stadtkommission, so wird der "Selbstschätzer" aufgefordert, sich zu
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<i>erklären</i>. (Art. 15.) Er mag nun eine Erklärung abgeben oder nicht abgeben, es
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kömmt alles darauf an, ob sie der von dem Finanzminister ernannten Kommission
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"genügt". Genügt sie nicht, "so hat die Kommission den Beitrag nach <i>eigner
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Schätzung</i> festzusetzen und davon den Beitragspflichtigen zu
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<i>benachrichtigen</i>".</p>
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<p>Erst schätzt der Beitragspflichtige sich selbst und benachrichtigt davon den Beamten.
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Jetzt schätzt der Beamte und benachrichtigt davon den Beitragspflichtigen. Was ist aus der
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"Selbstschätzung" geworden? Die Grundlage ist zugrunde gegangen. Während aber die
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Selbstschätzung nur den Anlaß bot zu einer schweren "Prüfung" des Pflichtigen,
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schlägt die fremde Schätzung sofort in Exekution um. Art. 16 verfügt
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nämlich:</p>
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<p><font size="2">"Die Verhandlungen der Kreis- (Stadt-) Kommissionen sind der Bezirksregierung
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einzureichen, welche danach <i>alsbald</i> die Rollen der Anleihebeträge aufzustellen und
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den betreffenden Kassen zur Einziehung - nötigenfalls im Wege der Exekution - nach den
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für die [...] Steuern geltenden Vorschriften zuzufertigen hat."</font></p>
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<p>Wir haben schon gesehen, wie bei den Rekursen nicht alles "Rose" ist. Der Rekursweg
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versteckt noch andere Dornen.</p>
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<p><i>Erstens</i>. Die Bezirkskommission, welche die Rekurse prüft, wird von Deputierten
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gebildet, welche von den nach dem Gesetz vom 8. April 1848 gewählten Wahlmännern usw.
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erwählt werden.</p>
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<p>Aber der ganze Staat zerfällt vor der Zwangsanleihe in zwei feindselige Lager, das
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Lager der Widerspenstigen und das Lager der Wohlmeinenden, gegen deren geleisteten oder
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angebotenen Beitrag Ausstellungen bei der Kreiskommission nicht erhoben sind. Die Deputierten
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dürfen nur aus dem wohlmeinenden Lager erwählt werden. (Art. 17.)</p>
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<p><i>Zweitens</i>. "Den Vorsitz führt ein vom Finanzminister zu ernennender Kommissarius,
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dem zum Vortrage ein Beamter beigeordnet werden kann." (Art. 18.)</p>
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<p><i>Drittens</i>. "Die Bezirkskommission ist befugt, die spezielle Abschätzung des
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<i>Vermögens oder Einkommens anzuordnen</i> und zu diesem Ende <i>Werttaxen <a name=
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"S270"><b><270></b></a></i> <i>aufzunehmen</i> oder <i>kaufmännische Bücher
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einsehen zu lassen</i>. Reichen diese Mittel nicht aus, so kann vom Rekurrenten eidesstattliche
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Versicherung gefordert werden."</p>
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<p>Wer sich also den "Schätzungen" der vom Finanzminister ernannten Beamten nicht
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unbedenklich fügt - muß zur Strafe seine sämtlichen
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Vermögensverhältnisse zwei Bürokraten und 15 Konkurrenten vielleicht offenlegen.
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Dornenvoller Pfad des Rekurses! Hansemann verhöhnt also nur sein Publikum, wenn er in den
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Motiven sagt:</p>
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<p><font size="2">"Der Verteilung der Anleihe liegt die Selbstschätzung zum Grunde. Um
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solche aber in <i>keiner Weise gehässig</i> zu machen, ist <i>auch nicht einmal eine
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summarische Angabe der einzelnen Vermögensteile erforderlich</i>."</font></p>
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<p>Die Strafe des "Meineides" des Projektenmachers des Cervantes, sie sogar fehlt nicht im
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Projekt des Ministers der Tat.</p>
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<p>Statt sich mit seinen Scheinmotiven abzuquälen, hätte unser Hansemann besser
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getan, mit dem Mann in der Komödie zu sagen:</p>
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<p>"Wie wollt Ihr, daß ich alte Schulden zahle und neue Schulden mache, <i>wenn Ihr mir
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nicht Geld leiht</i>?" <Cervantes, "Gespräch zwischen Cipion und Berganza, den Hunden
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des Auferstehungshospitals"></p>
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<p>In diesem Augenblicke aber, wo Preußen an Deutschland im Dienst seiner
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Sonderinteressen einen Verrat zu begehen und gegen die Zentralgewalt zu rebellieren sucht, ist
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es die <i>Pflicht eines jeden Patrioten</i>, keinen Pfennig freiwillig zur Zwangsanleihe
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beizusteuern. Nur durch eine konsequente Abschneidung der Lebensmittel kann Preußen
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gezwungen werden, sich an Deutschland zu ergeben.</p>
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</body>
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</html>
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