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<!DOCTYPE HTML PUBLIC "-//W3C//DTD HTML 3.2//EN">
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<meta name="generator" content="HTML Tidy for Windows (vers 1st August 2002), see www.w3.org">
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<meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=ISO-8859-1">
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<title>"Neue Rheinische Zeitung" - Die "Koelnische Zeitung" ueber Italien</title>
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<link rel=stylesheet type="text/css" href="http://www.mlwerke.de/css/artikel.css">
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<p align="center"><a href="me05_366.htm"><font size="2">Der italienische Befreiungskampf und
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die Ursache seines jetzigen Mißlingens</font></a> <font size="2">|</font> <a href=
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"../me_nrz48.htm"><font size="2">Inhalt</font></a> <font size="2">|</font> <a href=
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"me05_373.htm"><font size="2">Die "Zeitungs-Halle" über die Rheinprovinz</font></a></p>
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<small>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S.
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3169-372<br>
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Dietz Verlag, Berlin/DDR 1959</small><br>
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<h1>Die "Kölnische Zeitung" über Italien</font></p>
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<p><font size="2">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 87 vom 27. August 1848]</font></p>
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<p><b><a name="S369"><369></a></b> **<i>Köln</i>, 26. August. Wir waren gestern dazu
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verurteilt, einen Belletristen, den Herrn Wilhelm Jordan von Berlin, vom weltgeschichtlichen
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Standpunkt herab politisch kannegießern zu hören. <Siehe <a href=
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"me05_319.htm#S341">"Die Polendebatten in Frankfurt", S. 341-346</a>> Das Schicksal verfolgt
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uns unerbittlich. Ein ähnliches Los trifft uns heute: Die Haupterrungenschaft des
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März besteht darin, daß die Belletristen die Politik gepachtet haben.</p>
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<p>Herr <i>Levin Schücking</i> von Münster, das vierte oder fünfte Rad am
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Annoncenwagen des Herrn Dumont, hat in der "Kölnischen Zeitung" einen Artikel über
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"unsere Politik in Italien" erlassen.</p>
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<p>Und was sagt "mein Freund Levin mit den Gespensteraugen"?</p>
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<p><font size="2">"Es ist kein <i>glücklicherer</i> Augenblick je für Deutschland
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dagewesen als der <i>jetzige</i>, um seine Politik Italien gegenüber auf eine gesunde,
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für Jahrhunderte Dauer verheißende Unterlage zu stellen. Wir haben glorreich" (!
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durch den Verrat Karl Alberts) "den Schimpf abgewaschen, womit unsere Fahnen von einem im
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Glück leicht übermütigen Volke beschmutzt wurden: An der Spitze eines
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unübertrefflichen, im Siege und Kampf nicht allein, sondern auch im Dulden und Ausharren
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bewunderungswürdigen Heeres hat die barbe bianca, der <i>Weißbart</i>, Deutschlands
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glorreichen (!?) Doppelaar auf die Zinnen der <i>empörten</i> Stadt gepflanzt, wo vor mehr
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als sechshundert Jahren der kaiserliche <i>Rotbart</i> diesselbe Banner fliegen ließ als
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<i>Symbol von Deutschlands Hoheit über Italien</i>. <i>Diese Hoheit gehört noch heute
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uns</i>."</font></p>
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<p>So spricht Herr Levin Schücking von der "Kölnischen Zeitung".</p>
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<p>Damals, als die Kroaten und Panduren Radetzkys von einem waffenlosen Volk nach
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fünftägigem Kampf aus Mailand herausgeschlagen wurden, damals, als das
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"bewunderungswurdige Heer", bei Goito gesprengt, sich nach Verona zurückzog - damals
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schwieg die politische Leier "meines Freundes <a name="S370"><b><370></b></a> Levin mit
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den Gespensteraugen"! Aber seitdem die verstärkte österreichische Armee durch den
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ebenso feigen wie ungeschickten Verrat Karl Alberts - einen Verrat, den wir unzählige Male
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vorhergesagt - zu einem unverdienten Siege gekommen, seitdem erscheinen die benachbarten
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Publizisten wieder auf dem Platz, seitdem trompeten sie von "abgewaschenem Schimpf", seitdem
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riskieren sie Parallelen zwischen Friedrich Barbarossa und Radetzky Barbabianca, seitdem ist
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das heldenmütige Mailand, das die ruhmvollste Revolution von ganz 1848 gemacht, nur noch
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eine "empörte Stadt", seitdem gehört uns Deutschen, denen sonst nie etwas
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gehört, die "Hoheit über Italien"!</p>
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<p>"Unsere Fahnen!" Die schwarzgelben Lappen der Metternichschen Reaktion, die man in Wien mit
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Füßen tritt - das sind die Fahnen des Herrn Schücking von der "Kölnischen
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Zeitung"!</p>
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<p>"Deutschlands glorreicher Doppelaar!" Dasselbe heraldische Ungeheuer, dem bei Jemappes, bei
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Fleurus, bei Millesimo, bei Rivoli, bei Neuwied, bei Marengo, bei Hohenlinden, bei Ulm, bei
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Austerlitz, bei Wagram die bewaffnete Revolution die Federn ausrupfte - das ist der
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"glorreiche" Cerberus des Herrn Schücking von der "Kölnischen Zeitung"!</p>
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<p>Als die Österreicher geschlagen wurden, waren die Österreicher Sonderbündler,
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ja fast Vaterlandsverräter; seit Karl Albert in die Falle gegangen ist, seit sie an den
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Ticino gerückt sind, sind sie "Deutsche", sind "Wir" es, die das alles vollbracht haben.
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Wir haben nichts dagegen, daß die "Kölnische Zeitung" die Siege von Volta und
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Custozza erfochten und Mailand erobert hat; aber sie übernimmt dann auch die
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Verantwortlichkeit für die ihr sehr wohl bekannten Brutalitäten und Infamien jenes
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"im Dulden und Ausharren bewundernswerten" Barbarenheeres - gerade wie sie seiner Zeit die
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Verantwortlichkeit für die galizischen Schlächtereien ebenfalls übernommen
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hat.</p>
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<p><font size="2">"Diese Hoheit gehört noch heute uns. Italien und Deutschland sind
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Nationen, um welche die Natur und die Geschichte nun einmal ein Band geschlungen hat, die
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providentiell zusammengehören, die verwandt sind wie Wissenschaft und Kunst, wie Gedanke
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und Gefühl."</font></p>
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<p>Wie Herr Brüggemann und Herr Schücking!</p>
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<p>Und gerade deswegen haben die Deutschen und die Italiener seit 2.000 Jahren sich
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beständig bekämpft, gerade deswegen haben die Italiener die deutsche
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Unterdrückung immer wieder abgeschüttelt, gerade deswegen hat deutsches Blut so oft
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die Straßen von Mailand gerötet, um zu beweisen, daß Deutschland und Italien
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"providentiell zusammengehören"!</p>
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<p><b><a name="S371"><371></a></b> Eben weil Italien und Deutschland "verwandt sind",
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haben Radetzky und Welden alle venetianischen Städte in Brand schießen und
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plündern lassen!</p>
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<p>Mein Freund Levin mit den Gespensteraugen verlangt nun, wir sollen die Lombardei bis an die
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Etsch aufgeben, denn das Volk wolle uns nicht, wenn auch einige arme "Cittadini" (so sagt der
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gelehrte Herr Schücking für Contadini, Bauern) die Österreicher jubelnd
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empfingen. Aber wenn wir uns als "freies Volk" benehmen, "dann wird es uns gern die Hand
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bieten, um sich <i>von uns</i> auf dem Wege, den es allein nicht gehen kann, auf dem Wege zur
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Freiheit, leiten zu lassen".</p>
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<p>In der Tat! Italien, das sich Preßfreiheit, Geschworne, Konstitution eroberte, ehe
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denn Deutschland aus dem faulsten Schlaf erwachte; Italien, das in Palermo die erste Revolution
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dieses Jahres durchkämpfte; Italien, das in Mailand die "unübertrefflichen"
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Österreicher ohne Waffen besiegte - Italien kann den Weg der Freiheit nicht gehen, ohne
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von Deutschland, das heißt von einem Radetzky, geleitet zu werden! Freilich, wenn eine
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Frankfurter Versammlung, eine nichtssagende Zentralmacht, 39 Sonderbünde und die
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"Kölnische Zeitung" dazu gehören, den Weg zur Freiheit zu wandeln ...</p>
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<p>Genug. Damit die Italiener sich ja von den Deutschen "zur Freiheit leiten lassen",
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behält Herr Schücking Welsch-Tirol und das Venetianische, um damit einen
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österreichischen Erzherzog zu belehnen, und schickt "2.000 Mann süddeutscher
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Reichstruppen nach Rom, um dem Statthalter Christi in seinem eignen Hause Ruhe zu
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schaffen".</p>
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<p>Aber leider!</p>
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<div style="margin-left: 8em">
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<p><font size="2">Franzosen und Russen gehört das Land,<br>
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Das Meer gehört den Briten;<br>
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Wir aber besitzen im Luftreich des Traums<br>
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Die Herrschaft unbestritten.</font></p>
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<p>Dort üben wir die Hegemonie,<br>
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Dort sind wir unzerstückelt;<br>
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Die andern Völker haben sich<br>
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Auf platter Erde entwickelt.<br>
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<H. Heine, "Deutschland. Ein Wintermärchen", Kaput VII></p>
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</div>
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<p>Und dort oben, im Luftreich des Traums, gehört uns auch "die Hoheit über Italien".
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Das weiß niemand besser als Herr Schücking. Nachdem er zu Nutz und Frommen des
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deutschen Reiches diese brave Hoheitspolitik entwickelt hat, schließt er seufzend:</p>
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<p><font size="2">"Eine Politik, welche groß, hochherzig, welche einer Macht wie der des
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deutschen Reiches würdig, hat ja leider seit je bei uns für phantastisch gegolten,
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<i>und</i> so <i>wird</i> es <i>auch wohl noch lange bleiben</i>!"</font></p>
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<p><b><a name="S372"><372></a></b> Wir empfehlen Herrn Schücking zum Portier und
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Grenzwächter der deutschen Ehre auf der Höhe des Stilfser Jochs. Von dort herab wird
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das geharnischte Feuilleton der "Kölnischen Zeitung" Italien überschauen und wachen,
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daß von "Deutschlands Hoheit über Italien" kein Titelchen verlorengeht, und erst
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dann kann Deutschland ruhig schlafen.</p>
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<p><font size="2">Geschrieben von Friedrich Engels.</font></p>
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