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2022-08-25 20:29:11 +02:00
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<TITLE>"Neue Rheinische Zeitung" - Die deutsche Zentralgewalt und die Schweiz</TITLE>
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<BODY BGCOLOR="#fffffc">
<P ALIGN="CENTER"><A HREF="me06_045.htm"><FONT SIZE=2>[Belagerungszustand &uuml;berall]</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="../me_nrz48.htm"><FONT SIZE=2>Inhalt</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="me06_055.htm"><FONT SIZE=2>Manteuffel und die Zentralgewalt</FONT></A></P>
<SMALL>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 6, S. 46-54<BR>
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1959</SMALL></P>
<FONT SIZE=5><P>Die deutsche Zentralgewalt und die Schweiz</P>
</FONT><FONT SIZE=2><P>["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 153 vom 26. November 1848]</P>
</FONT><B><P>&lt;46&gt;</B> *<I>K&ouml;ln</I>, 24. November. In den Kom&ouml;dien des vorigen Jahrhunderts, namentlich den franz&ouml;sischen, fehlt es nie an einem Bedienten, der das Publikum dadurch erheitert, da&szlig; er jeden Augenblick Pr&uuml;gel, P&uuml;ffe und, in Szenen von besonderm Effekt, sogar Fu&szlig;tritte bekommt. Die Rolle dieser Bedienten ist gewi&szlig; nicht dankbar, aber sie ist noch beneidenswert gegen eine Rolle, die auf unserm Frankfurter Reichstheater stehend ist: gegen die des Reichsministers der ausw&auml;rtigen Angelegenheiten. Die Bedienten im Lustspiel haben wenigstens ein Mittel, sich zu r&auml;chen - sie haben Witz. Aber der Reichsminister!</P>
<P>Seien wir gerecht. Das Jahr 1848 tr&auml;gt allen Ministern der ausw&auml;rtigen Angelegenheiten keine Rosen. Palmerston und Nesselrode sind bis jetzt froh gewesen, da&szlig; man sie in Ruhe lie&szlig;. Der schwunghafte Lamartine, der mit seinen Manifesten selbst deutsche alte Jungfern und Witwen zu Tr&auml;nen r&uuml;hrte, hat sich mit zerknickten und zerrupften Schwingen versch&auml;mt auf die Seite schleichen m&uuml;ssen. Sein Nachfolger, Bastide, der noch vor einem Jahr im "National" und der obskuren "Revue nationale" als offizieller Kriegsdrommetenschmetterer die tugendhafteste Entr&uuml;stung &uuml;ber die feige Politik Guizots aussch&uuml;ttete, vergie&szlig;t jetzt allabendlich stille Tr&auml;nen &uuml;ber die Lekt&uuml;re seiner <20>uvres compl&eacute;tes de la veille &lt;gesammelte Werke vom Vorabend (der Revolution)&gt; und &uuml;ber den herben Gedanken, da&szlig; er tagt&auml;glich mehr zum Guizot der honetten Republik herabsinkt. Alle diese Minister haben jedoch einen Trost: Ist es ihnen im Gro&szlig;en schlecht gegangen, so haben sie im Kleinen, in d&auml;nischen, sizilianischen, argentinischen, walachischen und andern entlegenen Fragen, Revanche nehmen k&ouml;nnen. Selbst der preu&szlig;ische ausw&auml;rtige Minister, Herr Arnim, als er den unangenehmen <A NAME="S47"><B>&lt;47&gt;</A></B> d&auml;nischen Waffenstillstand schlo&szlig;, hatte die Genugtuung, nicht blo&szlig; der Geprellte zu sein sondern auch jemanden zu prellen, und dieser Jemand war - der Reichsminister!</P>
<P>In der Tat, der Reichsminister des Ausw&auml;rtigen ist der einzige von allen, der eine rein passive Rolle gespielt, der St&ouml;&szlig;e erhalten, aber keinen einzigen ausgeteilt hat. Er ist seit den ersten Tagen seines Amtsantritts das auserkorne S&uuml;ndenlamm gewesen, auf den alle Kollegen der Nachbarstaaten ihre Galle ausgossen, an dem sie alle Vergeltung nahmen f&uuml;r die kleinen Leiden des diplomatischen Lebens, an denen auch sie ihren Teil zu tragen hatten. Da er geschlagen und gemartert wurde, tat er seinen Mund nicht auf, wie ein Lamm, das zur Schlachtbank gef&uuml;hrt wird. Wo ist einer, der da sagen kann, der Reichsminister habe ihm ein H&auml;rlein gekr&uuml;mmt? Wahrlich, die deutsche Nation wird es Herrn Schmerling nie vergessen, da&szlig; er mit solcher Entschlossenheit und Konsequenz die Traditionen des alten heiligen r&ouml;mischen Reichs wiederaufzunehmen gewagt hat.</P>
<P>Sollen wir den Duldermut, den Herr v. Schmerling entfaltet hat, durch ein Register seiner diplomatischen Erfolge noch konstatieren? Sollen wir zur&uuml;ckkommen auf die Reise des Herrn Max Gagern von Frankfurt nach Schleswig, jenes w&uuml;rdige Seitenst&uuml;ck zu weiland "Sophiens Reise von Memel nach Sachsen"? Sollen wir die ganze erbauliche Historie vom d&auml;nischen Waffenstillstand wieder hervorsuchen? Sollen wir auf die verungl&uuml;ckte Mediationsanerbietung in Piemont und auf Herrn Heckschers diplomatische Studienreise aus Reichsstipendien eingehen? Es ist nicht n&ouml;tig. Die Tatsachen sind zu neu und zu schlagend, als da&szlig; man sie nur zu erw&auml;hnen brauchte.</P>
<P>Aber alles hat seine Grenzen, und am Ende mu&szlig; auch der Geduldigste einmal zeigen, da&szlig; er Haare auf den Z&auml;hnen hat, sagt der deutsche Spie&szlig;b&uuml;rger. Getreu dieser Maxime einer Klasse, die unsere Herren Staatsm&auml;nner f&uuml;r die gro&szlig;e wohlgesinnte Majorit&auml;t in Deutschland erkl&auml;ren, hat Herr v. Schmerling endlich auch einmal das Bed&uuml;rfnis gef&uuml;hlt, zu zeigen, da&szlig; er Haare auf den Z&auml;hnen hat. Das S&uuml;ndenlamm suchte einen S&uuml;ndenbock und glaubte ihn endlich in der Schweiz gefunden zu haben. Die Schweiz - kaum zwei und eine halbe Million Einwohner, Republikaner obendrein, die Zufluchtst&auml;tte, von der aus Hecker und Struve nach Deutschland eingefallen und das neue heilige r&ouml;mische Reich schwer beunruhigt haben -, kann man eine bessere und zugleich ungef&auml;hrlichere Gelegenheit finden, zu beweisen, da&szlig; das "gro&szlig;e Deutschland" Haare auf den Z&auml;hnen hat?</P>
<P>Sofort wurde eine "energische" Note an den Vorort Bern wegen der Umtriebe der Fl&uuml;chtlinge gerichtet. Der Vorort Bern jedoch antwortete dem <A NAME="S48"><B>&lt;48&gt;</A></B> "gro&szlig;en Deutschland" im Namen der "kleinen Schweiz" ebenso energisch im Bewu&szlig;tsein seines guten Rechts. Das aber sch&uuml;chterte Herrn Schmerling keineswegs ein. Die Haare wuchsen ihm erstaunlich schnell auf den Z&auml;hnen, und schon am 23. Oktober wurde eine neue, noch "energischere" Note abgefa&szlig;t und am 2. November dem Vorort beh&auml;ndigt. Hier drohte Herr Schmerling der unartigen Schweiz schon mit der Rute. Der Vorort, noch rascher bei der Hand als der Reichsminister, antwortete schon zwei Tage darauf mit derselben Ruhe und Entschiedenheit wie fr&uuml;her, und Herr Schmerling wird nun also seine "Vorkehrungen und Ma&szlig;regeln" gegen die Schweiz in Kraft treten lassen. Er ist bereits damit aufs eifrigste besch&auml;ftigt, wie er in der Frankfurter Versammlung erkl&auml;rt hat.</P>
<P>W&auml;re diese Drohung ein gew&ouml;hnliches Reichspossenspiel, wie wir deren schon so viele in diesem Jahr gesehen, wir w&uuml;rden kein Wort dar&uuml;ber verlieren. Da aber unsern Reichs-Don-Quixoten oder vielmehr Reichs-Sanchos in der Verwaltung des ausw&auml;rtigen Amts ihrer Insel Barataria nie Unverstand genug zuzutrauen ist, so kann es leicht kommen, da&szlig; wir durch diese Schweizer Differenz in allerhand neue Verwicklungen geraten. Quidquid delirant reges usw. &lt;jeglichen Wahnwitz der F&uuml;rsten - die Griechen, sie m&uuml;ssen ihn b&uuml;&szlig;en. Horaz, "Epistole", erstes Buch, Epistel III&gt;.</P>
<P>Sehen wir uns also die Reichsnote an die Schweiz etwas n&auml;her an.</P>
<P>Es ist bekannt, da&szlig; die Schweizer das Deutsche schlecht sprechen und nicht viel besser schreiben. Aber die Antwortnote des Vororts ist, was den Stil angeht, ein goethisch-gerundetes Meisterwerk gegen das sch&uuml;lerhafte, unbeholfene, stets um den Ausdruck verlegene Deutsch des Reichsministeriums. Der schweizerische Diplomat (wie es hei&szlig;t, der Bundeskanzler Schie&szlig;) scheint absichtlich seine Sprache besonders rein, flie&szlig;end und gebildet gehalten zu haben, um schon in dieser Beziehung einen ironischen Kontrast zu bilden gegen die Note des Reichsverwesers, die von einem der Rotm&auml;ntel Jellachichs gewi&szlig; nicht schlechter stilisiert worden w&auml;re. Es sind S&auml;tze in der Reichsnote, die gar nicht zu verstehen, und andere, die von vollendeter Holprigkeit sind, wie man weiter unten sehen wird. Aber sind nicht diese S&auml;tze gerade geschrieben "in der <I>Sprache der Geradheit</I>, die die Regierung des Reichsverwesers im V&ouml;lkerverkehr sich stets zur Pflicht machen wird"?</P>
<P>Nicht besser geht es dem Herrn Schmerling, was den Inhalt anbetrifft. Gleich im ersten Absatz erinnert er</P>
<FONT SIZE=2><P>"an die Tatsache, da&szlig; &uuml;ber die deutsche Note vom 30. Juni d.J. in der Tagsatzung mehrere Wochen hindurch, bevor irgendeine Antwort erfolgte, in einem Tone verhandelt wurde, welcher zu jener Zeit einem Vertreter Deutschlands den Aufenthalt in der Schweiz unm&ouml;glich gemacht haben w&uuml;rde".</P>
</FONT><P>(Hier ist gleich eine Stilprobe.)</P>
<B><P><A NAME="S49">&lt;49&gt;</A></B> Der Vorort ist gutm&uuml;tig genug, der "Regierung des Reichsverwesers" nach den Protokollen der Tagsatzung zu beweisen, da&szlig; diese "mehrere Wochen langen" Debatten sich auf eine einzige kurze Verhandlung an <I>einem einzigen </I>Tage beschr&auml;nken. Man sieht, wie unser Reichsminister, statt die Aktenst&uuml;cke nachzuschlagen, lieber dem Schatz seines verworrenen Ged&auml;chtnisses vertraut. Wir werden daf&uuml;r noch mehr Beweise finden.</P>
<P>Die Regierung des Reichsverwesers kann &uuml;brigens in dieser Gef&auml;lligkeit des Vororts, in der Bereitwilligkeit, mit der er ihrem schwachen Ged&auml;chtnis nachhilft, einen Beweis der "freundnachbarlichen Gesinnungen" der Schweiz finden. Wahrhaftig, h&auml;tte sie sich beigehen lassen, in einer Note auf &auml;hnliche Weise von den englischen Parlamentsdebatten zu sprechen, die trockene Insolenz Palmerston w&uuml;rde ihr ganz anders die T&uuml;r gewiesen haben! Der preu&szlig;ische und &ouml;streichische Gesandte in London k&ouml;nnen ihr erz&auml;hlen, was &uuml;ber ihre resp. Staaten und Noten &ouml;ffentlich verhandelt wurde, ohne da&szlig; ein Mensch daran dachte, da&szlig; ihr Aufenthalt in London dadurch unm&ouml;glich geworden. Diese Sch&uuml;ler wollen der Schweiz V&ouml;lkerrecht beibringen und wissen nicht einmal, da&szlig; von den Verhandlungen souver&auml;ner Versammlungen sie nur <I>das </I>angeht, was beschlossen, nicht aber das, was geredet wird! Diese Logiker behaupten in derselben Note, "die Schweiz werde wissen, da&szlig; Angriffe auf die Pre&szlig;freiheit nicht von Deutschland ausgehen k&ouml;nnten" (diese Zeilen in der N[euen] Rhein[ischen] Z[eitung]" abzudrucken, reicht schon hin, um sie bitter zu ironisieren) - und wollen sich sogar in die Freiheit der Debatte der damals h&ouml;chsten schweizerischen Beh&ouml;rden mischen!</P>
<FONT SIZE=2><P>"Ein Streit &uuml;ber Grunds&auml;tze liegt nicht vor. Es handelt sich nicht um das Asylrecht, noch um die Pre&szlig;freiheit. Die Schweiz wird wissen, da&szlig; Angriffe gegen diese Rechte nicht von Deutschland ausgehen k&ouml;nnen. Sie hat wiederholt erkl&auml;rt, da&szlig; sie den Mi&szlig;brauch derselben nicht dulden werde, sie hat anerkannt, da&szlig; das Asylrecht nicht zu einem Gewerbe f&uuml;r die Schweiz" (was soll das hei&szlig;en?), "zu einem Kriegszustand f&uuml;r Deutschland" (das Asylrecht ein Kriegszustand, welches Deutsch!) "werden d&uuml;rfe, da&szlig; ein Unterschied sein m&uuml;sse zwischen einem Obdach f&uuml;r Verfolgte und einem Schlupfwinkel f&uuml;r Wegelagerer."</P>
</FONT><P>"Schlupfwinkel f&uuml;r Wegelagerer!" Sind Rinaldo Rinaldini und s&auml;mtliche bei Gottfried Basse in Quedlinburg erschienenen R&auml;uberhauptleute aus den Abruzzen mit ihren Banden an den Rhein gezogen, um bei gelegener Zeit das badische Oberland auszupl&uuml;ndern? Ist Karl Moor im Anzuge aus den b&ouml;hmischen W&auml;ldern? Hat Schinderhannes auch einen Bruderssohn hinterlassen, der als "Neffe seines Onkels" die Dynastie von der Schweiz aus fortsetzen will? Weit entfernt! Struve, der im badischen Gef&auml;ngnis sitzt, Frau Struve und die paar Arbeiter, die <I>unbewaffnet </I>&uuml;ber die Grenze zogen, das sind die <A NAME="S50"><B>&lt;50&gt;</A></B> "Wegelagerer", die in der Schweiz ihre "Schlupfwinkel" hatten oder noch haben sollen. Die Reichsgewalt, nicht zufrieden mit den Gefangenen, an denen sie sich r&auml;chen kann, ent&auml;u&szlig;ert sich so alles Anstandes, da&szlig; sie den gl&uuml;cklich Entronnenen Schimpfworte &uuml;ber den Rhein nachschleudert.</P>
<FONT SIZE=2><P>"Die Schweiz wei&szlig;, da&szlig; man ihr keine Pre&szlig;verfolgungen zumutet, da&szlig; nicht von den Zeitungs- und Flugbl&auml;ttern, sondern von deren Urhebern die Rede ist, welche dicht an der Grenze bei Tag und Nacht durch massenweise Einschleppung von Brandschriften einen niedrigen Schmuggelkrieg gegen Deutschland f&uuml;hren."</P>
</FONT><P>"Einschleppung!" "Brandschriften!" "niedriger Schmuggelkrieg!" Die Ausdr&uuml;cke werden immer gebildeter, immer diplomatischer - aber hat sich nicht die Regierung des Reichsverwesers "die Sprache der Geradheit zur Pflicht gemacht"?</P>
<P>Und in der Tat, ihre Sprache ist von merkw&uuml;rdiger "Geradheit"! Sie mutet der Schweiz keine Pre&szlig;verfolgungen zu; sie spricht nicht von den "Zeitungen und Flugbl&auml;ttern", sondern von "deren <I>Urhebern</I>". Diesen soll das Handwerk gelegt werden. Aber, ehrliche "Regierung des Reichsverwesers", wenn man in Deutschland einem Blatt den Proze&szlig; macht, z.B. der "Neuen Rhein[ischen] Zeitung", handelt es sich da um das Blatt, das in aller Welt H&auml;nden ist und nicht mehr der Zirkulation entzogen werden kann, oder um die "Urheber", die man einsteckt und vor Gericht stellt? Diese brave Regierung verlangt keine Verfolgungen gegen die Presse, blo&szlig; gegen die <I>Urheber </I>der Presse. Ehrliche Haut! Wunderbare "Sprache der Geradheit"!</P>
<P>Diese Urheber "f&uuml;hren durch massenweise Einschleppung von Brandschriften einen niedrigen Schmuggelkrieg gegen Deutschland". Dies Verbrechen der "Wegelagerer" ist wirklich unverzeihlich, um so mehr, als "es bei Tag und Nacht" geschieht, und da&szlig; die Schweiz dies duldet, ist ein himmelschreiender Bruch des V&ouml;lkerrechts.</P>
<P>Von Gibraltar aus werden ganze Schiffsladungen englischer Waren nach Spanien hineingeschmuggelt, und die spanischen Pfaffen erkl&auml;ren, da&szlig; die Engl&auml;nder von dort aus "durch Einschleppung von evangelischen Brandschriften", z.B. spanischen Bibeln der Bibelgesellschaft, einen niedrigen Schmuggelkrieg gegen die katholische Kirche f&uuml;hren. Die Fabrikanten von Barcelona fluchen ebensosehr &uuml;ber den niedrigen Schmuggelkrieg, der durch Einschleppung englischer Kalikos von dort aus gegen die spanische Industrie gef&uuml;hrt wird. Aber der spanische Gesandte sollte sich nur einmal dar&uuml;ber beschweren, und Palmerston w&uuml;rde ihm antworten: Thou blockhead &lt;Du Dummkopf&gt;, gerade <A NAME="S51"><B>&lt;51&gt;</A></B> deswegen haben wir ja Gibraltar genommen! Alle andern Regierungen haben bisher zuviel Takt, Geschmack und &Uuml;berlegung besessen, um sich in Noten &uuml;ber den Schmuggel zu beschweren. Aber die naive Regierung des Reichsverwesers spricht so sehr die "Sprache der Geradheit", da&szlig; sie h&ouml;chst treuherzig erkl&auml;rt, die Schweiz habe das V&ouml;lkerrecht verletzt, wenn die badischen Grenzaufseher nicht geh&ouml;rig aufpassen.</P>
<FONT SIZE=2><P>"Die Schweiz kann endlich auch dar&uuml;ber nicht im unklaren sein, da&szlig; das Recht des Auslandes sich solcher <I>Unbill </I>zu verwehren, nicht davon abh&auml;ngen kann, ob es den schweizerischen Beh&ouml;rden an der Macht oder am Willen fehlt, sie zu verbieten."</P>
</FONT><P>Die Regierung des Reichsverwesers scheint vollst&auml;ndig "dar&uuml;ber im unklaren zu sein, da&szlig; das Recht" der Schweiz, jeden ruhig gew&auml;hren zu lassen, der sich den Landesgesetzen unterwirft, sollte er auch durch Einschleppung etc. einen niedrigen Schmuggelkrieg etc. f&uuml;hren, "nicht davon abh&auml;ngen kann, ob es den <I>deutschen</I> Beh&ouml;rden an der Macht oder am Willen fehlt", diesen Schmuggel "zu verh&uuml;ten". Die Regierung des Reichsverwesers beherzige die Antwort Heines an den Hamburger, der ihm vom gro&szlig;en Brande vorjammerte:</P><DIR>
<DIR>
<DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Schafft Euch be&szlig;re Gesetze an, <BR>
Und be&szlig;re Feuerspritzen -<BR>
&lt;H. Heine, "Deutschland. Ein Winterm&auml;rchen", Kaput XXI&gt;</P></DIR>
</DIR>
</DIR>
</DIR>
</FONT><P>und sie wird nicht mehr n&ouml;tig haben, sich fernerhin durch die Geradheit ihrer Sprache l&auml;cherlich zu machen.</P>
<P>"Nur &uuml;ber die Tatsachen ist Streit", hei&szlig;t es weiter, und wir werden also endlich au&szlig;er dem niedrigen Schmuggelkrieg einige andere, bedeutende Tatsachen h&ouml;ren. Wir sind begierig.</P>
<FONT SIZE=2><P>"Der hohe Vorort verlangt, unter Berufung auf seine Nichtkenntnis, da&szlig; er den bestimmten Nachweis von Vorg&auml;ngen erhalte, welche die gegen die schweizerischen Beh&ouml;rden erhobenen Anklagen zu erh&auml;rten verm&ouml;gen."</P>
</FONT><P>Offenbar ein sehr vern&uuml;nftiges Verlangen von seiten des hohen Vororts. Und die Regierung des Reichsverwesers wird bereitwilligst diesem billigen Verlangen entsprechen?</P>
<P>Keineswegs. Man h&ouml;re nur:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Aber ein kontradiktorisches Verfahren zwischen Regierungen &uuml;ber weltkundige Dinge liegt nicht in der Sitte der V&ouml;lker."</P>
</FONT><P>Da habt ihr eine derbe Lektion des V&ouml;lkerrechts f&uuml;r die arrogante kleine Schweiz, die da glaubt, mit der Regierung des Reichsverwesers des gro&szlig;en Deutschlands ebenso naseweis umspringen zu d&uuml;rfen wie weiland das kleine <A NAME="S52"><B>&lt;52&gt;</A></B> D&auml;nemark. Sie sollte sich ein Exempel nehmen an dem d&auml;nischen Waffenstillstand und bescheidener werden. Es k&ouml;nnte ihr sonst ebenso gehen.</P>
<P>Wenn die Auslieferung eines gemeinen Verbrechers von einem Nachbarstaate verlangt wird, so l&auml;&szlig;t man sich in ein kontradiktorisches Verfahren ein, mag das Verbrechen noch so "weltkundig" sein. Aber das kontradiktorische Verfahren oder vielmehr der blo&szlig;e Nachweis der Schuld, den die Schweiz verlangt, ehe sie - nicht gegen &uuml;bergetretene gemeine Verbrecher, auch nicht gegen Fl&uuml;chtlinge, nein, gegen ihre <I>eigenen </I>aus demokratischer Volkswahl hervorgegangenen <I>Beamten </I>einschreitet - dieser Nachweis "liegt nicht in der Sitte der V&ouml;lker"! Wahrlich, die "Sprache der Geradheit" verleugnet sich nicht einen Augenblick. <I>Gerader </I>heraus kann man nicht gestehen, da&szlig; man keine Beweise zu bringen hat.</P>
<P>Und jetzt folgt ein Hagel von Fragen, in dem alle diese weltkundigen Tatsachen aufgez&auml;hlt werden.</P>
<FONT SIZE=2><P>"Zweifelt jemand an dem Treiben der deutschen Aufwiegler in der Schweiz?"</P>
</FONT><P>Gewi&szlig; niemand, ebensowenig wie an dem Treiben des Herrn Schmerling in Frankfurt. Da&szlig; die deutschen Fl&uuml;chtlinge in der Schweiz meistens irgend etwas "treiben", ist klar. Die Frage ist nur, <I>was </I>sie treiben, und das wei&szlig; offenbar Herr Schmerling selbst nicht, sonst w&uuml;rde er's sagen.</P>
<FONT SIZE=2><P>"Zweifelt jemand an der Fl&uuml;chtlingspresse?"</P>
</FONT><P>Gewi&szlig; niemand. Aber Herr Schmerling selbst erkl&auml;rt ja, Angriffe gegen die Pre&szlig;freiheit k&ouml;nnten nicht von Deutschland kommen. Und wenn sie k&auml;men, die Schweiz w&uuml;rde sie wahrhaftig zur&uuml;ckzuweisen wissen. Was hei&szlig;t denn diese Frage? &Uuml;bersetzen wir sie aus der "Sprache der Geradheit" ins Deutsche, so hei&szlig;t sie weiter nichts als: Die Schweiz soll f&uuml;r die Fl&uuml;chtlinge die Pre&szlig;freiheit aufheben. A un autre, Monsieur de Schmerling! &lt;Erz&auml;hlen Sie das einem anderen, Herr von Schmerling&gt;</P>
<FONT SIZE=2><P>"Soll Deutschland vor Europa die Wallfahrten nach Muttenz beweisen?"</P>
</FONT><P>Gewi&szlig; nicht, schlaue "Regierung des Reichsverwesers". Aber da&szlig; diese Wallfahrten die Ursache des Struveschen Einfalles oder wom&ouml;glich irgendeiner andern Unternehmung gewesen sind, die mehr Grund zur Klage gegen Schweiz gibt, das zu beweisen, w&uuml;rde der Regierung des Reichsverwesers keine Schande, aber desto mehr Schwierigkeiten machen.</P>
<P>Der Vorort ist abermals so gef&auml;llig, mehr zu tun, als "in der Sitte der V&ouml;lker liegt", und Herrn Schmerling daran zu erinnern, da&szlig; die Wallfahrten nach <A NAME="S53"><B>&lt;53&gt;</A></B> Muttenz gerade <I>Hecker </I>galten, da&szlig; Hecker <I>gegen </I>den zweiten Einfall war, er sogar, um allen Zweifel &uuml;ber seine Absichten niederzuschlagen, nach Amerika ging, da&szlig; unter den Wallfahrern hervorragende Mitglieder der deutschen Nationalversammlung waren. Der Vorort ist delikat genug, selbst der undelikaten Note des Herrn Schmerling gegen&uuml;ber den letzten und schlagendsten Grund nicht zu erw&auml;hnen: da&szlig; n&auml;mlich die "Wallfahrer " ja wieder nach Deutschland zur&uuml;ckgingen und dort von der Regierung des Reichsverwesers jeden Augenblick f&uuml;r irgendwelche strafbare Handlung, f&uuml;r all ihr "Treiben" in Muttenz zur Rechenschaft gezogen werden konnten. Da&szlig; dies nicht geschehen, beweist am besten, da&szlig; die Regierung des Reichsverwesers keine Data hat, die die Wallfahrer inkriminieren, da&szlig; sie also noch viel weniger den schweizerischen Beh&ouml;rden in dieser Beziehung einen Vorwurf machen kann.</P>
<FONT SIZE=2><P>"Oder die Versammlungen auf dem Birsfelde?"</P>
</FONT><P>Die "Sprache der Geradheit" ist eine sch&ouml;ne Sache. Wer, wie die Regierung des Reichsverwesers, sich diese Sprache "zur Pflicht im V&ouml;lkerverkehr gemacht hat", der braucht blo&szlig; nachzuweisen, da&szlig; Versammlungen &uuml;berhaupt oder auch Versammlungen von Fl&uuml;chtlingen auf dem Birsfelde stattgefunden haben, um den Schweizer Beh&ouml;rden grobe Verletzung des V&ouml;lkerrechts vorwerfen zu k&ouml;nnen. Andre Sterbliche m&uuml;&szlig;ten freilich erst nachweisen, was in diesen Versammlungen V&ouml;lkerrechtwidriges vorgefallen. Aber das sind ja "weltkundige Tatsachen", so weltkundig, da&szlig;, ich wette, keine drei unter den Lesern der "N[euen] Rh[einischen] Z[ei]t[un]g" sind, die &uuml;berhaupt wissen, von welchen Versammlungen Herr Schmerling spricht.</P>
<FONT SIZE=2><P>"Oder die R&uuml;stungen der Unheilstifter, die l&auml;ngs der Grenze, in Rheinfelden, Zurzach, Gottlieben und Laufen ihr Wesen treiben d&uuml;rfen?"</P>
</FONT><P>Gottlob! Wir erfahren endlich etwas N&auml;heres &uuml;ber das "Treiben" der Fl&uuml;chtlinge. Wir haben Herrn von Schmerling unrecht getan, als wir meinten, er wisse nicht, was die Fl&uuml;chtlinge trieben. Er wei&szlig; nicht nur, <I>was </I>sie treiben, er wei&szlig; auch, <I>wo </I>sie treiben. <I>Wo </I>treiben sie? In Rheinfelden, Zurzach, Gottlieben und Laufen l&auml;ngs der Grenze. <I>Was </I>treiben sie? "Ihr Wesen!"</P>
<I><P>"Sie treiben ihr Wesen!" </I>Kolossale Sch&auml;ndung alles V&ouml;lkerrechts - ihr Wesen l Was treibt denn die Regierung des Reichsverwesers, damit sie das V&ouml;lkerrecht nicht verletzt - etwa "ihr Unwesen"?</P>
<P>Aber Herr v. Schmerling spricht von "R&uuml;stungen". Und da unter den St&auml;dten, wo die Fl&uuml;chtlinge zum Schrecken des ganzen Reichs ihr Wesen treiben, mehrere sind, die dem Kanton Aargau angeh&ouml;ren, so nimmt der Vorort ihn zum Beispiel. Er tut wieder ein &uuml;briges, er tut abermals mehr, als "in der <A NAME="S54"><B>&lt;54&gt;</A></B> Sitte der V&ouml;lker liegt", und erbietet sich, durch ein "kontradiktorisches Verfahren" nachzuweisen, da&szlig; damals im Kanton Aargau nur 25 Fl&uuml;chtlinge lebten, da&szlig; davon nur 10 am zweiten Freischarenzuge Struves teilnahmen und da&szlig; auch diese <I>unbewaffnet </I>nach Deutschland hin&uuml;bergingen. Das waren die ganzen "R&uuml;stungen". Aber was hei&szlig;t das? Die &uuml;brigen 15, die zur&uuml;ckblieben, waren gerade die Gef&auml;hrlichsten. Sie blieben offenbar nur zur&uuml;ck, um "ihr Wesen" ununterbrochen weiter zu "treiben"!</P>
<P>Das sind die gewichtigen Anklagen der "Regierung des Reichsverwesers" gegen die Schweiz. Weiter wei&szlig; sie nichts vorzubringen und braucht es auch nicht, da es "nicht in der Sitte der V&ouml;lker liegt" usw. Ist die Schweiz schamlos genug, durch diese Anklagen noch nicht niedergeschmettert zu sein, so werden die "Entschlie&szlig;ungen" und "Vorkehrungen" der Regierung des Reichsverwesers die niederschmetternde Wirkung nicht verfehlen. Die Welt ist begierig zu erfahren, wie diese Entschlie&szlig;ungen und Vorkehrungen beschaffen sein werden, um so begieriger, als Herr Schmerling sie mit dem gr&ouml;&szlig;ten Geheimnis betreibt und selbst der Frankfurter Versammlung nichts N&auml;heres mitteilen will. Die Schweizer Presse hat indes schon nachgewiesen, da&szlig; alle Repressalien, die Herr Schmerling ergreifen kann, weit sch&auml;dlicher auf Deutschland wirken m&uuml;ssen als auf die Schweiz, und nach allen Berichten sehen die Schweizer den "Vorkehrungen und Entschlie&szlig;ungen" der reichsverweserlichen Regierung mit dem gr&ouml;&szlig;ten Humor entgegen. Ob die Herren Minister in Frankfurt denselben Humor behaupten werden, besonders wenn englische und franz&ouml;sische Noten dazwischenkommen, m&uuml;ssen wir erwarten. Nur eins ist gewi&szlig;: Die Sache wird enden wie der d&auml;nische Krieg - mit einer neuen Blamage, die diesmal aber nur das <I>offizielle </I>Deutschland treffen wird.</P>
<FONT SIZE=2><P>Geschrieben von Friedrich Engels.</P>
</FONT>
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